Killian – Teil 4

Ich packte meine Sachen in den Schrank während mir Sascha dabei zuschaute.

„Hey, so was hattest du doch auch am ersten Tag an, oder?”

Ich drehte mich zu Sascha um und hielt dabei immer noch die Rasta in der Hand.

„Ja, hatte ich. Wieso?”, fragte ich.

‚Was kommt jetzt? Bestimmt wieder ein blöder Spruch wie von den anderen auch.’

„Darf ich mir den mal anschauen. Der sieht toll aus.”

Jetzt hatte er es geschafft mich zu verwirren. Wortlos reichte ich ihm den Gürtel.

„Alles in Ordnung mit dir, Killian?”, hörte ich eine besorgt klingende Stimme.

„Hm…oh ja mir geht’s gut. Du hast mich nur etwas verwirrt.”

„Verwirrt? Ich dich? Womit denn das?”

„Na ja, bis jetzt habe ich hier noch nie etwas Positives über mich oder meine Sachen gehört.”

„Hast du etwa gedacht, ich würde jetzt auch etwas Ablehnendes sagen, oder über dich herziehen, oder was weiß ich?”, prüfend schaute er mich dabei an. „Ähm…”, verlegen herumdrucksend schaute ich auf den Boden. Ich traute mich nicht ihn dabei anzusehen. „…ja.”

„Nee so etwas hätte ich nicht gemacht, Killian. Ich finde die Sachen cool. Ich meine, sonst läuft ja keiner hier so rum und ich find’s toll, dass du bleibst wie du bist. Aber ein paar Fragen hätte ich an dich. Ich darf sie doch stellen, oder? Was mich am meisten interessiert ist natürlich, wo du her kommst? Laufen da alle so rum? Erzählst du mir etwas darüber? Warum bist du jetzt hier im Internat? …Ach pack lieber erst einmal weiter aus, danach können wir dann immer noch reden, oder? Ich schau mir in der Zeit den Gürtel hier etwas genauer an, ok? Gut dann pack schnell aus, ich bin schon gespannt darauf was du zu erzählen hast”, fing er an, ohne Luft zu holen.

‚Hui. Was für ein Zug hat mich denn da gestreift?’ Kopfschüttelnd machte ich mich weiter an die Arbeit. Schon kurze Zeit später war ich fertig und beobachtete Sascha, wie er sich den Gürtel von allen Seiten anschaute, und besonders lange bei den Münzen verweilte. ‚Da hab ich wohl mit meinem Zimmergenossen diesmal einen richtigen Glücksgriff gemacht. So ein Interesse hab ich hier noch gar nicht getroffen. Da steht ja einer Freundschaft nichts im Weg, hoffe ich.’

„..an…Killian. Erde an Killian!”

Ich schrak aus meinen Gedanken auf und sah Sascha fragend an.

„Ja?” „Sag mal, wo warst du denn mit deinen Gedanken? Ich hab gefragt ob du mir jetzt etwas erzählen kannst?”

„Ähm, ja klar.” Ich ließ mich neben ihm und schaute ihn an. „Was willst du denn alles wissen?”

„Hab ich doch eben schon gesagt…wo bist du her? Wie ist es da? Laufen da alle so rum? Warum bist du jetzt hier?…”

„Hey, hey, langsam.”, unterbrach ich ihn. „Alles schön der Reihe nach, bien? Ich bin aus Argentinien…”

„Und wo genau? Wie ist es da so?”, fragte Sascha direkt.

„Die nächstgrößere Stadt, die dir was sagen müsste, ist Buenos Aires…”

„Buenos Aires? Ja, das hab ich schon mal gehört. Wie ist es dort…los erzähl, bitte.”, unterbrach Sascha mich wieder mal.

„Sascha, würdest du mich nicht nach jeden Satz unterbrechen, dann könnte ich dir auch etwas erzählen.”

Eine verlegene Röte schoss ihm in die Wangen. „Ähm, sorry, ich bin nur so neugierig auf das was du zu sagen hast.”

„Ja, das merk ich”, meinte ich lachend. „Hmm…was wollte ich jetzt sagen? Ach so, ja, wir wohnen auf einer Ranch mitten in der Pampa. Zu dieser Ranch gehören die Häuser meiner Familie, eine Menge Weideland für das Vieh und auch die Häuser der Gauchos…” weiter kam ich nicht, denn Sascha fragte mal wieder dazwischen, „was sind denn Gauchos?” das Lachen konnte ich mir nicht mehr verkneifen: „Ich dachte du wolltest mich nicht mehr unterbrechen?”

„Ähm, ja, wollte ich eigentlich schon.” Verlegen schaute er auf seine Hände.

Da musste ich erst recht lachen. Man konnte ihm einfach nicht böse sein. „Schon gut, Sascha, also um auf deine Frage zurückzukommen, Gauchos sind bei uns die, die sich um das Vieh, vorrangig um die Pferde, kümmern. Die Kleidung die ich am ersten Tag anhatte, entsprach der Tracht der Gauchos. Doch ich finde sie bequem daher trage ich sie auch oft. Aber wieder zurück zum Thema wo ich lebe, bien?”

„Ja, erzähl weiter.” Während er dies sagte, ließ er sich nach hinten fallen, sodass er jetzt auf dem Bett lag. Ich tat es ihm gleich.

„Um unsere Ranch herum ist eigentlich nichts…nur offenes, weites Land. Am schönsten ist es abends, wenn die Sonne untergeht. Sie taucht dann Alles in einen wunderschönen Rotton. Und dem Sonnenuntergang entgegen zu reiten ist unbeschreiblich. Aber wir leben nicht immer auf der Ranch.”

„Nicht? Wo lebt ihr denn dann?”

„Dann leben wir in Buenos Aires in einer Wohnung. Von dort aus ist es leichter die Schulen oder die Arbeit zu erreichen. Darum leben wir während der Woche immer dort, aber am Wochenende oder in den Ferien geht es ab zur Ranch.”

„Und warum bist du dann jetzt hier? Ich meine, England ist ja schon weit weg von Argentinien.”

„Na ja, meine Eltern meinten ich solle doch auch mal etwas anderes sehen, als nur Buenos Aires und Santalia, so heißt unsere Ranch. Daher bin ich hier. Und warum bist du hier? Woher kommst du?”, drehte ich den Spieß um und fragte jetzt Sascha aus.

„Ich komme aus Brighton. Das liegt im Süden von England. Hierher gekommen bin ich, weil ich schon immer mal auf ein Internat wollte. Ich finde, man kann hier viel besser Freundschaften knüpfen und außerdem habe ich dann hier mehrere, die mir einen Tritt verpassen, wenn ich mal wieder meine faulen Tage habe”, lachte er.

„Na dazu stell ich mich gern zur Verfügung”, lachte ich mit. Es tat richtig gut, jemanden zu haben mit dem ich mich verstand.

***

„Hast du Fotos dabei? Kann ich mir die anschauen”, wurde ich gerade von Sascha gefragt, als der Gong ertönte. Verwirrt schaute ich auf die Uhr und sah, dass es schon der Gong zum Abendessen war. Wir hatten den zum Mittagessen wohl überhört. Sascha sprang direkt auf und ging zur Tür.

„Los komm schon, Killian, ich habe Hunger”, forderte er mich auf. Ich folgte ihm schnell und so machten wir uns auf den Weg zum Speisesaal. Wie gut nur, dass heute der erste  Samstag im Monat war, nicht auszudenken was passiert wäre, hätten wir den Unterricht verquatscht.

Nun stand ich hier mit meinem Tablett und wusste nicht wohin. Doch da stupste mich Sascha schon an:

„Komm, Killian. Setzen wir uns dort zu Max und Jerome. Die Zwei sind in Ordnung. Sie sind schon länger hier und haben mir schon in den ersten Tagen geholfen. Sie sind bei uns in der Klasse.” Damit steuerten wir auf den Tisch der beiden zu. „Hi ihr zwei.”, begrüßte Sascha sie.

„Hey Sascha, wo warst du denn beim Mittagessen? Wir haben dich gar nicht gesehen.”, wurde er von einem großen rothaarigen Jungen, mit vielen Sommersprossen im Gesicht unterbrochen.

„Ich hab die ganze Zeit mit Killian geredet. Dabei haben wir die Zeit vergessen.”

„Hi Killian, setz dich doch”, forderte mich der Rothaarige auf.

Ich bemerkte erst jetzt, dass ich noch stand während sich Sascha schon hingesetzt hatte.

„Mein Name ist Max und der hier neben mir, das ist Jerome.” Dabei stupste er einen blonden Jungen an, dessen Haare bis knapp über die Ohren hingen. Jerome erwiderte meinen Blick und ich sah in strahlend blaue Augen, die einen zum Träumen einluden. „Hi”, war alles was ich heraus brachte. Ich wusste nicht recht ob ich den beiden auch trauen konnte, jedoch erschienen sie mir sehr nett. Na da hieß es wohl einfach mal abwarten.

***

Nach dem Essen erscholl eine Durchsage des Direktors durch das ganze Haus. Er forderte alle auf in die Aula zu kommen. Ich wusste ja worum es ging und doch war ich aufgeregt. Wie würden nur die Anderen reagieren? Mit einem flauen Gefühl im Magen ging ich zusammen mit Sascha, Max und Jerome in die Aula.

Als nach einigen Minuten alle da waren, begab sich der Direktor an das Rednerpult, das auf einer Erhöhung stand.

„Guten Abend alle zusammen. Ich habe heute diese Vollversammlung einberufen, da in letzter Zeit Dinge geschehen sind, die wir nicht dulden.”

„Was der Direx wohl meint?”, flüsterte Max uns leise zu.

„Psst, sei ruhig. Wir werden es ja jetzt hören”, antwortete Jerome nur darauf.

„Vor ein paar Tagen mussten wir erfahren, dass hier von einigen Schülern ein sehr intolerantes Verhalten an den Tag gelegt wurde, dass sich bis zum Schlimmsten ausgeweitet hat. Es wurde so schlimm, dass ein Mitschüler von ihnen krankenhausreif geschlagen wurde. Wir dulden ein solches Verhalten nicht und die Täter wurden der Schule verwiesen. Damit so etwas aber nicht noch einmal passiert, gibt es in der nächsten Woche anstelle des Unterrichts am Montag Projektarbeiten. Diese Projekte beschäftigen sich mit einigen Themen, die immer wieder Opfer intoleranten Verhaltens wurden. Jede Jahrgangsstufe hat die gleichen Themen. Immer eine Klasse beschäftigt sich intensiv mit einem zugewiesenen Thema. Am Ende der Woche, Sonntag, werden die Ergebnisse des Tages den anderen Klassen vorgestellt. In der Zwischenzeit findet ganz normal der Unterricht statt.”

Kaum hatte der Direktor seine Rede beendet, brauste ein Sturm an Beschwerden los. Sie sahen nicht ein warum sie ihren freien Sonntag opfern sollten. Ich hingegen war eher froh, dass der Direktor nicht direkt gesagt hatte, dass mein Schwulsein der Grund für die Schlägerei war.

„Ruhe”, forderte der Direx mit lauter Stimme. Schlagartig war es still.

„In Anbetracht der Geschehnisse werdet ihr alle einmal auf euren Sonntag verzichten können. Das Thema ist wirklich wichtig und ich hoffe, dass ihr euch alle mit dem nötigen Ernst an das Projekt wagt. Ihr könnt gehen.”

Alle stürmten regelrecht aus der Aula. Die meisten immer noch auf den Direx schimpfend. Ich ging mit Sascha auf unser Zimmer. Wir waren uns stillschweigend einig, dass wir heute nicht über die Projektwoche redeten. Ich war ihm deswegen sehr dankbar auch wenn er wohl nicht genau wusste warum.

„Killian, jetzt beeil dich doch mal. Ich möchte jetzt gern die Fotos sehen”, trieb mich Sascha zur Eile.

Kaum im Zimmer angekommen, schaute er mich schon auffordernd an. Also holte ich die Fotos und legte mich wieder zu ihm aufs Bett. Ich konnte gar nicht so schnell gucken wie er sich die Bilder geschnappt hatte und sie anschaute.

„Wer ist denn das alles? Ist das alles deine Familie?”, wurde ich auch direkt wieder gelöchert.

„Dann gib mir die Fotos mal her, dann zeig ich dir nach und nach wer wer ist, bien?”

Sofort hatte er mir diese in die Hand gedrückt. Ich nahm das Erste. Auf diesem war ein älteres Ehepaar zu sehen. „Dies hier sind meine Großeltern. Alfredo und Luisa.” Damit reichte ich Sascha das Bild. Er legte es beiseite und ich nahm mir das Nächste vor. „Das hier sind meine Eltern. Mein Vater Aleandro und meine Mamá Chiquita.”

„Ah also hast du deine Schokohaut von deiner Mama.”

„Schokohaut?”
“Ja, sie sieht aus wie Schokolade”, dabei grinste er übers ganze Gesicht. „Deine Mama ist sehr hübsch, wenn ich das mal sagen darf.”

„Ja, das ist sie.” Ich schaute sie mir auf dem Bild an. Sie hatte ein rotes Knielanges Kleid an und trug ihre schwarzen Haare offen, so dass sie ihr den Rücken hinunter fielen, dabei schimmerten sie so, als wollten sie das Licht der Sonne aufsaugen. Meine Mamá schaute mit den gleichen schwarzen Augen, die auch ich hatte, an der Kamera vorbei, dabei war ein verträumtes Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. Im Gegensatz zu mir war ihre Haut jedoch dunkler. Mein Vater war ein richtiger Gegensatz zu ihr. Er hatte eine leicht gebräunte Haut, die irgendwie nie richtig braun wurde. Auf dem Foto trug er eine Jeans und dazu ein passendes Hemd. Seine braunen Haare waren wie so oft, verwurschtelt. Er bekam in sie nie irgendeine Ordnung. Seine blauen Augen waren auf meine Mutter gerichtet.

„Und wer ist das?”, unterbrach Sascha mich in meinen Gedanken. Er hielt mir ein Bild von Joshua unter die Nase.

„Das ist mein kleiner Bruder Joshua, er ist fünf Jahre alt und kaum eine Sekunde still. Also genau wie du”, grinste ich ihn an.

„Boah, das merk ich mir. Ich sag jetzt kein Wort mehr.”

‚Bestimmt keine 10 Sekunden.’ Und ich hatte kaum zu Ende gedacht, fragte er mich schon, „und wie ist dein Bruder sonst so?”

„Er ist sehr lieb und die meiste Zeit nur am Lachen. Einfach ein richtiger Sonnenschein.”

Mein kleiner Bruder hatte eine etwas hellere Haut als ich, aber genauso schwarze Haare. Jedoch hatte er die blauen Augen meines Vaters geerbt. Und diese strahlten den ganzen Tag.

Als letztes holte ich ein Bild meines großen Bruders Nico hervor und zeigte es Sascha. „Das ist Nico, er ist achtzehn.” Nico war einen halben Kopf größer als ich. Er trug seine Haare kurz, doch sonst sahen wir uns schon sehr ähnlich. Nur sein Gesicht zierte eine schicke Brille.

„Hey, ich hab auch einen Bruder, der achtzehn ist.”

„Echt? Hast du auch Bilder dabei? Zeig sie mal her”, forderte ich ihn direkt auf.

„Ich denke eher wir verschieben das auf morgen, Killi.”

„Wieso denn das?”, ich sah ihn fragend an.

„Hast du schon mal einen Blick auf die Uhr geworfen? Ich denke wir sollten jetzt erst einmal schlafen gehen. Und schauen uns meine Fotos morgen an.”

„Hast auch wieder Recht. Machen wir das morgen.” Daraufhin machten wir uns bettfertig. Als wir im Waschraum ankamen, war ich davon überrascht, dass man mich hier gar nicht beachtete und fand es toll. Wenn ich da an den anderen Waschraum dachte…

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