Spieglein, Spieglein an der Wand (Full)

 

Der große Tag war endlich gekommen. Mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge zog ich endlich in das Haus meiner Großmutter. Lange hatte ich mich dagegen gewehrt, denn es hingen einfach zu viele traurige Erinnerungen an diesem Haus.

„Finn, wie bist du nur dieses Schmuckstück gekommen?“, fragte Blair.

Blair Mac Innes. Meine beste Freundin und langjährige Kollegin in der Bank, neugierig wie immer und sagte ständig, was sie dachte, was ab und wann auch peinlich sein konnte. Aber eine herzensgute Seele!

„Blair meine Liebe, Beziehungen sind das halbe Leben“, meinte Angus.

Angus Cockburn, der jüngste unserer kleinen Runde. Ich kannte ihn zwar noch nicht so lange, war mir aber schnell ans Herz gewachsen. Mit seinem roten Wuschelkopf, fiel er auch sofort auf.

„Und Ordnung die andere! Finn ist das dann alles, oder hast du noch mehr?“

Diese Frage kam von Connor Mac Laren. Sollte ich Sandkastenfreundschaft sagen? Ihn kannte ich wohl von allen am längsten und obwohl er immer noch nicht verstand, dass ich, wie er, nicht dem weiblichen Volk zu getan war, stand er mir immer zur Seite, wenn ich seine Hilfe nötig hatte.

„Nur das, was im Lastwagen draußen ist. Warum fragst du?“

„Weil ich heute Abend noch ein Date habe und nicht zu spät kommen möchten, was bei der Unordnung hier, schnell passieren kann.“

„Ich fass es nicht“, mischte sich Blair ein, „wie kannst du am Umzugstag deines besten Freundes ein Date ausmachen?“

„Finn mag zwar mein bester Freund sein, aber wegen ihm lass ich keine heiße Flamme sausen!“

Die wievielte war das? Ich hatte schon lange aufgehört zu zählen. Nach meinem geschätzten Gefühl hatte er bereits ganz Edinburgh abgegrast. Aber bei fast fünfhunderttausend Einwohnern schien er immer wieder „heiße Flammen“ zu entdecken.

Was uns verband, konnte ich nicht einmal richtig erklären. Er war nicht mal mein Typ. Mit seinem kurzen Stoppelschnitt, seinen braunen Haaren und seinen doch sehr muskulösen Oberkörper, war er so gar nicht das, was ich mir unter Boyfriend vorstellte.

Mir gefiel da eher schon einen Wuschelkopf, wie Angus ihn hatte, wenn nicht gerade diese heftig rote Farbe wäre. Und Angus war auch fast genauso verrückt nach Frauen, wie Connor. Zudem wirkte Angus mit seiner geringen Größe neben uns, wie ein Zwerg, wie ein kleiner Bruder eben.

So empfand ich Angus zumindest. So schieden beide Herren aus meinem sogenannten Beuteschema aus und Blair so wieso. Sie überragte Angus mit ihrer Löwenmähne fast einen Kopf hoch, welche durch seine ruckartigen Bewegungen, immer Kampfbereitschaft anzeigte.

„… und Blair, ich habe dieses Schmuckstück von Haus nicht gefunden, es gehörte mir bereits.“

„Wie, es gehörte dir bereits. Habe ich irgendetwas verpasst? Bist du ein reicher Erbe, von dem ich nichts weiß?“

Blair immer bemüht, den perfekten und was besonders wichtig war, ein reicher Mann zu finden.

„Nein, habe ich nicht. Das ist das Haus meiner verstorbenen Großmutter Denna, das ich nach ihrem Tod vor fünf Jahren geerbt habe.“

„Jetzt weiß ich auch“, kam es von Connor, „woher ich dieses Haus kenne und ich dachte schon, ich habe ein Déjà-vu, weil mir alles so bekannt vorkommt.“

„Wie du kennst dieses Haus auch?“, fragte Blair verblüfft.

Ihre schrille Stimme ließ die Fenster des Flurs erzittern.

„Klar…, da kommen eine Menge alte Erinnerungen auf. War immer cool bei Großmutter Denna zu übernachten. Besonders von ihren Geschichten war ich immer sehr angetan.“

Blair schaute zwischen uns beiden hin und her.

„Ich stelle immer wieder fest, auch wenn ich deine beste Freundin bin, weiß ich immer noch zu wenig über dich!“

Ich stellte meine Kiste ab und nahm sie in den Arm.

„Blair…, Liebes, du bist neben Connor, die einzige Person, die mich in und auswendig kennt, ist es da nicht interessant, immer mal wieder neue Geheimnisse zu entdecken?“

„Solange die Geheimnisse keine Leichen im Keller beinhalten!“, meinte Angus und grinste.

„Auf jetzt los, ich will fertig werden!“, trieb uns Connor an.

Gefühlte Stunden später, der Zeiger der Küchenuhr aber, war gerade einmal ein Strich weiter gewandert, verabschiedete sich Connor mit einem „Man sieht sich“ und war schnell verschwunden.

„Der hätte sich doch heute wirklich frei halten können“, meckerte Blair.

„Ach lass ihn doch, du weißt wie gerne er Dates hat“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Aber immer nur Dates, wird das nicht langweilig? War nie eine dabei, die ihn mal richtig interessierte.“

„Das kann ich dir nicht sagen, Blair. Er hat mir auch nie eine vorgestellt.“

„Wo kommt das hin?“

Angus beladen mit einer Kiste, stand in der Tür zum Wohnzimmer.

„Das was draufsteht.“

„Ähm Schlafzimmer…, aber wo ist das Schlafzimmer?“

Ach so! Angus kannte sich hier noch nicht aus.

„Oben, zweite Tür links.“

„Okay!“, und schon war er verschwunden.

„So ein lieber Kerl und so viel Pech“, sinnierte Blair an der Theke zur Küche.

„Es ist vorbei, Blair! Er hat jetzt uns und alles andere ist Vergangenheit, okay?“

Sie nickte nur und wickelte weiter Tassen aus. Von zu Hause rausgeworfen, in falsche Kreise abgerutscht, fast zu Tode geprügelt und auch noch eine Gruppenvergewaltigung. Angus hatte so ziemlich alles durchlaufen, was einem jungen Erwachsenen schlimmes hat passieren können. Das reichte für ein ganzes Leben.

Dabei lag dies nur an seinem Jungenhaften Aussehen. Er war jetzt vierundzwanzig, also ein knappes Jahr jünger wie ich, aber wirkte auf andere wie ein Fünfzehnjähriger. Seine geringe Größe von einem knappen Meter sechzig, war da auch kein Vorteil.

Seine zierliche Statur ließ ihn verletzlich wirken, was er auch war. Wir drei hatten ihn, nachdem wir ihn vor einem halben Jahr, zusammen geschlagen auf der Straße gefunden hatten, unter unsere Fittiche genommen.

Die äußerlichen Spuren davon, waren verschwunden, aber die Narben, die die Vergangenheit ihm innerlich zugefügt wurden, waren mit hundert prozentiger Sicherheit nicht verheilt. Aber in unserer Gegenwart, war sein Lächeln und Lachen immer echt.

„Du, ich habe gehört, Mac Bain, soll wieder in unsere Filiale zurück kommen.“

„Echt jetzt?“, entfleuchte es mir und sah sie entsetzt an.

„Wer ist Mac Bain?“, wurde aus dem Flur gerufen.

Angus schien wohl wieder unten zu sein.

„David?“, antwortete Blair, „wie soll ich ihn beschreiben…?“

Unser Jüngster stand nun wieder in der Tür.

„… ein Großkotz, leicht homophobisch und meint er ist der Schönste!“, fiel ich ihr ins Wort.

„Lass ihn das ja nicht hören!“, meinte Blair.

„Wieso? Tatsachen darf man doch sagen.“

„Und warum ging er weg?“, fragte Angus.

„Er wurde gegangen…“, antwortete ich.

„Sag so etwas nicht. David wurde in die Zentrale nach Glasgow versetzt, aus beruflichen Gründen“, erklärte Blair.

„Den Quatsch glaubst du? Er hat dem Chef seine Tochter an gegrabscht und musste weichen!“

„Woher erfahrt ihr immer solche Dinge“, wollte Angus wissen.

„Dorftratsch“, antwortete ich kurz und räumte meinen Karton mit Büchern leer.

Blair kicherte nur. Das Angus meine Antwort nicht verstand, sah man daran, dass er sich wie immer am Hinterkopf kratzte und dabei seine roten Locken wild hin und her schüttelte.

„dann kann ich mich ja am Montag wieder auf Einiges gefasst machen“, sagte ich nur und faltete den leer geräumten Karton zusammen.

„Ist er so schlimm?“, wollte Angus wissen.

„Schlimmer!“

Blair war schneller mit ihrer Antwort.

„Würdest du zwischen ihm und einer starken Grippe wählen müssen, würdest du mit Vorliebe die Grippe wählen!“, meinte Blair und wickelte die letzte Tasse aus.

Angus schaute uns mit großen Augen an.

„Du kannst ihn wirklich nicht leiden“, meinte ich.

„Nein, wieso sollte ich auch? Wie er sich in der Vergangenheit benommen hat, auch dir gegenüber, hat er überhaupt etwas Menschliches an sich?“

„Sei Aussehen?“, grinste ich.

„Jetzt sag bloß, David gefällt dir?“

Darauf antwortete ich jetzt lieber nicht und grinste weiter. Das war der einzige Pluspunkt, den ich an David zu vergeben hatte. Sein Aussehen. Großgewachsen, nicht zu Muskelbeladen und dieser dunkelbraune Lockenkopf. Locken hatten es mir wirklich sehr angetan. Leider hatte ich nie mehr von ihm gesehen, denn er trug stets Anzüge in meinem Beisein.

„Im Flur steht kein Karton mehr, was soll ich jetzt machen?“, fragte Angus.

„Ich würde vorschlagen, wir machen kurz eine Pause“, antwortete ich und lief an meinen schon befüllten Kühlschrank, „ich hab Wasser, Coke, Wein, Bier…“

„Für mich eine Coke!“, sagte Angus und ließ sich auf dem letzten freien Stück vom Sofa nieder.

„Wenn du ein Glas mittrinkst, bin ich gegen den Wein nicht abgeneigt“, kam es von Blair.

Ich grinste und zog den Wein und die Coke heraus. Leider standen nur die normalen Trinkgläser im Regal, so nahm ich diese und verteilte sie mit den jeweiligen Getränken. Ich sah, dass sich Blair genau umschaute.

„Willst du wirklich die vielen alten Möbel behalten?“

„Wieso, wenn es aufgeräumt ist, sieht es hier sicher richtig kuschelig aus“, meinte Angus.

Ich grinste ihn an und setzte mich zu Blair an den Küchentisch.

„Zum einem habe ich gar nicht so viel Möbel, dass ich das ganze Haus damit bestücken könnte und zudem gefällt mir der Mix aus alten und neuen Möbel.“

„Im Schlafzimmer hast du aber keine alten Möbel“, sagte Angus.

„Da wäre es auch unpassend. Ich liebe meinen großen Kleiderschrank und auch das große Bett. Ich brauche einfach Platz!“

„Für einen Freund?“

Darauf sagte ich nichts und schaute sie nur an.

„Gut, entschuldige, ich habe versprochen, von diesem Thema nicht mehr anzufangen“, meinte Blair und hob abwehrend ihre Hände.

„Wieso mag Finn darüber nicht sprechen?“, fragte Angus.

Ich kam Blair zuvor.

„Weil ich auf die Typen, die Blair ständig anschleppt, keinerlei Lust habe!“

„Sind die alle schwul?“

„Nicht jeder…“, antwortete ich ihm.

Nun fiel Angus fragender Blick auf Blair.

„Ja ist ja schon gut, ich meine es ja nur gut mit Finn. Außer Bank und sein Zuhause sieht er doch nichts..“

„Und woher kennst du so viele Schwule?“, bohrte Angus weiter nach.

„Es gibt da gewisse Computerseiten…“, weiter sprach Blair nicht, weil ich sie vorwurfsvoll anschaute.

„Mein Liebesleben ist immer noch meine Sache und ich habe eben keine Lust, mich mit wildfremden Menschen zu treffen, über die ich so gar nichts weiß!“

„Ich habe es kapiert!“, kam es trotzig von Blair zurück, „es wird nie wieder vorkommen.“

Ich hoffte, dass das Thema damit gegessen war, aber irgendetwas sagte mir, dass Blair bestimmt weitere Verkupplungsversuche machen würde.

„Hast du etwas zu Essen da?“, änderte Blair das Thema.

„Der Kühlschrank ist voll und die Speisekammer gut gefüllt“, gab ich zur Antwort.

„Was haltet ihr davon, wenn ihr noch ein wenig räumt und ich koche uns etwas Gutes?“

Hatte ich schon erwähnt, das Blair sehr gut kochen konnte, vom Backen ganz zu schweigen.

„Sehr gute Idee, denn mein Magen meldet sich“, sagte Angus.

„Dann geh ich hoch ins Schlafzimmer und versuche das noch ein wenig wohnlich hinzubekommen, denn ich will hier ja heute Nacht schlafen.“

*-*-*

„Liebes, man könnte fast meinen, du findest mich zu dünn“, sagte ich und nippte an meinem Weinglas.

„Wieso?“

„Es schmeckte wie immer gut und ich habe auch wie immer viel zu viel gegessen!“

Als Beweis rieb ich mir über den Bauch. Angus grinste mich an und schob seine letzte beladene Gabel in den Mund.

„Nicht meine Schuld, du musst dir ja nicht immer den Teller so voll laden.“

„Danke für das Essen!“, erwiderte ich nur und drückte ihre Hand.

„Dann werde ich mich mal an den Abwasch machen und danach werden meine Füße mich nach Hause tragen“, sagte Blair.

„Ich helfe dir!“, kam es von Angus, stand auf und sammelte die benutzen Teller ein.

Ich stand ebenso auf und sah mich um. Morgen noch etwas räumen, dann wäre ich einigermaßen mit dem Umzug durch. So konnte ich am Montag beruhigt zum Arbeiten gehen und keinen Urlaubstag vergeuden.

Wobei Urlaub, den konnte ich dieses Jahr eh vergessen. Die Renovierung des Hauses hatte mein Konto stark dezimiert. Aber es war nötig. Drei Jahre hatte es leer gestanden und vorher hatte Granny Denna auch nicht mehr viel machen lassen, sie war einfach zu alt hierfür.

So hieß es für mich dieses Jahr im Urlaub kleine Brötchen backen. Einen Ausflug oder so, mehr war nicht drin. Oder ich widmete mich meinen Garten, jetzt hatte ich ja einen. Er war das einzige, was die ganze Zeit hindurch hin gepflegt worden war.

Dafür hatte ich gesorgt und einer kleinen Gartenfirma den Auftrag hier für erteilt. Ob ich den Grannys Gemüsegarten wieder beleben sollte, darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht.

Hinter mir an der Spüle konnte ich Gekicher hören, aber über was die beiden redeten verstand ich nicht. Ich brachte die leeren Weingläser zur Spüle und stellte den restlichen Weißwein wieder in den Kühlschrank.

„Finn hast du dir schon Gedanken über das Projekt gemacht, dass der Alte“, sie meinte damit Mr. Hornsby unseren Abteilungschef, „am Freitag angesprochen hat?“, fragte Blair.

„Wann denn, du siehst ja mit was ich an diesem Wochenende beschäftigt war. Und um ganz ehrlich zu sein, bin ich von seiner Idee nicht sehr begeistert.“

„Wieso denn, es wäre doch toll, wenn in Edinburgh mehr Wohnraum geschaffen wird und zudem günstiger Wohnraum!“

„Ja, aber deswegen die Gegend verschandeln, mit so großen Wohnblöcken? Nein, das passt nicht zum Stadtbild von Edinburgh! Bisher ist die Stadt ohne Hochhäuser ausgekommen, so sollte es bleiben.“

„Aber ist es nicht unfair denen gegenüber, wie Angus zum Beispiel, die sich das derzeitige Niveau der Mieten nicht leisten können? Er kann doch nicht ewig in… „diesem“ Wohnheim bleiben.“

Wohnheim war nicht der passende Ausdruck. Ein Haus mit vielen kleinen Zimmer, auf jedem Stockwerk eine Toilette und Dusche. Und gerade diese Zimmer waren mehrfach belegt.

„Also mir gefällt es dort, es ist immer recht lustig“, meinte Angus.

„Wegen Angus habe ich mir schon meine Gedanken gemacht…“

„Was für Gedanken?“, fragte Angus und Blair fast gleichzeitig.

Ich sah zu den beiden, seufzte und ließ mich wieder auf meinen Stuhl fallen, der sich mit einem Knacken dafür bedankte.

„Ihr habt selbst gesehen, wie groß das Haus ist und ich dachte, dass ich oben eines der drei Zimmer für Angus herrichten lasse…, wenn er das überhaupt möchte.“

„Ich soll hier bei dir wohnen?“

Ich nickte. Sprachlos schaute er zu Blair.

„Das hätte etwas für sich, Angus. Du wärst viel näher an der deiner Arbeitsstelle und was noch wichtiger ist, du würdest dein Zimmer nicht mit drei anderen Mitbewohnern teilen müssen“, sagte Blair.

„Er würde vor allem dort heraus kommen, sorry Angus, du weißt, wie ich über dieses Haus denke.“

„Kein Problem“, meinte Angus.

*-*-*

Ich wusste nicht, was mich weckte, aber mit dem Blick zum Wecker, war es für Sonntag noch recht früh. Neben mir schlief zusammengekauert und angekuschelt Angus. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, mir noch weiter beim Auspacken zu helfen, während Blair schon gegangen war.

Als mich meine Müdigkeit überkam, brachte ich es nicht übers Herz, Angus noch so spät ins Wohnheim zu schicken. So übernachtete er bei mir. Sein Vertrauen zu mir war groß, denn we immer schlief er nackt.

Wie er das im Wohnheim bewerkstelligte, war mir ein Rätsel. Doch rührte mich sein Vertrauen, dass ein so enger Hautkontakt mit mir im nichts ausmachte, wenn man seine Vorgeschichte kannte.

Mich störte es nicht im Geringsten, war es doch angenehm, mit jemand so eng aneinander gekuschelt morgens im Bett aufzuwachen. Ich seufzte innerlich. Es ist zwar schön, wenn es sich aber um eigenen Mann handeln würde, wäre das noch schöner.

So musste ich mit der Körperwärme von Angus begnügen und versuchen, nicht auf dumme Gedanken zu kommen. Aber wenn ich ihn mir jetzt so betrachtete, er sah wirklich aus wie ein Jugendlicher.

Überall leichte Ansätze von Muskeln, aber dennoch nicht genug, um ihn irgendwie männlich wirken zu lassen. Ich zog die Decke über seinen Oberkörper und befreite mich aus seinen Händen, die sich irgendwie mit meinem Arm verknoten hatten.

„Muss ich… schon aufstehen?“, brummelte Angus, ohne seine Augen zu öffnen.

„Nein Angus, ich muss auf die Toilette. Es ist Sonntag, du musst nicht aufstehen!“

„…auch gut“, brummte er und war wenige Sekunden später, mit einem Lächeln eingeschlummert. Grinsend verließ ich das Schlafzimmer und bahnte mir meinen Weg ins Bad.

*-*-*

Da ich keine Lust hatte, den Rest des Morgens im Bett zu verbringen, denn das wäre sicher geschehen, wenn ich mich wieder hingelegt hätte, ging ich in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen.

Als ich im Flur am großen Spiegel vorbei lief, überkam mich eine Gänsehaut, die sich über meinen ganzen Rücken zog. Warum fühlte ich mich plötzlich beobachtet.

Etwas ausgepowert durchlief ich die Kontrolle am Personaleingang und zeigte wie jeden Morgen meine ID – Card, die an einem blauen Band um meinen Hals hing.

„Guten Morgen Mr. Lennox.“

„Morgen“, gab ich nickend zurück, ohne mein freundliches Gegenüber anzuschauen.

Der Grund meiner Müdigkeit, war wieder einmal Angus gewesen. Nicht genug, dass ich dieses Haus, in dem mein kleiner Freund lebte, so sehr hasste, weil es dort mit der Hygiene nicht so genau genommen wurde und es dementsprechend aussah und auch roch.

Er selbst hatte sich am Morgen nach dem Frühstück verdrückt und am späten Sonntagmittag, als ich endlich meine Füße hoch legen und Umzug, Umzug sein lassen wollte, da rief Rotlocke an und bat mich, gerade in dieses Heim zu kommen.

Mehr konnte ich nicht aus ihm heraus bekommen, denn er weinte bitterlich. Auf dem Weg dorthin holte ich Blair ab, um mit ihr dann gemeinsam zu Angus zu fahren. Das Ende vom Lied, als wir dort ankamen, stand ein großes Polizei und Feuerwehraufgebot vor dem Haus.

„Was ist denn hier los?“, fragte Blair, während ich verzweifelt versuchte, einen Parkplatz zu finden.

„Ich weiß es nicht, außer Wimmern und „Finn komm bitte“, war von Angus nichts anderes zu hören!“

„Das Haus ist hinüber, da kann keiner mehr darin wohnen.“

Mühsam hatte ich es geschafft, meinen Mini in eine viel zu kleine Parklücke hinein zu lenken.

„Das sehe ich auch so. Komm lass uns Angus finden und hier ganz schnell wieder verschwinden.“

Das war leichter gesagt, als getan. Weit kamen wir nicht, denn ein Bobby hielt uns schon nach wenigen Metern auf.

„Hier können sie nicht durch!“, war von dem Herrn recht harsch zu hören.

„Entschuldigung, wir wollen hier nur einen Freund abholen“, sagte Blair.

Der Bobby scannte erst Blair, dann mich.

„Sie haben hier einen Freund?“, fragte er ungläubig.

„Ja“, meinte ich genervt, „Angus Cockburn, ungefähr eins sechzig groß und einen knallroten Wuschelkopf. Er hat in diesem Wohnheim gewohnt und uns verständigt!“

Ich war kurz vorm explodieren. Der gute Mann schaute mir noch einmal direkt in die Augen und wandte sich dann ab.

„Da hinten, neben dem Leiterwagen, sitzen die Kinder…“

„… Kinder? Aber…“

Ich griff nach ihrer Hand und Blair verstummte. Ich wollte nur so schnell wie möglich zu Angus, aber der Bobby bremste uns erneut aus.

„Nur eine Person, hier laufen schon genügend Leute herum!“

„Finn geh du, ich warte hier!“

Ich nickte nur und zog das Absperrband nach oben, um darunter durch zu schlüpfen. Schon beim Hinlaufen, zu diesem Leiterwagen sah ich mich um, ob da nicht doch irgendwo Angus sein konnte.

Es schien auch Verletzte gegeben zu haben, denn ich sah an mehrere Krankenwagen, Menschen, die verarztet wurden. Wild drehte ich meinen Kopf hin und her, aber konnte Angus nirgends sehen.

So umrundete ich den großen Leiterwagen und erneut kam ein Krankenwagen in Sicht, nur zum Unterschied zu vorhin, hier saßen fast nur Kinder auf ausgebreitete Decken am Boden. Mittendrin, total verlassen, mein Rotschopf, Angus. Er saß auf seinem kleinen Köfferchen und schaute zu Boden.

„Angus!“, rief ich laut.

Sein Kopf fuhr hoch, er sprang auf und rannte auf mich zu.

„Finn…, Finn es war so schrecklich“, jammerte er und fiel in meine Arme.

Sanft streichelte ich durch seine Mähne.

„Es ist gut Angus, Hauptsache dir ist nichts passiert…“

„… aber meine Sachen…“

„Kann man alles ersetzten. Was hast du in dem Koffer?“

„… das was ich mir noch greifen konnte.“

„Dann holen wir jetzt deinen Koffer und fahren zu mir nach Hause…, okay? Blair wartet schon auf uns.“

„Blair ist auch hier?“

„Ja und jetzt geh und hol den Koffer!“

Angus nickte. Er holte den besagten Koffer, den ich ihm abnahm, legte meinen Arm um ihn und lief den gleichen Weg zurück, wie ich gekommen war. Die Hektik schien sich nicht gelegt zu haben, denn mehr als einmal zog ich Angus zur Seite, damit er nicht angerempelt wurde.

Als ich dann endlich in Sichtweite von Blair kam, war ich froh. Der Bobby drehte sich zu mir um, nickte und ich konnte so etwas wie eine Entschuldigung von ihm hören. Blair verfiel sogleich in ihren typischen Muttermodus und entriss mir Angus.

„Mein Gott Angus, ist dir etwas geschehen, hast du dich verletzt, was ist denn passiert?“

„Wenn du ihn mal zu Wort kommen lassen würdest, könnte er dir antworten. Lass uns nach Hause fahren.“

Der Bobby zog dieses Mal selbst das Absperrband nach oben und wir drei konnten ungehindert passieren.

„Trotzdem noch einen schönen Tag“, meinte der Mann in schwarzer Uniform kleinlaut.

Ich nickte nur und schaute verwundert zu Blair. Diese sagte auch nichts, sondern lächelte mich nur an. Schnell wurde Angus auf die Rückbank des Minis verfrachtet und schon war ich auf dem Rückweg zu meinem neuen Domizil.

Im Rückspiegel sah ich, dass Blair ein kleines Kärtchen in ihrer Tasche verschwinden ließ.

*-*-*

Das war gestern noch passiert und natürlich, weil ich Angus Zimmer noch nicht fertig hatte, schlief er wieder in meinem Bett. Seine Alpträume hielten mich fast die ganze Nacht wach. So war es auch kein Wunder, dass ich so, wie ich drauf war, in der Bank erschien.

„Wie siehst du denn aus?“, fragte mich Blair, als ich an meinem Platz ankam.

Ich ließ meine Tasche von der Schulter gleiten und stellte sie auf den Boden vor meinem Schreibtisch. Mit einem langen Seufzer ließ ich mich auf den Stuhl gleiten. Müde rieb ich mir durchs Gesicht.

„Frag nicht… Angus hat mich mit seinen wilden Träumen fast die ganze Nacht wach gehalten.“

Blair begann zu kichern.

„Lach nicht, ich finde das nicht so lustig!“

„Und wo ist unser Rotschopf jetzt?“

„Bei der Arbeit, ich habe ihn dort abgesetzt, bevor ich hier her fuhr“, antwortete ich.

Bevor Blair darauf etwas sagen konnte, schallte ein übertriebenes „Guten Morgen“, durch das Büro. Nicht auch das noch. An dieses Übel hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. David Mac Bain.

Ich spürte, wie meine Schulter etwas freundschaftlich klopfte.

„Finn mein guter, hast du wieder die Nacht durchgefeiert…, siehst gar nicht gut aus…, guten Morgen Blair…“

Meine Laune war auf dem Tiefpunkt und hätte mich meine guten Manieren nicht zurück gehalten, dann läge dieser Arsch jetzt auf dem Boden, nachdem ich ihn, mit einem Fausthieb nieder gestreckt hätte.

Ich bin eigentlich total gegen Gewalt, aber es gibt einfach Menschen auf dieser Welt, wo man alle guten Vorsätze über Bord werfen möchte. Blair bedeckte ihren Mund, aber an ihrem Blick sah ich deutlich, wie sie sich das Lachen verbeisen musste.

Genervt rollte ich mit den Augen und gab wie immer keine Antwort. Dachte ich schon, schlimmer konnte es nicht werden, wurde ich gleich des besseren belehrt. David setzte sich doch tatsächlich an den freien Schreibtisch, der am Kopfende von Blair und meinem aneinander gestellten Tische.

Blairs Blick änderte sich in einen entsetzten Blick und ich konnte ihr da nur nachfühlen. Natürlich versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen und öffnete im Net meine Post, um zu sehen, ob es Aufgabenstellungen gab.

Routine und Arbeit! Dies war wohl das einzige Mittel, um auf andere Gedanken zu kommen. Gleich die erste Mitteilung war von der Geschäftsführung und wunderte mich doch sehr. Da war die Rede von Mr. Hornsby, das dieser bis auf weiteres beurlaubt sei und bei Fragen sich direkt mit Mrs. Greenwich zu verständigen, die bisher seine Vertretung war.

Mein Blick wanderte kurz hinüber zu Blair, aber ich sah keinerlei Reaktion, dass sie die gleiche Mail lass. Ich notierte mir kurz die angegebene Nummer von Mrs. Greenwich, weil ich mit ihr bisher nur sehr wenig zu tun hatte.

Dann ging ich die nächsten Mails durch, die man eigentlich fast der Werbung gleichsetzen konnte, weil sie mit mir und meiner Abteilung nichts zu tun hatten. So klickte ich kräftig auf Löschen, bis ich bei der letzten Mail angekommen war.

Gregor Mac Alister, mein früherer Chef, der mich hier eingelernt hatte und so ziemlich alles zu verdanken hatte, was ich hier bisher erreicht hatte. Seit er nach London gewechselt hatte, war Funkstille gewesen.

Verwundert, warum er sich gerade jetzt meldete, öffnete ich die Mail. Was ich dann zu lesen bekam, schockierte mich zu tiefst. Ich atmete tief durch und raufte mir durch die Haare. In  London sei ein Bauskandal aufgedeckt worden, in dem unsere Bank anscheinend involviert war.

Auch einige Filialen in anderen Städten im Land und ich sollte mich deswegen nicht wundern, wenn mein Chef plötzlich nicht mehr da ist, weil er irgendwie auch in die Sache verstrickt war.

Ich sah zu Blair hinüber, die emsig über ihre Tastatur jagte. Sollte ich ihr dass erzählen. Weiter schrieb Mac Alister, dass in den nächsten Tagen Leute aus London auftauchen würden und unsere Filiale zu überprüfen.

Im Vorfeld würde auch ein mir bekanntes Gesicht kommen. Mein Blick wanderte zu David. Ein Spitzel aus London? Was wusste er darüber? Noch einmal lass ich mir die Mail durch und beschloss, sie auch Blair zu kommen zu lassen.

Der Postjingle bei Blair verriet mir, dass sie die Mitteilung bekommen hatte. Es dauerte nicht lange und der Effekt traf ein, nachdem sie es gelesen hatte. Mit großen Augen schaute sie mich an.

Ich zuckte leicht mit den Schultern, was blieb mir auch anderes übrig, vor David konnte und wollte ich nichts sagen. Dass sie aber meinen Gedanken folgen konnte, verriet mir ihren abschweifenden Blick zu David.

*-*-*

„Ich glaub es einfach nicht, dass unsere Filiale da mit drin hängt?“, sagte ich, als ich mit einer Tasse Tee bewaffnet, mich mit Blair draußen auf der vorgelagerten Terrasse im fünften Stock traf.

„Ich habe mich versucht etwas schlau zu machen, Da geht es um Gelder vom Staat, die beantragt wurden, die für den Bau von Sozialwohnung genehmigt wurden und irgendwer in Teilen in falsche Kanäle hat laufen lassen.“

„Du meinst also, daher kommt die Idee von Hornsby, dass unsere Filiale an der Finanzierung dieser Wohnblöcke beteiligen sollte?“

Blair nickte und trank von ihrem Tee.

„Ich habe mich hier im Haus etwas umgehört, aber anscheinend hast nur du Bescheid bekommen, in den anderen Abteilungen ist von einem Skandal nichts bekannt. Dabei habe ich mit bekommen, dass der Chef des Hauses einen Sohn hat und keine Tochter.“

„Mr. Morris hat einen Sohn?“

Blair nickte mir zu.

„Hoch interessant, aber was hat das eine jetzt mit dem anderen zu tun? Ich verstehe nicht.“

„Du erinnerst dich… „Dorftratsch!“…“

Ich stand total auf dem Schlauch.

„Jetzt komm endlich auf dem Punkt, meine Pause ist nicht zu lang!“

„Du hast beim Umzug erzählt, dass David nach London versetzt wurde, weil er die Tochter vom Chef an gegrabscht hatte.“

„Als ob das nun wichtig wäre, dann hat er halt seinen Sohn… Shit!“

Blair grinste über das ganze Gesicht. Das würde bedeuten David wäre schwul, oder zumindest Bi. Ich schüttelte den Kopf, um diesen widerwärtigen Gedanken schnell zu verwerfen. Nicht wegen dem Schwulseins, nein, sondern weil dieser -für-nichts-gut-Typ- schwul wäre.

„Nein! Du sagst selber… Dorftratsch, das glaube ich nun wirklich nicht, du kennst David, kannst du dir vorstellen, dass er…“

Mich schüttelte es bei dem Gedanken.

„Also mir würde es einiges erklären.“

„Hä? Du weißt selbst, wie er mit mir umgegangen ist.“

„Was wäre aber besser dazu geeignet, sein eigenes Schwulsein zu verbergen, als sich über andere Schwule lustig zu machen?“

„Ein gutaussehendes Arschloch, das schwul ist?“

Ich bereute sofort, was ich gesagt hatte.

„Du findest ihn gutaussehend…, also doch!“

Blair zeigte auf mich und fing schallend laut an zu lachen.

„Ach du…! Ich muss noch auf die Toilette, bevor die Pause um ist.“

Ich drückte ihr meine Tasse in die Hand und verschwand im Haus.

*-*-*

Das war sicher nicht wahr, versuchte ich meine Gedanken zu beruhigen. Ich trocknete meine Hände ab und lief zu Eingangstür der Toilette. Aber, als ich gerade nach dem Türgriff greifen wollte, wurde die Tür von außen dermaßen kräftig aufgeschoben, dass es zur Folge hatte, dass ich wenige Sekunden später, auf meinem Hosenboden saß.

„Mein Gott, Finn, das tut mir aber leid…, hast du dir weh getan?“

David, Scheiße, auch das noch!

„Nein!“, meinte ich trotzig.

Er hielt mir helfend die Hand entgegen, aber ich versuchte selbst, aus dieser Misere heraus zu kommen und stand schwerfällig auf. Ohne weiter auf ihn weiter einzugehen, schaute ich zur großen Spiegelfläche, ob ich mir hinten meine Hose schmutzig gemacht hatte.

Ich konnte zwar nichts entdecken, aber ich strich trotzdem mehrfach mit der Hand über den Hosenstoff.

„Es tut mir wirklich leid, Finn!“, meldete sich David erneut.

„Ach ja?“, sagte ich jetzt schon fast wütend, drückte mich an ihm vorbei und verließ die Männertoilette.

„Finn bitte…“, konnte ich noch hören, aber ich ging nicht darauf ein.

Schnell hatte ich das Stockwerk erreicht und betrat das Büro. Die meisten waren von der Pause schon zurück, so suchte ich schleunigst meinen Platz auf. Als ich mich niederließ, schaut Blair auf.

„Finn? … es tut mir leid…, ich wollte dich nicht kränken…!“, meinte sie plötzlich flüsternd.

Ich schüttelte den Kopf.

„Dass hast du nicht“, entgegnete ich leise.

„Und warum hast du dann so einen hochroten Kopf und bist außer Atem?“

„… egal Blair, lass uns einfach weiter arbeiten.“

Mit diesen Worten ich mich wieder meinem Bildschirm und versuchte mich in die Datei zu vertiefen. Natürlich bekam ich mit, dass jemand hinter mir vorbei lief. Und klar war es David, weil sich sonst niemand anders an den Schreibtisch neben mir setzten konnte.

Ich wusste dann trotzdem nicht, was mich geritten hatte, genau in diesem Augenblick den Kopf zu heben und flüchtig Richtung David zu schauen. Und dann passierte natürlich das, was ich gerade nicht wollte.

Unsere Blicke trafen sich! Aber was war das? Warum waren Davids Augen plötzlich so traurig. Mein Blick wanderte hinüber zu Blair und zurück auf meinen Monitor. Natürlich war ihr das nicht entgangen.

Ich beschloss, mich wieder meiner Arbeit zu widmen und öffnete eine weitere Datei, welche Antrag auf Baugelder beinhalten sollte. Also ich versuchte sie zu öffnen, aber ein anderes Fenster öffnete sich auf meinem Bildschirm.

Diese Datei ist gesperrt, bitte wenden sie sich an ihren Vorgesetzten, war dort zu lesen. Ich schloss die Mitteilung wieder und versuchte erneut die Datei zu öffnen, aber mit dem gleichen Ergebnis.

„Blair…“

„Ja?“

„Hier lässt sich eine Datei nicht öffnen…“

„Bei dir auch, ist jetzt schon die vierte…“

„Was ist hier los?“

„Vielleicht sollten wir uns mit Mrs. Greenwich kurz schließen?“

„Das wird nichts nützen…“, kam es plötzlich von meinem Nebenmann. Natürlich hatte David unser Gespräch mit angehört.

„Warum?“, fragte Blair, bevor ich etwas sagen konnte.

„Diese Dateien wurden nicht hier im Haus gesperrt, dies wurde von direkt von der Direktion in London vorgenommen.“

„Woher weißt du das?“

„Sorry, ich habe schon zu viel gesagt, ich dürfte darüber eigentlich nicht reden.“

„Hast du aber“, sagte ich angepisst, „und wenn es mit dem Bauskandal in London zu tun hat und deswegen Dinge an unseren Rechnern gesperrt werden, wüsste ich schon gerne warum!“

Natürlich war ich zu laut gewesen und zog die Aufmerksamkeit der anderen Kollegen auf mich.

„Kannst du mir vielleicht sagen, was mit dir los ist?“, fuhr mich Blair leise an, „David hat eben normal mit uns geredet, warum fährst du ihn so an?“

„Schon gut Blair…, ich habe es nicht anders verdient“, kam es nun ebenso leise von David.

Ich wollte darauf gerade etwas erwidern, als Blair plötzlich aufsprang.

„Mitkommen, beide!“, sagte sie so laut, dass es jeder im Büro bekam.

Etwas unentschlossen, stand ich wie David auf und folgte ihr. Er lief mir hinterher, ohne einen Ton zu sagen. Natürlich waren die Blicke der anderen auf uns gerichtet. War das peinlich!

Draußen im Flur angekommen, stand Blair. Ihre kleinen Hände in die Seiten gestemmt, schien nun sie auch hundert achtzig zu sein.

„Was da zwischen euch läuft…“

„Da läuft nichts zwischen uns…!“, unterbrach ich sie.

„Du hast jetzt Sendepause! Verstanden?“, fuhr sich mich an und ich wich etwas zurück.

Ich nickte.

„Eure Streitereien haben mich schon damals genervt und tut es jetzt auch! Ich will Ruhe am Arbeitsplatz! Und jetzt gehen wir drei gemeinsam zur Greenwich und reden mit ihr über die gesperrten Dateien und wie wir uns korrekt verhalten sollen! Okay?“

Beide nickten wir. Eigentlich wollte ich mir nicht die Blöße geben und wieder zu David zuschauen, aber mein Körper gehorchte meinem Gehirn nicht und mein Blick wanderte erneut zu David.

„Ich will da in nichts hineingezogen werden.“

„Du… du hast nichts… zu befürchten…“, stammelte David.

Mit großen Augen schaute ich ihn an. Was war aus dem David geworden, dem mutierten Arschloch, das ich bisher kannte. Hier stand ein total zerbrechlich wirkender Typ vor mir, der mit David nichts mehr gemeinsam hatte. Dieser Widerspruch änderte aber nichts an meiner Meinung, dass ich ihn absolut nicht leiden konnte.

„Wie meinst du das?“, harkte Blair nach.

„Du wurdest bereits von London überprüft und es wurden keine Unstimmigkeiten gefunden“, antwortete David leise.

„Sind alle aus Hornsby’s Abteilung überprüft worden?“

David nickt fast unscheinbar.

„Finn also auch!“

David sah mich lange an.

*-*-*

Ich fühlte mich unwohl. Ich saß mit Blair und David im Flur vor dem Büro vom Chef der Filiale. Mrs. Greenwich hatte uns ohne große Umschweife gleich hier her verwiesen. Warum machte ich mir eigentlich Sorgen?

Ich hatte mir nichts zu Schulden kommen lassen, jedenfalls nicht bewusst. Ich zuckte etwas zusammen, als die Tür zum Büro geöffnet wurde. Mrs. Edwards, Chefsekretärin von Beruf erschien.

„Mr. Morris erwartet sie“, sagte sie und wies in Richtung Büro.

Ich schaute zu Blair und erhob mich. Während die beiden anderen mir folgten, betrat ich das Sekretariat von Mrs. Edwards und wurde von ihr gleich ins Büro des großen Chefs weiter geleitet.

Dieser stand bereits an seinem Schreibtisch und mit empfing uns mit einem Lächeln.

„Mrs. Mac Innes… Mr. Lennox und Mac Bain, nett dass sie es einrichten konnten zu mir zu kommen, würden sie sich bitte setzten?“

Er zeigte auf die Sitzgruppe neben sich. Nickend begaben wir dort hin, warteten bis er sich setzte, bevor wir uns niederließen. Warum dieser überfreundliche Ton. Etwas stimmte hier nicht.

„Mrs. Edwards, in der nächsten halben Stunde bitte keine Störungen.“

Sie nickte und verließ das Büro, nicht ohne die Tür hinter sich zu schließen. Mein Blick wanderte wieder zu Mr. Morris zurück. Er schaute uns eine Weile an, ohne etwas zu sagen, nachdem er sich uns gegenüber gesetzt hatte.

„Wie sie vielleicht wissen, gab es in der Direktion einige kleine Probleme…“

Kleine Probleme waren das sicherlich nicht. Wenn jetzt sogar schon Daten unter Verschluss waren, die man vorher ungehindert abrufen konnte.

„… die leider weite Kreise gezogen haben.“

Warum schaute er jetzt speziell mich an?

„Ich habe gehört, sie sind am Wochenende umgezogen…, Mr. Lennox?“

Was hatte jetzt das eine mit dem anderen zu tun. So wichtig war ich nun auch nicht, dass die Chefetage über meinen Umzug Bescheid wusste. Ich nickte nur.

„So ein Anwesen im Stadtgebiet mit Häuschen kostet sicher eine Menge.“

„Das Haus gehört mir bereits seit fünf Jahren…“

„… fünf Jahre schon… so lange geht das schon…“, sagte mein Chef verwundert.

Was war hier am Laufen? Was meinte er damit, so lange geht das schon? Ich schaute kurz zu Blair, der ebenso ein Fragezeichen im Gesicht stand. David starrte dagegen stur zum Boden.

„Um es kurz zu machen“, sprach Mr. Morris weiter, „ich möchte von ihnen persönlich erfahren, wie sie zu so viel Geld kommen, denn laut ihrer Akte, haben sie hier bei uns nicht so viel verdient.“

Geschockt schaute ich ihn an.

„Ich weiß nicht wie sie darauf kommen, dass ich viel Geld besitze. Ich habe nur das, was ich hier verdiene und wie jeder andere versuche ich damit über die Runden zu kommen.“

Mr. Morris Augen verengten sich fast zu einem Schlitz.

„Mr. Lennox, es wäre gut, wenn sie bei der Wahrheit blieben.“

Fassungslos schaute ich ihn an.

„Ich… ich was jetzt nicht… was sie meinen?“, stammelte ich.

In mir drückte sich alles zusammen. Erinnerungen kamen hoch und mein Selbstbewusstsein plätscherte den Bach hinunter. Warum wollte dieser Mensch Dinge über mein Privatleben wissen?

Bisher hatte sich niemand für mich oder meine Vergangenheit interessiert. Ich kämpfte mit den ersten Tränen, die sich hervor pressten. „…Erbschleicher…, schwule Sau…“ Erinnerungsfetzen breiteten sich in meinem Kopf aus.

„Haben sie einen einmaligen Betrag bekommen, oder wurde es ihnen Häppchenweise gegeben? Sie sind der beste Computerfachmensch hier und haben als einziger alleiniges Zugriffsrecht auf alle Daten von Mr. Hornsby!“

Hornsby? Was hatte ich mit Hornsby zu schaffen? Ich Geld bekommen… von wem? Langsam fingen bei mir im Kopf die Alarmglocken sich zu melden und noch etwas anderes, meine Sicherung fing an durchzubrennen. Ich sprang auf.

„Ich habe nie von jemand Geld bekommen und mir auch nie etwas gekauft!“, schrie ich Mr. Morris an.

Ich spürte die ersten Tränen laufen.

„Und warum interessieren sie sich plötzlich so für mein Haus? Das ist das Haus meiner Großmutter, dass ich vor fünf Jahren, nach ihrem Tod geerbt habe….“

„Finn“, konnte ich Blair neben mir leise sagen hören, sie zog an meinem Arm.

Ich schaute sie an.

„Was denn? Merkst du nicht, was dieser… dieser Mensch mir gerade versucht unterzujubeln?“

Blair wich etwas zurück, auch sie hatte ich angeschrien. Dann wandte ich mich wieder an Mr. Morris.

„Wenn sie einen Schuldigen suchen, dann suchen sie sich gefälligst jemanden anderen! Ich steh nicht mehr zur Verfügung! Ich kündige!“

„Finn!“, rief Blair laut.

Mir wurde so übel und ich musste einfach hier heraus. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ ich das Büro auf demselben Weg, wie ich es betreten hatte, nur dass dieses Mal hinter mir laut krachend die Türen ins Schloss fielen.

Im Flur versuchte ich kurz meine Gedanken zu sammeln, aber das Chaos schien perfekt. Was war heute nur los? Mit was hatte ich das verdient? Was hatte Hornsby wirklich angestellt? Hatte er mich unwissentlich da mit hinein gezogen?

Ich nahm das Treppenhaus, um schneller wieder in das Großraumbüro zu kommen. Und natürlich blieb es nicht aus, dass ich die Aufmerksamkeit meiner Kollegen auf mich zog, als ich meine Tasche und Jacke holte und rennend das Büro wieder verließ.

Im Flur kamen mir David und Blair entgegen, aber auf keinen Fall, wollte ich jetzt mit ihnen zusammen treffen, oder gar reden. So nahm ich erneut die Treppe und rannte nach unten.

„So warte doch!“, hörte ich Blair rufen, aber ich nahm keine Rücksicht darauf.

Mehr stolpernd kam ich unten an, durchquerte eilig die Kontrolle, ohne jemand war zu nehmen. Wie ich später mein Haus mit dem Wagen erreichte hatte, wusste ich dann bereits nicht mehr.

*-*-*

Es war still und kalt. Zusammengekauert lag ich vor dem alten Holzofen auf dem Boden. Warum nur, warum nur passiert jetzt alles wieder. Hatte ich nicht schon genug ertragen müssen.

Alles um mich herum schien einzustürzen. Ich zuckte zusammen, als ich ein Schließgeräusch hörte und die Haustür wurde geöffnet.

„Ich bin wieder da“, hörte ich Angus alt vertraute Stimme.

„Finn…? Finn, bist du da?“

Ich war keiner Antwort mächtig. Wenige Sekunden später stand er in der Tür. Verschwommen nahm ich ihn war.

„Mein Gott Finn, was ist mit dir? Warum liegst du auf dem Boden… vor dem Kachelofen…?“

Angus kniete sich vor mich hin und als er seine Hand auf meinen Arm legte, zuckte ich erneut zusammen.

„Finn, was ist passiert? Du machst mir Angst…“

Angus verstummte, denn der Türgong machte sich bemerkbar. Ich war nicht in der Lage, auch nur einen Ton von zu geben. Mein Körper gehorchte mir nicht mehr. Nur das Zittern wurde immer stärker.

„Gut dass ihr kommt, irgendetwas stimmt mit Finn nicht…, ähm, wer ist das?“

„Also ist Finn hier?“, hörte ich Blairs Stimme.

Sie sagte noch etwas, aber dies verstand ich bereits nicht mehr. Ich schloss die Augen. War es wieder soweit? Fünf Jahre! Fünf Jahre hatte ich gebraucht, wieder so zu sein, wie ich früher war. Grannys Tod hatte mich damals total aus der Bahn geworfen.

Schwuler Erbschleicher hatten sie mich damals genannt und nach unzähligen Gerichtsverfahren, die die Verwandtschaft verlor, wurde jeglicher Kontakt zu mir abgebrochen.

Selbst meine Eltern und mein ältere Bruder ließen mich fallen, wie eine heiße Kartoffel. Ich stand von einem Tag auf den anderen alleine da. Mit Grannys Tod hatte ich mehr verloren, als mir lieb war. Und wie immer, spielte nur das liebe Geld eine Rolle.

„Finn?“

Ich spürte eine Hand, wie sie sanft meinen Arm berührte.

„Finn…hörst du mich?“, vernahm ich Blair.

„Boah, so habe ich Finn noch nie gesehen! Naja, vielleicht nach dem Tod seiner Oma. Was ist bei euch auf der Bank nur geschehen?“

Connor? Langsam öffnete ich meine Augen wieder, nahm aber meine Umgebung nur verschwommen wahr. Vor mir kniete jemand, dahinter standen drei weitere Personen. Die Starre löste sich.

Ich wischte mir über die Augen und vor mir wurde alles klarer. Ich konnte Blair erkennen und hinter ihr Connor, Angus und… Ich fuhr hoch.

„Was will der hier?“, schrie ich entsetzt.

Mein ganzer Körper fing an, wie wild fing an zu zucken. Ich hob abwehrend die Hände und versuchte mein Gegenüber von mir wegzudrücken.

„Er soll verschwinden…!“, schrie ich heißer.

Connor nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich. Ich konnte mich gegen seine Kraft nicht wehren. Ich gab auf.

„…er soll gehen…“, sagte ich mit weinerlicher Stimme.

„David, es ist besser du gehst jetzt, war vielleicht keine gute Idee, mit hier herzukommen“, hörte ich Blair sagen.

Ich vergrub mich in Connors Pullover und ließ meinen Tränen freien Lauf. Wild schluchzend versuchte ich dieser Welt zu entfliehen.

„Ich dachte…“, vernahm ich Davids Stimme.

„ER soll gehen…!“, wimmerte ich leise.

„Glaub mir David, es ist besser so… Wir sind hier und kümmern uns um Finn, okay?“, sagte Blair.

Dann, wie in Watte gepackt, nahm ich nichts mehr richtig war.

*-*-*

Erschrocken fuhr ich hoch. Um mich herum war alles dunkel.

„Finn…, Finn beruhig dich, es ist alles in Ordnung!“

Die Stimme neben mir kam von Angus, also saß ich wohl in meinem Bett. Plötzlich flammte eines der kleinen Lampen neben meinem Bett auf und ich presste die Augen zusammen, konnte aber Angus sehen, der nun ebenso saß.

„Was ist passiert…, wie komme ich in mein Bett?“

Größer konnte die Verwirrung nicht sein. Langsam setzten sich Erinnerungsfetzen zu einem Bild zusammen und erste Tränen liefen über meine Wangen. Angus nahm mich in den Arm.

„Ganz ruhig, hier tut dir niemand etwas.“

Meine Welt war am zusammenbrechen und er redete davon ruhig zu bleiben.

„Was hältst du davon, wenn wir zu Blair hinunter gehen und eine Tasse Tee trinken, das wird dir gut tun!“

„Blair ist da?“

„Ja, nach dem der Arzt da war, meinte sie…“

„Ein Arzt…?“

Angus entließ mich aus seiner Umarmung und kniete sich nun neben mich. Ganz gegen seine Gewohnheiten trug er ein Shirt und eine Shorts.

„Finn…, du warst völlig weggetreten und als David gegangen war, hat Blair den alten Barkley angerufen und…“

„David… war hier?“

Ungläubig schaute ich ihn an.

„Ja, du hast ihn angeschrien, er soll gehen… Kann es sein, dass du dich an nichts mehr erinnerst? Dein Gesichtsausdruck lässt darauf schließen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Auf alle Fälle hat dir Doc Barkley eine Beruhigungsspritze verpasst und Connor hat dich dann ins Bett verfrachtet.“

„Connor war auch hier?“

Angus nickte.

„Und warum ist dann Blair hier?“

„Sie wollte dich nicht alleine lassen, mich unterstützen, falls noch mal etwas passiert. An was erinnerst du dich überhaupt?“

Ich rieb mir durchs Gesicht. Die Erinnerung ans Büro kam zurück.

„Oh Gott, was habe ich da nur getan?“

Natürlich erinnerte ich mich daran, dass ich Morris angeschrien habe und gekündigt hatte.

„Ich bin… meinen Job los…“, meinte ich resigniert und ließ die Schulter hängen.

„Ich weiß Blair hat es uns erzählt, dass du gekündigt hast, aber so wie ich Blair verstanden habe, hat dein Chef die Kündigung nicht angenommen.“

„Hä?“

„Ich glaube, es ist besser, wir gehen nach unten. Blair soll dir das erklären, so richtig habe ich das auch nicht verstanden.“

Was blieb mir anderes übrig. Ich nickte. Nur so konnte ich mehr erfahren, was in den vergangen Stunden passiert war. Mühsam krabbelte ich aus dem Bett.

„Wie lange habe ich denn geschlafen?“, wollte ich wissen.

Angus schaute auf seine Armbanduhr.

„Knapp vier Stunden, es ist jetzt kurz vor elf.“

Ungläubig schüttelte ich den Kopf und erhob mich. Meine Beine gehorchten nicht richtig, so begann ich zu schwanken.

„Ho, ho langsam, warte ich helfe dir!“

Angus sprang aus dem Bett und legte seinen Arm um mich. Dieses kleine Energiebündel überraschte mich doch immer wieder. Woher hatte er so viel Kraft, die ich gerade spüren durfte.

„Geht es?“, fragte er.

Ich nickte. Langsam gingen wir beide die Treppe hinunter. Hier schlug mir mollige Wärme entgegen, jemand hatte wohl den großen Ofen im Wohnzimmer in Gang gebracht. Als wir es betraten saß Blair auf dem Sofa und schaute fern.

„Hallo Blair…, Finn weilt wieder unter den Lebenden“, ließ Angus vom Stapel und meine beste Freundin fuhr natürlich erschreckt zusammen.

Schnell fasste sie sich und sprang auf.

„Alles in Ordnung mit dir Finn, warum bist du nicht liegen geblieben?“

Sie war zu mir gekommen und hatte meine Hände genommen.

„Angus hat erzählt, Morris nimmt meine Kündigung nicht an?“

„Langsam, langsam! Erst setzt du dich einmal hin!“

„Ich mach Tee“, meinte Angus und ließ mich los, während Blair mich zur Couch führte.

Ich schaute mich um.

„Wie willst du Tee machen, ich weiß ja nicht mal wo der Tee ist?“, fragte ich.

„Kein Problem, ich habe vorhin schon Tee gekocht, für Connor und Blair“, antwortete Angus und stellte den Wasserkocher an.

Langsam ließ ich mich auf die Couch nieder und war irgendwie froh wieder zu sitzen. Blair breitete eine Decke über meinen Beinen aus, bevor sie sich neben mir nieder ließ.

„Und wo hast du den Tee gefunden?“, wollte ich wissen.

„Den habe ich mitgebracht“, antwortete Angus, „eine Kollegin hatte ihn mir heute geschenkt. Sie hat mitbekommen, was im Heim passiert ist… Er duftet schon richtig nach Weihnachten.“

Das Chaos in meinem Kopf war noch nicht beseitig, dafür meldete sich aber mein Gewissen. Ich schaute wieder zu Blair und nahm ihre Hand.

„Es tut mir leid…, wie ich mich benommen habe…“

„Finn hör auf dich zu entschuldigen, ich verstehe dich voll und ganz.“

Fragend schaute ich sie an.

„Connor hat uns erzählt, was nach dem Tod deiner Granny passiert ist. Jedenfalls, was er damals so mitbekommen hat…“

Traurig schaute ich nach unten. Das so etwas einen immer wieder einholt, ich verstand es nicht.

„Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich wirklich nicht viel über dich weiß. Connor hat viel erzählt und dass ist alles passiert, bevor wir uns kennen lernten?“

„Ich weiß nicht was Connor erzählt hat…“

„Morddrohungen, Gerichtsverhandlungen…, dass deine Bruder dich Krankenhausreif geschlagen hat…“, begann Angus in der Küche aufzuzählen.

„Warum hast du mir nie etwas über deine Familie erzählt?“, fragte Blair.

„Ich wollte nicht daran erinnert werden und du hast nie danach gefragt“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Weil ich schnell gemerkt habe, wie empfindlich du beim Thema Familie reagierst. Kümmerst du dich deswegen so rührend um unseren kleinen Rotschopf?“

„Ich bin nicht klein!“, meckerte Angus und ich sah zu ihm hinüber.

Er verteilte gerade die Teebeutel in den Tassen. Ich schaute wieder zu Blair, die nun lächelte.

„Außer Connor hatte ich damals niemand, er hielt zu mir, egal was andere über mich sagten, oder behaupteten. Trotzdem fühlte ich mich zu der Zeit wahnsinnig alleine und im Stich gelassen. Ich will einfach nicht, dass Angus ähnliches durchmacht…, so etwas wünscht man keinem!“

Blair schaute mich fragend an.

Der Wasserkocher kündigte das heiße Wasser an, in dem er sich abstellte. Angus schütte es in die Tassen und kam wenig später zu uns.

„Keine Sorge, mir geht es gut!“, meinte er, „naja, dass ich meine Unterkunft verloren habe…, aber ich darf ja jetzt bei dir wohnen!“

Da war es wieder, dieses Strahlen im Gesicht. Trotz seiner Vergangenheit wirkte es so rein und real. Wieso konnte ich nicht so sein? Angus verteilte die Tassen auf dem Tisch und ließ sich auf dem Sessel nieder.

Ich schaute kurz in die Luft und blinzelte mit den Augen. Erneut sammelten sich die ersten Tränen darin. Ich spürte Blairs Hand, wie sie sanft meinen Arm streichelte. Ich versuchte mich zu sammeln.

„Granny war eine tolle Frau“, begann ich einfach an zu erzählen.

Die Erinnerungen waren wieder klar, als wäre es erst gestern geschehen.

„Ich wohnte mehr hier, als zu Hause. Seit meinem Outing bei den Eltern, hing der Haussegen so etwas von schief.“

„Du hast dich zu Hause geoutet?“, fragte Angus.

„Ja, bestärkt durch Granny, hatte ich das Versteck spielen einfach satt. Meine Eltern hatten ihre Probleme damit, aber am Anfang ließen sie mich in Ruhe. Aber mein Bruder konnte überhaupt nicht damit umgehen.“

Blair schüttelte leicht den Kopf, sagte aber nichts.

„Er hetzte meine Eltern gegen mich auf. So bin ich in einer Nachtaktion zu Hause weg und ganz zu Granny gezogen.

„Du hast also schon einmal früher hier gewohnt?“, wollte Angus wissen und nippte an seiner Tasse.

„Ja. Sie schaffte es sogar, durch einen alten Freund, mir die tolle Stelle in der Bank zu vermitteln und ich war auch somit nicht mehr von dem Geld meiner Eltern abhängig. Ab da hatte ich die Hoffnung, es könnte nur noch besser werden.“

„Was hat sich dann geändert?“, fragte Blair.

„Granny…, sie wurde krank. Krebs im Endstadium. Sie war nie krank und ging auch nie oft zum Arzt. So wurde sie auch nie groß untersucht. Als sie dann mit mir zum Arzt ging, war es leider schon zu spät.“

Angus schaute mich traurig an.

„Ich versuchte so gut ich konnte, mich um Granny zu kümmern. Tagsüber bei der Arbeit und abends dann bei ihr zu sein.“

„Haben denn deine Eltern dir nicht geholfen?“, fragte Blair.

„Die?“, ich konnte nicht anders und lachte verbissen.

„Mein Bruder hat ganze Arbeit geleistet. Sein Hass gegen mich, weitete Thomas, mein Bruder  wohl auf Granny aus, denn niemand aus der Familie ließ sich blicken. Mein Vater hat noch zwei Brüder, selbst die und deren Familien wollten von uns beiden nichts mehr wissen.“

„Das finde ich schrecklich…, wie ging es dann weiter?“, fragte Blair.

„Als es Granny dann schlechter ging und ich sie ins Krankenhaus bringen wollte, lehnte sie ab. Sie wollte nicht im Krankenhaus sterben.“

Ich hielt kurz inne, denn es tat immer noch schrecklich weh und die Bilder, wie sehr sie abgenommen hatte, waren tief in meinem Herzen eingebrannt.

„… Doc Barkley, ein alter Freund von ihr, versorgte sie mit Morphium, damit die Schmerzen, die sie plagten für sie erträglich waren.“

Keiner sagte etwas und ich erzählte einfach weiter, auch wenn es weh tat. Die ersten Tränen liefen über meine Wangen.

„Dann kam der Tag, vor dem ich mich so gefürchtet hatte. Ich fand sie morgens, bevor ich zur Arbeit gehen wollte. Doc Barkley meinte, dass sie in der Nacht wohl friedlich eingeschlafen war.“

Blair griff nach meiner Hand und drückte sie.

„Ich weiß selbst, das war für mich kein Trost, aber den Ärger der nun kam, mit dem hatte ich nicht gerechnet. Natürlich habe ich die Verwandtschaft darüber versucht zu informieren. Aber kaum hatte ich meinen Namen am Telefon gesagt, wurde einfach aufgelegt.“

Selbst an den Türen wurde ich abgewiesen, es wurde einfach nicht geöffnet, so sehr ich es auch probierte.

„Mit dem wenigen Geld, das ich da verdient hatte, bezahlte ich dann auch die Beerdigung, an der keiner erschien. Es war ihre Mutter, doch niemand ließ sich blicken, wie konnte man nur so stur sein…, ich versteh das bis heute nicht.“

„Wie haben sie von Tod deiner Granny dann überhaupt erfahren?“, fragte Blair.

„Ein guter Freund von Barkley und meiner Granny war Anwalt, der hat sich um alles gekümmert, er hat jede Familie per Brief in Kenntnis gesetzt. Er hat auch später zur Testamentsvollstreckung geladen, wo wundersam auch alle erschienen und es dann zum Eklat kam.“

„Eklat?“, kam es von Angus.

„Ja! Granny hatte alles Grundstück, Haus und das bisschen Geld, über das sie verfügte, mir hinterlassen.“

„Wow!“, sagte Angus.

„Leider fing aber der Streit um das Erbe noch bei Testamentseröffnung an. Ich musste mir Beleidigungen anhören, die ich jetzt nicht wieder geben möchte.“

„Musst du auch nicht“, tröstete mich Blair.

Ich atmete tief durch und nahm einen großen Schluck von meinem mittlerweile lauwarmen Tee. Ich konnte Zimt schmecken, der irgendwie wirklich an Weihnachten erinnerte. Ich sammelte mich wieder und erzählte weiter.

„Auf alle Fälle hat dann jede einzelne Familie, einschließlich meiner Eltern, einen Prozess wegen Erbschleicherei gegen mich angezettelt!“

„Es sind deine Eltern, wie können sie so etwas tun?“, fragte Blair entsetzt.

„Geld Blair!“, kam es von Angus, „oder warum meinst du, warum ich von meinen Pflegeeltern zu Hause raus geschmissen wurde…, nur wegen dem Geld, das ab meinem achtzehnten Lebensjahr nicht mehr floss!“

Es herrschte kurzzeitig Stille und Blair schaute zwischen uns hin und her.

„Das ist noch gar nichts dagegen, was mein Bruder dann tat. Er ging zur Polizei und behauptete, dass ich Schuld wäre, das meine Großmutter gestorben wäre.“

„Bitte?“, rief Blair laut, „so ein Arsch!“

„Das Haus wurde durchsucht, weil er felsenfest behauptete ich hätte sie vergiftet.“

„Wie bist du dann heraus gekommen?“, fragte Angus.

„Anwalt Thompson und Doc Barkley. Beide klärten das Missverständnis auf und somit war die Sache vom Tisch. Für mich jedenfalls. Mein Bruder war da anderer Meinung und lauerte mir dann mit ein paar Kumpels auf. Das Ende vom Lied, ich bin im Krankenhaus wieder aufgewacht.“

„Wurde er dafür wenigstens richtig bestraft?“, wollte Blair wissen.

„Weiß ich nicht, ich habe keine Anzeige erstattet…“

„Wieso das denn, er hat dich Krankenhausreif geprügelt.“

Ich schloss die Augen und atmete durch.

„Er…, es mag sich verrückt anhören, er ist immer noch mein Bruder und… und ich wollte einfach nicht noch mehr böses Blut schüren.“

„Dass du da immer noch zu ihm gehalten hast? Ich versteh dich nicht!“, sagte Blair enttäuscht.

„Ich kann dir nicht einmal sagen warum, aber mein Gefühl sagte mir, ich handle richtig. Anwalt Thompson kümmerte sich dann von da an um alles. Er kümmerte sich um den Prozess, es wurde zu einem zusammen gefügt, weil es ja um die gleiche Sache ging. Der Richter ließ sich durch die vielen Beschuldigungen nicht beirren und befand, dass das Testament nicht anfechtbar wäre.“

„Wie ging es dann weiter? Wurdest du noch weiter angegriffen?“, fragte Angus neugierig.

„Nein, der Richter hatte wohl bei der Urteilsverkündung eine Warnung an die drei Familien ausgesprochen und seitdem wurde ich in Ruhe gelassen.“

„Was ich jetzt nicht ganz verstehe…“, meinte Blair plötzlich, „wenn du früher hier schon gewohnt hast, wieso… warum ziehst du jetzt wieder ein?“

Ich musste grinsen und wusste nicht einmal warum. Die ganze Sache war irgendwie nur verrückt.

„Als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, konnte und wollte ich nicht mehr hier her. Zu tief saß der Schmerz, verbunden mit der Erinnerung, was alles passiert war. Ich kam bei Connor unter und fand wenig später diese kleine Einzimmerwohnung, die ihr beide auch kennt.“

„Wir kennen uns jetzt schon so lange, warum hast du das mir nicht schon vorher erzählt?“, fragte Blair.

„Würdest du jedem gerne erzählen, was für eine schreckliche Familie du hast?“

„Ich bin nicht jeder!“, wand Blair ein.

„Sorry, ich war einfach nicht bereit dazu, über die ganze Sache zu reden.“

„Aber was hat sich dann geändert? Du bist hier her gezogen und erzählst uns jetzt alles?“

Ich schaute Angus lange an.

„Ich… ich dachte ich wäre nun dazu bereit, stark genug und mein Leben hier fortzusetzten…, aber nachdem was heute Morgen passiert ist, war plötzlich alles wieder da.“

„Deswegen bist du heute Morgen bei Morris plötzlich so ausgetickt?“

Ich nickte und schaute zu Boden.

„Plötzlich war alles wieder da…, Betrüger und schwuler Erbschleicher hatten sie mich damals genannt und jetzt war da wieder jemand, der mich erneut des Betrugs beschuldigte.“

„Ich verstehe bis heute nicht, wie man einem Mensch auf seine sexuelle Gesinnung reduzieren kann, muss ich aber auch nicht!“, meinte Blair ärgerlich.

„Wieso hat dann dieser Morris die Kündigung nicht angenommen?“, wollte Angus wissen.

Ich schaute zu Blair, die nun leicht rot wurde.

„Als Finn aus dem Büro gestürmt war, ist mir der Kragen geplatzt. Ich bin ebenso laut geworden und habe Mr. Morris angefahren. Die Bank hatte wohl nicht ihre Hausaufgaben gemacht und mehr Erkundigungen über dich eingezogen sollen.“

„Und wieso hat dann Morris die Kündigung nicht angenommen…?“, fragte nun ich.

„Naja, da sind wohl dann die Pferde mit mir durchgegangen…, ich habe von Mobbing und falschen Beschuldigungen angefangen und mit dem Anwalt gedroht… Anzeige…gegen die Bank und so…“

Ich konnte nicht anders und fing laut an zu lachen.

„Du hast was? Wirklich?“

Sie nickte.

„Er meinte dann, er wolle so schnell wie möglich dieses Missverständnis vom Tisch haben, die Bank hätte schon genug Schaden genommen, wegen dem Skandal in London. Dann hat er mich und David beauftragt, uns um alles zu kümmern.“

David! Da war wieder das Thema.

„Darf ich dich noch etwas fragen?“, kam es plötzlich von Angus.

Ich schaute ihn an, sagte aber nichts.

„Hast du Angst vor David? Denn ich finden ihn gar nicht so übel, wie ihr mir erzählt habt.“

Ich muss zugeben, ich verstand die Frage nicht.

„Warum fragst du?“

„Weil du so komisch auf David reagiert hast, als wir dich heut Mittag hier vorgefunden haben und du David bemerkt hast. Ich habe dich noch nie so erlebt und wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, du hast bei Connor Schutz gesucht.“

„… ich hasse David…“

„Verstehe ich, aber…“

„Nicht so wie du denkst?“

Fragend schaute mich Blair an.

„Ich hasse David, weil ich ihn mag…!“

„Hä?“, kam es fast gleichzeitig von den beiden.

Verlegen kratzte ich mich am Kopf.

„David ist irgendwie mein… mein idealer Typ…, wenn er nicht dieses Arschloch wäre. Ihm habe ich doch sicher zu verdanken, dass das heute passiert ist, was passiert ist?“

„Da tust du ihm Unrecht, wirklich Finn!“

Überrascht schaute ich Blair an, die nun wohl auch Partei für ihn zu übernehmen schien.

„David geht die ganze Sache nahe. Er hat sich extra wegen dir nach Edinburgh zurück versetzen lassen, weil er nicht daran glaubte, dass du dahinter steckst. Er meinte, dazu wärst du einfach eine zu ehrliche Haut.“

„Das hat er gesagt?“, fragte ich.

„Ja!“

„Wirklich?“

„Jaha!“

Angus begann zu kichern. Ich überlegte kurz und weitere Fragen kamen auf.

„Die haben mich nur wegen dem Umzug hier ins Haus verdächtigt, dass ich mit den veruntreuten Geldern zu tun habe?“

„Nicht… nur…!“

„Was denn noch?“

„Ähm…, sämtliche Aktionen…“, druckste Blair herum, „… liefen über deinen Computer?“

„Was?“, rief ich so laut, dass Angus im Sessel zusammenfuhr und dabei seinen Tee verschüttete.

„Aaaah Mist…, die Hose habe ich erst heute Morgen angezogen… ich verschwind mal kurz ins Bad.“

Und schon war Angus verschwunden. Blair stand auf, holte ein Wischtuch und beseitigte die Flecken auf dem Tisch, die Angus Tasse hinterlassen hatte.

„Aber wie soll jemand meinen Computer nutzen können, auch der im Büro ist Passwort geschützt.“

„Das ist das, was David heraus zu finden versucht.“

„Und wie will er das bitte versuchen anzustellen? Eine geheime Kamera installieren, die beobachtet, ob sich jemand an meinem Computer zu schaffen macht.“

„Das wäre eine Möglichkeit, oder?“

„Das ist gar nicht erlaubt… glaube ich zumindest.“

Ein lauter Schrei aus dem Flur unterbrach jäh unsere Unterhaltung. Sekunden später fanden wir dort Angus, auf der untersten Stufe der Treppe sitzend vor. Seine großen Augen starrten auf den Spiegel und auch mit dem Finger zeigten auf denselben.

„Angus, was ist?“, fragte Blair.

„Da… da…“

„Was ist da?“, fragte ich leicht genervt, „eine Spinne?“

„Nein…, da war… eine wundervolle Frau… auf einer Wiese?“

Blair schaute erst mich, dann den Spiegel an. Mein Blick fiel zum Fenster, auf der gegenüber liegenden Seite, aber dort konnte ich nur die Häuser auf der anderen Straßenseite sehen und zudem schon viel zu dunkel. Was hatte er da gesehen?

„Ähm…“, meinte ich und kratzte mich am Kopf, „was genau hast du da gesehen?“

Blair schaute mich zweifelnd, aber genauso fragend an.

„Eine wunderschöne Frau mit roten Locken, einer weißen Bluse… Jeans und sie stand mitten in der Wiese.“

„Aha…“, war alles was ich dazu sagen konnte.

„Gehen wir wieder hinüber…, das Sofa war bequemer“, meinte Blair und ließ uns einfach stehen.

Ich zog Angus hoch und schob ihn Richtung Wohnzimmer, aber nicht ohne noch einmal auf den Spiegel zu schauen. Es spiegelte sich aber lediglich die Haustür und gegenüberliegende Treppe darin.

*-*-*

Ich riss die Augen auf. Was für ein blöder Traum. Es war finster im Zimmer. Mein Blick wanderte zum Radiowecker, es war kurz nach fünf Uhr morgens. Leicht Kopf schüttelnd schloss ich wieder die Augen.

Die Bilder des Traumes liefen noch einmal ab. David als böser Stiefbruder, der vor meinem Spiegel stand und laut: „Spieglein, Spieglein an der Wand…“ rief. Mein Nervenkostüm war auch schon einmal besser.

Der gleichmäßige Atem von Angus ließen mich aber wieder auf den Boden der Realität zurück kehren. Waren Träume nicht der Spiegel der Seele, tief verborgen im Unterbewusstsein.

Ja, David sah verdammt gut aus, aber das war auch schon alles was ich positives über ihn zu sagen hatte. Ich drehte mich zur Seite, zog die Decke bis hoch zum Hals und kuschelte mich ein.

Sollte ich wirklich gleich heute wieder ins Büro gehen? Erneut überkamen mich Selbstzweifel, nach der Geschichte gestern, sah es wirklich nicht gut um mich aus. Genauso traute ich Blairs Aussage über Mr. Morris, keine fünf Meter weit.

So schnell änderte ein Mensch seine Meinung nicht, aber was war sein Plan? Was war mein Plan? Wer hatte mich benutzt, um diese fragwürdigen Transaktionen zu tätigen. Angus plötzliches Gemurmel schreckte mich leicht auf.

Er drehte sich zu mir und kuschelte sich eng an mich. Ob ich ihm sagen sollte, was er da mitten in der Nacht tat. Seine nackte Haut an meinem Körper tat unheimlich gut, aber irgendetwas störte mich am Bein.

Meine Hand fuhr langsam nach unten und plötzlich spürte ich Angus hart pochende Erregung, die gegen mein Bein stieß. Bei der Berührung stöhnte er leicht auf. Von was träumte der Kerl, dass er so erregt war?

Von dieser merkwürdigen rothaarigen Frau, die er angeblich in meinem Spiegel gesehen haben wollte. Ich drehte mich zur anderen Seite, was aber zur Folge hatte, dass mir Angus leicht folgte und nun mit seiner Vorderseite an meinem Rücken lag.

Natürlich spürte ich seine Versteifung an einer Stelle, wo sie mir normalerweise gefallen würde, aber dies war Angus. Niemals würde ich mich an ihm vergreifen, schon gar nicht wenn er am Schlafen war.

Noch während ich spürte, wie sich meine Blutanteile in der unteren Region zu sammeln schienen, lenkte es meine Gedanken, wieder irgendwie zum Spiegel und auch David kam mir in den Sinn.

Musste ich mir eingestehen, dass ich von diesem Mann mehr eingenommen war, als ich mir eingestehen wollte. Dieser Spieglein-Spieglein-an-der-Wand Spruch hallte in meinem Kopf immer wieder nach.

Über diesen Gedanken musste ich wohl erneut eingeschlafen sein, denn laute Musik des Frühstücksradios, riss mich aus meinen Schlaf. Der Wecker zeigte sieben Uhr. Gefühlt hatte ich mal zehn Minuten geschlafen, aber es waren wirklich zwei Stunden vergangen.

Es half nichts, ich musste aufstehen, wenn ich vor Angus ins Bad wollte, der immer noch wie ein Koalabär an meinem Rücken klebte. Vorsichtig wand ich mich aus seiner Umarmung und setzte mich auf den Bettrand.

Ich rieb mir übers Gesicht und seufzte. Was dieser Tag wohl bringen sollte? Die Unsicherheit, von gestern Abend, einfach ganz normal ins Büro zu gehen, war geblieben. Wieder stürmten die Gedanken auf mich ein.

Eine Dusche würde mir jetzt sicher gut tun. Ich griff nach meinem Wecker, aktivierte die zweite Weckzeit für Angus und lief anschließend müde wankend ins Bad.

Unschlüssig stand ich neben meiner Autotür und wartete, dass Blair endlich fertig eingeparkt hatte. Zu meiner Überraschung hatte sie sich in meiner geistigen Abwesenheit kurz Sachen zum Anziehen besorgt, dass sie heute nicht in den gleichen Teilen erschien, wie gestern.

Es war zwar ungewöhnlich mit ihr und Angus zu frühstücken, aber auch irgendwie schön. Blairs Motor erstarb und in der Tiefgarage kehrte wieder Ruhe ein.

„Auf was wartest du?“, fragte Blair, als sie endlich ausgestiegen war.

„Auf den Weihnachtsmann?“, fragte ich grinsend zurück.

„Ach du! Komm!“

Sie griff nach meiner Hand und zog mich Richtung Fahrstuhl. Nachdem ich immer noch nicht wusste, ob dies richtig war, hatte sie etwas Mühe, das zu tun.

„Jetzt tu nicht wie ein Mädchen!“, fuhr sie mich leicht an, „was sollen denn die anderen denken, wenn sie uns beide so sehen?“

Den Gedanken vor Blair auszubreiten, verbiss ich mir jetzt und wartete nun artig mit ihr, dass sich endlich die Fahrstuhltür öffnete.

*-*-*

Das gestern etwas vorgefallen war, schien sich schnell herum gesprochen zu haben, denn es kam mir so vor, das sämtliche Blicke im Haus auf mich gerichtet waren. Nachdem wir unsere Sachen im Büro abgeliefert hatten, war ich nun mit Blair auf dem Weg zu Mr. Morris.

Was hätte ich gegeben, mir das zu ersparen, aber da musste ich wohl durch. Blair klopfte an Mrs. Plumpes Tür, der Chefsekretärin und wenig später war ein höfliches „Herein!“ von der Dame zu vernehmen.

Als Blair die Tür aufschob, atmete ich tief durch und folgte ihr in die Höhle des Löwen. David kam mir in den Sinn. An seinem Arbeitsplatz hatte ich ihn nicht gesehen. War er auch schon bei Mr. Morris. Die alte Plumpes klopfte nun an der Tür ihres Chefs und trat gleich danach ein.

Mrs. Mac Innes und Mr. Lennox“, hörte ich sie sagen, bevor sie wieder an der Tür erschien und uns ins Büro wies.

„Guten Morgen… ähm setzten sie sich doch“, hörte ich den Chef sagen, als er endlich in mein Blickfeld kam.

Ohne ein Wort zu sagen, folgte ich Blair zur Couch und setzte mich neben sie. Noch beim hinsetzten fing Mr. Morris an zu sprechen.

„Es tut mir leid, Mr. Lennox, das ich sie gestern verdächtigt habe, ohne mehr über die Fakten Bescheid zu wissen.“

Welche Fakten? Ich räusperte mich.

„… ich muss mich entschuldigen, dass ich mich gestern so hab gehen lassen.“

Mr. Morris winkte ab.

„Mr. Mac Bain hat sich gestern extra die Mühe gemacht, ihre Aussage zu bestätigen…, versuchen wir das Ganze einfach zu vergessen. Oder?“

Vergessen? So leicht konnte ich diese Gedanken nicht unterdrücken. Aber etwas anderes kam mir in den Sinn.

„Mrs. Mac Innes hat mir gestern gesagt, dass sämtliche Aktionen über meinen Rechner getätigt wurden und das ohne mein Wissen. Wir haben uns gefragt, ob es möglich wäre, nach zu verfolgen, wer sich an meinem Rechner zu schaffen gemacht hat.“

„Dieser Gedanke kam mir auch schon und ich habe David… ähm Mr. Mac Bain sofort darauf angesetzt, er müsste sich gerade in der Rechenzentrumabteilung befinden. Mein Sohn zu Hause hat mir übrigens bestätigt, dass es ein leichtes wäre, intern ihr Passwort für den Rechner heraus zu bekommen.“

Sein Sohn? Also stimmte es, was Blair gehört hatte. Und plötzlich kam die Frage auf, wer war David? Ich stellte fest, wie wenig ich doch über ihn wusste. Warum genoss er plötzlich das Vertrauen, vom Chef? Bisher konnte ich nicht feststellen, dass er ein Computergenie gewesen wäre, so viele Fehler er sich schon daran geleistet hat.

„Darf ich fragen, wie sie überhaupt auf diesen Betrug gestoßen sind?“, fragte Blair.

Mr. Morris grinste verlegen.

„Durch einen simplen Fehler eines Kollegen in London. Er hatte diverse Beträge der Gelder gebucht und danach festgestellt, einen Zahlendreher im Buchungsvermerk darin gehabt zu haben. Als er die Beträge zurück holen wollte um den Fehler zu korrigieren, fehlte bereits ein Teil der Summe.“

„So schnell?“, rutschte mir heraus.

„Das hat uns im Nachhinein auch verwundert. Jemand muss sehr gut in der Programmierung dieser Transaktionen sein, dass es bisher unbemerkt geblieben ist.“

„Darf ich fragen, wie es kommt…, das David… sich um die Sache kümmert? Bisher war sein Handeln am Computer…, wie soll ich es sagen…“, kam es plötzlich von Blair.

Die Frage stellte sich mir auch, aber Mr. Morris fiel ihr grinsend ins Wort.

„Es ist mir bekannt, das David kein Computergenie ist, aber deswegen wurde er von mir nach London geschickt, um seine Kenntnisse in diese Richtung trainieren zu lassen. Zudem ist David ein Freund… meines… unserer Familie und genießt mein volles Vertrauen.“

Hoppla, wollte er wirklich meines Sohnes sagen, war da etwas dran, was Blair erzählt hatte? Unsere Blicke trafen sich kurz und mir schien, als wollte sie sich ein Grinsen verbeißen.

„Etwas anderes, Mr. Mac Innes hatte gestern geäußert, dass sie über die Pläne von Mr. Hornsby nicht gerade angetan waren.“

Themawechsel, anscheinend hatte er schon zu viel geplaudert. Aber warum erwähnte er das gerade jetzt?

„Ja es stimmt, ich war von Anfang an gegen dieses Bauunternehmen, denn zu einem passt es nicht in das Konzept unsere Stadt und zum anderen, wären die Wohnung eher etwa für die Mittelschicht oder gehobene Klasse gewesen. Das hätte meiner Meinung nach, nichts mit der Aufgabenstellung zu tun gehabt, sich hier in der Stadt an sozialverträgliche Projekte als Bank zu beteiligen.“

„Alle Achtung. Sie sind hier geboren?“

„Ja!“

Er lächelte Blair an.

„Das erklärt ihr schottisches Temperament. Mein Frau, übrigens auch eine hier geborene, hat mich vor diesen schottischen Dickköpfen von Anfang an gewarnt.“

Blair neben mir musste nun doch kichern, vorwurfsvoll schaute ich sie an.

„Das sollte kein Vorwurf sein Mr. Lennox“, grinste er nun auch mich an, „aber hätten sie vielleicht eine Idee, an welchen Projekten sich die Bank beteiligen könnte, um unser Image wieder aufbessern zu können, denn spätestens nächste Woche, wird dieser Skandal publik und wir müssen Schadensbegrenzung betreiben.“

„Eine Idee…?“, blabberte ich ihm nach.

Angestrengt dachte ich darüber nach und mir fiel das Gespräch vom Sonntag ein.

„Ähm…schon. Wie sie vielleicht mitgekommen haben, ist in der Nordstadt ein Wohnheim abgebrannt und etwa hundert Personen mussten auf andere Häuser verteilt werden, die aber wie dieses ebenso maßlos überfüllt war.“

„Ja, ist mir bekannt, aber wie kommen sie jetzt gerade darauf.“

„Ein guter Freund“, ich schaute kurz zu Blair, die mir zu nickte, „unsererseits, wohnte in diesem Haus. Er hatte in der Vergangenheit viel Pech und wir waren froh, dass er dort eine Bleibe hatte finden können. Dass sich die Stadt schwer tut, sich richtig um diese Wohnheime für Minderbemittelte, zu kümmern, ist allgemein bekannt. Dies wär eine Möglichkeit, wo wir auf den Plan treten könnten.“

„Wir?“

„Wir als Bank! Könnten wir uns nicht daran beteiligen, dass dieses Haus wieder aufgebaut wird, dieses Mal unter besseren Konditionen als vorher, damit nicht wieder der gleiche Fehler passiert und völlig fremde Menschen in ein Zimmer zusammen gelegt werden.“

„Du kannst ruhig zusammen gepfercht sagen Finn, das trifft es besser. Die Zimmer sind eng, von der Sauberkeit ganz zu schweigen“, kam es von Blair.

Mr. Morris schien zu überlegen und nickte dabei.

„Dieses Wohnheim soll ja eigentlich laut Stadt als Übergangslösung dienen, um den darin befindlichen Personen einen Neustart zu ermöglichen. Dass die Stadt nicht alleine damit fertig wird, auch jetzt im Bezug auf die vielen Emigranten sich etwas übernommen hat, zeigen die Zahlen der überfüllten Heime.“

„Ich sehe, sie sind gut informiert.“

Ich musste lächeln.

„Ich liebe diese Stadt und es ist mir nicht egal, was mit ihr passiert.“

„Gut zu wissen Mr. Lennox. Verbleiben wir so! Sie werden Davids Platz übernehmen, denn ich denke, ihr Rechner wurde bereits zu Untersuchung abgeholt. Könnten sie mir ein paar Beispiele zusammenfassen, wie wir uns in so ein Projekt einbringen könnten? Sie dürfen gerne Mrs. Mac Innes Hilfe in Anspruch nehmen.“

Mir war nicht aufgefallen, das vorhin mein Rechner verschwunden war, aber da hatte ich noch andere Gedanken im Kopf. Ich nickte ihm zu.

„Würde ihnen die Zeit bis zum Freitag genügen? Dann könnten wir erneut ein Meeting abhalten.“

Ich schaute zu Blair, die mir zustimmend zunickte.

„Ich werde mein Bestes versuchen“, antwortete ich.

*-*-*

Müde stellte ich meine Tasche unter der Garderobe ab und hängte meine Jacke auf. Es war kalt geworden. Morgen sollte ich mich etwas wärmer einkleiden, dachte ich. Kühle Meeresluft von der Nordsee drang in die Bucht vor Edinburgh und kündigte den bevorstehenden Winter an.

Angus schien noch nicht zu Hause zu sein, denn im restlichen Haus war noch alles dunkel. Musste er heute länger arbeiten? Nachdem ich mich meiner Schuhe entledigt hatte und in die Hauslatschen geschlüpft war, betrat ich den Wohnbereich, wo man noch etwas Restwärme des alten Kachelofens spüren konnte.

Ich lief zu ihm hin, öffnete die Klappe und konnte noch reichlich Glut am Boden des Brennraums entdecken. Ich nahm einfach zwei größere Holzstücke und legte sie hinein. Dann lehnte ich die eben geöffnete Klappe nur an.

Hunger machte sich breit und ich entschloss mich, ganz gegen meine Gewohnheiten etwas zu kochen. In der kleinen Wohnung, die ich vorher mein Eigen nannte, war nur eine winzige Küchennische vorhanden und da machte das Kochen, kein richtigen Spaß.

Hier hatte ich eine große Küche, was uns noch bestimmt ein paar schöne Abende bescheren würde. Zu meiner Verwunderung, war der Kühlschrank gut gefüllt. Da hatte Angus sich wohl eingebracht und die meisten Grundnahrungsmittel schon eingekauft.

Wann hatte er das alles besorgt? Ich durfte nicht vergessen, ihm das Geld dafür zurück zugeben. Froh darüber, dass mir der Gang zum Supermarkt erspart blieb, überlegte ich, was ich denn kochen könnte.

Da Angus gerne den Kochlöffel schwang, hatte er im Wohnheim schnell Freunde gefunden. Mir war das ganz recht, so hatte er wenigstens keinen Ärger dort und der Kühlschrank war dementsprechend gefüllt.

Als ich den eingeschweißten Fisch entdeckte, wusste ich sofort, was ich mir machen wollte. Ich zog den Fisch heraus, suchte mir im Gemüsefach die benötigten Dinge, und schloss den Kühlschrank wieder.

Hatten wir überhaupt Kartoffeln. Kurz überlegte ich, wo ich diese finden könnte. Da fiel mein Blick auf die Tür zur kleinen Kammer. An sie hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. So öffnete ich diese und suchte nach dem Schalter fürs Licht.

Die Glühbirne an der Decke flammte auf. Da von Granny die alten Regale noch drinnen standen, war der Raum nicht völlig leer. In einer Ecke entdeckte ich sogar ein paar Gläser, die mit Gemüse und Obst befüllt waren.

Die Beschriftung stammte eindeutig von Granny. Ob man das noch essen konnte? Ich stellte das Glas zurück und schaute mich weiter um und konnte auf der anderen Seite Kartoffeln und Zwiebeln entdecken.

Angus schien sich schon richtig eingelebt zu haben, obwohl er erst zwei Tage hier wohnte. Ich nahm mir vier große Kartoffeln un eine Zwiebel und verließ den Raum wieder. Zurück in der Küche, schaute ich mir noch einmal alles an und dachte darüber nach, wie Grannys Rezept noch einmal ging.

Ich brauchte einen Topf. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass ich mich in meiner noch nicht gut auskannte. Der Kochtopf war aber schnell gefunden und stellte ihn auf die Arbeitsfläche.

Ich schnitt das Päckchen mit dem Fisch auf und hielt ihn kurz unter das fließende Wasser, bevor ich ihn in den Topf legte. Wo waren die Gewürze? Ich öffnete einen Hängeschrank nach dem anderen und wurde beim letzten fündig.

Schnell waren Lorbeerblätter gefunden, wovon ich zwei zum Fisch gab. Ich füllte das Ganze mit Wasser auf, so dass der Fisch gerade damit bedeckt wurde. Noch etwas Salz und schon stand es auf dem Herd.

Bis der Fisch zu kochen anfing, konnte ich den Lauch putzen und mit der Zwiebel schneiden. Auch die Kartoffeln waren schnell geschält und in große Würfel zerteil. Die Haustür wurde geöffnet.

„Bin zu Hause!“, hörte ich Angus rufen.

„Bin in der Küche“, rief ich zurück.

Wenige Sekunden später erschien er im breitgrinsend und Händereibend im Türrahmen.

„Du kochst?“

„Ja, ich hatte Lust dazu. Übrigens danke, dass du uns mit Lebensmittel eingedeckt hast, so richtig habe ich da gar nicht daran gedacht.“

„Kein Problem, ich wohne bei dir und will mich ja deswegen auch irgendwie einbringen. Zudem hast du die vergangenen Tage andere Dinge im Kopf.“

Da hatte er wohl recht.

„Machst du Cullen Skink*?“

„Als ich den Fisch sah, kam mir der Gedanken. Granny hatte da ein tolles Rezept. Ich hoffe du hast ihn nicht anderweitig verplant?“

„Nein, nein, er war im Angebot, da dachte ich, kann man bestimmt etwas Tolles daraus zaubern.“

„Du bekommst natürlich das Geld von mir zurück.“

„Nein, lass mal Finn. Du lässt mich hier wohnen, dann lass mich wenigstens etwas bei steuern.“

„Muss nicht sein, das weißt du!“

„Ja, aber ich will es so…, kann ich dir etwas helfen?“

„Muss eigentlich nur noch kochen. Sag mal, ich habe gesehen, dass von Granny noch jede Menge eingewecktes da ist. Kann man das überhaupt noch essen?“

„Das müssen wir einfach probieren. Vieles ist jahrelang haltbar.“

„Gut, aber nicht heute Abend.“

Angus hatte sich auf einer der Stühle am Tisch niedergelassen und zog seine Beine an.

„Wie… ist es heute im Büro gelaufen?“, fragte er vorsichtig.

Ich lächelte ihn an.

„Besser als gedacht! Der Verdacht, dass ich an dieser Sache beteiligt sein könnte ist vom Tisch und der Chef möchte von mir Ideen für neue soziale Projekte.“

„Und schon irgendwelche Ideen?“

„Ja, zum Beispiel dein ehemaliges Zuhause.“

Angus wurde blass.

„Was hat deine Bank mit meinen Eltern zu schaffen?“

„Oh entschuldige Angus, dass meinte ich nicht. Das Wohnheim. Es muss ja irgendwie wieder aufgebaut werden.“

„Aber ich dachte, du bist gegen Wohnheime“, sagte Angus überrascht.

„Schon Angus, aber es ist ein notwendiges Übel, wo sonst kann man so viele Menschen unterbringen? Man kann sie aber so gestalten, dass sie etwas wohnlicher wirken.“

„Und wie soll das gehen?“

„Mehr Möglichkeiten sich zu Waschen…, etwas zu kochen, man kann die Zimmer auch effizienter gestalten. Ein Waschbecken in jedem Zimmer. Zimmer für Familien, oder auch Einzelpersonen… Mütter mit Kindern.“

„Und das willst du alles in einem Haus unterbekommen?“

„Was in das Haus hineinkommt und wie es aufgeteilt ist, entscheidet immer noch der Architekt, wir, die Bank als Investor können nur Wünsche äußern. Bis Freitag habe ich Zeit, ein kleines Dosier zusammen zu stellen.“

„Reicht dir da die Zeit überhaupt?“

„Blair wird mir helfen, sogar vom Chef persönlich abgesegnet.“

„Dann mal fiel Spaß.“

Das kochende Wasser hatte ich abgestellt und ließ den Fisch noch etwas ziehen, bevor ich die Brühe abgeschüttete.

Mit etwas Fett dünstete ich die Zwiebel und den Lauch an, bevor ich die Kartoffeln hinzugab und mit der Fischbrühe wieder auffüllte. Während die Kartoffeln köchelten, zerpflückte ich den Fisch mit dem Messer und einer Gabel.

„Kommt noch wer?“, fragte Angus.

„Wieso?“

„Das ist ein bisschen viel für uns zwei, oder?“

„Dann haben wir noch etwas für morgen, oder du nimmst es mit auf die Arbeit“, schlug ich vor.

„Gute Idee“, strahlte mich Angus an.

Als die Kartoffeln weich waren, nahm ich den Stampfer und zerdrückte die Kartoffelstücke, bis alles etwas breiig war.

„Wie das schon duftet“, meinte Angus.

„Es ist auch gleich fertig.“

„Dann deck ich schon mal den Tisch.“

Angus setzte sich in Bewegung und holte zwei Teller aus dem Hängeschrank, während ich dem Brei etwas Milch unterrührte, den Fisch wieder hinzugab und mit Salz und Pfeffer das Ganze würzte.

Wenig später saßen wir beide am Tisch und löffelten unsere Suppe.

„Oh das schmeckt so gut“, sagte Angus, „ich weiß gar nicht mehr wann ich das zum letzten Mal gegessen habe.“

„Ich auch nicht.“

Ein Heulton weckte unser Interesse.

(*)= Schottische Fischsuppe

Der Wind hatte mich in der Nacht lange wach gehalten. Zuviel unbekannte Geräusche waren um das Haus und im Haus gewesen. Etwas gerädert hatte ich Angus am Hafen abgesetzt und war anschließend zur Bank gefahren.

Wie jeden Morgen zeigte ich meine ID-Karte vor und grüßte aber dieses Mail, den alten Mr. Harrison, der den Gruß freundlich erwiderte. Die Tiefgarage war zwar für jedermann gedacht, aber in die Büros der Bank, kam man nur durch einen speziellen Eingang für die Mitarbeiter und hier saß eben jeden Morgen Mr. Harrison.

Im Büro angekommen, steuerte ich direkt auf meinem Stuhl zu, aber dann leider festzustellen, dass mein Platz geräumt war und sich alles auf Davids Schreibtisch stand.

„Guten Morgen!“, hörte ich Blairs Stimme.

Ich drehte mich um und sie kam mich direkt auf mich zu.

„Nanu, noch gar niemand da, wusste gar nicht, dass ich so früh dran bin.“

„Morgen Blair, ich bin auch gerade erst gekommen.“

Ich schaute auf die Uhr und stellte dabei fest, dass ich auch nicht früher dran war, als sonst.

„Ähm, wir sind nicht früher“, sagte ich und zeigte auf die große Uhr, die über dem Eingang befestigt war.

Auch Blair schaute nun in die Richtung, ließ ihren Blick kurz ebenso auf ihre Armbanduhr wandern.

„Komisch, wo sind denn alle, haben wir etwas verpasst?“

„Nicht das ich wüsste“, antwortete ich und lief an Davids Computerplatz.

Blair beobachtete mich kurz, bevor sie ihren Platz ansteuerte. Sie legte ihre Sachen ab, ließ den Mantel von ihren Armen gleiten und hängte ihn über ihren Stuhl. Ich tat das gleiche und setzte mich. Mein Körper danke es mir, in dem er sich etwas entspannte.

„Du siehst nicht gut aus, nimmt dich die Sache, mit dem falschen Verdacht, immer noch so mit?“

„Nein, ich habe einfach schlecht geschlafen und irgendwie tut mir alles weh.“

„Du wirst dir eine Erkältung eingefangen haben.“

„Ich habe weder Schnupfen noch Husten“, sagte ich und fuhr den Computer hoch.

„Ich mach uns einen Tee, einverstanden?“

„Tee ist immer gut.“

Der Bildschirm hellte auf und es wurde nach dem Passwort gefragt. Ich gab es ein und drückte Enter. Ein „falsches Passwort“ erschien auf dem Monitor.

„Mist!“

„Was ist?“

„Ach, ich komm mit meinem Passwort, nicht in Davids Computer.“

„Komisch, dass müsste eigentlich gehen, wir hängen doch alle am gleichen Server. Probier es an meinem!“

Mühsam stand ich auf und umrundete den Tisch. Ich gab an Blairs Tastatur mein Passwort ein und wieder wurde mir der Zutritt verwehrt. Genervt schaute ich zu Blair. Sie stellte die Tassen ab und kam zu mir herüber.

Auch sie gab nun ihr Passwort ein, mit demselben Effekt, dass sie nicht ins Programm gelassen wurde.

„Irgendetwas stimmt hier nicht“, meinte Blair und wollte nach ihrem Telefon greifen, als unsere Kollegen endlich einliefen.

„Morgen Blair… Finn“, rief Anne, eine Kollegin, „ihr müsste euch bei David melden, sonst könnt ihr nicht an eurer Station arbeiten.“

Blair und ich schauten uns an, warum wurden wir nicht informiert?

„Habt ihr nicht den Aushang im Eingangsbereich gesehen?“, fragte Anne.

Beide schüttelten wir den Kopf.

„Mir ist keiner aufgefallen“, sagte Blair.

„Wie gesagt, bei David euren Zugang ändern.“

Ich seufzte. Ich hatte weder Lust, mich ins fünfte Stockwerk zu begeben, noch David zu sehen, aber was blieb mir anderes übrig? Kurz zu Blair schauend, nahm ich ihr Schulterzucken wahr.

Sie drehte sich zum Board mit den Teetassen, stellte unsere Tassen wieder ins Regal und folgte mir dann zum Eingang des Büros, während die Kollegen fleißig dabei waren, ihre Computer in Beschlag zu nehmen.

„Ich habe wirklich keinen Aushang gesehen“, meinte Blair neben mir, als wir gemeinsam auf den Aufzug warteten.“

„Wer weiß, wo der gehangen hat…, ist ja auch jetzt egal“, entgegnete ich genervt und beobachtete die sich änderte Zahl des Fahrstuhls.

„Warum bist du plötzlich so gereizt?“

„Entschuldige, ich bin einfach nicht gut drauf, Blair. Ich habe scheiße geschlafen und zu dem noch über dieses neue Projekt nach gedacht.“

Dass ich auch an David gedacht hatte und immer konfuser wurde, erwähnte ich jetzt lieber nicht.

„Schon gut…, schon gut. Versuch dich etwas zusammen zu reißen, okay?“

Ich nickte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob das gehen würde. Ein „Pling“ kündigte die Ankunft des Fahrstuhls an und die Tür öffnete sich.

*-*-*

Ich saß nun schon zwei Stunden am Computer und suchte weltweit vergleichbare Objekte, aber keines schien recht passen zu wollen. Entweder waren es zu alte Häuser, oder eigentlich für andere Zwecke gedacht und darum notdürftig umgebaut worden.

Ich starrte gerade ein Haus in Schweden an, als mein Gedanke erneut zu David wanderte. Müde strich ich mir durchs Gesicht und trank dann von meinem Tee. Der war mittlerweile kalt und ich fragte mich, die wievielte Tasse das jetzt schon war.

Sollte dieser Tee, laut Blair nicht erfrischend sein? Bisher konnte ich keine erfrischenden Auswirkungen, an mir feststellen. Hatte sie den Tee verwechselt? Mein Blick wanderte zu Blair, die emsig auf ihre Tastatur hämmerte.

Ob es ihr aufgefallen war, wie ich David vorhin die ganze Zeit angestarrt hatte, als er über seine Tastatur fegte. Seine feinsäuberlich gekämmte Frisur kam mir wieder in den Sinn, das nackte Stück haut, des Nackens, dass im Hemdkragen verschwand.

„Findest du auch nichts?“, riss mich Blair aus dem Gedanken.

Ich schüttelte den Kopf.

„Sollen wir die Suche nach Amerika ausweiten?“

„Bei deren Sozialstatus? Ich bin mir nicht sicher, ob die überhaupt über so etwas verfügen.“

„Da hast du auch wieder recht! Aber irgendwelche Beispiele müssen doch zu finden sein! An was können wir uns noch orientieren?“

Ich räusperte mich, um auch den letzten Gedanken an David abzuschütteln.

„Du ich weiß es nicht, mir gehen langsam die Ideen aus.“

Granny kam mir in den Sinn, die wusste immer eine Antwort. Egal was ich wissen wollte, sie antwortete immer, auch wenn ihre Antwort nur im weitesten Sinne etwas mit meiner Frage zu tun hatte.

Sie regte damit immer meine Fantasie an und meist fand ich selbst Antworten. Was hätte sie mir geraten, wie hätte sie geantwortet?

„Über was, denkst du nach?“

„Welchen Rat Granny mir gegeben hätte…?“

„Bei was…?“

Das fragte ich mich jetzt auch, denn ich hätte sie nie so etwas Banales wegen der Wohnheime gefragt. Ich hätte eher mit ihr über David gesprochen. Ich schaute auf die Uhrzeit des Monitors.

„Meinst du, wir können eine kleine Pause machen, ich könnte etwas frische Luft gebrauchen.“

„Warum nicht? Würde sicher uns beide gut tun“, antwortete Blair und stand bereits auf.

Die Schmerzen vom Morgen waren vergangen, hatte der Tee das bewirkt? Ich schlüpfte in meine Jacke und verließ mit Blair das Büro. Die fragenden Blicke der Kollegen, ignorierte ich einfach.

Der Balkon im vierten Stock, war eigentlich für die Raucher gedacht, aber um diese Zeit war noch keiner der Herrschaften anzutreffen. Nur eine Person befand sich dort, als wir nach draußen traten. David!

*-*-*

„Wie oft habe ich dir jetzt schon gesagt, du sollst mich nicht mehr anrufen… nein! Ich bin nicht wegen dir zurück gekommen! Kapier es endlich, ich möchte nichts mehr mit dir zu tun haben… es ist aus! Lass mich einfach in Ruhe!“

Blair schaute mich mit großen Augen an, während ich nur mit den Schultern zucken konnte.

David hatte uns anscheinend nicht bemerkt, sonst hätte er womöglich viel leiser gesprochen.

„Lass es einfach… okay? Ich habe dieses kindische Getue von dir so satt…“

Eine Pause entstand. Blair kam dicht zu mir.

„Sollen wir nicht lieber wieder hinein gehen?“, flüsterte sie mir zu.

„Warum? Er hat auch nie Rücksicht auf uns genommen…“, antwortete ich leicht verbittert, aber genauso leise.

„Jetzt benimmst du dich kindisch!“

Entsetzt schaute ich sie an. Was war daran kindisch?

„So du mir, so ich dir!“

Darauf wusste ich jetzt nichts zu erwidern, musste ich mir doch eingestehen, dass sie wieder mal recht hatte.

„Phillip, es ist mir schlicht weg egal, du kannst so viel mit deinem Vater reden wie du willst, es wird sich nichts ändern… und lass Glenda aus dem Spiel!“

Phillip Morris, Sohn von meinem Chef! Ich hatte nur ein einziges Mal mit ihm zu tun. Bei einem Empfang, den sein Vater gab und wir anwesend sein mussten. Viel hatte ich nicht von ihm mitbekommen, empfand ihn aber als recht sympathisch.

Der Ellenbogen, der sich gerade in meine Seite bohrte, holte mich in die Realität zurück.

„Hör verdammt noch mal auf so zu starren! Fehlt nur noch, dass du zu sabbern anfängst!“

Das schien Blair nun zu laut gesagt zu haben, denn David drehte sich augenblicklich um und lief rot an, als er uns sah.

„Leb wohl!“, war alles was David noch sagte, dann ließ er sein Handy verschwinden und war im Begriff, den Balkon zu verlassen.

„David…?“

Ich schaute zu Blair, was wollte sie nun von ihm. Er blieb abrupt stehen.

„Es tut mir leid, dass wir das eben mit angehört haben. Aber ich habe eine Frage an dich!“

David drehte sich leicht zu uns. Ich erschrak, das rot war gewichen und er ganz bleich. Seine Augen waren glasig und ich hatte das Gefühl, gleich würde eine Flut von Tränen losbrechen.

„Warum das Ganze mit Finn…? Er hat dir nie etwas getan, obwohl du genau wissen musstest, wie man sich fühlen muss, wenn man nur noch auf seine Sexualität reduziert wird!“

„Blair… bitte!“, meinte ich tonlos, aber sie stand da, als würde sie David gleich anspringen wollen.

„Es… es tut mir leid… ich kann… nicht“, stammelte David und ließ uns alleine stehen.

Als Blair ihm folgen wollte, hielt ich sie zurück.

„Was denn? Ich will eine klare Antwort von ihm!“

„Lass es einfach… Bitte Blair. Es ändert auch nichts daran, was er getan hat, oder?“

„Aber vielleicht fühlst du dich besser…“

„Warum bitte schön, sollte ich mich besser fühlen… lass uns wieder hinein gehen, ich kann jetzt eh keinen klaren Gedanken fassen.“

Blair hatte schon Recht, die ständigen Spitzfindigkeiten und anderen Andeutungen, waren ab und zu schon unter der Gürtellinie und taten einfach nur weh. Ich bin mir sicher, dass andere sich im Büro fragten, warum ich mich nicht gewehrt hatte.

Aber ich war es einfach leid, überhaupt auf so etwas zu reagieren, auch mit der Hoffnung, dass er irgendwann von allein aufhören würde. Er tat es nicht. Was mir aber jetzt noch mehr weh tat, dass David offensichtlich wirklich schwul war.

Klar interessierte mich, warum er das getan hatte, aber diese traurigen Augen eben, bremsten mich total aus. Als wir gerade die Tür zum Innern öffneten stand da jemand anderes, mit dem ich jetzt nicht gerechnet hatte. Mr. Morris.

*-*-*

„Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll…“

Blair und ich saßen im Büro von Mr. Morris. Nachdem wir anscheinend ein Gespräch zwischen David und ihm unterbrochen hatten und sich David eiligst entfernt hatte, bat unser Chef uns, mit ihm zu kommen.

„Mr. Morris, sie müssen uns gar nichts erzählen…“, meinte ich und spürte, wie Blair mich leicht anrempelte.

„Doch…, doch ich möchte! Ich will nicht, dass sie ein falsches Bild von der ganzen Sache bekommen. Schon alleine aus dem Grund, wie David sie Mr. Lennox in der Vergangenheit behandelt hat.“

Er wusste es? Er wusste es die ganze Zeit und war als Chef nicht eingeschritten. Irgendwie verstand ich jetzt gar nichts mehr.

„Sie wussten davon?“, kam es genauso überrascht von Blair, die schon wieder Kampfbereitschaft signalisierte, „warum haben sie dann nichts dagegen getan?“

Unser Gegenüber schwieg und ich war gerade nicht fähig, etwas zu sagen.

„Es ist eine Sache, sich ständig blöde Witze und Bemerkungen von einer Person anhören zu müssen, aber wenn dies ausartet und es auf Kosten einzelner Personen geht, finde ich, ist das nicht tragbar!“

„Ich verstehe ihren Ärger, Mrs. Mac Innes, aber mir waren zu der Zeit die Hände gebunden, ich konnte nicht einschreiten, ohne meine ganze Familie mit hinein zu ziehen, denn das hätte David sicherlich getan…“

Was hatte ich denn mit seiner Familie zu schaffen, die Verwirrung war nun komplett.

„Und was hat sich jetzt geändert? Denn irgendetwas muss vorgefallen sein, dass gerade alles so läuft, wie es läuft!“

Ich saß einfach nur da, keiner Bewegung fähig und hörte zu, was die beide Sprachen, auch wenn es mit mir zu tun hatte. Mr. Morris atmete tief durch und schaute zu Boden.

„Mrs Mac Innes, es tut mir wirklich leid…, aber damit sie es verstehen, muss ich etwas weiter ausholen…“

Darauf sagte Blair nichts. Sie ließ sich wieder zurück fallen, nahm aber dafür meine Hand in die ihre.

„Ich kenne David schon von klein auf, seine Eltern waren sehr eng mit uns befreundet.“

„Waren?“, rutschte es Blair heraus.

Vorwurfsvoll schaute ich sie an. Konnte sie nicht mal für ein paar Minuten ihr neugieriges Mundwerk halten?

„Ja, Davids Eltern sind leider bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Weil er sonst keine weiteren Verwandten hat, die sich um ihn hätte kümmern können und meine Frau und ich nicht wollten, dass er ins Heim musste, hatte wir uns damals entschlossen, David bei uns auf zu nehmen.“

Das war mir wirklich neu. Ich kannte David einfach nicht gut genug, um darüber Bescheid zu wissen. Um ehrlich zu sein, es hatte mich zu der Zeit auch nicht interessiert. Aber jetzt schockte es mich. Mein Bild über David, änderte sich mittlerweile nun fast stündlich.

„Davon wusste ich nichts, so gut bin ich mit David nicht befreundet, Finn und ich haben ihn bisher nur als Kollegen hier in der Bank erlebt, nicht in seinem privaten Umfeld.“

„Das kann ich mir denken, Mrs Mac Innes…“

„Sagen sie doch bitte Blair…“

Mr. Morris lächelte etwas.

„Danke…, aber auf David zurück zu kommen…, er war schon immer ein Eigenbrötler und sehr in sich gekehrt. Der einzige, der einen Draht zu ihm hatte, war mein Sohn Phillip. Die beiden verstanden sich sehr gut.“

Jetzt anscheinend nicht mehr, wie uns das Telefongespräch vorhin zeigte.

„David ist mir und meiner Frau ans Herz gewachsen, wie ein zweiter Sohn und so behandelten wir ihn auch, förderten ihn so gut wir konnten und er zu ließ.“

Blair neben mir nickte.

„Sie müssen wissen, dass David immer darauf bestand, keine Sonderbehandlung durch unsere Familie zu erfahren, auch als wir ihn adoptieren wollten…, er lehnte es ab.“

Ich hatte mich etwas gefasst und schaute nun zu Blair, die anscheinend ebenso fasziniert von dieser Erzählung war, wie ich.

„Selbst als er hier auf der Bank anfing, war es sein Wille, dass niemand etwas über unsere Verbundenheit erfuhr.“

„Das erklärt aber immer noch nicht, sein Verhalten gegenüber Finn“, wand Blair ein.

Mr. Morris hob etwas abwehrend die Hände und so langsam wurde mir das alles etwas peinlich.

„Ich kann mir es nur als Selbstschutz erklären…, viel zu spät merkten meine Frau und ich, dass Phillip und David ein Paar waren. Wir wurden praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt. Aber auch darüber wollte David nie etwas nach außen dringen lassen.“

„Dann lag ich gar nicht mal so falsch, dass David mit dem Ganzen etwas verbergen wollte“, sagte Blair zu mir.

„Blair bitte…, könnten wir das nicht einfach beenden und es gut sein lassen“, sah ich sie flehend an.

„Nein Finn, ich möchte das jetzt geklärt haben, so geht es einfach nicht weiter. Zudem stört es das Betriebsklima und ich möchte in Ruhe arbeiten, du weißt, ich mag es harmonisch.“

Mr. Morris begann zu kichern und ich konnte es nicht verhindern, ebenso etwas zu lächeln.

„So gefällst du mir besser Finn! Ich verstehe, dass dir das alles peinlich ist, aber ich denke auch, Mr. Morris…“

„Paul bitte…“

„…ähm okay…,  Paul hat einfach schon zu viel mitbekommen, als das wir über alles schweigen können.“

„Ich muss der jungen Dame Recht geben… Finn… ich darf sie doch mit Vornamen ansprechen?“

Ich nickte. Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und drückte eine Taste seiner Telefonanlage.

„Ella, steht für heute noch irgendetwas an?“, hörten wir ihn fragen.

„Nein Mr. Morris, sie haben heute keine weiteren Termine.“

„Gut Ella, denn ich werde mit Mrs. Mac Innes, Mr. Lennox und David einen Außentermin war nehmen.“

„Ist notiert, Mr. Morris.“

Er ließ die Taste wieder los und wir sahen ihn fragend an.

„… entschuldige, wenn ich einfach so für sie beide vorgreife, aber ich denke, hier besteht Handlungsbedarf, nur möchte ich das nicht gerade hier im Haus machen.“

Beide nickten wir.

*-*-*

Beide saßen wir in meinem Mini und warteten auf Paul. Er wollte mit uns auf sein Anwesen fahren und alles in Ruhe mit uns besprechen. Wenn wir in Zukunft eng zusammen arbeiten sollten, dann durfte kein Unfried herrschen.

Die Glastür zu den Fahrstühlen wurde aufgezogen und weckte Blairs und meine Interesse.

Paul erschien und hatte David im Schlepptau. Er zog ihn regelrecht am Ärmel hinter sich her. Was er zu David sagte, konnten wir nicht verstehen. Leichte Panik überfiel mich, weil mir das schon wieder zufiel wurde.

Blair schien dies zu merken und tätschelte auf meinen Arm.

„Ganz ruhig…, es kann nur noch besser werden, du redest deinen Chef jetzt schließlich mit Vornamen an.“

Ihr entwaffnendes Lächeln brachte mich zum Grinsen.

„Gut so“, meinte sie und beide schauten wir wieder zu den anderen beiden.

Die waren mittlerweile vor einer Limousine stehen geblieben und schienen angeregt zu diskutieren. Wobei unser Chef mehr redete, als David. Nur widerwillig schien er dann einzusteigen.

Ich ließ den Motor an und rollte etwas aus meiner Parklücke. Paul startete ebenso den Wagen, dumpfes Dröhnen erfüllte die Tiefgarage. Der Wagen setzte zurück und rollte wenig später an uns vorbei.

Während Mr. Morris uns anlächelte, widmete uns David neben ihm kein Blick. Langsam ließ ich den Wagen anrollen, verließ meine Parklücke und folgte der Limousine.

*-*-*

„Ich wusste nicht, dass der Chef hier ein Haus besitzt“, meinte Blair neben mir.

Wir hatten gefüllt, die halbe Stadt durchquert und waren in Dean Village angekommen.

„Bis auf dich, weiß ich von keinem, wo er wohnt und es hat mich auch bisher nicht interessiert.“

Stumm folgte ich dem Wagen unseres Chefs weiter, bis er in eine enge Gasse abbog um wenig später, die Limousine vor einem Grundstück ausrollen zu lassen.

„Boah, ist das edel hier“, kam es von Blair.

„Warst du noch nie hier?“

„Schon, aber so genau habe ich mich hier nie umgeschaut. Mal einen Kaffee trinken gewesen, oder Essen und bis auf das Flüsschen River Leigh, habe ich hier nicht groß wahrgenommen.“

„Ist halt nicht unsere Gehaltsstufe“, grinste ich sie an.

Das kleine Holztor öffnete sich von alleine und unser Chef rollte auf das Grundstück, wir folgten ihm. Auf einem Parkplatz vor dem Haus kam er zum stehen. Mit etwas Unbehagen stieg ich wie Blair nun aus.

Das alte Sandsteinhaus vor uns, war eingesäumt von großen Bäumen und den Nachbargebäuden. Wie kommt man an so ein Schmuckstück? Da Mr. Morris nicht von hier war, konnte nur seine Frau nur das nötige Kleingeld besitzen.

Oder es handelte sich um eine alteingesessene Familie, von den Beziehungen als Ortsansässige ganz zu schweigen. Auf alle Fälle ließen die verschieden farbige Sandsteine, das Haus herrschaftlich erscheinen, als gehöre das ganze Areal zu einem Schloss.

David war ausgestiegen. Fest hatte er seine Tasche umklammert und starrte zu Boden. Am Haus bewegte sich etwas, die Haustür wurde geöffnet. Eine Frau, man sah ihr nicht mal das ungefähre Alter an, betrat die Schwelle und lächelte uns alle an.

„Hallo David, es ist schön, dass du mal wieder vorbei schaust“, sagte die Frau, die sicher Mrs. Morris war.

Also wohnte David nicht hier, schlussfolgerte ich jetzt einfach. Er schaute leicht hoch und ein leises „hallo Glenda“ war zu hören.

„Liebes, darf ich dir zwei Kollegen von David vorstellen…, Mrs. Blair Mac Innes und Mr. Finn Lennox.“

Blair trat vor und reichte Mrs. Morris die Hand. Als ich es ihr gleich tun wollte, sprach mich Mrs. Morris direkt an.

„Finn Lennox, von der Firma Lennox?“

Sie kannte meine Familie. Sicher wusste dann, auch über mich Bescheid.

„Das war mein Großvater…, nach dem er verstorben ist, veräußerte die Familie die Firma…“

Wieder starrte mich Blair an, als würde sie mich nicht kennen. Was die Familie betraf hatte ich ihr nie viel erzählt. Mein Hass gegen sie war zwar mittlerweile fast verklungen, doch fand ich es nach wie vor, dass sie nicht erwähnenswert waren.

„Liebes, du kennst die Familie Lennox?“, fragte mein Chef.

„Ja, aber lasst uns hinein gehen, dort ist es bequemer und jemand bestimmtes, kann nicht lauschen.“

Mrs. Morris und ihr Mann schauten in eine bestimmte Richtung. Wie auf Kommando schauten Blair und ich natürlich ebenso in diese Richtung. Dann wies Paul mit seiner Hand ins Hausinnere.

So folgten wir seiner Einladung. Die Garderobe wurde gefüllt, unsere Taschen verstaut und anschließend wurden wir in den Wohnbereich geführt.

„Machen sie es sich doch bequem“, meinte Mrs. Morris und zeigte auf die etwas altertümliche Couchgarnitur, die mich an die Möbel meiner Mutter erinnerte.

Während sich David auf einen Sessel am Fenster niederließ, setzten meine beste Freundin und ich uns auf das kleinere Sofa. Der Stoff sah edel und teuer aus, also doch nicht der Stil meiner Mutter. Warum dachte ich ausgerechnet heute so viel an diese Familie?

„Paul erinnerst du dich nicht an das kleine Geschäft, Nähe der St. Giles Kathedrale, Hector Russel, da gibt es doch verschiedene Kleidung aus Tweed. Einfarbig… , einfache Webmuster oder unser typisches Schottenkaro.“

Ihr Mann überlegte angestrengt.

„Edinburgh Woolen Mill! Unter diesem Label stellen verschiedene Firmen Tweed her, unter anderem auch die Firma Lennox.

Mein Chef schaute nun zu mir.

„Wie gesagt, die Firma trägt nur noch unseren Namen, sie gehört der Familie nicht mehr.“

„Das ist aber schade, ihr Großvater war so ein netter Mann“, sagte Mrs. Morris.

Ich versuchte etwas zu lächeln, sagte aber nichts weiter dazu. Dass die Familie gegen den Willen von Granny, die Firma verkaufte, um an das Geld zu kommen, wollte ich nicht erwähnen.

Großvater hatte es einfach versäumt, in seinem Testament klare Fakten zu schaffen, so konnte sich Granny gegen den Verkauf nicht wehren. Ein weiterer Grund, dass ich mit dieser Familie in Streit lag. Die Geldgier.

Der Teil des Geldes, der mir zustand, hatte ich weder angerührt, noch gesehen. Mir war es auch mittlerweile egal, ob die Herrschaften sich dies auch unter den Nagel gerissen hatte.

„Ich werde euch jetzt alleine lassen, wie du schon gesagt hast, wollt ihr geschäftliches besprechen“, sprach Mrs. Morris weiter und erhob sich wieder.

„Danke Liebes“, sagte Paul lediglich und schaute ihr hinter her, als sie das Zimmer verließ.

Dann widmete er sich wieder uns. Ob dies geschäftlich oder privater Natur war, vermochte ich nicht sagen, alles vermischte sich zu sehr.

Auch war es irgendwie peinlich, jetzt alles offen da zu legen. Paul war unser Chef und ich hatte doch gewisse Hemmungen frei zu sprechen. Blair dagegen war eine Person, die kein Blatt vor den Mund nahm, alles ausplauderte, was sie gerade dachte.

Das krasse Gegenteil von mir. Mein Chef schaute uns an, ohne irgendetwas zu sagen. Diese Stille machte mich kirre. Mein Blick wanderte zu Blair, diese starrte aber zu David, der immer noch stocksteif in seinem Sessel, vor dem Fenster saß.

„David…, willst du dich nicht zu uns setzten…? Es geht dich genauso an, wie uns auch“, sagte Blair plötzlich.

„Und was soll das bringen? Nächste Woche lass ich mich wieder nach London versetzten, dann seid ihr mich wieder los!“

Er hatte das gesagt, ohne auch nur einmal zu uns schauen.

„Bin ich dir wirklich so zuwider?“, fragte ich einfach.

Dies schien ihn irgendwie aus dem Konzept gebracht zu haben, denn sein Kopf drehte sich plötzlich zu mir.

„Habe ich das je gesagt?“

Seine Augen waren glasig.

„So wie du dich gegenüber Finn bisher benommen hast, könntest man es stark annehmen! Es ist eine Sache, seine Kollegen zu ärgern, aber eine andere, wenn es nur gegen eine Person geht, nur weil diese sich zu dem eigenen Geschlecht mehr hingezogen fühlt“, sagte Blair.

Mein Chef zog die Augenbraun hoch und schaute mich durchdringend an.

„… ähm. Sie … sind wirklich schwul?“, stammelte Paul.

Ich senkte leicht den Kopf. Da hatte mich Blair wohl unfreiwillig geoutet. Verwundert ließ ich den Kopf sinken.

„Ich dachte…, sie wüssten das…“

„Sie müssen entschuldigen, bisher dachte ich David machte das nur, um sie damit aufzuziehen. Aber dass er sie gezielt beleidigt, das war mir nicht bewusst!“

Danach kehrte wieder Stille ein und die Blicke meines Chefs wanderten wieder zu David.

„Ich kann nicht behaupten, Davids Aktionen haben mich nicht getroffen, aber ich kann sie beruhigen, er hat mich nie beleidigt…es tat aus einem anderen Grund weh, wofür David sicherlich nichts konnte.“

Ich spürte Blairs Hand auf meinem Arm. Was soll’s, dachte ich für mich, heute ist der Tag der Wahrheit, aber ich spürte einfach, wie sehr mich das alles mitnahm und es Zeit war, reinen Tisch zu machen.

„Ihre Frau sprach vorhin von meinem Großvater.“

Paul nickte.

„Er war ein sehr guter Mensch. Sein Personal liebte ihn und er war auch einer der ersten, der mich unterstützte, wie es eigentlich Eltern tun würden. Als er starb, war für seine drei Söhne schnell klar, die Firma zu verkaufen, denn sie wollten das Geld.“

„War denn ihre Großmutter nicht als Erbe eingesetzt?“, wollte Mr. Morris wissen.

„Das war ein Fehler meines Großvaters. Seine Wünsche, was nach seinem Tod passieren sollte, waren einfach zu ungenau…“

„Also wurde die Firma gegen den Willen ihrer Großmutter verkauft?“

Ich nickte und Paul schaute mich fassungslos an.

„Als ich mich dann, bestärkt durch meine Großmutter zu Hause outete, wurde dies nicht gut aufgenommen und als Granny dann wenig später auch starb, fing der Ärger erst richtig an. Meine Familie, also meine eigene und die meiner zwei Onkel, wollten ebenso das Haus und was noch übrig war, ebenso verkaufen.“

„Was ihnen anscheinend nicht gelungen ist?“

„Nein, in Grannys Testament war nur ich bedacht und der Rest ging leer aus. Jeder für sich zog vor Gericht und beschuldigte mich dann der Erbschleicherei.“

„Bitte? Ich merke, wie sehr meine Frau Recht hat, wenn sie gelegentlich sagt, Geld verdirbt den Charakter.“

„Da hat sie Recht, auf alle Fälle, bei den meisten.“

„Was geschah dann weiter? … oh Entschuldigung, meine Neugier.“

„Nein, ich will alles erzählen, damit verstehen sie auch, warum ich so ausgetickt bin.“

„Ich habe ihnen schon gesagt, es war ein großes Missverständnis meinerseits. Hätte ich auf David gehört, wäre all das nicht passiert!“

„…David…?“, fragte ich leise.

„Ja, David. Er hatte von Anfang an gesagt, dass er sich sicher ist, dass sie nichts damit zu tun haben, auch wenn alles gegen sie sprach. Ich hätte ihm da wirklich mehr vertrauen sollen.“

„Hat das…, mit der angeknacksten Freundschaft zu ihrem Sohn zu tun?“, fragte Blair neben mir.

Diese Frau trieb mich wirklich langsam zum Wahnsinn. Wusste sie eigentlich nie, dass ihre Fragen nur peinlich waren und wo die Grenze lag? Aber unser Chef schien das nicht zu stören, er sprach normal weiter und David saß wieder zum Fenster hinaus, als würde ihn die ganze Sache nichts angehen.

„Nein, mein Sohn hat einen schwerwiegenden Fehler begangen, so konnte ich den Wunsch von David nicht abschlagen nach London gehen zu wollen.“

„Sie haben ihn also nicht wegen der Computersache nach London geschickt.“

„So gesehen nicht, aber es bot sich an, denn David war es, der den Verdacht dieses Schwindels als erstes aufbrachte, es aber wegen seiner Computerunkenntnisse nicht nachweisen konnte.“

Nun sahen wir alle zu David, der uns noch immer keine Aufmerksamkeit schenkte.

„Und er kam zurück, um Davids Unschuld zu beweisen?“, fragte Blair weiter.

Paul nickte.

„Du hast übrigens vergessen zu erzählen, dass dich dein Bruder des Mordes an deiner Granny bezichtigte…“

„Blair bitte…“

„… und dass er dich hat anschließend Krankenhausreif prügeln lassen hat, als er damit nicht durchkam.“

Entsetzt sah mich mein Chef an. Was aber mich mehr wunderte, war David. Sein Kopf war ruckartig herum gefahren und ich sah wie ihm die Tränen über die Wangen kullerten.

„Das hat er wirklich getan? Wurde er wenigstens zur Rechenschaft gezogen?“

„… das weiß ich nicht, ich habe damals keine Anzeige erstattet, weil ich weiteren Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen wollte. Mir war das alles zu viel geworden.“

Mein Blick war gesenkt, weil mich das alles zu sehr aufrührte.

„Das verstehe ich, auch wenn ich persönlich anders gehandelt hätte.“

„Meine Rede…“, kam es von Blair, „aber das ändert aber nichts an der Frage, wie wir nun weiter verfahren sollen, denn irgendwer versucht Finn an die Karre zu fahren!“

„Da haben sie Recht, Blair.“

„… bisher habe ich nur herausgefunden, dass jemand aus der Firma Zugriff auf Finns Computer hat, aber wie ist mir immer noch ein Rätsel“, kam es leise von David.

Wie er das Finn betonte, war fast schon zärtlich. Er brachte es fertig, in Sekunden, meinen Denkapparat noch mehr zu verwirren. Ich dachte mehr Chaos war nicht möglich, aber da täuschte ich wohl gewaltig.

„Wer sollte aber gegen Finn Kram hegen, er versteht sich doch mit allen seinen Kollegen gut.“

„Mrs. Greenwich…“, sagte ich leise.

„Was ist mit ihr?“, fragte Blair.

„Mit ihr verstehe ich mich nicht so gut.“

„Wer tut das schon…“

„Sie denken, Mrs. Greenwich ist diejenige, die gegen sie intrigiert?“, fragte nun Paul.

„Ich denke gar nichts…“, kam es schon fast trotzig von mir zurück.

„Die Greenwich hat nicht das Zeug dazu, Computer so zu manipulieren!“, sagte nun David.

„Einen Komplizen?“, fragte Paul.

„Wie sich das anhört… wie im Krimi“, quasselte Blair dazwischen.

„Blair, dieser Betrug ist ein Verbrechen, denn es geht mittlerweile um mehrere Millionen Pfund“, sagte Paul.

Geschockt sah sie zwischen Paul und David hin und her, beide nickten.

„Finn, fällt ihnen sonst noch jemand in der Firma ein, der etwas gegen sie haben könnte?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich kann aber auch nur für unsere Abteilung sprechen, von den anderen kenne ich niemand gut genug.“

„David, ist es dir möglich, zu überprüfen, mit wem Mrs. Greenwich aus dieser Abteilung am meisten Daten austauscht hat?“, wollte Paul wissen.

„Müsste das dann nicht Finn sein?“, fragte Blair.

Ich schüttelte den Kopf. Wieso viel mit mir?

„Moment…“, meinte David nun und stand auf.

Verwundert schaute ich ihn an. Plötzlich schien wieder ein ganz anderer David vor mir zu sein, den kein Wässerchen trüben konnte. Er verließ das Zimmer und erschien wenige Sekunden später wieder mit seiner Aktentasche.

Er zog seinen Mantel aus, den er als einziger angelassen hatte, warf ihn über den Tisch, an den er sich jetzt setzte. Dann zog er ein Laptop aus der Tasche, dass er sogleich öffnete. Er hatte direkten Zugriff auf die Firma, auch von hier?

Stimmt, als Fast – Sohn des Chefs und in Auftrag dürfte es für ihn eigentlich kein Problem, sein. Er tippte eine Weile auf seiner Tastatur herum, bis er plötzlich aufschaute.

„Humphrey Cook.“

„Humphrey?“, fragten Blair und ich gleichzeitig.

„Die beide haben anscheinend täglich miteinander zu tun“, sagte David.

„Für was ist dieser Humphrey zuständig?“, fragte nun mein Chef.

„Auslandsinvestitionen“, antwortete David.

„Humphrey gilt aber als sehr freundlich und hilfsbereit, ich kann mir nicht vorstellen, dass er mit der Sache zu tun hat“, wand ich ein.

„Aber du musst zugeben, dass er zu dir immer überfreundlich ist.“

„Das kommt dir nur so vor.“

„Ich habe dir schon paar Mal gesagt, der kommt mir komisch vor.“

Bisher war mir dieser Kollege nicht weiter aufgefallen. Es stimmte schon, er war immer sehr freundlich zu mir, aber ich hatte mir darüber nie Gedanken gemacht.

„Was für einen Status hat dieser Humphrey Cook?“, wollte Paul wissen.

„Er hat wie Finn sämtliche Zugriffsrechte auf den Server“, antwortete David.

„Auslandsinvestitionen…“, sagte Paul im Gedanken, „… eine Möglichkeit, wo das Geld überall hingeflossen sein könnte.“

Davids und mein Blick trafen sich, aber er schaute schnell wieder weg.

„Mir ist aber nicht bekannt…“, wand ich ein, „… dass Humphrey so Computerbewand ist, um womöglich auf meinen PC zuzugreifen.“

„Mit den nötigen Zugriffsrechten von oben und ein paar Computerkursen, die er absolviert hat, ist das schon möglich!“, kam es von David.

„Ihr habt wohl jeden in der Abteilung durchleuchtet.“

„Nur die, die unter Mr. Hornsby arbeiteten.“

*-*-*

Der Mittag hatte sich hingezogen. Nach einem köstlichen Tee und Gebäck, für das Mrs. Morris gesorgt hatte, wurde beschlossen, alles weitere, David machen zu lassen. Er wollte am darauf folgenden Tag, die geeigneten Schritte tun.

Meine Privatsphäre war plötzlich zur Nebensache geworden und nur noch nach Lösungen gesucht worden. Eigentlich war ich froh, dass niemand mehr über meine Vergangenheit wissen wollte.

Müde stellte ich meine Tasche auf das Sideboard, hängte die Schlüssel ans Dafür vorgesehene Board. Gerade, als ich mich meiner Jacke und Schal entledigte, fiel mein Blick automatisch auf den Spiegel.

Was ich sah, gefiel mir nicht. Dunkle Ringe waren unter meinen Augen. Müde wie ich war, wollte ich mich abwenden, als plötzlich mein Gesicht verschwamm und ein anderes paar Augen an dieser Stelle erschienen. Davids Augen.

Erschrocken trat ich ein Stück zurück, blieb aber an der untersten Stufe der Treppe hängen, was zu Folge hatte, dass ich mit meiner Rückseite auf der Treppe landete.

Schmerz erfüllt stöhnte ich auf. Angus erschien im Flur und schaute mich geschockt an.

„Was machst du denn? Hast du dir weh getan?

Immer noch starrte ich auf den Spiegel, aber Davids Augen waren verschwunden. An meinem Verstand zweifelnd, schüttelte ich den Kopf. Angus half mir auf.

„Dir fehlt nichts?“

Erneut schüttelte ich den Kopf und hängte meine Jacke endgültig an den Haken.

„Komm, ich habe das Essen fertig. Du siehst müde aus. Etwas zu Essen, wird dir gut tun.“

Eigentlich hatte ich keinen richtigen Appetit, aber ich wollte Angus nicht enttäuschen. Bevor ich den Wohnbereich betrat, schaute ich noch einmal zum Spiegel. Kopfschüttelnd, verschwand er aus meinem Sichtbereich.

Wenig später saß ich am Tisch und Angus stellte einen befüllten Teller vor mich.

„Wer soll das alles essen?“, fragte ich.

„Du natürlich, wer sonst?“, antwortete Angus und setzte sich mit seinem Teller mir gegenüber.

„Willst du mich mästen?“

Angus fing an zu kichern.

„Das hebe ich mir für Weihnachten auf!“

„Stimmt ja, Weihnachten bist du dieses Jahr bei mir. Was hältst du davon, wenn wir eine kleine Weihnachtsfeier machen?“

„So richtig, mit allem drum und dran? Weihnachtbaum, Geschenke und ein tolles Dinner.“

„Ja und Blair und Connor laden wir natürlich ein.“

„Wenn Connor nicht wieder ein Date hat.“

„Der soll sich mal unterstehen, oder sie gleich mitbringen.“

„Das wäre eine Primäre!“

„Nicht nur für dich“, grinste ich ihn an.

„So gefällst du mir viel besser.“

„Tja, du bist eben eine Frohnatur und bringst mich immer zum lächeln.“

Ich sah ihn mir länger an, während er sein Essen in sich hinein schaufelte.

„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass du etwas auf dem Herzen hast?“, fragte ich ihn.

„Weil du mich gut kennst?“

„Na dann mal los, was hat unsere Frohnatur auf dem Herzen?“

Ich hatte bereits den halben Teller geleert, als sich ein Völlegefühl einstellte.

„Also… ähm mein Chef meinte, er würde mich gerne nächstes Jahr auf einen Lehrgang schicken…“

„Ja und, ist doch toll, du scheinst nicht so richtig begeistert zu sein.“

„Doch schon…, mit dem Kurs würde ich eine Festanstellung kriegen und endlich richtig Geld verdienen.“

„Aber?“

„… er geht einen Monat… und ich müsste für meine Unterkunft selbst aufkommen…“

„Und du hast Angst, dir reicht dein weniges Geld nicht dafür?“

Angus nickte betrübt.

„Das ist doch das kleinste Problem! Wenn Connor, Blair und ich zusammenlegen, kannst du ohne Probleme dort für einen Monat wohnen, oder?“

„Aber ich will euch nicht ständig auf der Tasche liegen! Sogar jetzt, lässt du mich hier umsonst wohnen.“

„Wenn es mir etwas ausmachen würde, hätte ich dir nie diesen Vorschlag gemacht! Aber was hältst du von der Idee, wir legen dir das Geld aus und wenn du richtig verdienst, kannst du es uns langsam zurück zahlen.“

Natürlich würde ich das Geld nie zurück verlangen, aber irgendwie musste ich ihn doch ködern, wenn er schon so ein super Angebot bekommen hatte.

„Darüber ließe sich reden…, aber die anderen beiden müssen mit einverstanden sein!“

„Das lass mal meine Sorge sein“, lächelte ich ihn an.

*-*-*

Heute Nacht lag ich zum ersten Mal wieder alleine in meinem Bett. Connor hatte für Angus ein Bett organisiert und so schlief er nun in seinem Zimmer, auch wenn es bis jetzt nur kärglich eingerichtet war.

Wieder kamen mir Davids Augen in den Sinn, die ich vorhin im Spiegel gesehen hatte. War das alles nur Einbildung gewesen? Ich atmete tief durch und schüttelte den Kopf. Sicher war ich nur überarbeitet, nach diesen Tagen nur verständlich.

Aber Angus hatte diese rotgelockte Frau gesehen und wie mir einfiel, war für Granny dieser Spiegel etwas Besonderes. Es gab nicht einen Tag, an dem sie ihn nicht putze. Ich schlug die Decke zurück, setzte mich auf und schlüpfte in meine Hauslatschen.

Leise schlich ich die Treppe hinunter und kam vor dem Spiegel zum stehen. Mit der schwachen Beleuchtung von draußen, sah ich mich nur als dunkle Kreatur. Vorsichtig hob ich meine Hand und berührte mit den Fingerspitzen das Glas.

Ich zuckte zurück. Ganz gegen meine Erwartungen, kaltes Glas zu spüren, war dieses warm.

Bilde ich das jetzt nur ein. ~Spieglein, Spieglein an der Wand~ kam mir wieder in den Sinn und ich konnte nicht anders, als zu grinsen.

Das war kindisch! Das war hier kein Zauberspiegel. Festentschlossen dem Spuk ein Ende zu bereiten, legte ich dieses Mal, meine ganze Hand auf die Glasfläche. Sie war wirklich warm und plötzlich hatte ich das Gefühl, der Spiegel würde nachgeben und meine Hand in der Glasfläche versinken.

Erschrocken zog ich erneut meine Hand zurück und glaubte mich für einen winzigen Augenblick zu sehen, obwohl der Flur nach wie vor nicht beleuchtet war.

„Komm!“, hörte ich plötzlich eine Stimme.

Ängstlich schaute ich mich nach allen Seiten um, konnte aber niemand entdecken.

„Trau dich!“, hörte ich erneut eine männliche Stimme, die definitiv nicht von Angus stammte.

Was meinte er damit, ich soll mich trauen?

„Nur einen Schritt!“

Mit großen Augen schaute ich den Spiegel an. Die Stimme kam aus seiner Richtung.

„Wer… ist da?“, fragte ich leise, mit zitternder Stimme.

„Ein Freund!“, antwortete mir der Spiegel.

Wurde ich jetzt wirklich verrückt, oder redete ich hier wirklich mit diesem Spiegel? Warum ich plötzlich erneut meine Hand hob, um den Spiegel zu berühren, wusste ich nicht. Es war als machte sich mein Arm selbstständig.

Eine für mich unbegreifliche Kraft zog förmlich an mir. Wieder berührte ich das warme Glas und die harte Oberfläche war weich. Langsam verschwand meine Hand darin, als wäre es Wasser.

Ich wollte schon schreien und versuchte wieder meine Hand herausziehen, aber irgendetwas zerrte mich ins Innere. Ängstlich, ohne Einfluss oder Gegenwehr wurde ich immer tiefer hineingezogen.

Langsam verschwamm meine Umgebung und ich tauchte völlig in den Spiegel ein. Vor Angst schloss ich die Augen und wusste nicht, was auf mich zukommen würde. Dann war alles still.

*-*-*

Nach der Stille folgte Vogelgezwitscher und ich glaubte zu spüren, dass eine leichte und warme Brise meine Wangen strich. Langsam öffnete ich meine Augen, aber presste sie gleich wieder zusammen. Hier war es hell und die Sonne schien.

Die Sonne? Wo war ich hier? Erneut von der Neugier getrieben, öffnete ich die Augen und stellte fest, dass ich mitten auf einer Blumenwiese stand. Das war sicher alles ein Traum! Wir hatten November, bald würde der erste Schnee fallen.

Langsam drehte ich meinen Kopf und sah plötzlich den Spiegel hinter mir. Er stand hier mitten auf der Wiese.

„Herzlich willkommen in meinem Reich!“

Urplötzlich hörte ich diese Stimme in meinem Kopf und ließ mich entsetzt nach hinten torkeln, was zur Folge hatte, dass es mich setzte. Grashüpfer machten einen Satz von mir weg, Bienen flogen hoch. Ich spürte eine leichte Feuchte und meinen Handflächen.

All das schien so real. Plötzlich begann der Spiegel sich aufzulösen. Doch die Stimme in meinem Kopf blieb, sie lachte.

„Früher warst du nicht so schreckhaft!“, sagte die Stimme, als der Spiegel mit einem Pling völlig verschwunden war.

„… früher…?“, fragte ich ängstlich.

„Ja, als du noch klein und mit Connor hier warst, zusammen mit Großmutter.“

Angestrengt dachte ich darüber nach, wann das gewesen sein sollte.

„Ja, so ist es immer, wenn ihr groß werdet, vergesst ihr alles wieder“, meldete sich die Stimme wieder zu Wort.

„Vergessen?“, fragte ich…, „ich erinnere mich an all die vielen Geschichten, die uns Granny erzählt hat, die Abenteuer und… aber an das hier…?“

„Das waren keine Geschichten…, dass hast du alles selbst erlebt!“

Mittlerweile war ich wieder aufgestanden und klopfte meine Shorts ab, mit der ich eben noch auf dem Boden gesessen hatte. Erinnerungsfetzen von früher kamen zurück, an jene Erzählungen von Granny.

Das Haus, die Wiese und die Bäume. Alles war so, wie ich es jetzt vor mir sah. Erneut drehte ich mich und sah plötzlich das Haus aus meinen Gedanken, das mir zwar bekannt vor kam, aber vorhin noch nicht da gestanden hatte.

„Geh hin, sie wird sich freuen dich endlich wieder zu sehen!“

„Wer?“, fragte ich, aber bekam aber keine Antwort.

„Bist du noch da?“

Wieder blieb es still. So fasste ich mir ein Herz und ging auf das Haus zu. Mit den Hauslatschen war das gar nicht so einfach. Wer sollte hier auf mich warten? Weitere Erinnerungsteile der Geschichte kamen zurück.

Wenn ich mich nicht täuschte, war da auf der rechten Seite eine Veranda und ich fragte mich, warum ich diesen Ort nur als Geschichte in Erinnerung hatte. Ich stoppte, zog meine Latschen aus und lief barfuß weiter.

Der Boden war angenehm warm und leicht feucht. Wie vermutet, tauchte da wirklich eine Veranda auf. Weiß gestrichen, wie auch der Rest des Hauses. Nur das Dach mit seinen kräftig roten Ziegel stach von dem Rest ab.

Dort angekommen sah ich, mit dem Rückenteil zu mir gewandt, einen Schaukelstuhl, der sich bewegte. Nach ein paar weiteren Schritten, blieb ich dann plötzlich abrupt sehen, denn ich traute meinen Augen nicht, was ich da sah. Besser gesagt wen.

„Gran… ny…“, stotterte ich leicht.

*-*-*

Keines Wortes oder Bewegung fähig, starrte ich sie mit großen Augen an. Sie sah aus wie immer. Jetzt wo ich darüber nachdachte, Granny hatte ich nur so in meiner Erinnerung. Die grauen Haare waren zu einem Dutt hinten zusammen gebunden.

Die kleine Nickelbrille auf ihrer Nase, ließen ihre Augen fast winzig erscheinen und das Gesicht zierte ein breites Lächeln. Mit so einem breiten Lächeln erhob sie sich jetzt und drehte sich zu mir.

„Ich dachte schon, du kommst nie…, hallo mein Junge!“, sagte sie und hob die Arme.

Die altvertraute Stimme, die Wärme, die sie ausstrahlte, ließ mich aus meiner Starre langsam auftauen. Die Latschen fiel zu Boden und ich rannte auf sie zu. Nur wenige Sekunden später fiel ich in ihre Arme und fing an zu weinen.

„… ich habe dich so vermisst“, sagte ich heiser.

Ich spürte ihre Hand, wie sie mir durch Haar streichelte und es früher immer getan hatte.

„Ich weiß mein Junge und es tut mir leid, dass ich dich mit all den Problemen habe allein gelassen. Aber meine Zeit war in eurer Welt leider abgelaufen.“

Erst jetzt löste ich mich etwas von ihr. Sie strich über meine Wangen, trocknete die Tränen.

„… eure Welt… abgelaufen? Granny, wie ist das alles hier möglich? Oder träume ich doch?“, fragte ich.

„Du hast wirklich alles vergessen, oder?“

Sachte nickte ich ihr zu.

„Komm, setz dich zu mir, ich versuche es dir zu erklären.“

Während sie sich wieder in ihren Schaukelstuhl gleiten ließ, hielt sie weiterhin meine Hand fest. So setzte ich mich neben sie auf die Bank, die da stand.

„Erinnerst du dich wirklich an gar nichts mehr?“, wollte Granny wissen.

„An deine Geschichten erinnere ich mich…“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

„Das waren keine Geschichten, du hast sie alle selbst erlebt. Zusammen mit Connor und ihr hattet immer so viel Spaß!“

So ganz war ich immer noch nicht davon überzeugt, mein Verstand sagte mir, dass dies alles hier überhaupt nicht sein konnte. Aber mein Herz wehrte sich heftig dagegen und spukte immer noch mehr Gedächnisfetzen aus.

„Du solltest auf dein Herz hören, mein lieber Junge, so wie du es schon immer getan hast.“

Auf mein Herz, das spielte mir zu viele Streiche und hatten mir die Misere der letzten Tage eingebracht.

„Ist es wirklich immer gut, auf mein Herz zu hören, Granny?“

„Finn, dass musst du für dich aus machen. Manchmal hat dein Verstand Recht, ein anderes Mal dein Herz. Das richtige Maß zwischen beiden ist wichtig.“

„Aber wie kann ich wissen, ob ich das richtige Maß habe?“

„Mit jeder Erfahrung, die du machst, lernst du mehr über dich und wirst es dann wissen.“

„Also müsste ich wissen, der Mann, in den ich mich verlieben werde, ob er der Richtige ist?“

„Ist er der Richtige?“

„Mein Verstand schreit Nein, mein Herz überflutet mich mit einem Ja.“

Darauf sagte Granny nun nichts, tätschelte meine Hand und lächelte mich wieder breit an. Ich schaute sie lange an und ließ ihre Worte in meinem Kopf nachklingen.

„Du…, du sagtest vorhin… eure Welt, was hast du damit gemeint?“

„Weil ich hier geboren wurde.“

„Hier?“, fragte ich, machte eine Halbkreisbewegung mit der Hand und zeigte auf die Wiese vor uns.

Als ich dann auch noch in die Richtung schaute, in die ich zeigte, sah ich plötzlich andere Häuser, Bäume und kleine Wälder, Gebirge, einen See konnte ich entdecken.

„Ja hier, im Tal der Tausend Blumen.“

„Aber…, aber wie kommst du dann zu uns?“

„Jano-Tano erlaubt uns immer wieder Ausflüge in andere Welten zu machen.“

„Jano-Tano… andere Welten?“

„Ja, es gibt viele Welten, aber von eurer war ich eben besonders angetan, dort traf ich ja auch deinen Großvater und verliebte mich in ihn.“

Wurde Granny tatsächlich etwas rot?

„Und wer ist Jano-Tano?“

„Jano-Tano ist keine Person. Jano-Tano ist alles was du um dich herum siehst, was du fühlst, oder riechst. Er ist überall.“

Wieder ließ ich meine Blick durch die Gegend wandern und hatte das Gefühl, dass sich die Landschaft ändert sich ständig.

„Aber ich höre seine Stimme in mir.“

„Das spricht für dich, du bist mein Enkel. Ich habe wohl diese Fähigkeit an dich weiter vererbt.“

Erben! Die Familie kam mir wieder in den Sinn und meine Laune sank wieder. Die Hand an meiner Wange, riss mich aus dieser Gedankenwelt.

„Du musst dich jetzt sputen, sonst kommst du womöglich zu spät zur Arbeit.“

„Aber ich…“, ich schaute mich um, weil alles so langsam verschwand.

„Granny! Sehe ich dich wieder?“, rief ich, als sie schon fast verschwunden war.

„Denke an Jano-Tano…“, hörte ich ihre Stimme in meinem Kopf.

*-*-*

Als ich die Augen aufschlug, lag ich in meinem Bett. Was für ein seltsamer Traum. Etwas müde rieb ich mir übers Gesicht, als mein Wecker neben mir, sich lautstark bemerkbar machte.

Fast automatisch schaute ich zu ihm hinüber, stockte aber, als ich ihn ausmachen wollte. Da stand ein kleiner Strauß mit Wiesenblumen auf meinem Nachtisch. Mechanisch drückte ich den Wecker aus.

Der Strauß war gestern noch nicht hier. Ich setzte mich auf und schaute zum Boden. Wo waren meine Latschen geblieben? Hatte ich sie im Bad liegen lassen? Ich beschloss einfach barfuß nach unten zu laufen, um die Kaffeemaschine anzuschalten.

Angus würde sicher auch bald wach werden. So lief ich kurz hinüber ins Bad und stellte dabei fest, der Boden war gar nicht so kalt, wie ich vermutet hatte. Es fühlte sich eher so an, wie auf der Wiese.

Rückartig schaute ich nach unten. Das war doch nur ein Traum, oder? Aber warum konnte ich mich so genau erinnern, an die Farben, die Geräusche und den Geruch. Und letztendlich an Granny.

Etwas später, nach dem Bad lief ich die Treppe hinunter und der Spiegel kam ins Blickfeld. Davor lagen überraschenderweise meine Latschen. War das heute Nacht, doch passiert? Umständlich schlüpfte ich in die Latschen und schaute in den Spiegel.

Es zeigte meine Wenigkeit, mit zerzausten Haaren und müden Augen. Ich hob meine Hand und legte sie auf den Spiegel. Kalt und nicht weich! Komisch! Der Name Jano-Tano kam mir in den Sinn und plötzlich nahm ich eine leichte Veränderung am Spiegel war.

Die Oberfläche erwärmte sich leicht und die Oberfläche schien sich zu bewegen. War ich wirklich bei Granny gewesen, keim Traum? Der Blumenstrauß und auch die Latschen hier unten sprachen für sich.

„Ist etwas mit dem Spiegel?“, riss mich Angus Stimme aus meiner Gedankenwelt.

Augenblicklich ließ ich meine Hand sinken.

„Habe mich nur abgestützt, weil ich meinen Latschen verloren habe und ihn wieder anziehen wollte“, log ich.

Die Oberfläche des Spiegels war wieder normal und ich sah nur mein Spiegelbild. Da fiel mir etwas ein. Wieso hatte Angus im Spiegel ebenso etwas gesehen? Die Beschreibung der Blumenwiese und der rothaarige Frau war viel zu genau, als dass er sich dieses einbilden hatte können.

Mein Blick fiel auf den verwunderten Angus, der immer noch da stand und mich fragend anschaute.

 

Ich entschloss mich, über das nächtliche Vorkommnis, erst mal meinen Mund zu halten. Wie jeden Morgen lief ich direkt ins Büro, als mir die Unterhaltung von gestern in den Sinn kam. War der liebe Mr. Cook wirklich derjenige, der sich an meinem PC vergriffen hatte.

Ich lief durch die offene Tür und sagte laut „Guten Morgen“. Der Gruß wurde von den Kollegen erwidert, aber mir sonst keinerlei weitere Beachtung geschenkt. Nur Humphrey grinste mich freudenstrahlend an.

Lächelte er jetzt nur, weil er dachte, dass man bereits an meinem Stuhl sägt, oder er sich in Sicherheit fühlte, nicht entdeckt worden zu sein? Ich nickte ihm genauso übertrieben lächelnd zu.

Als ich meinen Kopf sich wieder Richtung Arbeitsplatz drehte, verschwand dieses Lächeln sofort. Arbeitsplatz – da wartete die nächste Überraschung, auf dem Platz von gestern saß wieder David.

So steuerte ich meinen alten Platz wieder an, da mein Rechner wohl wieder vorhanden war.

„Hallo Finn“, grinste mich Blair an.

Sie erhob sich sogleich und lief zum Kaffee-Teeboard.

„Hallo Blair“, sagte ich nur, ließ die Jacke von den Armen gleiten und hängte sie über meinen Bürostuhl.

Auf meiner Tastatur lag ein Hefter, den ich mir beim hinsitzen nahm und durchblätterte. Außer einer Liste von möglichen Häusern, klebte ein kleiner Notizzettel darauf, unterschrieben von David.

Ich schaute kurz zu ihm, aber er war an seinem Monitor vertieft. In der Notiz stand, dass ich mich wie immer verhalten sollte und mein PC weiter überwacht wurde, falls jemand darauf versuchte zu zugreifen.

Ich zwang mich dazu, jetzt nicht hinüber zu Humphrey zu schauen. Mit etwas Unbehagen zog ich die Notiz vom Blatt, zerknüllte sie und warf sie in den Mülleimer.

„Du siehst ja richtig erholt aus, heute Morgen“, unterbrach Blair meine Gedanken und stellte mir einen Tee hin, „ist übrigens der gleiche, wie wir schon mit Angus getrunken haben… David auch einen Tee?“

Mein Blick wanderte natürlich zu David, der augenblicklich den Kopf hob.

„Ich…? Ähm… nein danke!“

Unsere Blicke trafen sich nur für einen Bruchteil einer Sekunde, dass aber reichte schon aus, meinem Rücken eine Gänsehaut zu bescheren.

„Oder, doch vielleicht… wärst du so nett?“

Erstaunt schaute mich Blair an und wir beide schauten wieder zu David, der plötzlich komisch grinste.

„Kommt sofort“, sagte Blair.

David senkte den Kopf und ich schaute zwischen den beiden hin und her. Blair trug eine weitere Tasse an den Tisch, dieses Mal zu David. Der dankte ihr, zeigte ihr kurz etwas, worauf Blair kurz zu mir schaute, dann ging sie zurück an ihren Arbeitsplatz und setzte sich ohne einen weiteren Ton von sich zu geben.

Verwundert gab ich nun mein Passwort ein und ohne Probleme öffnete sich mein Arbeitsfeld. Fragen kamen plötzlich in mir auf. Konnte Humphrey mit verfolgen, was ich an meinem Bildschirm tat, oder benutzte er mein Gerät nur als eine Art Schnittstelle?

Ein kleines Fenster ging auf, ich hatte eine Nachricht von Blair. Dieser hauseigene Chat war ganz praktisch, so konnte man sich unnötige Wege sparen, oder wie in Blair und meinem Fall, auch mal privat schreiben, ohne dass es gleich das ganze Büro mitbekam.

Hier hatten sogar die Bleistiftspitzer Ohren. Ich öffnete das Fenster und mit Verwunderung stellte ich fest, dass außer Blair da auch Davids Name stand. Sie hatte ihn wohl eingeladen.

„Was ist?“

„David sagt, jemand hängt an deinem PC!“

Ich schaute kurz zu Blair und David, aber die hatten beide ihre Augen auf dem Monitor.

„Und was soll ich jetzt machen?“

„Nichts!“, kam es von David.

Krampfhaft versuchte ich meine Augen auf dem Monitor zu halten, ohne die beiden  anzusehen.

„Arbeite normal weiter. Nimm die Liste und schau dir die Häuser an, die ich für dich aufgeführt habe, vielleicht ist etwas Passendes dabei.“

Der Hefter war also von David. Aber wie kam er dazu mir zu helfen und wann hatte er das gemacht?

„Danke… und Blair ich habe einfach nur gut geschlafen, um auf deine Frage von vorhin zurück zu kommen.“

Was ich heute Nacht gemacht hatte, wusste ich nicht so recht, aber ich fühlte mich wirklich erholt. Obwohl ich nicht wusste, wie lange ich überhaupt geschlafen hatte, oder die Zeit mit Granny verbracht hatte.

Das alles nur ein Traum war, hatte ich mittlerweile abgehakt, spätestens, als ich an meinen Hauslatschen Rasenreste gefunden hatte. Ich nahm mir also die Liste vor und öffnete die erste Adresse.

Das Haus kannte ich schon, so gab ich die nächste Adresse ein. Das Fensterchen oben links öffnete sich erneut.

„Wie könnt ihr beide nur so ruhig da sitzen?“, schickte Blair als Nachricht.

Ich hob meinen Kopf und lächelte sie an. Dann widmete ich wieder den Adressen.

*-*-*

Etwa ein einhalb Stunden später hatte ich die Liste durch und mir war es gelungen sogar ganze fünf Häuser  zu finden, die interessant waren. Jedes für sich war zwar ebenso ungeeignet, aber entnahm man da und dort einzelne Ideen, kam ein gutes Ergebnis heraus.

Ich zuckte zusammen, als David plötzlich aufstand und das Büro eiligst verließ. Blair schaute mich fragend an, aber ich konnte unwissend nur mit den Schultern zucken. Das Fensterchen an meinem Monitor ging wieder auf.

„Ich komm mir vor, wie bei 007 James Bond!“

„Hier hat keiner geschossen, noch wurde jemand umgebracht und in die Luft gesprengt wurde auch nichts“, entgegnete ich.

Als es darauf hin draußen im Flur schepperte, fuhr ich zusammen. Ein lautes „Sorry, bin nur gestolpert“ war zu hören.

Blair gegenüber hob sich die Hand vor den Mund, aber ich konnte sie trotzdem kichern hören. Kopfschüttelnd atmete ich tief durch und kontrollierte erneut meine Arbeit, bevor ich Drucken drückte.

Der Büroeigene Drucker an der Wand nahm seine Arbeit auf. Ich erhob mich und lief zu dem besagten surrenden Gerät. Dabei kam ich an Humphreys Tisch vorbei, der, als er mich bemerkte, sich mit beiden Armen auf den Schreibtisch lehnte.

So war die Sicht auf seine Unterlagen für mich versperrt. Ich lächelte ihn kurz an, ohne etwas zu sagen. Hätte er sich nicht so ruckartig bewegt, von alleine wäre ich nie darauf gekommen, einen Blick auf seine Dokumente zu erhaschen.

Ich entnahm die bedruckten Blätter und wollte zu meinem Platz zurück, wenn da nicht gerade David wieder die Tür hereinkam und mit direkt vor die Füße lief. Ich sah ihn schon auf mir liegen, aber David stoppte und ließ mir den Vortritt.

So lief ich als erstes an unsere Schreibtische zurück, während er mir folgte und wir uns beide gleichzeitig niederließen.

„Könntest du dir das kurz anschauen, vielleicht wäre das für uns von Nutzen und es wären Räumlichkeiten dafür einzuplanen…, warte ich schicke dir den Link“, kam es von Blair.

Ich erhielt den besagten Link und lass nur Arbeitsagentur.

„Was haben die mit unserem Projekt zu tun?“, fragte ich.

„Ich dachte nur, die bieten Infotage von sich aus an. Wäre es dann nicht gut, so etwas wie einen Aufenthaltsraum einzuplanen, wo man dies abhalten könnte?“

„Gute Idee, an so etwas habe ich noch nicht gedacht“, sagte ich, „könntest du das zusammenfassen und ausdrucken?“

„Fast fertig!“, lächelte mich Blair an.

Hinter mir staden einige Kollegen auf.

„Wie die Zeit vergeht, schon Mittagszeit, Lust etwas zu essen?“

Während ich zu Blair schaute, hörte ich in mich. Da war schon ein kleines Hungergefühl.“

„Hunger hätte ich schon. Kantine oder draußen?“

„Was für eine Frage?“, warf sie mir an den Kopf, bevor sie sich zu David drehte.

Sie wird doch nicht?

„David auch Hunger, möchtest du uns begleiten?“

Sie hatte es getan. Leicht resigniert schaute ich auf meinen Monitor und schloss mein Programm. Gut, ich hatte mit ihr noch nicht über meine Gefühle für David gesprochen, nur angedeutet, aber sie wusste, dass ich nicht wohl fühlte, wenn er in meiner Nähe war.

Stimmte das? Fragte ich mich nun selbst. Er saß fast den ganzen Morgen neben mir, doch bis jetzt hatte es keine Anzeichen dafür gegeben, dass mich seine Gegenwart störte. Hatte das Gespräch gestern mit seinem Ziehvater, meiner Meinung über meinen Nebenmann so geändert.

David nickte, zu meiner Verblüffung und machte Anstalten sich zu erheben.

„Italiener oder Asiate?“, fragte Blair.

„Hm?“, kam es von David und schaute sie fragend an.

„Würdest du lieber asiatisch oder italienisch essen? Das heutige Tagesmenu in der Kantine ist mit unserem Geschmack nicht ganz konform“, erklärte Blair.

„Nett ausgedrückt!“, merkte ich an und grinste.

Sie hätte auch sagen können, dass uns das Essen in der Kantine nicht allzu sehr schmeckte. David kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf, während Blair bereits in ihren Mantel schlüpfte.

*-*-*

Es hatte mal wieder gut gemundet. Zufrieden streichelte ich über meinen Bauch. Wie sonst auch, gab es beim Asiaten reichlich zu essen und zum ersten Mal konnte ich David beobachten, wie er mit Heißhunger über sein Essen herfiel.

Viel gesprochen wurde dabei nicht und Blair konnte ungehindert von einem neuen Pub vorschwärmen, welches sie in der Innenstadt gefunden hatte Als wir wenig später wieder gemeinsam das Büro betraten, bemerkte ich zwei Männer, die an Humphreys Tisch stand und irgendwelche Ausweise zeigte.

Ich wollte schon stehen bleiben, aber plötzlich spürte ich Davids Hände auf meinem Rücken.

Die erneute Gänsehaut, die bis zum Nacken hoch wanderte, hinderte David natürlich nicht daran mich Richtung meines Platzes zu schieben.

„Aber wieso?“, hörte ich Humphrey laut sagen, „ich habe nichts gemacht!“

War das jetzt gespielt, oder war er wirklich nicht derjenige, den wir vermuteten.

„Kommen sie einfach bitte mit“, sagte der eine Mann.

Humphrey erhob sich und griff nach seiner Tasche und Jacke. Dann verließ er mit den zwei Männern das Büro. Dabei war mir nicht entgangen, dass er andere fast unmerklich David zu nickte.

„Wer war das?“, fragte Blair, während sie sich ihres Schals und Mantels entledigte.

David schüttelte aber nur leicht den Kopf und zeigte auf seinen Monitor. Ich gab erneut mein Passwort ein, der Zutritt wurde mir gewährt. Wie so oft an diesem Tag blinkte mein Mitteilungskästchen oben links. Als ich es öffnete, war Blair bereits da.

„Die waren von der Bankaufsicht!“, schrieb David.

Mit großen Augen schaute ich zu Blair.

„Die sind mit mir letzte Woche bereits angereist und hielten sich im Hintergrund.“

„Aber ich dachte, du führst die Untersuchung“, schrieb Blair.

Die Meinung hatte ich auch. Aber mir fiel auf, dass über den Betrug in London hier im Büro noch nicht viel gesprochen wurde. Es war ja auch nur bekannt gegeben worden, dass unser Abteilungsleiter, Mr. Hornsby, aus privaten Gründen beurlaubt worden sei und solange Mrs. Greenwich unsere Ansprechpartner sein sollte.

Mich wunderte, dass nicht mehr darüber geredet wurde. Vielleicht war es den anderen schlicht weg egal und es interessiert keinen. Auch sonderbar war es, dass Mrs. Greenwich nicht mit einbezogen wurde.

„Nein, Paul wollte nicht, dass ich ins Kreuzfeuer der Kollegen gerate und als Spitzel der Bankaufsicht da stehe. Er dachte wohl, dass könnte meiner Image schaden.“

Soso… Paul wollte nicht. Jetzt musste ich doch etwas grinsen. Sein Ruf als Sprücheklopfer und Playboy, war im ganzen Haus bekannt, was sollte ihm da noch schaden. Aber es verging mir gleich wieder, als sie Erinnerung an das Gespräch von gestern zurück kam.

„Eins verstehe ich aber nicht, wurde die Greenwich nicht von Anfang an in die Sache wie wir eingeweiht?“, wollte Blair wissen.

Da hatte Blair wohl die gleichen Gedankengänge wie ich gehabt.

„Nein, weil wie Paul bereits gestern erzählt hat, Hornsby nie in der Lage gewesen wäre, dass alleine zu bewerkstelligen und mein Verdacht war eben, dass seine Stellvertreterin eventuell mit drin hängt“, beantwortete Davis Blairs Frage.

Aber Pauls Verdacht fiel leider auf mich, weil ich engsten Mitarbeiter von Hornsby war. Ausschließlich David hatte ich es zu verdanken, dass dieses Missverständnis geklärt wurde.

„Sie hatte die Anweisung für allgemeine Fragen zur Verfügung zu stehen, ging es aber um Systemprobleme, sollte sie dies umgehend an die Geschäftsführung weiterleiten“, schrieb David weiter.

„Aber Hornsby hat sie doch sicher gewarnt!“, kam es von Blair.

„Das war ihm nicht möglich, denn er sitzt in Untersuchungshaft!“

Das hatte uns bisher noch niemand erzählt. Etwas anderes lenkte unsere Aufmerksamkeit Richtung Eingang. Anne unsere Tratschtante, die immer über alles Bescheid wusste.

„Leute, wisst ihr, was ich eben gesehen habe…?“

War das nun eine rhetorische Frage, denn sie würde uns doch sicher gleich überschwänglich mitteilen, was sie gesehen hatte.

„Humphrey und die Greenwich wurden gerade eben vor der Bank, in einen Polizeibus verfrachtet!“

Ich schaute kurz zu Blair und David, bevor ich mich wieder zu Anne wandte. Aber die von ihr wohl erwartete Reaktion trat nicht ein. Da kamen Bemerkungen wie, die hat schon immer Dreck am Stecken, bei Humphrey wurde das auch langsam Zeit, oder die würden auch gut zusammen passen.

Ich sollte wirklich meine Sicht über meine Kollegen ändern. Was dachten die wohl von mir und Blair? Anne schaute jedenfalls entsetzt von einem Kollegen zum anderen und ließ sich unsicher auf ihren Stuhl nieder.

„Dein PC ist sauber“, hörte ich David leise hinter mir sagen und ich drehte mich zu ihm.

Fragend schaute ich ihn an.

„Es greift niemand mehr auf deinen PC zu“, flüsterte er in meine Richtung.

*-*-*

Ich hatte Angus mit geteilt, dass wir heute Abend Gäste zum Essen hatten. Blair war auf die verrückte Idee gekommen, die Verhaftung der drei vom Büro, gebührend zu feiern. Neben Connor hatte sich natürlich auch David eingeladen.

Nur mit einem leichten Murren hatte ich zu gestimmt. Als ich zu Hause eintraf, war das Gebäude hell erleuchtet, zumindest der untere Stockwerk. Ich schloss die Haustür und mollige Wärme kam mir entgegen.

Da hatte wohl jemand den Kachelofen in Gang gesetzt. Am Spiegel vorbei, dessen Oberfläche ich zärtlich streichelte, entledigte ich mich meiner dicken Haut und streifte die Schuhe ab. Etwas wehmütig sah ich noch einmal zum Spiegel.

Wie gerne hätte ich jetzt alles Granny erzählt, so wie ich es schon früher immer gemacht hatte, aber das ging wohl nicht. Angus brauchte auch sicher meiner Hilfe. Nachdem ich meine Tasche verstaut hatte und den Wohnbereich betreten wollte, traf mich die nächste Überraschung. Connor war da.

„Endlich kommst du! Gäste einladen und uns die Arbeit machen lassen! Schöner Freund bist du!“

„Auch guten Abend“, erwiderte ich sein Gesagtes.

Angus stand am Herd und grinste nur. Connor schüttelte darauf hin nur den Kopf und widmete sich wieder dem Kachelofen.

„Da solltest du dich bei Blair bedanken, sie hatte die geniale Idee, also beschwer dich nicht bei mir!“, gab ich nun Contra.

Connor winkte ab. Was war denn dem über die Leber gelaufen? Hatte Blair eines seiner berühmten Dates auffliegen lassen. Ich ging zu Angus, um zu fragen, was ich ihm helfen konnte, aber auch der winkt nur ab.

„Geh du duschen, hier ist bereits alles am Laufen…, vielleicht kannst du mir nachher noch beim Tischdecken helfen.“

„Okay, wenn du meinst“, sagte ich und verließ den Wohnbereich wieder.

Am Spiegel vorbei, der sich wieder nicht rührte, hinauf in mein Zimmer. Schnell waren die Kleidungsstücke vom Tag abgelegt und der Weg drei fürs Badezimmer. Wenig später prasselte bereits das erste Nass auf meinen müden Körper.

Irgendwie spülte es die Sorgen vom Tage den Abfluss hinunter. Meine Gedanken drehten sich um Granny, dass es eine Chance gab, noch einmal mit ihr zu reden. Die Trauer um sie war groß gewesen, obwohl der schleichende Tod lange bekannt war.

Die Hausglocke riss mich aus dem Gedanken und ich wusste nicht, wie lange ich bereits unter der Dusche stand. So sputete ich mich, fertig zu werden. Halb nass, flitzte ich ins Zimmer hinüber und stand vor dem nächsten Problem.

War es Klischeedenken, wenn man ein Kleidungsproblem hatte, nicht wusste was man anziehen sollte? Ich entschied mich für locker legere und schlüpfte in Jeans und T-Shirt, alles andere wäre mit dem Kachelofen unten, eh zu warm gewesen.

Ich löschte die Lichter, warf mein Handtuch im Bad in die Wäschetonne und machte mich auf den Weg nach unten. Auf der letzten Stufe, als ich mich gerade Richtung Wohnbereich drehen wollte, sah ich wieder diese Augen im Spiegel.

Abrupt blieb ich stehen. Es waren wieder die Augen von David, genauso traurig, doch der Blick recht intensiv. Warum sah ich sie jetzt zum zweiten Mal schon? Was wollte mir der Spiegel damit sagen?

Ich musste dringend mit Granny darüber reden, vielleicht wusste sie ja Bescheid. Die Augen verschwanden und ich sah nur noch mich. Ein Grinsen machte sich breit. Gestern Nacht hätte ich mir fast in die Hosen gemacht, als ich in den Spiegel plumpste und nun wünschte ich mir nichts sehnlicheres, als mit Granny zu reden.

„Schau dir diesen eingebildeten Pinkel an, steht da vorm Spiegel und lässt uns warten!“

Ich fuhr zusammen, weil ich Blair nicht bemerkt hatte.

„Man tut was man kann“, entgegnete ich nur, fuhr mir durchs Haar und lief grinsend auf sie zu.

Obwohl wir uns am Mittag erst nach dem Geschäft getrennt hatten umarmten wir uns zur Begrüßung. Als ich mit ihr dann den Wohnbereich betrat, stand David bei Angus, der immer noch am Herd fuhrwerkte.

Es war das erste Mal, dass ich ihn mal nicht im Anzug sah. Wie ich trug er Jeans, aber ein langarmiges und enganliegendes Shirt. Es war auch eine Premiere, sein Body so zu sehen. Blair hieb mir leicht ihren Ellenbogen in die Seite.

Voll Scharm musste ich wieder zugeben, viel zu wenig über David zu wissen.

„Hör auf zu starren, begrüße deinen Gast!“, flüsterte Blair.

„Du hast ihn ein geladen.“

„Sind wir wieder im Kindergarten?“

Als Antwort streckte ich ihr die Zunge heraus und lief langsam zu David.

„Guten Abend, David.“

Er drehte sich um.

„Guten Abend, Finn, danke für die Einladung.“

„Es freut mich, dass du es einrichten konntest zu kommen.“

Conner kicherte leise am Kachelofen.

„Glenda meinte, ich solle mehr unter Leute und mich nicht zu Hause verkriechen.“

„Du wohnst nicht bei Paul und Glenda?“

„Nein, schon eine Weile nicht mehr.“

„Genug geplänkelt, setzt euch, das Essen ist fertig!“, unterbrach uns Angus.

Connor erhob sich und kam an den Tisch. Gemeinsam setzten wir uns und sahen schweigend zu, wie Angus ein Töpfchen und Schüsselchen, nach dem anderen, auf den Tisch stellte.

„Angus, wer soll das alles essen?“, fragte Blair.

„Keine Angst, sieht sehr viel aus, ist es aber nicht, ich wünsche guten Appetit“, antwortete Angus und setzt sich nun auch.

Er hob die Deckel von den Töpfen und ein herrlicher Geruch verbreitete sich im Raum.

„David, Blair hat erzählt, dass die Vorgesetzten von Finns Abteilung verhaftet wurden?“, fragte Connor plötzlich.

„Ja und ein Mitarbeiter, aber nur das Abteilungsleiterduo wurde heute Mittag dem Haftrichter vorgeführt. Die Beweise sind ausreichend.“

„Für diesen Humphrey reichte es nicht?“

David schüttelte den Kopf.

„Aber Finn ist dadurch komplett entlastet, oder?“

„Ja, aber ich habe nie geglaubt, dass Finn irgendetwas etwas mit der Sache zu tun hat.“

Das hatte David alles gesagt, ohne mich auch nur ein einziges Mal anzuschauen. Dafür grinste mich Connor blöde an.

„Und was wird nun, gehst du zurück nach London?“

„Nein, ich bleibe hier, London war… war nur eine Übergangslösung. In der Bank wird es einige personelle Änderungen geben.“

Warum stockte er jetzt und was meinte er mit personellen Änderungen? Nein, er wird doch nicht der neue Abteilungsleiter? Dann hätte ich ihn als Vorgesetzten.

„Schmeckt es nicht, Finn? Dein Teller ist ja noch leer!“, sagte Angus.

„Sorry…, ähm ich weiß nicht mit was ich anfangen soll…“

„Wieso fängst du nicht wie wir, mit der Suppe an?“, grinste mich Blair frech an und Connor und Angus kicherten.

Natürlich spürte ich das Rot auf meine Wangen, sie glühten förmlich, als ich mir begann die Suppe zu Schöpfen.

„Wirst du dann Abteilungsleiter, David?“, fragte Blair plötzlich aus heiterem Himmel.

Mir fiel der Löffel aus der Hand und landete scheppernd auf den Tellerrand.

„Wie Finn, schwächelst du schon?“, grinste Connor mich an.

Ich verzog mein Gesicht zu einer Fratze und nahm den Löffel wieder auf.

„Um deine Frage zu beantworten, greife ich vielleicht Paul vor, aber eine Position als Abteilungsleiter und Stellvertreterin mit eigenem Büro wird es als solches nicht mehr geben.“

Das war jetzt wirklich interessant, aber wer soll dann die Abteilung leiten?

„Wie soll so etwas funktionieren?“, fragte Angus, der gerade seinen Teller leer löffelte, „jede Abteilung braucht eine Führungsperson, so wie bei mir der Vorarbeiter, der sagt wo es lang geht.“

„Da gebe ich dir Recht, aber die Londoner Hauptfiliale hat da eine sehr gute Lösung und die möchte unser Chef so übernehmen. Was ich weiß, dass es noch nach Weihnachten größere Umbauarbeiten geben wird, weil ja die zwei Büros verschwinden und unser Büro somit vergrößert wird.“

„Wenn die Wand zu den Büros verschwindet, was wird dann aus meiner kleinen Teeküche?“, fragte Blair entsetzt.

„Die muss leider weichen…“, antwortete David.

„Was? Wo soll ich dann in nächster Zukunft unseren Tee kochen, das ist doch eine wichtige Bereicherung unserer Arbeit!“

Blair war lauter geworden und ich musste nun auch grinsen.

„Wie gesagt, ich möchte nicht vorgreifen, am besten ihr lasst euch das von Paul morgen Mittag selbst erklären.“

„Morgen?“, plärrte Blair, „da ist Samstag!“

„Ja da sind du und Finn bei Paul und seiner Frau zum Tee eingeladen…“

*-*-*

Mit einem etwas mulmigen Gefühl, befuhr ich das Grundstück. Blair hatte mich mit ihrem Redeschwall schon ziemlich nervös gemacht.

„Schau, David ist auch da“, meinte sie und zeigte auf dessen Auto, das neben dem Wagen des Chefs parkte.

Ein weiterer Wagen stand dort, aber dessen Besitzer kannte ich nicht. Als der Wagen stand, stieg Blair bereits aus.

„Komm los, wir sind eh schon spät dran.“

„Hättest du dich früher entschieden, was du anziehst, wären wir nicht zu spät dran!“, konterte ich und stieg ebenso aus.

Die Haustür öffnete sich und unser Chef erschien lächelnd.

„Hallo! Schön dass ihr es einrichten konntet, zu kommen“, begrüßte er uns.

Wegen der Verhaftung der Abteilungsführung wurde das Meeting gestern am Freitag gecancelt und ich hatte David die gesammelten Vorschläge gegeben und eben diese Mappe hatte Paul nun in der Hand.

„Hallo“, meinte Blair und schüttelte ihm die Hand.

„David“, sagte Paul nur und schüttelte mir ebenso die Hand.

„Kommt doch herein, die anderen warten bereits.“

Andere, wen außer David war denn noch da? Wir folgten ihm den bekannten Weg und betraten dann das Wohnzimmer, wo wir neben David und Glenda auch Phillip, seinen Sohn antrafen.

Ich war verwundert und auch ratlos. Was sollte das? Phillip wurde mir und Blair vorgestellt und mein Blick wanderte zu David, der mir etwas gequält zu nickte.

„Fängt ihr Sohn nun auch in der Bank an?“, fragte Blair neugierig wie sie war.

„Nein, Gott bewahre, den gleichen Job wie mein Vater wäre nie mein Ding“, antwortete Phillip lachend, bevor unser Chef etwas sagen konnte.

„Nein, mein Sohn ist heute als Architekt hier. Wie ich von David erfahren konnte, hat er ihnen bereits mitgeteilt, dass wir ihre Abteilung umbauen möchten…“

Blair und ich nickten, während die Hausherrin aufstand. Glenda, bemüht um das Wohl der Gäste verteilte Tee und Gebäck. Sie stellte Scones, Marmelade und Clotted Cream auf den Tisch.

„…aber vorneweg, ihre Vorschläge für das neue Projekt gefallen mir durchweg, aber da sprechen wir in gegebener Zukunft darüber“, sprach Paul weiter.

Ich nickte ihm zu.

„Warum ich sie beide eingeladen habe, im privaten, ich möchte mit ihnen über die Zukunft ihrer Abteilung reden. Da ich kein Freund langer Reden bin…“

Phillip begann zu lachen, aber seine Mutter rügte ihn zur Ruhe. Er verstummte. David reagierte nicht darauf, schaute nur auf seine Tasse. Paul sah seinen Sohn ernst an, wandte sich aber dann wieder lächelnd zu uns.

„…komme ich gleich zum Punkt. Ich möchte ihnen Finn die Leitung der Abteilung anbieten, mit David und Blair, als ihren Stellvertreter …, ein Dreierteam also, welches die Geschicke der Abteilung in Zukunft leiten soll.

Sprachlos blickte ich erst Blair dann David an, bevor ich wieder zu meinem Chef sah.

„Ähm… wie komme ich zu dieser Ehre? Es gibt doch sicher einige in der Abteilung, die besser für diese Position geeignet wären!“

„Eben nicht, Finn. Ich habe ihre bisherigen Arbeiten gesehen, die sie in den letzten fünf Jahren für uns abgeliefert haben. Alles ausgezeichnete Arbeiten! Sie sind in meinen Augen, für diesen Job, mehr als geeignet.“

Ich nickte ihm etwas beschämt zu. Solche Komplimente bekam man nicht alle Tage.

„Mit ihren Computer und Fachkenntnissen und der Hilfe von David und Blair würden sie ein gutes eingespieltes Team abgeben, wie mir die Vorschläge ihres neuen Projektes das schon gezeigt hat!“

„Aber David…“, stammelte eine ebenso verwunderte Blair neben mir.

„David hat von vornerein diese Position abgelehnt, bevor er noch von meinen Plänen wusste“, warf Mr. Morris ein.

„Du bist blöd, David, du solltest jede Möglichkeiten nutzen, um aufzusteigen!“, sagte  Phillip.

„Ich bin nicht so wie du! Ich fang nichts mit dem Chef an, um in der Firmenhierarchie aufzusteigen!“, kam es scharf von David.

„Tja, dein Chef ist mein Vater, da hättest du wirklich keine Chancen!“, konterte Phillip und begann an zu lachen.

„Phillip!“, zischte Paul kurz.

Das war vielleicht ein Früchtchen. Seine Beliebtheit fiel bei mir sofort auf null. Er hatte anscheinend David mit seinem Chef betrogen. Nun verstand ich auch irgendwie David.

„Was denn?“, sagte Phillip, „man darf doch wohl noch sagen, was man denkt!“

„Wenn es angebracht ist, Sohnemann“, sagte plötzlich Glenda, „und ihr zwei fangt jetzt nicht an zu streiten!“

Die Hausherrin hatte gesprochen und Phillip schwieg, während David wieder auf seine Tasse starrte.

„Was halten sie von meinem Vorschlag, Finn?“, nahm unser Chef den roten Faden von vorhin wieder auf.

„Ähm…, kann ich mir das in Ruhe überlegen? Solch ein Angebot bekommt man nicht alle Tage.

„Reicht ihnen das restliche Wochenende? Montag?“, fragte Paul.

„Was willst du da noch überlegen?“, fragte Blair.

„Blair bitte…!“

Sie hob abwehrend und schüttelnd ihre Hände und schwieg.

*-*-*

Ich saß auf der zweitletzen Stufe, der Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Ich war alleine und wusste nicht, wo sich Angus befand. Der Vorschlag meines Chefs ging mir immer wieder durch den Kopf.

War ich dem wirklich gewachsen? Mein Blick schaute starr auf den Spiegel, sah mich, davor sitzend. Aber wovor hatte ich Angst? Vor der Verantwortung, vor den Kollegen? Warum ich plötzlich Tone-Juno rief, war mir nicht bewusst.

Die Sehnsucht, nach Granny Rat, machte sich wohl unterschwellig breit. Mein Bild verschwand und die grüne Blumenwiese erschien wieder. Ohne dieses Mal zu zögern, ging ich auf den Spiegel zu und fang mich wenige Sekunden später wieder auf der anderen Seite.

Ohne mich groß umzuschauen, lief ich direkt zu Grannys Haus und fand sie wie letztes Mal, auf der Veranda sitzend vor.

„Hallo Granny“, rief ich freudenstrahlend und lief die drei Stufen zur Veranda hinauf.

„Hallo mein Junge, das ist aber schön dass du kommst!“

Ich umarmte sie lange, bevor ich mich neben sie setzte. Die Tür zum Haus ging auf und eine junge Dame, mit einem Tablett trat heraus. Sie hatte leuchtend rote Haare.

„Darf ich dir vorstellen, das ist Melanie, die mir etwas zur Hand geht.“

„Wie? Du kannst nicht mehr zaubern?“, fragte ich grinsend.

Granny fing schallend laut an zu lachen, auch diese Melanie kicherte etwas.

„Du hast mir immer solch tolles Essen gezaubert!“

Granny beruhigte sich etwas, während Melanie mir und Granny eine Tasse Tee servierte.

„Junge, das habe ich einfach nur gekocht, das hat nichts mit Zauberei zu tun!“

„So einfach nun auch nicht, wie gesagt, es hat immer toll geschmeckt!“

„Danke Finn! Aber ein anderes Thema, was bedrückt dich? Wenn ich in deine Augen schaue, sehe ich genau, dass du etwas auf dem Herzen hast.“

Melanie hatte uns mittlerweile wieder alleine gelassen.

„Du kennst mich einfach zu gut!“

Sie nahm meine Hände in die Hand.

„Du hast dich schon längst entschieden, warum sträubst du dich dagegen?“

Ich sah Granny lange an, ihre leuchtend blauen Augen funkelten mich an. Dann ließ ich meinen Kopf sinken.

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“

„Du hast als Kind schon, Connor immer gut im Griff gehabt, auch wenn er älter als du ist. Warum solltest du jetzt Probleme damit haben?“

„… ich einfach nicht weiß, ob ich dem gewachsen bin.“

„Meinst du die Arbeit, oder David?“

*-*-*

Ich hatte mir etwas Bequemeres angezogen und war auf dem Weg nach unten.. Der Fernseh lief, also schien Angus zuhause zu sein. Als ich den Wohnbereich betrat, war es recht dunkel nur die Helligkeit der Mattscheibe, erhellte den Raum.

Auch bemerkte ich, das Angus zwar den Fernseh anstarrte, aber nicht zusah.

„Angus?“

Er zuckte leicht zusammen und sah zu mir auf.

„Hallo…, hast du gut geschlafen?“

„Geschlafen…?“

„Ich habe nichts in deinem Zimmer gehört, da nahm ich an, dass du schläfst.“

„Nicht richtig…, eher gedöst und was ist mit dir?“

Ich ließ mich in den Sessel fallen und schwang meine Beine über die Lehne. Angus dagegen setzte sich auf.

„Glaubst du an Liebe auf den ersten Blick?“

„Hm…, das kann ich dir nicht beantworten.“

„Darf ich fragen warum?“

Klar durfte er fragen, aber ich konnte und wollte mir vielleicht auch keine Gedanken darüber machen. Es brachte nichts.

„Weil ich so etwas einfach noch nicht erlebt habe.“

„Und wie war es dann mit David?“

Bisher hatte ich wie er aufs Fernseh geschaut, auch wenn ich nicht richtig war nahm, was da kam. Aber jetzt fuhr mein Kopf herum und ich sah ihn direkt an.

„Wie kommst du jetzt auf David?“

„Endfindest du denn für ihn nichts?“

„Wenn ich das mal wüsste…“

Ich ließ mich wieder zurück gleiten und senkte meinen Kopf auf die Lehne des Sessels.

„Weiß man so etwas denn nicht?“

„Angus, dass heißt nur, ich bin mit meinem Gefühlen David gegenüber, einfach nicht im Klaren!“

„Verstehe ich nicht. Seit ich die Frau mit den roten Haaren im Spiegel gesehen habe, möchte ich sie kennen lernen, weil ich sie einfach toll finde.“

Die Frau mit den roten Haaren. Melanie, kam mir in den Sinn. Wie war es möglich, dass Angus sie im Spiegel gesehen hatte? Was für einen Verbindung hatte er zu diesem Spiegel? Er hatte ihn doch erst bei meinem Einzug zum ersten Mal gesehen. Wieder hob ich den Kopf und schaute zu ihm.

„Was genau hast du denn gesehen? Denkst du sie gibt es wirklich?“

„Eine wunderschöne Frau, in einem langen weißen Kleid, die über eine Blumenwiese tanzte. Dahinter ein paar Bäume und ein Haus. Und eben diese tollen lockigen roten Haare, wie ich sie selbst habe.“

Ich musste grinsen, da hatte es einen wirklich erwischt. Nach kurzem Überlegen, setzte ich alles auf eine Karte.

„Das Haus war weiß gestrichen?“

„Ähm… ja…“

„Mit einer Veranda auf der rechten Seite…?“

Angus machte große Augen.

„Woh… Woher weißt du das?“, stotterte Angus.

Ich grinste ihn breit an.

„Och…, vielleicht habe ich es auch schon gesehen…“, antwortete ich, ließ mich zurückgleiten und starrte wieder auf die Mattscheibe.

Plötzlich erschien ein Kopf über mir. Ich zuckte etwas zusammen.

„Finn, du weißt mehr, als du mir erzählst.“

„Kann sein…“, kicherte ich.

Er umrundete den Sessel und baute sich vor mir auf. Trotz seiner geringen Größe, sah er mit dem weißen Muskelshirt und Jogginghose imposant aus.

„Finn Lennox, du sagst mir jetzt auf der Stelle, was du weißt!“

Mit den Händen in den Seiten gelehnt hatte er fast etwas Bedrohliches. Wieder musste ich kichern. Mit meiner Hand versuchte ich ihn zur Seite zu drücken.

„Du stehst im Bild, ich kann ja gar nichts sehen.“

Als nächstes spürte ich einen Finger, der sich in meine Seite bohrte. Mit einem Schrei fuhr ich hoch.

„Du weißt doch etwas über die Frau… sag schon!“

Ich hob meine Hand, strich zärtlich über seine Wange und zog seinen Kopf ganz dicht an mich heran.

„Und wenn ich nicht will?“, hauchte ich ihn an.

„Finn!“, rief Angus laut, wehrte meine Hand ab und begann mich zu kitzeln.

Ich wollte ihn wegdrücken, aber das kleine Kerlchen hatte richtig Kraft. Klar blieb die Arbeit an den Docks nicht unbemerkt, auch ihm kam das zu Gute. Lachend hob ich die Hände, versuchte ich ihn abzudrängen.

„Angus hör auf… ich erzähl es dir ja schon.“

Augenblicklich verschwanden die Finger und ich atmete tief durch, dann versuchte ich mich richtig hinzusetzten. Erst jetzt nahm ich die Muskeln war, die seine Arme zierten.

„Also, ich höre?“

„Glaubst du an Feen, Elfen und so ein Zeug?“

Wie ich jetzt auf Feen und Elfen kam, wusste ich selbst nicht

„Warum willst du das wissen?“

„Weil ich dir sonst nicht erzählen kann, was ich weiß.“

Angus ließ sich auf dem Boden nieder und setzte sich wie ein Kind im Schneidersitz.

„du weißt, dass ich auf solche Dinge abfahre! Als warum möchtest du das wissen?“

„Kannst du dir vorstellen, dass es irgendwo ein… Reich gibt, wo immer die Sonne scheint und immer die Blumen blühen?“

„Ja!“, strahlte mich Angus an.

„Würdest du da gerne hingehen?“

„Klar!“, lachte Angus.

„Jetzt sofort?“

„Wie jetzt sofort?“

„Wenn wir beide, die Möglichkeit hätten, in dieses Land zu gehen, würdest du mich begleiten wollen?“

In Angus Kopf schien es mächtig zu rumoren, denn es schien, als schaute er durch mich hindurch. Ein Wimpernschlag und sein Blick änderte sich wieder.

„Du hast einen Zugang gefunden, stimmt es?“

„Ja…“

Seine Augen wurden erneut groß.

„Und du willst, mit mir dorthin gehen?“

„Ja…, unter einer Bedingung…!“

„Welche?“

„Das bleibt unter uns!“

„Versprochen!“, sprudelte es aus Angus heraus und legte seine Hand sogar auf sein Herz.

Ich musste lächeln und erhob mich. Nach seiner Hand greifend, zog ich ihn hoch.

„Dann komm!“

„Du meinst das also wirklich ernst…, willst mich nicht verschaukeln, … so als Rache, weil ich dich durch gekitzelt habe?“

Wieder ging ich mit meinem Gesicht, dicht an seins. Er wich etwas zurück.

„Habe ich dich je angeschwindelt?“

Zaghaft schüttelte er den Kopf.

„Dann komm!“

„… ähm, darf ich dich noch etwas fragen?“

„Angus, du darfst mich alles fragen!“

„Findest du mich nicht anziehend?“

Ich zog die Augenbrauen hoch und schaute ihn durchdringend an. Mit dieser Frage, hätte ich jetzt nicht gerechnet.

„Also ich me… meine“, fing er wieder an zu stottern, „ich ku… kuschle gerne mit dir, schl… schlafe nackt in deinen Armen, …wo… wolltest du nie mehr von mir?“

Ich konnte nicht anders und musste breit grinsen. Dann strich ich ihm erneut über seine Wange.

„Angus, ich weiß, dass du auf Frauen stehst und ja, ich finde dich absolut süß und begehrenswert! Aber…, für mich bist du wie ein kleiner Bruder, der ich wahnsinnig lieb habe.“

Um das Gesagte zu unterstreichen, nahm ich ihn in den Arm und küsste seine Stirn. Seine Arme schlangen sich fest um mich und ein leises „danke“ war zu hören.

*-*-*

Ich hatte vorsorglich den Fernseher ausgemacht und das Licht im Zimmer , bis auf ein kleines Lämpchen auf dem Fenstersims reduziert. Danach hatte ich Angus vor den Spiegel gezogen. Langsam schien mein kleiner Freund es doch mit der Angst zu tun, denn er drückte sich eng an mich und leichte Gegenwehr war zu spüren.

„Angus, wir müssen nicht, wenn du nicht willst.“

„Doch ich will…, aber es ist etwas unheimlich.“

„Keine Sorge, dir passiert nichts und ich verstehe dich, es ging mir beim ersten Mal nicht anders!“

„Du warst schon öfter dort?“

„Früher ja, aber das ist eine andere Geschichte.“

Angus sah an sich herunter.

„Soll ich mir nicht anderes anziehen?“

„Warum?“, lachte ich.

„Ich… bin doch unpassend gekleidet, oder?“

„Angus, ich habe fast dasselbe an wie du, glaub mir, das reicht völlig.“

„Aber ich geh schnell hoch und hol mir Schuhe!“

Dieses Mal nahm ich mit beiden Händen seinen Kopf und zog ich wieder dicht an mich heran.

„Du kannst so bleiben wie du bist, Kleiner! Keine Sorge, es ist alles in Ordnung.“

Ich richtete mich auf nahm seine Hand und schaute auf den Spiegel.

„Tano-Jano!“, sagte ich leise und spürte, wie sich der Druck von Angus Hand auf meine Finger verstärkte.

Wie beim letzten Mal, begann das Spiegelbild von uns beiden, dass ich übrigens recht lustig fand zu verschwimmen und wandelte sich in das gewohnte Bild der Wiese.

„Wow!“, hörte ich Angus neben mir flüstern.

„Bereit?“, fragte ich ihn und er nickte.

Ich hob die Hand, berührte den Spiegel mit der Fingerspitze, dessen Oberfläche sich darauf ringförmig nach außen bewegte.

„Darf ich auch?“, sagte Angus aufgeregt.

Ich nickte. Auch er hob nun seine Hand und tat mir es gleich. Wieder bewegte sich die Oberfläche, als hätte man einen Stein ins Wasser geworfen.

„Das ist ganz warm“, meinte Angus leise, ohne meine Hand loszulassen.

„Willkommen in meinem Reich“, hörte ich Tano-Janos Stimme in meinem Kopf.

Angus wich entsetzt zurück.

„Ha… hast du das auch gehö… hört?“

„Ja, das ist Tano-Jano… und nun komm!“

Ohne auf eine Reaktion von Angus zu warten, zog ich ihn einfach mit mir und wenige Sekunden später stand er mit mir auf der Wiese. Er hob die Hand und verdeckte seine Augen. Eben noch im dunklen Flur und jetzt in der Sonne, verständlich.

Langsam sank die Hand und er schaute auf seine immer noch nackten Füße. Seine Zehen spielten mit dem Gras.

„Das ist ganz warm und feucht…“, sagte er leise und fing an zu kichern.

„Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen.“

„Die Frau mit den roten Locken?“

Seine Aufregung war wieder sichtbar und sein Gesicht wurde rot.

„Sie heißt Melanie, aber ich weiß nicht ob sie da ist! Ich will dir jemand anderes vorstellen.“

„… Melanie… schöner Name“, flüsterte er.

Ohne etwas zusagen, zog ich ihn Richtung Haus, das am Rand der Wiese stand.

„Da ist das Haus wieder und es sieht genauso aus, wie du gesagt hast“, meinte Angus neben mir.

Meine Hand ließ er nicht los. So umrundete ich das Haus und die man hatte freie Blick auf die Veranda. Lächelnd stellte ich fest, dass Granny wie gewohnt in ihrem Schaukelstuhl saß. Als sie uns bemerkte, begann sich zu lächeln.

„Hallo Finn, das ist aber schön, du hast jemanden mitgebracht!“

„Hallo Granny!“

Angus stoppte abrupt neben mir. Mit weit aufgerissenen Augen schaute er mich an.

„Das… das ist deine Granny?“

Ich nickte und zog ihn zu den Stufen.

„Granny, darf ich dir Angus vorstellen, er wohnt mit mir seit einer Woche in unserem Haus.“

„Hallo Angus“, strahlte Granny ihren zweiten Gast an.

Angus blickte mich ungläubig an.

„Ist das Oma Denna…, von der… Connor erzählt hat?“

„Er kennt Connor?“, fragte Granny.

„Ja, er kennt Connor, wir sind nach wie vor die besten Freunde. Connor hat mir geholfen, als wir Angus kennen lernten und es ihm nicht so gut ging.

Grannys Lächeln verschwand kurz.

„Ich weiß…“, meinte sie , lächelte dann aber wieder.

Ich sah sie fragend an, aber sie winkte ab.

„Deine Granny kennt Connor, war er denn auch hier?“, fragte Angus.

„Setzt euch doch Kinder, ihr braucht doch nicht zu stehen“, meinte Granny, bevor ich Angus Frage beantworten konnte.

Ich umarmte Granny kurz, gab ihr einen Kuss auf die Wange und setzte mich wieder auf die Bank neben sie. Angus ließ sich einfach neben mir fallen und schaute Granny ungläubig an.

„Connor und Finn waren als Kinder oft hier zum spielen“, beantwortete nun Granny Angus Frage.

Sein Blick löste sich von ihr und wanderte zu mir.

„Warum habt ihr mir das nicht früher erzählt?“

Die Frage klang nicht vorwurfsvoll. Es war reine Neugier.

„Weil ich das alles hier vergessen habe, Kleiner. Du erinnerst dich, Connor erzählte von Oma Dennas Geschichten?“

Angus nickte.

„Das ist alles wirklich passiert, das haben wir alles so erlebt, es aber leider vergessen, als wir erwachsen wurden. Es ist uns nur als Geschichten in Erinnerung geblieben.“

„Ein Kinderherz sieht mehr, als andere!“, hörte ich Granny neben mir sagen.

„Hat Angus deswegen die Wiese im Spiegel gesehen, weil er tief im Herzen noch ein Kind ist?“, fragte ich.

„Auch…“, nickte sie und ihr Lächeln verschwand wieder.

Sie beugte sich nach vorne und griff nach Angus Hand.

„Was meinst du damit, Granny?“, fragte ich verwundert.

„Da gibt es etwas, was Angus wissen sollte. Ihr zwei habt euch nicht ohne Grund kennen gelernt…“

Fragend schaute ich zu Granny, dann zu Angus.

„Angus, du weißt nicht, wer deine Eltern sind?“

Der Kleine neben mir schüttelte den Kopf. Granny schaute nun mich wieder an.

„Es fällt mir etwas schwer, darüber zu sprechen…, weil es etwas mit meinem Sohn zu tun hat.“

„Welchen…?“, wollte ich wissen.

„… deinen Vater…“

Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf und begann mit dem Kopf zu schütteln.

„Es tut mir leid, dass du es so erfahren musst, Finn. Dein Vater war schon immer eine Enttäuschung für uns gewesen. Kaum warst du auf der Welt, ließ er deine Mutter, dich und deinen Bruder links liegen.“

Ungläubig schaute ich sie an. Ich hatte es früher damit abgetan, das ein Sohn sich mit seiner Mutter nicht verstand, wenn die beiden sich stritten, aber da steckte viel mehr dahinter. Erste Tränen lösten sich, weil ein Verdacht in mir aufkeimte.

„Dein Großvater und ich glaubten damals, dass mit der Heirat deiner Mutter und Vater, der Ärger mit ihm aufhört. Aber da haben wir uns grundlegend getäuscht.“

„Wollte Großvater deswegen nicht, dass Vater die Firma übernimmt?“, fragte ich traurig.

Granny nickte und ließ Angus Hand los.

„… ähm…, so… soll ich lieber gehen…, das… das ist etwas zwischen euch.“

Angus sah mich und Granny fragend an.

„Nein Angus, bleib… es betrifft auch dich.“

Was meinte Granny damit?

„Mich?“, fragte Angus verwundert.

Sie nickte. Dann sah sie wieder zu mir.

„Dein Vater suchte nur Abenteuer, war sich der Konsequenzen nie klar. Granny schaute wieder zu Angus. Entschuldige, wenn ich es so hart ausdrücke, aber Angus ist eines der Resultate deines Vaters.“

Geschockt schaute ich zwischen Granny und Angus hin und her.

„Angus ist dein Bruder…!“

Die Augen des Kleinen wurden groß und es sammelten sich Tränen darin.

„Ich hoffe das ändert nichts zwischen euch…“

Ich nahm Angus in den Arm, der zu wimmern begann. Mit leicht trüben Augen schaute ich zu Granny.

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“, sagte ich angesäuert.

„Tut mir leid Finn, wenn du jetzt sauer auf mich bist, aber ich musste das jetzt erzählen. Es ist nur zu eurem Besten!“

„Granny, ich bin nicht auf dich sauer, sondern auf meinen Vater!“

„Angus…?“, kam Granny leise.

Dieser schaute auf.

„Es tut mir leid, dass du das auf diesen Weg erfahren musst. Bis wir mit bekommen haben, was passierte, war deine Mutter verschwunden und du weg. Wir hörten nur, dass du in einer netten Familie untergekommen seist.“

„Meine Mutter ist verstorben und nette Familie…?“

Angus lachte sarkastisch auf.

„Die haben mich doch nur genommen, wegen des Geldes. Richtig gekümmert haben sie sich nie um mich, und als das Geld ausblieb, saß ich auf der Straße.“

„Das tut mir sehr leid zu hören“, entschuldige sich Granny.

Ich fühlte mich auf einmal so mies. Hätte ich nur früher davon gewusst. Aber was hätte ich machen können? War ich nicht selbst in einer beschissenen Lage gewesen.

„Aber umso mehr“, sprach Granny weiter, „freut es mich, dass ihr beide euch endlich gefunden habt.“

Ich wischte mir durchs Gesicht, um die Tränen verschwinden zu lassen.

„Langsam verstehe ich, warum alles so passiert ist, wie es geschehen ist. Dann ging wohl alles von meinem Vater aus, die Sache mit dem Verkauf, warum dich niemand besuchte, als du krank wurdest“, meinte ich.

„Deswegen bestimmte Tano-Jano, dass ich zurück kehren sollte, damit ich nicht noch mehr leid erfahre…“

„Tano-Jano?“, fragte Angus.

„Er ist so etwas wie der Herrscher dieses Landes“, erklärte Granny, „und ich weiß, er meinte es nur gut mit mir, aber den Schmerz konnte selbst er nicht vertreiben.“

Es trat kurz eine Stille ein, jeder dachte darüber nach, was gerade gesagt wurde.

„Wie geht das jetzt weiter… ä… ändert das jetzt etwas zwischen uns?“, fing Angus wieder an zu stottern.

Ich nahm ihn in den Arm und lächelte ihn an.

„Hab ich nicht vorhin gesagt, ich hab dich lieb wie einen kleinen Bruder? Jetzt bist du eben mein kleiner Bruder, auch in der Realität!“

„Aber…, aber wie machen wir das den anderen verständlich… können wir das denen überhaupt sagen?“

Granny lächelte mich an und nickte.

„Klar, warum nicht? Da wird uns schon irgendwie etwas einfallen“, sagte ich.

*-*-*

Angus lag in meinem Arm und schlief endlich. Es war einfach zu viel für ihn gewesen, als wir zurück kehrten und er sich in den Schlaf weinte. Ich dagegen lag mit offenen Augen da und starrte gegen die Decke.

Dieser Wirrwarr in meinem Kopf war mit dem Besuch bei Granny nicht besser geworden. Zu viele neue Fragen waren aufgekommen. David? Meine Familie? Wusste mein Bruder von der Sache?

War es eine gute Idee, Angus dort hinzubringen? Ich Nachhinein wurde mit bewusst, man hätte so viel anders machen können und es wäre nie so viel Leid entstanden. Aber der Zug war wohl abgefahren und man konnte nur versuchen, das Beste daraus zu machen.

Ich war froh, dass morgen Sonntag war und ich keinen Stress hatte, schlafen zu müssen. Wäre mir auch nicht gelungen. Angus brummelte irgendetwas und ich zog ihn etwas näher zu mir. Wer hätte gedacht, dass dieser süße kleine Kerl mein Bruder ist.

Ich dachte noch an die Worte, als wir uns von Granny verabschiedeten.

„Es passiert alles so wie es sich gehört, man weiß nie, für was es gut ist!“

Mit diesen Worten in meiner Erinnerung bin ich dann wohl doch eingeschlafen. Als ich meine Augen wieder öffnete, war es draußen schon ein wenig hell. Der Platz neben mir war leer. Ich setzt mich auf und rieb mir die Augen, als die Tür zum meinem Schlafzimmer sich öffnete.

Angus kam herein, nur noch mit Shorts bekleidet. Er krabbelte wieder ins Bett.

„Sorry, ich musste auf die Toilette“, lächelte er und kuschelte sich wieder in seine Decke.

„Kein Problem, da muss ich auch hin. Wann hast du dich denn umgezogen?“

„Heut Nacht irgendwann, als mir zu warm wurde. Aber jetzt bereue ich es fast. Draußen regnet es und im Flur draußen ist es kalt.“

„Es ist Winter, du solltest deine Anziehangewohnheiten vielleicht etwas ändern.“

„Wie, ich darf nicht mehr nackt neben dir schlafen?“, grinste mich Angus an.

Ich beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn leicht auf den Mund. Seine Augen wurden groß.

„Warum…, warum tust du das? Das hast du noch nie getan!“

„Weil mir einfach danach war.“

Ich schlug meine Decke zurück und stand auf.

„Halt das Bett warm, ich bin gleich wieder zurück!“

*-*-*

Wir wachten gegen späten Morgen auf und beschlossen zu Brunchen. Während Angus das Essen richtete, versuchte ich mich daran, den erloschen Ofen wieder zu entfachen. Nach einiger Mühe und auch mit Angus Hilfe, gelang mir das dann auch.

Ich sollte schon wissen, wie man mit diesem Ding umgeht. Freudig, das Holz in der Brennkammer knistern zu hören, ließ ich mich am Tisch nieder, wo mein neugewonnener Bruder, mit dem Essen auffuhr. Ich beobachtete ihn dabei.

„Hättest du keine Lust, in diesem Gebiet zu arbeiten?“

„Was meinst du?“

„Kochen und alles was dazu gehört.“

„Nein, Kochen ist ein Hobby von mir, ich bleib lieber in der Metallbranche.“

„Wie du meinst, war nur ein Vorschlag, denn das Zeug dazu hättest du alle mal.“

Er ließ sich neben mir nieder und griff sich den ersten Toast.

„Hast du schon eine Idee, wie wir das bewerkstelligen können, den anderen zu erklären, dass wir Brüder sind?“

„Hm…, so richtig nicht, dran gedacht habe ich aber.“

„Wie wäre es mit Blutspenden, dabei wurde entdeckt, dass wir Brüder sind?“

„Das setzt voraus, dass wir wirklich Blutspenden gehen, weil ich jetzt schon weiß, dass Blair dies auf schwarz auf weiß nachlesen will, dass wir wirklich Brüder sind, sonst gibt sie sich nicht zu frieden.“

„Aber so eine Blutuntersuchung dauert sicher lang…“

„Da fällt mir etwas ein… Moment.“

Ich zog mein Handy hervor und wählte die Nummer des alten Barkley an, der sich immer für Grannys ärztliche Belange einsetzte. Es war zwar Sonntag, aber ich wollte das so schnell wie möglich erledigt wissen.

Ich hatte Glück, er war zu Hause. Er wunderte sich nicht über mein Anliegen, sondern eher ich, dass er mit der Sache um Angus vertraut war. Granny schien wohl keine Geheimnisse vor ihm zu haben.

Überraschenderweise bat er uns, trotz des Sonntags, am Mittag zu ihm zu kommen, er hatte anscheinend die Möglichkeit das selbst zu kontrollieren. Am Montagmittag sollten wir dann unsere Unterlagen in Händen halten.

So war der halbe Tagesablauf schon geregelt und wie ein wunder wurde er nicht von Blair, noch von Connor unterbrochen.

*-*-*

Blair sah und hörte ich erst wieder am nächsten Morgen, als ich sie am Fahrstuhl zu unserem Stockwerk traf.

„Gut siehst du aus, das Wochenende hat dir wohl gut getan“, begrüßte sich mich.

„Ja, hat es!“, strahlte ich sie an und drückte den Knopf, zu unserem Stockwerk.

„Halt wartet!“, hörten wir eine Stimme und ich drückte den Türöffner.

Sie schob auf und David erschien.

„Danke…, sorry bin etwas spät dran… ähm… guten Morgen!“

„Kein Problem“, meinte ich und lehnte mich an die Rückseite des Lifts.

„Morgen David und wie war dein restliches Wochenende?“

Wollte sie das wirklich wissen, oder war das nur Nettigkeit?

„Ruhig…“, war Davids karge Antwort.

„Also keine Belästigungen, durch einen gewissen Herren?“

Ich war gewillt, ihr auf den Fuß zu treten, aber mein Anstand verbot es mir. Wie konnte sie so etwas fragen? Das erinnerte mich an einen Elefanten im Porzellanladen, voll der Trampel. Ich nahm mir vor, unbedingt mit ihr darüber zu reden.

Das Resultat der Frage ließ nicht auf sich warten. David wurde rot.

„… nein…“, antwortete er noch leiser.

Das Pling des ankommenden Fahrstuhls rettete David, denn ich schob Blair sofort durch die offene Tür und versuchte sie in ein Gespräch über das neue Projekt zu verwickeln. Aber der Schuss ging nach hinten los.

Anstatt Blair von Davids Ex, also Phillip abzulenken, brachte ich sie dadurch erst drauf. Er gehörte zur ausführenden Architektenfirma. David tat mir plötzlich leid. Er lief hinter uns her, als würde er nicht dazu gehören.

Blair ließ es sich natürlich nicht nehmen, sich über Phillip auszulassen. Ihre Stimme verstummte erst, als wir das Büro betraten. Alle Augen waren auf uns gerichtet.

„Morgen“, meinte Blair und lief zu ihrem Platz.

Von David war leise ähnliches zu hören und folgte ihr. Ich meinerseits nickte nur, doch wurde ich irgendwie das Gefühl nicht los, das hier gerade etwas nicht stimmig war. So lief ich ebenso an meinen Platz, entledigte mich meiner warmen Winterkleidung und hängte sie über meinen Stuhl.

Ich zuckte zusammen, als plötzlich Anne neben mir auftauchte.

„Ihr hättet uns ruhig sagen können, was da am Laufen ist!“, meckerte sie fast mehr mich an, als die anderen beiden.

„Wir waren zum Stilschweigen verdonnert!“, konterte Blair, bevor ich es tun konnte.

„Ich kann es immer noch nicht glauben, dass unser Humphrey, Gelder veruntreut haben soll.“

„Nicht nur er…“, kam es beiläufig von David.

„Ach so, du meinst Hornsby und Greenwich? Ich bin ehrlich, ich konnte die beiden noch nie ausstehen!“

Was würde mir blühen, wenn ich hier der Abteilungsleiter sein würde? Granny hatte ganz recht, dass ich mich schon längst entschieden hatte. Der Reiz dieser Stelle war einfach zu groß.

Dass ich zwangsläufig auch mehr Gehalt bekam, war ein Bonus. So konnte ich meinen neugewonnen kleinen Bruder besser unterstützen, denn dies hatte ich mir fest vorgenommen. Trotzdem flammten immer wieder kleine Zweifel auf.

„Weiß man schon, wer die Nachfrage antreten wird?“, wollte Anne wissen, „habt ihr da schon etwas gehört?“

Ich überlegte, ob ich etwas sagen sollte, sah aber wie Annes Blick auf David ruhte.

„Das wird die Chefetage uns sicher bald mitteilen“, sagte Blair, was mich veranlasste, mich wieder zu meinem Arbeitsplatz zu drehen.

*-*-*

„Herzlichen Glückwunsch, auf noch bessere Zusammenarbeit!“, sagte Paul und schüttelte mir die Hand.

„Danke“, entgegnete ich nur, weil ich sowieso nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.

Paul schien schon gewusst zu haben, wie ich mich entscheide, sonst wären die Papiere nicht unterschriftsbereit da gelegen. Während David und Blair ebenso ihre neuen Arbeitsverträge unterschrieben, nahm ich von Paul die Vertragsmappe entgegen. Er gratulierte auch denen beiden.

„Wie machen wir das jetzt mit den anderen?“, fragte Blair.

„Was meinen sie Blair?“, fragte Paul.

„Die Stimmung in der Abteilung ist etwas komisch, ich weiß nicht wie ich es anders ausdrücken soll.“

„Befürchtest du, dass die Stimmung vollens kippen könnte, wenn sie erfahren, wer die neue Führungsriege ist?“, fragte David, der heute noch nicht viel geredet hatte.

„Ja und ich weiß nicht, was sie schon wissen, was durchgesickert ist. Anne hat sich vorhin äußerst komisch angehört.“

„Die einzigen, die eingeweiht wurden, sind sie und auch Hornsby’s ehemalige Sekretärin Ella Edwards…“, meinte Paul.

„Stimmt, was wird jetzt aus ihr, wurde sie auch überprüft?“

Blairs Neugier!

„Natürlich, aber sie wirklich nichts mit der Sache zu tun! Da Akten sortiert und kontrolliert werden müssen, kommt viel Arbeit auf die Dame zu…“

Man sagte doch, Sekretärinnen wissen vieles, was andere nicht mitbekamen. Wusste sie wirklich nichts?

„… sie hat sich von sich aus bereit erklärt, dabei zu helfen und da ja geplant die ehemaligen Büroräume von Mr. Hornsby und Mrs. Greenwich, wegen des Umbaus zu leeren, trifft es sich ganz gut, wenn Mrs. Edwards dies macht.“

Also blieb sie dem Haus erhalten, aber ein merkwürdiger Eindruck blieb trotzdem.

„So wird sie sicher bis Ende der Woche zu tun haben. Danach wird Mr. Edwards einen Platz bei ihnen in der Abteilung finden und für die Datenverarbeitung generell zuständig sein“, erklärte uns Paul.

„Ja…, Humphreys Platz ist leer.“

Ich zog die Augenbraun hoch und sah Blair böse an.

„Wenn sie damit einverstanden sind, werde ich unsere Entscheidung am Ende der Woche den anderen mitteilen, dann wir auch Kollegin Edwards mit ihrem Umzug fertig sein.“

Wir nickten alle Paul zu.

*-*-*

„Das schreit nach einer Feier! Schließlich wird man nicht alle Tage befördert!“, kam es von  Blair hervor gesprudelt.

„Mir ist irgendwie…, nicht zum Feiern zu Mute“, sagte David leise.

Wir drei hatten es vorgezogen, uns noch etwas auf die Terrasse zu stellen, um herunter gekommen. Bei Blair hatte dies anscheinend nicht gegriffen.

„Wenn es bekannt wird, fordern die Anderen sicher einen Einstand, wollen wir es nicht bis dahin verschieben?“, schlug ich vor.

„Vielleicht hast du ja Recht, aber ein bisschen feiern…, im kleinen Kreise, mit Connor und Angus vielleicht?“

Blair war eben eine Frohnatur, die immer Leben um sich haben wollte. Ich blickte zu David, der an der Brüstung lehnte und nach unten schaute, wo sich unzählige Autos wie jeden Tag an der Bank vorbei schoben.

„Wie könnt ihr immer so gut gelaunt sein?“, fragte David plötzlich.

Ich weiß nicht, was mich geritten hatte, aber ich trat neben ihn und legte meinen Arm um seine Schulter. Bis ich merkte, was ich da mache, war es bereits zu spät, den Arm zurück zu ziehen.

Bei meiner Berührung zuckte David etwas zusammen, obwohl er mich kommen sah. Dann räusperte ich mich und atmete tief durch. Blair machte große Augen, grinste dabei aber ziemlich frech.

„Ich weiß, alle Worte des Trostes kommen dir irgendwie daneben vor, aber Versuch nach vorne zu schauen, es kann nur besser werden!“

Die so neunmal klugen Bemerkungen gerade von mir kamen, nach dem Zusammenbruch letzte Woche. Davids Kopf drehte sich zu mir und zum ersten Mal in meinem Leben, schaute ich direkt, in diese wunderschönen grünen Augen.

Sie trafen dort, wo sie es nicht hätten sollen, tief in meinem Herz. Es fing an heftiger zu schlagen.

„Wie…, wie machst du das? Du hast so viel Leid erfahren, durch deine ganze Familie. Aber dennoch strahlst du eine Ruhe aus und strotzt du von Selbstvertrauen…“

„Wenn du da dich mal nicht täuschst mein Lieber!“, sagte Blair.

Sein Blick tanzte kurzweilig zu Blair, bevor die Augen sich wieder mir widmeten. Etwas ratlos zuckte ich mit den Schultern.

„Ich… ich versuche einfach das Beste daraus zu machen. Es bringt mir nichts, wenn dem ganzen nachweine, weil es sich eh nicht ändern wird.“

„Aus deinem Mund hört sich das so leicht an.“

„Ich habe nicht behauptet, dass das leicht ist und sagte ja, ich versuche es. Es gibt Tage, wie du schon selbst bekommen hast, an denen es auch mir nicht besonders gut geht.“

„Das ist wirklich milde ausgedrückt“, warf Blair ein.

David nickte und schaute wieder zur Straße hinunter. Bevor Blair noch eine weitere geistreiche Bemerkung vom Stapel ließ, redete ich einfach weiter.

„He, lass den Kopf nicht hängen, gemeinsam schaffen wir das!“

Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Blair schaute mich breit grinsend an. Wie sagt man so schön, vor Gebrauch des Mundwerks, schalte bitte dein Gehirn ein. Innerlich schüttelte ich den Kopf.

„Ja, David, du kannst auf uns zählen“, rettete mich Blair aus der Schlinge.

Ich schaute David weiter an, bis er wieder den Kopf zu mir drehte und ein klein wenig lächelte. Wusste der Typ, was er mir gerade antat? Mine Knie wurden weich. Dieses Lächeln war echt, nicht wie sonst im Büro, wenn er irgendwelche Kommentare abgelassen hatte.

Meinen Arm zog ich zurück, um mich mit beiden Händen an der Brüstung zu halten. Was war  plötzlich los mit mir? Bisher hatte ich noch nie so auf ihn reagiert. Vorher war ich auch nie so dicht neben gestanden.

Innerlich atmete ich durch und suchte nach Worten, mir fiel aber nichts rechtes ein. So griff ich Blairs Idee auf.

„Keine Lust, …vielleicht doch mit uns heute einen gemütlichen Abend zu verbringen?“

David richtete sich auf, sein Lächeln war nicht verschwunden. Dazu leuchteten seine Augen in einem magischen Grün. Das bildete ich mir auf alle Fälle ein.

„Warum nicht…, bring mich vielleicht auf andere Gedanken.“

„Lasst uns rein gehen“, meinte Blair plötzlich, die von einem Fuß auf den anderen tippelte.

„Es ist kalt und zudem will ich nicht, dass Anne die Gelegenheit bekommt, wegen unseres Fehlens im Büro noch mehr Gerüchte in die Welt zu schaffen.“

„Dann lass uns gehen, das wollen wir ja alle nicht“, lachte David.

Dieses Lachen durchdrang jede Faser meines Körpers. Er durchschritt als erstes die Tür und Blair und ich folgten ihm. Warme Heizungsluft drang uns entgegen. Während David voraus lief, versuchte Blair per Handsprache und ihren Blicke mich zu fragen, was mit mir und David los wäre.

Ich antwortete lediglich mit einem kurzen Schulterzucken.

*-*-*

Als wir im Büro ankamen, war im Büro so einiges los. Mrs. Edwards kam uns lächelnd entgegen und drängte sich an uns vorbei. Anne stand vor einem riesen Stapel Akten, bei den anderen sah es nicht viel besser aus.

„Nanu… neue Projekte?“, fragte Blair und zog dabei ihren Mantel aus.

„Nein!“, sagte Bert, der Anne gegenüber saß, „sofortiger Stopp aller Projekte. Diese Akten sollen alle digitalisiert werden und danach dem Reißwolf zugeführt werden, zumindest, was zwei Jahre älter ist, als das heutige Datum.“

„Aber warum haben wir keine Akten?“, fragte Blair.

Stimmt, als ich zu unseren Schreibtischen sah, waren keine Stapel von Akten zu sehen.

„Die Edwards meint, ihr drei arbeitet an einem Projekt vom Chef persönlich, das hätte Vorrang!“

So hatte sie das? Anne schien nicht erfreut darüber zu sein, wie ihr Tonfall eben bewies. Ich entledigte mich meiner Jacke und ließ sie auf die Lehne meines Stuhls gleiten.

„Sie hat auch erzählt, dass sie ab nächster Woche zu uns ins Büro umzieht“, sprach Anne weiter, ohne uns anzuschauen.

„Hört sich an, als würde dir das nicht gefallen“, meinte Blair.

Anne drehte sich auf ihrem Stuhl zu uns.

„Komm, sie ist… war die Sekretärin von Hornsby, sie muss doch etwas mitbekommen haben?“

Da hatte jemand den gleichen Gedanken wie ich.

„Jeder hier in der Abteilung wurde überprüft, auch Mrs. Edwards!“, sagt nun David, den die Sache zu nerven schien.

„Jeder?“, kam es schockiert von Anne und zeigte dabei auf sich.

„Ja, jeder!“, antwortete David.

„Aber…, aber ich habe doch nichts getan!“

„Mrs. Edwards auch nicht!“

Augenblicklich war Anne ruhig und setzte sich an ihren Platz. Blair hob den Daumen und lächelte David an.

*-*-*

„99%! Das kann niemand anzweifeln!“, sagte Doc Barkley.

„Vielen Dank, Doc, ich weiß gar nicht wie ich das gut machen kann, sie haben mir schon so oft geholfen.

„Sagen wir einfach, es freut mich, dass der junge Mann endlich Familienanschluss gefunden hat und ihre Großmutter würde sich ebenso freuen.“

Klar würde sie das, auch wenn sie nicht mehr unter uns weilte, ich wusste es. Sie fehlte mir fast täglich. Es war zur lieben Gewohnheit geworden, dass sie zuhause war, wenn ich nach Hause kam.

Ich erwischte mich oft dabei, wenn ich die Haustür, oder früher die Wohnungstür öffnete, sie im Flur stehen zu sehen, auch wenn ihr Tod nun schon fünf Jahre zurück lag. Die neue Möglichkeit sie wieder zu sehen, im Spiegel, war eben nicht das Gleiche.

„Danke! Nochmals!“

„Nichts zu danken! Ehrensache!“

*-*-*

Mit dem dicken Briefumschlag voller Ergebnisse in der Hand hatte ich die Praxis verlassen. Nachdem ich mich in den Wagen setzte und den Motor starten wollte, sah ich drei Häuser eine mir bekannte Person.

Phillip! Er hatte einen Wagen verlassen und stand nun auf dem Gehweg, wartete auf etwas. Dieses etwas war jemand, der nun auch den Wagen verließ. Deutlich älter als Phillip, der gerade sehr gelangweilt wirkte und in die Luft schaute.

Die andere Person, schon grauhaarig, schätze ich vom Alter her, wie Paul meinem Chef, so um die sechzig herum. Sie ging direkt auf Phillip zu und packte ihn am Kragen. Phillip schien das nicht zu gefallen, er umgriff das Handgelenk des anderen.

Der ließ nicht los, sondern schüttelte Phillip ein paar Mal, bis dieser Typ ihn wie ein begossener Pudel auf dem Gehweg zurück ließ und selbst im Haus verschwand. Was machte ich eigentlich hier, das ging mich nichts an.

Ich startete den Wagen und quälte mich aus der Parklücke. Zu meinem Unglück musste ich an diesem Haus, vor dem Phillip immer noch stand, vorbei. Gerade, als ich es passierte, schaute er auf und wir sahen uns kurzzeitig in die Augen.

Hatte er mich wahrgenommen? Warum machte ich mir überhaupt Gedanken um ihn, so gesehen hatte ich nichts mit ihm zu schaffen, auf alle Fälle nicht privat. Aber er hing anscheinend immer noch wie ein Schatten über David.

*-*-*

Natürlich, wie nicht anders erwartet, war Blair bereits da und wollte schon über mich herfallen, was ich den noch so wichtiges zu erledigen hatte. Angus schaute mich erwartungsvoll an und ich nickte.

Mit einem Male nahm er Anlauf und warf mich fast um, als mich ansprang. Seine Arme klammerten sich um meinen Hals, seine Beine um meinen Körper. Blair erschrak sich und wich zurück.

„Wirklich?“, rief er.

„Jaha! Ich habe es schwarz auf weiß!“

Angus drückte mir einen dicken Schmatzer auf die Wange.

„Öhm…“, unterbrach uns Blair, habe ich etwas verpasst? Geht das schon länger… äh ich dachte…David…“

„Meinst du, dass ich jetzt Finn so oft küssen darf, wie ich will und das ganz hoch offiziell?“

Ich konnte nicht anders und fing an zu lachen.

„ÄH…, du stehst doch aber auf Frauen…“

Angus entließ mich aus seiner Umklammerung und stellte sich vor mich.

„Tu ich noch immer!“

Es war herrlich, Blair einmal so verwirrt zu sehen. Es klingelte.

„Ich mach auf“, meinte Angus und hüpfte frohgelaunt, wie ein Kind zum Flur hinaus.

Blair sah ihm nach, dann wieder zu mir. Mein Grinsen verschwand nicht. Es war wirklich das erste Mal, seit ich sie kannte, sie sprachlos und verwirrt zu sehen.

„Hallo Connor… David!“, hörte ich Angus Stimme im Flur, „gebt mir eure Jacken, ich häng sie auf!“

„Was haben sie dir denn gegeben, was bist du so zappelig?“, fragte Connor.

Ein leises „Hallo“ war zu hören, Davids Stimme. Connor, immer noch in winterlicher Bekleidung, bog um die Ecke, dicht gefolgt von David.

„Was ist denn mit dem los, hat er in der Lotterie gewonnen?“, wollte Connor wissen.

„Nein, deswegen!“, meinte ich und hielt Connor den Umschlag entgegen.

„Was ist das?“, fragte Blair, bekam aber von mir keine Antwort.

Connor öffnete den Umschlag, zog die Papiere heraus und begann zu lesen. David, der sich noch immer hinter ihm befand, lugte über Connors Schultern. Er bekam große Augen.

„… dein Bruder?“, sagte Connor und schaute auf.

„Was…?“, entfuhr es Blair laut, „… hast du ihn adoptiert?“

„Quatsch!“, lachte ich, als sie Connor die Papiere entriss.

„Ich bin Finns leiblicher Bruder!“, sagte Angus, der nun auch den Raum betrat.

Connor und David drehten sich beide zu unserem Jüngsten und auch Blair starrte ihn an.

„Ja… Angus ist ein Fehltritt meines alten Herrn“, meinte ich.

Eigentlich sollte ich traurig darüber sein, aber die Freude über den gewonnen Bruder war größer.

„Bitte?“, war alles was Blair heraus bekam.

Angus lief neben mich und hängte sich bei mir ein. Er strahlte über beide Wangen.

„Aber woher wisst ihr…?“, weiter kam Blair nicht.

„Eine verlässliche Quelle!“, antwortete Angus, bevor ich es tun konnte.

Ich war froh, dass er Granny nicht erwähnte. Sonst wäre die Verwirrung wohl komplett.

„Dann haben wir ja zwei Gründe zum Feiern“, kam es lächelnd von David.

Ich strahlte ihn regelrecht an.

„Ähm, bevor die gute Laune überhandnimmt…, es ist nicht meine Art, aber ich möchte euch jemand vorstellen“, sagte plötzlich Connor.

Verdutzt schauten Blair und ich uns an.

„Sie sitzt draußen im Wagen…“

„Bist du verrückt, bei der Kälte? Hol sie sofort rein!“, fuhr ihn Blair an.

Connor lächelte und verschwand auf der Stelle. David sah mich fragend an.

„Du musst wissen, Connor ist Weltmeister in Dates machen…“, erklärte ich.

„… und wir haben noch nie, seit wir Connor kennen, eines dieser Dates kennen gelernt!“, ergänzte Blair.

„Dann ist das so etwas wie eine Premiere heute?“, fragte David.

„Ja“, kam es von Angus, „da muss ich wohl noch ein Gedeck auflegen!“

„Jetzt warte doch erst mal, ob sie hier bleiben“, sagte Blair.

„Darf ich dir den Mantel abnehmen?“, vernahm ich Connors Stimme.

Wir schauten uns an und grinsten. Was da dann mit Connor um die Ecke bog, verschlug mir die Sprache, denn das war so gar nicht das, was ich von Connor erwartet hatte.

„Darf ich euch Nian Lee vorstellen?“, fragte Connor und schaute uns erwartungsvoll an.

Vor uns stand eine zierliche und bildschöne Asiatin, die uns gerade sehr schüchtern anschaute. Der Größe nach, würde sie eher zu Angus passen.

„Hallo ich bin Blair, eine gute Freundin von Connor. Freut mich dich kennen zu lernen“, übernahm Blair den Part Nian, willkommen zu heißen.

„Hallo“, kam es sehr leise über Nians Lippen.

Die beiden schüttelten die Hände.

„Darf ich dir Finn“, Blair zeigte auf mich, „den Hausherr vorstellen?“

Auch ich gab Nian die Hand.

„Das ist Angus…, Finns jüngerer Bruder und David, ein Arbeitskollege…“

Warum grinste sie mich jetzt so an? Auch die beiden genannten begrüßten Nian.

„Haben wir eigentlich Sekt?“, fragte ich.

„Wofür?“, fragte Angus.

„Zum Anstoßen vielleicht?“, stellte ich die Gegenfrage.

Angus hieb sich auf die Stirn und düste zur kleinen Kammer.

„Setzen wir uns doch“, meinte ich und machte eine einladende Bewegung Richtung Tisch.

Während Connor zwischen die Damen genommen wurde, blieb mir gar nichts anderes übrig, mich neben David nieder zu lassen. Angus kam mit einer Flasche Sekt zurück. Ich sollte unbedingt mir dieses kleine Zimmerchen neben der Küche genauer ansehen.

Wer weiß was Granny dort noch alles versteckt hatte. Wie ein Wiesel flitze Angus hin und her, verteilte Sektgläser und stellte sich ein Gedeck auf den leeren Platz, bevor er sich niederließ. Alle schauten nun auf mich.

„Wie wäre es, wenn du die Sektflasche öffnest?“, fragte Connor.

Alle fingen an zu Grinsen, sogar Nian, die mit der Hand den Mund verdeckte.

„Du weißt wie gerne ich das mache!“, konterte ich.

„Das letzte Mal hat er die Deckenlampe zerschossen“, erzählte Blair Nian.

„Ja, mach dich ruhig lustig über mich“, sagte ich gespielt empört.

„Darf ich?“, fragte David neben mir und zeigte auf die Sektflasche.

„Aber gerne“, lächelte ich und reichte sie ihm.

Natürlich war mir nicht entgangen, wie Blair, Connor und Angus sich dabei ansahen und grinsten.

„Nian, ich hoffe du ist gerne italienische Küche“, meinte plötzlich Angus.

„Connor hat mir schon viel von deinen Kochkünsten erzählt…“, antwortete Nian, mit leiser dünner Stimme, „… und ich würde es gerne probieren.“

„Was hast du sonst noch alles über uns erzählt?“, fragte Blair.

„Ich?“, meinte Connor und zeigte dann auf sich.

Nian kicherte wieder hinter vorgehaltener Hand.

„Er redet ständig von euch…“, meinte sie dann, aber es klang  in keinster Weise vorwurfsvoll.

Sie legte dabei ihre kleinen Hände um Connors muskulösen Oberarm. Ich hätte Connor nie zugetraut sich so eine Freundin auszusuchen.

Sie war das krasse Gegenteil von ihm. Er, muskulös, mit Tattoos an den Armen, sah eher aus wie ein Schlägertyp, während Nian, in ihrer Rüschchenbluse eher zierlich und gebrechlich wirkte.

Während David die Sektflasche öffnete, stellte ich die Gläser vor ihn hin.

„… und wie habt ihr euch beide kennen gelernt?“

Blair natürlich, die Neugier in Person.

„Bei einem Geschäftsessen“, antwortete dieses Mal Connor, „Nian dolmetschte für ihren Chef.“

Ich wusste, dass die Handelsfirma, für die Connor tätig war, auch in China Waren bezog. David hatte ultraleise die Sektflasche neben mir geöffnet, besser gesagt, ich hatte es nicht mal mitbekommen und befüllte bereits die Gläser, die ich dann an die anderen verteilte.

„Interessant, dass hast du gar nicht erwähnt“, kam es von Blair.

„Du weißt, ich rede in meiner Freizeit nie gerne über Geschäftliches!“

„Naja, ich würde Nian jetzt nicht gerade als etwas Geschäftliches bezeichnen“, meinte ich, während ich das letzte Glas zu Angus stellte.

Nian lächelte mich an, währenddessen ich mein Sektglas in die Hand nahm.

„Auf was wollen wir als erstes anstoßen?“

„Gibt es mehrere Anlässe?“, fragte Nian, die es nicht wissen konnte.

„Ja, einmal, das ich meinen Bruder gefunden habe…“, sagte Angus.

„Ich erklär dir das später“, meinte Connor zu Nian leise.

„… unsere Beförderung zum Dreierführungsteam…“, sagte Blair.

„… und eure bis jetzt geheim gehaltene Freundschaft“, fügte ich grinsend hinzu.

Nian lächelte leicht verlegen.

„Machen wir es doch kurz und bündig und stoßen auf alles drei an“, schlug Connor vor und erhob ebenso sein Glas.

Angus stand auf.

„Dann auf Familie, Liebe und ein Neubeginn!“, sagte er laut und hielt sein Glas in die Mitte.

Das Klingen der Gläser überzog den Tisch, als jeder mit jedem anstieß. Ich dachte an Granny, der das sicher jetzt auch gefallen hätte.

„Alles klar mit dir?“, fragte David neben mir, „du schaust so traurig…“

„Alles in Ordnung!“, flüsterte ich zurück und lächelte, als mir bewusst wurde, dass sich eine Träne gelöst hatte.

„So, aber jetzt essen wir, sonst ist alles verkocht“, meinte Angus und stand auf.

*-*-*

Der Abend war wirklich gelungen und es war wirklich schade, ihn so früh beenden zu müssen. Aber am nächsten Morgen hieß es wieder pünktlich auf der Arbeit zu erscheinen und das für alle.

„Und du willst wirklich nicht hier übernachten, es macht mir nichts aus?“, fragte ich David.

„So viel habe ich nicht getrunken, außerdem wohne ich nur vier Straßen weiter.“

„Wirklich? Das wusste ich gar nicht!“, sagte ich lächelnd.

„Ja…, wir wissen vieles nicht.“

„Noch nicht“, meinte ich und nahm ihn einfach in den Arm.

„Finn, bitte… ich…“

„David, das war nur eine freundschaftliche Umarmung, nicht mehr oder weniger… okay?“

Er nickte mir zu.

„Dann komm gut nach Hause! Vielleicht schickst du mir eine kurze Nachricht, dass ich weiß, dass du gut angekommen bist.“

„Kann ich machen…“, lächelte er.

Wieder schauten wir uns beide tief in die Augen. Am liebsten hätte ich ihn jetzt noch zum Abschied geküsst, aber das verkniff ich mir tunlichst.

„Also dann…“, meinte er, hob kurz die Hand und winkte, bevor er sich umdrehte und durch das weiße Gatter meinen Vorgarten verließ.

Jetzt erst, als ich ihm nachschaute und er sich noch ein paar Mal herum drehte, wurde mir bewusst, wie kalt es hier draußen war. Die Sterne funkelten über Edinburgh, romantischer hätte diese Augenblick nicht sein können.

Ich musste mir endlich eingestehen, ich war ich diesen Mann verliebt, trotzdem bremste mich etwas aus. Als er an der nächsten Ecke verschwand und mein Atem in einem Nebelschweif meinen Mund verließ, drehte ich mich zum Haus. Dort stand Angus in der Tür und grinste mich an.

„Euch beide hat es aber ganz schön erwischt“, sagte Angus grinsend.

„Ich weiß gar nicht, was du meinst“, antwortete ich, weil ich nicht darüber reden wollte.

„Soso!“, entgegnete mir Angus und ging mit mir ins Haus.

*-*-*

Diese Nacht hatte ich einen ruhigen Schlaf und wachte überraschend erholt auf, auch wenn die Nacht etwas kurz war. Als ich ins Bad lief, war Angus bereits unten am werkeln. Nach den üblichen Aktivtäten im Bad ging ich zurück ins Zimmer und quälte mich in meinen Anzug.

Warum müssen Bankmenschen immer Anzüge tragen? Es gab doch wirklich genug Mode für Männer, die sie anständig aussehen ließen. Der Kulturstrick war schnell gebunden und wenige Minuten später war ich schon auf der Treppe nach unten.

Ein kurzer Blick auf den Spiegel, vielleicht hatte ich heute Abend Zeit, Granny zu besuchen. Sie fehlte mir bereits wieder. Nach einem schnellen Frühstück mit Angus, stand ich wenig später wieder im Flur um mich dick einzukleiden.

Die Nacht war sternenklar gewesen, also hatten wir Frost. Eine Erkältung konnte ich jetzt überhaupt nicht gebrauchen.

„Angus, trödel nicht, sonst kommen wir zu spät!“, rief ich.

Er bog um die Ecke.

„Schon da, ich hab nur noch ein Stück Holz aufgelegt, dann haben wir es leichter, heut Abend das Ding wieder in Gang zu kriegen.“

Ich öffnete die Haustür und blieb überrascht stehen. Vor dem Tor stand David mit seinem Wagen.

„Guten Morgen David!“, rief Angus hinter mir und die Haustür verschloss.

„Morgen…, ich dachte, wir könnten doch auch gemeinsam fahren…“, rief David zurück.

„Gerne“, meinte ich verzückt, „das heißt, wenn es dir nichts ausmacht, kurz über den Hafen zu fahren, um Angus abzusetzen, sonst müsste ich dir eine Absage erteilen!“

„Kein Problem… steigt ein, mir wird langsam kalt.“

Ich durchlief als erstes das Gatter.

„Seit wann stehst du hier schon?“, wollte ich wissen, natürlich hatte ich seine blauen Lippen bemerkt.

„Eine viertel Stunde glaub ich?“

„Warum hast du nicht geklingelt?“, kam mir Angus mir zuvor und zog die hintere Tür auf.

David zuckte mit den Schultern und stieg ohne Antwort ein.

*-*-*

Gerade als David in die Tiefgarage steuerte, kam Blair des Weges und sah uns beide im Wagen sitzen. Mit offenem Mund blieb sie abrupt stehen. Kichernd, weil David weiter fuhr, verlor ich sie aus dem Blickfeld.

„Was ist?“, fragte David neben mir.

„Es ist die Woche nun schon das zweite Mal, eine fassungslose Blair zu sehen.“

„Schlimm?“

„Nein, aber ich denke, wir müssen uns einem Fragegewitter stellen.“

David parkte seinen Wagen wie immer neben den von Paul. Er lächelte mich kurz an, wollte wohl etwas sagen, ließ es aber dann und stieg aus. Ich folgte ihm und gemeinsam liefen wir zum Aufzug.

Wenig später, als sich der Aufzug im Erdgeschoss öffnete, war ich glücklich nicht nur Blair, sondern auch andere Kollegen aus der Bank zu sehen. So konnte sie uns nicht gleich mit einem Fragepaket überschütten.

Als wäre sie leicht verärgert, schaute mich kurz an, blies ihren Pony nach oben, bevor sie sich umdrehte und mit dem Rücken zu mir stand. Ich schaute kurz zu David und kratze mich dann verlegen am Nacken.

Auch auf unserem Stockwerk hatte Blair uns, wegen dem eben erlebten anzusprechen, weil auch andere ausstiegen. Im Büro angekommen, lief sie zielstrebig zu ihrem Platz, warf ihren Mantel über die Lehne ihres Stuhls und setzte sich sofort an ihren PC.

Fragend schaute mich David an, aber ich grinste nur und ließ mich ebenso auf meinen Stuhl nieder.

Als PC hochgefahren war und ich per Passwort, meine Arbeitsfläche betrat, blinkte bereits das Mitteilungsfeld oben links. Ich atmete tief durch und öffnete. Auch David trat gerade bei.

„Wann wolltet ihr beide das mitteilen?“

„Was?“, schrieb ich.

„Dass ihr beiden zusammen seid!“, schrieb Blair zurück.

„Wir sind nicht zusammen“, tippte David ein.

„Stimmt, David meinte lediglich, da er in meiner Nähe wohnt, dass wir uns ein Auto sparen könnten…, morgen fahr ich“, gab ich ein.

„David wohnt in deiner Nähe?“, tippte wiederum Blair.

„Wusstest du das nicht?“, schrieb ich grinsend, als wüsste ich das schon lange.

„Nein, woher auch!“

Ich schaute zu David hinüber, der mich anlächelte.

„Ich denke, wir sollten mit dem Projekt weiter machen“, schrieb David.

Darauf kam nichts mehr von Blair. Sie stand auf und widmete sich ihren Wasserkocher. Später bei der ersten Teepause, stand ich neben Blair an ihrem Teeregal. Von David war nichts zu sehen, er war vorhin aufgestanden und hatte das Büro ohne Worte verlassen.

„Wann wolltest du mir das erzählen?“, flüsterte Blair, während sie mit den Teebeutel hantierte.

„Was denn? Ich war doch genauso überrascht, als David heute Morgen vor meiner Tür stand.“

„Du wusstest das nicht?“

„Nein!“

Das hatte ich wohl zu laut gesagt, denn die anderen im Raum schauten zu uns.

„Finde ich mutig!“, flüsterte Blair weiter.

„Was ist daran mutig?“, wollte ich wissen.

„Er hat den ersten Schritt getan.“

Zweifelnd schaute ich sie an.

„Interpretierst du da nicht zu viel hinein?“

„Glaub mir, ich bin mir da sicher!“

*-*-*

Am späten Mittag saßen wir in Pauls Büro und saßen über den ersten Grobentwürfen des Hauses.

„Finn, was ist, sie schauen so kritisch. Was gefällt ihnen nicht?“

„Ich weiß nicht wie ihr das seht, aber ich finde die Fassade total daneben.“

„Findest du echt?“, fragte Blair.

„Ja, schau dir die Nachbarhäuser an. Da passt nichts zum andern, außer wir wollen die Gegend aufwerten!“, antwortete ich leicht ärgerlich.“

„Finn hat recht, die Fassade sollte viel unauffälliger gestaltet werden. Einfache Fenster, nicht dieser große Eingang und auch farblich sollte es sich nach den anderen Häuser richten. Das weiß Stich voll heraus und verleitet regelrecht zu Graffiti.“

Paul schaute David verwundert an, der mit seinem Miniplädoyer sich auf meine Seite stellte.

„Ich bin ganz deiner Meinung!“, lächelte ich ihn an.

David lächelte ebenso, was anscheinend Paul wiederum verwirrte. Er schüttelte den Kopf und schloss seine Mappe.

„Gut, ich werde die Vorschläge weitergeben und sehen, was die daraus machen“, sagte Paul und erhob sich.

Das schien das Meeting wohl aufzuheben. Als ich David und Blair zur Tür hinaus folgen wollte, hielt mich Paul am Arm zurück.

„Was haben sie mit David gemacht?“

Irritiert schaute ich ihn an.

„Wissen sie wie lange ich David nicht mehr lächeln habe sehen?“

Ach so, jetzt verstand ich, was er meinte.

„Ich habe gar nichts gemacht…“, grinste ich.

„Danke!“, meinte Paul und klopfte mir auf die Schulter und wurde regelrecht zur Tür hinaus geschoben.

Als ich wenig später am Aufzug ankam, standen die anderen beiden da und warteten auf mich.

„Wo bleibst du denn so lange?“, fragte Blair.

„Der Chef wollte noch etwas wissen“, antwortete ich wahrheitsgemäß.

David schaute mich fragend an.

„Nichts Besonderes…“, lächelte ich ihn an und bestieg den Aufzug, dessen Türen sich gerade geöffnet hatten.

Schweigend fuhren wir auf unser Stockwerk hinunter und waren etwas überrascht, als sich die Tür öffnete und aus Richtung unseres Büros lauter Krach kam. Wir rannten alle drei hin und sahen dann den Grund dafür. Humphrey.

War er wieder frei gelassen worden? Und warum war er hier und schrie herum? Als er uns an der Tür entdeckte, kam er direkt auf uns zu.

„Ich hätte besser auf deinen Bruder gehört“, fuhr er mich an, rempelte mich und verließ das Büro.

Fassungslos schaute ich hinter ihm her.

Was hatte mein Bruder mit der ganzen Sache zu tun? Was für Verbindung hatte er zu Humphrey? Noch immer saß ich vor meinem PC und starrte auf meinen Monitor. Das war nun eindeutig zu viel. Er war zu weit gegangen.

„Wer hat Humphrey überhaupt herein gelassen?“, fragte David.

„Es fängt an zu schneien“, hörte ich Blair weit entfernt sagen.

„Lenk nicht vom Thema ab, das hätte nie passieren dürfen.“

„Aber nur so haben wir erfahren, dass Humphrey, Finns Bruder kennt.“

„So meine Herrschaften, bitte beruhigen sie sich wieder. Ich bitte um Entschuldigung für diesen Vorfall.“

Das war Pauls Stimme.

„Die Securitys hat vergessen, Mr. Cook die Zugangskarte abzunehmen, als er heute Morgen das Haus verließ.“

Haus verließ…, dass ich nicht lache, er war verhaftet worden.

„Wir dachten, der ist bei der Polizei!“, rief Anne.

„Leider ist er gegen Kaution frei gelassen worden.“

Hätte ich nur auf deinen Bruder gehört…“, schallte es in meinem Kopf. Hatte mein Bruder die Kaution gestellt? Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.

„Finn…“, hörte ich Pauls Stimme, aber ich war irgendwie nicht fähig zu reagieren.

„So ist er schon die ganze Zeit“, sagte Blair leise.

„Mr. Cook hat Finns Bruder erwähnt“, flüsterte nun David leise.

„Seinen Bruder?“

„Ja“, gab David Paul zur Antwort.

„Man sollte diesen Mann anzeigen!“

„Mit welcher Handhabe?“, hörte ich David fragen.

Ich hob den Kopf, sah Blair, unsere Blicke kreuzten sich.

„Hast du Angst, es wiederholt sich alles?“, fragte sie mich direkt.

Wenigstens leise genug, dass die anderen Kollegen es nicht mitbekamen. Ich zuckte mit der Schulter, schüttelte den Kopf und die Hand meines Chefs verschwand. Ich war mir eben nicht sicher, ob mein Bruder mit der Geldveruntreuung zu tun hatte.

Seine Geldgier würde dazu passen. Wie weit würde er noch gehen? War sein Hass auf mich so groß, dass er mich sogar hinter Gitter bringen wollte, in dem er Humphrey angestiftet hatte, den Verdacht auf mich zu lenken? Fragen über Fragen.

„Auf alle Fälle müssen wir die Polizei in Kenntnis davon setzten, es ist vielleicht ein Hinweis, für deren Ermittlungen. Bevor ich es vergesse, diese Nachricht kam von London“, sprach Paul weiter.

Ich schaute über meine Schulter, wo Paul und David standen und wie der Chef meinem Kollegen einen Zettel reichte.

„Dass ich da nicht gleich drauf gekommen bin.“

„Um was geht es?“, fragte Blair.

„Wie jemand auf Finns Computer zugreifen konnte. Ihr seid hier alle mit dem Drucker im Raum verbunden, so hat sich Humphrey Zugang zu Finns PC verschafft!“

„Humphrey hat sich Zugang auf Finns Computer verschafft?“

Diese Frage stellte Anne, die unbemerkt nun hinter unserem Chef stand. Natürlich hatte sie es so laut gesagt, dass jeder im Raum befindliche Kollege, sofort verstummte. Paul drehte sich zu ihr.

„Auch wenn die Ermittlungen noch am Laufen sind und sie es sicher bald in den hiesigen Medien davon hören oder lesen werden, kann ich ihnen schon so viel mitteilen. Mr. Hornsby und seine Stellvertreterin Mrs. Greenwich, sowie Mr. Cook sind alle drei in eine Geldunterschlagung verwickelt, die sämtliche Filialen im Land betreffen.“

Kein Mucks war zu hören.

„Mr. Cook hat es verstanden, es geschickt zu verbergen und es danach aussah, dass sämtliche Transaktionen über den PC von Mr. Lennox liefen. Deshalb die Bitte, falls sie etwas Ungewöhnliches an ihrem Computer feststellen, dann melden sie dies sofort!“

„Sie denken, er hat auch auf unsere Computer zugegriffen?“, fragte nun Bert.

„Es ist alles möglich. Die Hauptstelle in London arbeitet emsig daran, dass alle Hintertüren geschlossen werden und somit unsere Programme nicht mehr gehakt werden können.“

*-*-*

Appetitlos stocherte ich in meinem Abendessen herum.

„Willst du nicht doch vielleicht deine Familie kontaktieren?“, fragte Angus.

„Was soll das bringen, glaubst du wenn mein Vater zu meinem Bruder sagt, er soll auf hören, macht der was sein alter Herr will?“, fuhr ich Angus an.

Der kleine hob abwehrend seine Hände.

„Sorry…, ich wollte dich nicht anschnauzten!“

„Kein Problem, ich verstehe dich ja. Aber irgendwann muss das Ganze doch ein Ende haben!“

„Ich weiß nur nicht wie…! Seit fünf Jahren habe ich keinen Kontakt zur Familie, da werden die jetzt sicher auch nicht auf mich hören. “

„Und wenn ich mich bei deinem Vater melde?“

„Du?“

„Ja, ich! Ich würde gerne sein Gesicht sehen, wenn er erfährt, dass er noch einen Sohn hat!“

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“

„Warum nicht? Da kann ich beiläufig erwähnen, was sein ältester Sohn so treibt!“

„Und dann seine Wut auf dich ziehen. Ich will nicht, dass Thomas seine Wut an dir auslässt.“

„Weiß ich, ob er das nicht schon getan hat?“

„Was meinst du damit?“, fragte ich erstaunt.

„Ich habe das nie jemanden erzählt, auch der Polizei nicht, als wir die Anzeige aufgaben…“

„Was hast du nicht erzählt?“

„Als die Typen sich gegenseitig anfeuerten, da fiel ein Name…“

„Bitte nicht…“

„Doch, ich konnte hören, wie jemand rief, Thomas tritt ihn in die Eier…“

Eine Träne lief über seine Wange.

„Weißt du wie viele Thomas es hier in Edinburgh gibt?“

„Kannst du mir mit hundert prozentiger Sicherheit sagen, dass es sich nicht um Thomas gehandelt hat. So wie wir, kann er doch schon viel früher heraus bekommen haben, dass es einen weiteren Bruder gibt.“

„Aber warum soll er etwas gegen dich haben? Meinst du er hat Angst, du schmälerst sein Erbe?“

„Was für ein Erbe. Von dieser Familie habe ich als unehelicher Sohn nichts zu erwarten!“, meinte Angus leicht säuerlich.

„Eben drum, du bist der uneheliche Sohn meines… unseres Vaters, so bist du laut Recht auch erbberechtigt! In dieser Familie ging es bisher immer ums Geld und daran wird sich in Zukunft auch nichts ändern!“

Angus schien zu überlegen.

„Ich… ich möchte sicherlich nichts von der Familie, die so von Geld regiert wird. Es reicht mir, einen tollen Bruder zu haben“, strahlte er mich wieder an.

Das Essen war mittlerweile kalt und so richtig Hunger hatte ich eh nicht. Angus stand auf und trug unser beider Teller in die Spüle. Ihm war wohl auch der Hunger vergangen.

*-*-*

Ich war mir nicht sicher, ob es richtig war, ohne Angus zu Granny zu gehen. Aber ich hatte einfach das Gefühl, alleine mit Granny reden zu müssen. Als ich am Haus eintraf, saß sie nicht wie die letzten Male auf ihrer Veranda.

So betrat ich das Haus und war erstaunt, dass es dem Haus, welches ich jetzt mit Angus bewohnte, recht ähnelte. Im Flur hing sogar fast derselbe Spiegel. In ihm konnte ich mich aber nicht sehen, es war darin nur dunkel.

„Hallo Finn!“, vernahm ich Grannys Stimme.

Sie stand im Türrahmen zum Wohnbereich.

„Hallo Granny!“, grüßte ich sie erfreut und umarmte sie.

„Angus hast du nicht mitgebracht?“

„Nein, der schläft schon.“

„Schade, aber ich freue mich, dass du gekommen bist.“

Ich konnte eine gewisse Traurigkeit in ihrer Stimme heraus hören.

„Das nächste Mal bringe ich ihn wieder mit, versprochen!“

„Schon gut mein Junge, komm setzen wir uns.“

Ich folgte ihr in den Wohnbereich und auch hier kam mir alles bekannt vor.

„Ich sehe dir an, dass du etwas auf dem Herzen hast.“

Seufzend ließ mich auf das Sofa fallen.

„Ich…, weiß einfach nicht weiter. Es hat sich heraus gestellt, dass ein Kollege mich benutzt hat, seine krummen Geschäfte zu tätigen. Als die Sache aufflog hat er meinen Bruder Thomas erwähnt.“

„Und nun denkst du, dass Thomas mit der Sache zu tun hat, oder gar dahinter steckt?“

Ich nickte leicht.

„Du verstehst nicht, warum er so handelt?“

„Ja, ich weiß nicht, warum er mich so hasst und diese schlimmen Dingen tut.“

„Hass entsteht meist durch Neid, weil der eine etwas hat, oder kann und der andere auch gern so sein würde.“

„Wer bin ich denn, dass er so sein will wie ich? Es gibt nichts in meinem Leben, das erstrebenswert sein könnte! Und vor allem besitze ich kein Geld, das anscheinend wohl seine Antriebsfeder ist.“

„Na, na ,na, mach dich nicht kleiner als du bist! Ich bin mir nicht sicher, ob das etwas mit dem Geld zu tun hat. Geld beruhigt ungemein behauptet man, aber es ist eben nicht alles, vor allem kann man sich nicht alles damit kaufen.“

Sie hatte Recht, dass er mich nicht mochte, konnte wirklich nicht alleine am Geld liegen. Sie nahm meine Hand.

„Finn, du hast etwas an dir, was andere Menschen vereinnahmen kann. Eine natürliche Gabe, die aber nicht jeder besitzt. Du zeigst deine Gefühle, versteckst dich nicht hinter eine Maske, was viele tun. Aber das kann eben auch Neid und Hass erzeugen.“

„Er mag mich also nicht, weil ich so bin, wie ich bin.“

„Auch wer du bist!“

Fragend schaute ich sie an.

„Wie meinst du das?“

Granny atmete tief durch, schaute mich aber dabei liebevoll an.

„Diese Familie hat so viele Geheimnisse, dass ich schon gar nicht mehr weiß, ob jemals alle gelüftet werden. Und Thomas ist ebenso ein Geheimnis, wie vieles andere, was dieser Familie mehr geschadet hat, als anderes.“

Was gab es, was ich über Thomas nicht wusste?

„Dein Bruder Thomas ist ebenso wie Angus ein Halbbruder…“

„Noch ein unehelicher Sohn von Vater?“, fragte ich entsetzt.

Granny schüttelte den Kopf.

„Nein, deine Mutter hat Thomas mit in die Ehe gebracht. Nach dem Tod ihres ersten Mannes, der starb als Thomas geboren wurde, lernte deine Mutter deinen Vater kennen. Als die beiden heirateten, adoptierte er Thomas sogar. Alles schien gut, bis du zwei Jahre später auf die Welt kamst, danach hast du im Leben deines Vaters die erste Geige gespielt.“

Das hatte ich wirklich nicht gewusst. Thomas war immer für mich der große Bruder, zu dem ich aufsah. Doch je älter wir wurden, umso mehr entfernten wir uns voneinander.

„So gesehen, bist du der einzige reale Sohn deiner Eltern.“

„Und doch haben sie mich im Stich gelassen…“, meinte ich verbittert, „und es ändert auch nichts daran, dass Thomas etwas gegen mich hat.“

Wie viele Geheimnisse und Wahrheiten gab es noch in dieser Familie. Wollte ich es überhaupt wissen? Je mehr ich über diese meine Familie erfuhr, desto stärker wurde das Gefühl, ungeliebt zu sein, umso stärker war der Schmerz, den ich spürte.

„Es tut mir leid, Finn, das ich dir so viel verschwiegen habe.“

„Dich trifft keine Schuld, du wolltest mich nur beschützen.“

„Beschützen…, aber für was einen Preis? Diese Familie ist nur noch auf dem Papier existent.“

Sollte ich jetzt sagen, den Preis zahl ich gerne, weil? Nein, niemand sollte so einen Preis zahlen! Niemand sollte so ein Schicksal erleiden, wie ich es erlitten hatte.

„Ich dachte, wenn ich mich an die Regeln eurer Welt halte, geht alles so einfach“, sinnierte Granny, „aber was hat es gebracht…?“

„Bist du deswegen gegangen?“

Granny schaute vor sich hin, schien zu überlegen. Hier zu leben, in einer Welt in der immer die Sonne schien, war einfach, als ein Leben in unserer Welt, dass sie eindeutig hinter sich hatte.

Ich überlegte, ob dies nicht auch etwas für mich wäre. Zu tun, was man möchte, ohne dass jemand Hass und Neid dir entgegen brachte.

„Ich weiß es nicht, Finn. Ein Teil von mir schreit ja, weil ich es leid war, jeden einzelnen Tag in meinem Leben, für meine Existenz zu kämpfen. Aber der andere Teil erinnert mich an die Liebe meines Mannes, meiner Kinder, als sie noch zu Hause lebten. Das Leben, das ich mit dir teilen durfte. Diese Erinnerungen will ich auf keinen Fall missen.“

Da war es wieder, dieses Lächeln in ihrem Gesicht, was mir so oft half, wenn ich Kummer hatte.

„Du darfst dich nicht aufgeben, bleib dir selbst treu. Du hast Menschen, die dich lieben und die für dich einstehen, wenn du es nötig hast! Du solltest nach wie vor deinem Traum folgen, den du schon ewig träumst.“

Mein Traum war es ein Leben zuführen, wo nicht immer Leid und Schmerz die erste Rolle spielte. Bisher war ich von diesem Leben noch weit entfernt.

„Ich weiß Granny, aber das ist nicht immer leicht“

„Das nennt man Leben, mein Junge. Ich sagte dir schon, folge deinem Herzen…, und für jedes Problem gibt es auch eine Lösung, man muss nur lang genug danach suchen.“

„Nach Lösungen suchen…“, stammelte ich ihr nach.

„Du liebst, also lasse es zu geliebt zu werden…“

*-*-*
Mit diesen Worten, erwachte ich am nächsten Morgen. Meine Uhr sagte, dass ich langsam in die Gänge kommen musste, wenn ich einen normalen Tagesablauf wollte. Mein erster Gang führte mich zum Fenster.

Dort sah ich, dass es wohl die ganze Nacht geschneit hatte. Er war alles mit einer weisen Schicht überzogen. Sollte David mich dann überhaupt abholen, oder ich ihn? Da war er wieder, der Gedanke David, der mich schon seit Tagen beschäftigte.

Wo ich früher Abneigung empfand, vermisste ich ihn jetzt, wenn ich ihn nicht an meiner Seite hatte. Seine Augen, seine Blicke auch das Lächeln hatten sich bereits tief eingebrannt. Seit dem Vorfall in der Bank, hatte sich das Verhältnis zwischen uns Grundlegend geändert.

Die Sehnsucht einen Partner zu haben, war noch nie so groß, wie in den vergangenen Tagen. Aber aus irgendeinem Grund, bremste ich mich selbst aus und auch David schien nicht bereit zu sein, eine neue Freundschaft zu zulassen.

Als ich wenig später in die Küche kam, war Angus bereits angezogen, sogar eine Zipfelmütze trug er heute.

„Ich bin dann mal weg! Mein Vorarbeiter hat geschrieben, ob ich nicht etwas früher kommen könnte, es wäre ein Auftrag herein gekommen, da bräuchte er meine Hilfe. Ich wünsch dir einen schönen Tag!“

Er hängte sich seine Tasche um und mit einem Toast im Mund verließ er laufend den Wohnbereich. Wenig später hörte ich, wie die Haustür ins Schloss fiel. Ich schaute immer noch auf die Tür, wo vor wenige Sekunden noch Angus war.

Ich wollte gerade in meinem Toast beißen, als der Haustürgong, sich bemerkbar machte. Nanu, hatte Angus etwas vergessen? Er hatte doch einen eigenen Schlüssel. So stand ich auf, lief schnell zur Haustür und zog sie auf.

„Hast du etwas…“, mitten in der Frage brach ich ab, denn statt Angus, stand David in der Tür. Seine braunen Haare waren mit etwas Schnee bedeckt.

„Morgen, komm doch herein!“

„Morgen… äh Angus meinte, du frühstückst erst noch und ich soll ins Haus gehen.“

„Da hatte er vollkommen Recht. Wie lange stehst du denn schon draußen und ich dachte, ich hole dich heute ab. Wollten wir uns nicht abwechseln?“

Er war mitten im Flur stehen geblieben.

„Ich möchte nicht, dass du da alleine draußen herum marschierst und dir etwas passiert.“

Er hatte sich zu mir gedreht.

„He, ich bin schon groß, ich kann auch bei dem Wetter Auto fahren!“

Sein Kopf senkte sich.

„Das meinte ich nicht…, ich will nicht, dass dir dein Bruder nochmal etwas antut.“

Ich wusste es schon vorher, aber ich wollte dies aus seinem Mund hören.

„Warum?“, fragte ich einfach nur.

Er schaute auf, direkt in meine Augen. Wieder dieses magische Grün, das mich jetzt regelrecht anfunkelte.

„Weil ich nicht möchte, dass dir noch mal jemand weh tut…, dazu schließe ich mich nicht aus.“

„Ich bin dir also nicht egal?“

„Sicherlich nicht!“

Nach einer kurzen Stille, hob ich die Arme.

„Komm, zieh deinen Mantel aus, solange ich frühstücke…, willst du auch einen Kaffee?“

„Gerne…, ich habe noch nicht gefrühstückt…“

„Dann frühstücken wir eben zusammen!“

*-*-*

Der restlichen Morgen, gestaltete sich wie immer, nur dass die Kollegen im Büro anders drauf waren. Ständig wurde irgendwo getuschelt, oder es bildeten sich an einem der zahlreichen Schreibtische kleine Grüppchen.

Man sah ab und wann zu uns herüber, aber mit uns wurde nicht groß geredet. Ob von unserer Beförderung, doch etwas durch gesickert war? Ich lenkte mich immer am besten mit Arbeit ab, so war es jetzt auch.

Während David und ich, uns über Möglichkeiten der staatlichen Förderungen informierten, versuchte sich Blair an Ausschreibungsformate, für Firmen, die zukünftig für die Errichtung des Hauses zuständig wären. Blair schaute, aber an mir vorbei, also war hinter meinem Rücken etwas im Gange.

„Entschuldigt…, ich habe da ein Problem und die Leute von der Softwareabteilung sagten mir ich solle mich an euch wenden, dass ihr jetzt dafür zuständig wärt?“

Mir lief es kalt den Rücken herunter. War es also doch durchgesickert?

„Um was geht es?“, fragte David neben mir.

Ich spürte, wie Anne an mir vorbei lief und neben mir ins Blickfeld ließ.

„Ich wollte Daten von der hiesigen Datenbank mit unserer abgleichen, aber irgendetwas blockiert das Programm.“

David schaute zu mir. Sollte ich mich etwa darum kümmern? Er grinste mich an.

„Für was brauchst du die Daten?“, fragte ich etwas unsicher.

„Ich habe festgestellt, dass unsere Daten nicht mehr aktuell sind, was die Stadt betrifft und bevor ich weiter machen kann, wollte ich diese mir mit der Hilfe vom Stadtarchiv korrigieren.“

Ich stand auf und ging zu ihrem Arbeitsplatz.

„Kannst du mir das zeigen?“

„Aber ja doch“, sagte Anne und setzte sich wieder auf ihren Stuhl.

Schnell waren die betreffenden Seiten aufgerufen und ich schaute mir ihr Problem an.

„Das Stadtarchiv arbeitet mit einem anderen System, als wir es benutzen.“

„Dann muss ich alles einzeln übertragen?“

„Darf ich?“, meinte und zeigte auf ihre Maus.

Sie zog ihre Hand zurück.

„Du gehst einfach hier oben bei Bearbeiten hinein und Konvertieren drücken“, ein weiteres Fenster öffnete sich, „ziehst die gewünschten Daten, vom Stadtarchiv, hier herein und „starten“ drücken.“

Sie machte dass, was ich ihr vorgeschlagen hatte und nach wenige Sekunden, fing ihr Rechner an zu arbeiten.

„Danke!“, lächelte sie mich an und errötete leicht.

„Nichts zu danken, dafür sind wir Kollegen doch da.“

Ich drehte mich um und David und Blair hoben fast gleichzeitig den Daumen. Ich atmete tief durch und setzte mich wieder an meinen Platz.

Sie ist rot geworden!“, schrieb Blair und ich konnte deutlich sehen, dass David hinter seinem Monitor grinste.

Ja und, soll ich mir jetzt darauf etwas einbilden?“, schrieb ich zurück.

Ein Kichern war von Blairs Seite zu hören.

Neuer Fanclub?“, schrieb sie nur.

*-*-*

„Eigentlich müsste unser erster Schritt, als neue Führung der Abteilung sein, dass wir uns um das Kantinenessen kümmern!“, meinte Blair und schob etwas von ihren gebratenen Nudeln in den Mund.

Heute war der Asiate an der nächsten Ecke in die engere Wahl gerutscht. Ein Blick durch das Restaurant verriet mir, dass wir nicht die einzigen aus der Bank waren. An verschiedenen Tischen konnte ich den Umhängeausweis unserer Bank erkennen.

„Und wie soll ich das bitte anstellen? In die Küche rennen und Gefahr laufen, die Küchenfrauen verprügeln mich mit ihrem Kochlöffeln?“, fragte ich.

David neben mir verschluckte sich und begann zu husten, während Blair, trotz vollem Mundes anfing zu kichern. Ich klopfte meinem Sitznachbarn kräftig auf den Rücken, der dabei etwas nachgab, aber der Erfolg stellte sich rasch ein. David nahm sein Glas und trank einen Schluck.

„Ich hasse Kopfkino!“, meinte er, als er absetzte, was Blair dazu veranlasste, noch mehr zu kichern.

„Aber Spaß bei Seite, wie stellst du dir das vor?“, wollte ich wissen.

Blair kaute erst fertig und schluckte es hinunter, bevor sich etwas sagte.

„Du hast vielleicht selbst schon gesehen, wie viele Kollegen hier zum Mittagstisch sind. Du solltest zu Paul gehen, ihm das erzählen. Fordere einfach, dass das Essen besser wird, oder die Kantine kann geschlossen werden. Wäre auch ein Kostenpunkt, den die Bank dann einsparen könnte.“

„Da ist etwas dran“, stimmte David zu und hob den Daumen Richtung Blair.

Diese strahlte über das ganze Gesicht.

„Du willst also, die prügelnden Küchenfrauen entlassen?“

David fing an, laut zu lachen, was natürlich die Aufmerksamkeit der Nachbartische auf uns zog. Aber das störte mich nicht, eher faszinierte mich das Lachen von David, den ich anstarrte.

Einen Tritt gegen mein Schienbein, ließ meine Starre sich lösen. Mein Blick wanderte zu Blair, die eine empörte Fratze zog. Dass sie es nicht ernst meinen konnte, sah man an ihrem Lächeln.

„Warum eigentlich ich, nicht einer von euch?“

„Du bist jetzt der Abteilungsleiter“, sagte David leise neben mir.

Diese Tatsache vergaß ich gerade oft, sogar gerne, weil es nur weitere Fragen in meinem Kopf aufwarf. Ob die Kollegen das hinnahmen und sie mich überhaupt als ihren Vorgesetzten akzeptierten.

„Okay… okay ich gebe mich geschlagen. Wenn wir zurück sind, werde ich diesen Punkt der Tagesordnung gleich erledigen“, sprach ich nun ganz formell zu den beiden.

„Gut, dann kann ich ja beruhigt zu meinem Nachtisch übergehen und schob sich die letzten Nudeln in den Mund.

*-*-*

Wie besprochen, war ich auf dem Weg zu Paul. Aber ich wusste nicht einmal, ob er jetzt Zeit für mich hatte. Dort angekommen, wollte ich gerade an die Tür seiner Sekretärin klopfen, als ich von drinnen, recht laute Stimmen hören konnte.

„So nicht junger Mann, von dir lass ich mir nicht das Messer auf die Brust setzten. Entweder du machst das so wie ich es sage, oder ich werde beim Vorstand durchsetzten, dass wir zu einer andere Architektenfirma wechseln.“

Oh, da schien wohl Phillip anwesend zu sein und war mit seinem Vater in die Haare geraten. Das Knallen eine Tür ließ mich zusammenfahren und das Öffnen der Tür vor mir, zurückweisen.

„Eine schönen Tag noch, Mrs. Plumpes“, erkannte ich Phillips Stimme.

Als er mich dann endlich bemerkte, zuckte auch er zusammen.

„Hallo Phillip!“, meinte ich nur und schob die Tür, die er gerade hinter sich schließen wollte, wieder auf.

„Ähm… hallo“, sagte er nur und schob mich an ihm vorbei.

Kurz stand er noch in der Tür, dann schloss er die Tür von außen.

„Was kann ich für sie tun, junger Mann?“, fragte Mrs. Plumpes und zwinkerte aufgeregt hinter ihrer kleinen Nickelbrille.

„Wäre es eventuell möglich, mit dem Chef zu reden?“

„Wenn sie ihn genauso verärgern wollen, wie dieser… dieser…“, sie zeigte auf die Tür, wo eben noch Phillip gestanden hatte, „können sie gleich wieder gehen!“

Oh, da war wohl jemand noch mehr angesäuert, als ihr Chef. Ich hob abwehrend die Hände.

„Nein Mrs. Plumpes, ich wollte ihn nur wegen eventuellen Kosteneinsparungen etwas fragen.“

„Einen Moment bitte!“

Sie nahm den Hörer in die Hand und drückte eine Tasse.

„Mr. Morris, Mr. Lennox ist hier und möchte sie kurz sprechen!“

Sie verstummte und lauschte kurz.

„Okay, werde ich machen.“

Sie legte auf und schaute mich an. Dann hob sie ihre Hand, ohne etwas zu sagen und wies mit einem Lächeln in Richtung Tür ihres Chefs.

„Danke!“, meinte ich nur und ging zur Tür.

Ich klopfte und trat ein.

„Hallo Finn, was kann ich für sie tun?“

Mit einer einladenden Handbewegung, zeigte er auf den Sitz ihm gegenüber am Schreibtisch.

„Hallo Paul, nett, dass sie Zeit haben“, sagte ich und ließ mich auf den Sitz nieder.

Dieser hatte noch eine leichte Restwärme meines Vorgängers.

„Für sie immer doch! Also, um was geht es.

Ich schilderte ihm, was ich mit David und Blair beobachtet hatte und fragte nach einer Möglichkeit, wie man dies ändern könnte. Er kratzte sich nachdenklich am Kopf und drehte dabei seinen Bürostuhl leicht hin und her.

„Also ich finde, zumachen wäre Raumverschwendung, die Kantine kann man nicht anderswertig benutzen.“

„Aber jemanden entlassen finde ich auch nicht gut.“

„Da haben sie Recht, Finn!“, er notierte sich etwas auf einen Schreibblock, „aber es wird sich generell hier einiges ändern, denn ich habe zu viel Zeit für die Belange von London verwendet und darüber hinaus hier einiges schleifen lassen.“

„So hatte ich das jetzt nicht gemeint, ich…“

„Keine Sorge, Finn. Es ist ein guter Vorschlag und meine Mitarbeiter sollen sich hier ja auch wohlfühlen.“

Dazu fiel mit jetzt nichts ein und ich nickte nur.

„War es das?“, fragte er.

Wieder nickte ich.

„Dann werfe ich sie jetzt aus meinem Zimmer, denn wir haben beide noch zu tun.“

Er lächelte breit und ich erhob mich. Ich war gerade im Begriff zu gehen, als er sich laut räusperte. Ich drehte mich zu ihm.

„Und noch einmal danke wegen David, er ist viel umgänglicher geworden in den letzten Tagen…, dieser Dank kommt auch von meiner Frau!“

Auch hierzu sagte ich nichts, verbeugte mich ganz leicht und ging.

*-*-*

Etwas müde schloss ich mein Programm.

„Für heute reicht es mir“, sagte ich und rieb mir durchs Gesicht.

„Wir sind auch ein ganz schönes Stück weiter gekommen“, meinte David und streckte seine Arme nach oben.

„Steht noch etwas an?“, fragte Blair.

„Nicht, dass ich wüsste“, antwortete ich und drehte mich zu den restlichen Kollegen.

Der Großteil war schon gegangen, so konnten wir das auch tun. Ich erhob mich und zog meine Jacke vom Stuhl.

„Dann lass uns mal ganz schnell verschwinden, bevor uns noch jemand zu Überstunden verdonnert“, sagte ich und wickelte meinen Schal um dem Hals.

Blair trat zur mir heran.

„Du bist der Abteilungsleiter“, flüsterte sie, „wer soll uns sonst mehr Arbeit aufbrummen wollen.“

Ich streckte ihr die Zunge heraus und sie fing an zu grinsen.

„Dann wünsch ich euch einen schönen Abend, man sieht sich morgen wieder“, meinte sie, schnappte sich ihre Handtasche und lief Richtung Ausgang.

David nickte mir zu und wir folgten ihr zur Tür hinaus. Wenig später saß ich neben David in seinem Wagen und wir verließen gerade die Tiefgarage, als ein Wagen scharf, auf der Straße vor uns bremste.

Ich konnte den Fahrer erkennen, es war niemand anders als Thomas. Der Wagen war aber so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Ich schaute noch immer auf die Stelle, wo das Gefährt meines Bruders gerade noch gestanden hatte.

„Hat der einen Knall? So ein Arsch“, fluchte David neben mir und gab Gas.

„Das…, das war mein Bruder.“

David stoppte den Wagen.

„Dieser Thomas?“

Ich nickte und David schwieg.

„David…, könnten wir irgendwo hinfahren…, ich möchte jetzt nicht nach Hause.“

Er schien zu überlegen.

„Okay“, meinte er nur und der Wagen rollte erneut an.

*-*-*

Er hielt vor einem kleinen Mehrfamilienhaus. Vier oder sechs Wohneinheiten, ich konnte ich nicht richtig einschätzen.

„Wo sind wir hier?“

„Bei mir“, sagte David und verließ den Wagen als erstes.

Ich stieg ebenso aus und schaute mich um.

„Es ist uns niemand gefolgt“, sagte David. Ich schaute ihn ohne etwas darauf zu sagen an und folgte ihm dann ins Haus.

Als wir wenig später seine Wohnung betraten, war ich doch etwas überrascht. Nichts ließ darauf hindeuten, dass David sozusagen aus reicherem Hause stammte, denn die sogenannte Wohnung, war eher spartanisch eingerichtet.

Es handelte sich um ein Zimmer mit Kochnische und hinter einer weiteren Tür vermutete ich das Bad. Es erinnerte mich an die Wohnung, die ich vorher mein Eigen nannte, nur dass diese etwas größer war, als Davids Wohnung hier?

„Was ist?“, fragte David.

Er hing seinen Mantel an einen Kleiderbügel am Schrank.

„Etwas leer und klein…“, antworte ich und öffnete den Reisverschluss meiner Jacke.

„Habe auf die Schnelle nichts Besseres gefunden… Als ich nach London ging, habe ich meine alte Wohnung aufgegeben, weil ich eigentlich dachte, länger in London zu bleiben.“

„Was hat deine Meinung geändert?“, fragte ich und hing meine Jacke über den Stuhl, der vor mir stand.

Er drehte sich wieder in meine Richtung.

„Ich wusste damals nicht, wie sehr mit Edinburgh fehlen würde…“

„Nur Edinburgh?“

Er atmete tief durch, hob etwas die Arme, als wollte er mir sagen, weiß nicht!

„Hast du dich schon weiter umgeschaut, soll ich dir helfen?“

Er winkte ab.

„Nein, wenn ich ehrlich bin, genügt mir das im Augenblick. Meine anderen Sachen, die ich in London nicht dabei hatte, sind sowieso bei Paul und Glenda eingelagert.“

„Sie kennen die Wohnung?“

„Gott bewahre, Glenda hätte mich sofort wieder nach Hause zurück geholt… setz dich doch…“

David zeigte auf dem Stuhl über den ich die Jacke gehängt hatte. Er selbst ließ sich auf der kleinen Couch nieder, bei der ich befürchtete, dass dies auch sein Nachtlager war. Ich konnte sonst keine andere Schlafgelegenheit entdecken.

„Wäre dass so schlimm? Ich meine, das hier passt irgendwie gar nicht zu dir.“

„Bei Glenda zu wohnen wäre an sich nicht schlimm, wenn ich …“

Er brach ab.

„… wenn du nicht dauernd Phillip über den Weg laufend würdest. Er war heute übrigens in der Bank.“

„Ja? Ich habe ihn gar nicht gesehen“, erwiderte er, noch leiser, als eben.

Dabei schaute er zu Boden. Ich erhob mich, lief zu ihm und ging vor ihm vor die Knie. Ich hob sein Gesicht und schaute in seine traurigen Augen.

„Wie lange trauerst du noch dieser Freundschaft hinter her? Das tut dir nicht gut!“

„Er fehlt mir halt“, hauchte er leise, „…er war meine erste große Liebe.“

Da hatte er mir etwas voraus, ich hatte noch nie einen festen Freund.

„Er verdient deine Liebe nicht!“

„Das weiß ich doch…“

Erste Tränen liefen über seine Wangen. Ich hob meine Hand fasste an seine Wange und versuchte sie mit dem Daumen wegzuwischen.

„Es hat nichts geholfen…, ich dachte wenn ich nach London gehe, ihn nicht mehr sehe, dann komme ich darüber hinweg…, aber es wurde immer schlimmer…“

Ich nahm ihn einfach in meinen Arm und er legte seinen Kopf auf die Schulter.

„Es tut einfach nur weh…“

„Das verstehe ich…“, meinte ich, obwohl ich mir nicht richtig sicher war, ob ich es auch wirklich verstand.

Ich kannte diese Art Schmerz nicht, weil ich noch nie in so einer Situation war. Aber war es eigentlich nicht egal, aus welchem Grund man von jemand enttäuscht wurde, war es nicht irgendwie der gleiche Schmerz.

Aber der Aspekt der Liebe,  war ein anderer. Familienliebe, Bruderliebe war etwas anderes, als wenn man einen anderen Menschen richtig von Herzen liebte. David löste sich von mir, wischte sich die Tränen ab. Er lächelte kurz.

„Eigentlich sind wir wegen dir hier, wegen deinem… Bruder, da komm ich mit meinem Problemen… unpassend, findest du nicht auch?“

„Nein!“, ich schüttelte den Kopf, „deine Gefühle sind genauso wichtig, wie meine!“

Er rutschte etwas zur Seite und machte mir Platz. Ich erhob mich aus meiner unbequemen Stellung und ließ mich neben ihm nieder.

„David, so wie du dir Sorgen um mich machst, so mache ich mir natürlich Sorgen um dich!“

Er schaute zu Boden und fing plötzlich an zu kichern.

„Was ist daran so lustig?“

Das Kichern reduzierte sich zu einem sanften Lächeln.

„… hört sich an, als wären wir ein Paar, das schon lange zusammen ist.“

„Wäre da so abwegig?“

David sah mich durchdringend an.

„Es war immer ein Traum, mit jemand zusammen zu sein und alles zu teilen, zusammen alt werden…

„Hat so einen Traum nicht jeder?

Wir blickten uns beide lange an, ohne dass David mir eine Antwort gab. Unsere Köpfe wanderten langsam aber kontinuierlich  aufeinander zu. Als unsere Gesichter nur noch wenige Millimeter voneinander entfernt waren, klingelte mein Handy.

„Ja Angus?“, sagte ich leicht genervt.

„Wo steckst du, ich mach mir Sorgen!“

„Noch einer…“, sagte ich mehr zu mir, als zu Angus, „… ich bin noch mit zu David gefahren.“

„Gut, dann brauch ich mit dem Abendessen nicht auf dich zu warten.“

„Moment…“

Ich schaute David an.

„Hunger?“

„Aber ich kann doch nicht…“

„Hast du Hunger?“

„Ja…“, kam es kleinlaut von David.

„Du Angus wir kommen heim, halt das Essen warm!“

„Wir?“, deutlich konnte ich hören, wie Angus kicherte.

„Ja, David und ich! Bye!“

Ich drückte das Gespräch weg.

„Kann ich mich wenigstens noch umziehen?“

„Du, ich habe eine bessere Idee! Du bleibst so, packst dir etwas Bequemes ein und übernachtest heute bei uns.“

„Aber…“

„Nichts aber, du bleibst mir heute Nacht nicht alleine!“

„Aber wo soll ich schlafen…, Angus hat doch jetzt dein Gästezimmer?“

„Bei mir!“

David schaute mich mit großen Augen an.

„Oder wenn es dir lieber ist, die Couch vor dem Fernseher ist auch sehr bequem, oder Angus schläft bei mir und du nimmst sein Bett.“

„Finn…, bitte ich möchte euch nicht solche Umstände machen…, ich…“

„Du machst keine Umstände! Also abgemacht, pack deine Sachen, dann fahren wir. Da gibt es einen jungen Mann, der wartet mit einem herrlichen Essen auf uns! Ach so, vergiss die Zahnbürste nicht!“

*-*-*

„Der Wagen kommt mir bekannt vor“, meinte David, als wir in meine Straße einbogen.

„Welches?“, fragte ich, weil ich mehrere Wagen sah.

„Das, welches direkt vor deinem Haus steht.“

„Da stehen oft Autos, ich mach mir da nie Gedanken darüber.“

„Phillip“, sagte David plötzlich neben mir.

„Was?“, fragte ich und schaute nach draußen, ob dieser Typ irgendwo stand.

„Das ist Phillips Auto!“

„Phillips Auto? Was hat der denn bei mir zu suchen und vor allem, woher weiß er, wo ich wohne?“

„Wenn Phillip etwas heraus bekommen möchte, dann macht er das.“

„Ich lass ihn sicher nicht in mein Haus!“

„Musst du auch nicht. Aber warum bist du so gegen ihn eingestellt? Hoffentlich nicht… wegen mir.“

„David, du kannst ganz beruhigt sein, der Herr hat es ganz alleine fertig gebracht, sich bei mir unbeliebt zu machen. Ich arbeite nur wegen dem Architektenbüro, wo er beschäftigt ist, mit ihm zusammen. Könnte ich wählen, wäre er sicher der letzte Architekt Edinburgh, den ich beauftragen würde.“

David nickte nur und parkte seinen Wagen hinter dem von Phillip. Als ich die Tür öffnete, schlug mir kalte Luft entgegen.

„Er sitzt nicht in seinem Wagen“, meinte David und verschloss den Wagen.

Natürlich schaute ich mich weiter um, konnte aber Phillip nirgends entdecken. Mein Blick blieb auf dem Haus haften. Ich kannte Angus Gastfreundschaft und war mir sicher, dass wir gleiche eine kleine Überraschung erlebten.

„Komm, mir ist kalt“, meinte ich und schob ihn Richtung gatter. Obwohl Angus anscheinend gekehrt hatte, kam es mir doch etwas glatt vor.

David lief mit kleinen Schritten vor mir, nachdem ich das Gatter hinter mir geschlossen hatte. Ich zog meine Schlüssel heraus und spürte jetzt schon, dass meine Finger, trotz der Kürze in der Kälte, sich taub anfühlten.

Durch die offene Tür drang Wärme nach draußen. Ich ließ David den Vortritt, folgte ihm und schloss hinter uns die schwere Holztür.

„Lass dich nicht provozieren!“

David schaute mich fragend an.

„Meinst du wo wohl Phillip ist“, sagte ich leise und zeigte auf den Wohnbereich, „stell deine Tasche auf die Treppe, er braucht nicht mitbekommen, dass du bleibst.“

David macht das, was ich gesagt hatte und zog dann seinen Mantel aus, während ich mich aus Schal und Jacke schälte.

„Hallo ihr beiden!“, begrüßte uns Angus im Türrahmen.

„Hallo“, meinte David, ich nickte ihm nur zu.

„Ähm, wir haben einen Gast“, sprach Angus weiter.

„Ich weiß“, sagte ich nur und schob David vor mir her.

So betraten wir den Wohnbereich und sahen Phillip auf der Couch sitzen. Er trug die gleiche Jacke an, als ich ihn in der Nähe von Doc Barkley gesehen hatte. Komisch ich hatte das völlig vergessen und niemand gesagt.

„Hallo Finn…, oh hallo David, dich hätte ich hier nicht erwartet!“

Phillip war aufgestanden.

„Ich habe ihm zum Abendessen eingeladen, um eventuell noch ein paar Sachen zu besprechen“, erklärte ich, auch wenn ich das nicht musste.

Gelogen hatte ich ja auch nicht, denn ich wollte schon mit ihm reden, insbesondere über das, was vorhin fast geschehen war.  Der Tisch war noch nicht gedeckt, so hatte Angus nichts darüber geäußert, dass er uns beide zum Essen erwartete.

So war Phillips Überraschung, hier David anzutreffen, wohl echt und für mich kein Grund vorhanden, dass ich über sein Dasein wütend wurde.

„Verstehe, weil ich…, dich um ein Gespräch bitten wollte, aber ich will euren Arbeitsdrang nicht stören.“

Er wollte mit mir reden? Über was?

„Aber das können wir ein andermal sicher nachholen…“

Ich nickte nur, weil ich wirklich nicht wusste, was ich darauf sagen sollte. Es gab wirklich nichts, wovon ich wüsste, dass wir ein Gespräch darüber führen sollten. Phillip schaute kurz zu David, dann setzte er sich in Bewegung. Hatte er Tränen in den Augen? Sah ich richtig?

„Euch noch einen schönen Abend…!“, sagte Phillip und drängte sich an uns vorbei, bevor ich etwas sagen konnte.

Angus folgte ihm so schnell er konnte und wenig später hörten wir die Tür ins Schloss fallen. Unser Jüngster kam zurück und zuckte mit den Schultern.

„Was war denn mit dem los?“, wollte Angus wissen.

„Ich…, ich weiß es nicht. Ich habe Phillip noch nie so erlebt“, meinte David.

„Den Grund kenne ich vielleicht, aber ich weiß immer noch nicht, über was er mit mir zu reden hätte“, sagte ich.

Wir standen nur da und sahen uns an.

„Komm lass uns essen, bevor es noch ganz verkocht ist!“, meinte Angus und zauberte wie aus dem nichts plötzlich Teller und Besteck her.

*-*-*

„Und du hast nichts gehört, über was sie sprachen?“, fragte Angus neugierig und leerte seinen Teller.

Ich hatte den beiden erzählt, was ich gesehen hatte.

„Nein, ich saß bereits im Wagen, ansonsten hätten die beiden mich gesehen.“

Mein Blick wanderte zu David, der die ganze Zeit nichts gesagt, sondern nur zu gehört hatte.

„Das ist nicht Phillip…, jedenfalls nicht den Phillip, den ich schon fast mein ganzes Leben kenne…“, meinte er und schaute mich dann durchdringend an.

„Auch habe ich Phillip nie seine Gefühle zeigen sehen, was das betraf, war er immer verschlossen.“

„Das ist aber nicht gut! Gefühle muss man zeigen, sonst verkümmert man doch irgendwann.“

Angus weiß von was er sprach. Er stand auf, sammelte unsere Teller ein und trug sie zur Spüle.

„Noch ein Glas Wein?“, fragte ich David.

Er schob sein Glas zu mir und ich schenkte ein.

„Lass uns auf die Couch sitzen, da ist es bequemer“, meinte ich.

„Sollen wir nicht erst Angus helfen?“, fragte David.

„Du wirst dich unterstehen und einen Fuß in meine Küche setzten!“, lachte Angus.

„Also…“, lächelte ich und zeigte auf die Couch.

David erhob sich und griff nach seinem Glas.

„Ich hatte vorhin schon Zeit alles Unnötige wegzuspülen und die Schüsseln weiche ich nur ein. Ich bin gleich bei euch“, fügte Angus noch an.

„Ich weiß, dir macht das zu schaffen und es ist nicht hilfreich, dass er jetzt hier auftaut“, sagte ich und ließ mich nieder.

David setzte sich neben mich, stellte sein Glas auf den Tisch.

„Das verrückte ist, ich kann dir nicht mal sagen, warum ich mit ihm zusammen war. War es Gewohnheit, weil ich so lang ich denken kann, mit ihm zusammen war?

„Sex?“, fragte Angus ungeniert, als er nun ebenso zu uns kam und sich in den Sessel lümmelte.

David wurde leicht rot und grinste.

„Daran kann es nicht gelegen haben, dann wären wir schon im zarten Alter von fünfzehn ein Paar gewesen.“

Ich schaute ihn erstaunt an und er fing an zu kichern. Anscheinend machte sich der Alkohol bemerkbar.

„Tu nicht so erstaunt, Finn! Macht nicht jeder in diesem Alter seine ersten sexuellen Erfahrungen, sei es alleine, oder mit einem anderen?“

Er hatte einem gesagt. Mein Brüderchen war schon ein Früchtchen. Er grinste mich breit an.

„Da muss ich dich enttäuschen, liebes Brüderchen, da bin ich wohl der absolute Spätstarter.“

Er zeigte auf mich.

„Du, du hast noch nie…“, er machte eine eindeutige Bewegung, an der Stelle, wo sein bestes Stück saß.

„Nein, das meinte ich, natürlich habe ich mir in dem Alter einen herunter geholt, aber ich war immer für mich alleine.“

„Aber wie hast du dann gemerkt, dass du auf Kerle stehst?“

Das wollte nun David wissen.

„Wenn man dabei ausschließlich an Kerle denkt und keinerlei Ambitionen hat, nur annähernd mal an Frauen zu denken…“

„Und du hattest noch nie einen Freund?“, fragte nun mein Bruder.

Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie meine Wangen leicht warm wurden.

„Ich fass es nicht, mein Bruder ist noch Jungfrau!“

„HE, Jungmann, wenn schon denn schon!“

David fing unkontrolliert neben mir zu kichern.

„Was denn? Ist es so schlimm, in dem Alter noch keinen Sex, mit jemand anderen gehabt zu haben?“

„Nein, aber … irgendwie komisch“, kicherte nun auch Angus.

„Ach komm, jetzt sein nicht sauer, Finn“, meinte David und stubste mich leicht an.

Natürlich an einer Stelle, an der ich extreme kitzlig war. Ein kurzer Schrei folgte, was zur Folge hatte, dass die beiden anderen Herren, laut anfingen zu lachen. Mir war aber auch nicht entgangen, dass David nun an mir lehnte.

Eigentlich hatte ich vor, kurz hoch zu gehen und mir etwas Bequemeres anzuziehen, aber Davids Nähe bremste mich total aus. Aber er nahm mir seinerseits, die Entscheidung ab, in dem er sich aufsetzte.

„Kann ich mich irgendwo umziehen, bevor ich meinen Anzug noch völlig ruiniere?“

„Aber natürlich“, meinte ich und stand als erstes aus.

Während David mir folgte, schnappte sich Angus die Fernbedienung.

„Sind gleich wieder da“, meinte ich nur, als ich zum Flur hinaus lief.

„Och, lasst euch ruhig Zeit“, kicherte uns Angus hinterher.

*-*-*

„Willst du vorher noch duschen?“, fragte ich David, als wir in mein Zimmer angekommen waren.

„Vielleicht nachher, bevor wir ins Bett“, antwortete mein Kollege und löste seine Krawatte.

„Wie du möchtest“, entgegnete ich und begann ebenso, mich aus dem Anzug zu schälen.

Was mich ausbremste, war David, der gerade sein Hemd abstreifte und seinen nackten Oberkörper preis gab. Natürlich hatte ich schon nackte Männer gesehen und das war es nicht alleine. Ein großes Tattoo prangte an seiner Seite und verschwand unter seinem linken Arm.

Natürlich blieb es nicht aus, dass David merkte, dass ich ihn anstarrte. Er begann breit zu grinsen.

„Noch nie einen nackten Mann gesehen?“, fragte er.

„Du bist nicht nackt! Du hast noch die Hose an und ich starre nur auf deinen Body, wegen dem Tattoo. Nie hätte ich gedacht, dass du dich tätowieren hast lassen. Was ist das eigentlich?“

Er hob seinen Arm an und ich konnte nun das Gesamtkunstwerk sehen.

„Ein Phönix.“

Ich ging zu ihm hin und strich sanft über die schwarzen Konturen.

„Tat das sehr weh?“, wollte ich wissen.

„Es ging“, antwortete David und senkte seinen Arm.

Nun standen wir beide dicht zusammen. Das Tattoo hatte mich aber nicht so sehr davon abgelenkt, mir nicht auch den Rest anzuschauen. Leichte Behaarung in der Brustgegend und ein sattes Sixpack, auf dem ein leichter Haarstrich in der Hose verschwand.

„Es stört dich nicht?“, riss mich David aus dem Gedanken.

Ich schüttelte den Kopf.

„Warum sollte mich das stören?“

„…Phillip hasste es…“, antwortete David und hängte nun fein säuberlich sein Hemd über die Stuhllehne.

Ich ging die zwei Schritte zurück, wo ich mich begonnen hatte auszuziehen und machte mich erneut an meinen Hemdknöpfe zu schaffen.

„Versteh ich nicht, es sieht doch toll aus.“

„Ja und er wollte es auch, hat aber aufs Tätowieren allergisch reagiert. So hat er entschieden, weil er so etwas nicht haben kann, meinen Phönix zu hassen!“, erklärte mir David.

Verfroren wie ich war, hatte ich unter dem Hemd noch ein Muscleshirt an, das ich mir jetzt über den Kopf streifte. David stieß einen leisen Pfiff aus. Er zeigte auf mich.

„Auch nicht schlecht!“, grinste er.

Ich zuckte mit den Schultern. Wir hatten eine ähnliche Statur, nur das mein Oberkörper mehr behaart war, als seiner. Er entledigte sich mittlerweile seiner Hose. Ich beschloss mich jetzt schnellst möglich umzuziehen, ohne ihn groß zu beobachten, sonst konnten wir wegen der fortgeschrittenen Zeit uns gleich in die Falle hauen.

Schnell war ich den Rest meines Anzugs los und schlüpfte in die Jogginghose und Shirt. David tat es mir gleich, nur dass er eine kurze Hose anhatte.

„Dann können wir wieder hinunter gehen, wer weiß, was Angus von uns denkt“, meinte ich und wollte schon loslaufen, als sich David in den Weg stand.

„Ähm… ich weiß was ich gesagt habe…“

„Was meinst du?“

„Das ich noch sehr an Phillip hänge und nicht…, darf ich dich umarmen?“

Ich konnte nicht anderes, lächelte ihn an. Die Frage hätte ich jetzt nicht erwartet, Generell schien mir, dass ich David total neu kennen lernte.

„Da fragst du noch?“, sagte ich und hob meine Arme.

Er fiel regelrecht hinein und drückte mich kräftig an sich.

„Danke…“, hauchte er mir ins Ohr, „dass du für mich da bist!“

„Nichts zu danken“, sagte ich nur.

Er hob leicht seinen Kopf und seine Augen funkelten wieder, bei der geringen Zimmerbeleuchtung, magisch grün.

„Ich weiß wie fies ich in der Vergangenheit war…“

„… eben, Vergangenheit, vergiss es einfach.“

Dann machte David etwas, womit er mich völlig überrumpelte. Seine Hand wanderte zu meinem Nacken, zog mich zu sich heran und küsste mich. Während er seine Augen schloss, waren meine weit aufgerissen.

Aber viel zu schnell ergab ich mich, bekam weiche Knie und schloss ebenso die Augen. Als wäre es mein letzter Kuss, wurde ich gieriger. Nur der Ruf von Angus trieb uns auseinander.

„Soll ich noch eine Flasche Wein öffnen, oder geht ihr gleich ins Bett?“, hörten wir seine Stimme unten durch die offene Tür. David nickte mir zu.

„Du kannst noch eine öffnen“, rief ich leicht außer Atem zurück.

„Danke!“, meinte David nur und verließ als erstes mein Zimmer.

*-*-*

Als ich noch vor dem Wecker am nächsten Morgen wach wurde, fühlte ich mich eingeengt. Der Grund war die Belagerung in meinem Bett. In meinen Armen lag David, während meine Rückseite von einem nackten Angus gewärmt wurde.

Dieses göttliche Bild wurde nun durch meinen Wecker zerstört. Angus hinter mir brummte.

„Boah… ist die Nacht schon wieder vorbei“, sagte er und richtete sich auf.

David hatte ebenso seine Augen geöffnet und sah zwischen mir und Angus hin und her.

„Ähm… morgen…“, meinte David leicht verschüchtert und löste sich aus meiner Umarmung.

„Ich geh mal schnell vor euch ins Bad“, sagte Angus, sprang nackt wie er war aus dem Bett und lief mit wippenden, steifen Schwanz aus dem Zimmer.

David schaute mich an und zeigte dabei Richtung Tür. Ich lächelte ihn an.

„Angus?“, fragte ich, David nickte, „… keine Sorge, Angus ist total der Frauenwelt verfallen und immer wenn er bei mir geschlafen hat, war er nackt. Warum er allerdings mit einem Steifen aufwacht…, ist auch eine Premiere.“

David grinste mich plötzlich an.

„Dieser süße kleine Schnuckel, schläft also nackt neben dir…“

„Ähm bisher, aber er hat ja jetzt sein eigenes Zimmer…“

„Und du willst du mir weiß machen…“

„He, das ist mein Bruder…!“

„Ja und?“

„Daran könnte ich mich gewöhnen“, sagte David und biss von seinem Toast ab.

Gemeinsam saßen wir am Frühstückstisch.

„Jederzeit wieder“, meinte Angus, stand auf und holte sich noch einen Kaffee.

„Das habe ich jeden Morgen!“, grinste ich David an.

David legte seinen Toast auf den Teller.

„Du willst mich wohl neidisch machen…?“

„Sicher nicht, sorry…“

David grinste mich schon wieder an.

„Und warum wirst du dann rot?“

Ich griff nach meiner Wange und spürte deutlich, wie das Blut sich unter der Haut sammelte. Angus kam lachend zum Tisch zurück.

„David, ich habe Finn noch nie so schüchtern gesehen!“

David Kopf flog herum und er schaute wieder zu mir.

„Ich weiß, was mein großer Bruder denkt!“, sagte Angus und nippte an seinem Kaffee.

„Bist du Hellseher?“, meinte ich nur und bis von meinem Toast ab.

„Nein…, man kann es aber deutlich in deinem Gesicht sehen.“

„Und was siehst du da?“, fragte David.

„Ist doch klar! Dass er gerne jeden Morgen mit dir frühstücken will!“

*-*-*

Schweigend verließen wir beide den Fahrstuhl. Die anfängliche gute Laune, die wir hatten, als wir in den Wagen stiegen, war sehr gemindert worden, als David einem anderen Wagen ausweichen musste, der seinen Wagen geschnitten hatte.

Nicht dieser Fastunfall vermieste und die Laune, nein es war der andere Wagen selbst. Es war das gleiche Fahrzeug, wie das, welches gestern uns an der Tiefgaragenausfahrt ausgebremst hatte. Der Wagen von Thomas.

„Morgen…“, meinte wir beide fast gleichzeitig, als wir das Großraumbüro betraten.

Blair, die bereits auf ihrem Platz saß, sah zwischen uns hin und her.

„Ist etwas passiert?“, fragte sie, aber ich winkte ab.

Schnell waren ich die Winterklamotten los und saß auf meinem Stuhl. Als ich mein Programm öffnete, blinkte oben links schon das bekannte Chatfenster.

Was ist los?“, schrieb Blair.

Uns hat ein Wagen geschnitten, war ziemlich knapp“, antwortete ihr David, der ebenso gerade den Chat betreten hatte.

He, es ist Winter, das kann schon mal passieren!“

„Aber nicht, wenn der Wagen meinem Bruder Thomas gehört!“, schrieb ich zurück.

Blairs Kopf hob sich und sie schaute mich entsetzt an.

Woher weißt du, dass es dein Bruder war, dachte du hast ihn solange nicht mehr gesehen?“. fragte Blair.

Weil er uns gestern, als ich aus der Tiefgarage herausfahren wollte, die Ausfahrt versperrt hat!“, antwortete David.

„Spinnt der?“, entfleuchte es Blair laut, was wieder mal die Aufmerksamkeit der Kollegen auf uns zog.

Leicht panisch schaute sie zwischen uns hin und her.

„Jeder kann ein Angebot machen, die Firma ist eben zu teuer“, sagte David plötzlich und tippte etwas auf seiner Tastatur.

Blair versank förmlich hinter ihrem Monitor.

Ein kurzes „Danke“, erschien im Chatfenster und ich lächelte David an. Dann schwieg der Chat und ich konnte mich endlich meiner Arbeit widmen. Der Rest des Morgens hatte es aber in sich. Kaum schien eine Frage, oder ein Problem gelöst, tauchte etwas Neues auf.

Ich wusste nicht, wie oft ich mir die Haare raufte, aber ein Tippen auf meine Schulter ließ mich auf sehen. David stand neben mir.

„Keinen Hunger, es ist Mittagszeit.“

Ich schaute mich um und stellte fest, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie die meisten Kollegen bereits zum Mittagstisch gegangen waren.

„Wo gehen wir heute hin?“, fragte Blair und ich zuckte mit den Schultern.

„Zwei Straßen weiter, hat ein neues Restaurant aufgemacht“, antwortete David.

„Du meinst „The Table“? Ist das nicht etwas zu gehoben?“, wollte Blair wissen.

„Zum einen sind wir alle drei Ausgehtauglich gekleidet und das Essen soll dort sehr gut sein! Komm, ich lade euch ein!“

„Da sag ich nicht nein“, mischte ich mich in ihr Gespräch und stand auf.

Leider etwas zu schnell, den David stand noch dicht neben mir. Ich rempelte ihn an und er drohte nach hinten zu kippen. Schnell legte ich meinen Arm um ihn, damit er einen Halt hatte.

„Danke!“, hauchte mir zu.

Ich zerfloss regelrecht in seinen Augen.

„Ähm… nichts zu danken“, stammelte ich und ließ ihn wieder los.

„Man könnte gerade meinen, ihr zwei seid zusammen, so wie ihr euch beide begehrlich  anschaut“, meinte Blair, die gerade in ihren Mantel schlüpfte.

Da wir mittlerweile alleine im Büro standen, war mir das egal.

„Was ja nicht ist kann ja noch werden“, grinste mich David frech an.

Beim Vorbeilaufen drückte er mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ließ einen verdutzten Finn und fassungslose Blair zurück.

*-*-*

„Wann wollte ihr beide mir das erzählen?“

Es erstaunte mich, dass Blair bis ins Restaurant geschwiegen hatte. Erst als wir bestellt hatten und die Bedienung uns alleine ließ, richtete sie die Frage an uns beide.

„Ich weiß nicht, was du meinst“, antwortete David und legte seine Serviette neben den Teller.

Blairs Blick wanderte zu mir und ich hob abwehrend die Hände.

„Ich bin auch gerade etwas… wie soll ich sagen… verwundert?“, meinte ich nur.

„Das hat sich aber heute Nacht anders angefühlt!“, flüsterte David.

Blairs Kopf fuhr fragend herum.

„Ich habe heute Nacht bei Finn geschlafen, wusstest du das nicht?“

Mein Gesicht verschwand hinter meiner Hand und schaute zum Teller. Ich war froh, dass niemand in der Nähe saß, denn es war mir schon peinlich genug.

„Heute Nacht? Finn Lennox, ich verlange eine Erklärung!“

Meine Ohren fingen an zu rauschen. Womit hatte ich das verdient?

„Blair, mach ihn nicht schon verlegener, als er schon ist. Erst die Sache mit seinem Bruder, er wollte nicht nach Hause, dann sind wir zu mir gefahren. Dann hat Angus angerufen, aus Sorge um uns und mich zu Essen eingeladen.“

„Aha…“, war das einzige, was Blair dazu zu sagen hatte.

„Dann hatte Finn die Idee, dass ich doch bei ihnen übernachten könne, naja, wir haben Wein getrunken…“

„Recht viel scheint mir“, meinte Blair.

„Weiß ich nicht, auf alle Fälle hatte ich heut Morgen keine Kopfschmerzen, aber trotzdem kann ich mich nicht mehr erinnern, wie dieses komische Schlafarrangement zu standen gekommen ist.“

„Was für ein komisches Schlafarrangement denn?“

Blair neugierig wie immer.

„Ich hatte David im Arm und Angus schlief hinter mir…“, antwortete ich.

„Ein Sandwich?“, entfuhr es Blair laut.

Natürlich drehten sich alle Köpfe zu uns, einschließlich aller sichtbaren Bedienungen. Wir hatten Glück, dass niemand wusste, worüber wir gerade redeten.

„Es war nur Angus nackt!“, flüsterte David.

„Angus…, von dem sind wir ja das gewohnt?“

„Du weißt davon?“

„Lieber David, es gibt fast nichts, was ich nicht über Angus weiß!“

Die Getränke wurden serviert. Während David und ich Wasser hatten, trank Blair einen Saft. Der junge Mann verteilte die Gläser, schenkte erst Blair den Saft, dann uns das Wasser ein. Beide Flaschen ließ er in einen Sektkühler gleiten und verschwand wieder.

„Furchtbar vornehm“, meinte Blair, „etwas anderes…, wie soll das zwischen euch beiden weitergehen? Ein tolles Paar würdet ihr alle mal abgeben.“

„Ich weiß es nicht Blair. Lass uns einfach Zeit, uns besser kennen zu lernen“, antwortete ich.

David griff nach meiner Hand.

„Blair, ich wäre gerne mit Finn zusammen, aber er hat Recht, ich weiß so gar nichts über Finn, obwohl wir schon fünf Jahre zusammen arbeiten.“

Mit großen Augen schaute ich ihn an.

„Wann…, wann hast du deine Meinung darüber geändert?“, fragte ich erstaunt.

„Soll ich ehrlich sein?“

„Ja!“, kam es von Blair.

David grinste sie an.

„Heute Morgen…, als ich in deinen Armen aufgewacht bin…“

„…wie romantisch…“, unterbrach Blair, David und umarmte sich dabei selbst.

„Heute Morgen?“

Er nickte, weil wir wieder unterbrochen wurden. Er ließ meine Hand los, weil die Bedienung bereits mit unserem Essen kam. Schweigend beobachteten wir die Bedienung, wie sie die Teller servierte.

„Einen guten Appetit“, wünschte er uns und ließ uns wieder alleine.

„Du wolltest erklären warum“, sagte Blair neugierig.

„Lassen wir das Essen nicht kalt werden“, meinte David und begann zu essen.

Der Mann hatte völlig die Ruhe weg. Blair schaute mich entgeistert an. Ich gab ihr mit meinem Kopf und meinen Augen einen Wink, sie solle endlich anfangen zu essen. David kaute sein erstes Stück Fleisch.

„Mir ist nur bewusst geworden, was mir bisher gefehlt hat. Phillip ist ein gefühlsmäßiges Brachland…“

Die Offenheit Davids nahm mich gefangen. Es saß ein total anderer Mensch vor mir.

„In seinen Armen schlafen…, morgens gemeinsam frühstücken, oder Abends zusammen auf dem Sofa sitzen, das ist nicht Phillips Welt! Er mag es laut, er will immer Trubel um sich haben.“

Blair schaute ihn traurig an.

Eine Träne bahnte sich einen Weg über seine Wange.

„Ich dachte für mich, wenn das Liebe ist, dann will ich nichts mehr davon wissen, aber irgendwie, bin ich dann doch wieder bei Phillip gelandet… Er hatte nicht einmal sich die Mühe gemacht, die Affäre mit seinem Chef zu verheimlichen.“

„Das tut mir leid!“, sagte Blair.

Lustlos stocherte ich in meinem Gemüse herum.

„Und dann kommt da dieses Energiebündel“, er schaute zu mir, „…  eine Frohnatur und ich Idiot, habe nichts besseres zu tun, als meine Wut auf Phillip an ihm auszulassen…“

Das war also der Grund. Blair schaute mich durchringend an.

„Aber er…, er nahm sich meiner an, als ich nicht mehr weiter wusste. Er war für mich da, als ich es nötig brauchte… deswegen habe ich meine Meinung geändert“, erklärte er und schaute auf Blair.

Sie atmete tief durch und nahm ihr Glas.

„Auf bessere Zeiten!“, prostete sie uns zu.

„Ich habe irgendwie kein Hunger mehr… ihr?“, fragte David.

„Sollen wir fragen, ob sie es uns einpacken?“

Mir war zwar nicht zum Lachen zu Mute, aber ich musste grinsen.

„Blair, ich glaube kaum, dass dieses exklusive Restaurant, so etwas macht…“, meinte ich.

Nun grinste auch David.

*-*-*

Der Mittag hatte sich lange hingezogen und ich war froh, dass wir endlich im Wagen saßen. Als wir die Auffahrt zu Straße hinauffuhren, kam mir die Szene von gestern in den Sinn. Aber dieses Mal versperrte er uns keiner die Ausfahrt.

David ordnete sich in den Abendverkehr ein. Er schien wie ich im Gedanken zu sein, verbissen starrte er auf die Straße.

„Wenn du diesen…“, begann David plötzlich zu sprechen, ohne zu mir herüber zu schauen, „… diesen Anwalt fragst, ob es irgendwie eine Möglichkeit gibt, Thomas von dir Fern zu halten?“

„Du meinst ein Kontaktverbot erwirken, so in etwa, er darf sich auf weniger als hundert Meter nicht nähern?“

David schaute kurz zu mir herüber und nickte.

„Was soll das bringen? Meinst du Thomas würde sich an so etwas halten?“

„Ich kenne Thomas zwar nicht, aber bei einer weiteren Annäherung würde er sich strafbar machen.“

Da war etwas Wahres dran, aber Thomas würde sicher eine andere Möglichkeit finden, mir zu schaden, wie er schon einmal gemacht hatte.

„Was überlegst du?“

„Thomas hat mich schon einmal Krankenhausreif schlagen lassen, da müsste er nicht einmal dabei sein.“

Mir fiel Angus ein, was er mir anvertraut hatte.

„Dann…, dann ist da noch Angus, ich weiß nicht in wieweit er über Angus Bescheid weiß. Angus hat mir erzählt, als die Typen ihn damals missbrauchten, hat er den Nehmen Thomas gehört.“

„Der Typ ist echt krank! Finn, du musst etwas unternehmen, ich habe ja jetzt schon keine Ruhe mehr.“

Gerührt schaute ich ihn an.

„Du machst dir wirklich Sorgen um mich?“

Wieder schaute er kurz zu mir. Dann setzte er den Blinker und bei der nächsten Möglichkeit hielt er den Wagen an.

„Klar mach ich mir Sorgen. Du bist mir einfach zu wichtig, als dass ich zulasse, dass dieser Arsch dir etwas antut!“

Er griff nach meiner Hand. In seinen Augen bildeten sich Tränen. Draußen war der Regen in Schnee übergegangen. Der Scheibenwischer schob eifrig die dicken Flocken zur Seite.

„Ich will einfach nicht, dass dir das passiert… jetzt… wo ich anfange… mich in dich zu verlieben!“

Ich hob meine freie Hand, zog ihn an seinem Nacken zu mir und gab ihm einen Kuss. Beide rannen uns die Tränen über die Wangen. Es muss ein Bild für Götter sein. Zwei Männer die im Auto saßen und beide heulten.

*-*-*

David hatte kurzerhand, Paul und Glenda verständigt und um ein Gespräch gebeten. Als wir das Grundstück befuhren, war der >Platz vor dem Haus hell erleuchtet. Noch beim Aussteigen, öffnete sich bereits die Haustür und Glenda kam ins Blickfeld.

„Kommt rein Jungs!“, rief sie uns zu, „dass ihr bei dem Wetter noch unterwegs seid!“

„Es ist wichtig Glenda!“, meinte David nur und schob mich Richtung Haustür.

Er begrüßte Glenda mit einem Kuss auf die Wange, bevor wir beide das Haus betraten.

„Ich habe angewiesen, euch einen heißen Tee zu machen.“

„Glenda, im Auto war es nicht kalt, aber danke.“

Stumm entledigte ich mich meiner Winterjacke und stopfte den Schal innen in den Ärmel, so dass ich ihn später gleich wieder fand. Dann hängte ich sie neben Davids Mantel. Glenda lief voran und wir folgten ihr ins Wohnzimmer. Sie öffnete die Tür und trat ein.

„Paul, die Jungs sind da…“

„Sollen rein kommen“, hörte ich Pauls Stimme.

„Ich möchte, dass du dabei bist“, sagte David zu Glenda, die im Begriff war, das Zimmer wieder zu verlassen.

„Wenn du es wünscht gerne, auch wenn du weißt, dass ich mich nicht so sehr für geschäftliche Belange interessiere.“

„Es geht um nichts Geschäftliches!“

David griff nach meiner Hand und zog mich zur Couch. Natürlich sah ich die Blicke unseres Gastgebers und seiner Frau, wie sie auf unseren Händen ruhten. David drückte mich aufs Sofa und ließ sich neben mir nieder. Glenda schloss die Tür und ließ sich neben Paul auf dessen Sessellehne nieder.

„Was ist passiert, ihr beide macht so ernste Gesichter“, wollte Paul wissen.

„Darf ich?“, fragte mich David, ich war eh gerade nicht in der Verfassung, etwas zu erklären.

Es klopfte an der Tür und wurde geöffnet. Ein etwas älterer Herr trat herein, in der einen Hand ein Tablett.

„Mrs. Morris, der Tee…“

„Danke James!“

War der Name James ein Muss, um Butler zu werden? Ich verwarf diesen verrückten Gedanke gleich wieder. Glenda erhob sich und nahm diesem James das Tablett ab.

„Sie können sich dann zurück ziehen, ich kümmere mich um den Rest.“

„Ich wünsche den Herrschaften einen angenehmen Abend“, meinte James, verneigte sich und verließ das Zimmer fast geräuschlos.

„Ein Überbleibsel aus früherer Zeit. Er war schon bei Butler, als mein Vater noch lebte. Da er nicht wusste wohin, haben wir ihn einfach behalten“, erklärte mir Glenda und stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab.

„Du auch einen Darling?“, fragte sie ihren Mann, der nickte.

David wartete, bis Glenda den Tee verteilt hatte und sich wieder setzte.

„Warum wir gekommen sind…, es geht um Finn.“

Paul schaute kurz zu seiner Frau.

„Finn hat dir doch über seine Familienverhältnisse erzählt. Auch das ihn damals sein Bruder hat Krankenhausreif hat schlagen lassen.“

Paul nickte.

„Davon hast du aber nichts erzählt“, beschwerte sich Glenda.

„Finn hat mir das anvertraut, ich kann das doch nicht einfach weiter erzählen.“

„Es ändert aber nicht über die Tatsache, wie man leichten Ärger mit der Familie auslegt.“

Unwohlsein stieg in mir auf. Mir war es nicht recht, dass die zwei wegen mir jetzt Unstimmigkeiten hatten. Ich unterbrach den kleinen Zwist, in dem ich eine Hand hob und damit abwehrend winkte.

„Paul ich habe volles Vertrauen ins sie…, ich denke, sie wissen wem oder was sie über mich erzählen können.“

Davids legte seine Hand auf meine, die nervös auf meinem Knie ruhte, um meine zitternde Beine ruhig zu halten. Auch das blieb natürlich bei unserem Gegenüber nicht unbemerkt.

„David, darf ich sie etwas Persönliches fragen?“, kam es von Glenda.

Unsicher nickte ich ihr zu.

Ich sah zum Fenster hinaus und es war alles mit Schnee überzogen. Dementsprechend langsam befuhr David die Straße.

Glenda hatte mir das „Du“ angeboten, nachdem sie recht belustigt festgestellt hatte, dass David und ich wohl jetzt ein frisch gebackenes Paar waren. Paul zog natürlich nach. So musste ich meinen Chef nun nicht mehr mit „Sie“ anreden.

Nachdem David alles erklärt hatte, hatten ich beide sofort bereit erklärt, uns mit Rat und Tat zur Seite stehen. Auch wollten sie den Familienanwalt einschalten, um meine Möglichkeiten gegenüber Thomas auszuloten.

Als wir an meinem Haus ankamen, war dieses hell erleuchtet. David befuhr das Grundstück und blieb dicht hinter meinem Mini stehen, der Dank Carport noch schneefrei war. Angus schien auch jetzt noch aktiv gewesen zu sein, denn der Weg zur Eingangstür, war freigeschaufelt worden.

David stieg aus und ging zum Kofferraum, dort zog er einen Koffer und eine Kleidertasche heraus. Wir waren vorher noch bei ihm zu Hause vorbei gefahren und er hatte in Windeseile ein paar Sachen zusammengepackt.

Er war der Meinung, dass er mich auf keinen Fall jetzt alleine lassen wollte. Ich war ebenso ausgestiegen und lief langsam den kleinen Weg zur Haustür, die gerade geöffnet wurde. In ihr erschien Angus.

„Boah, ich habe mir so Sorgen gemacht. Im Fernseh haben sie angekündigt, dass der Schnee noch heftiger wird und man, wenn es geht zu Hause bleiben sollte.“

„Wir sind gut durchgekommen, aber ich musste eben langsam machen“, erklärte David hinter mir, dessen Mund dabei mehrere Nebelschwanden verließen.

Ich klopfte meine Schuhe auf der Treppe ab und trat ein.

„Ziehst du bei uns ein?“, fragte Angus, als er die Sachen in Davids Hand sah.

„So in etwa…“, grinste er Angus an.

„Cool, da hab ich ja zwei Personen, bei denen ich mich nachts ankuscheln kann!“

„Angus!“, sagte ich leicht angesäuert.

„Sorry“, kam es von Angus, er zog den Kopf ein und verschwand schnell Richtung Wohnbereich.

David schob die Haustür zu.

„He, er meint es doch nur gut mit dir…“

Ich sagte nichts, sondern lehnte meinen Kopf gegen Davids Beust.

„Wenn du mich meine Sachen kurz hoch bringen lässt, dann bin ich ganz für dich da…“

„Hört das irgendwann auf?“, fragte ich leise.

„Das Wort „irgendwann“, hörte ich nur in meinem Kopf und ich wusste genau, wo das her kam.

Ich ließ David frei und er lief die Treppe hinauf. Während ich mich des Schals entledigte und den Reisverschluss meiner Jacke herunter zog, drehte ich mich zum Spiegel.“

„Wann…?“, sagte ich nur und schaute gespannt in den Spiegel, aber nichts tat sich.

Vorsichtig legte ich meine Hand auf die Glasfläche. Sie war warm und wieder erschienen die wellenartigen Bewegungen um meine Hand herum. Aber mein Spiegelbild war nach wie vor vorhanden.

„Ich schaff das nicht…, Granny fehlt mir…, ich weiß einfach nicht weiter.“

Granny ist nach wie vor für dich da und du bist auch sonst nicht alleine…“

„Mit wem redest du?“, hörte ich Davids Stimme hinter mir.

Erschrocken fuhr ich herum und musste feststellen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass David wieder die Treppe herunter gekommen war. Ich hob meine Hand und rieb mir über die Stirn. Angus erschien wieder in der Tür und schaute unsicher zwischen mir und David hin und her.

Ich atmete tief durch und fasste einen Beschluss.

Meine Hand wanderte Richtung David, ich hielt sie ihm hin.

„Komm, ich möchte dir etwas erzählen!“

Fassungslos schaute er mich an.

„Willst…, willst du es ihm wirklich erzählen?“, kam es von Angus.

„Ja, ich will keine Geheimnisse vor David haben und… und… ich würde ihm gerne Granny vorstellen.“

„Darf ich mit?“

„Granny…“, David hatte wohl wieder seine Sprache gefunden, „… wo wollt ihr hin?“

„Komm, ich möchte dir da etwas erklären.“

David kam langsam die Treppe herunter und er hatte wie ich immer noch seinen Anzug an.

„Worüber redet ihr beiden?“

Ich hielt ihm immer noch meine Hand entgegen. Zaghaft griff er danach und ich zog ihn Richtung Wohnbereich. Unsicher schaute er zwischen mir und Angus hin und her, als ich ihn auf die Couch drückte und ich mich neben ihn setzte. Seine Hand hatte ich die ganze Zeit nicht losgelassen.

„David…“, ich stockte kurz, weil ich nicht wusste, wie ich mich ausdrücken sollte.

„Was würdest du sagen, wenn wir drei irgendwo hingehen könnten, wo wir nicht belästigt werden, unsere Ruhe haben“, übernahm Angus meinen Part.

David schaute zu Angus, dann wieder zu mir.

„Es gibt da etwas, was ich dir nicht über meine Familie erzählt habe…“

„Noch etwas…?“, stammelte mein Gegenüber.

Ich nickte ihm zu.

„Meine Granny stammt nicht von hier.“

„Wie…, wie meinst du das?“

„Granny stammt aus einem anderen Land.“

„… aus einem anderen Land“, blabberte er mir nach.

„Einem Land, das hier… in dieser Welt nicht existiert!“

Wieder schaute David ungläubig zu Angus, bevor er den Kopf zu mir drehte.

„Ich verstehe nicht… du redest, als würde deine Großmutter noch leben.“

Ich wiegte meinen Kopf etwas hin und her.

„…tut sie…, aber nicht hier…“

„Wie…, wie ist das möglich, du hast erzählt, sie ist vor fünf Jahren gestorben…, ich bin irgendwie verwirrt…“

Ich nahm auch seine andere Hand.

„David, was würdest du sagen, wenn wir wie in den Märchen die Möglichkeit hätten in ein anderes Land zu reisen, in ein Land, in dem immer die Sonne scheint und es keine Probleme gibt.“

„Das wäre schön, aber das ist doch unmöglich!“

„Und wenn ich dir sage, es wäre möglich?“

David entzog mir seine Hände. Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf.

„ich glaube das jetzt nicht, willst du mich… willst du mich verarschen?“

„Tut er nicht, er sagt die Wahrheit, ich habe es selbst gesehen“, kam es von Angus.

Wieder griff ich nach seinen Händen.

„Vertraust du mir?“, fragte ich.

„… ähm ja.“

„Vertraust du mir soweit, mir blind zu folgen.“

„Ich weiß jetzt nicht…“

„Vertraust du mir?“, unterbrach ich ihn.

„Ja, aber…“

Ich atmete tief durch.

„Dann komm, ich zeige es dir“, sagte ich und stand auf.

Schwerfällig stand David ebenso aus, während Angus schon zur Tür hüpfte.

„Wo…, wo wollen wir hin?“, fragte David nun leicht ängstlich.

„Du hast gesagt, du vertraust mir David. Dann lass mich dir etwas zeigen, dass du zuvor noch nie gesehen hast“, erklärte ich ihm und zog ihn zum Flur hinaus, wo Angus bereits vor dem Spiegel stand.

„Darf ich?“, fragte er.

„Ich weiß nicht, ob der Spiegel auf dich hört…“

Verlegen schaute Angus auf den Boden.

„Tut er…, ich war vorhin Granny besuchen.“

Jetzt erst sah ich die Blume, die am Ohr in seinem Haar steckte.

„Du warst schon dort?“

„Ja!“, strahlte uns Angus an.

„Spiegel…“, stammelte David neben mir.

Ich drehte mich wieder zu ihm.

„Du hast mich vorhin gefragt, mit wem ich rede…“

David nickte zaghaft und ich zeigte auf den Spiegel. Langsam zog ich David dort hin.

„Ich weiß, dass ist jetzt alles unfassbar für dich und du hast auch sicher Angst, aber so ging mir es beim ersten Mal auch“, erklärte ich David, der immer noch gebannt auf die Spiegelfläche schaute.

„Jano-Tano!“, sagte Angus und wohl noch eins drauf zu setzten, tippte er auf die Spiegelfläche.

Wie als hätte jemand einen Stein ins Wasser geworfen, trug es die Ringe nach außen Richtung Rahmen.

„Aber…“, kam es leise aus Davids Mund, aber da war Angus schon im Spiegel verschwunden.

Ängstlich wich David zurück, aber ich hielt seine Hand eisern fest.

„Komm…, es passiert dir nichts!“

Langsam, Schritt für Schritt, ging David Richtung Spiegel und sah mich immer wieder dabei ungläubig an. Als wir dann endlich davor standen, führte ich seine Hand zum Spiegel, damit er es selbst fühlen konnte.

Erschrocken zog er seine Hand zurück.

„Das… das ist warm.“

Ohne auf eine weitere Reaktion seitens Davids zu warten, schob ich ihn durch den Spiegel.

*-*-*

Schreiend stand David neben mir, bis er die Augen öffnete. Keuchend schauten seine Augen wie verrückt in alle Richtungen.“

„Ich… ich glaub ich mach …mir gleich in die Hose.“

„Das wirst du schön bleiben lassen, was wird Granny denken, wenn du vor ihr mit einem Fleck auf der Hose erscheinst.“

Angus, der uns die ganze Zeit gegenüber gestanden hatte, fing laut an zu lachen.

„Deine Granny… lebt wirklich…?“

Sein Kopf fing sich endlich an zu bewegen und vorsichtig schaute er sich um.

„Wo sind wir hier?“

„Im Reich von Jano-Tano“, sagte Angus, oder soll ich Feenland sagen?“

Mir schien, als würden Davids Augen gleich heraus fallen, soweit riss er die Augen auf.

„Jetzt verwirrt mir David nicht noch mehr, als er schon ist!“

„Okay!“, sagte Angus, „ich geh schon mal vor und kündige euren Besuch an.“

„Mach das…“, meinte ich nun leiser und sah wie Angus davon wuselte.

„Ich glaube ich träume“, zog David wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.

Ich zwickte ihn in dem Arm.

„Aua, sag mal spinnst du“, fuhr mich David an, „dass tat weh!“

„Ich weiß, sorry, ich wollte dir nur zeigen, dass du eben nicht träumst.“

„Aha…“

Ich beugte mich vor und begann Davids Hosenbeine etwas hoch zu krempeln.

„Was machst du?“

„Zieh Schuhe und zocken aus…!“

Er sah mich nur an, machte aber dann was ich sagte. Als er mit dem ersten nackten Fuß das Gras berührte, zeichnete sich ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen ab.

„Das ist herrlich warm… und feucht.“

Ich lächelte ihn an. Dann entledigte ich mich wie er auch von Schuhen und Socken, stopfte diese in die Schuhe und nahm sie in die Hand. David tat es mir gleich.

„Ich glaub es nicht“, sagte David und drehte sich einmal um seine eigene Achse, „ist das schön hier.

Kräftig inhalierte er die Luft durch die Nase.

„… und wie das duftet!“

„Also glaubst du mir jetzt?“

„Ja, klar“, strahlte er mich an, zog mich mit seiner freien Hand zu sich heran und küsste mich.

„Danke…!“, hauchte er mich verliebt an, „dass du mir ebenso vertraust!“

*-*-*

Ehrfürchtig blieb er mit mir vor Grannys Haus stehen.

„Das… wirkt irgendwie, wie dein Haus…“

„Es wirkt nicht nur so, sie gleichen sich in vielem.“

Auch dieses Mal war Granny nicht auf der Veranda.

„Komm“, sagte ich zu David, als Angus in der Tür erschien und Granny am Arm hatte.

„Darf ich dir meine Großmutter vorstellen? Denna Lennox!“

Davids Mund stand etwas offen, aber es kam kein Laut heraus.

„Ist das David, von dem du mir erzählt hast?“

„Ja Granny“, antwortete Angus strahlend.

„Dein Bruder hat wirklich Geschmack, muss ich sagen und in den Anzügen sehen die beiden richtig fesch aus, auch wenn sie Barfuß etwas lustig wirken.“

Angus begann zu kichern, während ich David näher zum Haus zog.

„Hallo Granny“, begrüßte ich sie.

„Hallo mein Junge… hallo David.“

„… ähm hallo Mrs. Lennox.

„Sag doch einfach Granny zu mir, wie die anderen auch, David.“

„Danke…Granny.“

„Können wir uns setzten, meine Beine wollen nicht mehr so wie früher…“

„Ist alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt.

„Ja mein Junge…., ich bin halt alt!“

Angus führte sie zum Schaukelstuhl, wo sie sich langsam nieder ließ. David stellte wie ich seine Schuhe neben die Eingangstür und folgte mir barfuß zur Bank. Ich dagegen zog mein Jacket aus und lockerte endlich die Krawatte.

David tat mir auch dies gleich, bevor er sich neben mich auf die Bank nieder ließ. Angus dagegen saß neben Granny im Schneidersitz auf einem kleinen Tischchen. Die beiden beobachten meinen Nebenmann genau, der sich nervös umschaute.

„Ganz ruhig…“, sagte ich leise und legte meine Hand auf sein Bein.

„Du bist gut, eben noch im schlimmsten Schneesturm und jetzt schönster Sommer, mit einer leichten Brise.“

Welche ich gerade spürte, wie sie sanft über mein Gesicht strich. Angus grinste mich an.

„Du scheinst glücklich zu sein!“, meinte Granny plötzlich zu mir.

„Es kommt darauf an, wie du glücklich definierst. Ja, wenn es darum geht, dass es plötzlich einen Menschen gibt, dem ich wichtig bin und ich dieselben für ihn empfinde.“

Angus zeigte auf sich und kicherte.

„Quatschkopf, du weißt wen ich meine!“

„… und was betrübt dann dein Glück?“, fragte Granny.

„Dein Enkel Thomas…, ich weiß nicht, ob er etwas gegen mich plant.“

„Das wird sich von selbst lösen…“

Fragend schaute ich sie an.

„Finn, ich kann und darf dir nicht mehr sagen, vielleicht habe ich auch schon zu viel gesagt. Die Sache endet in etwas, was du nie für möglich halten wirst.“

„Ich soll also gegen Thomas nichts unternehmen?“

„Das habe ich nicht gesagt, aber lassen wir dieses traurige Thema, erzähl mir mehr über deinen Freund.“

Granny direkt wie immer.

„Was soll ich da groß erzählen… Am besten er macht das selbst!“

Alle Blicke wanderten zu David, der daraufhin etwas zusammen zuckte.

„Ähm…, was soll ich da erzählen…“, begann er, „…ich heiße David Mac Bain, bin sechsundzwanzig Jahre alt. Meine Eltern verstarben früh, so wuchs ich bei der Familie Morris auf, enge Freunde meiner Eltern, die mir unter anderem ein Studium zu Finanzwesen ermöglichten. Nun bin ich eine Kollege von Finn, ab Freitag, sozusagen sein Stellvertreter, wenn er offiziell die Leitung der Abteilung übernimmt!“

„Dieser Mister Morris leitet die Bank? Warum haben sie nicht die Stelle bekommen?“

David schaute mich leicht geschockt an.

„Woher…?“

„David, ich bin zwar nicht allwissend, aber ab und wann flüstert mir eine Stimme etwas zu“, antwortete Granny.

„Es liegt mir nicht, die Führung zu übernehmen, ich unterstütze lieber und stehe mit Rat und Tat demjenigen beiseite und nur weil Mr. Morris mein Ziehvater ist, möchte ich nicht bevorzugt werden.“

Das spricht für dich David…“, lächelte ihn Granny an.

„Zudem ist Finn einfach die bessere Wahl!“

*-*-*

„Ich fass es einfach nicht…“

David, der neben mir lag, hatte beide Hände auf dem Gesicht liegen.

„Du wiederholst dich“, grinste ich ihn an.

Er ließ seine Hände nach unten gleiten und sah mich an.

„Danke, dass du mir so sehr vertraust!“

Ich beugte mich leicht vor und küsste seine Nase.

„Darf ich dich etwas fragen?“

„David, du darfst mich alles fragen!“

„Warum hattest du noch nie einen Freund?“

Ich ließ mich in mein Kissen fallen und starrte zur Decke.

„Was weiß ich…, Zeitmangel, kein Interesse, nicht der Richtige…, such dir etwas aus!“

Mein Kopf drehte sich zu ihm.

„Vielleicht habe ich meine Messlatte, oder Vorstellungen einfach zu hoch geschraubt. Es war nie jemand dabei, der mich wirklich interessierte.“

„Und dann bleibst du an mir hängen? Du sagtest Messlatte… Vorstellungen, war ich nicht eine einzige Enttäuschung für dich?“

„Das kann ich dir nicht so genau sagen, aber ich fand immer du siehst verdammt gut aus.“

David drehte sich völlig zu mir und stütze seinen Kopf auf der Hand ab.

„Dann darf ich nur bei dir schlafen, weil du mich gutaussehend findest?“

Seine gespielte Empörung war leicht zu durchschauen. Ich lachte.

„Klar, oder denkst du, dein wirkliches Ich, deine hingebungsvolle Art, deine liebevolle Weise, mir Dinge auf eine andere Sichtweise nahe zu bringen, würden mich dazu bringen, dir zu verfallen?“

Ein herrliches Gefühl, in den Armen eines Mannes zu erwachen, der dieselben Gefühle hegte, wie ich selbst. Aber bevor ich mich in dieses für mich neue Abenteuer richtig stürzen würde, musste noch etwas anderes geregelt werden.

Die Vergangenheit musste endlich ruhen, auch wenn es all meine Kraft kosten würde. Ich zuckte zusammen, als sich mein Wecker bemerkbar macht und mein bis dahin friedlich schlafendes Kopfkissen sich anfing zu bewegen.

„Guten Morgen“, hauchte ich.

„Morgen“, brummte dieses göttliche Wesen, das immer noch seine Augen geschlossen hatte.

„Ich könnte ewig so liegen bleiben.“

„Das glaub ich dir gerne, aber könntest du jetzt meinen Arm freigeben, er fühlt sich taub an.“

Ich hob etwas meinen Körper und sofort verschwand dieser fühlbare Schutz, den ich die Nacht über genießen durfte. Erst jetzt schlug David seine Augen auf und schaute mich mit seinen magischen Augen an.

„Hast du gut geschlafen?“, fragte er.

„Das will ich wohl meinen“, lächelte ich ihn an, „und du?“

„An diese zusätzliche Heizung im Bett, muss ich mich erst noch gewöhnen, aber es war angenehm warm.“

„Die zusätzliche Heizung geht jetzt ins Bad, wenn wir beide pünktlich ins Büro kommen wollen.“

„Darf ich dich begleiten?“

„Natürlich, dachte du fragst nie!“

Zwanzig Minuten später waren wir bereits auf dem Weg nach unten. Als ich gerade die letzte Stufe genommen hatte und Richtung Wohnbereich gehen wollte, klingelte es an der Tür. David sah mich fragend an, aber ich konnte nur mit der Schulter zucken.

Wer wollte so früh schon etwas von mir. So öffnete ich dir Tür und es stockte mir der Atem. Mein Vater höchst persönlich stand vor der Tür. Alt sah er aus, die Haare grauer, seine Haltung gedrungener.

„Was verschafft mir die Ehre?“, fragte ich, ohne ihn zu begrüßen.

„Kannst du mir sagen, was der Scheiß soll?“, fuhr er mich ohne Vorwarnung an und hielt mir ein verknittertes Schriftstück vor die Nase.

Richterliche Verfügung konnte ich lesen, mehr nicht. So schnell? Wen hatten die Morris im Bekanntenkreis, um so etwas bewerkstelligen zu können? Ein kurzer Blick zu David, der mich aber fragend anschaute.

Sein Glück war es noch ein paar Stufen höher auf der Treppe zu stehen, so konnte er von meinem Vater nicht gesehen werden.

„Das hat er sich wohl selber zuzuschreiben!“, sagte ich nur und war bereits im Begriff die Türe wieder zu schließen.

„Treib es nicht zu weit, Bürschchen!“

„Was, oder mit wem ich es treibe, ist immer noch meine Angelegenheit!“

Hatte ich das gerade wirklich gesagt?

„… und was Thomas betrifft…, er soll endlich aufhören, mir nachzustellen, oder sich in mein Leben einzumischen!“

„Das würde mein Sohn nie tun!“

„Dein Sohn? Das ich nicht lache…“

„Finn, wer ist da an der Tür?“, hörte ich Angus rufen.

Wenige Sekunden später stand er auch schon neben mir.

„Wer ist das?“, wollte Angus wissen.

„DAS?“, ich zeigte auf meinen Vater, „das ist mein Erzeuger…“

„Noch mehr Abschaum?“, schrie mein Vater plötzlich.

Bevor ich überhaupt reagieren konnte, drängte sich Angus, so klein wie er war, an mir vorbei und stellte sich direkt vor meinen Vater.

„Ich bin kein Abschaum! Ich bin Angus Cockburn…, na klingelte es bei dem Namen?“

Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich meinen alten Herrn sprachlos erlebt hatte.

„Anna Cockburn…, meine Mutter!“

Mein Vater wurde bleich im Gesicht und ließ die Hand mit der Verfügung sinken.

„… diese… diese kleine Hure…“

Er wurde ausfallend und Angus reagierte darauf sofort. Das heißt, er hätte sich auf unseren Herrn Vater gestürzt, wenn ich Angus nicht zurück gehalten hätte.

„Wer wird denn gleich ausfallend werden? Ich will nicht wissen, wie viele von deinen Sprösslingen noch herum laufen, aber ich weiß eins, ich will dich hier nie wieder sehen!“, fuhr ich ihn an.“

„Du… du…“

„Was?“, fiel ich ihm ins Wort, „geh zurück zu deinem…, wie hast du ihn genannt? Sohn?“

Ich lachte kurz auf.

„Denke daran, hier stehen deine richtigen Söhne… und Thomas…“

Nein, so tief wollte nicht mal ich jetzt sinken.

„Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt…, wir sehen uns vor Gericht wieder!“, keifte der Alte wütend.

Jetzt schob uns David zur Seite und unser alter Herr wich etwas zurück.

„Mit welcher Handhabe?“, fragte David, „wie gesagt, es ist besser, wenn sie das tun, was Mr. Lennox ihn gerade geraten hat, sonst sehen wir uns vor Gericht wieder!“

„Was soll dieser…, dieser?“, mein Vater zeigte auf mich, „… gegen mich in der Hand haben…?“

„Da fällt mir so einiges ein und das alles unter Zeugen!“

Der alte Mann schaute fassungslos zwischen uns hin und her, zischte kurz und wendete sich ab. Dabei ließ er das Schriftstück fallen. Er stieg in das Auto, dass ich jetzt erst wahrnahm und es brauste davon.

„Das war der Wagen deines Bruders“, sagte David.

„Egal, aber ich denke, die einstweilige Verfügung wird nicht reichen…“

Ich drehte mich zu David.

„Sag mal, mit wem verkehren deine Eltern, dass dieser Beschluss schon zu Stande gekommen ist? Wir waren doch erst gestern Mittag bei ihnen.“

„Es sind nicht meine Eltern!“, meinte David leicht trotzig.

„Aber so gut wie!“, erwiderte ich lächelnd und schob David ins Haus.

Angus lief noch zwei Schritte Richtung Gartentor und hob das Schriftstück auf.

„Thomas darf sich bis hundert Meter, dir nicht nähern?“, fragte er erstaunt.

„Ja… und komm jetzt herein, mir wird kalt!“

„Dann hat er sich jetzt schon strafbar gemacht“, sagte David.

„Wieso?“, fragte Angus und betrat ebenso das Haus.

„Weil er eben im Wagen saß und die Straße höchstens sieben Meter vom Haus entfernt ist!“

*-*-*

Der Tag ging weiter, so wie er begonnen hatte. Eine Aufregung nach der anderen.

„Kann ich ihnen helfen?“, hörte ich Annas Stimme.

Ich drehte mich und sah einen Fahrradboten an der Tür stehen.

„Ich suche einen Mr. Lennox.“

Während Anna sich zu mir drehte, hob ich bereits die Hand. Der Bote kam an unser Tisch und hielt mir ein Gerät unter die Nase.

„Hier bitte unterschreiben!“, meinte er.

Ich tat wie geheißen und er zog eine große Rolle aus seinem Rucksack.

„Ich wünsche noch einen schönen Tag“, meinte der Bote und verließ unser Büro wieder.

„Lass das lieber zu, vielleicht ist es von Thomas“, flüsterte David.

Ich drehte das Ding, bis ich den Absender fand.

„Architektenbüro…“, lass ich vor.

David nickte mir zu.

„Jetzt kommt er nicht mal selber hier her“, meinte Blair und ich wusste wen sie damit meinte.

Ich öffnete die Rolle. Den Inhalt zog ich vorsichtig heraus, dabei viel etwas herunter. Blair und auch David waren beide aufgestanden und kamen auf meine Seite. Er bückte sich und reichte mir einen Umschlag.

Während David das aufgerollte Papier auf meinem Schreibtisch entfaltete, riss ich den Briefumschlag auf und fand eine Notiz darin.

Hallo Finn, dies ist der vorläufige Entwurf eurer neuen Abteilung. Hoffe es gefällt! Falls es Änderungswünsche gibt, einfach an unser Büro schicken.

Gruß Phillip

PS: Hoffe Blair gefällt ihre Teeecke.“

Ich reichte Blair die Notiz und half David den Entwurf zu entrollen. Natürlich zog das die Aufmerksamkeit der anderen auf uns. Eine kleine Traube bildete sich hinter uns.

„Ist das unser neues Büro?“, fragte Bert hinter mir.

„Ja!“, sagte ich und schaute mir den Entwurf genauer an.

Die Tische standen anders, etwas weiter auseinander gezogen. Da wo früher die zwei Büros von Hornsby und Greenwich waren, war die Wand zu unserem Büro entfernt worden. Die eine Seite zeigte einen großen Konferenztisch, die andere Seite war wohl als neue Teeküche gedacht, hier waren Sessel und Couch eingezeichnet.

„Das ist ja cool!“, kam es Blair.

„Gefällt es euch?“, fragte ich und drehte meinen Kopf zu den anderen.

Allgemeines Nicken zeigte Zustimmung. Ich ließ meine Seite der Papierrolle los und die Zeichnung, wickelte sich wie von selbst wieder auf. Die Runde der Kollegen hinter mir verschwand.

„Ich finde die Konferenzecke gut“, meinte ich zu David und lächelte ich an.

„Stimmt, da können wir besser über anstehende Projekte reden.“

„Warum hat Lennox den Grundriss zugeschickt bekommen?“, hörte ich Bert sagen.

Mir stellten sich die Nackenhaare. Blair schaute über ihren Monitorrand, während David sich erneut erhob und zu mir kam.

„Finn und ich kennen den Architekten persönlich und haben ihn gebeten, wenn möglich, uns eine Kopie zukommen zu lassen. Wir wollen schließlich auch wissen, wie wir in Zukunft arbeiten und nicht alles alleine die Chefetage entscheiden lassen! Und der Entwurf hat euch doch gefallen?“

Ein allgemeines Nicken ging durch die Runde. Bert war aber mit Davids Erklärung nicht zufrieden, dass sah ich seinem Blick an. Der wanderte gerade zu Anne. Die beiden schauten sich an, sagten aber nichts.

„Finn, hier sind Angebote, wegen der Küchen. Schaust du dir die bitte an“, kam es von Blair.

Ich drehte mich wieder zu meinem Monitor. Blair strahlte mich an, bevor sie ihrerseits hinter ihrem Bildschirm verschwand. Das Gerede hinter mir war verschwunden, jeder widmete sich wieder seiner Arbeit.

*-*-*

„Ich denke mit Bert und Anne werden wir noch unsere Mühe haben.“

„Wieso?“, fragte David, der gerade abbremste musste, weil die Ampel auf Rot umsprang.

„Weiß nicht…, ist so ein Bauchgefühl. Die beiden haben mit mir angefangen, sie könnten sich benachteilt fühlen.“

„Meinst du? Also ich habe sämtliche Personalakten unserer Abteilung durchgesehen. Beide können sie dir das Wasser nicht reichen!“

„Danke, lieb von dir gemeint, aber Bedenken habe ich trotzdem. Anne redet mir zu viel und Bert agiert gerne versteckt im Hintergrund.“

„Du scheinst sie ja gut zu kennen.“

„Ich arbeite schon fünf Jahre mit ihnen zusammen, da bekommt man einiges mit. Warum hast du dich eigentlich in unsere Abteilung versetzten lassen? Hättest du in der Finanzierungsabteilung nicht mehr Aufstiegsmöglichkeiten gehabt?“

Die Ampel wurde grün und David gab langsam Gas, trotzdem schlingerte der Wagen etwas.

„Um ehrlich zu sein, kann ich dir das nicht genau sagen. Wie du hörte ich damals auf mein Bauchgefühl, dass sagte mir Projekte sind interessanter als Finanzierung…“

Ich schaute ihn an, während er sich auf die Straße konzentrierte.

„… und du wirst es glauben, oder nicht, ich mache mir nicht so viel aus Geld.“

Kichernd schaute ich nun auch auf die Straße. Sollte ich die Antwort so akzeptieren? Er war durch die Familie Morris einen gewissen Lebensstil gewohnt. Ob er den im privaten ebenso genoss, oder ein paar Stufen herunter fuhr, wusste ich noch nicht.

Bisher gab es keinerlei Anzeichen, dass er in diese Richtung irgendwie abgehoben war. Das würde die Zeit bringen, wenn ich ihn besser kennen lernen würde.

„Über was denkst du nach?“, fragte David.

„… die Zukunft…!“

„Schmiedest du Pläne?“

„Nicht direkt Pläne…“, antwortete ich, als wir in die Straße bogen, wo mein Haus stand.

„Macht doch irgendwie jeder, oder?“

„Dazu ist viel zu viel passiert, dass ich bisher Zeit gehabt hätte, mich damit auseinander zu setzten. Das einzige, worüber ich mir klar bin, alles langsam angehen zu lassen. Dann werde ich schon sehen, was die Zukunft für mich bereit hält.“

„Schließt das mich mit ein?“, fragte David und schenkte mir ein kurzes Lächeln.

Die Parkplätze vor dem Haus waren dieses Mal leer und David steuerte den Wagen in die Einfahrt.

„Natürlich! Was für eine Zukunft sollte ich ohne dich haben?“

„Ich weiß nicht!“, lächelt David und der Motor stoppte seinen Dienst.

*-*-*

David lag in meinen Armen und beide schauten wir mit Angus Fernseh.

„Ich wusste gar nicht, dass du so gerne Fußball schaust“, meinte David leise.

„Tu ich auch nicht, ich schau es bloß, weil Angus das gerne schaut.“

„Dachte wegen der gutaussehenden Spieler. Ist das eigentlich Plicht?“

„Was?“

„Gut auszusehen, um Spieler zu werden“, grinste mich David an.

„Denke, da spielt das spielerische können, immer noch eine größere Rolle. Aber um deine Frage zu antworten, die Herren sind mir alles zu sehr Muskel beladen. Ich mag es lieber schlicht und normal.“

Davids Kopf drehte sich zu mir hoch.

„Ich bin dir zu muskelbeladen?“

Davids Körper war perfekt, auch wenn seine Muskeln deutlich ausgebildet waren. Ich grinste ihn breit an.

„Der Gentleman schweigt und genießt!“

Mein warmes Kuschelkissen entriss sich meiner Arme und setzte sich auf.

„Dann darf ich keinen Sport mehr treiben?“

„Hab ich das gesagt?“, fragte ich verwundert, denn sein Gesichtsausdruck war völlig ernst.

Plötzlich sah ich seine Zahnreihen, zwischen den grinsenden Lippen.

„Dann bin ich ja beruhigt!“, meinte David und kuschelte sich wieder an mich.

Doch diese Harmonie blieb uns nicht lange, denn ein Klirren ließ und beide hochfahren. Wie in Zeitlupe flog etwas Brennendes durchs Fenster.

„Scheiße!“, war alles, was ich von Angus vernehmen konnte.

Er war wie wir aufgesprungen und in unsere Richtung geflohen. Der brennende Gegenstand, wahrscheinlich eine Flasche, zersprang auf dem Boden und das Feuer machte sich vor dem Fernseh breit.

„Angus, ruf die Polizei!“, schrie ich, während ich David von den Flammen in seiner Nähe wegzog.

Zu dritt versuchten wir an dieser brennenden Fläche vorbei zu kommen, als auch schon ein weiteres Geschoss durchs Küchenfenster geflogen kam. Den Flur endlich erreicht, drehte ich mich um und sah meine Küche in Flammen aufgehen.

„Finn komm, wir können hier nicht bleiben“, schrie mich David an und zog mich zur Tür.

Angus hatte bereits die Haustür aufgezogen, kam aber beim Versuch das Haus zu verlassen, wieder regelrecht hereingeflogen. Während sich mein kleiner Bruder das Kinn rieb, sah ich den Grund, was da gerade passiert war. Vor der Tür stand niemand anderes als Thomas.

„Spinnst du?“, schrie ich.

„Brennen sollst du!“, hörte ich Thomas geifernde Stimme.

Er  hatte eine weitere Flasche in der Hand und war dabei, auch sie anzuzünden. Während ich noch überlegte, was man tun könnte, rannte David mit einem Urschrei plötzlich los und stürzte sich auf Thomas.

Natürlich fiel die brennende Flasche dabei auf den Steinboden und zerschellte. Eine weitere Flammentraube öffnete sich, direkt neben Thomas und David, die im Schnee kämpften. Ohne weiter zu überlegen, rannte auch ich los, um David zu helfen.

Ich spürte die Hitze des Feuers in meinem Gesicht, obwohl der Temperaturunterschied zwischen drinnen und hier draußen extreme war. Irgendwie bekam ich Thomas Arm zu greifen und zog daran.

Mit Hilfe von Angus, überwältigten wir dann meinen Bruder, der die ganze Zeit geschrieen hatte und so auch die Nachbarschaft angelocke. Sirenen waren zu hören und wenig später war das Chaos vor meinem Haus perfekt.

*-*-*

Tränen rannen mir über die Wangen. In eine Decke gehüllt, standen David und ich mit Angus am Gatter und schauten aufs Haus. Da wo vorher die Fenster waren, prangten uns jetzt schwarze Löcher an, aus denen Rauch quoll.

„Alles hin…“, sagte Angus weinerlich.

„He, das bauen wir alles wieder so auf, wie es war!“, meinte David.

Ich schüttelte nur den Kopf. Ich weinte nicht wegen dem Haus, denn ich hatte etwas viel wertvolleres verloren. Granny.

„Finn… Angus… ist euch etwas passiert?“, hörte ich die Stimme von Blair.

David zog mich herum und ich konnte sie zusammen mit Connor auf uns zu rennen sehen.

„Ich… ich habe sie angerufen…“, sagte Angus traurig.

„Alles in Ordnung mit euch?“, fragte sie, als sie uns erreichte.

„So ein Arschloch“, war alles, was von Connor zu hören war, als er aufs Haus starrte.

Ich nahm Blairs Hand auf meiner Wange gar nicht richtig war.

„Er ist schon die ganze Zeit so“, meinte David, in dessen Armen ich lehnte.

„OH Gott, sieht das schlimm aus!“

„Das war Nian, Connor hatte auch sie wohl mitgebracht.“

„Was machen wir denn jetzt nur“, jammerte Angus und Connor nahm ihn in den Arm.

„Keine Sorge Kleiner, das schaffen wir schon. Hat man das Schwein schon wenigstens gefasst?“

„Sie haben ihn abgeführt. David und Finn haben ihn ganz mutig niedergestreckt“, erklärte Angus.

„“Himmel, ist euch Jungs etwas passiert?“

Das war Pauls Stimme. Alle drehten wir uns um und sahen, wie er mit Glenda auf uns zu gerutscht kam. David ließ mich los und wurde von Glenda umarmt. Danach nahm sie meine Hände und schaute mich mitleidig an.

„Wer war das?“, wollte Paul wissen.

„Thomas… Finns Bruder. Er wurde bereits verhaftet und abgeführt“, antwortete David.

„Wie krank muss sein…“ begann Paul wütend zusagen, aber Glenda schaute ihn nur an und er brach ab.

„Kinder, ihr kommt erst mal mit zu uns…, Paul könntest du das mit der Polizei regeln?“, meinte sie dann.

„Ja, natürlich…“, antwortete ihr Gatte und wendete sich von uns ab.

„Angus nehmen wir mit zu uns“, sagte Connor, der ihn immer noch im Arm hatte.

Ich starrte auf die Kerze, die auf dem Tisch stand.

„Etwas besser?“, hörte ich David neben mir sagen?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Komm Finn, lass den Kopf nicht hängen, das kann man alles ersetzten, es ist niemand zu Schaden gekommen.“

Mit Tränen verschmierten Gesicht schaute ich ihn an.

„Sie haben gewonnen…“, meinte ich leise, sie haben mir alles genommen…“

Erneut ergoss sich ein Tränenschwall über mein Gesicht. David drückte mich an sich.

„Du hast mich, schon vergessen? Da sind noch Angus, Blair Connor und Nian! Von Paul und Glenda ganz zu schweigen!“

Ich drückte mich von David etwas weg.

„Du verstehst wohl nicht“, fuhr ich ihn weinerlich an, „… der Spiegel… Granny…“

„Scheiße, daran habe ich nicht gedacht!“, entfuhr es David und zog mich erneut zu sich, „das tut mir so leid!“

Ich sackte völlig in mich zusammen, weil die Gewissheit, Granny nun wirklich nie mehr zu sehen, völlig durchschlug. Nur entfernt hörte ich sich eine Tür öffnen.

„Sollen wir nicht doch lieber einen Arzt rufen“, sagte Glenda hinter mir.

Von David kam keine Antwort.

„Ich habe euch etwas Tee gemacht…“, sie stockte, „… oh Gott, ich mag gar nicht daran denken, was euch beiden alles hätte passieren können.“

Ihre Stimme war weinerlich geworden.

„Glenda, es ist gut! Es ist niemand etwas passiert und der Schuldige sitzt hinter Gitter.“

„Ich hoffe dass er dort lange bleiben wird“, entgegnete sie.

Ich drückte mich von David weg. Er reichte mir ein weiteres Papiertaschentuch, mit dem ich mir die Nase putzte.

„Dann werden wir wohl mit meiner kleinen Wohnung vorlieb nehmen müssen“, sagte David und schaute mich an.

Ich atmete tief durch und versuchte nicht wieder los zu wieder los zu heulen.

„Das kommt gar nicht in Frage!“, kam es bestimmend von Glenda, „ihr zwei werdet vorerst hier bleiben! Die Weihnachtstage stehen vor der Tür, die werdet ihr doch wohl nicht in dieser… zu kleinen Wohnung feiern wollen?“

Also wusste sie über Davids jetzige Wohnung Bescheid. Bevor einer von uns darauf etwas sagen konnte, machte sich der Hausgong bemerkbar.

„Das muss Paul sein, aber warum klingelt er?“

Ich schaute zu David, der zuckte aber nur mit den Schultern. Glenda dagegen,  ging zur Tür und wenige Sekunden darauf war sie verschwunden. Man hörte Stimmen aus dem Flur und wenig später erschien sie wieder.

„Finn…, draußen steht deine Mutter und ein Onkel von dir und wollen mit dir reden!“

Entsetzt sah ich erst zu Glenda und dann David an.

„Ich… ich will sie nicht sehen“, flüsterte ich leise.

David schloss die Augen und atmete tief durch.

„Lass mich das regeln… okay?“, meinte David und erhob sich.

Er verließ mit Glenda den Raum, während ich nun zitternd unter der Decke auf der Couch saß.

„Was kann ich für sie tun?“, hörte ich Davids Stimme deutlich.

„Wo ist dieser Nichtsnutz?“, hörte ich Onkels Valand Stimme, der jüngere Bruder meines Vaters.

„Er soll gefälligst mit zur Polizei kommen und alles richtig stellen, mein Mann ist ebenfalls verhaftet worden.“

Ich konnte nicht fassen, was da meine Mutter vom Stapel ließ, aber Glendas Stimme ließ mich zusammen fahren.

„Es reicht!“, fuhr sie die beiden an, „hat ihr Sohn nicht schon genug angerichtet? Er hat versucht, ihren und meinen Sohn umzubringen!“

Kurze Stille trat ein.

„Wenn sie nicht augenblicklich das Haus und Grundstück verlassen, rufe ich die Polizei! Und wagen sie es nicht noch einmal, sich hier blicken zu lassen!“

Die Haustür knallte laut ins Schloss. Das hatte gesessen. Ohne ein weiteres Wort schienen die beiden das Haus verlassen zu haben.

„Glenda beruhig dich doch bitte…“, hörte ich Davids Stimme und wenig später, tauchte er und ihr wieder im Zimmer auf.

„Ich soll mich beruhigen! So etwas Niederträchtiges, habe ich noch nicht in meinem ganzen Leben gehört!“

„Tut mir leid…“, krächzte ich heiser.

Glenda sah mich entsetzt an. David ließ sich wieder neben mir nieder und nahm mich erneut in den Arm. Glenda hob die Hand und zeigte auf mich.

„Finn, merke dir ein für allemal, für diese Familie kannst du nichts! Entschuldige dich nicht für etwas, wofür du sicherlich nichts kannst!“

„Aber ich bin der Grund…“

„Mag sein, dass du vielleicht der Grund bist, aber das ist deren Problem, nicht deins!“

Sie war etwas leiser geworden, aber trat doch noch dominierend auf.  Sie lief zum Fenster und schaute nach draußen.

„Habt ihr morgen irgendwelche Termine, ist irgendetwas Wichtiges im Büro?“, wollte Glenda wissen.

„Paul wollte den Kollegen mitteilen, dass Finn die Abteilung übernimmt…“

„…das kann warten“, unterbrach ihn Glenda, „dass Finn wieder auf die Beine kommt, ist wichtiger!“

Weiter kam sie nicht, die Tür ging auf und Paul kam herein.

„Hallo Liebes“, meinte er und schloss hinter sich die Tür.

„Kannst du dir vorstellen, dass eben Finns Mutter und Onkel da waren…“, begann Glenda sofort, wurde aber von Paul unterbrochen.

„…ach das waren die Leute draußen auf der Straße.“

„Ja, ich habe sie eben hinaus geworfen!“

„Aber warum, Liebes? So kenne ich dich überhaupt nicht!“

Glenda redete sich wieder in Rage, zeigte auf mich.

„Sie haben von Finn gefordert, dass er mit zur Polizeistation geht und das Missverständnis aufklärt!“

„Bitte? Was für ein Missverständnis?“, kam es entsetzt von Paul.

„Paul, wir müssen gegen diese Leute etwas unternehmen! Ich habe die Befürchtung, sie tun Finn etwas an!“

„Bitte…“, sagte ich leise, „… bitte nichts machen…“

Glenda wandte sich zu mir.

„Aber Finn“, meinte sie wesentlich leiser, „das kann doch nicht ewig so weiter gehen! Muss erst jemand zu Schaden kommen?“

Fragend schaute sie mich an.

„Was… was mit meinem Vater und Bruder passiert…, ist mir egal…, aber lasst bitte den Rest der Familie in Frieden.“

Entkräftet schaute ich nach unten.

„Ich will nicht noch mehr Ärger“, fügte ich flüsternd hinzu.

Es war schwer, weitere Tränen zu unterdrücken, schwer darüber zu reden, mit dem Wissen, was die Familie alles getan hatte. Glenda kam zu mir, kniete sich vor mich hin und nahm meine Hände in ihre.

„Finn…“, begann sie im liebevollen Ton, „…ich habe nicht vor, deiner Familie in irgendwelcher Weise zu schaden, dann wäre ich nicht besser als sie. Ich möchte ihnen nur einen Denkzettel verpassen, damit sie endlich kapieren, wo dies alles hinführt!“

Lange schaute ich ihr in die Augen.

„Bist du sicher, Glenda…, es ist schließlich Finns Familie und haben mit uns nichts zu tun“, sagte David neben mir.

Glenda stand auf und setzte sich in den Sessel neben David.

„David, ich weiß, dir ist es nicht Recht, aber für mich bist du nach wie vor mein Sohn, mit den gleichen Rechten wie Phillip.“

David wollte etwas sagen, aber Glenda sprach einfach weiter. Ihm blieb gar nichts weiter übrig, wie ich zu zuhören.

„Du kannst mir nicht erzählen, dass der Bruder nicht wusste, dass du dich in Finns Haus aufgehalten hast, wie auch Angus, Finns kleiner Bruder. Somit zieht er unsere Familie automatisch mit hinein, denn Finn ist auch dein Freund, oder habe ich das irgendwie falsch verstanden, dass ihr beide jetzt zusammen seid?“

Ich schaute zu David, der augenblicklich rot wurde.

„Komm Glenda…, das bereden wir alles in Ruhe! Es bringt nichts, wenn wir jetzt etwas unüberlegtes Tun und Finn vielleicht mehr schaden, als zu helfen!“

Auch er setzte sich nun und rieb sich seine Hände. Glenda dagegen stand auf, befüllte eine weitere Tasse mit Tee und gab sie ihrem Mann.

„Danke Liebes und zu euch beiden…, meine Frau und ich stehen voll und ganz hinter euch, bitte vergesst das nicht, egal was kommt! Finn, du musst das nicht alleine durchstehen! Ich habe mich noch eben kurz mit der Feuerwehr gesprochen. Der Wohnbereich ist wohl hinüber, auch der Flur wurde in Mitleidenschaft gezogen, dafür ist, wegen der dicken Decke, der obere Bereich unbeschädigt geblieben.“.

Bei dem Wort Flur zuckte ich etwas zusammen.

„Du sagtest Flur…, weißt du, ob der tolle Spiegel dort etwas abgekommen hat?“, fragte David.

Erneut flossen meine Tränen.

„Das kann ich dir nicht sagen, aber warum fragst du?“

David legte seinen Arm wieder um mich.

„Es ist ein Erbstück von Finns Großmutter und ist Finn sehr wichtig!“

Es schüttelte mich etwas, aber versuchte irgendwie tapfer zu sein. Ich wischte mit meinem Ärmel über die Augen.

„Es… es ist irgendwie…, meine letzte Verbindung… zu meiner Granny“, versuchte ich zu erklären.

Mehr wollte und konnte ich auch nicht sagen.

„Das tut mir leid, Finn, ich kann dir aber leider nicht mehr ausrichten.“

„Was wird morgen?“, fragte David.

„Morgen?“ Da bleibt ihr zwei erst mal hier bei Glenda. Ich denke, euer Chef wird euch deswegen keinerlei Probleme bereiten“, lächelte Paul.

*-*-*

Ich saß auf dem großen Bett und schaute mich in Davids ehemaliges Zimmer um. Er selbst war gerade im Bad, nachdem ich ihm mindestens gefühlte Tausendmal versichert hatte, dass er mich beruhigt alleine lassen könnte.

Ich atmete tief durch, rubbelte mir durchs Haar. Wieder dachte ich an Granny. Bestand wirklich ein klitzekleiner Funke Hoffnung, dass ich sie nicht ganz verloren hatte. Ich schüttelte den Kopf. Es half nichts, ich musste nach vorne schauen.

Durch Pauls und Glendas vielen Beziehungen schien wohl dem Wiederaufbau meines Hauses nichts im Wege zu stehen. Aber ob es wirklich so wurde, wie früher, bezweifelte ich. Der Charme des Hauses war weg.

Für mich jedenfalls. Ich hatte immer noch das Gefühl nach Rauch zu riechen, und roch an den Sachen, die ich am Leib trug. Konnte eigentlich nicht sein, denn ich hatte frische Sachen an. Woher die Glenda hatte, wusste ich nicht einmal.

Gehörten sie Phillip? Die Tür ging auf und David kam herein. Außer einem Handtuch um die Lenden, trug er nichts. Er rubbelte mit einer Hand seine Haare, mit der anderen schloss er die Tür.

Leicht tropfend lief er Richtung Schrank, hielt aber dann kurz inne und schaute zu mir.

„Was?“, fragte er.

„Nichts…“, antwortete ich lächelnd.

Er zog das Handtuch vom Kopf, schmiss es über die Stuhllehne und kam zu mir. Ohne etwas zu sagen, griff er nach meiner Schulter und drückte mich dann küssend aufs Bett. Zur Gegenwehr war ich nicht fähig, David war im Augenblick einfach der Stärkere.

Wollte ich es überhaupt? Sein Kuss wurde fordernder und ich begann ihn meinerseits mit den Händen zu streicheln. Er dagegen zog mich wieder hoch, bevor er sich an meinem Shirt zu schaffen machte und es über meinen Kopf zog.

Dann begann er mich erneut zu küssen und aufs Bett zu drücken. Dieses Mal mit seinem ganzen Körper. Dass er dabei sein Handtuch verlor und nun nackt auf mir lag, schien ihm egal.

Ich dagegen, schon leicht erregt, begann über seinen Rücken zu streicheln. Plötzlich hörte er auf und hob etwas seinen Kopf.

„Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich lieb habe…“, flüsterte er leise.

Darauf sagte ich nichts, schlang meine Arme um seinen Nacken und begann meinerseits ihn zu küssen. Angeturnt, durch seine Küsse, fühle ich mich plötzlich wieder kräftiger. So drückte ich ihn auf die Seite, so dass er regelrecht von mir herunter kullerte.

Ich stand auf, ließ meine Hose und Shorts zu Boden gleiten und stieg nun ebenso nackt wieder zu ihm ins Bett. Nur dass ich mich dieses Mal auf ihn setzte. Deutlich spürte ich seine harte Erregung an meinem Hintern.

Ich beugte ihn nach vorne und schaute ihn in seine tief funkelten Augen.

„Ich liebe dich auch“, flüsterte ich zurück und ergab mich seinen Küssen.

*-*-*

Der Jogginganzug von David war mir etwas zu groß. Ich saß im Wohnzimmer der Morris und starrte in das Feuer des Kamins. Leichte Traurigkeit überkam mich, da mich die Flammen an den Vorfall erinnerten.

Die Tür ging auf und riss mich aus meinen Gedanken. Glenda kam herein.

„Du willst wirklich nichts frühstücken?“, fragte sie und stellte eine Tasse Tee neben mich.

„Danke, Glenda, aber ich habe im Augenblick keinen Appetit.“

Glenda ließ sich im Sessel mir gegenüber nieder. Wie immer war sie sehr elegant gekleidet und die Frage kam wieder einmal auf, wer ihre Familie war?

„Kennst du eine Kathlen Lennox.“

„… ähm meine Tante, sie ist die Frau vom mittleren Bruder meines Vaters…, warum fragst du?“

„Sie hat hier heute Morgen angerufen und um ein Treffen mit mir oder Paul gebeten.“

„Ein Treffen?“

Ich konnte nicht anders und schüttelte lächelnd den Kopf.

„Sie fahren wohl volles Geschütz auf.“

„Die Bitte um ein Treffen nebst Begründung hörten sich danach an.“

„Sie ist eine Anwältin, was wird sie wohl wollen?“

„Ein Gespräch… über deine Zukunft in der Familie.“

Ich konnte nicht anders und fing sarkastisch an zu lachen. Fing es jetzt alles wieder von vorne an? Hatte das vor fünf Jahren nicht gereicht? Nachdem ich aufgestanden war, lief ich zum Fenster. Der Himmel grau und alles weiß, es war wie gestern. Nur es hatte aufgehört zu schneien.

„Möchtest du nicht hören, was sie zu sagen hat?“, fragte Glenda.

Ich drehte mich zu ihr.

„Wahrscheinlich das gleiche, wie vor fünf Jahren. Bestückt mit einer Vorladung, wird sie mich wieder vor Gericht schleifen wollen.“

Die Tür öffnete sich erneut und David kam herein.

„Hier steckst du, ich habe dich überall gesucht, nicht mitbekommen, dass du bereits aufgestanden bist.“

„Ja, ich wollte mir etwas die Beine vertreten, mir tat etwas… ähm der Rücken weh.“

David Blick wanderte über meinen Körper nach unten. Er wusste genau, was ich meinte und wurde augenblicklich rot.

„Geht es dir besser?“, fragte er besorgt und kam auf mich zu.

Ich hob abwehrend meine Hand.

„Es ist alles in Ordnung“, lächelte ich.

Er drückte mir einen Kuss auf die Wange und lächelte verlegen. Hatte er Glenda nicht bemerkt. Die saß immer noch in ihrem Sessel und grinste mich an.

„Glenda hat mir gerade erzählt, dass eine Tante von mir, um ein Gespräch gebeten hat.“

„Was will sie von dir? War doch klar und deutlich, was die Familie über dich denkt.“

Er hat die gesagt und nicht deine Familie.

„Sie will mit mir reden und nicht mit Finn“, mischte sich nun Glenda ein, „guten Morgen David.“

„Guten Morgen Glenda… ähm… du hast ihr sicherlich ein Riegel vorgeschoben.“

„Nein, habe ich nicht, ich habe dem Gespräch zu gestimmt.“

„Warum? Soll sich das von gestern wiederholen?“

David schien ärgerlich.

„David, sie hat sich nicht danach angehört, irgendwelchen Ärger zu verursachen.“

„Du bist mal wieder zu gutgläubig!“

„David… bitte!“, mahnte ich, denn ich fand, er hatte sich leicht im Ton vergriffen.

Mittlerweile war ich wieder zum Sessel zurück gegangen, denn es fröstelte mich leicht. David sah zu mir.

„Entschuldige Finn…, ich möchte einfach nicht, dass du noch mehr verletzt wirst, es reicht!“

Ich wusste ja, dass er es nur gut meinte. Ich wollte nur nicht, dass ich nun ein Grund war, dass er sich mit Glenda stritt. Ich hob ihm meine Hand entgegen und er griff danach. Er ließ sich auf der Sessellehne nieder.

„Es ist lieb von dir gemeint, aber langsam werde ich neugierig und will wissen, was sie möchte, warum sie mit Glenda reden will und nicht mit mir.“

„Du möchtest dem Gespräch beiwohnen?“, fragte Glenda etwas überrascht.

„Wenn du nichts dagegen hast?“

„Dann will ich auch bleiben“, kam es von David.

„Wenn ihr meint…“, Glenda schaute auf ihre Uhr, „dann könnt ihr gleich hier sitzen bleiben, denn sie kommt in fünf Minuten! Oder wollte ihr euch noch umziehen?“

Ich schüttelte den Kopf, denn ich fühlte mich in Davids Klamotten wohl.

*-*-*

Ich wurde nervös, als Glenda das Zimmer verließ, um meine Tante zu empfangen. David griff nach meiner Hand.

„Das wird schon! Ich bin bei dir. Notfalls fliegt sie raus, wie die anderen beiden gestern!“

Ich nickte nur, sagte aber nichts. Mein Blick haftete an der Tür. Ich wartete, dass sie sich wieder öffnete.

 

Die Frau, die gerade mit Glenda eintrat, hatte nur annähernd mit meiner Tante zu tun. Ihr äußeres hatte sich sehr verändert. Gewichen waren die elegante Kleidung, die sie früher trug und ihre Haare schon leicht grau.

Auch das Gesicht kam mir faltiger vor, als zu dem Zeitpunkt, als ich sie das letzte Mal vor Gericht gesehen hatte, wo sie die Gegenseite vertreten hatte. Glenda wies Richtung Couch.

„Setzten sie sich doch…, das ist mein Sohn David und… Finn kennen sie ja.“

Wie sie das „Sohn“ betont hatte. David neben mir schwieg, nur der Druck auf meine Hand wurde etwas stärker, als das Wort Sohn fiel. Leicht verschüchtert, schaute sie in unsere Richtung.

„Hallo Finn… David…“, sagte sie unsicher und nickte uns zu.

Danach ließ sie sich langsam auf die Couch nieder.

„Sie haben um ein Gespräch gebeten, dürfte ich sie fragen warum?“, kam Glenda gleich auf den Punkt.

„Dazu muss ich etwas weiter ausholen…“

Tante Kathlen schaute wieder zu mir.

„Ich habe damals einen großen Fehler begannen…“, sprach sie weiter, „und auf den Bruder meines Mannes gehört.

Erstaunt schaute ich sie an. Mein Blick wanderte kurz zu David, dann wieder zurück zu ihr.

„Ich habe mich dazu verleiten lassen, gegen meinen Neffen einen Gerichtsprozess anzustrengen, was ich bis heute sehr bereue“, erklärte sie Glenda

„Was hat ihre Meinung geändert?“, wollte Glenda wissen.

„Finns Vater. Er hat mir die Schuld gegeben, dass sämtliche Anschuldigungen gegen Finn fallen gelassen wurden. Alle Kosten, wie die der Gerichtsverhandlung und anderen Dingen, mussten die drei Brüder unter sich aufteilen.“

„Mal wieder das liebe Geld“, rutschte es David heraus.

Glenda schaute ihn böse an.

„Entschuldigung!“, meinte er darauf nur.

„Ich hatte nicht meine Hausaufgaben gemacht und die angeblichen Beweise nicht auf ihre Richtigkeit überprüft. Es hätte nie zu dieser Gerichtverhandlung kommen dürfen.“

„Was passierte dann, wenn ich fragen darf“, kam es von Glenda.

„Ich verlor meinen Job bei der Kanzlei, für die ich bis dahin tätig war und auch mein Mann bekam Ärger in seiner Firma.“

„Aber seine Brüder haben ihm doch sicher geholfen?“

Diese Frage konnte ich mir nicht verbeisen, Tante Kathlen dagegen schüttelte nur den Kopf.

Was war denn da verkehrt gelaufen?

„Wir sind auf den gesamten Kosten sitzen geblieben, denn die Brüder meines Mannes haben nichts bezahlt. Daraufhin haben wir unser Haus verkauft und sind aufs Land gezogen. Mein Mann pendelt seit dieser Zeit, jeden Tag in die Stadt und ich habe ein kleines Anwaltsbüro eröffnet, in dem Häuschen, in dem wir jetzt wohnen…“

„Und warum sind sie jetzt hergekommen? Entschuldigen sie, wenn ich mich wiederhole“, sagte Glenda.

Sie schaute zu mir und hatte Tränen in den Augen.

„Ich wollte…“, sie holte ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.

„Finn, du musst mir bitte glauben, dass dein Onkel Felix und ich nichts gegen dich haben! Wenn du unsere Hilfe benötigst…“

„Stop!“, meinte ich unterbrach sie dadurch.

„Du bist nur hierhergekommen, um mir deine Hilfe anzubieten? Woher weißt du überhaupt, dass etwas geschehen ist?“

Auch Glenda und David schien diese Frage zu interessieren, denn beide schauten zu Tante Kathlen.

„Dein…, dein Onkel Valand hat bei uns gestern angerufen und hat Felix unter Druck gesetzt…“

„Onkel Valand?“

Tante Kathlen nickte.

„Und wie hat ihr Mann darauf reagiert?“, fragte nun Glenda.

„Er hat seinem Bruder gesagt, dass wir mit der Familie nichts mehr zu tun haben wollen, denn wir hatten genug Ärger wegen ihr.“

„Was hat Valand darauf gesagt?“, fragte ich.

„Er hat ohne ein weiteres Wort aufgelegt“, antwortete Tante Kathlen.

„Du weißt also nicht was passiert ist?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nur, dass Thomas wieder Ärger hast und dein Vater bei der Polizei ist.“

Ich atmete tief durch und schüttelte mit geschlossenen Augen den Kopf.

„Mein lieber Stiefbruder Thomas hat gestern versucht, mich und zwei andere Personen, ins Jenseits zu befördern und Grannys Haus angezündet!“

Geschockt hielt meine Tante, die Hand vor den Mund.

„….Grannys Haus?“, stammelte sie mir nach, „… du bist in Ordnung…dir und den anderen ist nichts passiert?“

„Nein! Zum Glück! David hier und ich konnten Thomas überwältigen…“

„Du wusstest, dass er dein Stiefbruder ist… woher?“

Ich schaute zu David.

„Das Familiengeheimnis ist wohl wirklich gut behütet gewesen. Egal! Ich weiß es erst seit kurzen… und woher ist auch egal, aber vielleicht habe ich da etwas, was du noch nicht weißt!“

„Ich…?“, fragte Tante Kathlen mit großen Augen.

„JA, du hast noch einen Neffen, naja, es ist der Neffe deines Mannes, denn sein Bruder…, also mein Erzeuger hat noch einen unehelichen Sohn!“

Irritiert schaute Tante Kathlen zwischen uns hin und her.

„Noch einen Sohn…?“, fragte sie.

„Ja, ich habe erfahren, dass es mein Erzeuger wohl mit der Treue, nicht so ernst genommen hat!“

David rempelte mich an. Stimmt, ich war wieder in diesen Sarkasmusmodus gerutscht und redete deshalb auch so.

„Entschuldige bitte“, meinte ich darauf und trank zur Beruhigung von meinem Tee.

„Auch ich muss mich entschuldigen“, sagte plötzlich Glenda…, wo sind denn nur meine Manieren geblieben? Mrs. Lennox, möchten sie auch einen Tee haben?“

„Sie brauchen sich wegen mir keine Umstände zu machen!“

„Das sind keine Umstände“, meinte Glenda und verließ das Zimmer.

Unsicher schaute Tante Kathlen zu mir. David erhob sich und bediente sich am Tee, der bereits im Zimmer stand.

„Angus…, so heißt der Neffe. Seine Mutter starb, so kam er in ein Heim und später in eine Pflegefamilie, die ihn aber nur wegen des Geldes genommen hatten. Mit achtzehn Jahren saß er auf der Straße, wo ich ihn später aufgelesen habe.“

„Aber woher weißt du, dass er dein Halbbruder ist?“

„… ähm… durch alte Papiere…“, log ich, denn ich konnte ihr ja schlecht auf die Nase binden, dass Granny mir das erzählt hatte, genauso dass über Thomas, „und bei Angus verwende ich Bruder, denn er ist die dritte Person, die gestern im Haus war. Er lebt seit kurzem bei mir.“

Meine Tante sagte daraufhin nichts. David hatte sich mittlerweile wieder auf meiner Sessellehne niedergelassen und rührte in seiner Tasse. Die Tür öffnete sich wieder und Glenda betrat en Raum.

In der Hand ein Tablett, wo ich neben einer weiteren Kanne noch eine Tasse einen Teller mit Gebäckteilen sehen konnte. Ganz Gastgeber, füllte sie die Tasse und reichte sie Tante Kathlen.

„Danke“, meinte diese.

„Zucker?“

„Nein, danke…“

Dann schaute sie wieder zu mir.

„Würde dir es etwas ausmachen, wenn wir Felix zu uns bitten würden?“

Fragend schaute ich sie an.

„Kann er denn so einfach von seiner Firma weg?“, fragte ich verwundert.

„Er ist nicht in der Firma…, er hat sich frei genommen und sitzt draußen im Wagen und wartet auf mich.“

„Ihr Mann sitzt bei dieser Käte draußen im Wagen?“, fragte Glenda empört.

*-*-*

Ich hatte ungerne meinen Platz für meinen Onkel freigegeben. Er saß nun am Kamin und hielt seine Hände dorthin um sie zu wärmen. Während David nun bei Glenda auf deren Sessellehne saß, hatte ich bei meiner Tante auf der Couch Platz genommen.

David war es auch, der auf Order von Glenda hinaus gegangen war, um meinen Onkel herein zu holen. Bis jetzt hatte Stille im Raum geherrscht.

„Ich habe Finn alles erzählt…“, sagte Tante Kathlen plötzlich in die Stille.

Onkel Felix zog langsam seinen Schal aus und auch die viel zu kleine Mütze die er trug. Auch bei ihm war die Zeit nicht stehen geblieben, erwirkte älter, wie mein Erzeuger. Natürlich fiel mir auf, dass sämtliche Lachfältchen verschwunden waren.

„Nimmst…, nimmst du unsere Entschuldigung an?“, fragte er nun mich direkt, schaute dabei total verunsichert.

Ich atmete tief durch.

„Onkel Felix, es geht jetzt nicht darum, was in der Vergangenheit passiert ist, sondern um die aktuellen Geschehnisse!“

„Doch Finn, das ist mir sehr wichtig, denn ich leide darunter…, nicht einmal unserer Tochter will noch etwas von mir wissen.“

„Iris?“

Stimmt, an sie hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht.

„Ja, sie ist nach London gezogen und hat sämtlichen Kontakt mit uns abgebrochen.“

Mir fiel ein, dass ich meine Cousine bei keiner Gerichtsverhandlung gesehen hatte.

„Könnten wir dieses Thema etwas zurückstellen?“, fragte ich, „ich… ich…“

David wollte sich schon erheben, denn er spürte meine leichte Hilflosigkeit, aber ich winkte ab.

„Onkel Felix, es tut mir leid, was euch wiederfahren ist. Es ist zwar fünf Jahre her, was geschehen ist, aber wie ich die letzten Tage feststellen musste, bin ich darüber noch lange nicht hinweg. Können wir uns einfach darauf einigen, uns erst wieder richtig kennen zu lernen…?“

Ich schaute meine Verwandtschaft an, die sich beide wohl unschlüssig waren.

„Wie ich von Tante Kathlen erfahren habe, wisst ihr nicht, was geschehen ist.“

Onkel Felix schüttelte den Kopf und so erzählte ich auch ihm, was sich gestern zu getragen hatte, auch über seinen Bruder. Er starrte daraufhin ins Feuer.

„Ich habe damals schon gesagt… Thomas braucht Hilfe…, dass er nur Ärger verursacht“, sagte er leise.

„Aber gegen ihn eingeschritten ist niemand?“, mischte sich nun Glenda wieder ein.

Wieder schüttelte mein Onkel seinen Kopf.

„Dann wissen sie sicher auch nicht, dass Thomas veranlasst hat, dass man Finn Krankenhausreif hat schlagen lassen?“

Beide, Onkel Felix, wie auch seine Frau schauten entsetzt zu mir.

„Wie schon gesagt, nach der Sache mit den Gerichtskosten und, das Verschwinden von Iris, sind wir aufs Land gezogen…“, meinte Tante Kathlen verbittert, „oh Gott, was ist nur aus dieser Familie geworden?“

Sie hielt ihre Hände vor ihr Gesicht und fing an zu weinen. Onkel Felix erhob sich und ich machte Platz, als er sich neben seine Frau setzte. Er nahm sie in den Arm.

„Es tut mir so leid, Kathlen, das ist alleine meine Schuld! Ich hätte nie auf meine Brüder hören dürfen! Dann wäre es niemals soweit gekommen!“

*-*-*

Mittlerweile war Abend und Onkel Felix und Kathlen immer noch da. Auch Paul war nach Hause gekommen. Es war endlich Wochenende und die Bank war geschlossen. Er und Glenda hatten sich zurück gezogen, sie wollte ihm alles erklären.

Ich dagegen saß mit David und meinen Verwandten im Wohnzimmer. Onkel Felix wollte unbedingt seinen Neffen kennen lernen, nachdem er von ihm erfahren hatte. Aber dies hatten wir auf einen anderen Tag verschoben.

„Finn, darf ich dich fragen, wie du mit der Familie Morris bekannt geworden bist?“, fragte Onkel Felix und schaute sich im Raum um.

„Du weißt wer Mr. Morris ist?“

„Nein, aber ich kenne Mrs. Morris Familie. Ihre Ahnen sollen Mitbegründer dieser Stadt sein.“

Das würde natürlich passen und viele meiner Fragen ihr bezüglich beantworten.

„Davon weiß ich nichts. Mr. Morris leitet hier eine Bank, in der ich und auch David arbeiten. Er ist mein Kollege…“, ich stockte kurz, „und auch mein Freund, also im Sinne von Lebenspartner!“

Ich wollte ehrlich sein, denn über meine sexuelle Gesinnung wussten sie ja seit damals Bescheid. Das ich erst seit kurzem mit David zusammen war, wollte ich ihnen nicht auf die Nase binden. Onkel Felix lächelte.

„So kam mir das auch vor“, meinte er kurz und das Lächeln verschwand wieder.

Er blickte kurz zu Tante Kathlen.

„Ein Grund mehr, warum wir mit unserer Tochter Iris in Streit geraten sind. Sie stand völlig hinter dir und meinte, es wäre sehr beschämend, dich auf deine Sexualität zu beschränken!“

„Wohl war“, sagte David, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte.

Er lehnte sich etwas mehr an mich.

„Finn ist so viel mehr! Er macht seit Jahren einen super Job in der Bank und durfte zur Belohnung nun die Abteilung übernehmen…“

Das war so nicht ganz richtig, aber auch dies behielt ich für mich.

„… und auch privat, kann sich jeder froh schätzen, der sein Freund ist. Er ist aufopfernd, steckt voll Güte…“

Oh Mann, da hat es einen aber sehr erwischt. Ich spürte, wie meinen Wangen zu glühen begannen.

„… und hilft nur, wo er kann. Die Idee, dass sich die Bank beim Wideraufbau des abgebrannten Wohnheimes beteiligt, stammt auch von ihm!“

Ich legte meine Hand auf seinen Schenkel.

„Bitte David…“

„Ich erzähle nur Tatsachen!“

Onkel Felix lächelte wieder.

„Ich sehe, du bist hier gut aufgehoben. Dass du bei einer Bank arbeitest, habe ich irgendwo mitbekommen, aber ich wusste nicht bei welcher. Ein Grund mehr, dass wir dich nicht früher aufgesucht haben, denn auch das Haus von Mutter stand leer, du hast wo anders gelebt.“

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, meinte David.

„Ja, ich weiß…“, entgegnete Onkel Felix, „aber irgendwie haben wir uns immer mehr zurück gezogen und die Welt vor der Haustür gelassen.“

Die Tür wurde geöffnete und Paul mit Glenda kam herein. Man begrüßte sich und verabschiedete sich auch gleichzeitig, denn Onkel und Tante wollten noch nach Hause fahren, was bei diesem Wetter sicherlich eine Weile dauern würde.

Wir verblieben so, weiterhin in Kontakt zu bleiben. Wir begleiteten sie an die Haustür, wo ich noch eine Weile stand, auch wenn der Wagen schon längst verschwunden war.

„Komm, es ist kalt, ich friere!“, sagte David und zog mich am Shirt nach hinten.

„Schon gut, ich komm ja schon mit rein!“, sagte ich und stolperte leicht.

David fing mich auf.

„Da werde ich mich wohl dran gewöhnen müssen, dass ich nun einen Beschützer habe, der immer da ist!“, sagte ich und hing halb in Davids Armen.

„Das will ich dir auch geraten haben!“, meinte er und küsste mich auf die Stirn.

*-*-*

Am Samstagmorgen kamen wir nur müßig in die Gänge, obwohl wir am Freitag nicht gearbeitet hatten. Der Vorschlag Glendas, den Hof Schneefrei zu räumen wurde daher mit keiner großen Begeisterung angenommen.

Doch es stellte sich heraus, dass die frische klare und kalte Luft David und mir gut tat und sich unsere Laune deutlich hob. Nach mehreren kleinen Schneeballschlachten, war der Hof frei und wir bauten von diesem Schnee sogar noch einen Schneemann.

Der alte Diener der Familie, brachte sogar eine Karotte und ein paar Stück Kohle, damit wir Gesicht und Bauch verzieren konnten. Paul und Glenda standen an der Haustür und betrachteten unser Meisterwerk lächelnd.

„Liebes, hättest du etwas dagegen, wenn wir dieses Jahr Weihnacht groß feiern würden?“

Glenda schaute ihren Mann fragend an.

„Seit David aus dem Haus ist und Phillip sich selten Blicken lässt, ist es im Haus sehr still geworden…“

Glenda lächelte ihren Mann an.

„Sag doch gleich, du möchtest für Finn eine Weihnachtsfeier abhalten.“

„… ähm ja“, meine Paul verlegen.

„Du hast ihn sehr gerne.“

„Klar habe ich ihn gerne, er hat David wieder sein Lächeln zurück gegeben, welches ich schon sehr lange nicht mehr gesehen habe.“

Ich grinste David an und bekam als Antwort einen Schneeball ins Gesicht. Erneut startete eine Schneeballschlacht, bei der sich nun auch Paul betätigte. Er schlug auch vor, später gemeinsam zu meinem Haus zufahren, aber ich lehnte ab.

*-*-*

Mit Tränen in den Augen stand ich am Gatter meines Haus. David hatte seinen Arm um mich gelegt, sagte aber nichts. Es half nichts, hier nur zu stehen. Ich stieß das Gatter auf und lief den kleinen Weg zum Haus.

Da wo die letzte Flasche in Flammen aufgegangen war, konnte man noch schwach die schwarze Stelle unter dem frisch gefallen Schnee sehen. Vor der Tür, atmete ich tief durch und schloss sie auf.

Ich traute mich nicht sie auf zu schieben, denn ich hatte Angst, über das was ich dahinter entdecken würde.

„Hallo wir sind da“, hörte ich Angus Stimme und drehte mich um.

Mit wir meinte er, dass Blair, Connor mit Nian bei ihm waren.

„Ich habe sie angerufen…“, meinte David leise, … dachte es würde dir gut tun, wenn du deine Freunde um dich hast.“

„Danke, lieb von dir“, sagte ich und versuchte etwas zu lächeln.

„Worauf warten wir?“, rief Connor, der dafür gleich den Ellenbogen von Nian zu spüren bekam.

Der Moment der Wahrheit kam. Langsam schob ich die Tür auf und ein Schwall verrauchter Luft kam uns entgegen. Aber nicht der Spiegel kam ins Sichtfeld, sondern eine dicke Plane, die darüber hing.

Während sich die anderen an mir vorbei drängten, schaute ich immer noch auf die Plane. David blieb bei mir. Ich griff danach und zog langsam daran. Nur schwer ließ sich das Ding überhaupt bewegen.

Erst als David einschritt und mir dabei half, bekamen wir die halb angefrorene Plane herunter. Und auch jetzt war es nicht das, was ich sehen wollte. Der Spiegel war mit einer dicken Eisschicht überzogen, was wohl das Löschwasser verursacht hatte.

Das Schlimme für mich war, ich konnte Risse im Glas, oder im Eis nicht unterscheiden. So wusste ich immer noch nicht, hatte der Spiegel etwas abgekommen, oder nicht.

„Was macht ihr beiden da?“, hörte ich Blair fragen.

„Finn wollte sehen, ob der Spiegel auch etwas abgekriegt hat“, erklärte David.

„Und?“

„Leider zu viel Eis darauf! Schwer zu sagen, ob er beschädigt ist!“

„Sieht hier drinnen leider anders aus“, meinte sie und verschwand wieder.

„Komm…, lass uns den Rest anschauen“, meinte David und legte seinen Arm um mich.

Schweren Herzens ließ ich mich vom Spiegel wegziehen, um gleich den nächsten Schock zu bekommen. Im Wohnbereich sah es noch schlimmer aus. Auch hier war alles mit einer Eisschicht überzogen.

Viel erkennen konnte man nicht mehr, bis auf den Ofen, Herd und dem Kühlschrank, war alles nieder gebrannt. Die Wände und Decke waren teilweise nur noch schwarz.

„Da helfen nur noch Heizlüfter, damit wir das alles aufgetaut kriegen“, meinte Connor gerade, als David und ich in der Tür standen.

„Glaubst du nicht, dass wir den Ofen nicht wieder in Gang kriegen?“, wollte Blair wissen.

„Wir wissen nicht, wie viel Wasser er innen abbekommen hat“, sagte Angus und versuchte verzweifelt, die vereiste Fronttür zu öffnen.

„Lass es, Angus, du machst dir nur weh!“, sagte Connor.

Angus richtete sich auf und rieb sich die Hände.

„Das man immer noch auf dich aufpassen muss!“, sprach Connor weiter und wuschelte ihm durch seine Haare, „lass uns nach oben gehen und schauen, was von deinen Klamotten wir mitnehmen können!“

Angus nickte und folgte Connor aus dem Zimmer. Blair kam zu mir, nahm mein Gesicht in ihre Hände und wischte mir mit ihren Daumen die Tränen weg.

„He, lass die Löffel nicht hänge, das kriegen wir gemeinsam wieder hin, okay?“

Ich nickte.

„Komm schauen wir auch nach euren Sachen, was heil geblieben ist“, sagte Blair, schnappte sich die Hand von Nian und zog sie hinter sich her.

Ich atmete tief durch und schüttelte den Kopf. David trat von hinten an mich heran und umarmte mich.

„Blair hat Recht, das schaffen wir!“

Ich nickte, obwohl ich es nicht recht glauben konnte, oder wollte.

*-*-*

Als ich am nächsten Morgen an meinem Arbeitsplatz kam, lag dort eine kleine Karte vor der Tastatur. Ich schaute mich um und sah, soweit ich es einsehen konnte, bei den anderen Schreibtischen genauso.

Ich nahm die Karte, auf der eine spätere Einladung durch den Chef, also Paul zu lesen war. Man wollte über Veränderungen reden und sich dafür im oberen Konferenzraum treffen. David hob die Karte hoch und schaute zu mir.

Ich legte die Karte beiseite, hängte meine Jacke über den Stuhl und ließ mich darauf nieder. Da Glenda darauf bestand, dass wir mit Paul fuhren, waren wir die ersten im Büro. So kamen nach und nach auch die anderen Kollegen, natürlich Blair ebenso.

„Es wird doch niemand gekündigt werden?“, kam es von Anne.

Natürlich, dass hätte ich mir denken können. Wie immer machte sie einfach alle nervös.

„Glaube ich nicht, warum auch?“, sagte Bert neben ihr.

„Sicher wird die Abteilungsleiterfrage geklärt!“, warf nun Blair ein.

Ein kurzer Blick zu mir und sie setzte sich ebenso hin.

„Wann seid ihr denn gekommen?“, fragte sie neugierig.

„Wir sind mit Paul gefahren…“, antwortete ich leise.

„… und Paul ist immer einer der ersten in der Bank“, fügte David hinzu.

„Darüber hat er euch nichts gesagt?“, fragte Blair und hielt ihre Einladung hoch.

Ich schüttelte den Kopf.

„Dann lasst uns mal weiter machen, nächste Woche ist der Vorstand da und will das neue Projekt kennen lernen“, sagte Phillip und sein Kopf verschwand halb hinter seinem Monitor.

Er hatte Recht, es half nichts, jetzt darüber nach zu denken. Auch nicht wie es mit dem Haus weiter ging.

„Wer führt denn eigentlich die Präsentation?“, wollte Blair wissen.

Sie schaute uns beide an.

„Finn natürlich, wir werden denke mehr im Hintergrund helfen“, sagte David und lächelte mich an.

„Wie stellst du dir das vor?“, fragte ich jetzt schon leicht genervt, weil ich so etwas gar nicht gern machte.“

„Während Blair, die nötigen Mappen an den Vorstand verteilt, werde ich am Laptop verweilen und deine Präsentation mit Daten, Zahlen und Bildern unterstützen.“

„Ist das nicht zu aufwendig?“

„Finde ich nicht“, kam es von Blair.

„Könnte ihr mal…?“, sagte David und gab uns einen Wink mit seinen Fingern, zu ihm zu kommen.

So standen Blair und ich fast gleichzeitig auf und begaben uns auf Davids Seite. Er tippte sich durch ein paar Bilder, Diagramme und anderes.

„Wann hast du das denn gemacht?“, wollte ich wissen.

„Während du gestern Mittag schliefst“, lächelte er mich an.

Blair grinste ebenso.

„Aber der Text fehlt leider noch, da wollte ich mich euch kurz schließen.“

„Ich soll eine Art Rede schreiben?“, fragte ich erstaunt.

„Keine Rede“, kam es nun von Blair, „erklärende Texte zu den verschiedenen Bildern und Daten. Das muss ja nichts Langes sein!“

David nickte zustimmend. Konnte er wenigstens diese blöde Grinsen lassen, es machte mich nervös. Es war ja nicht so, dass ich in der Vergangenheit noch keine Präsentationen gemacht hatte, aber vor dem Vorstand?

„Dann haben wir ja noch einiges zu tun!“, meinte ich und lief an meinen Schreibtisch zurück.

*-*-*

Als wir den Konferenzraum betraten, waren schon einige Leute da. Etwas geschockt schaute ich zu David, weil ich einige Herren aus dem Vorstand erkennen konnte.

„Hast du das gewusst?“, flüsterte ich zu David.

David schüttelte den Kopf.

„Paul meinte nur, ich solle dafür sorgen, dass du auch wirklich kommst.“

Wieder grinste er und schob mich weiter in den Raum hinein.

Auf einem Tisch standen Sektgläser und etwas Knabbergebäck. Warum führ man hier so ein Drum auf. Ich fühlte mich etwas unwohl in meiner Haut.

„Paul sagte, er überlege sich etwas, damit es nicht so abgesprochen aussieht. Also spiel den Erstaunten.“

Das brauchte ich nicht zu spielen, ich war mehr als erstaunt. Auch der Rest der Kollegen unserer Abteilung, war herein gekommen und die Tür wurde geschlossen. Das Blair sich ebenso fühlte, wie ich, merkte ich daran, dass sie sich regelrecht hinter mir versteckte.

„Das sieht nicht nach Kündigungen aus“, hörte ich Bert aus dem Hintergrund sagen.

Ein leichtes Kichern ging durch unsere kleine Menschentraube und Anne wurde rot. Zu Paul kam ein junger Mann gelaufen, flüsterte ihm etwas zu und Paul nickte. Er ging an den Tisch mit Gläsern und wenige Sekunden später, hörte man das Klingen eines Glases. Im Raum wurde es ruhig.

„Ich freue mich, dass sie trotz der vielen Arbeit vor Weihnachten die Zeit gefunden haben, sich hier für einen kleinen Umtrunk einzufinden.“

Ich schaute zu meinen Kollegen, die alle auf Paul starrten.

„Wie sie ja mitbekommen haben, überschatten diese Tage einige Ereignisse. Umso mehr freut es mich, ihnen mitteilen zu können, dass fast alles so weit geklärt ist und betreffende Personen von ihren Positionen entfernt wurden.“

Was aus den drei geworden ist, darüber hatte Paul uns nichts weiter gefragt. Aber ich musste auch zugeben, in den vergangen Tagen andere Probleme hatte, als an meinen ehemaligen Abteilungsleiter nebst Vertretung und Spitzel zu denken.

„Umso mehr freut es mich heute daraus folgende personelle Veränderungen bekannt geben zu können, um weiter in die Zukunft blicken zu können.“

Mein Puls stieg ständig und ich spürte ebenso, wie sich das Blut langsam in meinem Gesicht breit machte. Es beruhigte mich auch nicht, dass Blair an meinem Jacket herum zupfte.

„Aus diesem Grund möchte ich an meinen Kollegen Mr. Mitchell aus London weiter geben…“

Was? Auch das noch! Trug Paul jetzt nicht zu dick auf? Ich schaute zu dem genannten Mann, der sich nun neben Paul stellte. Sein Gesicht kam mir bekannt vor, aber ich wusste vor Aufregung nicht, wo ich ihn hinstecken sollte.

„Guten Morgen, liebe Kollegen. Nach den Schwierigkeiten in den letzten Wochen, freue ich mich, dass auch in ihrer Filiale alles wieder richtig läuft. Auch ist es mir eine Freude, ihnen heute ihren neuen Abteilungsleiter vorstellen zu dürfen. Mir wurde zugetragen, dass er in der Vergangenheit viele Projekte für unsere Bank erarbeitet hat und die Geschäftsleitung über seine Tätigkeit in unserem Haus sehr angetan ist.“

Gab es kein Mäuseloch, in dem ich mich verkriechen konnte? Ich meinte zu spüren, wie sämtliche Kollegen hinter mir, mich mit ihren Blicken gerade durchbohrten.

„Mr. Lennox, würden sie bitte vortreten?“

Ich war fast nicht fähig zu atmen, mein Puls raste.

„Ich habe es dir doch gesagt!“, hörte ich Bert leise hinter mir sagen.

Aber anstatt weitere Kommentare zu hören, fingen die Kollegen an zu applaudieren an. David gab mir einen kleinen Schubs und ich lief los. Mr. Mitchell hob mir seine Hand entgegen, in die ich mit meiner Hand,  regelrecht hineinrutschte und kräftig geschüttelt bekam.

„Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung, Mr. Lennox!“

Ich war mir sicher, dass niemand mein „Danke“ hörte. Er reichte mir eine Mappe und ließ endlich meine schmerzende Hand los. Der junge Mann von vorhin kam und ich bekam noch einen Blumenstrauß überreicht.

Wieder klatschten die Kollegen, wurden aber unterbrochen, weil Mr. Mitchell die Hand hob und wieder ums Wort bat.

„Auch wenn Mr. Lennox nun Abteilungsleiter ist, wird sich zukünftig an seinem Arbeitsfeld nichts ändern, naja, vielleicht etwas mehr Arbeit…“

Die Kollegen lachten, während ich eher etwas gequält lächelte.

„… und damit er diese Arbeit nicht alleine zu machen braucht, hat der Vorstand beschlossen, ihm gleich zwei Stellvertreter zur Seite zu stellen! Mrs. Mac Innes und Mr. Mac Bain, würden auch sie bitte zu mir kommen?“

Auch die beiden schoben nun einen hochroten Kopf und es gab mir eine gewisse Befriedigung, dass ich nicht alleine vorgeführt wurde. Während dieser Mitchell nun auch Blair und David gratulierte, sah ich, wie zwei Damen die Sektgläser befüllten und an die Kollegen verteilten, die noch am Klatschen waren.

Wie ich auch, bekamen David und Blair ihre Ernennungen und auch Blumensträuße. Ich klemmte die Mappe unter den Arm, weil ich nun auch ein Glas überreicht bekam.

„Stoßen wir nun gemeinsam auf unsere Kollegen an!“, sagte Mr. Mitchell und hob sein Glas.

*-*-*

„Boah, ich könnte Paul an die…“, begann Blair.

„Sag es nicht!“, unterbrach sie David, als wir auf dem Weg zurück zum Büro waren.

Als wir es betraten, wurde erneut geklatscht, denn unsere Kollegen waren vor uns zurück gekommen. Ein wildes Händeschütteln begann und ich war froh als ich endlich meinen Strauß ablegen konnte. Mir fiel auf, dass jemand in unserer Abwesenheit ein Pinboard aufgestellt hatte, an dem der Grundriss unserer neuen Abteilung haftete.

„Müssen wir nun zu dir kommen, um grünes Licht für unsere Projekte bekommen, bevor es in die Chefetage wandert?“, fragte Bert und es wurde still im Büro.

Doch bevor ich etwas sagen konnte, begann David zu sprechen.

„So läuft das nicht mehr. Der nervend aufreibende Gang zum Chef bleibt euch erspart!“

„Wie?“, kam es von Bert.

Das fragte ich mich nun auch und musste peinlich feststellen, dass ich mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht hatte. David lief zum Pinboard.

„Ihr habt ja gesehen, dass wir später einen eigenen Konferenztisch haben. Dort werden wir zukünftig über unsere Projekte sprechen, denn so wie ihr, werden Finn, Blair und ich auch weiterhin an Projekten arbeiten, so wie im Augenblick das Projekt Wohnheim.“

„Also hat jeder Mitspracherecht?“, fragte eine andere Kollegin.

„Genau“, sprach David weiter, „jeder kann sich einbringen, mit neuen Ideen, oder auch Kritik, deshalb auch dieser Umbau, um das zu ermöglichen.“

„Und dann och meine coole Teeecke!“, hörte ich Blair hinter mir sagen.

*-*-*

„Gratuliere Herr Abteilungsleiter!“, begrüßte mich Glenda, im Flur, als wir ankamen.

„Danke!“, meinte ich leicht mürrisch, obwohl ich ein kleines Küsschen auf die Wange bekam.

„Was denn?“, fragte Glenda verwundert.

Auch David und Paul kamen herein und schlossen hinter sich die schwere Eingangstür. Der Diener nahm auch ihnen ihre Mäntel ab. Von den Sträußen befreit, zogen wir unsere Anzüge zu Recht.

„Dein Mann hat den Hang zum dramatischen und etwas dick aufgefahren!“

Glenda lachte.

„Findest du? Ich fand die Idee, dass Fenton das übernimmt gut!“

„Fenton?“, fragte ich verwundert.

„Ja, Fenton Mitchell, mein Bruder!“

Erstaunt riss ich meine Augen auf.

„Fenton holt Claire vom Hotel ab und kommt dann zum Dinner“, sagte Paul.

„Schön, es ist schon alles gerichtet“, meinte Glenda darauf.

Beide ließen David und mich im Flur zurück. Sprachlos schaute ich zu David.

„… und du wusstest wirklich nichts davon?“

Breit lächelnd kam er auf mich zu und nahm mich in den Arm.

„Nein, wirklich nicht! Ich habe mich zwar gewundert, was Onkel Fenton hier tat, aber diese Frage hat sich ja geklärt.“

„Onkel Fenton…?“

„Ja, irgendwie hat sich das so ergeben, dass ich zu den beiden Onkel und Tante sagte.“

Darauf sagte ich nichts und schaute ihn nur an.

„Hast du dich etwas beruhigen können?“

Ich nahm seine Hand und legte sie auf meine Brust.

„Fühlt sich das beruhigend an?“, fragte ich ihn.

„Dein Herz pocht immer noch extreme…, ist das nicht auch vielleicht wegen mir?“

Ich konnte nicht anders und fing an zu lachen.

„Da ist aber einer ganz schön von sich eingenommen!“, meinte ich grinsend.

„Wieso, du sagtest, du liebst mich, als ziehe ich den Schluss daraus, dass du als frisch verliebter, in meinen Armen einen erhöhten Puls bekommst.

Auch darauf sagte ich nichts, sondern küsste ihn innig. Und schon wieder dieses breite Grinsen, als er mich aus seinen Armen entließ. Er lief zum Wohnzimmer, wo Paul und Glenda verschwunden waren und öffnete die Tür.

„Müssen wir in den Anzügen bleiben, oder können wir uns etwas Bequemeres anziehen?“, hörte ich ihn fragen.

„Ich werde mir auch noch etwas leichteres Anziehen, bevor die beiden kommen“, hörte ich Paul darauf sagen.

„Ich habe dir schon etwas heraus gelegt“, vernahm ich Glendas Stimme.

„Danke Liebes!“

*-*-*

In dunklen Jeans und weißen Hemd gingen wir fast im Partnerlook die Treppe hinunter. Der Besuch befand sich mit den Gastgebern noch im Wohnzimmer, so steuerten David und ich ebenso dahin.

David öffnete die Tür, ließ mir unangenehmerweise den Vortritt und schloss die Tür hinter sich.

„David, das ist aber eine Freude!“, begrüßte ihn die für mich fremde Frau.

Die beiden umarmten sich und David bekam ein Küsschen auf die Wange gedrückt.

„Tante Claire“, hörte ich David.

„Claire, darf ich dir Mr. Lennox vorstellen, von dem ich dir erzählt habe und der Grund ist, warum wir hier sind“, meinte Mr. Mitchell und zeigte auf mich.

Wieder war ich in den Mittelpunkt gerückt, was mir überhaupt nicht recht war. Aber schon steuerte Mr. Mitchell auf mich zu. Lächelnd hob ich meine Hand, die wesentlich sanfter, als von ihrem Mann geschüttelt wurde.

„Glenda, du hast mir gar nicht erzählt, dass Davids Freund und Kollege ein so gut aussehender Mann ist…, guten Abend Mr. Lennox!“

Konnte es noch peinlicher werden? Wer wusste noch, dass ich und David ein Paar waren. Aber es fiel mir auf, dass es hier das normalste in der Welt schien, nicht wie bei meiner Familie. Natürlich konnte ich es nicht verhindern, rot zu werden.

„Guten Abend…, Mrs. Mitchell…“

„Nicht? Ich dachte, ich hätte das erwähnt!“, erwiderte Glenda, die nun mit einem kleinen Tablett, befüllt mit Gläsern zu uns trat.

David trat an mich heran und griff sich ein Glas. Natürlich spürte ich, wie er sich dabei an mich lehnte und auch so stehen blieb. Was wir da gerade zu trinken bekamen, wusste ich nicht, es hatte eine rote Farbe.

„So, da stoßen wir doch nochmal auf den frischen Abteilungsleiter und seinen Stellvertreter an“, sagte Paul und hob sein Glas.

Als der Klang der Gläser halbwegs verhallt war, durfte ich dieses Getränk nun auch probieren. Erdbeere schmeckte ich als erstes, dann machte sich der Gin auf meinem Gaumen breit. Diese Variante kannte ich noch nicht.

„Gehen wir hinüber?“, fragte Glenda.

Man hatte sich während des Essens auf du und die Vornamen geeinigt, war ich doch der Freund von David. So wurde ich jedenfalls der Familie vorgestellt. So durfte ich nun auch Onkel Fenton und Tante Claire sagen.

Der Abend klang aus und ich war froh, nach diesem ereignisreichen Tag endlich ins Bett zu kommen. Gedanken verloren lag ich auf dem Bett, während David mal wieder im Bad weilte. Diese neue Umgebung, die Umstände, die das alles mit sich brachte, waren ein einschneidendes Kapitel in meinem Leben.

Vor Wochen dachte ich noch, ich würde ein normales Leben führen, aber gerade dieses Leben, war innerhalb kurzer Zeit komplett über den Haufen geworfen worden. Es zeigte mir aber auch, dass es eben kein normales Leben war.

Schob ich meine Probleme vor mir her? Dann gab es ja auch noch David, der gerade wieder das Zimmer betrat. Den Mann, in den ich mich verliebt hatte, oder hegte ich diese Gefühle schon seit langem und wollte sie mir nur nicht eingestehen?

Als ich an die Zeit zurück dachte, als er in London verweilte, wie oft erwischte ich mich dabei, dass ich da an ihn gedacht hatte. Habe ich irgendwie alles Positive verdrängt?

„Wo steckt dein kleines Köpfchen gerade wieder?“, entriss mich David meiner Gedankenwelt und legte sich zu mir.

„Wie lange ich schon in dich verknallt bin…“, grinste ich ihn an.

„So? Wie lange denn?“

„Hm, lass mich überlegen! Ich denke, in der Zeit, bevor du nach London gingst!“

Sein Lächeln verschwand, seine Augenbraun wanderten nach oben, die Augen wurden groß.

„Da schon, aber ich habe dich doch…“

„… ja jeden Tag geärgert, aber trotzdem gefielst du mir irgendwie, auch wenn ich dachte, dass ein Mann wie du, sicherlich keinerlei Interesse am gleichen Geschlecht hast.“

„Das tu ich schon seit meiner frühen Jugend…“

„Hast du aber geschickt versteckt!“

„Findest du?“

Ich nickte.

„Dafür bin ich eben der Spätzünder…“

„Ein liebevoller Spätzünder!“, meinte David und legte seinen Kopf auf meine Schulter.

„Echt? …ein liebevoller Spätzünder, der zu spät gemerkt hat, was alles zündhaftes um ihn herum geschehen ist…“

Wieder legte sich Davids Stirn in Falten.

„Übertreibst du jetzt nicht ein bisschen?“

„Denke nicht. Was habe ich schon groß mitbekommen? Die Familie damals wurde mir damals total fremd, gut ist sie heute noch. Ich weiß nicht mal, ob ich mich selbst richtig kenne. Plötzlich ist alles so anders.“

David setzte sich auf.

„Denkst du, dass geht zu schnell mit uns beiden?“

Natürlich war sein ängstlicher Unterton nicht zu überhören. Ich konnte es auch regelrecht in seinen Augen sehen.

„Das habe ich nicht gemeint, David. Ich bin froh, dass du da bist, für mich da bist. Ohne deine Hilfe wüsste ich nicht, wie ich das alles durchstehen sollte.“

Jetzt musste ich grinsen.

„Aber zugeben musst du schon, wir sind etwas schnell, was das Bett teilen betrifft.“

David verdrehte die Augen, knuffte mich in die Seite und ließ seinen Kopf auf meine Schulter zurück sinken. Nun kicherte ich.

„So sind eben die Umstände, oder denkst du, ich spring gleich mit jedem ins Bett, den ich interessant finde.“

„Du findest mich interessant…?“

Er drehte den Kopf so, dass ich ihm in die Augen schauen konnte.

„Klar, hätte ich mich sonst so schnell in dich verguckt?“

„Hm… Ich glaube eher, dass deine Gefühle für mich, auch schon etwas länger bestehen.“

„Einbildung ist auch eine Bildung.“

Ich wackelte mit meinem Kopf und streckte ihm die Zunge heraus. Schneller als ich schauen konnte, zog er mich mit seiner Hand am Nacken zu sich und verschluckte regelrecht meine Zunge.

Aber anstatt in einen tollen harmonischen, oder wilden Kuss überzugehen, spürte ich an der Zunge einen ganz leichten Schmerz. Erschrocken zog ich meinen Kopf zurück und schaute ihn mit großen Augen an.

„Hast du gerade versucht, mir in die Zunge zu beißen?“

David grinste breit.

„Ich? So etwas würde ich doch nie tun!“

Ich entzog ihm meine Schulter und schneller, als er reagieren konnte, saß ich auf ihm.

„Junger Mann! Hier wird nicht gebissen!“

Ich hätte dabei wohl lieber seine Hände festhalten sollen, denn wenige Sekunden später, spürte ich, wie sie sich in meine Seiten bohrten.

„David!“, jauchzte ich und fuhr etwas nach oben.

Aber anstatt aufzuhören, um fasste er meine Taille und griff nun mit beiden Händen zu. Natürlich kitzelte das und zuckte unkontrolliert in seinen Händen. Verbissen presste ich die Lippen zusammen, um nicht das ganze Haus zusammen zu schreien.

Aber wenn man sich auf etwas zu sehr konzentriert, vernachlässigt man anderes. So kam es, wie es kommen musste, ich kippte nach vorne, voll auf David drauf. Dessen Arme umschlagen mich, so dass ich mich gar nicht mehr bewegen konnte.

„Finn Lennox, du bist seltsam. Normalerweise lässt man andere zappeln, um begehrlicher zu werden, aber du zappelst selbst! Ist das einen neue Masche von dir?“

Ich konnte mich immer noch nicht rühren, damit stand eindeutig fest, wer der kräftigere von uns beiden war.

„Macht dich das Gezappel an?“, fragte ich und versuchte weiter, mich aus seiner Umklammerung zu lösen.

„Wenn du mit deinem Hintern mit dem Gezappel an gewisse Stellen reibst, schon!“

„Deshalb hältst du mich jetzt fest?“

„Nein, ich finde es einfach nur schön, dich auf mir zu spüren!“

Seine Umarmung lockerte sich zwar, aber ich blieb trotzdem auf ihm liegen. Dafür gab ich ihm einen kleinen Kuss auf die Nase. Meine Hand wanderte zu seinem Gesicht und streichelte sanft über die Wange.

„Ich liebe dich David Mac Bain!“

Plötzlich wurde sein Gesicht nachdenklich.

„Was ist?“

David schob mich von sich herunter, das heißt, er hielt mich dennoch mit seinem Arm an sich gedrückt, ich lag nun an seiner Seite.

„Ach, ich mach mir schon seit Tagen Gedanken, über das Angebot von Paul und Glenda.“

„Welches?“

„Das mit der Adoption! Dieses Thema ist ja nicht nur einmal zur Sprache gekommen und ich den letzten Tagen, fiel so oft das Wort Sohn und auch ihr Handeln, als wäre ich schon lange ihr Sohn.“

„Und das stört dich?“

„Nein, eben nicht…, es gefällt mir immer mehr…“

„Dann gebe ihnen deine Zusage! Ich denke eine größere Freude vor Weihnachten, kannst du ihnen gar nicht machen. Dann heißt mein Freund eben David Morris und nicht Mac Bain. Oder willst du deinen Namen behalten?“

„Fragen, über Fragen, über die ich mir in den letzten Tagen meinen Kopf zerbreche.“

„Und warum hast du mir das nicht schon früher gesagt?“

„Ach… ich weiß auch nicht!“

„Es ändert nichts zwischen uns, ob du der Pflegesohn, oder der adoptierte Sohn der Morris bist. Fakt ist, dass sie dich beide lieben und voll hinter dir stehen!“

Er schaute mich lange an. Ich tippte sanft auf seine Stirn.

„Was geht da drinnen noch vor?“

David atmete tief durch.

„Es… es ist wegen Phillip, was wird er …“

Weiter kam David nicht, denn unten war der Türgong zu hören. Ich schaute zur Anzeige des Weckers, kurz vor zwölf.

„Nanu, wer klingelt so spät Nachts noch?“, fragte ich.

David schüttelte den Kopf. Beide befreiten wir uns von einander und standen auf. Er ging an seinen Schrank und zog nach einander, zwei Morgenmäntel heraus und war mir einen davon zu.

Schnell war das Ding übergezogen und wenige Sekunden später waren wir schon auf dem Weg nach unten, wo wir auch Paul und Glenda antrafen, in ähnlichen Teilen, wie wir sie nun trugen.

„Wer kann das sein?“, fragte Glenda.

Ihre Stimme klang leicht ängstlich, sie klammerte sich auch an Pauls Arm.

„Das werden wir gleich wissen“, antwortete ihr Gatte.

Unten angekommen, entzog er sich ihrer Umklammerung und legte ihre Hand, auf meinen Arm. Dies sollte wohl heißen, dass ich mich um Glenda kümmern sollte, während Paul und David zur Tür gingen.

Ein leichtes Klopfen an der Tür ließen sowohl Glenda und auch mich zusammen zucken.

„Wer ist da?“, rief Paul laut, aber es kam keine Antwort.

David griff nach dem großen gusseisernen Schlüssel und begann ihn zu drehen.

„David pass bitte auf“, kam es von Glenda.

Wieder dieses Klopfen, aber dieses Mal schien es vom unteren Ende der Tür zu kommen. David nickte Paul zu und zog die Tür auf.

„Mein Gott…“, entfleuchte es Paul und Sekunden später waren David und Paul ins Freie verschwunden.

Glenda und ich sahen uns kurz an, dann liefen wir sehr langsam zur Tür hinüber.

„Komm hilf mir…“, hörte ich Paul rufen.

„Sollen wir nicht gleich den Krankenwagen rufen?“

Das kam von David. Was war da draußen los?

„Lass ihn uns erst hinein tragen… Finn Glenda…!“

Ich ließ Glenda los und lief zur Tür, da kam mir schon Pauls Rücken entgegen. Er und David trugen Phillip herein und sein Gesicht war Blut überströmt.

„Oh, mein Gott Phillip… was ist mit ihm“, schrie Glenda.

„Bitte Glenda, reiß dich zusammen…!“, rief Paul, „ich weiß nicht was passiert ist, aber bringen wir ihn erst mal ins Wohnzimmer! Finn bitte schließ die Tür hinter uns!“

„Ja“, sagte ich, schloss die Tür.

Glenda stand wie vereist noch am selben Platz und hielt ihre Hände vor den Mund. Tränen rannen über ihre Wangen.

„Glenda?“

Sie reagierte nicht richtig und ich nahm sie einfach in den Arm.

„Glenda?“

Ihr Kopf drehte sich leicht zu mir und schaute mich mit verängstigten Augen an.

„Glenda, habt ihr hier irgendwo Verbandszeug…?“

Glenda holte heftig Luft und atmete tief durch.

„Entschuldige…“

„Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen…, das ist dein Sohn, jeder würde…“

Ich brach ab, weil wieder schmerzlich die Erinnerung hoch kam, dass nicht jeder so reagieren würde.

„… in der Küche… in der Küche haben wir einen Verbandskasten?“

„Wo ist die Küche?“

Ich kannte mich in diesem Haus noch nicht aus.

„Komm, ich gehe mit dir.“

Gerade, als wir den Flur durch für mich eine unbekannte Tür verlassen wollten, kam David heraus gestürmt und wollte die Treppe hoch rennen.“

„Wir holen Verbandszeugs!“, rief ich.

„Phillip will nicht ins Krankenhaus…, deshalb will ich mein Handy holen, da habe ich eine Nummer von einem befreundeten Arzt abgespeichert.“

Da fiel mir Doc Barkley ein, weil mich ein übler Gedanke beschlich..

„Bring mein Handy mit herunter, ich kenne da jemanden, der sich mit so etwas auskennt…, er hat mir vor fünf Jahren auch geholfen!“

David hielt  auf der Treppe kurz inne, schaute erst verwundert, dann traurig und rannte aber dann nickend die Treppe hinauf.

„Glenda, wo steht der Verbandskasten?“

*-*-*

„Sieht schlimmer aus, als es ist. Nur ein Kratzer, über der Schläfe. Deshalb das viele Blut.“

Doc Barkley zog die Einmalhandschuhe von seinen Händen.

„Danke, dass sie schnell hier waren, Mr. Barkley“, meinte Glenda, die sich nun wieder in Pauls Arm befand.

„Kein Problem!“, antwortete er lächelnd, „sollte der junge Mann aber starke Kopfschmerzen bekommen, über Schwindel und Übelkeit klagen, dann sollte er sofort ins Krankenhaus, weil ich eine Gehirnerschütterung nicht ausschließen kann. Ich habe ihm eine leichte Beruhigungsspritze gegeben und auch Schmerzmittel. Er sollte eigentlich bis morgen durchschlafen!“

„Danke! Was sind wir ihnen schuldig?“, fragte Paul.

„Nichts!“

Paul starrte ihn fassungslos an und Doc Barkley lächelte wieder breit.

„Bringst du mich noch hinaus?“, fragte er mich, während er in seinen Mantel schlüpfte.

„Klar!“, meinte ich nur und ging schon zur Tür.

„Ich wünsche den Herrschaften noch eine restliche geruhsame Nacht und ich werde mich vom Acker machen, denke etwas Schlaf wird mir auch noch gut tun.

„Danke noch mal, Mr. Barkley!“, sagte Paul und Glenda nickte.

Er lächelte, zog seinen Hut auf und folgte mir nach draußen. Als ich wenig später wieder das Wohnzimmer betrat, saß Paul im Sessel neben der Couch und David kniete vor Phillip.

„Willst du jetzt die ganze Nacht bei ihm bleiben?“, hörte ich Paul fragen, als ich die Tür schloss.

„Soll er hier alleine liegen? Wenn etwas ist…, wir bekommen oben doch überhaupt nichts mit!“

„Dann trag ihn nach oben in dein Bett, dann kannst du in Ruhe auf ihn aufpassen und selbst vielleicht noch etwas Schlaf abbekommen“, mischte ich mich in deren Gespräch ein.

Glenda kam zurück, mit einer Decke über dem Arm.

„Und du?“, fragte David.

„Ich kann hier unten schlafen!“

„Kommt gar nicht in Frage“, meckerte David und schaute wieder zu Phillip, bevor Paul oder Glenda was sagen konnten.

Während Paul mich komisch angrinste, stand Glenda mit einem fragenden Blick neben mir.

„Okay, du trägst ihn nach oben und wir schlafen alle in deinem Bett, es ist schließlich groß genug!“

Paul hielt sich die Hand vor dem Mund, man sollte wohl das Grinsen nicht mehr sehen. Dafür schaute mich nun Glenda mit einem entsetzten Blick an.

„Das würde dir nichts ausmachen?“, fragte David deutlich leiser, als zu vor.

„Warum sollte mir das etwas ausmachen? Er ist immerhin dein Bruder!“

Unsicher schaute David zu Paul und Glenda.

„Komm, über dieses Thema reden wir ein anders mal, ich mache dir die Türen auf und du trägst ihn nach oben, du starker Mann.

Ein Grinsen konnte ich mir nun auch nicht verbeißen und Paul fing an zu kichern. Nur Glenda stand immer noch wie versteinert neben mir. Ich nahm ihr die Decke ab.

„Danke“, sagte ich und lief zur Tür.

*-*-*

Phillip war nicht wach geworden, auch nicht, als wir ihm umständlich die nassen Sachen auszogen.

„Der Kerl ist ja total kalt!“, schimpfte David, als er Phillip versuchte, ein Pyjamaoberteil anzuziehen.

Ich hängte Phillips Sachen über einen Stuhl und stellte diesen vor die Heizung.

„Wer weiß wie lange er schon da draußen war…, wir wissen ja nicht mal wie er hier her gekommen ist, geschweige denn wer es war.“

David nickte nur, sagte aber nichts dazu. Dass er sich aber darüber Gedanken machte, war ihm deutlich anzusehen. Warum mir plötzlich mein Bruder in den Sinn kam, wusste ich nicht. Aber ich verdrängte diesen Gedanken gleich wieder.

Er konnte es nicht sein, er saß in Haft. Zudem, was sollte er auch mit Phillip zu schaffen haben.

„Phillips Lo… ähm Freund. Ich habe dir doch gesagt, was ich gesehen habe…“

David schaute zu mir.

„Meinst du?“

„Ich weiß es nicht, solange Phillip uns nichts erzählen kann, können wir nur spekulieren! Ich weiß nur eins, wir sollten ins Bett gehen, deinen Bruder wärmen und versuchen, noch ein wenig zu schlafen.“

„Du willst ihn zwischen uns nehmen?“

„Warum nicht!“, lachte ich und löschte die Lampe am Schreibtisch.

*-*-*
„Was zum Teufel… ah… aua!“

Diese Worte rissen mich aus meinem Tiefschlaf. David schien es nicht anders zu gehen, unsere Blicke kreuzten sich.

„Phillip, wie geht es dir… ist dir schlecht…schwindelig?“, fragte David und setzte sich ebenso wie Phillip auf.

„Nein, aber es brennt!“, antwortete Phillip und hielt seinen Kopf an den Verband.

Dann schaute er plötzlich zu mir, dann zu David.

„Wie komm ich verdammt noch mal in euer Bett und was ist überhaupt passiert?“

Hoppla, hatte da jemand Gedächnisverlust?

„Das sollten wir dich fragen, du lagst gestern plötzlich blutüberströmt vor der Haustür“, antwortete David, „und weil du total kalt warst und wir dich nicht alleine lassen wollten, haben wir dich mit zu uns genommen.

Ich setzte mich nun auch auf und grinste Phillip an. Plötzlich wurden seine Augen groß.

„Scheiße“, entfleuchte es ihm, hielt aber seine Hand immer noch am Verband.

Anscheinend kamen die Erinnerungen zurück.

„Was ist passiert, Phillip? Wer war das?“

Phillip sank etwas in sich zusammen und schaute auf die Bettdecke.

„Georg…, er ist gestern etwas ausgetickt“, erklärte Phillip kleinlaut.

Georg war wohl sein Chef, mit dem ich ihn zusammen gesehen hatte.

„Etwas?“, entfuhr es David, der nun deutlich sauer war.

„Ja…, sonst ist er ein lieber Typ.“

„Lieber Typ? Dann verpasst er dir so eine Platzwunde am Kopf?“

„Ich bin ja selber schuld, ich weiß wie eifersüchtig er sein kann…“

Ah, daher wehte der Wind. Eifersüchtiger Prügler! Warum wollte ich jetzt grinsen?

„Was hast du wieder angestellt?“

„Nichts David, das musst du mir glauben, aber irgendwer hat Georg gesteckt, dass ich wohl wieder mit dir etwas angefangen hätte.“

„Mir?“

Ich schaute David vorwurfsvoll an, weil er für die Uhrzeit, ein blick verriet mir, es war kurz nach sechs, einfach zu laut war.

„Deshalb verprügelt er dich gleich?“, kam es nun deutlich leiser von David.

„Er hat mich nicht verprügelt“, seufzte Phillip und hielt seinen Kopf schief, „er hat die dumme Angewohnheit, wenn er etwas getrunken hat… Sachen nach mir zu werfen.“

„Der spinnt doch total! Ich werde gleich mit Paul reden, dass wir uns einen anderen Architekten…“

„Einen Teufel wirst du! Ich möchte nicht, das wegen meiner Dummheit, die Firma darunter zu leiden hat!“

Das war ein Wort, so etwas hätte ich Phillip gar nicht zu getraut.

„Aber so geht das nicht!“, wand David ein.

„Doch…, ich werde zu ihm gehen und mich entschuldigen!“

„Aber du hast doch gar nichts getan!“

Naja, David sollte bei der Wahrheit bleiben. Phillip hatte ihm mehr als einmal nachgestellt.

„Ich liebe Georg… und ich möchte ihn nicht auch verlieren…“

Über Phillips Wangen begannen Tränen ihren Weg zu bahnen.

„Ich habe bei dir schon einen riesigen Fehler begangen und ich will das nicht noch einmal wiederholen…“

Phillips Offenheit berührte mich, aber bevor ich mir weitere Gedanken machen konnte, fiepte mein Handy.

„Wer will denn um diese Zeit schon etwas von mir?“, fragte ich eher mich, als die anderen beiden.

War etwas mit Angus? War Blair schon so früh wach? Ich tippte mein Passwort ein und der Bildschirm wechselte zum Bild. Eine erhaltene Nachricht konnte ich lesen, die ich gleich öffnete.

„Meine Tante?“, sagte ich laut, lass die Mitteilung und wenige Sekunden später entglitt mir mein Handy.

„Finn, was ist? Du bist ja ganz bleich im Gesicht!“, fragte David besorgt.

Ich spürte das Nass auf meinem Gesicht und schaute in die fragenden Augen von David und Phillip.

„Kathlen… hat geschrieben… Thomas ist tot.“

„Was?“, rief David so laut, dass sogar ich zusammen zuckte.

„Wer ist Thomas?“, flüsterte Phillip David zu.

„… mein… mein Bruder!“, antwortete ich, bevor David antworten konnte.

„Scheiße!“, meinte Phillip, hielt sich aber dann die Hand vor den Mund.

David sprang aus dem Bett, umrundete es und kniete neben mir nieder. Er griff nach meiner Hand.

„Was ist passiert?“, fragte er ganz sanft und leise.

Ich schaute zur Decke, klimperte wie aufgeregt mit meinen Augen, um weitere Tränen zu verhindern.

„Meine Mutter… hat Kathlen geschrieben…, er…“

Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

„Man hat ihn wohl erhängt in seiner Zelle gefunden…“

„In einer Zelle…?“, fragte nun Phillip, der natürlich über nichts Bescheid wissen konnte.

„Das tut mir leid, Finn“, meinte David neben mir,

„Muss es nicht…, du weißt ja… was passiert ist.…“

„Aber er ist dein Bruder…“, warf Phillip ein.

„Phillip, könntest du einfach mal deine Klappe halten?“, fuhr David Phillip an, du weißt doch gar nicht, um was es geht!“

Die Tür ging auf und Paul und Glenda kamen herein gestürmt.

„Wir haben David schreien hören…“

Ich schaute wieder zu Phillip, der aber abwehrend seine Hände in die Höhe hob, als wäre er wie immer an etwas schuld. Jetzt flossen die Tränen richtig.

„Würdest du ihn Bruder nennen, wenn er dich krankenhausreif hat schlagen lassen, das Haus deiner Großmutter in Brand gesteckt hätte und in Kauf genommen hat, dass du darin umkommst? Würdest du so etwas Bruder nennen?“, fuhr nun ich Phillip an.

David erhob sich und drückte mich an sich.

„Ich wusste nicht…“, kam es von Phillip, aber das ging in meinem Schluchzen unter.

Warum es mich so sehr schmerzte, konnte ich nicht sagen. Es schüttelte mich leicht und ich vergrub mein Gesicht in David, der mich immer noch fest hielt.

„Thomas, Davids Bruder hat sich wohl im Gefängnis das Leben genommen“, erklärte David.

„Oh Gott…“, hörte man Glenda sagen.

„Phillip, der Hass seines Bruders auf Finn war so groß, dass er vor ein paar Tagen, das Haus von David angezündet hat, obwohl sich Finn, ich und noch jemand im Gebäude befanden.“

„Er wollte Finn …umbringen und dich auch…?“, fragte Phillip fassungslos.

„Ja…“

„Ist der total durchgeknallt?“

„Phillip bitte!“, hörte ich Paul sagen.

„Warum denn, stimmt doch… aber warum hasste er Finn so?“

„Geld!“, sagte David, drauf sagte Phillip nichts.

*-*-*

Gedankenverloren saß ich am Frühstückstisch und rührte in meiner Tasse. Keiner von uns konnte nun mehr schlafen und so hatten sich alle im Esszimmer eingefunden und Glenda ein kleines Frühstück gerichtet.

Auch die anderen redeten nichts, schien wohl jeder wie ich im Gedanken versunken zu sein. Nur Glendas Hand lag auf meiner.

„Wollt ihr nicht lieber frei machen?“, hörte ich Pauk fragen.

Ich hob meinen Kopf.

„Wieso denn…?“, fragte ich, „was soll ich denn tun? Wenn ich mich dort blicken lasse, geht der Rest der Familie auf mich los! Darauf kann ich herzhaft verzichten!“

Ich wusste, dass meine Tonlage total bissig geklungen hatte, aber das konnte ich jetzt auch nicht mehr ändern. Der Druck von Glendas Hand verstärkte sich.

„Aber du würdest gerne hingehen?“, fragte sie leise.

Ich schaute wieder nach oben, weil sich bereits neue Tränen in meinen Augen sammelten.

„Thomas war nicht immer so…“, versuchte ich zu erklären, aber blieb mitten im Satz hängen.

Die schönen Erinnerungen mit Thomas waren all die Zeit nicht verblichen. Deshalb schmerzte mich sein Handeln auch so, weil ich es nicht verstand. Eine Erklärung? Alleine das Geld? Das konnte ich irgendwie nicht glauben. War es wirklich Neid, wie Granny behauptet hatte?

An Granny hatte ich eine Weile nicht mehr gedacht. Auch wenn ich über die ganze Situation traurig gestimmt war, war doch noch etwas Hoffnung da, sie vielleicht doch wieder sehen zu können. Die ganze Wahrheit würde ich wohl nie erfahren. Dafür war es jetzt zu spät.

„Finn, wenn wir dir irgendwie helfen können…“, sagte Paul.

Ich versuchte mich zusammen zu reißen.

„Ihr beide helft mir schon genug!“, sagte ich, nahm die Serviette und trocknete damit meine Tränen.

„Du musst das aber jetzt nicht alleine durchstehen!“

Das kam von David. Ich griff nach seiner Hand und drückte sie.

„Danke!“, meinte ich leise und versuchte etwas zu lächeln.

„Hast du Angst, deine Eltern, werden dir die Schuld an Thomas Tod geben?“, fragte David.

Ich nickte, konnte darauf einfach nicht antworten.

„Ich habe euch das nicht erzählt, weil ich niemand beunruhigen wollte, aber bei der Untersuchung der Geldunterschlagung, ist auch herausgekommen, dass Thomas wohl auch gemeinsame Sache mit unserem Kollegen Humphrey Cook gemacht hat. Sein Bruder wollte ihn auf allen Ebenen schaden und ich vermute, weil er daran gescheitert ist, hat er sich wohl umgebracht.“

Das war jetzt auch egal, mich wunderte jetzt gerade gar nichts mehr.

„Ich werde mit deiner Mutter reden!“, sagte Glenda plötzlich neben mir, „von Mutter zu Mutter…, so kann es nicht weiter gehen!“

„Aber Mutter…?“, kam es von Phillip überrascht.

„Deine Mutter hat Recht, Phillip. Du weißt nicht Bescheid, was bereits alles passiert ist!“, sagte Paul.

„… das…, das kann ich… nicht von dir… verlangen!“, stammelte ich.

Ich spürte Davids Arm, wie er ihn um mich legte.

„Du gehörst jetzt zu dieser Familie und diese Familie kümmert sich um dich!“

„Familie…?“, kam es in einem sehr komischen Tonfall von Phillip.

„Kannst du einmal in deinem Leben ernst sein, Phillip? Einfach mein großer Bruder sein?“

„Bruder?“

„Ja, ich habe mich entschlossen, der Adoption zu zustimmen…, ich weiß, der Augenblick ist gerade unpassend, aber ich will eine richtige Familie, eine Familie, die auch für Finn da ist!“

Er war den Schritt gegangen, über den er gestern Abend noch uneins war. Nun war ich nicht mehr alleine, der feuchte Augen hatte und irgendwie, waren meine Belange, gerade etwas in den Hintergrund gerückt.

Ich wusste nicht warum, ich war David deswegen nicht böse, denn es fühlte sich so gut an, das es hier jemand gab, der sich so für mich einsetzte. Phillip klopfte seinem Bruder auf die Schultern.

„Wurde auch endlich Zeit!“, meinte er mit einem breiten Grinsen, „und als dein großer Bruder hast du meine volle Unterstützung!“

„Danke, schau aber du erst mal, dass du deine eigenen Probleme geregelt bekommst! Du solltest mal mit deinem Georg ein richtiges Gespräch führen und ihm vielleicht eine Entziehungskur vorschlagen!“

Paul und Glenda schauten beide zu Phillip.

„Ja kleiner Bruder…, versprochen kleiner Bruder.“

Dies leichte Gezetere brachte mich zum Lächeln.

*-*-*

„Was ist denn dir über die Leber gelaufen?“, begrüßte mich Blair auf dem Weg zum Büro.

„Thomas ist tot!“, sagte David leise, der direkt hinter mir war.

„Was?“

„Er hat sich in seiner Zelle erhängt…“, erklärte David weiter, weil ich irgendwie zu keinem Wort mächtig war.

Blair blieb stehen und ihre Augen wurden klein.

„Es tut mir leid, wenn ich für diesen Typen kein Mitgefühl übrig habe, aber ich finde es fies von ihm, sich der Verantwortung zu entziehen!“

„Blair bitte…“, meinte David.

Ich legte meine Hand auf Davids Arm.

„Entschuldige, aber das musste gesagt werden. Warum seid ihr dann überhaupt hier? Jeder würde verstehen, wenn Finn nicht erschienen wäre. Weiß Angus Bescheid?“

„Warum Angus?“, fragte David.

„Thomas ist auch sein Bruder und ich denke, er sollte das wissen.“

Ich schüttelte den Kopf.

„Wie, du willst es Angus nicht sagen?“

Ich atmete tief durch.

„Nein, ich möchte generell über dieses Thema gerade nicht sprechen, Blair. Sei mir nicht böse…, ich habe so viel im Kopf…, ich muss erst irgendwie herunter kommen…!“

„Und was hilft da besser als Arbeit?“, meinte David lächelnd.

*-*-*

Natürlich hatten die anderen im Büro mitbekommen, dass irgendetwas mit mir nicht stimmte, aber niemand fragte danach. Irgendwann sah ich aus dem Augenwinkel heraus, dass Anne an mir vorbei lief und hinüber zu Blair ging.

Sie zeigte auf den Monitor und sagte etwas zu meiner besten Freundin, was ich aber nicht richtig verstand. Einen Augenblick später sah mich Blair mit großen Augen an.

„Was ist?“, fragte David, der das Ganze wohl ebenso wahrgenommen hatte.

„Da hat wohl einer nicht dicht gehalten… Da steht ein Bericht über Thomas in den News, der sich im Gefängnis das Leben genommen haben soll. Es herrscht helle Aufregung, wie das möglich gewesen ist…“

Entsetzt sah ich erst zu Blair dann zu David.

„Steht das mit Namen drin?“, wollte David wissen.

„Ja, voller Name…“, antwortete Blair.

„Was hat die geritten, volle Namen zu veröffentlichen?“

„Ihr kennt diesen Thomas…, ist… er mit Finn verwandt?“, fragte nun Anne, die immer noch hinter stand.

„Er ist…, war mein älterer Bruder“, erklärte ich resigniert, denn jetzt wusste es sicher bald das ganze Haus.

„Das tut mir leid…“, meinte Anne und begab sich wieder zu ihrem Platz.

„Danke!“, meinte ich beim vorbei laufen und sie nickte.

„Spinnen die?“, hörte ich David sagen.

Fragend schaute ich zu ihm.

„Heute morgen wurde Thomas Lennox, Enkel des verstorbenen Großindustriellen Lennox erhängt in seiner Zelle gefunden…“, lass David vor.

„Wie kommt die Presse an den Namen?“, fragte Blair.

„Das ist jetzt auch egal. Die Familie ist bekannt in Edinburgh, das ist klar ein Aufmacher und wenn die noch etwas weiter stochern…, ich mag gar nicht darüber nachdenken. Hört denn das nie auf?“

Ich versuchte mich zusammen zu reisen, wollte ich doch als neuer Abteilungsleiter nicht gleich als Heulsuse dastehen. Aber warum machte ich mir darüber Gedanken, hatte ich jetzt doch ganz andere Probleme.

„Steht drin, was er gemacht hat?“, fragte ich.

„Nur, dass er wegen dreifachen versuchten Mordes in Haft genommen worden ist, es steht sonst nichts weiter drin…“

Ich atmete tief durch.

„Was machen wir jetzt?“, fragte Blair.

„Was sollen wir schon machen?“, antwortete ich, „weiter arbeiten, wir müssen die Präsentation fertig kriegen.“

„Finn jeder würde verstehen, wenn wir die Präsentation verschieben würden…“

„Will ich aber nicht…, es kommt mir so vor, als hätte Thomas dann doch gewonnen.“

„Was hat Thomas mit deiner Arbeit hier zu tun?“

Mein Blick wanderte zu David.

„Thomas hat gemeinsame Sache mit Humphrey gemacht“, erklärte David deutlich leiser.

Geschockt sah Blair uns beide an. Ihr wurde wohl die Tragweite der ganze Sache bewusst und dass sie darin wohl auch eine kleine Rolle spielte. Sie war schließlich meine beste Freundin.

„Ich brauche etwas frische Luft“, meinte Blair und verließ das Büro.

Ich wollte ihr folgen, aber David hielt mich zurück.

„Lass ihr einfach Zeit, damit umzugehen zu können!“, meinte er.

*-*-*

Am Mittag saßen wir weder im Büro von Paul und diskutierten über das anstehende Projekt. Aber so richtig war keiner bei der Sache. Unser Chef ließ seinen Blick über uns gleiten.

„Ich denke, wir verschieben die Präsentation in den Januar. Es hat keinen Zweck, wenn wir jetzt halbherzig bei der Sache sind und deswegen den Vorstand nicht überzeugen können.“

„Das will ich nicht Paul!“, warf ich ein.

„Junge, habe doch ein Einsehen. Ich möchte, dass euer Vorschlag perfekt ist und davon sind wir noch weit davon entfernt. Es fehlen Daten und Zusagen, so wird das nichts!“

„Dann hat Thomas erreicht was er wollte!“, sagte ich sauer, „meine Stelle hier sabotieren, mich schlecht machen!“

Paul stand auf, packte mich am Kragen und zog mich hoch.

„Jetzt hör mal zu!“, wurde Paul laut, „jeder weiß hier, wie gut du in deinem Job bist…!“

„Paul bitte…“, hörte ich Davids Stimme, aber Paul redete einfach weiter.

Blair dagegen schwieg, schaute uns nur fassungslos an.

„… und du wirst jetzt nicht in Selbstzweifel verfallen, weil dein Stiefbruder meinte, dir dein Leben zur Hölle zu machen zu müssen! Du bist von jedem Verdacht der Geldunterschlagung enthoben worden! Du hast verdient die Stelle als neuer Abteilungsleiter bekommen! Hör auf dir einzureden, dass du Schuld an der ganzen Sache bist. Diese Schuld hat alleine dein Stiefbruder! Okay?“

Geschockt, mit großen Augen schaute ich Paul an. Er ließ mich los und zupfte meinen Kragen und die Krawatte zu recht. Er lief zurück an seinen Platz, hinter dem Schreibtisch, während ich mich mit weichen Knien wieder in den Sitz fallen ließ.

„Entschuldige, wenn ich eben etwas aufbrausend war, aber das musste mal gesagt werden.“

Er nahm sein Glas Wasser und trank es auf einen Zug aus.

„Ich will einfach nicht, dass Finn wegen der Sache vor die Hunde geht! Dann hätte nämlich dieser… Typ wirklich gewonnen! Wir verschieben die Präsentation auf Anfang Januar, Mrs. Plumpes soll das klären! Ihr drei geht jetzt zurück in eure Abteilung und schaut nach, ob vielleicht noch irgendwelcher Bedarf an Technik oder anderen Dingen besteht. Nicht das wir im neuen Jahr anfangen und die Hälfte funktioniert nicht!“

Paul hatte ein Machtwort gesprochen und ich musste zugeben, er hatte weiterhin meinen vollen Respekt, schon alleine, weil ich ihn noch nie so erlebt hatte. Paul setzte sich, zog an seiner Krawatte.

„Worauf wartet ihr noch?“, fuhr uns unser Chef an, „ich habe auch noch andere Sachen zu tun.

Im Eiltempo legten wir unsere Papiere zusammen, klappten die Laptops zu und verließen ohne etwas zu sagen das Büro.

„Sagt den anderen, dass das ihre Projekte bis zu Weihnachten auf Eis gelegt werden, dass ihr genügend Zeit zu nachdenken habt“, hallte uns noch hinter her.

Als wir an Mrs. Plumpes vorbei liefen, grinste sie uns komisch an. Als David dann schließlich hinter sich die Tür zu gezogen hatte, blieben wir voll bepackt erst mal stehen.

„Was war das denn?“, fand Blair als erste ihre Worte wieder.

„So habe ich ihn nur erlebt, wenn Phillip mal wieder etwas angestellt hat!“, erklärte David.

Ich schaute die zwei an. Paul hatte Recht, Thomas hat versucht mich mürbe zu machen und es war ihm auch fast gelungen. Aber mein Chef hatte mich auf den Boden der Realität zurück geholt.

„Er hat aber Recht!“, meinte ich nur und lief weiter.

*-*-*

Der Rest der Woche bestand darin, dass wir im Büro sämtliche eventuellen Situationen der Projektentfaltung durchsprachen und wir wurden dabei tatsächlich fündig, dass es in der Zukunft einige Schwachstellen gab.

Darunter fielen nicht nur die oft nicht vorhandene Schnelligkeit des Internets, oder die Kommunikation mit den anderen Abteilungen, auch das Zwischenmenschliche kam zur Sprache.

Bevor durch weitere Zeitungs- oder anderen Internetmitteilungen Gerüchte aufkamen, erzählte ich auch in groben Zügen, was wegen Thomas geschehen war. Dass David und ich nun ein Paar waren, behielten wir aber für uns.

Arbeit war Arbeit und Privatleben – eben Privatleben, dass würden sie schon früh genug mitbekommen. Die Kollegen hatten wegen den News schon genug von mir erfahren. Wie Paul versprochen hatte, ließ er uns hierfür ganz freie Hand.

Da die Temperaturen etwas anstiegen, war es für die von Paul engagierte Baufirma möglich, erste Maßnahmen für einen Wiederaufbau des unteren Stockwerkes meines Hauses zu treffen. Sie setzten Behelfsfenster ein, um das Haus innen wieder Trocken zu legen.

Nach der Sache in seinem Büro hatte ich erst gar nicht versucht, mich dagegen zu wehren, so ließ ich Paul einfach machen.

Das Wochenende stand an, nur noch wenige Tage bis Weihnachten und ich überlegte, was ich verschenken sollte, denn das war bei der ganzen Sache, total untergegangen. Wie jeden späten Mittag, saßen wir auch diesen Freitag, nach der Arbeit erst mal im Wohnzimmer.

Ich hatte die Krawatte etwas gelockert und trank meinen Tee, den Glenda wie immer gerichtet hatte. Sie war um mein Wohl sehr besorgt. Paul dagegen war heute nicht mit uns gefahren, dass heißt David war gefahren, weil Paul zu einem Meeting nach London musste und erst am Abend zurück erwartet wurde.

Das Feuer knisterte vor sich hin, sonst war nichts im Raum, was sonst weiter meine Aufmerksamkeit beanspruchte. David saß neben mir und war anscheinend ebenso in seinen Gedanken versunken wir ich.

„Was hältst du morgen von einem Einkaufsbummel?“, fragte er plötzlich und stellte seine Tasse ab.

„Morgen? Kein Problem! Wenn du mich etwas länger schlafen lässt, als sonst, bin ich fast für alles zu haben!“

David grinste mich an. Die Tür ging auf und Phillip kam herein.

„Hallo ihr beiden…“, meinte er nur und schob die Zimmertür wieder zu.

„Nanu, du hier?“, fragte David.

Phillip wollte darauf etwas sagen, ließ es aber dann. Er schnappte sich eine Tasse, schenkte sich Tee ein und ließ sich dann auf einen der Sessel nieder. David und ich sahen uns fragend an.

„Ich habe mit Georg ein längeres Gespräch geführt“, fing Phillip dann doch plötzlich an zureden, „und sind zu dem Entschluss gekommen, erst einmal getrennte Wege zu gehen.“

„Du hast gekündigt?“, fragte David schockiert.

„Nein, ich bin doch nicht verrückt! Ich meine privat! Morgen packe ich meinen Krempel zusammen und ziehe wieder hier ein.“

„Weiß Glenda schon von ihrem Glück?“, rutschte mir es heraus.

Verlegen grinste ich David an.

„Ja, ich habe mich schon mit ihr unterhalten. Sie hat mich aber auch gleich darauf hingewiesen, eure Glückseligkeit in keinster Weise zu stören, sonst krieg ich Ärger mit ihr.“

Nun grinste auch David.

„Steht für heute noch etwas an?“, wollte Phillip wissen.

„Nein, nicht dass ich wüsste“, antwortete David, „Paul ist in London, oder auch vielleicht wieder auf dem Rückweg. Ich hole ihn nachher vom Bahnhof ab.“

„Könnte ich das übernehmen?“, fragte Phillip kleinlaut.

„Gerne“, antwortete David, „dann habe ich schon mehr Zeit für den hier.“

Er zeigte auf mich. Die Tür ging erneut auf und Glenda kam herein. Sie sah ernst aus und ich hatte sowieso die ganze Zeit das Gefühl, seit wir angekommen waren, dass etwas nicht stimmte.

„Kann ich mit euch reden?“, fragte sie.

„Ähm… soll ich gehen?“, fragte Phillip.

„Es betrifft zwar hauptsächlich Finn, aber ich denke, du kannst bleiben. So wie ich verstanden habe, habt ihr ja keinerlei Geheimnisse voreinander.“

Phillip schaute zu mir, aber ich hob abwehrend meine Hände. Eine kurze Pause entstand, denn Glenda schien sich erst etwas zu sammeln.

„Ich war heute mit unserem Familienanwalt bei deiner Mutter“, fing sie plötzlich an.

„Ich wollte nicht alleine hingehen, falls es zu irgendeinem Streit gekommen wäre.“

Darauf sagte ich nicht, ich suchte nur Davids Hand.

„Dein Vater war auch anwesend!“

„Mein Vater? Aber ich dachte…“

„Nein, er ist aus der Untersuchungshaft frei gelassen worden, weil es keinerlei Beweise gibt, dass er Thomas zu irgendetwas angestiftet hat“, fiel mir Glenda ins Wort.

„Und wie haben die beiden auf deinen Besuch reagiert?“, fragte Phillip.

„Überraschend gut, muss ich sagen.“

Verwundert schaute ich sie an.

„Da sie einsehen mussten, dass ihr ältester Sohn wirklich an allen Straftaten, was Finn betreffend, beteiligt war und auch noch vieles durch die Presse an die Öffentlichkeit kam, waren sie eher ruhig und nicht so aufbrausend, wie sich Finns Mutter vor unserer Haustür benommen hat.“

Das wunderte mich jetzt sehr.

„Finns Vater wusste anscheinend wirklich nichts, über die Taten seines Sohnes, nachdem dieser aus dem elterlichen Haus ausgezogen war. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung waren sehr belastende Beweise gefunden worden, auch das es ein Konto gab, auf dem mehrere höhere Summen eingezahlt wurden.“

Fassungslos schaute ich zu Glenda.

„Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass sie ein richtiges Einsehen hatten, dir Unrecht angetan zu haben. Ein Gespräch mit dir, lehnten sie auf alle Fälle ab.“

Darauf hatte ich auch nicht gehofft. Aber es tat natürlich trotzdem weh. David Druck auf meine Hand wurde etwas stärker.

„Geht es?“, fragte er besorgt.

Leicht gequält versuchte ich ihn anzulächeln.

„Was soll ich sagen? Ich habe mit nichts anderes gerechnet.“

„Wir sind so verblieben“, sprach Glenda weiter, „dass bei weiteren Versuchen, dir zu schaden, wir uns es vorbehalten, per Gericht ein zu streiten. Sie meinten darauf nur, nicht vorzuhaben, irgendetwas mehr von dir zu wollen…, du wärst für sie als ihren Sohn…, ebenso gestorben wie Thomas…“

Den Rest hatte sie deutlich leiser gesagt und ihr standen wie mir Tränen in den Augen. Weitere Stiche durchbohrten mein Herz. Die letzten fünf Jahre hatte ich so gelebt, also wohl auch in der Zukunft. Aber wer wusste, wofür es gut war.

„Übrigens…, ich habe auch erfahren, dass sich wohl der jüngste Bruder deines Vaters, ebenso seinen Kontakt abgebrochen hat. Auch dieser Onkel möchte nichts mehr mit deinen Eltern zu tun haben, sie sind jetzt ganz auf sich gestellt.“

Das war nun wirklich eine Neuigkeit, mit der ich nicht gerechnet hatte, aber es änderte nichts an der verfahrenen Situation.

„Und wenn du dazu bereit bist, würde dieser Onkel sich gerne mit dir treffen und persönlich seine Entschuldigung vortragen.“

„Als würde das jetzt noch etwas ändern…“, meinte ich leise und wischte mir die Tränen aus den Augen.

„Wäre es nicht ein Neuanfang, wenigstens für einen Teil deiner Familie?“, fragte Phillip leise.

Solche Töne von Phillip kannte ich nicht, was ich überhaupt als kennen bezeichnen konnte. Mein Blick war zu ihm gewandert.

„Ich weiß es nicht, Phillip. Du hast den Hass, den sich mich vor fünf Jahren haben spüren lassen, nicht mitbekommen. Ich bin fast daran krepiert. Wären da nicht Connor und später auch Blair und Angus für mich da gewesen, hätte ich das nicht geschafft.“

Darauf sah mich Phillip nur an.

„Sie waren in den letzten fünf Jahren mehr Familie für mich, als sonst jemand… und jetzt habe ich euch! Ich kann dir nicht sagen, ob mein Verhältnis zu meinen beiden Onkeln und deren Familien wieder so werden, wie sie einmal waren…, dafür ist einfach viel zu viel passiert!“

Darauf sagte niemand mehr etwas, mein Gesagtes blieb so im Raum stehen.

*-*-*

Ohne groß darüber nach zu denken, hatte ich nach Davids Hand gegriffen. So schlenderten wir die Princess Road hinunter, wo sich ein Geschäft neben dem anderen reihte. Alles war weihnachtlich geschmückt und zum ersten Mal spürte ich so etwas wie Weihnachtsstimmung

In mir hochsteigen.

„Ich weiß gar nicht so recht, was ich für Geschenke kaufen soll“, meinte David und ließ seinen Blick über die Geschäfte schweifen.

„Wir können auch zur Royal Mile wechseln, dort wirst du sicherlich fündig.“

„Überlassen wir die lieber den Touris und da gibt es eh nur Kitsch, denn du an anderen Stellen in Edinburgh viel günstiger bekommen kannst.“

„Ein paar tolle Geschäfte gibt es dort auch, zum Beispiel das Cashmere!“

„Stimmt, aber das ist eher die Ausnahme.“

Ich blieb stehen.

„Was hältst du von der Idee, dass wir Glenda und Paul etwas gemeinsam schenken?“

David lächelte mich an.

„Eine sehr gute Idee, schließlich bist du mein Freund, aber es löst das Problem nicht, was wir schenken.“

Mein Blick wanderte herum und blieb beim Juwelier hängen.

„Schmuck?“

„Hast du bei den beiden je irgendwelchen Schmuck gesehen?“

„Eben drum!“, grinste ich ihn an.

„Und was bitte schön stellst du dir da vor?“

„Für Paul könnte ich mir eine Krawattennadel vorstellen, du weißt selbst, wie oft an der Ding rumfummelt.“

David schien zu überlegen, so forderte ich ihn auf weiterzugehen, in dem ich an seiner Hand zog.

„Das wäre ein Vorschlag, aber bei Glenda denke ich, wird es schwieriger. Auch wenn ihre Sachen, die sie trägt teuer sind, sieht sie doch immer sehr schlicht gekleidet aus.“

Er hatte Recht. Wenn ich an die letzten Wochen zurück dachte, war Glenda immer sehr bescheiden aufgetreten. Außer dem Ehering und ab und an Ohrringe, wie eine kleine Perle oder Ähnliches konnte ich mich bei ihr nicht erinnern.

„Was würdest du von einem Amulett halten? So an einer längeren Kette. Auf den Oberteilen, die Glenda trägt, würde es gut zur Geltung kommen, aber trotzdem schlicht aussehen.“

David lächelte mich an.

„Du sprühst ja regelrecht vor Ideen, dir scheint es etwas besser zu gehen.“

„Aber nur etwas, aber das liegt an dir!“

Mittlerweile waren wir beim Juwelier angekommen und schauten nun in die Auslage.

„An mir?“

„Wusstest du nicht, dass du so etwas wie ein Ruhepol für mich bist?“

David zog mich etwas dichter an sich heran.

„Nein, das wusste ich nicht, aber es freut mich, dass ich dir so helfen kann.“

Ich lächelte ihn an.

„Gehen wir hinein?“

Ich nickte.

*-*-*

Erfolgreich, mit kleinen Geschenktütchen bestückt, verließen wir den Juwelier wieder. Gerade als ich fragen wollte, was wir als nächstes machen, hörte ich jemanden meinen  Namen sagen.

„Finn…?“

Ich drehte mich um und sah Onkel Valand und seine Frau hinter mir stehen.

„… ähm hallo“, meinte ich nur.

„Macht… ihr Weihnachtseinkäufe…?“, fragte Tante Jill.

„Wie du siehst“, meinte ich nur.

Das Treffen hier auf der Straße war mir zwar nicht peinlich, aber trotzdem unangenehm. David sah mich fragend an.

„Mein Onkel Valand… kennst du ja schon und dass ist seine Frau Jill. Mein Freund David Mac Bain.“

Tante Jill und mein David gaben sich die Hand. Eine kurze Pause entstand.

„Mac Bain? Nicht Morris?“, fragte plötzlich Onkel Valand.

„Ich bin der Pflegesohn der Familie Morris…“, erklärte David.

Wieder diese bedrückende Stille.

„Dann möchten wir euch nicht aufhalten, wir wollen auch noch ein paar Kleinigkeiten besorgen“, meinte Tante Jill und hängte sich bei ihrem Mann wieder ein.

Er nickte uns zu und beide setzten sich in Bewegung.

„Onkel Valand… Tante Jill“, sagte ich und die beiden stoppen.

Beide sahen mich erwartungsvoll an.

Ich lehnte mich leicht an David.

„Ähm…, ich weiß, ihr erwartet vielleicht jetzt etwas anderes…, aber könntet ihr mir bitte etwas Zeit geben?“

Beide sahen sich an. Natürlich konnte man eine gewisse Enttäuschung in ihren Augen sehen, aber wie schon zu Glenda gesagt, ich war noch nicht richtig dazu bereit. Mein Onkel nickte mir zu.

„Vielleicht… melde ich mich nach den Feiertagen…“, fügte ich noch hinzu.

Wieder nickte Onkel Valand und beide liefen weiter. Ich atmete tief durch.

„Geht es?“, fragte David hinter mir.

Ich drehte mich zu ihm um.

„Nein, aber daran kann ich jetzt nichts ändern. Es ist eben so wie es ist und wird, denke ich, noch eine Weile so bleiben.“

Wir sahen uns eine Weile an, David erwiderte nichts darauf.

„Lass und einfach weiter bummeln, denn ich brauch auch noch ein paar Kleinigkeiten.“

*-*-*

Der Anfang der Woche war etwas mit Hektik behaftet. Jeder in der Abteilung versuchte seine Sachen so gut es ging in Kartons zu verstauen. Die Baufirma hatte Wägen bereit gestellt, damit wir unsere Kartons mit Namen versehen, drauf stellen konnten.

Bei den vielen Aktenordnern, gestaltete es sich schon etwas schwieriger, denn sie hatten richtig Gewicht. Es war eine gute Idee, sämtliche Daten und Vorgänge zu digitalisieren, da würde auf Ella noch einiges zu kommen und wohl im neuen Jahr noch einige Zeit damit beschäftigt sein.

Am Mittwoch hatten wir so gut wie alles erledigt. Die kleine Weihnachtsfeier am Mittag war nicht mein Geschmack, jeder tat so, als würde man sich schon ewig kennen, obwohl man sich aus den anderen Abteilungen fast nicht traf.

Aber auch dieser Tag ging vorbei und außer den Bankangestellten, die unten im Serviceraum auch morgen Vormittag an Heiligabend noch tätig waren, ging der Rest schon heute in die Feiertage.

Still saß ich neben Pauls Fahrer und schaute mir draußen die weihnachtlich geschmückten Häuser an. Paul selbst und David saßen hinten und unterhielten sich.

„Und wie jedes Jahr hat mir Mrs. Plumpes wieder selbst gebackenes Gebäck geschenkt“, hörte ich Paul sagen.

„Wieder Shortbreads… diese Petticoat Tails -Dreiecke, die beim Anfassen schon zerbröseln?“

„Ja, aber sie schmecken immerhin unheimlich gut.“

„Glendas ihre sind besser!“

Ich musste lächeln. Anscheinend gab es doch noch mehr positive Erinnerungen an Familiendinge, die bei David hängen geblieben waren.

„Ist noch irgendetwas für heute geplant?“, wollte Paul wissen.

„Morgen Vormittag will Glenda mit Finn und mir noch den Weihnachtsbaum abholen…, sie hat darauf bestanden, dass wir mit gehen.“

„Ich dachte, der wird geliefert?“

„Nein, dieses Jahr will sie ihn selbst abholen und uns dabei haben.“

„Eine neue Tradition?“, fragte Paul und spürte, dass er bei dieser Frage grinsen musste.

„Lass sie doch, du weißt genau, wie sehr sie ihre Traditionen liebt!“

Der Wagen befuhr das Grundstück.

„Gott bewahre, ich werde sicher nichts gegen ihre Traditionen sagen, die sind heilig!“

Lachend verließen die beiden den Wagen.

*-*-*

Der Abend gestaltete sich etwas ruhiger. David und ich hatten un zurück gezogen, gab es morgen noch genug zu erledigen. Glenda hatte David einen Karton in die Hand gedrückt, vor dem er jetzt auf dem Bett saß.

„Was ist da drin?“, fragte ich, als ich vom Bad zurück kam und meinen Anzug gegen das Joggingteil eingetauscht hatte.

„Weiß ich nicht“, beantwortete David meine Frage und zog den Deckel von der Kiste. Neugierig schaue ich in seine Richtung, während ich mein Handtuch über den Stuhl hängte, das ich eben noch benutzt hatte, um meine Haare trocken zu rubbeln.

„Das gibt es nicht, sie hat alle aufgehoben?“, meinte David.

Ich ließ mich neben ihm auf dem Bett nieder.

„Was ist das?“, fragte ich und konnte Figuren entdecken.

„Mein Weihnachtsdorf…“

„Weihnachtsdorf?“, blabberte ich ihm fragend nach.

„Ja, Glenda hat mir von klein auf jedes Jahr einen kleinen Teil“, er hielt eine Figur in die Höhe, „ des Dorfes geschenkt, damit ich etwas eigenes für mich hatte, das Phillip mir nicht streitig machen konnte.“

Ein Teil nach dem anderen kam zum Vorschein, am Schluss noch ein paar Häuser.

„Hast du deine Wohnung eigentlich weihnachtlich geschmückt?“

„Nein, sie war ungefähr so groß wie deine. Außer einem kleinem Gesteck mit einer Kerze drauf, war nichts geschmückt.“

„Keinen Weihnachtsbaum?“

„Leider keinen Platz.“

„Ich habe so ein kleines Plastikding mit bunten blinkenden Lichtern. Eine Weile konnte ich ihn ertragen, aber irgendwann ging mir das Geblinke im Zimmer auf die Nerven.“

„Das ist Geschmackssache denke ich.“

David sah mich an.

„Was?“, fragte ich neugierig.

„Es ist unser erstes gemeinsames Weihnachten…“, antwortete David, während er die Sachen wieder in den Karton setzte.

„Ja…“, strahlte ich in an, „… ähm… willst du es nicht aufstellen?“

Ich zeigte auf die Figuren, die er gerade vorsichtig in die Kiste setzte.

„Wo soll ich die den hinstellen?“, fragte David und schaute sich in seinem Zimmer um.

„Auf deinem Schreibtisch? Oder willst du in den nächsten Tagen etwas arbeiten?“

Er grinste mich an.

„Du und deine Ideen!“

Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss auf die Wange. Danach stand er auf und lief mit samt dem Karton zum Schreibtisch. Ich folgte ihm.

*-*-*

Der Morgen des heiligen Abends gestaltete sich doch etwas anders, als ich es erwartet hatte. Neben dem Weihnachtsbaum, war doch noch einiges zu besorgen. Ich wusste nicht, was Glenda für morgen geplant hatte, aber die Einkaufsliste sah dementsprechend aus.

Etwas müde und froh die volle Stadt hinter uns zu haben, kamen wir zurück und trugen die Einkäufe ins Haus.

Am Schluss kam der Weihnachtsbaum dran, den wir mühevoll aufs Dach von Davids Wagen gebunden hatten. Mein Mini wäre eindeutig zu klein gewesen. Der stand neben Pauls Auto und war mit einer leichten Schneeschicht überzogen.

„Boah bin ich froh, dass wir alles drinnen haben, so langsam ist mir doch kalt geworden“, meinte ich, als wir den Baum im Wohnzimmer abgelegt hatten.

„Dann würde ich vorschlagen, wie gehen hoch, ziehen uns etwas Bequemeres an, bevor wir den Baum aufstellen und schmücken.“

Ich nickte David dankbar zu. Als wir gerade den Flur betreten hatten, um die Treppe nach oben zu nehmen, wurde die Haustür aufgeschlossen. Ein etwas weiß bestäubter Phillip trat herein. Ich musste grinsen.

„Hätte das jetzt nicht noch fünf Minuten warten können? Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man meinen Frau Holle hat direkt über mir ihr Kissen aufgeschnitten und alles auf einmal auf mich geschüttelt.“

Phillip war dabei sich den Schnee aus den Haaren  und den Klamotten zu klopfen.

„Als wir ankamen hat es nicht geschneit“, meinte David, der mittlerweile wie ebenso grinste.

„Soso…, was macht ihr gerade?“

„Hoch gehen und uns umziehen! Dann wieder herunter kommen und den Baum aufstellen und schmücken.“

Entgeistert schaute er uns an.

„Das ist nicht euer Ernst?“

„Doch!“, meinten David und ich im Chor.

„Nichts mit gemütlichen Abend?“

Beide schüttelte wir den Kopf, bevor wir uns wieder in Bewegung setzten.

„Ich soll euch schmücken helfen?“, fragte Phillip entsetzt.

Ich konnte nicht anders und begann zu lachen.

„Du kannst natürlich auch Glenda in der Küche helfen!“, rief ihm David entgegen, bevor er im oberen Stockwerk verschwand.

„Bloß nicht!“, hörte ich Phillip uns nachrufen.

Als wir etwas später wieder nach unten kamen, war Phillip verschwunden. Wir betraten das Wohnzimmer.

„Wo willst du ihn denn hinstellen?“, fragte, „… oder wo steht er denn sonst?“

Da in der Ecke, neben dem Bücherregal“, zeigte mir David die ungefähre Richtung.

„Ist das nicht zu dicht am Kamin…, zu warm für den Baum?“

„Bisher wollte ihn Glenda ihn dort immer stehen haben.“

„Was hältst du davon, wenn wir ihn dort drüben neben dem Fenster aufstellen, da ist viel mehr Platz und er kommt besser zur Geltung. Auch auf die Gefahr hin, dass ich Glendas Traditionen breche.“

David grinste mich an.

„Dann machen wir das so, mich hat es eh gestört, wenn der Baum immer so schnell das Nadeln angefangen hat.“

„Kein Wunder so dicht beim Kamin… ähm, wo ist der Baumständer?“, fragte ich.

„Ach so…, das Weihnachtszeugs ist alles unten im Keller glaube ich.“

Ich stemmte meine Hände in die Seiten.

„So glaubst du, vielleicht fragen wir mal lieber Glenda, die wird sicher wissen, wo alles steht.“

„Lieber nicht! Wenn wir jetzt ihre Küche betreten, kommen wir ohne Sklavendienste nicht mehr heraus.“

Er schien dies ernst zu meinen, denn kein Lächeln zierte seine Lippen.

„So schlimm?“

„Du vergisst, ich verbringe schon ein paar Weihnachten mehr hier als du.“

„Okay. Dann hilft es wohl nichts, dann müssen wir wohl selbst auf die Suche gehen.“

„So schlimm ist das auch nicht, so ungefähr weiß ich, wo die Sachen stehen.“

Etwas später standen wir in einen der Gewölbekeller und ich schaute ratlos auf eine Vielzahl von Kartons, die fein säuberlich beschriftet, gestapelt, vor mir standen.

„Und was sollen wir da nehmen? Sag mal hat Glenda irgendein Weihnachtsgeschäft aufgekauft? Das hier reicht ja mindestens für zehn Weihnachtsbäume!“

„David… Finn, seid ihr da irgendwo unten?“, hörten wir Phillip rufen.

„Ja, wir sind im Gewölbekeller!“, antwortete David laut und es halte etwas nach.

Wenige Augenblicke später kam Phillip in Sicht. Auch er hatte seine Wintersache gegen gemütliche Klamotten eingetauscht. Er trug eine verblichene Jeans und ein einfaches weißes Shirt darauf.

Ich musste zugeben, dass ich ihn bisher nur mit Anzug oder Mantel drüber gesehen hatte. Er machte keine schlechte Figur.

„Glenda hat jedes Jahr den Baum anders geschmückt. Deshalb die vielen Farben?“, nahm David wieder den Faden von vorhin auf.

„Boah ist das viel“, meinte Phillip, der anscheinend über die vielen Kartons genauso überrascht war, wie ich.

„Warst du noch nie hier unten?“, fragte David.

„Nicht das ich mich erinnern kann“, grinste ihn Phillip an, „du weißt, wie gerne ich mich gedrückt habe.“

„Und warum bist du jetzt hier?“

„Weil ich irgendwie Lust darauf habe.“

„Okay…, aber das löst das Problem nicht, welche Farbe wir nehmen sollen.“

„Was hattet ihr letztes Jahr?“, wollte ich wissen.

Die beide sahen sich fragend an.

„Kommt, ihr werdet doch noch wissen, welche Farbe letztes Jahr am Baum hing.“

David schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte nicht anders und fing zu lachen an, was sich in diesem Gewölbe komisch anhörte.

„War das nicht rot-grün-silber?“, kam es von Phillip, der sich nachdenklich am Kopf kratzte.

„Stimmt, so langsam erinnere ich mich.“

„Lasst dies ja nicht Glenda hören…, schämt euch!“

Beide grinsten mich verlegen an und ich schaute derweil die Vielzahl der Beschriftungen an.

„Was haltet ihr von Silber und Gold?“

„Wird das nicht zu edel?“, wand Phillip ein.

„He Bruderherz“, kam es von David, boxte ihn leicht gegen die Schulter, „ist das nicht ein besonderes Weihnachten?“

Phillip schaute ihn mit einer Fratze an und massierte seine Schulter, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, dass es weh getan hatte.

„Edel ist doch gut, wenn wir morgen die kleine Weihnachtsfeier haben?“, meinte ich.

„Klein? So wie ich mitbekommen habe, wird es doch recht eng.“

Fragend schaute ich zu David und sein Blick wanderte zu Phillip.

„Das kommt dir nur so vor!“

Da nun David mit dem Rücken zu mir stand, sah ich nicht, was er vor sich machte. Ich sah nur, dass sich seine Arme bewegten.

„Öhm… gut, was muss nach oben?“

„Als erstes der Baumständer“, meinte ich und zeigte grinsend auf das antike Stück.

*-*-*

Ich sollte mir unbedingt notieren, wenn es jemals wieder dazu kommen würde, nie wieder mit den beiden einen Baum aufzustellen. Während ich einen Karton nach dem anderen hoch getragen hatte, waren Phillip und David dabei, den Baum auszupacken, in den Ständer zu verfrachten und nun schon eine Ewigkeit dabei, ihn auszurichten.

„Seid ihr immer noch nicht fertig?“, fragte ich leicht ärgerlich, weil ich nun alle Karton alleine hochgetragen hatte.

„Wir können uns eben nicht entscheiden, ob links oder rechts vom Fenster…, was besser wirkt.“

Ich drängte mich an den beiden vorbei, ging auf die linke Seite, griff nach dem langen Vorhang und schob ihn zur Seite. Die beiden beobachten mich tonlos, wie ich auf der anderen Seite das gleich tat.

Ich wurde fündig und zeigte auf die Steckdose.

„Rechts, wenn es den Herren genehm ist!“

Kopfschüttelnd lief an den beiden vorbei zurück zu den Kisten. Ohne einen Ton stellten sie den Baum auf die rechte Seite des Fenster.

„Kann mir einer sagen, wo die Lichterkette ist?“, fragte ich, nach dem ich einige Kisten bereits geöffnet hatte.

„Die sind extra!“, meinte David, „aber warte, ich hole sie und verschwand aus dem Zimmer.

„Und das willst du alles an den Baum hängen?“, fragte Phillip neben mir.

„Nicht alles…“, sagte ich und griff nach ein paar Kartons mit Kugeln darin, als David wieder im Zimmer erschien.

„Hier, welche nehmen wir?“

Er stellte die Kiste auf dem Tisch ab und nahm den Deckel herunter. Auch hier schien Glenda halb Edinburgh aufgekauft haben. Alle Kerzenformen, groß oder klein, weiß, grün oder schwarz, alles war vertreten.

Ich entnahm die drei grünen Ketten, denn bei der Größe vom Baum, war ich mir nicht sicher, ob eine Kette reichen würde. Phillip und David machten sich sogleich daran, die Lichterkette auszupacken und sie am Baum anzubringen.

Eine gefühlte Stunde später, hingen dann wirklich alle drei Ketten, aber dafür schaute der Baum jetzt schon edel aus. Mein Hals war etwas trocken, ich musste husten.

„Durst?“, fragte David besorgt.

Ich nickte.

„Ich hol etwas!“, meinte Phillip und war schon aus dem Zimmer verschwunden.

David und ich sahen uns an.

„So, mit was fangen wir an?“, fragte David, als hätte er noch nie einen Baum geschmückt.

Da ich es jedes Jahr mit Granny gemacht hatte, ist mir das irgendwie in Fleisch und Blut übergegangen. Ich lächelte leicht, beim Gedanken an Granny.

„Mit den Kugel. Von oben angefangen mit den Kleinen, nach unten immer größer werdend!“

„Okay!“, meinte David und griff sich die erste Kugelkiste.

Etwa eine halbe Stunde später, wir waren mittlerweile bei den großen Kugeln angekommen, die wir an den unteren Ästen anbrachten, kam Phillip ins Wohnzimmer zurück.

„Wo warst du so lange?“, wollte David wissen.

„Ich sag nur Küche und Glenda.“

David fing an zu lachen, während Phillip drei Gläser abstellte und ich einen Rotwein bei ihm entdecken konnte.

„Wäre ich nicht geflohen, hätte sie mich noch zum Zwiebel schälen verdonnert!“

Er begann ein zu schenken.

„Das kann ich mir lebhaft vorstellen“, sagte David und hängte seine letzte Kugel an den Ast.

„Sieht übrigens cool aus, der Baum.“

„Danke“, meinte ich, „aber wir sind noch nicht fertig.

„Was fehlt noch?“, fragte Phillip und reichte David eins der Gläser.

„Girlanden, Lametta und eine Spitze haben wir auch noch nicht.“

„Okay, auf was warten wir?“

*-*-*

Im Wohnzimmer sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall leere Kartons der Kugel und es sah so aus, als würde mehr Lametta auf dem Boden liegen, als am Baum hängen.

„So, welchen Engel willst du?“, fragte Phillip schon leicht angesäuselt.

Auch ich spürte den Rotwein. Phillip hielt ein Silberengel in die Höhe und einen Goldengel. Der silberne hatte ein schönes Gewand, aber seine Flügel waren aus Plastik und wirkten irgendwie unecht, nicht zum Engel passend, außerdem sahen die Haare mehr nach Lametta aus, als richtige Haare.

Die Flügel des goldenen Engel waren aus Federn und seine leicht gelockten langen Haare wirkten echt. Dafür war das Gewand sehr schlicht gehalten.

„Nimm den Goldenen“, meinte ich und nahm erneut einen Schluck.

„Ich?“, sagte Phillip und ließ des Silberengel einfach in seine Kiste plumpsen, „ich komm da nicht rauf!“

Er hatte recht, keiner kam an die Spitze, ohne den Baum zu ruinieren. David fing komisch an zu kichern. Dann kniete er sich neben mich.

„Komm!“, meinte er.

„Hä?“, entfleuchte es mir.

„Steig auf meine Schultern!“

„Das mach ich nicht, du wirst dir einen Bruch heben!“

Er sagte nichts darauf, sondern griff nach mir, zog mich zu sich und steckte seinen Kopf zwischen meine Beine.

„Könnt ihr so etwas nicht fürs Zimmer aufheben?“, frotzelte Phillip, wich aber einen Schritt zurück, als David mit einem Urschrei aufstand.

Ich erschreckte mich so heftig, plötzlich so schnell in die Höhe gehoben zu werden, dass ich fast von Davids Schultern rutschte. David aber, griff mit einer Hand nach mir und hielt mich fest!

In der anderen Hand hatte er immer noch seinen Rotwein, von dem er sich jetzt einen Schluck genehmigte.

„David…, warum bist… plötzlich so stark? Kommt das vom Wein?“, fragte Phillip verzückt und trank in einem Zug seinen Rotwein aus.

Leicht geschockt, hielt ich meine Hand vor den Mund. Zudem musste ich versuchen mein Gleichgewicht zu halten, denn David stand auch nicht mehr still, sondern schwankte auch schon etwas.

„Gib Finn endlich den Goldengel!“, meinte David.

Wurde ich ihm, doch zu schwer?

„Ähm… okay“, sagte Phillip, blieb aber beim Versuch zu mir zu laufen, am Sessel hängen.

Er rammte David, bevor er sich neben uns niederlegte.

„Mensch du Idiot, pass doch auf!“, fuhr ihn David an, der gerade damit beschäftigt war, den Stoß auszugleichen.

Ich machte es ihm auch nicht leicht, denn meine Finger hatten sich in seine Haare gekrallt.

„Boah Finn, dass tut weh!“

„…schuldigung“, kicherte ich, denn irgendwie fand ich das lustig.

In dem Augenblick kam Glenda die Tür herein gestürmt.

„Ist etwas passi…?“

Mit im Satz brach sie ab und schaute sich entsetzt um. Dann wanderte ihre Augen zu uns. Ihr Blick wanderte erst von mir oben, dann an David vorbei, zu Phillip, der immer noch David zu Füßen lag.

„Er ist noch heil!“, rief Phillip vom Boden aus und hielt den Engel in die Höhe.

„Hallo ich bin wieder zu Hause!“, hörten wir Pauls Stimme.

„Mist!“, kam es vom Boden.

„Wolltest du Paul nicht abholen?“, fragte ich von oben.

Paul erschien in der Tür, sah uns, schaute Glenda an und fing schallend laut an zu lachen.

„Wie kannst du da noch lachen?“, fragte Glenda ihren Mann entsetzt, „schau wie es hier aussieht!“

Sie lief auf Phillip zu und wollte ihm den Engel abnehmen. David war aber schneller. Er hielt ihn in die Höhe, so dass ich ihm zu greifen bekam. Dann schaukelte mein Freund Richtung Baum und ich konnte endlich den Engel auf die Baumspitze setzten.

„Fertig!“, rief ich stolz.

Paul klatschte in die Hände und lachte immer noch

„Finn, du kommst jetzt da runter, bevor dir noch etwas passiert“, rief Glenda und zog an Phillips Arm, den er immer noch in die Höhe hielt.

Oh, war da jemand böse? David drehte sich überraschend, lief Richtung Couch und ich hatte wieder Mühe, mich auf seinen Schultern zu halten. Natürlich griff ich erneut in seine Haare.

„Finn… aua!“

Paul kam aus dem Lachen nicht mehr heraus und Glenda versuchte verzweifelt Phillip auf die Beine zu bekommen. Als sich David auf die Couch niederließ, dachte ich, ich falle und ließ einen Schrei los.

Unsanft kam ich mit meinem Hintern auf der Sofalehne auf, aber fallen konnte ich nicht, denn David hielt immer noch meine Beine fest. Mein Ego etwas angekratzt, rieb ich an Hintern. Warum ich plötzlich anfing zu kichern schien wohl am Wein und an Pauls Gelächter zu liegen.

„Ach ihr!“, meinte Glenda resigniert, ließ Phillips Arm los und lief auf dem Zimmer.

Während Paul ihr folgte, stieg ich umständlich von Davids Schultern und landete in seinen Armen.

„Da fallen Engel vom Himmel“, hörte ich Phillips kichernde Stimme vom Boden.

„Und was für ein schöner Engel“, säuselte David, der halb über mir hing.

Ein kurzer Kuss auf meine Nasenspitze folgte.

Wieder fing ich an zu kichern und David half mir halbwegs, mich richtig hinzusetzten, während Phillip es endlich geschafft hatte, wieder in die Senkrechte zu kommen. Wie er so schnell wieder zu seinem Glas gekommen war, wusste ich nicht.

„Das… hat Spaß gemacht“, meinte er und hielt uns sein Glas entgegen.

Paul kam wieder ins Zimmer.

„Jungs, was habt ihr nur angestellt?“

„Den Baum geschmückt!“, sagte Phillip und drehte sich zu Paul.

„…aber wie es hier aussieht.“

Phillip drehte sich einmal im Kreis und zum Glück stand der Sessel hinter ihm, in den fiel er geradewegs mit Schwung hinein. Natürlich fingen ich und David wieder an zu kichern.

„Versucht hier noch etwas Ordnung zu schaffen, bevor ihr euer Saufgelage in eure Zimmer verlegt!“, meinte Paul amüsiert und verschwand aus dem Zimmer.

„Niemand sagt etwas zu unserem tollen Baum!“, meckerte David.

*-*-*

Wie ich ins Bett kam, wusste ich nicht mehr, ich konnte mich nur noch an die anschließende Aufräumaktion erinnern. Während David und ich die Schachteln zusammen räumten saß Phillip auf dem Boden und sammelte das Lametta einzeln auf.

„Wach?“, hörte ich eine angenehme und bekannte Stimme neben mir.

Ich drehte den Kopf in die Richtung, bereute es aber sofort wieder. In meinem Schädel hämmerte es.

„So, wie du das Gesicht verziehst, hast du auch Schädelbrummen.“

„Ja“, meinte ich kleinlaut, „was hat der uns da zu trinken gegeben.

„Zwei Flaschen Rotwein?“

Entsetzt sah ich David an.

„Wir haben zwei Flaschen Rotwein getrunken?“

David nickte leicht. Ich atmete tief durch und hielt mir die Augen zu. Der Geschmack den ich in meinem Mund schmeckte, war auch nicht besonders.

„Sollen wir aufstehen?“, fragte David, „duschen gehen?“

„Wieso, wie spät ist es denn?“

„Schon fast neun…“

„Echt und ich habe Glenda gestern versprochen, ihr heute Morgen in der Küche zu helfen.“

„Das tu schon jemand anders.“

„Wer?“

„Du erinnerst dich nicht mehr?“

Ich schüttelte ganz langsam den Kopf, ohne David aus den Augen zu lassen.

„Du hast gestern Abend noch deinen kleinen Bruder angerufen und ich denke, der steht schon unten und hilft Glenda.“

„Hab ich?“

„Japp!“

„Shit, daran kann ich mich nicht mehr erinnern.“

„Auch nicht, dass du im Treppenhaus mit Phillip ein Weihnachtslied angestimmt hast?“

Verwirrt schaute ich David in die Augen, ob er mich anflunkerte, aber ich konnte nichts erkennen, dass darauf schließen konnte.

„Oh Gott, ich kann mich unten nicht mehr blicken lassen…“

„Wieso, ich fand es schön und unser Baum, sieht wirklich cool aus. Glenda fand, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, dass er imposant ist.“

„Ich glaub, ich habe den totalen Filmriss, was gestern Abend betrifft.“

„Du bist entschuldigt…, der viele Rotwein.“

Ich schämte mich und versteckte mein Gesicht hinter meinen Händen.

„He komm, so schlimm war es doch gar nicht!“, versuchte mich David aufzumuntern und bevor ich darauf etwas sagen konnte, hatte er meine Hände weggezogen und gab mir einen Kuss.

*-*-*

Die Tablette schien zu wirken, dass Trommeln in meinem Kopf hatte nach gelassen. Langsam lief ich die Treppe hinunter, in der Hoffnung David würde mich einholen, nachdem er mich vorgeschickt hatte.

Alleine wollte ich Glenda nicht gegenüber treten. Zu sehr schämte ich mich über mein Verhalten gestern Abend. David kam hinter mir die Treppe herunter.

„Vorauf wartest du?“, fragte er und griff nach meiner Hand.

„Auf dich…“

Alles klar mit dir?“

„Ja“, log ich und versuchte etwas zu lächeln.

„Willst du noch den Baum begutachten, oder gleich zu Glenda in die Küche.“

„Lieber…, lieber erst den Weihnachtsbaum!“, meinte ich immer noch verunsichert.

David zog mich ins Wohnzimmer, dessen Tür offen stand. Fast grell glitzerte mir der Baum entgegen.

„Wow!“, meinte ich nur.

David kicherte neben mir.

„Das habe ich auch gedacht, als ich ihn gestern mit Licht sah. Du weißt schon, dass du das jetzt jedes Jahr machen musst?“

„Aber bitte ohne Rotwein!“

Wenig später betraten wir gemeinsam die Küche, wo Glenda mit Angus am wirbeln war. Er war also tatsächlich gekommen.

„He, hallo Finn!“, begrüßte mich Angus, als er mich entdeckte.

Er trocknete sie Hände ab, kam zu mir und fiel mir um den Hals.

„Hallo Kleiner!“, begrüßte ich ihn und drückte ihn kurz.

„Finn, du hast gar nicht erzählt, dass dein Bruder sich so super Kochen kann“, meinte Glenda und unterbrach ebenso ihre Arbeit.

„Nicht?“, meinte ich immer noch etwas verschüchtert und David legte seinen Arm um mich.

„Glenda könntest du meinem Finn hier sagen, dass du ihm nicht böse bist?“

Glenda schaute mich fragend an.

„Wieso böse?“

„Er denkst, du bist ihm noch böse wegen gestern Abend beim Baumschmücken!“

„Ach was! Sicherlich nicht.“

„Ist beim Baumschmücken etwas vorgefallen?“, wollte Angus neugierig wissen.

„Nein“, sagte Glenda nur und widmete sich wieder ihrem Essen.

Angus schaute uns an.

„Dein Brüderchen hat nur etwas zu viel Rotwein intus“, meinte David neben mir.

„Den er nicht verträgt!“, kicherte Angus.

„Können wir irgendwie helfen?“

„Nein, es ist fast alles gerichtet!“, antwortete Glenda, „aber ihr könnt zu Phillip gehen und ihm beim eindecken helfen.“

„Phillip ist schon wach?“, fragte David verwundert.

„Schon eine ganze Weile.“

*-*-*

So wurde Angus Wunsch eine kleine Weihnachtsfeier zu machen, doch noch erfüllt. Nur fiel sie nicht so klein aus. Nach und nach fanden sich am Nachmittag auch noch Blair und Connor mit Nian ein. Es war eine Premiere, denn ich hatte Connor noch nie im Anzug gesehen.

Man entschied sich, erst zu Essen und die Geschenke später zu verteilen. Es dauerte nicht lange, da stellte sich schon das erste Völlegefühl ein. Glenda und Angus hatten sich wirklich ins Zeug gelegt.

Nach einem leichten Cocktail wurde zuerst eine Karotten-Koriander-Suppe serviert. Glenda sprach mit Nian, über das Rezept, während wir anderen artig unsere Suppe löffelten. Danach wurden die Suppenteller abgeräumt und Angus verschwand mit Glenda in die Küche.

Ich bekam fast ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn telefonisch, zum Kochen verdonnert hatte. Aber es schien ihm Spaß zu machen. Bedie kamen zurück, mit einem kleinen Wagen. Als er den gefüllten Truthahn auf den Tisch stellte, brachen die Ah‘s und Oh‘s nicht ab.

Schüsseln mit Kartoffeln und verschiedenen Gemüsen wurden auf dem Tisch verteilt, auch Roastbeef fand den Weg auf den Tisch, bevor Paul die Ehre hatte, den Truthahn anzuschneiden. Aber er hielt inne und reichte Messer und Gabel an David weiter.

Über das ganze Gesicht strahlend, verteilte David Portionen vom Truthahn auf die Teller, während Angus Kartoffel und Glenda Gemüse verteilten. Ich war dann auch froh, dass sich während des Essen weiterhin über schottische und Asiatische Küche unterhalten wurde und nicht irgendwelche Anekdoten meinerseits.

Ich wusste wie gerne Connor und Blair ihre Geschichten erzählten, aber an diesem Abend blieb ich verschont. Beim späteren Abräumen, beteiligten wir uns dann alle, weil wir einfach etwas Bewegung brauchten.

Schnell war in der Küche die Spülmaschine befüllt und wurde eingeschaltet, bevor wir alle wieder ins Esszimmer geschickt wurden. Während sich Paul mit Connor und Nian unterhielt, kam Blair zu mir.

„Und? Gefällt es dir?“, fragte ich.

„Da fragst du noch? Ihr habt euch wirklich übertroffen. Ich wollte noch fragen, was ihr mit Phillip gemacht habt, der ist so nett heute Abend.“

„Wir? Gar nichts!“

David kam zu uns und reichte mir mein Wasser. Ichbedankte mich, mit einem Küsschen auf die Wange.

„Du trinkst Wasser?“, fragte Blair erstaunt, während sie vor mir mit ihrem Glas Wein stand.

„Ja“, grinste David, „unser Kleiner hat gestern etwas zu viel des guten gehabt.“

„Eh, ich war nicht alleine!“

„Ihr ward saufen?“

Ich war froh, dass Blair in normaler Lautstärke sagte, sonst hätten wir die Aufmerksamkeit des ganzen Zimmers gehabt.

„Nein, wo denkst du hin. Wir haben den Weihnachtsbaum geschmückt und etwas Rotwein dabei getrunken.“

„Etwas…“, kicherte David neben mir.

„Dann wir der Weihnachtbaum ja dementsprechend aussehen.

„Da tust du Finn Unrecht“, verteidigte mich David plötzlich, „ich habe noch nie so einen schönen Weihnachtsbaum gesehen, wie dieses Jahr.“

„Lass das Glenda nicht hören“, raunte ich ihm lächelnd zu.

„Ach was, du schaust durch deine rosa Brille und alles ist schön!“, sagte Blair und nippte an ihrem Glas.

„Nein rosa ist er nicht“, grinste ihr David entgegen, aber bevor Blair darauf etwas sagen konnte, öffnete sich die Tür erneut und Angus mit Glenda traten ein. Wieder schob er den Servierwagen vor sich her.

„Oh Cranachan, ihr wisst, dass ich dafür töten würde“, meinte Blair und eilte an ihren Platz.

„Ich hätte Glenda vielleicht warnen sollen, dass Blair die Himbeercreme mit Haferflocken und Whiskey gerne isst!“

„Keine Sorge, es ist doch genug von allem da“, beruhigte mich David, „Glendas legendärer Dundee Cake…“

„Sind die Früchte in Whiskey eingelegt gewesen?“

„Klar, was denkst du.“

„Ist das Selkirk Bannock neben der Butter?“

„Ja Glenda berühmter Hefekuchen mit Rosinen und Orangenat.“

„Man ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich den zum letzten Mal gegessen habe. Du scheinst Glendas Küche zu lieben, ein Wunder, dass du nicht auseinander gegangen bist“, grinste ich David an.

„Warum glaubst du, habe ich mit Kraftsport begonnen?“

Wir mussten beide kichern.

„Setzt euch endlich“, meinte Angus, der noch einen Teller mit Shortbread auf den Tisch stellte.

„Wer soll das alles essen?“, fragte ich, während Glenda noch eine Platte mit Apple Scones auf den Tisch stellte.

Ein leichter Duft von Whiskey breitete sich aus.

*-*-*

Natürlich war Blair von dem Weihnachtsbaum genauso hingerissen, wie die anderen. Als erstes wurden Glenda und Paul beschenkt. Die Geschenke meiner Freunde fielen natürlich etwas kleiner und dezenter aus, aber damit hatte niemand Probleme.

Glenda war hin und weg, als sie ihr Amulette unseren Bildern drin auspackte, da fiel Phillips europäisches Kochbuch fast ins Hintertreffen. Dass er im Amulette ebenso verewigt war, vertröstete ihn aber wieder.

Alle lachten, weil Paul gleich zwei Krawattennadeln bekam, Phillip hatte wohl die gleiche Idee wie wir. Danach kamen wir dran. Wir hatten zusammen gelegt und Angus ein neues Handy gekauft, da seins im Feuer vernichtet wurde und Connor ihn nur mit Mühe davon abhalten konnte, sich gleich ein Neues zu kaufen.

Blair wurde mit einer edlen Holzkiste mit erlesenen Teemischungen aus der ganzen Welt überrascht und Connor und Nian bekamen einen Korb voller asiatischer Lebensmittel plus zwei wunderschön gearbeiteten Schalen und Stäbchen.

Ich dagegen bekam ein neues Geschirrset für die neue Küche. Glenda und Paul waren spendabel und brachten gleich mehrere verpackten Schachteln zu mir. Darin befanden sich eine Vielzahl von Küchengeschirr und Utensilien, was man ebenso in einer Küche alles braucht.

So war der halbe Hausstand schon gerettet. Obwohl David und ich uns geeinigt hatten, uns nichts zu schenken, war ich überrascht, als er mit ein kleines Geschenk reichte. Nach dem ich es ausgepackt hatte und den Inhalt sah, bekam ich völlig gerührt einen der beiden Ringe angesteckt, die sich darin befanden, der andere nahm David.

Ich fiel ich um den Hals.

„Das ist wohl das schönste Weihnachten seit langem!“, meinte ich zu allen.

„Halt, da fehlt noch ein Geschenk“, meinte Angus und kam zu mir.

Es war nicht wie üblich, mit Weihnachtspapier eingepackt, sondern zierte viele Blumen, so wie ich sie von einer Blumenwiese her kannte. Mit gemischten Gefühlen riss ich das Papier auf und ein Bilderrahmen kam zum Vorschein.

Immer langsamer werdend wurde nun das Bild auch sichtbar und die ersten Tränen kamen geflossen. Ich schaute Angus fragend an.

„Aber woher…“, weiter kam ich nicht, denn Angus strahlte mich breit grinsend an.

„Du meinst…?“

Er begann wild zu nicken.

„Was ist denn auf dem Bild?“, fragte Blair neugierig.

„Meine Granny…“, meinte ich stolz und drehte das Bild zu den anderen.

Es zeigte Granny auf der Blumenwiese, im Hintergrund war ihr Häuschen zu sehen. Jetzt wusste ich, dass wirklich alles gut werden würde.

*-*Ende*-*

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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3 Kommentare

    • Angelino auf 7. Januar 2021 bei 00:15
    • Antworten

    Hallo Pit,
    wie immer eine wunderschöne Geschichte und vielen Dank das es sie auch als ein Gesamtwerk gibt.

    Ich bin ein treuer aber leider auch “fauler” Leser, so das ich immer froh bin wenn ich die ganze Geschichte in einem Stück habe.

    Ich wünsch Dir und Familie eine guten Start ins neue hoffentlich gutes Jahr.

    Gruß
    sandro79

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    • Angelino auf 7. Januar 2021 bei 00:16
    • Antworten

    noch eine kurze Sache, leider kann man die Geschichte nicht bewerten !!!

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  1. Schöne Geschichte Pit, vielen Dank dafür

    Rating: 5.00/5. From 1 vote.
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