„Ist dir das jetzt peinlich?“, fragte ich.
„Nein, aber es hat indirekt mit Ellas „neuem‘“ Freund zu tun…“
Jetzt schaute ich ihn verwirrt an.
„Ich sagte doch, jetzt weiß ich, wo ich Finley hinstecken soll… Finley war damals in derselben Theatergruppe und sah genauso gut aus, wie sein jüngerer Bruder.“
„Du hast dich in ihn verknallt?“, grinste ich.
„Naja eher geschwärmt…, he er war zwei Jahre älter als ich, was will so einer mit einem pickligen Schüler. Wobei ich zugeben muss, er war immer sehr nett zu mir!“
„Dann lass uns mal rüber gehen und hören, was aus deinem Schwarm geworden ist!“
Ich nahm das Tablett mit den Gläsern und Getränken.
*-*-*
Als wir ins Wohnzimmer kamen, hatte sich nichts geändert. Noah lag vor dem Fernseher und war somit ruhig gestellt. Robert sniefte vor sich hin, leicht in Ellas Arm gekuschelt. Mike stand am Fenster und schaute in den Garten.
Anscheinend war noch nicht viel geredet worden. So stellte ich das Tablett auf den Esstisch und ließ mich neben Ella nieder. Levi ließ sich neben seinem Bruder nieder. Ich schaute zu Robert.
„Besser?“, wollte ich wissen.
Robert nickte.
„Darf ich fragen, was passiert ist? Ellas Bruder und auch mein Bruder“, ich zeigte auf Mike am Fenster, „kennen deinen älteren Bruder…“
Robert atmete tief durch. Er hob leicht den Kopf, schaute erst Ella, dann mich an.
„Ich war da nicht dabei…, mein Vater hat mir das alles erzählt…“
Ich griff nach seiner Hand.
„Robert, wenn du darüber nicht sprechen möchtest…, wir verstehen das alle!“
„Nein… nein, ich möchte das erzählen! … Ella hat mir alles über ihrer Familie anvertraut, so will ich auch das Ella alles über meine Familie weiß.“
Der Junge tat sich schwer, so unterbrach ich ihn nicht.
„Das alles geschah vor acht Jahren…, meine Mutter hatte Finley vom Sport abgeholt, als sie von einem Unbekannten von der Straße gedrängt wurde… sie kam ins Schleudern…“
Robert wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Acht Jahre her, ich schaute zu Levi, der auch in diesem Zeitraum seine Eltern verloren hatte. Der zeigte aber keine Reaktion und hatte weiterhin seinen Bruder im Arm.
„… und prallte frontal in ein entgegen kommendes Auto…, Finley wurde herausgeschleudert… auf die Fahrbahn und meine Mutter im Wagen eingeklemmt…“
Der Junge kämpfte mit sich, nicht zu weinen. Ich konnte mir durch die Schilderung gut vorstellen, was passiert war.
„Mum war da im achten Monat schwanger mit Phillip und…“
„…Finley ist Tod?“, kam es von Mike mit gebrochener Stimme.
Robert schüttelte den Kopf.
„Der liegt seitdem im Krankenhaus in Koma… keiner weiß, warum er nicht aufwacht, er wäre vollkommen gesund…“
„Schrecklich…“, hörte ich Levi sagen.
„… meine Eltern verkauften unser Haus und wir zogen in einen Vorort von New York…, die Kosten vom Krankenhaus waren einfach zu hoch.“
Kein Wunder war Finley plötzlich verschwunden und auch später die Familie. So war Mikes bester Freund vom Erdboden verschluckt und Levis erste Liebe plötzlich weg.
„Mum kam als letztes ins Krankenhaus…, hatte eine Notgeburt, weil Phillips Hertz nicht mehr schlug…“
Den Rest konnte ich mir denken. Ella liefen ungehindert die Tränen über die Wangen, trotzdem hielt sie Robert weiterhin im Arm hielt und streichelte sanft seine Hand. Mike und Levi schauten beide betroffen drein. Mit ganz leiser Stimme redete Robert weiter.
„… das Ehepaar im anderen Auto starb noch in derselben Nacht, seitdem fühlt sich Mum schuldig… sie ist nie wieder selbst Auto gefahren.“
Levis Kopf fuhr plötzlich hoch und seine Augen wurden glasig.
„Weißt du noch den Namen des Ehepaar?“, fragte er genauso leise.
Patrick schüttelte den Kopf. Er herrschte kurz Ruhe im Wohnzimmer, nur der Fernseher lief. Ich schaute erneut zu Levi. Warum hatte er nach dem Namen gefragt? Er wird doch nicht etwa denken, dass es seine Eltern waren? Das wäre wirklich ein großer Zufall.
*-*-*
Levi und Ella hatten Robert nach Hause gebracht. Mike war mit seinen Arbeitern ebenso abgezogen, so war ich mit Noah alleine. Während der Junge weiterhin m seine Sendungen vertieft war, kümmerte ich mich um das Abendessen.
Dieses Gespräch hatte bei allen viel Denkpotential hinterlassen. Was wäre, wenn es wirklich Levis Eltern waren? Würde dies nicht alte Wunden aufreisen? Hätte Robert dann Schuldgefühle gegenüber Ella.
All dies beschäftigte mich und wartete gespant auf Levis Rückkehr. Das herunterfallende Messer riss mich wieder aus den Gedanken. Ich musste mich zusammen reisen. Während ich die Nudeln abschüttete, wurde die Haustür aufgeschlossen.
Kein „wir sind wieder da“ drang an mein Ohr. Diese Neugier ließ mich fast zerbersten. So drehte ich mich Richtung Flur, wo Ella und Levi sich gerade ihre Jacken entledigten. Beide hatten rote Augen und sagten kein Wort.
Während Ella sofort dir Treppe hochlief, kam Levi zu mir in die Küche. Fragend schaute ich ihn an, doch er nickte nur.
„Wirklich?“
Wieder nickte Levi und fiel mir um den Hals. Das konnte kein Zufall mehr sein und anderen Fragen machten sich in meinem Kopf breit. Warum hatte Capitain Davis nie ein Wort über die genaue Unfallursache verloren? Wusste darüber Vanessa Bescheid?
Und wie hing das alles mit Levis Großvater und Jakob zusammen? Wenn der Fahrer im unbekannten Wagen der Mrs Parker rammte Jakob war… ein reiner Zufall, oder von Jakob irgendwie gesteuert?
Aber wie hätte er dies bewerkstelligen sollen? Ich schüttelte den Kopf und drückte Levi etwas von mir weg.
„Gehst du noch ins Büro, oder gesellst du dich zu deinem Bruder, bis das Essen fertig ist?“
„Hunger habe ich gerade keinen und Lust auf Arbeit erst recht nicht. Ich setz mich zu Noah.“
Geistesabwesend starrte Levi ins Leere.
„Wo soll das noch enden…?“
„Es endet, wenn der wahre Täter gefunden wurde, wenn alle Fragen sich auflösen! Soll ich Vanessa verständigen?“
„Warum dass denn?“
„Es besteht Redebedarf!“
Levi sah mich lange an, nickte dann aber.
*-*-*
Zu unserer Überraschung hatte Vanessa Mum im Gepäck und Capitain Davis tauchte ebenso auf. Dieses Mal nicht in Uniform, sondern in privaten Klamotten. Nudeln hatte ich genug gekocht, nur die Tomatensauce musste etwas gestreckt werden.
Beim Essen wurde über den Umbau und die Fortschritte im Garten gesprochen. Ich brachte danach Noah ins bett, während sich die Damen bereit erklärten, sich um das Geschirr zu kümmern.
Als ich in die Küche kam, sah ich an den betroffenen Gesichtern, dass Levi etwas erzählt hatte. Er saß mit Capitain Davis am Küchentisch, während die Damen gerade ihre Arbeit an der Spüle beendeten.
„Jemand einen Kaffee?“, fragte ich in die Runde.
„Ich glaube, ich brauche etwas stärkeres…“, kam es von Vanessa, meine Mum nickte.
„Ich nehme gerne einen Kaffee“, sagte Capitain Davis.
„Ich schließe mich an“, sagte Mum.
Levi erhob sich und verschwand kurz, währenddessen ließ ich den Kaffee heraus.
„Marcus, sie schauen so nachdenklich?“, hörte ich Capitain sagen.
„Stimmt, es gibt eine Frage, die mich die ganze Zeit löchert.“
Ich servierte den Kaffee und ließ mich nieder. In dem Augenblick kam Levi zurück und brachte Vanessa einen Whiskey.
„Die da wäre?“
Levi sah fragend in die Runde, bevor er sich setzte.
„Gehen wir davon aus Großvater Scott oder Jakob haben etwas mit dem Unfall zu tun…, wie haben sie es fertig gebracht, das Mr Parker und Levis Eltern gleichzeitig auf derselben Straße fuhren?“
Mein Blick wanderte durch die Runde.
„Das muss dann aber zeitlich genau abgestimmt worden sein, also wären mehrere Personen mit von der Partie und man muss bedenken, dass dieser jemand genau über den Tagesablauf von Mrs Parker und Ehepaar Scott Bescheid wissen musste“, gab Capitain Davis zu bedenken.
„Bei meinen Eltern schwierig, da war jeder Tag anders“, meinte Levi leise.
„Ich kann mich an eine Aussage eines Kollegen im Büro ihres Vaters erinnern, der zu Protokoll gab, dass die Scotts abends einen Termin mit dem Großvater hatten“, sprach Cpt. Davis weiter.
„Sie fuhren zu meinem Großvater?“, fragte Levi.
Vanessa und Cpt. Davis nickten.
„Ihr Großvater allerdings, stritt diesen Termin ab und er war zu diesem Zeitpunkt nachweislich in seinem Club.“
„Deswegen das Alibi…“, sagte ich eher zu mir, als zu den anderen.
Wieder nickte Cpt. Davis.
„… aber für eine hochintelligente Person wäre es kein Problem, dies alles zu bewerkstelligen?“, nahm Levi den Faden auf.
Fragend schaute ich ihn an.
„Jakob ist sehr begabt, deswegen hat er sich in Großvaters Firma auch so schnell hoch gearbeitet..“
„Besonders Intelligent ist er aber nicht…, er hat sich filmen lassen bei der Paketabgabe“, kam es von Mum.
„Und wie können wir ihm das alles nachweisen…, das alles ist schon acht Jahre her“, warf ich ein.
„Das ist eben unser Problem, uns fehlen dafür die Beweise!“, meinte Cpt. Davis.
„Außer er macht wieder einen Fehler…“, sagte ich leise.
*-*-*
Die Nacht war alles andere als gut. Diese Gedankengänge ließen uns beide träumen und wir wachten mehr als einmal auf. Den Morgensport ließen wir ausfallen, saßen dafür länger beim Frühstück.
Beide verloren wir kein Wort, über das, was am Abend zuvor besprochen wurde. Zu groß war die Gefahr, dass Noah irgendetwas aufschnappen könnte. Der junge wusste schon zu viel und ich wusste nicht, wie er das in seiner unbekannten Welt verarbeiten würde.
„Morgen“, riss mich mein Bruder aus dem Gedanken.
Mike war dieses Mal ohne Anhang, sprich keiner sonst aus meiner Familie war bei ihm. Er ließ sich neben Levi nieder und fragte nach einem Kaffee.
„Du hast wohl keine gute Nacht hinter dir?“, fragte Levi, schlecht geschlafen?“
„Nein, ich habe gestern noch einen Krankenbesuch unternommen…, das hat mich mehr Kraft gekostet, als dieser Umbau hier!“
„Du warst bei…“, begann ich.
„Ja, ich war bei Finley, denn es ließ mir keine Ruhe“, fiel mir Mike ins Wort.
Mitleidig schaute ihn Sofia an, als sie ihm seinen Kaffee brachte. Mike bekam leicht glasige Augen.
„Er liegt einfach nur da, als würde er schlafen…“, sprach Mike leise, bevor er einen kräftigen Schluck seines Kaffee nahm.
Er starrte ins Leere.
„… ich weiß nicht mehr, was ich alles gesagt habe…, irgendwann hat mich die Nachtschwester rausgeworfen.“
„Man sagt doch immer Komapatienten hören alles, was man ihnen erzählt…“, meinte Levi.
Ich nickte zustimmend. Mike setzte sich richtig auf.
„Es hilft nichts, ich geh hinauf, die Arbeit macht sich nicht von selbst…, wann kommt Ella heim?“
„Gegen zwei wieso?“, fragte ich.
„Der Maler kommt Morgen, ich muss wissen, welche Farbe sie wo haben will.“
„Blau!“, sagte Levi und ich fast gleichzeitig und begannen zu grinsen.
„Ich habe die Farbpalette oben liegen, dann kann sie es sich selbst aussuchen“
Mike stand auf und schnappte sich seine Kaffeetasse.
„Ich bin dann mal oben!“, meinte er nur noch.
Levi erhob sich ebenfalls.
„Da werde ich mich auch hin verziehen, ich habe noch genug Arbeit.“
Er drückte mir ungeniert einen Kuss auf die Wange und verließ ebenso die Küche. Sofia grinste mich an.
*-*-*
Nach einem Gang in den Garten, ich hatte mir gestern nicht die Fortschritte angeschaut, saß ich wieder in meinem Zimmer. Während Noah auf meinem Bett lag und in einem Buch blätterte, hing ich am Computer.
Trotz der vergangenen Tage, hatte ich mein Ziel Noah dem Schreiben und Lesen näher zu bringen, nicht aufgegeben. Aber nach wie vor was es schwierig, etwas Brauchbares zu finden. Vielleicht musste ich mich wirklich an die Schule wenden, um Näheres zu erfahren.
So öffnete ich die Homepage der Schule und begann zu stöbern. Darüber hinaus hatte ich wohl die Zeit vergessen, denn plötzlich stand Levi an meiner Tür. Noah war eingeschlafen.
„Kommt jemand mit mir Ella abholen, ich muss etwas an die frische Luft.“
Ich schaute auf meine Unr und war etwas geschockt. Über eine Stunde war ich da gesessen, wohl fasziniert, was die Schule alles im Angebot hatte. Ich streckte mich.
„Du hast Recht, mir würde frische Luft auch etwas guttun.“
Ich schaute zu seinem Bruder, der sich immer noch nicht rührte.
„Wer weckt ihn?“, fragte ich und Levi fing an breit zu grinsen.
Ich hatte das Gefühl, das Robert eine gewisse Scheu gegenüber uns hatte. Auf dem Rückweg von der Schule hatte er fast kein Wort geredet. Natürlich konnte es auch naturgemäß die Schüchternheit eines sechzehn jährigen sein, auch wusste ich nicht, was Robert dachte.
Aber ich konnte mir auch gut vorstellen, dass ihn die ganze Sache mit dem Unfall und seinen Folgen sehr zugesetzt hat und er sich einfach nicht traute, etwas zu sagen.
„Bleibst du noch etwas?“, hörte ich Ella fragen.
„Ich weiß nicht recht, Mum hat geschrieben, Phillip geht es nicht sonderlich und wann ich heim komme“, war Roberts Antwort.