Ich weiß nicht, wie lange wir nun schon im Dunkeln herumstampften. Ich hatte mittlerweile Gerrit im Arm, der wie Espenlaub zitterte.
„Warum war ich nur so blöd…“, wimmerte er.
„Du bist nicht blöd, für das Wetter kann niemand etwas.“
Es hatte auch noch angefangen zu regnen. Jeder Tropfen in meinem Gesicht fühlte sich eiskalt an. Ich wusste nicht, welche Richtung wir laufen mussten, denn hier kannte ich mich noch nicht aus.
Plötzlich hörte ich etwas.
„Da kommt jemand“, flüsterte Gerrit leise neben mir und drückte sich noch mehr an mich.
Es stimmte, da rief jemand.
„Geeeeeeeeerrit… Jeeeeeeeeeens…“
„He, sie haben uns gefunden“, versuchte ich Gerrit aufzumuntern, als ich Tillys Stimme erkannte.
„Wir sind hier“, rief ich laut.
„Jens?“, hörte ich Tillys Stimme wieder.
„Ja… hier.“
Schwach konnte ich den Schein vierer Lichter sehen.
„Rede weiter Jens, so finden wir euch nicht“, rief Tilly.
„Ich sehe eure Lichter, ihr seid nicht mehr weit vor uns.“
„Vor uns…?, sagte Tilly, „… halt… bleibt stehen… ihr lauft direkt ins Wasser. Wir stehen hier am Seeufer auf einem Vorsprung.“
Ruckartig blieben wir stehen.
„Sag etwas Jens.“
„Wir sind stehen geblieben, sehen aber eure Taschenlampen, schwach aber wir sehen sie.“
Der Lichterschein wanderte erst nach rechts und kam dann näher.
„Jens… Gerrit?“, fragte Tilly wieder.
„Ihr kommt direkt auf uns zu“, rief ich zurück.
Plötzlich konnte man bei den Lichtern schwach Konturen von Personen erkennen.
„Da seid ihr ja, man haben wir uns Sorgen gemacht“, konnte ich Fines Stimme erkennen.
„Das ist alles meine Schuld…“, jammerte Gerrit, der sich immer noch in meinen Arm befand.
„Wie habt ihr uns gefunden… haben doch niemand gesagt, dass wir spazieren gehen“, fragte ich.
Mittlerweile waren alle bei uns angekommen und Dank der Taschenlampen konnte ich nun auch sehen wer uns gesucht hatte. Tilly, Fine und Nadine. Ein Junge den ich noch nicht kannte, nur vom sehen her, stand hinter den dreien.
„Ich wollte deinen Tagebucheintrag lesen, und als ich nichts fand, war ich bei dir und fand nur deine und Gerrits Katze vor. Jonas erzählte uns dann, dass ihr zwei spazieren gegangen seid. Hat gesehen, wie ihr zum See gelaufen seid“, erklärte Tilly.
„Ist alles in Ordnung mit euch?“, fragte Fine.
„Gerrit ist vorhin gestürzt…“, erzählte ich.
„Man Gerrit, du siehst im Dunkeln eh so schlecht, warum bist du dann mit spazieren gegangen?“, fragte Nadine.
„Das war meine Idee…“, sagte Gerrit leise.
„Ist doch egal jetzt, Hauptsache wir haben sie gefunden“, meinte der Junge.
„Da hast du Recht Christian, lass uns lieber zurück gehen, es ist Schnee gemeldet heut Nacht und langsam wird mir auch kalt“, sagte Fine.
Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zurück. Das Verrückte war, dass wir nicht einmal Dreihundert Meter vom Grundstück entfernt waren. Am Haus angekommen, erwarteten uns schon Direx Sönker und Jonas.
Eigentlich war ich jetzt drauf gefasst mit Gerrit zusammen einen Anschiss zu bekommen, aber ich wurde eines Besseren belehrt.
„Gut, dass ihr sie gefunden habt, schnell rein mit ihnen, sie sind sicher durchgefroren“, hörte ich Sönker sagen.
„Ich habe schon heißen Tee in der Küche geordert“, warf Jonas ein.
„Gut, dann ab mit euch unter die Dusche, auch ihr anderen… ich glaube es gibt bald richtigen Schnee… die Luft riecht jedenfalls so.“
Jetzt wo der Direx es erwähnte, schnupperte ich auch und er hatte Recht. Früher wäre mir so etwas nie aufgefallen, aber hier umgeben von der Natur, konnte ich es ebenfalls riechen.
*-*-*
Herrchen hat Nerven, schmeißt seine Klamotten hier einfach auf den Boden. Was soll mein Besuch denken. Clifferton zeigte jedenfalls keine Regung, sondern amüsierte sich anscheinend auch noch.
~Kommt endlich etwas Leben in die Bude~, meinte Clifferton.
~Wieso? Ist es hier sonst langweilig?~
~Kann ich eigentlich nicht behaupten, aber so etwas wie heute Abend haben wir nicht alle Tage.~
~Ich bin auf alle Fälle froh, dass mein Herrchen wieder da ist.~
~Glaube ich dir gerne, aber ich werde mich jetzt aufmachen und nach Gerrit schauen, dem geht es bestimmt nicht besser wie deinem Herrchen.~
*-*-*
Später saßen wir im kleinen Aufenthaltsraum im Südflügel des Internats. Alle waren frisch geduscht und jeder eine dampfende Tasse Tee in der Hand. Gerrit sah immer noch um die Nase etwas blass aus.
Dick eingehüllt in einer Decke, starrte er auf seine Tasse.
„Das war wohl kein glanzvoller Auftritt, den ich heute Abend hingelegt habe“, meinte er beschämt.
„Ach Quatsch, Gerrit“, kam es von Fine.
„Stimmt, du bist praktisch im Dunkeln blind und es hätte auch viel schlimmer ausgehen können“, setzte Nadine nach.
„Du Gerrit, mag sein, dass du mich für besonders stark hältst, aber das bin ich nicht, ich hatte genauso Angst da draußen“, fügte ich an.
Das schien Gerrit aber im Geringsten aufzumuntern. Völlig geknickt saß er in unserer Runde.
„Leute, etwas anderes. Wir haben jetzt Ende November und bald steht die Weihnachtsfeier an. Hat schon einer einen Plan, was wir dieses Jahr machen?“, fragte Fine.
„Ich wäre dafür, dass uns Jens ein Weihnachtsmenu zaubert“, kam es von Nadine.
„Bist du verrückt? Für ein paar Duzend Schüler? Wie soll ich das fertig bringen?“, wehrte ich mich.
„Kein Problem, es findet sich sicher jemand, der dir dabei hilft. Du hast die Presse zur Seite und somit gibt es einen Aufruf zur Mithilfe.“
„Das find ich eine coole Idee, deinen ersten Helfer hast du schon“, merkte dieser Christian an.
Ich schaute zu ihm hinüber.
„Oh… bevor ich es vergesse, bin der Christian… haben ein paar Stunden miteinander und ab morgen auch kochen“, stellte er sich vor, als hätte er meine Gedanken gelesen.
„Öhm… Jens, aber das weißt du schon.“
Ich spürte mindestens die Blicke von Fine und Tilly auf mir, die immer wieder zwischen mir und Christian hin und her wechselten. Wie von Zauberhand hatte Fine plötzlich einen Block in der Hand und begann zu schreiben.
„Weißt du schon in groben Zügen, was man zu Essen machen könnte?“
„Nicht die Bohne…“, antwortete ich.
„Also keine Bohnen“, sagte Fine schreibend, was bei den anderen zu einem Heiterkeitsausbruch führte. Sogar Gerrit lachte jetzt.
„Ich weiß es wirklich nicht… weiß nicht was gerne so gegessen wird und so, was es sonst immer gab.“
„Ich kann dir den Ablauf in den vergangenen Jahren schildern. Die große Aula wurde geschmückt, Tische gestellt und alles schön dekoriert. Bei Frau Kirschen gab es dann immer eine Suppe, einen Hauptgang und ein tolles Dessert“, erklärte mir Fine.
„Drei Gänge, dass dürfte kein Problem sein etwas zu finden. Wird aber Frau Kirschen nicht eingeschnappt sein, wenn ich dass Essen übernehmen würde?“
„Glaube ich kaum, denn auch sie ist froh um jeden freien Abend und jemand, der ihr die Arbeit abnimmt“, antworte Fine.
Ich dachte kurz nach.
„Okay“, meinte ich, „ich mache es, aber ihr müsst mir bei der Menuauswahl helfen.“
„Das wird sicher kein Problem sein“, sagte Tilly, „und ich kümmere mich mit Jonas wieder um die Getränke.“
„Hast du ihn schon gefragt, oder bestimmst du jetzt einfach?“, fragte Fine.
„Jonas kann mir nichts abschlagen, der hilft sicher gerne.“
„Okay, wenn du meinst.“
Fine schrieb weder etwas auf den Block.
„Das Essen wäre dann soweit geregelt, aber was ist mit dem Programm?“, fragte sie nach.
„Wenn Henning und Lars wieder ihre Lehrerparodie bringen würden, fände ich Klasse“, meinte Christian.
„Das hatten wir doch schon letztes Jahr“, sprach Tilly.
„Nein, ich meine, es ist ja vieles passiert dieses Jahr, also etwas Neues dann“, verteidigte sich Christian.
„Fragst du sie?“, wollte Fine wissen.
„Kann ich machen“, nickte Christian.
„Den Musikclub könnte man auch fragen, ob er wieder etwas Musikalisches beisteuert und wie vorhin erwähnt, werde ich wieder einen Aufruf starteten… am besten gleich Morgen“, sagte Nadine.
„Gut, dann kann ich das auch abhaken. Eine Frage brennt mir noch unter den Nägeln.“
„Ich ahne schon was liebste Josefine, aber meine Antwort ist auch dieses Jahr nein!“
Ich wunderte mich plötzlich über den Ton von Tilly, so kannte ich ihn gar nicht.
„Um was geht es denn?“, fragte ich.
„Ob wir dieses Jahr die Lehrer einladen oder nicht…“, antwortete Fine.
„Habt ihr das noch nie?“
„Nein und ich finde es soll so bleiben. Die geben hier nur Unterricht und verschwinden dann wieder. Am Leben im Internat selbst, nehmen sie ja nicht Teil.“
„Ich kann das nicht beurteilen… bin ja neu hier.“
„Und was meint ihr anderen dazu?“, fragte Fine.
„Ich schließe mich Tilly an“, sagte Christian.
„Ich ebenfalls“, meinte Gerrit, der bisher stumm neben mir gegessen hatte.
„Okay, dann ist der Rohentwurf fertig. Ich selbst werde mich um die Einladungen kümmern. Wenn ihr nichts dagegen habt, können wir am Wochenende noch weiter reden, aber ich für meinen Teil bin müde und möchte auf mein Zimmer.“
Fine hatte Recht, auch ich merkte jetzt durch den entspannenden Tee, wie meine Glieder schwerer wurden und ich mir ein Bett wünschte.
„Okay, dann morgen wir beim Frühstück?“, fragte Tilly.
Alle nickten ihm zu und so wurde die Runde aufgelöst. Ich stellte meine Tasse auf das Tablett und mein Blick fiel auf Gerrit.
„Soll ich dich noch auf dein Zimmer begleiten?“, fragte ich ihn.
„Nein, geht schon und ich werde sich auch schnell einschlafen. Aber danke!“
„Nicht zu danken.“
So verabschiedeten wir uns alle und jeder ging Richtung seines Zimmers. Auf der Treppe nach oben, kam mir Kai entgegen. Ich beschloss ich zu übersehen. Als wir an der Treppe ungefähr die gleiche Höhe erreicht hatten, blieb Kai plötzlich stehen.
Es blieb mir nichts anders übrig, als ebenfalls stehen zu bleiben.
„Kannst du mir sagen, was du für Probleme mit mir hast?“, fuhr er mich plötzlich an.
Ich mit ihm?