Margie 67 – Roter Samt

Sebi holte Luft. »Nun erklärt mal, was da los war.«

Eigentlich störte der Radio im Hintergrund ein bisschen, aber niemand kam auf die Idee, ihn leiser zu stellen. Scheinbar kam das aus einem Lautsprecher, wie er auch in der Kneipe hängen würde. Zentrale Soundversorgung..

»Ja, würd mich auch interessieren. Vor allem, wie ihr auf die Idee gekommen seid, einfach abzuhauen.«

Charly war sauer, oh ja. Gut, man kann’s verstehen und ich hab dann auch versucht, alles noch Mal auf die Reihe zu kriegen.

»Erich? Nie gehört den Namen«, grummelte Charly nach meinem Statement.

In jedem Fall stand dann noch jemand in dem Raum: Die Ratlosigkeit. Keine Ahnung wie sie aussieht, aber die war da, ganz bestimmt.

»Ganz schön heikel, einfach einen umzurennen«, bemerkte Sebastian.

»Was hättet ihr denn gemacht? Erstens stand der im Weg und zweitens konnten wir ja nicht wissen, was die vorhaben.«

Sebastians Blick klebte dann auf Angelo. »So langsam glaub ich aber auch, dass mit Margie etwas nicht stimmt. Angel, du weißt wirklich nicht mehr über sie?«

Angelo stand auf, jetzt war der nämlich auch noch wütend. »Verdammt, ich sag doch, sie ist diesen ganzen Trubel nicht wert.«

Jetzt mischte sich unser kleiner Italiener oder was das war, plötzlich ein. »Nun ist es ja so, dass mich das alles hier auch etwas angeht. Darf ich wissen, worum ihr euch so fürchterlich aufregt?«

Charly rümpfte seine breite Nase. Recht schien ihm nicht zu sein, Jedermann in diese Geschichte einzuweihen, aber Marco hatte ja schließlich wirklich ein Anrecht.

Sebastian schenkte sich inzwischen das was weiß ich wievielte Glas ein und ich erkannte schon den Ansatz von glasigen Augen. Kein Wunder, man konnte bei der Sache durchaus dem Alk anheim fallen.
Dann begann er zu erzählen, so ziemlich von Anfang an. War ganz interessant was sich da in den paar Wochen alles abgespielt hatte. Das meiste war bereits aus meinem Gedächtnis entschwunden.
Während er als so am herunterleiern war, ging ich zu Angelo, der trotzig vor einem der Gemälde stand und es zu studieren schien. Ich legte meinen Arm um ihn. »Schatz, beruhige dich. Wir werden Margie finden, ich versprech’s.«

Na ja, er lächelte mich daraufhin an, aber so richtig gequält. »Wenn du das sagst.«

Freilich glaubte er mir kein Wort, so wenig wie ich mir selber glaubte. Aber man muss ja Hoffnung schöpfen im Leben und nichts war schrecklicher als ein trauriger Angelo. Zumal das Konzert ja nun ins Wasser fiel, zumindest für ihn.

Marco hatte inzwischen den Geigenkasten in die Hand genommen und sah sich den genauestens an. Seinem kritischen Blick zu urteilen schien er etwas davon zu verstehen, oder zumindest tat er so. »Hm«, brummte er nach einer Weile.

»Was ist?«, fragte Charly daraufhin neugierig.

Marco räusperte sich. »Also ich weiß nicht, sehr gut kenne ich mich damit nicht aus, aber wir sollten trotz allem einen Spezialisten zur Rate ziehen.«

»Und warum sollten wir das tun?«, kam es von Sebi aus der Ecke an der Bar.

»Weiß nicht, so ein Gefühl. Lasst mich mal machen.« Und damit verließ Marco den Schauplatz.

Angelo sah im nach. »Was hat er vor?«

»Hättest ihn fragen sollen«, kommentierte Charly das Geschehen.

Wahrlich, eine dümmere Antwort war kaum möglich, aber ich schob es auf die allgemeine Aufregung. Und da wollte ich am Ende auch noch Genaues wissen. »Was machen wir jetzt eigentlich? Lust, hier zu verschimmeln, habe ich jedenfalls keine.«

Angelo nickte zustimmend.

»Also im Moment weiß ich es auch nicht, aber gut ist die Frage schon.« Klang Sebis Stimme schon verwaschen oder täuschte ich mich? Egal, Hauptsache es ging langsam mal weiter hier.

»Warten wir bis Marco zurück ist. Der hat bestimmt eine Idee.«

»Angelo, du hast mir noch immer nicht gesagt, wer oder was dieser Marco ist?« Ich redete so leise, dass nur er mich verstehen konnte.

Er seufzte. Wahrscheinlich aus dem Grund, weil das wieder nicht grad der passende Zeitpunkt war. »Wir kommen öfter zum Essen hierher, Sebastian kennt ihn schon länger.«

Sebi nickte, das hatte er mitbekommen. »Ein Freund aus alten Tagen. Hat mir schon manchmal aus der Patsche geholfen.«

War es jetzt unverschämt, nach diesen Patschen zu fragen? Ich mein, das Ambiente um uns herum erschien immerhin nicht in dem Licht, in dem der Sender stand, zum Beispiel.
Aber ich ließ es sein. Unter bestimmten Umständen würde ich eh nie erfahren, was hier sonst so vor sich ging. Wichtig war ja im Augenblick nur, die eigene Haut zu retten. Erich und Konsorten schwirrten sicher da draußen herum und suchten uns. Wobei, da kann man Frankfurt sicherlich mit dem der berühmten Stecknadel im Heuhaufen vergleichen. Allerdings eben nur so lange, wie wir uns nicht mucksten. Aber ich hatte Letztendlich noch ein anderes Leben da draußen. Zu Hause zum Beispiel. Und dass ich mitten in der Lehre steckte, konnte man auch nicht so ohne Weiteres unter den Flokati kehren.
Ich sehnte mich plötzlich nach der Ruhe am Fellbach, meinetwegen auch mit Felix. Wie Beschaulich das Leben doch sein konnte. Aber jetzt war’s das grade nicht.

Fast lautlos kam Marco wieder ins Zimmer geschlichen, mit einem gewissen Grinsen im Gesicht. Das ließ zumindest etwas hoffen.

»Also, da kommt gleich ein Mensch, der kennt sich mit solchen Sachen..«, dabei nahm er den Geigenkasten und präsentierte ihn wie etwas Wertvolles, »..bestens aus.«

Charlys Gesichtsausruck nahm wieder diese Form an, von der ich nicht wusste ob sie etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten könnte. Klar, jede Person mehr um uns herum bedeutete für ihn ein Risiko. Aber am Ende war er schließlich dafür da, um uns vor den Unbilden der Unterwelt zu schützen. Und retten, das musste er uns auch. Dachte ich jedenfalls so.

Sebastian ließ sich in einen der Sessel fallen. Ja, er hatte was intus, ohne Zweifel. Aber niemand kümmerte das, irgendwie hatte jeder seine eigenen Sorgen am Hut.

Wenig später wieder dieses ominöse Geräusch, woraufhin Marco das Zimmer erneut verließ.

»Jetzt bin ich aber mal gespannt«, sagte Angelo und ich konnte seine Aufregung so direkt neben ihm spüren. Ich suchte seine Hand und als ich sie fand, drückt er auch meine. Zum Glück gab’s dennoch sowas wie Gefühle, auch wenn es keine sonderlich intime Berührung war.

Der Kerl, der dann mit Marco ins Zimmer kam, war interessant. In der Schule hätte man ihn „Bohnenstange“ gerufen. Groß, dürr, Nickelbrille, langes, schütternes und graues Haar, das Gesicht voller Furchen. Ein Anzug, der gut und gerne zwei Nummern zu groß war, ein weißes Hemd mit blauer Krawatte und schwarze Lackschuhe vervollständigten sein Äußeres. Mithin war er gepflegt, kein Gammler aus der Gosse. So der intellektuelle Typ eben. Etwas zwischen Professor und Dirigent. Aber kleine, wache Augen, die wie bei einer Maus wachsam die Gegend in Schach hielten.

»Das ist Doktor Prommel. Gotthilf Prommel.«

Nun gut, er würde sich seinen Namen nicht selbst gegeben haben, aber in der Schule wollte ich mit so einem lieber nicht auftauchen. Angesehen davon, der Name passte wie die Faust aufs Auge.

»Tach«, meinte er kurz und schon klebte sein Blick auf Margies Behausung. »Das ist also das Objekt«, fragte er mit einer ziemlich leisen und eigenartig komischen Stimme. Nicht dunkel, nicht hoch, irgendwie dazwischen. Vielleicht redete er nie viel, wer weiß.
Mit seinen dürren, knochigen Fingern tastete er dann den Geigenkasten ab. Aber wie.. gaaanz vorsichtig, fast bedächtig. Er sagte nichts, zupfte an dem roten Samt und strich dann liebevoll drüber.

Angelos Hand drückte fester zu und ich fand das richtig toll. Allerdings, er zitterte auch wieder. Meine Güte, was musste ihm die Sache mit Margie nachgehen.

Plötzlich stützte Marco zu der Bar, verschwand kurz hinter ihr und dann ertönte es aus dem Radio..

»… wie die Polizei mitteilte, war der Beamte einer verdeckten Ermittlergruppe bei dem Unfall leicht verletzt worden. Die Fahrer, laut Polizei waren zwei männliche Personen, sind weiterhin flüchtig, man sucht in der Tiefgarage nach Spuren. Zwei verdächtige Personen, die nicht mit der Fahrerflucht in Verbindung stehen, konnten jedoch festgenommen werden… «

Okay, Nummer eins: Erich und seine Gespielin waren nun scheinbar unter Verschluss. Nummer zwei: Jetzt war eindeutig klar, dass mein Leben doch eine andere Wendung genommen hatte. Es war keiner von Erichs Schergen, der über die Motorhaube geflogen war. Rasch suchte ich Eins und Eins zusammen. Die waren auch hinter Erichs Bande her, anders konnte es nicht gewesen sein. Mein Gott, wir, das heißt ich, hatte alles vermasselt. Die wollten die bestimmt im Hotelzimmer hochnehmen und.. mir wurde ganz anders, vor allem auch, weil ich nun von allen angestarrt wurde. Die Wirkung von Marcos Getränk hatte spürbar nachgelassen, jedenfalls keine Spur mehr von Gleichgültigkeit. Ich denke, die nackte Angst kroch mir im Nacken hoch und Angelo spürte das auch. Mit großen Augen sah er mich an.

»Scheiße«, fluchte Charly und ich fand dieses Wort an der Stelle durchaus angemessen.

Sebastian befand sich zu dem Zeitpunkt bereits wieder an der Bar. »Und jetzt?«, fragte er beim einschütten einer neuer Ladung.

»Das gibt Ärger«, funkte Marco dazwischen und all die Worte kamen wie durch Watte in meinem geschändeten Hirn an.

»Wir müssen uns melden. Wenn nicht, können wir Margie eine Ansichtskarte aus dem Knast schicken«, bemerkte Sebi, nachdem das nächste Glas leer war. Recht hatte er, aber ich hatte eine ganz beschissene Angst. Verhör, so mit Lampe vorm Gesicht.. und ohne Strafe würde ich nur durch einen exzellenten Anwalt davonkommen, wenn überhaupt.

Charly stemmte sich gemächlich aus dem Sessel. »Tja Leute, wir müssen zur Polizei.«

Hatte ich eine Chance, Nein zu sagen? Eher nicht, auch wenn die anderen in dem Raum kaum etwas zu befürchten hatten. Ich allein hatte den Mann aufgegabelt, sonst keiner. Meine Gedanken waren dann überall, aber eine Lösung kam einfach nicht in Sicht. Ich war immerhin ein braver Junge gewesen bisher, keine Beziehungen zu Drogen, Mafia oder sonstigen zwielichtigen Gesellen. Trotzdem, wohl war mir bei weitem nicht.

»Sebastian, ruf an, die sollen kommen. Wir sollten jetzt nicht nach draußen.«

»Aber es sieht so aus, als müssten wir von den Entführern nichts mehr fürchten. Die einzigen die uns auf den Fersen sind – zu denen wollen wir ja.«

Wollen. Wer konnte da von Wollen reden? Ich sah Angelo an, mit einer Bitte drin um eine Antwort. Aber die kam nicht.
Also, ich war der alleinige Sündenbock von der ganzen Meute und wieso weiß ich nicht, ich fühlte mich jedenfalls auf einmal verraten und verkauft. Das durfte doch alles nicht wahr sein.

Inzwischen hatte sich Gotthilf, ungeachtet allem, was um ihn geschah, offenbar ein Bild von dem gemacht, was einst Margie beinhaltete. »Wem gehört das?«, fragte er und sah jeden einzelnen an.

Angelo trat einen Schritt auf ihn zu. »Mir.«

»Darf ich fragen, woher Sie das haben?«

»Klar«, antwortete mein Schatz, fast schon stolz. »Von meinem Großvater geerbt.«

»Und wo hatte er sie her? Die Geige, meine ich jetzt.«

»Hm, das hat er nie gesagt.«

Der Mann äugte Angelo ziemlich kritisch an. »Nun, ich müsste vielleicht noch einige Details besser unter die Lupe nehmen, aber.. dieses Stück – sofern der Inhalt dazu passt – ist alt. Sehr alt und dürfte einem der ganz großen Meister gehört haben.«

Okay, meine Watte war immer noch in den Ohren, aber das verstand ich. Und im Übrigen fand ich mich mit meiner Vermutung bestätigt. Lug und Trug das Ganze, der Schätzer war an allem Schuld und nun ging’s nicht mehr nur um Margie, sondern da drum, was sie wert war.

Angelo schluckte. »Welcher Meister?«

»Ich möchte mich dazu vorerst nicht äußern, aber wenn ich den Kasten mitnehmen dürfte.. kann ich es genauer bestimmen.«

»Mitnehmen?« Angelo klang entrüstet.

»Keine Angst, Herr Gagliano wird für mich bürgen, nicht wahr?« Dabei fiel sein Blick auf Marco und der nickte wohlwollend.

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