Jakob fing breit an zu grinsen.
„Ganz einfach, ihr Vater vertreibt solche Dinger!“
„… und ich denke, da könnte man etwas nach helfen!“, sagte nun Valentina leicht rot werdend.
*-*-*
„Du bist so nachdenklich“, sagte Placido, als er sich neben mich ins Bett legte.
„Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, es ist alles in Ordnung. Ich mach mir halt meine Gedanken. Wenn dieser Abgeordnete schon so weit geht, um mich zu diffamieren, was wird er noch anstellen, wenn er vielleicht wegen uns seinen Job verliert?“
„Wieso wegen uns, er hat das alles ins Rollen gebracht, nicht wir. Das hat er sich selbst zu zuschreiben und ich denke, er weiß wo seine Grenzen liegen und wann er aufhören sollte. Weitere Dummheiten kann er sich nicht mehr erlauben, sonst verliert er wirklich alles was er hat.“
„Und was ist mit seinen einflussreichen Freunden? Es ist mir eigentlich nicht wegen uns, ich mach mir eher Sorgen wegen Tomaso. Ich will einfach nicht, dass ihm unnötig mehr Leid zugefügt wird, als er schon ertragen musste.“
„Das spricht für dich, Davide. Deswegen liebe ich dich auch so sehr, weil du so ein großes Herz hast.“
Ich wollte etwas Liebes darauf sagen, aber ein leises Klopfen an unserer Tür unterbrach mich. Placido und ich schauten uns kurz an.
„Ja?“, sagte Placido, der wohl als erstes wieder die Stimme gefunden hatte.
Die Tür ging auf und Tomaso lugte herein.
„Jakob ist nicht da… und ich… kann nicht schlafen…“
Placido klopfte ohne etwas zu sagen, auf unsere Bettmitte. Tomaso schlüpfte ins Zimmer und verschloss die Tür. Er hatte sein Kopfkissen im Arm. Leise tapste er mit seinen nackten Füßen und krabbelte wie ein kleines Kind zu uns aufs Bett. Ich hob die Decke an und er verkroch sich darunter.
„Es macht euch wirklich nichts aus?“, fragte er leise und schaute uns mit riesigen Dackelaugen an.
„Ist es für die Frage jetzt nicht zu spät?“, fragte Placido und pickste ihm leicht in die Seite.
Tomaso quiekte.
„Lass uns schlafen, morgen ist ein langer Tag“, sagte ich.
„Ja, wir haben einiges vor!“, sprach Placido und löschte sein Licht.
Tomaso schaute uns beide mit großen Augen an, als wir so direkt neben ihm lagen. Placido beugte sich vor und küsste die Stirn des Jungen.
„Jetzt versuche zu schlafen, gute Nacht!“
„Gute Nacht!“, lächelte ich und machte meine Lampe ebenso aus.
„Gute Nacht“, hörte ich Tomaso leise sagen.
*-*-*
Es war eine traumlose Nacht und Tomaso schien es genauso zu gehen, er hatte uns nicht einmal geweckt. Als ich aufstand, musste ich schmunzeln, denn das vor mir, war ein Bild für Götter.
Tomaso lag eng angekuschelt, auf Placidos Arm. So gerne ich die zwei noch weiter beobachtet hätte, ich musste leider aufstehen. Der Artikel über die Kinder und ihre malerischen Künste, schrieb sich nicht alleine.
Ich hatte mir zwar schon jede Menge Notizen gemacht, aber diese mussten noch zu einem Text zusammen gefasst werden. Einen Titel für die Seite, hatte ich auch noch nicht. Zudem kam gegen elf ein Fotograf der Zeitung vorbei, um die ausgewählten Bilder richtig ins Licht zu setzten.
So stand ich leise auf und ging ins Bad. Meine Klamotten hatte ich vorsorglich mitgenommen. Schnell unter die Dusche und der Tag konnte beginnen. Als ich in den Wohnbereich kam, wunderte ich mich, weil Jakob nicht zu gegen war.
Sonst ist er derjenige, der als erstes die Küche belagerte. Auch sah es nicht so aus, als wäre er schonhier gewesen. Als der Kaffeeautomat seinen Betrieb aufnahm, war der Gedanke Jakob bereits vergessen.
Der Titel machte mir mehr Gedanken. Es musste schon eine Überschrift sein, die gleich beim Lesen Interesse weckte, weiter zu lesen. Da ich nichts anderes zur Hand hatte, legte ich ein Stück Baguette von gestern auf den Toaster, um es auf zu backen.
Sollte ich für die beiden noch schnell Brioches, beim Bäcker um die Ecke kaufen? Vielleicht sollte ich dies, einfach Placido überlassen, eine Möglichkeit mehr, Zeit mit dem Jungen zu verbringen.
Ich zog die Marmelade aus dem Kühlschrank und setzte mich mit dem nun warmen Baguette und der frisch gefüllten Kaffeetasse an die Theke. Wie oft am Morgen, ging ich auf die Seite der Zeitung und informierte mich über die Tagesgeschehnisse.
Gleich zuerst, stand ein Artikel über den Stadtabgeordneten Moretti. Die Staatsanwaltschaft schien wohl wegen Korruption und Veruntreuung zu ermitteln. Hierfür waren wir sicherlich nicht der Auslöser, denn so etwas wird erst nach langer Beweisaufnahme in Gang gesetzt.
Von seinem Sohn konnte ich allerdings nichts finden, nur das eine anonyme großzügige Spende, die Renovierung des Kinderheims vorantrieb. Ich bis von meinem Marmeladenteil ab und scrollte weiter. Sonst konnte ich nichts Interessantes finden.
So legte ich mein Handy ab, nahm ein Schluck Kaffee und starrte gedankenverloren Richtung Fenster. Ein Kuss im Nacken ließ mich zusammenfahren.
„Guten Morgen“, flüsterte es in mein Ohr.
Ich drehte meinen Kopf und schaute in zwei wunderschönen Augen.
„Guten Morgen“, sagte ich verträumt und bekam meinen ersten Kuss des Tages.
Niemand konnte sich das vorstellen, wie sehr ich das in den vergangenen zwei Wochen vermisst hatte. Placido umrundete die Theke und lief zum Kaffeautomaten.
„Schläft Tomaso noch?“, wollte ich wissen.
„Nein, der ist schon im Bad.“
„Wollte ihr nicht zur Bäckerei an der Ecke gehen und euch frische Brioches holen?“
„Eine gute Idee, aber das Baguette tut es auch. Wär blöd, wenn wir den Rest wegwerfen.“
„Stimmt auch wieder.“
„Wie läuft dein Artikel?“
„Ich habe noch gar nicht richtig angefangen.“
„Wann musst du ihn abliefern?“
Seine Tasse war befüllt worden und er gesellte sich wieder zu mir. Verlegen lächelte ich ihn an.
„Eigentlich schon gestern…“
„Oh, dann solltest du dich beeilen. Bist du deswegen so früh aufgestanden?“
„Ja!“
„Guten Morgen“, hörte ich es hinter mir.
Wieder drehte ich den Kopf und Tomaso kam herein. Er hatte seinen Jogginganzug an.
„Was möchtest du trinken, Tomaso?“, fragte Placido.
„Tee!“, antworteten Tomaso und ich gleichzeitig.
Fragend schaute mich Placido an.
„Ein Päckchen Teebeutel steht neben dem Kaffeeautomaten und du brauchst nur eine Tasse heißes Wasser aus dem Automaten lassen.“
„Oh… okay!“
Wieder lief Placido hinter die Theke und machte das, was ich ihm aufgetragen hatte, während sich Tomaso sich neben mich setzte.
„Davide…“, sagte er leise, womit er meine volle Aufmerksamkeit hatte.
„Ja?“
„Placido meinte, ich soll dich fragen…“
Ein kurzer Blick zu Placido zeigte mir sein Lächeln.
„Und was sollst du mich fragen?“
„Ob ich morgen wieder in die Schule gehen kann…“
„In die Schule? Bist du sicher?“
Er nickte mir zu.
„Ich möchte nichts verpassen und… und ich denke, wenn ich länger fehle, wird nur noch mehr über mich geredet.“
„Und das willst du nicht. Also ich wäre der letzte, der dich daran hindert in die Schule zu gehen. Wenn du keine Kopfschmerzen mehr hast, spricht nichts dagegen.“
Ich blickte auf das Pflaster, dass immer noch seine Stirn zierte. Da die Wunde geklammert worden war, mussten keine Fäden gezogen werden. Anzeichen für eine Gehirnerschütterung gab es auch keine.
„Tut es noch weh?“
„Nein, es zieht etwas und juckt.“
„Jucken ist immer gut, dann heilt es“, meinte Placido und stellte Tomasos Tasse vor ihm ab, „möchtest du auch ein Marmeladenbaguette?“
Diesen Spruch hatte Mama auch immer gesagt, wenn ich beim Spielen irgendwie verletzt hatte und es zu heilen begann, ich musste lächeln. „Vielleicht könntest du mit ihm zum Arzt fahren, ob man das Pflaster nicht weglassen könnte“, schlug ich vor, „was meinst du Tomaso?“
Mein Blick fiel wieder auf Tomaso, der mich mit seinen tiefbraunen Augen anschaute.
„Hast du noch etwas auf dem Herzen?“
„Was machst du heute?“
„Ich muss einen Artikel schreiben.“
„Oh…, dann hast du keine Zeit… mit den Bildern weiter zu machen.“
Ich sah die Enttäuschung in seinem Gesicht. Am liebsten hätte ich Artikel verschoben, aber das ging nicht. Ich wollte gerade etwas dazu sagen, als Placido Tomaso sein Brot reichte und zu sprechen begann.
„Dann machen wir eben an deinem Cover weiter!“
„Da kann ich auch helfen?“, fragte der Junge verwundert.
„Es muss komplett koloriert werden und ich muss ja wissen, welche Farben dir am besten gefallen!“
Ich lächelte Placido an, der sich gerade wieder zu mir setzte.
*-*-*
„Du bist spät“, meinte Letizia, die gerade meinen Artikel überflog.
Dazu sagte ich nichts und ließ mich an meinem Platz nieder.
„Gut geschrieben, wie immer, aber warum der Titel Zeichenschule der Lebens?“
Der Titel kam mir einfach in den Sinn, weil ich an die Kinder vom Heim denken musste.
„Die Künstler sind zwar jung, aber sie malen wie die Großen!“
„Ich sehe es, die Bilder, die du ausgesucht hast, haben wirklich etwas und könnten durchaus von Erwachsenen gemalt worden sein. Ich werde den Artikel so wie er ist an den Chef weiterleiten.“
„Nichts ändern?“
„Nein, ich finde ihn perfekt und interessant.“
„Dann hoffe ich, der Alte denkt genauso!“
„Keine Sorge, wird er. Bisher hat er noch jeden deiner Artikel veröffentlicht. Wo ist überhaupt Tomaso, hast du ihn bei Jakob gelassen?“
„Jakob war heute Morgen gar nicht zu Hause. Aber keine Sorge, Tomaso ist in guten Händen.“
„Bist du dir da sicher? Als ich den Artikel über Moretti gesehen habe, musste ich sofort an Tomaso denken!“
„Warum? Das die Staatsanwaltschaft ermittelt, damit hat der Junge doch gar nichts zu tun?“
„Der Alte muss davon gewusst haben, deswegen wurde auch nichts über Morettis Sohn gedruckt, das hat er zurück stellen lassen.“
„Verstehe ich nicht! Ein kleiner Absatz am Ende, dass sein Sohn verhaftet wurde…“
„… Davide“, unterbrach mich Letizia, „ich weiß der Typ und seine Freunde haben Scheiße gebaut, aber ihn auf die gleiche Stufe wie sein Vater zu stellen…?“
„Die wollten ihn verbrennen lassen, dafür braucht man keine Rücksicht nehmen, das ist noch schlimmer, wie das, was sein Vater alles verbrochen hat!“, fuhr ich sie an.
„Warum wirst du denn gleich böse?“
„Entschuldige, wenn ich aber nur daran denke, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Das ist klarer Mordversuch!“
Letizia fing an komisch zu lächeln.
„Was?“
„Du hast in dem kleinen einen Narren gefressen!“
„Schlimm?“, meinte Stimme war wieder leiser geworden, „wenn du Tomaso erst näher kennen lernst, wirst du mich verstehen.“
„Für so etwas habe ich leider keine Zeit. Überlassen wir lieber Emiliano das Kinderheim, der kann eh gut mit Kindern.“
„Was hat das mit dem Kinderheim zu tun?“
„Es ist doch klar, dass Tomaso wieder ins Heim zurück geht, wenn es fertig renoviert ist.“
Ich musste grinsen.
„Da bist du falsch informiert, meine Liebe!“
„Wieso?“
„Placido und ich haben uns dafür entschieden, Tomaso dauerhaft bei uns aufzunehmen, wenn es die Bürokratie zulässt!“
Nun durfte ich einen der seltenen Augenblicke erleben, Letizia war sprachlos.
„Seid… seid ihr euch da sicher?“, fragte sie, als sie wieder ihre Stimme gefunden hatte.
Schrill, aber sie war da.
„Ja, wir wollen beide, dass der Junge eine sichere Zukunft hat!“
„Du weißt, das ist eine emense Verantwortung.“
„Darüber sind wir uns im Klaren.“
„Wow…“, Letizia ließ sich in ihren Stuhl zurück fallen, „Jetzt bin ich platt. Das hätte ich nie gedacht.“
„Und bevor du fragst, Placido hatte die Idee dazu bereits in Amerika, sozusagen getrennt durch einen Ozean, haben wir uns beide unabhängig voneinander, Gedanken darüber gemacht. Sag es aber bitte noch nicht weiter, Placido möchte es morgen Abend beim Essen kund tun.“
„Stimmt, morgen ist Mittwoch, das Mittagessen bei deiner Mutter.“
„Genau da.“
„Dann mal viel Glück!“
*-*-*
Als ich am späten Mittag zurück kam, fehlte Placidos Auto. Waren sie weggefahren, davon hatte er gar nichts gesagt. Aber ich kannte auch seine plötzlichen Ideen, irgendetwas zu machen und das gleich in die Tat um zusetzten.
Ich parkte meinen Mini ein und verließ ihn. Trotz des sonnigen Mittags, empfand ich es jetzt im Hof kühl. Ich zog den Kragen meiner Jacke etwas enger und lief zum Haus. Aus dem Augenwinkel heraus sah ich links von mir eine Bewegung.
Abrupt blieb ich stehen. Hatte ich mich getäuscht? Langsam lief ich Richtung Einfahrt, bis ich die Durchfahrt erreicht hatte. Natürlich war dort niemand, ich konnte draußen auf der Straße nur den Verkehr dort sehen.
Langsam lief ich weiter, bis ich das kaputte Tor erreicht hatte und die Straße einsehen konnte.
Auch hier war nichts Auffälliges. Ein Hupen ließ mich aufschrecken. Placidos Wagen kam auf mich zugerollt und ich wich zur Seite, dass er das Grundstück befahren konnte.
Langsam folgte ich dem Wagen wieder in den Hof. Noch einmal drehte ich mich um, fühlte mich beobachtet. Im Innern des Hofes war Placidos Wagen mittlerweile zum Stehen gekommen und Tomaso stieg aus.
„Hallo Davide, ich soll dir einen ganz lieben Gruß von Monsignore Viccario ausrichten.“
„Danke…, wart ihr bei ihm? Wie geht es ihm?“
Placido war auch ausgestiegen und kam wie Tomaso auf mich zu.
„Der Kleine hatte so viel Sehnsucht nach seinem Monsignore, da habe ich ihn einfach ins Auto gepackt und sind ins Krankenhaus gefahren.“
„Lieb von dir und wie geht es Monsignore Viccario jetzt?“
„Viel besser! Der Krankenhausaufenthalt war gerade recht, so konnte sie ihn komplett untersuchen. Seine Medizin, die er einnehmen muss, wurde neu eingestellt und mit viel Glück darf er auf Wochenende heraus.“
„Das freut mich zu hören“, entgegnete ich.
„Was wolltest du draußen auf der Straße?“
„Mir war so, als wäre dort jemand gewesen…“
Tomaso sah fragend zwischen uns hin und her.
„Morgen kommt eine Firma vorbei, die will nach dem Tor schauen, ob es repariert werden kann, oder wenn es sich nicht lohnt, gleich ein Neues eingesetzt wird.“
„Wann morgen?“
„Gegen Mittag, wieso?“
„Weil du eine Verabredung mit einer gewissen Dame hast… so gegen zwölf!“
„Verabredung?“
Placido schien es wieder vergessen zu haben.
„Mittwoch… zwölf Uhr… klingelt es da.“
„Ah… Mittagessen bei Maria, wie konnte ich das vergessen?“
„Frag Jakob, ob er morgen Zeit hat.“
„Den habe ich heute noch gar nicht gesehen.“
„Komisch, es ist nicht seine Art, sich nicht blicken zu lassen. Aber ich kenne auch seinen Terminkalender nicht.“
*-*-*
Auch den Rest des Tages ließ sich Jakob nicht blicken und Placido machten sich langsam Sorgen. Auf seinem Handy erreichten wir ihn auch nicht. Es dauerte etwas, bis wir Valentina am Telefon hatten, war ihre Nummer uns noch unbekannt.
Erst über ihre Eltern hatten wir sie erfahren, weil wir ja wussten, dass die das Computergeschäft führten.. Sie meinte aber auch, dass sie Jakob seit gestern Abend, als er sie heimbrachte, ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
Bei der Vorlesung heute war er nicht erschienen. Sie hat mehrfach versucht, ihn zu erreichen, aber es kam immer nur eine Ansage, das Gespräch kann nicht entgegen genommen werden.
„Da stimmt irgendetwas nicht!“, sagte Placido.
„Ich ruf Letizia an, vielleicht kann sie etwas in Erfahrung bringen, sie kennt doch halb Florenz!“, sagte ich.
„Meinst du das bringt etwas?“
Tomaso kam ins Zimmer gerannt, meinem Büro, wo wir uns gerade aufhielten.
„Da… da ist jemand unten an der Tür!“, sagte er leise.
Placido und ich sahen uns an. War das Jakob? Aber er hatte doch einen Schlüssel.