Boycamp IV – Teil 21

Auch Nico sprang unter die Dusche und er ließ sich Zeit dort. Bis zum Abendessen dauerte es noch etwas und eine Idee, was er bis dahin machen sollte, hatte er auch nicht. Beim Blick an sich herab musste er grinsen.

„Armes Ding. Du kommst zu rein gar nichts mehr. Demnächst könnte sich das zwar ändern, aber ein bisschen Geduld muss der Herr schon noch aufbringen.“

Früher hätte er sich jetzt ohne lange zu fackeln einen heruntergeholt, aber in letzter Zeit fand er nicht mehr so sehr Gefallen daran. Es war um so vieles schöner, wenn ein anderer diesen Part übernahm.

Die Nacht mit Vlado tauchte auf. Wie zärtlich und einfühlsam er doch war. Und seltsamerweise verschwamm auch nie die Nacht mit Marco. Da war immer noch alles so deutlich wie damals.

Dass Stefan nicht auf dieser Bühne erschien, hing wohl damit zusammen, dass sich zwischen ihnen im Lauf der Zeit die Gewohnheit breit gemacht hatte. Stefan war am Anfang sicher auch Einfallsreich, aber nach und nach ging es über zum Pflichtprogramm.

Mal oben, mal unten und irgendwann diente der Sex zwischen ihnen nur noch der Befriedigung. Wie herrlich war es zu Beginn, neben Stefan aufzuwachen und die Hand auf seinen Bauch oder mal zwischen seine Beine zu legen und ihn dort zu streicheln.

Irgendwann einmal brummte Stefan im Halbschlaf, warum das sein musste und von da an ließ es Nico bleiben. Es waren solche Kleinigkeiten, die ihre Freundschaft nach und nach zerfraß.

Zwar begann sein Penis bei all diesen Gedanken anzuschwellen, aber er zügelte sich.

„Nein, Kollege, wir warten damit. Es lohnt sich, wirst sehen.“

Obwohl noch Zeit bis zum Abendessen war, zog er sich an und ging nach unten. Gerade wollte er in den Gemeinschaftsraum, als Benny die Kellertreppe heraufrannte. Er hatte das Handtuch um die Hüfte gebunden und war scheinbar außer sich.

„Nico, komm schnell runter!“

„Was gibt es denn?“

Benny ging nicht darauf ein.

„Beeil dich.“

Nico unterließ es dann, weiter zu fragen und ging die Kellertreppe hinunter. Er lief zu den Duschkabinen und blieb dann wie angewurzelt stehen. Ruben stand nackt mit dem Rücken zu ihm in einer der Kabinen und drückte Maik mit der Hand um den Hals an die Duschwand.

In einer der Kabinen lief Wasser, obwohl dort niemand war. Die Jungen standen im Abstand vor der Szene und Nico sah im Moment nur Maiks geweitete Augen und dass Blut aus seiner Nase und dem Mund rann.

Beide atmeten schwer, es musste zuvor einen Kampf gegeben haben. Als Nico sich gefangen hatte, versuchte er, die Situation abzuschätzen. Die beiden starrten sich nur an, mehr passierte nicht.

„Ruben, lass ihn los“, befahl er beherrscht. Er wollte nicht schreien und nicht überstürzt handeln. Als Ruben nicht reagierte, wiederholte er seinen Satz, diesmal etwas lauter und eindringlicher.

„Ruben, lass ihn sofort los!“

Doch der schien nicht daran zu denken. Augenblicke später hörte Nico Schritte auf der Treppe und eher er sich umsah, rempelte ihn Falk Stein zur Seite, stürzte auf Ruben und griff ihm mit einer Hand in die Haare.

Nico konnte förmlich spüren, wie weh das tat und ohne ein Wort zog Falk Ruben nach hinten weg. So hielt er ihn zunächst fest und Rubens Gesicht war schmerzverzerrt.

„Jonas, hol Doktor Schnell, er ist hier im Haus.“

Der Junge lief sofort los, wobei er ebenfalls sein Handtuch um die Hüfte wickelte.

„Was zum Teufel ist hier los?“, wollte Stein wissen und seine Frage richtete sich an beide Kontrahenten.

Maik stand nackt und schwer atmend in der Dusche und rieb sich den Hals, mit der anderen Hand wischte er das Blut von den Lippen. Doch keiner der beiden sagte etwas. Stein ließ Ruben los und schob ihn von sich.

„Schön, ihr müsst im Moment nichts sagen. Aber euch sollte klar sein, dass das sowieso Konsequenzen hat, egal wer angefangen hat und warum.“

Einen Moment später tauchte Jonas mit Doktor Schnell im Keller auf und der Arzt kümmerte sich sofort um Maik, nachdem Ruben offenbar nichts fehlte. Nicos Herzschlag beruhigte sich wieder, als der Doktor nach einer ersten Kontrolle erleichtert schien.

„Zieh dir was an und komm mit rauf, ich schaue mir das genauer an«, sagte er zu Maik in ruhigem Ton und führte den Jungen an seinen Spind.

„So, die Show ist vorbei. Anziehen und in zehn Minuten seid ihr im Gemeinschaftsraum.“

Steins klare und überaus deutliche Worte duldeten keinerlei Widerspruch und so war der Keller nach ein paar Minuten geräumt. Nur Stein und Nico blieben noch da unten.

„Was kann da los gewesen sein, Falk? Es gab doch nie ein Anzeichen für so was.“

Nico musste sich über seinen Mentor immer wieder wundern, so auch jetzt, wo sich dessen ernste Mine in ein Lächeln verwandelte.

„Weißt du, Nico, manchmal habe ich mich schon gefragt, warum genau so etwas nicht viel öfter passiert. Das sind junge Männer in einem Alter, wo man in der Regel gegen alles und jeden protestiert. Nicht immer, aber oft. Gut, die Pubertät haben sie zum größten Teil hinter sich, da spielen ja noch andere Faktoren eine Rolle mit. Aber nun werden Grenzen gesucht und auch abgesteckt, bisweilen auch noch die Kraft gemessen. Das hast du sicher auch gelernt inzwischen. Oft staut sich das alles an, bis der Deckel vom kochenden Topf fliegt. Einfach, weil der Druck zu stark wurde. Und dafür genügt ein winziger Funke. Manchmal ist gar kein richtiger Anlass vorhanden, es passiert einfach. Sie haben sich noch nicht so vollständig unter Kontrolle, dieser Prozess ist bei ihnen noch nicht abgeschlossen. Manchmal genügen dann die allerkleinsten Vorkommnisse, um zu explodieren.“

Ähnliches hatte Nico in seinem Studium wohl erfahren, aber wie immer sah die Wirklichkeit oft anders aus.

„Und jetzt? Ich meine, was machst du mit den beiden?“

Stein zog die Schultern hoch.

„Ich? Ich werde gar nichts machen.“

„Falk, du kannst das doch nicht durchgehen lassen«, protestierte Nico.

„Ich habe nur gesagt, dass ICH nichts machen werde.“

Nico ahnte das Unheil, aber darauf würde es hinauslaufen.

„Du meinst aber nicht, dass ich…?“

„Natürlich. Ich möchte, dass du dich dieses Falles annimmst. Wie, ist deine Sache. Eines Tages wirst du vielleicht niemanden um dich haben, der dir das abnimmt. Und lernen kann man am besten am lebenden Objekt.“

Nico schluckte. Das war eindeutig in die Richtung gezielt, die Nico einmal gehen sollte. Niemand hatte ihm bislang streitig gemacht, dass er selbst eines Tages das Oberhaupt eines Camps werden könnte.

Aber für eine Diskussion hier und jetzt war es zu früh und auch nicht passend. Falk hatte gesagt, es wäre ihm egal, wie er das macht, also brauchte er auch keine Fragen darüber mehr zu stellen.

„Einen Tipp habe ich, Nico: Geh die Sache noch vor dem Abendessen an. Vergiss die anderen Jungs nicht, die haben alles mitbekommen. Ich werde Holzmann bitten, mit dem Essen noch zu warten.“

Die erste Lektion hatte Falk ihm somit erteilt. Setz sie unter Druck. Sie haben Hunger und sie sind müde. Sie können es sich heraussuchen, wie lange sie warten müssen. Er hatte Zeit und auf seltsame Art und Weise war er auf das Verhör gespannt.

„Und die Strafen?“

„Such dir was aus. Sofern es überhaupt eine Strafe geben muss, das liegt in deinem Ermessen, Nico. Viel Erfolg – und natürlich auch viel Spaß.“

Stein grinste, zwinkerte mit dem Auge und ließ Nico stehen.

Er blieb noch im Keller, lief mit den Augen am Boden geheftet umher. Hier und da fand er Blutspritzer, an einer Stelle waren sie verschmiert. Wahrscheinlich fand an dieser Stelle der Kampf statt.

Aber genau genommen konnte er damit nichts anfangen und zudem, es war ja offenbar glimpflich abgelaufen. Er räusperte sich, als er später den Gemeinschaftsraum betrat. Ein paar Worte hatte er sich zu recht gelegt und nun starrten ihn die Jungen an. Ruben saß mit verschränkten Armen am Tisch, Maik trug jetzt ein wenig kleidsames Pflaster auf der Lippe, aber sonst schien ihm nichts zu fehlen. Was wie eine handfeste Schlägerei ausgesehen hatte, war offenbar eine Rangelei. Aber Nico wollte es trotzdem genau wissen.

Er setzte sich an die Stirnseite des Tisches und ließ seine Blicke schweifen. Was die jetzt von ihm dachten? Anscheinend hatte Stein ihnen schon gesagt, dass er die Verhandlung führen würde.

Marco saß schräg neben ihm und hatte seine Augen auf ihn geheftet. Aber jetzt und hier fiel das nicht auf.

„Also, Jungs, ich rede jetzt nicht groß drum herum. Ihr habt alle unterschrieben, dass solche Vorkommnisse vermieden werden müssen und bei Missachtung einen Ausschluss aus dem Camp nach sich ziehen kann.

Ich möchte hier kein Statement über die Hausordnung abhalten, dazu fehlt mir die Lust und am Ende euch die Zeit. Wir werden diese Sitzung übrigens nicht ohne Ergebnis beenden, das solltet ihr euch merken.“

Nico fiel auf, dass kein einziger Betreuer im Raum war, man ließ ihn ganz alleine das Ding durchziehen. Unterstützung bekam er somit todsicher nicht.

„Ich will, dass hier klipp und klar zur Sprache kommt, wie das passiert ist und wer damit anfangen möchte ist mir ziemlich egal. Ihr wart alle dabei und die meisten werde etwas gesehen und gehört haben. Somit übergebe ich euch das Wort.“

Natürlich muckste sich niemand, das wäre auch ein Wunder gewesen. Es gab keine Verräter in dieser Gruppe und jeder der anfangen würde, hätte zunächst ganz schlechte Karten. Vielleicht wäre es besser gewesen, zuerst die beiden Streithähne allein anzuhören, aber dafür war es jetzt zu spät.

Er würde seine Lehren aus dem Fall ziehen, so oder so.

„Gut, nachdem sich niemand zu Wort meldet, stelle ich die Fragen. Und ganz speziell an Ruben und Maik. Wenn ihr nicht öffentlich darüber reden wollt, das kann ich berücksichtigen.“

Damit stellte er sicher, die beiden auch allein anhören zu können. Ruben rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

„Maik hat angefangen«, sagte er dann nervös.

„Und womit, wenn ich fragen darf?“

„Er hat mich beleidigt.“

Maik sprang auf.

„Stimmt ja gar nicht.“

Nico unterdrückte ein Grinsen.

„Nun, von Nichts kommt Nichts. Maik, wie war es denn dann wirklich?“

„Ich habe nur gesagt, dass sein Hemd Scheiße aussieht. Mehr nicht.“

Nun stand auch Ruben energisch auf.

„Das ist eine Beleidigung!“

Nico senkte seine Hände zum Zeichen der Beruhigung.

„Der eine deutet an, der andere legt es sich dann so, wie es für den anderen nicht passt. Richtig? Ist das Aussehen eines Hemdes nicht – subjektiv? Dem einen gefällt es, dem anderen nicht. Sich deswegen in die Haare zu geraten, ist ziemlich albern.“

Plötzlich schwiegen die beiden und sahen sich an. In Ruben Augen funkelte noch etwas, das Nico nicht deuten konnte, aber allem Anschein nach sah das alles nicht mehr nach Krieg aus.

„Gut, ihr beiden. Ich stelle also fest, ihr hattet eine Meinungsverschiedenheit, mehr oder weniger aus einem Missverständnis heraus.“

Ruben protestierte.

„Nein, so sehe ich das nicht. Er hat selbst ja nicht das Tollste zum anziehen, aber da sagt ja auch keiner was.“

Nico unterbrach den Disput.

„Also, erst mal mit der Ruhe. Ich sehe es so, dass Maik lediglich geäußert hat, dass ihm dein Hemd nicht gefällt Das ist aber normal und natürlich. Das war eine Äußerung, die immer und überall einmal fällt.“

Die beiden standen immer noch und gifteten sich mit ihren Blicken an.

„Somit bin ich der Meinung, dass Ruben nicht gerechtfertigt gehandelt hat.“

Ruben war der Gaul durchgegangen und nichts deutete darauf hin, dass die Situation in Zukunft große Probleme machen würde. Trotzdem wollte Nico sicher gehen.

„Ihr vertragt euch jetzt bitte wieder. Maik, du solltest künftig aufpassen was du sagst, auch wenn das im ersten Augenblick gar nicht bedenklich aussieht. Ruben, deine Handgreiflichkeit deutet auf ein gewisses Maß an Kontrollverlust hin. Das ist kein Weltuntergang, könnte dir aber in Zukunft große Probleme machen. Ich fände es gut, wenn ihr beide über euer Verhalten nachdenkt. Damit beende ich die Sitzung. Vielen Dank.“

Nico stand auf und unter Klopfen auf die Tische ging er zur Küchentür hin. Er öffnete sie einen Spalt und gab Holzmann das Zeichen, dass mit dem Essen begonnen werden konnte.

Dann ging er nach draußen, ihm war nach einer Zigarette. Beim anzünden merkte er, dass seine Hände leicht zitterten. Nach den ersten Zügen horchte er in sich hinein und fand, dass er nicht gut war. Nicht gut genug. Es fehlte etwas, nur konnte er es noch nicht greifen.

„Hey Nico, großes Kino eben, oder?“ Jonas stand plötzlich neben ihm.

„Eher nicht. Sag mal, warum hat denn keiner von euch eingegriffen? Ich meine, wegen einem Hemd so ein Affenzirkus. Da weiß ich echt nicht, was ich sagen soll.“

„Weil’s gar keiner mitbekommen hat. Wir standen unter der Dusche und als ich rauskam, standen die beiden schon so da wie du es gesehen hast. Sascha hat sie zwar gebeten, aufzuhören, aber Ruben hat ihn richtig angeschrieen, er soll sich raushalten. Ich bin ja dann auch sofort dich holen. Keiner könnte dir sagen, wie es dazu gekommen ist.“

Das beruhigte Nico. Er hatte befürchtet, dass sie es von Anfang an mitbekommen und nichts unternommen hatten.

„Du Nico? Darf ich dich etwas fragen?“

„Klar, nur zu.“

„Der Marco Serrolas, was ist das denn für einer? Er war ja wohl schon in einem eurer Camps dabei, wie Stein sagte.“

Nico wurde augenblicklich heiß und kalt zugleich. Natürlich musste Jonas das fragen, Marco war hübsch und sexy. Aus welchem Grund sollte er ihm nicht gefallen? Freilich hätte er jetzt gern gesagt, dass Marco nicht zu haben ist, aber das ging ja nicht.

„Marco ist ein netter Kerl, man kann sicher prima mit ihm auskommen. Aber ich an deiner Stelle würde ihn das alles selber fragen. Er gibt bestimmt bereitwillig Auskunft.“

Auf dem schnellsten Weg musste er Marco warnen, er durfte sich auf keinen Fall verplappern. Wie kompliziert das alles manchmal war und im Moment fühlte sich Nico nicht wohl in seiner Haut.

„Wo bleibt ihr denn? Das Essen steht auf dem Tisch«, unterbrach Benny das Gespräch.

„Und, wie war ich?«, fragte Nico beim Essen die Betreuer, wobei sein Blick auf Falk heftete.

„Womit?“

„Na, vorhin grad. Die Verhandlung.“

Die Betreuer sahen sich an.

„Um was ging es denn?“, fragte Rainer ungläubig.

„He, wollt ihr mich verarschen? Ihr habt doch gelauscht.“

Stein wischte sich mit der Serviette theatralisch über den Mund und hob den Zeigefinger.

„Wir lauschen nicht.“

„Aber…“

Stein grinste.

„Ich sagte dir, das ist dein Ding, nicht unseres. Wir wollen gar nicht wissen, was rausgekommen ist. Du alleine bist für eine Entscheidung verantwortlich und auch für das, was nachher trotzdem schief gehen könnte. Oder auch nicht.“

Nico sah einen nach dem anderen an und in Leos und Rainers Augen stand nur, was Stein soeben gesagt hatte. Sie hatten ihn tatsächlich alleine gelassen. Er schluckte.

Leo gab dann an, dass er am nächsten Morgen mit Holzmann in den Ort fahren und die letzten Besorgungen machen wollte. Bettwäsche abholen und eine Ladung frische Brathähnchen sowie die Liste der Jungs waren das Wichtigste.

„Das Wetter wird wohl bald schlechter«, sagte er, „wir wollen nichts riskieren.“

„Hundefutter nicht vergessen«, ergänzte Rainer die Liste.

Leo lachte.

„Dann geh mal in den Raum mit dem Notstrom, da hab ich Ricks Speisekammer eingerichtet. Der könnte sicher alt werden mit diesen Vorräten. Abgesehen davon, ich habe im Holzlager eine Ratte erwischt, so groß wie eine Katze. In der Regel sind die nicht alleine, ich werde wohl Gift auslegen müssen. Aber ich deponiere es da, wo Rick und auch sonst keiner hinkommt.“

„Und wie hast du dein Riesenexemplar zur Strecke gebracht?“, wollte Stein wissen.

„Ein Holzknüppel lag grad so praktisch auf der Kreissäge. Wumms hat’s gemacht, so schnell konnte die gar nicht gucken.“

Während alle noch lachten, fiel Nico beinahe die Gabel aus der Hand. Er starrte auf den Tisch, als hätte er den Leibhaftigen gesehen.

„Nico, was ist? Ist dir nicht gut?“

„Doch, Rainer, alles in Ordnung. Nur, da war was heute.. Ich muss mal eben raus.“

Unter den ungläubigen Blicken der Betreuer verließ er den Raum und ging aus dem Haus, geradewegs zu Ricks Hütte. Der Rüde war wie immer irgendwo unterwegs und so kroch Nico auf allen Vieren durch den engen Eingang. Er tastete sich mit seinen Händen auf dem Boden entlang, bis er den Holzknüppel zu fassen bekam. Vorsichtig und mit nur zwei Fingern zog er ihn an sich und kroch wieder aus der engen Behausung.

Unter dem Licht des Flurs sah er sich den Knüppel genauer an, aber er konnte nichts Auffälliges daran erkennen.

„Was hast du denn da?“, fragte Stein, der sich natürlich um Nico gesorgt hatte.

„Das hab ich ganz vergessen. Rick hat den Knüppel heute Morgen aus dem Wald angeschleppt. Und er hat ihn nicht hergeben wollen.“

„Hm, ja, das macht er sonst nicht. Aber was sollte damit sein?“

„Falk, ich habe eine Vermutung. Sie ist vage und ziemlich.. abenteuerlich, aber wir sollten es versuchen.“

„Ja was denn?“

„Lass mich mal machen, Falk. Wenn es blinder Alarm war ist es ok, wenn nicht, dann…“

„Was dann?“

„Abwarten. Ich darf auch mal kleine Geheimnisse haben, gell?“

Nico legte später den Holzknüppel auf seinen Balkon. Wenn seine Vermutung richtig war, dann würde er eine Feier hier veranstalten. Ein kurzer Blick auf das Radar zeigte die Schneefront, die wohl doch erst am oder nach dem zweiten Feiertag hier eintreffen würde. Walter hatte ins Forum geschrieben, dass hier das Zentrum vorüberziehen könnte.

Weil das Tief sehr langsam zog, konnte das tagelange Schneefälle bedeuten, da sich die Niederschläge an den Bergkämmen zusätzlich stauen würden. Wieder musste er an den Wolf denken, der da draußen ums überleben kämpfte und nun begann für ihn eine besonders schwere Zeit.

Merkwürdig, dass er von Vlado nichts hörte. Er war ja noch nicht weg, dennoch Nico hatte erwartet, dass er sich trotzdem melden würde. Aber vielleicht war für ihn dieses Kapitel abgeschlossen, zumindest die nächste Zeit. Marco war immerhin ins Spiel gekommen und konnte alle möglichen Reaktionen in Vlado ausgelöst haben.

Marco… du wirst einen Weg finden… hatte er gesagt. So einfach war das aber nicht. Heimlich bleiben war hier im Haus sehr schwierig bis unmöglich und draußen ging gar nichts. Freilich, es gibt immer einen Weg, aber Nico war nicht nach Klappensex.

Eine ganze Nacht wollte er haben, und den Morgen dazu. Mit viel Vorsicht und noch mehr Wachsamkeit könnte das sicher gehen, die Jungs schliefen eigentlich und wanderten nachts nicht umher. Aber da waren noch Stein, Leo und Rainer. Da konnte man nicht wissen.

Holzmann und der Doktor schwirrten auch irgendwie herum. Lange lag er noch wach an dem Abend, obwohl er todmüde war.

*-*-*

Als er am anderen Morgen unten ging, hörte er gerade Leo und den Koch vom Gelände fahren. Welch Einsatz Leo an den Tag legte. Ohne ihn wäre ein Camp wohl kaum möglich.

„Morgen«, hörte er im Flur und dann tapste Marco verschlafen in das Deckenlicht.

Nico grinste breit. Wie niedlich der Junge in diesem Schlafanzug aussah. Dann die Haare in alle Richtungen, so richtig etwas zum knuddeln und knutschen. Wie sagte Vlado so treffend: Schnuffig.

„Wie kann man morgens schon so gut drauf sein«, gähnte Marco, dem Nicos Grinsen nicht entgangen war.

„Das kommt, wenn trotz Dunkelheit die Sonne scheint“, flüsterte Nico und war kurz davor, dem Jungen einen Kuss aufzudrücken.

Aber die Gefahr, dass eine andere Tür aufgeht, war viel zu groß. Und prompt fiel Licht aus der hinteren Tür in den Flur. Jonas kam ebenso schlaftrunken auf die beiden zu.

„Einen guten Morgen wünsche ich nicht, der ist nämlich gar nicht gut«, sagte er und streckte seine Arme hoch, dass die Knochen krachten und das Hemd nach oben rutschte.

„Kann man aber so nicht unbedingt sagen«, entwischte es Nico beim Blick auf den nackten Bauch.

„Im Lotto gewonnen?«, fragte Jonas müde und schlurfte an ihnen vorbei in Richtung Keller.

Marco folgte ihm.

„Bis später«, sagte er zu Nico im vorbeigehen und griff ihm dabei in unverschämt dreister Weise zwischen die Beine.

Er zuckte zusammen und außer einem völlig verwirrten Blick hinterher blieb ihm nichts übrig. Marco würde wissen, wie er einen Weg zu finden hatte, das wurde ihm sofort klar.

Beim Frühstück kam Leo, der bereits wieder zurückgekommen war, auf Weihnachten zu sprechen. „Wir sollten uns etwas einfallen lassen. “Oh du Fröhliche” unter dem Baum zu singen ist wohl kein Thema.“

Stein lachte.

„Nein, in der Tat nicht. Allerdings hatte ich vorgehabt, noch ein paar Leute einzuladen. Nicht an Heilig Abend, aber zum ersten oder zweiten Feiertag. Ein paar Zusagen habe ich schon, nur könnte es wegen dem Wetter Probleme geben. Mal sehen, was die Tage da noch ergeben.“

„Geschenke habe ich auch gesammelt, wenigstens ein paar. Den Absendern nach sind die wohl von Verwandten oder Freunden. Aber die kriegen sie erst unterm Christbaum. Holzmann verspricht ein Festmahl und ich will gar nicht wissen, was er uns auftischt. Zudem, er rückt auch nicht damit raus.“

„Gut, Leo, das ist doch schon mal was. Nur können wir die, die nichts geschickt bekommen haben, einfach nur zusehen lassen. Ich brauch die Namen derer, die kein Geschenk von außerhalb bekommen werden. Mein Wunsch wäre, dass sie alle diese Weihnachten in guter und schöner Erinnerung behalten. Wer weiß, wann sie das wieder feiern können.“

Außerdem wurde beschlossen, dass die Jungen an diesem Nachmittag den Baum schmücken sollten.

„Ist der Doktor im Haus?«, wollte Nico dann wissen.

„Ich hab ihn gesehen, ja. Warum?«, antwortete Leo.

„Ich müsste mal zu ihm«, sagte Nico kurz und ging nach oben in sein Zimmer.

Er holte den Holzknüppel vom Balkon und trug ihn mit den Fingerspitzen haltend nach unten.

Doktor Schnell war anscheinend nur kurz hier, er hatte noch seinen Mantel an, als Nico in dessen Zimmer kam.

„Oh, Nico. Was verschafft mir die Ehre?“

„Hier. Diesen Holzknüppel hat Rick aus dem Wald gebracht. Er hat sich dabei sehr merkwürdig benommen und um ein Stöckchen zum werfen hat er sich noch nie gekümmert. Er hat das Teil sogar in seine Hütte getragen.“

„Und was soll ich jetzt damit?“, fragte der Arzt ungläubig.

„Es ist eine reine Vermutung von mir, aber Sie erinnern sich an den mysteriösen Todesfall des Patienten in jenem Wald da oben?“

Der Doktor sah Nico über seine Brille an.

„Ja, wir hatten das Thema mal kurz.“

„Es heißt, ein Mord konnte nie wirklich ausgeschlossen, aber auch nie nachgewiesen werden.

Es fehlte der endgültige Beweis dafür.“

Dann hob er das Stück Holz hoch.

„Vielleicht ist es dies hier.“

Der Arzt setzte sich an seinen Schreibtisch und bat Nico, das Holz auf den Tisch zu legen.

„Du meinst, das könnte die Tatwaffe gewesen sein?“

„Könnte, ganz genau. Ich weiß nicht, ob man nach so langer Zeit noch etwas nachweißen kann, aber besteht die Möglichkeit, das überprüfen zu lassen?“

Der Doktor schob seine Brille zu recht.

„Hm, ganz sicher würde man Spuren finden, wenn es welche gäbe. Die Technik gibt das heute her.“Er sah sich das Holz genauer an. „Gut, ich möchte natürlich auch Licht in dieses Dunkel bringen. Ich werde mich darum kümmern. Aber das kann dauern und Behörden…“

„Kein Problem. Mir ist wichtig, dass es versucht wird.“

Nico verzog sich daraufhin in sein Zimmer und lümmelte sich auf sein Bett. Wenn man Blutspuren finden würde, wenn das die Mordwaffe war, dann würde im Dorf das Spießrutenlaufen anfangen.

Mord verjährt nicht, man würde jeden einzelnen auseinander nehmen. Die Polizei würde so lange in jeder Ecke schnüffeln, bis der Täter gefasst war. Doch dann schweiften seine Gedanken ab.

Es waren seine ersten Weihnachten ohne nahe stehende Personen. Keine Familie, kein Freund. Er erinnerte sich gern an seine Kindheit, an die Feiern zu Hause. Stefan war nicht der überromantische Mensch, er ließ die Feiertage mehr oder weniger über sich ergehen.

Sie schenkten sich etwas, aßen und tranken zusammen und an den Feiertagen besuchten sie gegenseitig ihre Familien. Das war diesmal anders. Aber wie anders war es wirklich? Falk, Leo, Rainer – war das nicht schon länger seine Familie, auch wenn es ihm nie so ins Bewusstsein gedrungen war?

Auch Rick gehörte dazu. Sicher, einen Freund zu haben in allen Lagen des Lebens, das war schon auch etwas anderes. Dennoch, er konnte im Grunde zufrieden sein. Er hatte neben den Verpflichtungen hier auch Freiheiten, und das nicht zu wenig.

Freiheiten, die innerhalb einer engen Freundschaft immer auch Kompromisse einforderten. Er genoss ein gewisses Ansehen und man hatte wohl auch ein bisschen Respekt vor ihm. Er fühlte sich nicht nur geduldet und Falk schien ihm immer ein wenig mehr Verantwortung zuzuschieben.

Marco war ja auch da, in seiner Nähe. Aber ob je mehr daraus werden würde und wann, das stand in den Sternen. Er beschloss, den Jungen beim schmücken des Baums wenigstens zuzusehen, außerdem fröstelte es ihn und da war ein Grog oder Glühwein nicht verkehrt.

Beim Blick aus dem Fenster war nur Einheitsgrau zu sehen, lange würde der Schnee nicht mehr auf sich warten lassen.

Im Gemeinschaftsraum herrschte dann auch das perfekte Chaos. Der Baum stand schon an Ort und Stelle, die Kisten waren geöffnet, überall lagen bunte Kugeln, kleine Engel und andere Holzfiguren herum. Sascha mühte sich mit dem entwirren des Lamettas ab, Benny und Timo kämpften mit den Leitungen der elektrischen Kerzen und Marco sortierte die Kugeln auf dem Boden.

Dass Ruben und Maik zusammen auf dem Boden saßen und Figuren zusammensuchten, freute Nico ganz besonders. Das Kriegsbeil war anscheinend begraben worden.

Ruben schaute zu Nico hoch.

„Wenn mir einer vor ein paar Wochen erzählt hätte, dass ich einen Christbaum schmücke, den hätte ich für total bekloppt erklärt.“

„Im Übrigen«, fügte Timo hinzu, „ist das ja eigentlich was für Mädchen oder Frauen.“

Jonas stand auf einer Trittleiter und war soeben dabei, eine goldene Christbaumspitze zu befestigen. Er musste sich dabei gehörig strecken und damit war wieder einmal sein Hemd nach oben gerutscht.

So war der Blick frei auf die nackte, schmale Taille und in den engen Hosen bildete sich sein Hintern gnadenlos perfekt ab. Nico schnaufte durch. Ja, mehr Weihnachten brauchte er eigentlich nicht.

„Fall mir ja nicht runter«, mahnte er Jonas trotzdem.

„Ich pass schon auf«, antwortete er und fummelte die Spitze an ihren Platz.

Nico ging in die Küche, wo Erich Holzmann mit irgendwelchen Töpfen und Pfannen beschäftigt war. Es roch hier nach Gewürzen und anderen, undefinierbaren Dingen, aber es roch sehr gut.

„Oh, Nico. Welch seltener Gast in meinen Gemächern. Was kann ich für dich tun?“

Wenig später saß Nico auf einem alten Küchenstuhl inmitten von Holzmanns Mobiliar und hielt einen Grog in seinen Händen. Genüsslich schlürfte er den stark verdünnten Tee. Der Koch werkelte herum und Nico fiel auf, dass es kein Mann der großen Worte war.

Darum störte er Holzmann nicht, trank seinen Grog aus, bedanke sich und ging zurück zu den Jungs.

„Der untere Ast da muss einfach weg«, hörte er Ruben dann sagen.

„Der stört das ganze Bild.“

„Schön, aber einfach abbrechen können wir ihn nicht“, gab Sascha zu bedenken.

„Es wird doch sicher irgendwo eine Säge geben, oder?“, mischte sich Maik ein.

„Im Holzlager ist eine“, stellte Ruben dann fest, worauf alle zu Nico schauten.

Er war der einzige, der ihnen helfen konnte, da das Lager abgeschlossen war. Er verstand sofort.

„Okay, ich geh sie holen.“

„Warte, ich komme mit“, und schon stand Marco neben ihm.

„Ich kann die Säge aber gut alleine tragen.“

„Ähm, eigentlich wollte ich mir das Lager ja auch nur mal ansehen. Ich kenne es noch nicht.“

Nico fiel kein Grund ein, warum er nein sagen sollte.

„Gut, dann komm mit.“

Er holte den Schlüssel aus Leos Zimmer und erfuhr bei der Gelegenheit, dass Falk und Rainer noch einmal kurz in das Dorf fahren wollten. Warum, das gab Leo nicht preis.

Schon der kurze Weg zum Heizwerk war ungemütlich kalt.

„Sauwetter«, fluchte Marco und fuhr dabei über das Fell von Rick, der aus seiner Hütte schlüpfte um gleich darauf im Wald zu verschwinden.

„Was den bloß hier draußen hält.“

„Ihm macht die Kälte nichts, aber du hast jetzt grade nicht das Richtige an. Erkälte dich bloß nicht.“

„So schnell nicht, Nico.“

Im Heizwerk war es nicht sonderlich warm, man hatte alles sehr gut gegen Wärmeverlust isoliert. Der Brenner brummte ruhig vor sich hin, hier war alles in Ordnung. Als sie an der kleinen Kabine vorbeikamen, blieb Marco stehen.

„Was ist da denn drin?“

„Eigentlich nichts. Ein Stuhl und ein Tisch. Leo sagte, das war ganz früher mal der Aufenthaltsraum für den Heizer. Jetzt hat das bloß noch historische Bedeutung.“

Marco blieb weiter stehen und starrte zu dem kleinen Fenster.

„So?“

Neugierig öffnete er die Tür zu der winzigen Kabine.

„Hier drin ist aber viel wärmer.“

„Nun, da wird eine Heizleitung laufen. Aber komm, die warten auf die Säge.“

Plötzlich wurde er von Marco am Arm gepackt und in dem Augenblick, in dem er ihm in die Augen sah wusste Nico, was Marco im Schilde führte.

„Ähm, ich glaube, das ist kein günstiger Zeitpunkt und..“

Marco ließ ihn nicht ausreden. Er zog ihn in die Kabine und schloss die Tür, worauf beide eine dumpfe Stille umgab. Marco setzte sich auf den Tisch und zog Nico an sich.

„Endlich hab ich dich mal alleine, ganz für mich“ und beim beenden seiner Worte hatte er Nico zu sich gezogen und gab ihm einen Kuss auf die Lippen. Auch wenn ihn Marco nicht wirklich festhielt, war Widerstand von einer Sekunde auf die andere zwecklos und so öffnete Nico seine Lippen, um der forschen Zunge Eintritt zu gewähren. Marco roch wieder so verführerisch, außerdem waren dessen Hände rasch überall. Vor allem aber machten sie sich an Nicos Gürtelschnalle zu schaffen. Geschickt öffneten sie den Reißverschluss und schon rutschte Nicos Hose auf die Knie. Marco atmete jetzt schneller, immer gieriger wurde der Kuss und schließlich umfasste seine Hand Nicos Short, knetete ekstatisch den Stoff. Nur wenige Sekunden brauchte es, bis er Nico steifes Glied aus dem Gefängnis befreite und dann wechselte sein Mund rasch den Ort.

Nico stand machtlos da, er konnte gegen diesen Angriff nichts ausrichten. In Anbetracht seiner längeren Enthaltsamkeit dauerte es nur wenige Minuten, bis ihn den Orgasmus schüttelte.

Marco hob seinen Kopf, seine Augen waren lüstern und wie glasig zugleich.

„Darauf hatte ich so unendlich lange warten müssen«, flüsterte er und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.

Nico stand noch immer da, während seine Erektion nachließ.

„Marco..“

„Sag jetzt nichts«, unterbrach er ihn und zog ihm seine Hose sowie den Reißverschluss wieder hoch.

„Und du?“, wollte Nico wissen.

Marco grinste spitzbübisch.

„Ich hatte schon mein Auskommen. Wegen dir treibe ich es dreimal am Tag. Nur damit du es weißt. Das nächste Mal.. Aber komm, die warten.“

Als sie zurückkamen gab Nico an, dass sie die Säge erst hätten suchen müssen. So kamen keine Fragen auf, warum das länger gedauert hatte.

Als Marco kurz darauf den Ast an dem Baum absägte, während den die anderen festhielten, stand Nico im Raum und dachte an einen schnellen Traum. Ein Geistesblitz eigentlich eher. Marco kniete nun da hinten und streckte ihm fast provokant seinen Hintern entgegen. Wie schön der geformt war, so richtig etwas zum hinfassen und reinbeißen. Er würde sich diesen Part das nächste Mal keinesfalls nehmen lassen. Ein Problem würde es wohl kaum, so wie sich Marco vorhin gebärdet hatte. Ja, der Junge war auf einmal wie ausgetauscht, aber Nico zog nicht in Zweifel, dass er trotzdem noch zärtlich sein konnte. „Wegen dir treibe ich es dreimal am Tag.“ Obwohl Nicos Druck abgebaut war, regte sich bei diesem Gedanken schon wieder eine bestimmte Stelle.

Jonas stellte sich zu ihm und das war ihm im Augenblick nicht so recht. Sicher, niemand sah einem Mann an, dass der gerade Sex hatte, aber bei Jonas war das etwas anderes. Dem konnte man diesbezüglich nicht trauen. Nico fürchtete, irgendwo könnten sie doch Spuren übersehen haben, aber dann schimpfte er sich einen Deppen, der Gespenster sah.

„Wird bestimmt ein schöner Baum«, holte ihn Jonas dann auch seinen wirren Gedanken.

„Nun, das liegt an euch. Bis zum Abendessen muss der aber in aller Pracht erleuchten.“

„Kriegen wir schon hin«, sagte Jonas und lief zurück zu den anderen.

Nico verließ den Raum, um geradewegs Stein in die Arme zu laufen.

„Ah Nico, gut, dass ich dich treffe. Antonia Berger und Professor Roth werden am ersten Feiertag ihre Aufwartung machen. Sie meinten, ein oder zwei Tage hier oben würden ihnen nicht schaden. Leo richtet für sie die Gästezimmer her.“

„Find ich ja klasse“, gab Nico zurück. Dann war die ganze, für ihn so wichtige Mannschaft versammelt.

„Ich habe im Übrigen noch jemanden eingeladen“, setzte Stein dann fort, „aber ob dasjenige kommen kann, weiß es noch nicht.“

Mit dieser seltsamen Andeutung war nicht klar, ob es ein Er oder Sie sein würde und Nico fragte nicht weiter nach, Falk würde eh nicht damit herausrücken. Allerdings klang das sehr spannend. Die Person sollte ihm wohl bekannt sein, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte niemand passendes aus seinem Gedächtnis abrufen.

Tatsächlich schaffte es das Jungenteam, den Christbaum bis zum Abendessen zu schmücken. Nico lehnte unter der Tür zum Gemeinschaftsraum und begutachtete zusammen mit Leo und Rainer das Werk.

„Hübsch. Wirklich hübsch.“

Ruben kam zu den dreien hin und verschränkte die Arme. „Leicht war’s nicht. Die hätten den Baum völlig verunstaltet«, meinte er und deutete damit an, dass ohne seine Hilfe wohl das Chaos ausgebrochen wäre.

„He, wir hätten den auch selbst schön hingekriegt“, protestierte Maik grinsend, unterstützt vom Kopfnicken der anderen Jungen.

„Gut, räumt bitte alles was nicht mehr gebraucht wird in den Flur. Es gibt gleich was zu essen«, rief ihnen Leo zu.

Nico nahm sich für den Abend vor, weiter an seiner Prüfung zu arbeiten. Über Weihnachten wollte er sich das nicht antun.

Als er nach oben in sein Zimmer wollte, hörte er im Flur der Jungen leise Musik. Das war eigentlich etwas ungewöhnlich, denn in der Regel hörte man da nichts, weil die Jungen Ohrhörer dafür benutzten. Er ging den Klängen nach und sie führten ihn geradewegs zu Jonas’ Zimmer.

Die Tür war nur angelehnt und so musste er kaum fürchten, den Jungen erneut in Bedrängnis zu bringen. Er klopfte verhalten, worauf sofort die Musik erstarb.

„Hallo Jonas.“

Der lag angezogen auf seinem Bett und hielt sein Handy vor sich.

„Hallo Nico.“

„Wieso hast du die Musik ausgemacht? Das klang doch irgendwie.. schön.“

Jonas grinste.

„Findest du?“

„Na ja, zumindest das, was ich mitbekommen habe. Was hörst du denn, wenn ich fragen darf?“

„Weihnachtslieder. Weil’s wohl grade passt.“

Nico lachte.

„So direkt hat sich das aber nicht danach angehört.“

Der Junge setzte sich auf.

„Ich denke nicht, dass du das wirklich wissen willst.“

„Oh, meinst du?“

Jonas machte das Lied wieder an und Nico lauschte den Klängen.

„Doch, mir gefällt das.“

„Das Lied vielleicht, aber der, der es singt, wohl eher weniger.“

„Das kannst du auch nicht so genau wissen.“

„Wäre ein Wunder. Die wenigsten Jungen mögen ihn, die Erwachsenen wissen gar nichts mit ihm anzufangen. Die Zahl derer, die ihn sogar hassen, ist unermesslich groß.“

Jonas drehte sein Handy so, dass Nico das Display und den Namen des Sängers lesen konnte.

 

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