„Zum einen hat mein Bruder keine Geschwister, für die er sich zumindest an einem Tag etwas mehr Zeit nehmen sollte…“
„Ähm, ich habe drei Brüder“, warf Mike grinsend ein.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du mit Oliver oder William in deiner Freizeit abhängen willst!“
Mike kratze sich verlegen am Hinterkopf.
„… da könntest du Recht haben, aber zumindest, hänge ich mit dir ab!“
Ich streckte ihm die Zunge heraus.
„Könntet ihr aufhören, euch ständig die Zunge zu zeigen“, meckerte nun Ella, „was soll nur Noah von euch denken?“
Der genannte schaute auf und grinste.
„Das ist lustig!“, meinte Noah und biss erneut in sein Sandwich.
Ich atmete tief durch und sah wieder zu Mike.
„… zum anderen könnte ich mir vorstellen, dass… falls sich irgendetwas bestimmtes ergibt, dass du dann auch gern mehr Freizeit möchtest.“
Mike wurde rot und nun kicherte Levi. Ich schaufelte mir eine Portion Nudelsalat auf den Teller und begann ohne weitere Worte zu verlieren, zu essen.
„Was meint Marcus damit?“, wollte nun Ella wissen.
Während Levi sich am Saft verschluckte, wurde Mikes Gesichtsfarbe noch dunkler.
„Ella, wenn es aktuell wird, erfährst du es als erstes!“, sagte ich grinste meinen Bruder fies an.
„Marcus!“, kam es empört aus Mikes Lippen.
„Levi, was ist irgendetwas bestimmtes?“, fragte nun Noah.
Ich konnte nicht anders und fing laut an zu lachen. Levi wuschelte seinem Bruder über den Kopf, während Mike sein Gesicht hinter seinen Händen vergrub.
*-*-*
Als ich in die Küche zurück kam, verräumte Levi gerade die Reste vom Abendessen.
„Noah schläft“, meinte ich und trat neben ihn, „… hier, dein Tablett…“
„Danke“, sagte Levi und nahm es entgegen, „… ähm bist du mir jetzt böse?“
„Warum sollte ich böse auf dich sein…?“
„Weil ich lieber gelesen habe, anstatt mit euch in den Zoo zu gehen…“
Ich drehte mich zu ihm und nahm ihn in den Arm.
„Nein…, bin ich nicht. Gut, nicht jeder entspannt sich bei japanischem Papier, aber du hättest ruhig mit in den Zoo gehen können.“
„Wenn ich ehrlich bin, als ihr weg ward, dachte ich das auch, aber es tat auch gut, einfach nur so dazuliegen und etwas Interessantes zu lesen!“
Ich gab ihm einen kleinen Kuss auf die Nase.
„… und ich gebe dir Recht, die Idee mit dem Sonntag ist gut. Mir ist erst heute so richtig bewusst geworden, auf was ich bisher verzichtet habe. Es hat richtig Spaß gemacht.“
„… und Ella und Noah habe es auch genossen.“
Levi lächelte nun breit und befreite sich aus meinen Armen. Er stellte die letzte Dose in den Kühlschrank.
„Noch Lust auf ein Glas Wein?“
„Aber wirklich nur eins!“, entgegnete ich.
Er zog neue Gläser vom Regal und befüllte sie mit Rotwein.
„Ich dachte auch an Grandma, dass man sie bei solchen Aktionen abholen könnte, dass sie nicht ganz auf die zwei verzichten müsste.“
„… und auf dich“, grinste ich.
Er nickte und lief einfach mit beiden Gläsern ins Wohnzimmer hinüber. Ich löschte das Licht und folgte ihm. Levi stellte die zwei Gläser auf den Tisch ab und ließ sich auf der Couch nieder. Ich tat dasselbe. Dabei fiel mir etwas ein.
„Ähm. Ich wollte dich noch etwas fragen…“
„Was ist dein Begehr?“, grinste mich Levi an.
„Es ist wegen Mike…, ich hoffe es stört dich nicht, dass Mike so oft hier ist.“
„Du weißt schon, dass er mit der Firma für mich arbeitet?“
Ich seufzte laut.
„Du weißt wie ich das meine!“
Er strich mir sanft über die Wange.
„Ich sehe Mike mittlerweile als Freund, du weißt ja, dass ich bisher mehr wie ein Einsiedler gelebt habe, was das betrifft.“
„Danke.“
„… und dir tut es gut, deinen Bruder wieder besser kennen zu lernen.“
„Um mich brauchst du dir keine Gedanken zu machen!“
Levi legte seine Finger auf meinen Mund und griff nach meiner Hand.
„… wir sind… jetzt ein Paar und da sollte jeder für den anderen da sein, oder?
*-*-*
Der Montag begann laut. Noch bevor Ella in die Schule gebracht wurde, waren bereits Mikes Arbeiter da. Wie befürchtet, war Noah dieses Mal nicht aus dem Zimmer zu bekommen, es waren einfach zu viele fremde Menschen im Flur.
Nicht mal Mike vermochte ihn heraus zu locken. So hatte Noah sein Frühstück dieses Mal in seinem Zimmer eingenommen, ebenso eine Premiere. Selbst Levi hatte beschlossen, das Weite zu suchen
Nachdem er Ella in die Schule gebracht hatte, war er von dort direkt in die Firma gefahren, um dort seine Arbeit in Ruhe ausrichten zu können. Noch etwas war anders als sonst, seit ich hier im Haus tätig war. Alle Türen in den Fluren waren verschlossen.
Selbst die Küchentür, hinter der Sofia wahrscheinlich schon Dinge für das Mittagessen herrichtete, war geschlossen. Schweren Herzen lief ich zwischen den Arbeiter hinauf in mein Zimmer.
Mum hatte mir die Adressen der jeweiligen Firmen, die für den Badumbau zuständig waren, zukommen lassen. Ich wollte erste Anfragen starten, ob diese die anstehenden Renovierung ausführen konnten..
Auch stand Noahs neues Sitzregal verpackt in meinem Zimmer. Dies musste auch noch aufgestellt werden und natürlich mit Spielsachen bestückt werden. Aber dafür musste ich Noah erst einmal dazu bekommen, sein Zimmer aufzuräumen und mir zu helfen, das Regal an seinen Platz zu befördern.
Seufzend ließ ich mich auf meinen Stuhl nieder. Ich rieb mir durchs Gesicht. Die bisherige Stille im Haus war gewichen. Wie schnell man sie an so etwas gewöhnen konnte. Ich wollte gerade meine Mailbox öffnen, als es an meiner Tür klopfte.
„Ja?“
Die Tür wurde aufgeschoben und einer der Arbeiter schaute herein.
„Marcus…, unten steht ein Bote, der ein Paket für dich hat“, sagte er.
Wie gewohnt redete mich das Personal der Firma mit Vorname an.
„Für mich?“
Der Arbeiter nickte.
„Okay…, ich geh gleich runter!“
Er verschwand, ließ meine Tür aber offen stehen. Leicht genervt, verließ ich das Zimmer und verschloss es wieder. Wer schickte mir etwas zu, ich hatte nichts bestellt. An der Treppe musste ich warten, weil zwei Leute gerade Holzlatten herauf trugen.
Als sie die langen Dinger an mir vorbei manövriert hatten konnte ich meinen Weg nach unten fortsetzten. Unten angekommen stand tatsächlich ein junger Mann, abseits der Treppe. Auch die war nach kurzen Warten frei, so konnte ich endlich zu ihm gelangen.
„Marcus Brown?“, fragte der Bote.
Ich nickte.
„Hier unterschreiben!“
Ich tat was ich geheißen wurde und bekam anschließend das Paket überreicht. Mit einem „Bye“, schwang sich der junge Mann aufs Rad und war schnell verschwunden. Verwundert schaute ich auf den Absender, den man aber nicht recht entziffern konnte.
Das Päckchen war nicht schwer und ein leichtes Rütteln, verriet ebenso wenig den Inhalt. Ich lief die Treppe wieder hinauf und betrat das Haus. Sofia drehte den Kopf, als ich die Küche betrat.
Ich schloss die Tür hinter mir.
„Hat ein Bote gebracht…“, meinte ich nur und griff nach einem Messer, das auf der Anrichte lag. Schnell war der Klebestreifen aufgeschnitten. Ich legte das Messer ab und zog die Kartonklappen auseinander.
Dann ging irgendwie alles recht schnell. Etwas knallte, dann spritze mir etwas entgegen und ich fiel nach hinten.
„MARCUS!“, schrie Sofia entsetzt.
Die Tür wurde aufgerissen und ein Arbeiter und Mike schauten herein.
„Oh Gott, Marcus, was ist passiert“, schrie nun auch Mike und kniete sich sofort neben mich.
Überall auf mir verteilt, waren rote Flecken.
„Ich… weiß nicht…“, stammelte ich benommen.
„Er… hat den …Karton auf gemacht“, kam es Sofia, die auf das Päckchen vor mir auf dem Boden zeigte.
Der Arbeiter, der mit Mike das Zimmer betreten hatte ging darauf zu und wollte es auf halten.
„Halt Gregor, nicht anfassen!“, kam es von Mike, „Mr. Thompson, würden sie bitte die Polizei rufen?“
Sie nickte leicht. Auch sie hatte ein paar Spritzer abbekommen.
„Polizei?“, fragte nun Gregor.
An der Küchentür hatte sich mittlerweile eine Traube von Arbeitern gebildet.
„Leute, tut mir gefallen und macht weiter, der Lkw draußen muss weg! Gregor könntest du dich bitte darum kümmern!“
Gregor nickte und ging zur Tür. Dort schob er seine neugierigen Kollegen zurück in den Flur.
„Ihr habt den Chef gehört! Los, weiter!“, vernahm ich zitternd die Stimme dieses Gregor.
„Kannst du aufstehen?“, hörte ich Mikes Stimme.
„Hm?“
„Kannst du aufstehen, Marcus… hast du dich verletzt?“
Außer meinem Hintern tat nichts weh, so schüttelte ich den Kopf. Mike zog mich langsam hoch und setzte mich auf einen der Küchenstühle. Dann griff er nach einem Geschirrtuch, das auf dem Tisch lag und wischte mir vorsichtig übers Gesicht. Danach roch er daran.
„Das ist Farbe…“
„Farbe?“, stammelte ich ihm nach.
„Mr. Davis macht sich sofort auf den Weg“, sagte Sofia, als sie wieder die Küche betrat.
„Danke, Mr. Thompson…
„Sagen sie doch Sofia zu mir, so wie es alle hier tun.“
„Nur wenn sie mich Michael nennen.“
Beide schauten wieder zu mir.
„Wer macht denn so etwas?“
*-*-*
Im Haus war etwas Ruhe eigekehrt, oder besser gesagt, hatte sich alles nach oben verlagert. Während Mike sich dazu bereit erklärt hatte, sich um Noah zu kümmern, saß ich nun im Wohnzimmer bei Captain Davis und seinem Kollegen.
Der Hausgong machte sich bemerkbar und Lieutenant Trevor erhob sich.
„Ich mach auf“, hörte ich Sofias Stimme.
Mr. Trevor setzte sich in Bewegung und lief ebenso in den Flur. Ich dagegen saß immer noch zitternd im Sessel. In der Hand ein feuchtes Tuch, mit dem ich versucht hatte, die rote Farbe aus meinem Gesicht und Händen zu rubbeln.
„Hallo Sofia…“, hörte ich die Stimme meiner Mutter, Mike hatte sie angerufen.
„… darf ich ihnen meinen Mann John vorstellen?“
Mein Kopf fuhr hoch, sie hatte Vater mitgebracht?
„Hallo Mr. Brown, nett sie kennen zu lernen.“
„Sofia, sagen sie doch bitte John zu mir…, wo ist unser Sohn?“
Ich wollte mich schon erheben, aber Captain Davis Hand, die auf meiner Schulter ruhte, drückte mich zurück in den Sessel. Fragend schaute ich ihn an.
„Hallo Mr. Brown, ich bin Lieutenant Trevor und mit Captain Davis für diesen Fall zuständig…, würden sie mir bitte ins Wohnzimmer folgen?“
Wenig später betraten die drei das Wohnzimmer.
„Oh Gott Junge, wie siehst du denn aus“, war das erste, was ich von meiner Mutter zu hören bekam.
„Die Folgen eines sehr, sehr schlechten Scherzes“, kam es nun von Captain Davis, „… Mr. und Mrs Brown…“
Hände wurden geschüttelt. Bevor das Gespräch aber weiter geführt werden konnte, wurde im Flur die Haustür aufgestoßen.
„Marcus…Marcus, wo bist du?“, hörte ich Levis verzweifelte Stimme.
Auch ihn hatte Mike verständigt.
„Wir sind hier im Wohnzimmer!“, rief Mum.
Wenige Sekunden später kam Levi hereingestürmt, stoppte kurz, sah alle an, bevor er zu mir kam und mir um den Hals fiel. Gut, dass die Farbe auf mir bereits eingetrocknet war, sonst hätte er sich ebenfalls dreckig gemacht.
„Gott sei Dank, dir ist nichts passiert!“, hörte ich seine leise weinerliche Stimme.
Er drückte sich etwas von mir weg. Seine Augen waren rot, er musste geweint haben.
„Das muss aufhören…, ich ertrage das nicht mehr…, wenn etwas den Kids oder dir passiert, ich würde das nie…“, erneut liefen Tränen über seinen Wangen.
Er richtete sich auf und wandte zu Captain Davis.
„Ich gehe jetzt zu ihm und stelle ihn zur Rede…, wenn gar nichts hilft, werde ich ihm die Firma verkaufen…“
„Levi…!“, rief ich.
„Ein Teufel wirst du!“, kam es von laut Mum.
„Da muss ich ihrer zukünftigen Schwiegermutter Recht geben!“, sagte ein grinsender Captain Davis.
Mum und Lieutenant Trevor fingen ebenso an zu grinsen, selbst ich musste über die Worte „zukünftige Schwiegermutter“ etwas lächeln, auch wenn mir nicht danach zumute war. Lediglich Dads Gesichtsausdruck war nicht zu deuten. Mein Lächeln verschwand wieder.
„Aber…
„Nichts aber, setzten wir uns erst einmal hin!“, ergriff Mum erneut die Initiative,
Wie aufs Stichwort kam Sofia mit einem Tablett herein. Sie stellte es auf dem Couchtisch ab und verließ uns wieder. Die Tür zum Flur wurde geschlossen. Während Mum und Dad sich auf die Couch setzten, ließ sich Levi auf meiner Sessellehne nieder, ohne aber meine Hand loszulassen.
„Wo ist Noah… hat er auch?“, fragte Levi leise.
Ich schüttelte den Kopf.
„Er hat sein Zimmer bisher noch nicht verlassen…, Mike ist bei ihm…“
Levi atmete tief aus.
„Mr. Scott, ich kann nur so viel sagen, dass es nicht ihr Großvater war, der mit dieser Sache zu tun hatte.“