„Schade…, aber Phillip ist wichtiger!“
Deutlich konnte ich Ellas Enttäuschung hören. Wir hatten mittlerweile das Haus erreicht, die vier Klassenkameraden verabschiedeten sich von einander. Ich schaute Robert noch etwas nach, der hängenden Kopfes davon lief.
Gerade als ich die Haustür schließen wollte, fuhr ein Lkw unserer Firma vor. Bekam Mike noch eine Lieferung? Oliver stieg aus der Beifahrertür.
„Hallo Brüderchen, ich habe da etwas für dich!“
„Hallo Oliver… für mich?“, fragte ich verwundert.
„Eigentlich für Ella, aber ich hoffe es wird dir auch gefallen.“
Warum sollte es mir gefallen, wenn es doch für Ella war? Zwei weitere Männer waren ausgestiegen, man lief zur Heckseite des LKW und öffnete die Heckklappe. Nun doch neugierig lief ich die Haustreppe wieder hinunter und begab mich ebenso auf die Rückseite des Wagens.
Als ich in das Innere des LKWs lugte, war ich erstaunt, denn es stand nur ein Möbelstück darin, bessergesagt zwei, der Fuß und das Oberteil von Ellas Buffet. Es war fast nicht mehr wieder zu erkennen.
Die dunkle Farbe war komplett verschwunden und war für helles glasiertes Holz gewichen.
„Michael meinte, wir könnten den Schrank oben im Vorraum abstellen, da wäre Platz und würde keinen hintern.“
„Alle Achtung, ich hätte nie gedacht, was man aus dem ollen Buffet machte konnte. Da wird Ella sich sicher freuen?“
„Echt…, das ist cool!“
Warum freute sich Oliver jetzt so?
„Beide Teile kommen ganz nach oben, Michael wird euch sagen, wo ihr es abstellen könnt.“
Die zwei Helfer nickten und begannen das Unterteil abzuladen, Oliver konnte wegen dem Gips ja nicht helfen.
„Wann kommt das Ding wieder ab?“, fragte ich Oliver und zeigte auf den Gips.
„Frühestens zwei Wochen, solange muss ich ihn noch aushalten.“
Ich beobachtete die zwei Helfer, wie sie den Fuß des Buffets vorsichtig durch die Haustür trugen.
„Marcus?“, hörte ich Levi rufen.
„Ja, hier draußen!“
Er erschien in der Tür, als die Helfer drinnen waren. Er schaute den beiden nach.
„Hast du Möbel bestellt?“
Ich musste grinsen.
„Nein, das ist Ellas restauriertes Buffet.“
„Echt? Dass sieht so neu aus.“
„Dann musst du dich bei Oliver bedanken, dass ist seine Arbeit!“
„Ähm… hallo Oliver…, das sieht wirklich gut aus und dann auch noch mit Gips…“
„Etwas schwierig aber es ging, Hauptsache das Mädel freut sich.“
Ich wollte darauf etwas sagen, aber Ellas Schrei von drinnen, ließ das nicht zu.
„Ist das meiner…, das ist ja so cool, hörten wir sie rufen.“
*-*-*
„Braucht ihr noch lange?“, fragte ich in Ellas Zimmer.
Dort saßen Mike und Ella und debattierten jetzt schon fast eine Stunde über die Farben für ihr Zimmer.
„Nein, wir sind fertig!“, kam es von Ella und Mike erhob sich.
Grinsend lief er an mir vorbei.
„Was hat solange gedauert?“
„Dein Bruder macht zu viele gute Vorschläge!“, sagte Ella.
„Ich… total unschuldig“, meinte Mike und lief nach oben.
Ich folgte ihm, während er aber weiter ins Dachgeschoss lief bog ich zu Levis Büro ab. Sanft klopfte ich an den Türrahmen und Levi schaute auf.
„Hi“, meinte ich, „hast du eine Minute?“
„Für dich immer“, grinste mich mein Freund an.
„Mein Vater hat mir eine Nachricht zu kommen lassen“, erklärte ich, als ich zu ihm lief.
Levi sagte nichts, sondern gab mir erst einmal einen Kuss.
„Was möchte dein Vater von mir?“
„Ihm ist eingefallen, dass wir nicht die Klimaanlage mit einbezogen haben, mit dem Dachgeschoss könnte sie überlastet sein.“
„Hm…, da könnte er allerdings Recht haben, ich denke das alte Ding gibt eh irgendwann den Geist auf.“
Mir fiel auf, dass er, während er mit mir redete, die ganze Zeit mit seinem Kugelschreiber spielte. Den Kugelschreiber, den ich schon so oft ab ihm gesehen hatte. Ich beugte mich etwas vor.
„Darf ich fragen, was es mit dem Kugelschreiber auf sich hat? … du bist nie ohne ihn!“
Er hob das Teil in die Höhe.
„Den hier?“
Ich nickte.
„Du magst mich vielleicht für kindisch halten, aber dies ist der letzte Kugelschreiber, mit dem mein Vater seine Arbeit verrichtet hat! Für mich ist es irgendwie ein Glücksbringer, denn alles was ich Wichtiges fürs Büro mit Hand schreibe, geschieht mit diesem Kugelschreiber.“
„Wieso sollte das kindisch sein?“, lächelte ich ihn an, „es ist eine Erinnerung und vielleicht auch eine Ehrung an dein Vater!“
Leicht verklärt lächelte er zurück.
„Er fehlt mir genauso, wie Mum…Ich war oft hier gesessen und dachte wäre jetzt nur Dad hier und könnte mir weiter helfen.“
„Aber du hast es auch ohne ihn weiter geschafft.“
„Nicht ganz…, ich habe oft gedacht, wie würde er es machen und folgte diesem Beispiel.“
„… und damit bist du doch gut gefahren?“
Mittlerweile war ich neben ihm in die Hocke gegangen hatte meine Hand auf seinen Arm gelegt.
„Nicht immer… habe auch Fehler gemacht, die der Firma geschadet haben.“
„Du hast aber selbst gesagt, du musstest viel lernen, als du die Firma übernommen hast. Ist es da nicht vorprogrammiert, dass sich Fehler einschleichen?“
„Hast du auch Fehler gemacht, als du deinen Beruf erlernt hast?“
„Natürlich habe ich Fehler begannen…, spätestens wenn ein Kind da sitzt und weint, nicht mehr auf hört, hast du irgendetwas falsch gemacht, oder das Essen anbrennt, wichtige Dinge vergisst…“
Es gab viele Dinge, die mir passiert waren, aber ich habe daraus meine Lehre gezogen.
„… Fehler, die ich danach nie wieder gemacht habe. Es ist ein ewiger Lernprozess und ich denke es ist in jedem Beruf so, man lernt immer noch etwas dazu.“
Levi starrte ins Leere und nickte. Er schien über das, was ich sagte, nachzudenken. Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und erhob mich.
„Ich werde dann mal hinunter gehen und mich um die Klimaanlage kümmern. Weißt du, ob irgendwo noch Unterlagen darüber existieren?“
Levi setzte sich wieder aufrecht hin und blies Luft aus sich heraus.
„Alles über das Haus findest du im rechten Regal“, er zeigte auf dieses, „die oberen zwei Reihen, vielleicht findest du etwas.“
„Danke“, meinte ich und gab ihm einen weiteren Kuss.
*-*-*
Ich saß auf dem Boden in Levis Büro und hatte mehrere Ordner vor mir ausgebreitet. Das Problem war, dass alles bis zum Tod der Eltern fein säuberlich einsortiert war, danach war es abgeheftet worden, wie es kam.
So hatte ich begonnen es zu ordnen. Rechnungen, Reparaturen, eben alles was mit dem Haus zu tun hatte. So entstanden neue Stapel, die eben mit einem und demselben Thema zu tun hatte.
Levi saß währenddessen an seinem Schreibtisch und war in seine Arbeit vertieft. Er schrieb am Laptop, telefonierte und ließ sich von mir nicht ablenken.
„Marcus…, Levi?“, hörte ich Noahs Stimme.
„Hier oben…“, antworteten Levi und ich fast gleichzeitig.
Wenige Sekunden später stand Noah in der Tür.
„Was machst du?“, fragte er, als er die Stapel von Papieren vor mir auf dem Boden sah.
„Ich suche etwas“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Levi braucht auch Kisten!“, kicherte Noah.
Ich brauchte etwas, bis ich begriff, was Noah meinte und grinste, aber auch Levi fing an zu kichern.
„Keine Kisten, aber neue Ordner, wo man das alles abheften kann“, erwiderte ich.
„Kein Problem“, kam es von Levi, „da hinten im Eck stehen jede Menge davon.“
Ich folgte Levis Fingerzeig und sah neben der Schrankwand hinter ihm jede Menge leerer order auf dem Boden liegen.
„Müssen da auch Bilder drauf?“, fragte Noah, „damit Levi alles leichter findet?“
Normalerweise schrieb man es auf den Orderrücken, was sich darin befand, aber irgendwie fand ich die Idee nicht schlecht, Bilder darauf zu kleben. Ich schaute kurz zu Levi, aber der nickte nur.
„Ich hole meine Malsachen!“, rief Noah und rannte zum Flur hinaus.
„So kann er erzählen, er hat seinem großen Bruder im Büro geholfen“, meinte ich zu Levi.
Mein Freund schüttelte den Kopf.
„Ich kann immer noch nicht glauben, dass mein kleiner Bruder so aktiv ist…, es ist jedes Mal ein Wunder für mich, mit dem er mich überrascht.“
„Das ist doch positiv, oder? Ich hoffe nur, wir stören dich nicht zu sehr.“
„Ach wo! Noah hat hier schon oft auf dem Boden gesessen und gespielt, während ich hier am Schreibtisch gearbeitet habe.“
Noah kam zurück, mit seinen Malsachen unter dem Arm und ließ sich ebenso auf dem Boden nieder. Die nächste halbe Stunde ging damit drauf, was für Bilder gemalt werden sollten. Geldmünzen für die Rechnungen, oder ein Wasserhahn für alles was mit dem Wasser im Haus zu tun hatte.
Während Noah malte, begann ich die Ordner zu füllen und schon bald bekamen wir ein wenig Ordnung in das Papierchaos.
„Ah hier, Klima Nelson, die haben die Klimaanlage vor zehn Jahren eingebaut“, sagte ich, als ich im letzten Ordner endlich fündig geworden war.
„Klimaanlage?“, fragte Noah.
„Das Ding, das immer kalte Luft in dein Zimmer bläst“, erklärte Levi, „ob es die Firma noch gibt?“
„Da hilft nir nachschauen“, meinte ich und zückte mein Handy.
„Lass mal, ich schau am Laptop, das geht schneller“, meinte Levi, „… „Nelson and Daughter Klimaanlagen“, ob das die sind?“
„Wenn du keine anderen Treffer hier in New York hast?“
„Ich rufe da einfach an!“
„Das kann ich doch machen, du hast genug Arbeit.“
„Um ehrlich zu sein, ich habe keine Lust mehr, ich würde viel lieber euch helfen.“
Ich musste breit grinsen. Levi ordnete ein wenig sein Papiere auf dem Schreibtisch und schnappte sich dann sein Telefon. Es dauerte nicht lange und er bekam eine Verbindung.
„Levi Scott mein Name…, ich wollte fragen, ob sie nachschauen können, ob ihre Firma bei uns eine Klimaanlage eingebaut hat?“
Er wartete kurz, nannte dann die Adresse und wenig später stellte sich heraus, dass es sich wirklich um die Firma handelte, die das Ding damals eingebaut hatte. Wo das Gerät hing konnte ich nicht sagen, es war mir bisher noch nicht aufgefallen.
Levi erklärte den Grund seines Anrufs und man sicherte ihm zu, dass noch aan gleichen Abend jemand vorbei schauen würde. So war dies auch geklärt. Levi verabschiedete sich und legte auf.
Er erhob sich und gesellte sich zu uns auf dem Boden.
*-*-*
Der größte Teil der Bauarbeiter war bereits abgezogen, als es an der Haustür klingelte. Ich trocknete meine Hände ab, weil ich gerade das Abendessen richtete und lief zur Tür, die immer noch offen stand.
Eine Dame in meinem Alter fand ich dort vor.
„Sie wünschen?“, fragte ich.
„Charlotte Nelson von Klimaanlagen Nelson, ich habe eine Termin…“
„Ah Mrs. Nelson, einen Augenblick, ich rufe den Hausherrn…“, entgegnete ich und bat sie herein.
Ich machte eine einladende Handbewegung ins Haus und die Dame im feinen Zwirn folgte mir. Es blieb mir natürlich nicht verborgen, dass mein Gegenüber mich genau mustere.
„Sie entschuldigen die Unordnung, aber wie sie vielleicht mitbekommen haben, wird das Dachgeschoss ausgebaut.“
„Kein Problem.“
Ich lief zur Treppe.
„Levi? Mrs Nelson ist da“, rief ich.
Es dauerte etwas, bis der Herr des Hauses herunter kam, währenddessen hatte ich die junge Frau in unser Wohnzimmer gebeten.
Als sie am Tisch Platz nahm, kam Levi die Treppe herunter gelaufen. Was mir auffiel, er trug wie ich ungewohnt Schuhe. So hoch war die Gefahr sich im Treppenhaus zu verletzten. Man begrüßte sich und setzte sich wieder an den Esstisch.
„Bevor wir beginnen Mr. Scott, können wir bitte noch ihre daten abgleichen?“
„Kein Problem“, antwortete Levi.
„Ein Wasser, oder einen Kaffee?“, fragte nun ich.
Irritiert schaute die Dame mich an.
„Äh… ein Wasser, wenn es keine Umstände macht.“
So machte ich mich auf den Weg in die Küche. Levi wollte ich ein Kaffee bringen, ich wusste wie gerne er ihn trank. Als ich zurück kam, war mein Boss am erklären.
„… das sind meine verstorbenen Eltern, ich bewohne das Haus mit meinen jüngeren Geschwistern… und da wäre noch…“
Mike kam die Treppe herunter und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich Sein Tagespensum schien sein Pensum er für heute erledigt zu haben.
„Oben ist alles aus… ich fahr dann nach Hause, …oh ihr habt Besuch?“
Er war gerade an der Stelle, wo man ins Wohnzimmer blicken konnte.
„Charlotte, bist du das?“
„Du kennst sie?“, fragte ich verwundert.
„Ja!“, meinte Mike und lief an mir vorbei ins Wohnzimmer.
„Michael?“, hörte ich Mrs. Nelson sagen und ich folgte meinem Bruder.
Die beiden umarmten sich gerade, während ich den Raum betrat. Levi saß immer noch und schaute verwirrt zwischen den beiden hin und her.