Boycamp IV – Teil 22

Er verzog den Mund zu einem breiten Grinsen.

„Du musst immer mit Wundern rechnen, Jonas. Ich mag ihn auch. Irgendwie halt.“

„Tatsächlich?“

„Er hat mir ja nichts getan, außerdem kann niemand behaupten, er wäre nicht hübsch. Und mit Siebzehn ein Weltstar zu sein – das hat vor ihm wohl auch noch niemand geschafft. Das was du als Hass bezeichnest, ist weiter nichts als purer Neid. Ganz viele Schwule wünschen ja auch, dass er sich irgendwann doch einmal als Ihresgleichen outet.“

Nico lächelte.

„Übrigens weiß ich jetzt, an wen du mich dauernd erinnerst.“

„An wen?“

„Na, an ihn.“

Jonas wurde leicht rot.

„Der ist doch aber viel hübscher als ich.“

„Mag sein, aber außer dass du größer bist, kommt es schon recht nahe hin.“

Jonas schüttelte den Kopf.

„Tja, wenigstens hat der nie wieder Probleme mit dem Geld. Er kann es nicht mal ausgeben, wenn er ab heute gar nichts mehr macht oder auf der Bühne ins Volk rufen würde, dass er schwul ist.“

„Du weißt aber schon, dass Geld nicht alles ist? Angenommen er führt tatsächlich ein Doppelleben – wolltest du dann mit ihm tauschen?“

„Bei dem Geld vielleicht schon, keine Ahnung. Denn keins zu haben, ist denk ich schlimmer. Wusstest du übrigens, dass es in Amerika Brauch ist, sich unter einem im Türbogen befestigten Mistelzweig zu küssen?“

„Ja, Jonas, ist bekannt. Dieser Brauch ist ja auch hierzulande längst angekommen.“

„Übrigens, ich habe Neuigkeiten. Ich hatte ein sehr langes Gespräch mit Herrn Haber.“

Nico wurde neugierig.

„Und? Was ist dabei heraus gekommen?“

„Es fällt mir nicht leicht, aber nachdem er mit meiner Tante gesprochen hatte scheint es wohl das Beste zu sein, wenn ich zu ihr ziehe. Wenn alles klappt, kann ich dort in der Stadt auch wieder eine Lehre anfangen.“

Nico fiel Jonas‘ Tante ein, bei der er immer seine Ferien verbringen musste.

„Das ist doch ein schöne Nachricht.“

Jonas zog die Schultern hoch.

„So gesehen, ja. Aber ich muss mich an den Gedanken erst gewöhnen.“

„Hat sie denn eine gute Beziehung zu deinen Eltern?“

„Damals schon, ob das heute noch ist, weiß ich nicht. Aber die wohnt so weit vom Schuss, ich fürchte nicht, dass ich meinen Eltern begegnen muss.“

Nico hatte das Bedürfnis, Jonas tröstend durch die Haare zu fahren und er tat es auch.

„Das wird schon, wirst sehen. Und du kennst doch den Leitspruch des kleinen Sängers?“

Jonas lachte.

„Klar. Sag niemals nie.“

Später in seinem Zimmer grübelte er über ihr Gespräch nach. Er freute sich über Jonas‘ Entscheidung. Es war wie meistens ein Kompromiss, aber es ging weiter. Und es war ein Erfolg.

Beim Abendessen brachte Leo dann eine interessante Beobachtung zur Sprache.

„Also ich hab ja letztens genau zwanzig Brathähnchen eingekauft. Frisch geschlachtet und direkt aus Tante Emmis Laden. Es ist mir schleierhaft, wieso nun zwei davon fehlen. Beim einladen kann es nicht passiert sein, also müssen die Händerl hier im Haus irgendwie verschwunden sein.“

Stein grübelte ernsthaft nach, auch wenn das nun kein Weltuntergang war.

„Hm, roh kann man die ja nicht essen. Auf Vorrat muss hier auch niemand achten, also Mundraub kommt für mich nicht in Frage. Deswegen werde ich die Jungen dazu auch nicht befragen. Zumal man damit ja nun wirklich nichts mit anfangen kann.“

„Schon Falk, aber ich bin sicher, dass die nicht mehr fliegen oder laufen konnten. In Luft auflösen ist auch unwahrscheinlich. Ich hab alles abgesucht, Holzmann ist sogar auf allen Vieren durch die Küche.“

Stein musste darüber dann doch lachen.

„Kommen wir mit dem Rest wenigstes hin?“

„Klar, kein Problem. Aber mir lässt das einfach keine Ruhe. Zumal von all den anderen Sachen nichts fehlt, laut Holzmann wenigstens nicht.“

Die Sache blieb mysteriös, es gab einfach keine schlüssige Erklärung.

Am Tag vor Heilig Abend machte die Gruppe noch eine kleine Wanderung. Nico hatte die Ehre, alleine mit den Jungs und Rick loszuziehen und so konnte er deutlich wahrnehmen, dass sich die Jungs anders verhielten als sonst.

Er führte das auf die kommende Zeit zurück. Trotz allem hatte jeder der Jungen eine Vergangenheit, eine Kindheit. Da spielte auch für sie Weihnachten eine besondere Rolle, egal ob man es nun mochte oder nicht. Leo hatte ja angeregt, dass er sie an heilig Abend mitnehmen wolle, in die Kirche, aber Falk lehnte das aufgrund der Vorkommnisse ab.

„Es dämpft die Stimmung der Leute da unten“, hatte er argumentiert und Leo sah das dann auch ein.

Nico lief diesmal mitten in der Gruppe und ihm entging nicht, dass sich Jonas in letzter Zeit auffällig unauffällig in Marcos Nähe aufhielt. Es störte ihn nicht, zumal sich die beiden sehr gut zu verstehen schienen.

Es gab zudem keinen Grund, eifersüchtig zu sein. Selbst die gewagte Annahme, die beiden könnten etwas miteinander anfangen, brachte ihn nicht aus der Ruhe. Er hatte kein Anrecht auf Marco. Sollte er sich zu Jonas hingezogen fühlen, dann war das nicht zu ändern; es stand ihm nicht zu, Ansprüche geltend zu machen. Egal wäre es ihm einerseits nicht, das stand außer Frage, andererseits würde es die Situation entschärfen.

Wie nebenbei erfuhr er, dass Ruben und Sascha eine Aussicht auf einen Arbeitsplatz bekommen hatten.

„Der Haber hat sich echt Mühe gemacht. Er konnte das alles über das Telefon und Email abklären“, erzählte Sascha.

„Dann seid ihr beim selben Arbeitgeber?“

Ruben nickte.

„Eine neue Firma, die stellen Messgeräte her. Und wir werden wohl auch bei denen unterkommen. Zumindest am Anfang.“

Sascha grinste.

„Mir kommt es so vor, als wäre Haber diese Firma nicht fremd. Jedenfalls hat er uns erst heute früh kurz darüber berichtet. Ich glaube du bist der erste, der es erfährt.“

„Nun ja, wie auch immer. Wenn er euch damit hat helfen können, ist das doch okay. Freut mich für euch.“ Nico überkam ein angenehmes Gefühl und er klopfte beiden Jungen auf die Schulter.

Sascha blieb plötzlich mit Blick auf den Weg stehen.

„Nico, schau mal. Was da bloß los war? Lauter Hundespuren, ganz durcheinander.“

Nico kniete sich hin. Er brauchte nur einen Moment, um sich ein Bild zu machen. Die eine Hundespur war kleiner als die andere und da es keine anderen, menschliche Fußspuren gab, konnte er sich das zunächst nicht erklären. Rick schnüffelte aufgeregt hin und her.

„War das da dein großer Freund?“, fragte er Rick und deutete auf eine der größeren Spuren.

Der Rüde schnüffelte darin herum, schwänzelte aber nur.

Nico spürte förmlich, dass diese Spuren von dem Einzelgänger stammten. Von jenem Wolf, der aus der Tschechei gekommen war und nun hier nach Beute suchte. Er stand auf und stellte fest, dass der Wolf keine hundert Meter vom Camp entfernt hier entlang gekommen war.

„Rick, was ist los? Was treibt denn der da eigentlich?“

Der Hund bellte und gebärdete sich merkwürdig.

Nun standen die Jungen um Nico herum und betrachteten die Spuren, die sie schon einmal gesehen hatten.

„Kann es sein, dass Rick und der.. Wolf hier zusammen waren?“, wollte Ruben dann wissen.

„Glaube ich nicht, das gäbe ganz sicher Zoff. Obwohl, die Spuren sind beide zur gleichen Zeit entstanden. Zumindest sieht das so aus.“

Die kleine Wanderung verlief dann etwas gehemmter. Immer wieder beobachteten die Jungen den Wald oder drehten sich um. Nico ließ sie, diese Art von Furcht war normal und da half auch nichts, sie davon überzeugen zu wollen, dass von dem Tier keine Gefahr ausging. Allerdings bemerkte er selbst, dass er die Umgebung genauer im Auge behielt.

Am Ende konnte man nicht wirklich wissen, ob der Einzelgänger vielleicht doch auf dumme Gedanken kam. Nur Rick schien das am wenigsten zu beschäftigen. Er war wie immer mal vorn, mal hinten, mal nirgends. Ihm vertraute Nico schließlich.

Dass es an diesem Abend Kartoffelsuppe mit Würstchen gab, störte niemand. Jeder ahnte, dass der Koch schon seit Tagen in seinem Reich dabei war, sich auf die Feiertage vorzubereiten.

„Ich hab dem Dieb eine Falle gestellt“, sagte Leo beim Essen fast nebenbei.

„Ein Hühnchen liegt schön präsent in der Küche.“

„Und wie willst du ihn stellen?“, wollte Rainer wissen.

„Ich habe das Huhn mit Sepia präpariert. Das heißt, Holzmann kam auf die Idee.“

„Sepia?“

„Ja, das ist der Farbstoff, den Tintenfische benutzen, um ihre Feinde abzuschrecken. Das Zeugs wird auch als Lebensmittelfarbe verwendet. Also selbst wenn das Huhn nicht geklaut wird, kann man es später noch essen.“

Er Grinste schelmisch.

„Wer, sei erst mal dahingestellt.. In konzentrierter Form ist Sepia fast wie Tinte, es gibt immer Spuren davon. Man kriegt das fast nirgends wieder raus.“

„Na dann, Weidmannsheil“, rief Stein und hob sein Glas.

„Auf den Erfolg.“

Nico saß später in seinem Zimmer und surfte durchs Internet, aber bei der Sache war er nicht. Obwohl es keinen Anlass gab, sah er ständig Marco und Jonas vor sich, wie sie sich unterhielten.

Es gab keinen Zweifel, dass sie sich mochten und gut zusammenpassen taten sie auch. Er würde sich nicht einmischen. Verwirrt war er natürlich schon, vor allem auch, weil Marco eindeutige Anmerkungen gemacht hatte.

Aber vielleicht war er des Wartens satt. Hatte keine Lust mehr, auf irgendeine Gelegenheit zu lauern. Wie war das noch mit der Liebe? Und dann musste er lächeln. Bist du besser als er? Was macht er denn anders als du?

War deine Prämisse nicht: „ausprobiert, für gut befunden, abgehakt?“

Die Alarmstufe knarrte und kurz darauf bot sich ein bekanntes Bild.

„Marco. Komm rein.“ Manchmal fürchtete sich Nico vor seinen Ahnungen.

„Hi Nico. Ich weiß, ich sollte nicht hier hoch, aber.. ich muss mit dir reden.“

„Komm, setzt dich. Um was geht es denn?“

Marco setzte sich auf den Stuhl und sah hinüber zu Nico auf das Bett.

„Es ist nicht einfach.. Wahrscheinlich ist dir aufgefallen, dass ich Abstand zu dir halte. Und viel mit dem Jonas zusammenhänge.“

„Ja, schon, aber das ist doch nichts besonderes. Ich freue mich, wenn es hier keine Einzelgänger gibt.“

„Es ist nur.. nicht dass du denkst, Jonas und ich..“

„Ich denke gar nichts, Marco. Ich habe mir natürlich so meine Gedanken gemacht, aber schau, Jonas ist ein lieber Kerl, warum solltest du dich ihm nicht anschließen? Und unter uns – wenn es denn etwas gäbe zwischen euch, dann könnte ich es auch nicht ändern.“

Marco wehrte ab.

„Das ist es ja, was ich dir sagen will. Da ist nichts. Wir verstehen uns sehr gut, sonst nichts.“

Marco stand auf, ging an Nico Bett und kniete sich vor ihn. Er streckte eine Hand aus und fuhr Nico mit seinen Fingern übers Gesicht.

„Es gibt außer dir keinen anderen für mich. Ich möchte, dass du das weißt.“

Nico lächelte und fuhr ihm durch die Haare.

„Du bist so lieb.“

Ohne ein weiteres Wort verließ Marco das Zimmer. Aus der Luke heraus warf er ihm noch einen Luftkuss zu und verschwand.

Nico blies hörbar die Luft aus. Nichts, gar nichts von dem was er insgeheim befürchtet hatte, war eingetreten.

Am nächsten Morgen stand Nico früh auf. Heilig Abend, ein sicher denkwürdiger Tag für die Jungs. Leo hatte den Vorschlag gemacht, ihnen Geldgeschenke zu machen, dann konnten sie sich etwas leisten, was ihnen sonst nicht möglich war.

Antonia Berger und der Professor stimmten ohne Bedenken zu und zapften die Spendengelder an. So kam ein unerwartetes Sümmchen zusammen. Pünktlich war das Geld überwiesen und Leo ganz stolz auf seine Idee.

Nach dem duschen ging Nico nach unten, wo noch alles still war. Es war erst acht Uhr und Frühstück an dem Tag für Neun Uhr angesagt. Er trat unter die Tür vorm Haus, noch war es dunkel und nur vage konnte er erkennen, dass die Sterne verschwunden waren.

Der Schnee würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Als er einen Schritt hinaus tat, flutete das Licht des Scheinwerfers den Vorplatz. Das erste, was Nico auffiel, waren seltsame Flecken im Schnee.

Sie führten vom Haus weg, direkt gegenüber in den Wald. Er kniete sich hin und dann musste er grinsen. Die Flecken waren immer genau zwischen Ricks Pfotenabdrücken. Der Hühnerdieb war also enttarnt.

Leo hatte, nachdem die Dorfbande dingfest gemacht worden war, die Webcam abgeschaltet, nur die Scheinwerfer alleine würden reichen, meinte er. Sonst wäre man dem Hund gleich auf die Spur gekommen.

Doch was zum Teufel wollte Rick mit einem Hähnchen im Wald? Hunger konnte es nicht sein, er bekam reichlich Futter.

„Leo, Moin, prima, dass du grad kommst“, begrüßte er ihn und zeigte sogleich in den Schnee. „Dein Plan ist aufgegangen. Rick hat die Hähnchen gestohlen.“

Leo runzelte die Stirn.

„Was? Wieso tut der so was? Kriegt doch genug von mir jeden Tag.“

„Tja, da musst du ihn schon selber fragen, wenn er denn mal wieder da ist.“

Rick und die Hähnchen waren dann auch Thema beim Frühstück. Nico saß so am Tisch, dass er die Jungs überblicken konnte und er stellte fest, dass Marco und Jonas nicht beisammen saßen.

Aber er wunderte sich nicht, Marco hatte keinen Grund gehabt, ihm etwas vorzumachen. Die Zeit bis zum Mittag verbrachten die Jungen mit dem beziehen ihrer Bettwäsche und dem reinigen ihrer Zimmer.

Aus Jonas‘ Zimmer dudelte wieder jenes Weihnachtslied, wenn es nicht gerade vom Brummen des Staubsaugers in irgendeinem Zimmer übertönt wurde und die Jungen waren ausnahmslos gut gelaunt.

Sie halfen sich gegenseitig wenn es nötig war und Nico vermied es, sie bei ihrem eifrigen Tun zu behelligen. Er ging in den Gemeinschaftsraum, setzte sich auf einen Stuhl und betrachtete den Christbaum. Friedlich. Ja, friedlich war es hier auf einmal.

Und es sah so aus, als könnte diesen Frieden niemand stören. Er hörte, wie sich jemand leise neben ihn setzte.

„Schön haben sie den gemacht.“

„Ja, Falk. Es ist.. diesmal so anders.“

Stein ging zu dem Baum und schaltete die Kerzen ein. Sofort tauchten sie den Raum in ein warmes, heimeliges Licht.

„Nico, es wird immer anders sein. Ob hier oder anderswo. Oft glaubt man, wenn man bestimmte Orte aufsucht, die man schätzt oder sogar liebt, dass es dort immer so sein würde wie am ersten Tag. Dann kommt man hin und stellt fest, dass das einzige, was sich niemals ändern wird, die Erinnerung ist. Der Christbaum dort ist nichts anderes. Sicher, er ist das Hier und Jetzt, aber er wird immer auch ins Gedächtnis rufen, was wir in seinem Licht alles erlebt haben.“

Nico war im Grunde kein sehr sensibler Mensch, doch jetzt drückten ihm Falks Worte auf die Kehle. Plötzlich öffnete sich die Küchentür und schon stand Holzmann im Raum. Er stemmte die Fäuste in die Hüften und betrachtete den geschmückten Baum.

„Ich hab ja hier schon so manche Weihnachten gefeiert, aber so einen Baum gab’s bisher nicht.“

„Aber der ganze Schmuck ist doch von hier“, erinnerte ihn Nico.

„Klar, schon. Aber einen Baum so zu arrangieren wie den hier, das konnte bisher keiner. Echt schön.“

Dann holte er Luft.

„So, Herrschaften, ich bitte den Raum zu verlassen und nicht vor Neunzehn Uhr zu betreten. Fragt nicht, es hat alles einen Grund.“

„Komm, Nico, wir sind hier unerwünscht. Kommst du mit nach draußen? Leo hat mich gebeten, einen Blick ins Heizwerk zu werfen.“

Stein öffnete die Tür zum Heizwerk, aber schon beim betreten klang das brummen des Brenners und der Pumpen vertraut.

„Da ist alles okay. Ich glaube es wird Zeit für ein Schlückchen vorm Essen, was meinst du?“

Nico lachte. „Warum soll ich das abschlagen?“

Als Stein die Tür abschloss, zupfte ihn Nico am Ärmel.

„Pscht. Schau mal da“, flüsterte er und zeigte zu den Bäumen am Waldrand gegenüber.

Erhellt durch den Scheinwerfer war gerade noch zu sehen, wie Rick mit irgendetwas im Maul eilig im Wald verschwand.

Stein hob die Augenbrauen.

„Kann mir ein Mensch erzählen, was der Hund da treibt?“

„Also ich kann’s nicht. Was er bloß weggetragen hat?“

„Wenn ich das wüsste. Wir sollten der Sache bei Gelegenheit doch mal auf den Grund gehen.“

Im Haus zurück, ging Stein wie von einer Intention geleitet, geradewegs in die Küche. Er wusste, dass das Holzmann nicht recht war, aber dem stellte er sich.

„War gerade Rick hier in der Küche?“

Holzmann sah in der Tat nicht sehr freundlich von seinen Töpfen und Pfannen hoch, Schweißperlen standen auf der Stirn und er schien mitten in seiner Arbeit zu stecken.

„Sollte er da gewesen sein, habe ich ihn nicht gesehen. Warum?“

„Schauen Sie mal nach, ob etwas fehlt. Wenn Sie Zeit haben.“

Mehr sagte Stein nicht, dann ging er mit Nico auf sein Zimmer. Er holte die obligatorischen Gläser und eine Flasche Wein aus dem Schrank. Er schenkte ein und Hob das Glas.

„Nico, an der Stelle.. Fröhliche Weihnachten.“

„Fröhliche Weihnachten, Falk.“

Lange sagten sie dann nichts. Nico versuchte, die allgegenwärtige Ruhe, die Dinge, die hinter ihm lagen, auf sich wirken zu lassen. Er fühlte sich sehr wohl, wie lange nicht mehr. Obwohl es kaum einen Grund gab, stand er immer unter einer gewissen Spannung.

Sie schien jetzt von ihm abzufallen und er genoss diesen Zustand. Er lehnte sich gemütlich zurück.

„So könnte es mal eine Weile bleiben. Ich hätte nichts dagegen.“

„Ich stimme dir zu, Nico. Wie wäre es, wenn wir einfach versuchen, diese Ruhe zu bewahren? Auch wenn es mal wieder brenzlig wird?“

„Schön wäre das. Aber du weißt ja, es wird nichts so bleiben.“

Er sah auf die Uhr.

„Wir sollten mal schauen, wie weit die Jungs sind. Holzmann setzt uns vor die Tür, wenn wir heute nicht pünktlich erscheinen.“

Stein lachte. „Seh ich auch so. Denn mal los.“

Alle Zimmer waren leer, bis auf das von Maik. Dort hatten sich alle Jungen breit gemacht, vornehmlich lagen sie im Kreis auf dem Bauch, in der Mitte Monopoly. Sie bemerkten Stein und Nico nicht, worauf sich die beiden wieder in den Flur zurückzogen.

„Sag mal, so eine Gemeinschaft gab es bisher ja auch nicht“, sagte Nico leise.

„Ich kann’s auch nicht wirklich erklären. Aber vermutlich liegt es am Umstand, dass sie hier doch recht eng aufeinander sitzen. Das führt zwar eher mal zu Reibereien, aber diese Truppe da hat damit scheinbar keine Probleme.“

Dann ertönte des Kochs Stimme, keine Maus im Haus hätte es überhören können. Beinahe wurden Nico und Stein dann von den Jungen überrannt. Die beide warteten, bis Leo und Rainer herunterkamen, kurz darauf erschienen auch Doktor Schnell und Haber.

Gemeinsam gingen sie zum Gemeinschaftsraum und blieben unter der Tür stehen. Neben dem Baum als Lichtquelle standen Kerzenleuchter auf den festlich gedeckten Tischen und verbreiteten ein warmes, wohltuendes Licht.

Zum ersten Mal brannte nun auch das Kaminfeuer und schickte eine angenehme Wärme in den Raum. Es roch nach Holz und Harz und außer einem gelegentlichen Knistern des brennenden Holzes war nur das leise Tuscheln der Jungen untereinander zu hören…

„Man traut sich ja gar nicht rein“, flüsterte Leo.

„Na ja, das gibt dann aber Ärger. Los, rein jetzt“, grinste Stein und sie betraten den Raum.

Holzmann hatte seine Kochschürze mit einem Anzug getauscht, nun sah er aus wie der Ober eines eleganten Restaurants. Er ging zu den Männern hin.

„Bitte Platz nehmen, im Stehen wird hier nichts serviert und gegessen“, sagte er und deutete zu dem großen Tisch.

„Übrigens möchte ich Melanie entschuldigen, sie ist heute Mittag zu ihrer Mutter gefahren. Wie jede Weihnachten.“

Er sagte das in einem eher traurigen Ton. Damit erklärten sich auch die Familienverhältnisse des Kochs. Nicos Blick zu Ruben sagte ihm, dass er nicht überrascht war.

„Rick sollte aber auch hier sein“, bemerkte Nico und ging zur Haustüre.

Tatsächlich kam der Rüde auf Zuruf aus seiner Hütte und nahm dann unter dem Tisch Platz.

Leo grinste.

„Eine schwarze Schnauze hat er. Steht ihm irgendwie nicht sonderlich.“

„Hat man für ihn ein Geschenk? Ich meine, er hat es sich ja wirklich verdient“, fragte Nico.

„Pscht“, machte Leo, hielt sich den Zeigefinger an den Mund und zwinkerte.

„Feind hört mit. Er kommt schon nicht zu kurz. Und außerdem – zwei Brathänderl hat er ja schon bekommen.“

„Fehlt noch einer“, sagte Stein daraufhin, „ich habe noch den Hausmeister eingeladen. Der kann morgen nicht und heute hätte er zu Hause gesessen.“

Kaum hatte er es ausgesprochen, kam Eidamer zur Tür herein. Sichtlich gestresst und etwas kurzatmig setzte er sich auf einen freien Stuhl und schüttelte den Kopf.

„Man sollte einplanen, dass an solchen Tagen immer die Heizungen krepieren. Grundsätzlich an Heilig Abend.“

Mehr sagte er nicht, aber so wusste eh jeder, dass er vom Dienst kam. Falk Stein stand auf und räusperte sich.

„Meine Herren, bevor wir nun zum essen und zu den Geschenken kommen, möchte ich ein paar Worte loswerden. Keine Angst, das gibt keine Ewig lange Rede.

Zunächst einmal wünschen wir euch ein schönes Weihnachtsfest.

Das „fröhliche“ passt vielleicht nicht so wirklich, aber ich denke, das ist in Ordnung. Wir sind nun schon gut zwei Monate hier zusammen und ich habe im Grunde keinerlei Anlass, dies als schwere oder unschöne Zeit zu bezeichnen.

Ihr habt alle das bisher notwendige getan, um hier zu lernen, wieder Fuß zu fassen. Ich kann ich nicht sagen dass ich weiß, wie das ist, aber ich kann sagen, dass ich und auch meine Kollegen sehr zufrieden mit den Ergebnissen bisher sind.

Ihr habt bewiesen, dass ihr ein Team seid, auf das man sich auch in höchster Gefahr verlassen kann und wer mich kennt weiß, wie sehr ich das schätze. Dafür spreche ich ohne Zweifel meine Hochachtung aus.

Weihnachten ist eine Zeit der Besinnung. Ihr habt einen Weg hinter euch, der nicht von jedem so gewollt und auch nicht einfach war. Aber nun seid ihr hier, um einen Neuanfang zu planen und auch auszuführen.

Ihr habt euch freiwillig für diesen Weg entschieden und wir setzen alles daran, euch in ein geordnetes Leben zurückzuführen. Maßgeblich am Erfolg seid ihr beteiligt, wir können euch nur unterstützten.

Dass das funktioniert, zeigen die bisherigen Ergebnisse: Zwei von euch haben bereits wieder eine Arbeit in Aussicht und darüber hinaus jeweils einen Platz in günstigen Arbeiterwohnungen.

Bei weiteren zwei kann die Lehre fortgesetzt bzw. eine neue begonnen werden und auch hier sorgt der Arbeitgeber bei einem für eine Unterkunft. Bei zwei von euch haben die Eltern signalisiert, dass sie ebenfalls einen Neustart mit euch versuchen.

Wir sind der Meinung, dass dies ein sehr großer Erfolg ist und uns bestätigt, dass wir – und auch ihr – auf dem richtigen Weg sind. Wir werden natürlich auch für die, die noch nicht solche Erfolge verzeichnen können, versuchen einen Weg zu finden.

Und ich bin sicher, dass es diese Wege gibt. Weiteres soll ich allen einen herzlichen Gruß von Nils und André ausrichten. Nils geht es sehr viel besser und der Vater sitzt nun in Untersuchungshaft. Nils wird wohl am nächsten Camp wieder teilnehmen.

André ist ebenfalls auf dem Weg der Besserung, er wird wohl noch in diesem Monat aus dem Sanatorium entlassen. Ob auch er wieder zurückkommt ins neue Camp, ist noch nicht sicher.

Über die Feiertage werden wir kein Programm machen.

Damit euch aber die Decke nicht auf den Kopf fällt, fahren wir am zweiten Feiertag mit einem Bus zu einer Freizeitanlage. Das heißt, ihr könnt euch einen Tag unter Palmen, im Wasser, in Sauna oder Solarium herumtreiben.

Das ist im Übrigen kein Zeit-totschlagen-Konzept, sondern auch eine kleine Aufmerksamkeit von uns.“

Selten hatte Nico so einen Beifall erlebt. Begleitet von Jubelrufen und Pfiffen beendete Stein dann auch seine Laudatio.

Wenig später verteilte der Koch Körbe mit geröstetem Brot und Kräuterbutter.

Stein neigte sich zu Nico hin.

„Mir ist ein Rätsel, wie der das immer alleine schafft.“

„Sein Beruf macht ihm viel Spaß oder zumindest Freude. Aber dass ihr mir so gar nichts von der Freizeit gesagt habt.“

Stein grinste.

„Ich darf auch mal kleine Geheimnisse haben, gell?“

Nico lachte über seine eigenen Worte.

Der Hauptgang bestand aus gefüllten Pasteten und frischem Salat und zum Nachtisch gab es selbst gemachten Pudding mit Vanillesoße. Selbstgemacht; darauf legte Holzmann sehr großen Wert.

„Ich habe beschlossen, die privaten Geschenke den Jungen unter vier Augen in ihren Zimmern zu geben. Es ist nicht nötig, dass die das hier unter aller Augen auspacken“, erwähnte Leo beim essen.

„Sehr gute Idee“, fand Stein und auch Rainer und Nico stimmten zu.

Unter dem Baum befanden sich somit lediglich sieben sorgfältig in Weihnachtspapier verpackte Couverts, jeweils mit einem Namen. Leo hatte sich auch damit zweifellos viel Mühe gemacht.

Somit stand ihm auch diese Aufgabe zu. Er stand auf und bat um Ruhe.

„So, nachdem wir ein vorzügliches Mahl genießen durften – wobei an dieser Stelle auch mal der Koch ein besonderer Applaus verdient..“

Leo wurde spontan von erneutem Beifall unterbrochen und zum ersten Mal sah man den Koch, der an der Küchentür lehnte, ziemlich verlegen. Er lief leicht rot an und nickte zum Dank.

„Ja, also nach diesem Essen möchten wir euch mit einer kleinen Aufmerksamkeit bedenken. Ihr müsst hier trotz allem unter für euer Alter recht ungewöhnlichen Bedingungen leben und zumeist führt das zu Begehrlichkeiten. Also ich meine jetzt nicht das weibliche Geschlecht.. wobei.. natürlich auch..“

Nun gab es Zwischenrufe und lautes Gelächter.

„Also ich meine, jeder hat so einen kleinen, bestimmten Wunsch, den er sich irgendwann mal erfüllen möchte. Wir haben kaum Kosten und keine Mühe gescheut, euch diesem Ziel ein bisschen näher zu bringen. Jedoch kommt diese kleine Aufmerksamkeit auch von ganz oben, von jenen Leuten also, die euch und uns dieses Projekt überhaupt ermöglicht haben.“

Fast zaghaft nahmen die Jungen dann ihre Couverts, doch schon nach dem Öffnen und hineinschauen konnten sie große Augen nicht verhindern. Sie tuschelten, lachten und mit einem Mal sahen sie alle zu den Betreuern hin. Sie fanden erst keine Worte, bevor sich Ruben als erster traute. Er ging zu den Betreuern hin und bedankte sich, fast etwas beschämt.

Seinem Beispiel folgten die anderen und dann öffnete sich die Küchentür und Holzmann zog einen Servierwagen hinter sich her. Darauf befand sich ein kupferner Kessel, über dessen Öffnung eine Zange lag und darauf ein Zuckerhut in blauer Flamme brannte.

„So, alle hinsetzen und ich will nichts hören“.

Sein strenger Blick ging zu den Betreuern hin.

„Feuerzangenbowle hat es hier schon jede Weihnachten gegeben, und es gibt hier keine Ausnahmen.“

„Feuerzangenbowle..“

Falk Stein schaute in seine Runde.

„Ich habe keine Ahnung, wie das schmeckt.“

Leo lachte.

„Wird dann aber Zeit, mein Lieber. Ich habe Holzmann angewiesen, dass nicht mehr als zwei Gläser für jeden herauskommen dürfen – uns ausgenommen natürlich.“

„Nun ja, eine Überraschung ist es immerhin. Ich muss euch allerdings die betrübliche Mitteilung machen, dass ich für keinen von euch ein Geschenk habe.“

Leo winkte ab.

„Falk, mein Geschenk waren die Augen der Jungs vorhin. Sie haben sich wirklich gefreut und Einhundert Euro sind nun nicht ein Betrag, mit dem heute weit kommt.“

Rainer nickte.

„Ich sehe es auch so. Wie sagte meine Oma immer: Man sollte es als eines von Gottes Geschenken ansehen, wenn man die Telefonnummer seines Arztes suchen muss. Und das größte Geschenk wäre, wenn man gar keinen Arzt braucht.“

Leo grinste.

„Hat wohl recht, die Gute. Ich weiß die Nummer meines Doktors auch nicht.“

Als wäre es ein Stichwort, neiget sich Doktor Schnell zu Nico hin. Er sprach leise.

„Ich gehe richtig in der Annahme, dass dieses Stück Holz zunächst nur unter uns..“

Nico nickte eifrig. „Ja, bitte, das wäre klasse.“

„Ich habe einen ehemaligen Kommilitonen angerufen. Er arbeitet in einem Labor, das auch Gentechnische Untersuchungen durchführt. Ich kann ihm das Holz schicken, er will es sich genauer ansehen. Paul ist ein ziemlich neugieriger Mensch und die Geschichte hat ihn richtig heiß gemacht.“

Nico zwinkerte dem Arzt zu.

„Danke.“

Er stand auf und ging nach draußen, er brauchte ab und an ein paar Minuten frische Luft. Wie friedlich es nun war, sogar hier der nüchterne Vorplatz hatte etwas Festliches.

Die Nacht war klar, unzählige Sterne funkelten und hier gab es sehr viel mehr zu sehen als in der Großstadt. Aber es war auch kalt, weshalb Nico rasch wieder ins Haus ging.

Als er den Gemeinschaftsraum gerade betreten wollte, kam ihm Marco entgegen. Unter der Tür packte er Nico plötzlich an beiden Armen, zog ihn rasch zu sich und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Das ging so schnell, dass Nico keine Chance hatte, es zu verhindern. Die Jungen grölten und kicherten und er war augenblicklich dabei, im Boden zu versinken. Entsetzt schob er Marco von sich.

„Sag mal…?“

Doch Marco grinste nur und deutete mit dem Zeigefinger nach oben.

Nico folgte der Richtung und nun sah er einen Mistelzweig, der mit einer roten Schleife verziert über dem Türrahmen hing. Seltsamerweise war ihm der noch gar nicht aufgefallen.

„Das ist so der Brauch“, rechtfertigte sich Marco, so dass es alle hören konnten.

„Wenn sich zwei unter einem Mistelzweig treffen, ist ein Kuss fällig. Das bringt Glück.“

Nico war rot geworden, dass hatte er deutlich gespürt, aber nun kam er wieder auf den Teppich. Er musste nun doch grinsen über diese Frechheit und er hätte schwören können, dass Marco die Attacke geplant hatte. Aber es gab keinen Grund, eine Szene zu machen.

„Tja, wenn das so ist.. „, sagte er nur und ging kopfschüttelnd zurück an seinen Platz.

Der Abend verlief noch sehr harmonisch. Nachdem sich die Jungen in ihre Zimmer verzogen hatten, spielte Leo nochmals für diejenigen Weihnachtsmann, die ein privates Geschenk bekommen hatten. Das waren Maik, Timo, Sascha und Ruben.

Er wollte nicht wissen, was in den kleinen Paketen war, warnte aber vor Alkohol und Drogen. Sicher sein konnte man nie, aber er vertraute ihnen.

Nico spürte die Wirkung der Bowle und beschloss, ohne Umwege sein Bett aufzusuchen. Trotzdem öffnete er noch seine Emails und in der Tat hatte sich Vlado gemeldet.

„Hallo Nico,

ich bin hier gut aufgehoben, alles ist in bester Ordnung. Bei euch hoffentlich auch?

Ich wünsche dir, dem Team und den Jungs ein gesegnetes Weihnachtsfest.

Dein Vlado“

Ergänzt wurde die Mail durch ein Bild mit einem Schlitten, der von Rentieren bespannt über eine verschneite Landschaft flog.

„Hallo Vlado.

Wie lieb von dir, vielen Dank. Hier ist es ruhig, der Abend mit den Jungs war sehr schön.

Auch dir eine frohe Weihnacht.

Dein Nico“

 

Er hätte so viel zu schreiben gehabt, aber er war zu müde dafür. Er wollte das beizeiten nachholen. Es waren noch andere Mails darunter, aber die konnte er morgen beantworten.

Er lag eine Weile in seinem Bett und ließ diesen Abend nochmals Revue passieren.

Und ja, mehr brauchte nicht zu sein. Vlado war nun natürlich wieder vorgerückt, aber um diesen Jungen musste er sich keine Sorgen machen. Der ging seinen Weg, so oder so.

Die Alarmstufe knarrte, als er grade das Licht gelöscht hatte. Es konnte nur einer der Betreuer sein, oder vielleicht Rick. Doch als sich nichts weiter rührte, schaltete er die Nachtischlampe wieder an.

„Wer ist da?“

Dort an der Luke war es jetzt zu dunkel, er hörte nur eine ganz leise Stimme.

„Nico, ich bin es.“

Er setzte sich auf.

„Marco. Was gibt es?“

Er konnte in dem Moment nicht sagen, ob er sich ärgern oder freuen sollte.

„Darf ich reinkommen?“

„Ja, aber sei um Gottes Willen leise.“

Er hörte Marco nicht kommen, wie eine Katze schlich er mit seinen nackten Füßen über den Boden. Dann stand er am Bett.

„Nico, ich wollte.. ich musste dich heute noch mal sehen.“

Nico klopfte auf den Bettrand.

„Setz dich. Was ist denn los?“

„Weihnachten ist doch das Fest der Liebe, oder?“

Auf der Stelle wurde ihm klar, warum Marco jetzt hier bei ihm war.

„So sagt man wohl, ja.“

„Mein schönstes Geschenk wäre, wenn ich dich jetzt küssen dürfte. Nur so, wegen dem Fest.“

Nico schüttelte den Kopf.

„Ideen hast du. Aber komm, ich bin ja kein Untier.“

Marco neigte sich zu ihm hin und rasch fanden sich ihre Lippen. Das alte, bekannte und immer wieder aufregende Spiel ihrer Zungen begann, die Hände gingen auf Wanderschaft und Nico war durch Holzmanns Getränk enthemmter als sonst. Er wusste um die Gefahr, erwischt zu werden und so sprang er auf, um die Luke zu schließen.

Mit jeder Berührung steigerte sich das Verlangen und peitschte die Leidenschaft. Er spürte, wie die Grenze fiel, wie er hinüberglitt in diese Welt, die es nur einmal gibt in dieser Form, die mit nichts zu vergleichen ist.

Hemmungen, Ängste, Bedenken – alles blieb wie im Nebel zurück, als Nico immer weiter aufstieg, wo es nur hell, licht und schön war.

Er fuhr Marco durch das zerzauste Haar und küsste ihn auf die Nasenspitze.

„Du musst jetzt gehen, Hase. Es ist ein Uhr und alles ruhig da unten.“

Der Junge streckte sich und streichelte zärtlich Nicos Brust.

„Wirklich? Kann ich nicht noch ein kleines bisschen hier bleiben?“

Nico ließ sich in das Kissen fallen.

„Aber nur ein paar Minuten.“ Dabei hatte er auch den tiefen Wunsch, Marco könnte bleiben bis zum Morgengrauen. Doch er musste mit allem rechnen, mit was auch immer. Und alles was er sich leisten konnte – Falk Stein enttäuschen, das konnte er nicht.

Sicher hatte er gegen seine eigenen Regeln verstoßen, aber Marco bezeichnete er als eine Ausnahme. Und er hatte in all seinen Vorgaben eines vergessen: Gegen eine Macht, wie sie zuvor über sie beide hergefallen war, konnte er nichts ausrichten.

Nicht, wenn sich die Gelegenheit bot, wenn alles drum herum stimmen und passen würde.

Marco legte seinen Kopf auf Nicos Brust und schloss die Augen.

„Warum enden solche Nächte eigentlich? Kann man da nichts machen, dass sie ewig so weitergehen?“

„Dann wird es bald langweilig. Stell dir vor, immer dunkel, immer liegen, immer nur Sex – das hält niemand lange aus.“ ´

Er musste über seine eigenen Worte lachen.

„So, jetzt mach, dass du runterkommst. Und lass die eine Stufe aus, damit nicht das ganze Haus wach wird.“

Marco raffte sich auf, zog seinen Jogginganzug an, drückte Nico noch einen Kuss auf die Wange und schlich sich so leise, wie er gekommen war, davon.

Nico legte seinen Kopf in die Arme und sah noch lange zu der Luke hin. Er wusste, dass die letzten Stunden nicht einem Traum entsprungen waren; dass alles, was er gespürt, geschmeckt und gerochen hatte, echt war.

Obwohl die Nacht kürzer war als üblich, wachte Nico früh auf. Das Wiedersehen mit dem Professor und Frau Berger vertrieben den Schlaf, aber noch mehr die Spannung darüber, wer wohl der Gast sein konnte, den Falk erwähnt hatte. Gut, es war nicht sicher ob er überhaupt kommt, aber Nico ging einfach einmal davon aus.

Der übliche Blick aus dem Fenster ließ Nico frösteln. Die ersten Schneeflocken tanzten vom Himmel und nun war es sehr unsicher, wie lange sie diesem Wetter ausgesetzt waren. Walter schrieb im Forum, dass es bis zu einer Woche anhaltend schneien könnte, zumindest in diesem Landstrich. Hoffentlich konnten sie dann überhaupt in diesen Freizeitpark fahren.

Beim Frühstück hatte Stein sein Handy neben sich auf dem Tisch liegen, was sonst nie vorkam. „Unsere Gäste haben den Zug genommen, das Wetter ist ihnen zu unsicher. Ich hole sie ab, wenn sie sich vom Bahnhof hier melden“, erklärte er dazu.

Nico ließ seine Blicke zu den Jungen schweifen. Marco saß ihm schräg gegenüber, ab und zu sah er zu ihm hin. Einmal schien ein kurzes Lächeln auf seinem Gesicht zu liegen, aber das war so dezent, dass es nicht auffiel. Zumindest den anderen nicht.

Überraschend stand plötzlich Holzmann neben den Betreuern.

„Also der Hund muss aus der Küche bleiben. Ich bin mir sicher, dass ein Rumpsteak fehlt“, grummelte er.

Steins Gesicht wurde ernst.

„Ich verstehe das nicht. Er frisst sein Futter.. oder Leo?“

„Natürlich, da blieb bislang kein Krümel übrig. Knochen zum nagen und Hundekekse kriegt er auch.“

„Seltsam ist ja auch, dass er es anscheinend fortträgt, anstatt es einfach in seiner Hütte zu verspeisen.“

„Wenn die Feiertage um sind, werde ich mich mal drum kümmern. So lange bekommt er halt Küchenverbot.“

„Ja“, erwiderte Holzmann, „schon richtig. Aber dann muss ich die Schwingtür geschlossen halten. Das ist ziemlich.. doof sag ich mal.“

Während man um eine Lösung nachdachte, klingelte Steins Handy. Er nahm das Gespräch an und stand dabei auf.

„Sehr schön, ich fahre eben los.“

Er beendete das Gespräch.

„Sie kommen in etwa einer halben Stunde an. Ich fahre denn mal los und hole sie ab. Leo, ist alles vorbereitet?“

„Na, was denkst du. Alles erledigt.“

 

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