71. Erstens kommt es anders…
© by Dario
»Musst du eigentlich ganz dringend nach Hause? «, fragte er nach ein paar Minuten, während denen wir durch den Wald fuhren. Die Antwort musste ich mir erst überlegen, denn damit hatte ich wahrscheinlich Einfluss auf den Ausgang der Geschichte. Knallhart stellte ich mir die Frage: Willst du mit ihm schlafen und ein bisschen Spaß am Rande haben oder war das Angelo gegenüber alles andere als fair? Zugegeben, ein bisschen Druck hatte ich schon noch in meiner Hose, die Situation war einfach zu prickelnd. Verführerisch kann man auch sagen und wer konnte wissen, ob ich ein Nein nicht doch bereuen würde. Später Mal, wenn mir all das wieder einfiel. Ich sah mir Sandro noch mal genauer an, aber es gab einfach nichts, was mich zurückhielt.
»Eilig hab ich’s nicht, nein. Am Montag muss ich wieder zur Arbeit.. «
Sandro lachte. »Montag.. aha. «
Wir fuhren und fuhren. Es gab inzwischen viele Stellen, an denen Sandro hätte abbiegen können. Einsame Wirtschaftswege, die so selten genutzt wurden, dass das Gras schon Kniehoch dort wuchs. Keine Menschenseele zu Fuß, nur ein paar Autos kamen uns entgegen. Auf was wartete er bloß?
Nebelschwaden zogen über die Straße, sie kamen wohl von dem Regen auf den heißen Boden ringsum. Ich öffnete das Fenster etwas und ließ die frische Waldluft herein.
»Sandro, was hast du eigentlich vor? «, versuchte ich erneut, Licht in die Sache zu bringen. »Wenn du es mit mir treiben willst, dann sag das doch auch. «
Er schwieg, grinste nur. Gut, hätte ich mir denken können und wozu viele Worte. Irgendwie würde er einen Plan haben und viel anderes, als mich überraschen zu lassen, schien mir nicht zu bleiben.
»Hast du Durst? Hinten gibt’s ne Bar«, sagte er dann.
Schlecht war dieser Vorschlag nicht, in der Tat war mir nach etwas Flüssigem. »Eigentlich schon«, antwortete ich und prompt steuerte Sandro den Wagen an den Straßenrand. Er stellte den Motor ab und stieg aus.
Ich tat es ihm nach, ein paar Minuten die Füße vertreten war auch nicht so verkehrt. Sandro lehnte sich an das Auto und blinzelte in die Sonne, die durch das Blätterdach über uns herunter schien. »Bedien dich, es müsste alles da sein. «
»Du nicht? «, fragte ich ihn.
»Nein, im Augenblick nicht. «
Ich öffnete die Tür zum Fond und stieg in den geräumigen Wagen. Platz war da ja wirklich jede Menge, wie in einem Bus fast. Die Bar war nicht zu verfehlen und der Inhalt machte eine Entscheidung schwer. In Anbetracht der Umstände beschloss ich gegen meine Regel, am Tag Alkohol zu trinken, mir einen Gin zu mixen.
Nur am Schatten bemerkte ich, dass Sandro plötzlich hinter mir stand. Er beugte sich in den Wagen. »Kommst klar? «
»Sicher, ist ja hier kein Problem. «
Seine Nähe machte mich schon wieder fusselig. Meinem Einfall, der Wirkung des Alkohols dem weiteren Ablauf Vorrang zu lassen, fand ich dann gar nicht mal schlecht.
Ich setzte mich mit dem Glas in der Hand auf die Rückbank und streckte mich. Weit und lang waren wir zwar nicht gefahren, aber dennoch tat es gut, die Gräten von mir zu strecken.
»Willst du mir nicht sagen, wie das hier jetzt weitergeht? «
Er setzte sich mir gegenüber und streckte seine Beine ebenfalls aus, so quasi zwischen meine und das hatte was ganz komisch Erotisches an sich. Die Beule zwischen seinen Beinen war echt sehenswert, wenn auch nicht aufdringlich auffällig. Aber sie zog meine Blicke auf sich, ich war dagegen absolut machtlos. Sandros Gesicht so genau vor mir machte die Sache nicht eben einfacher. Meine Güte, er war wirklich sehr hübsch. Angelos Portrait gesellte sich dazu und zwang mich zu einem Vergleich. Sie nahmen sich nichts, ohne Zweifel. Hätte ich jetzt auf meine innere Stimme gehört? Vielleicht, aber sie schwieg beharrlich. Offenbar ging sie davon aus, dass ich mich längst für ein Techtelmechtel mit Sandro entschieden hatte. Aber mitnichten, das hatte ich immer noch nicht. Es wäre gar nicht schlecht gewesen, wenn Sandro da auf der Stelle aktiv geworden wäre. Ohne Umschweife. Er ließ mir verdammt viel Zeit und das machte mich irgendwie nervös.
Ich nippte erst an dem Glas, dann kippte ich es runter.
Sandro sah mir interessiert zu. Wartete er jetzt etwa, bis ich anfing ihn auszuziehen? Ah, so könnte es gewesen sein. Seine aufreizende Körperhaltung war nicht zufällig, er wollte mich aus der Reserve locken. Anders konnte es gar nicht sein.
Die Wirkung des Alkohols ließ in der Tat nicht lange auf sich warten. Ich spürte die leichte Entspannung, was sich aber nicht auf den diesen blöden Druck in meiner Hose auswirkte. Komischerweise schien Sandro da keinen Blick drauf zu werfen, eher kam es mir vor, als würde er auf die Weiterfahrt warten.
Diese Lippen.. sie waren garantiert zum Küssen geschaffen. Diese Knusperbräune, gleichmäßig und nicht übertrieben, die schönen Hände. Er nahm Besitz von mir, langsam aber sicher. Nur saß ich einfach da, das leere Glas in der Hand, ein paar Vögel sangen in den Bäumen, ab und zu fuhr ein Auto an uns vorbei. „Es liegt an dir“, vernahm ich dann doch meine Stimme. Mehr sagte sie nicht, aber sie machte mir meine Lage noch einmal deutlich.
»Wollen wir weiterfahren? «, fragte Sandro plötzlich.
Okay, er hatte lange genug gewartet, auf mich mit Sicherheit, und nichts kam. Das sind so Momente im Leben, wo man nicht weiß ob man sich in den Hintern treten oder das Ganze als Pech abhandeln soll. Immerhin hatte ich schon einige solcher Gelegenheiten vermasselt.
Es dauerte ein paar Sekunden, dann entschied ich mich sozusagen für Angelo. Es war nicht anzunehmen, dass mein Leben in wenigen Stunden endet und von daher dürfte es doch noch ein paar solcher Möglichkeiten geben. Nur, diese hier konnte ich abhaken. Ob ich Sandro für sein gefühlvolles Verständnis danken oder ihn verfluchen sollte, das ließ ich zunächst mal offen.
»Okay, wegen mir«, antwortete ich und stieg aus dem Wagen, um wieder auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen.
Wir sprachen kein Wort, obwohl es mir immer mehr ein Anliegen war, das Ziel dieser Fahrt endlich herauszufinden. Allmählich ließen wir mir bekannte Ortschaften hinter uns, ab und an bog Sandro in andere Straßen ein und immer noch ging es nur über Land.
Irgendwann dann doch wieder Bekanntes: Wir überquerten bei Wiesbaden den Rhein, folgten seinem Lauf bis fast hinauf nach Koblenz. Ab und zu schloss ich die Augen, solche Fahrten machen einfach müde – mich zumindest. Einen klaren Gedanken konnte ich schon eine Weile nicht mehr fassen, alles drehte sich was aber nicht mit dem Alkohol in Verbindung stand. Mein kurzes Leben waberte vor mir auf und ab, besonders auch die letzten Wochen und Monate.
»Nun erzähl mal, was ist eigentlich los? Ich halte mich für gewöhnlich zurück, aber ich wüsste jetzt doch ganz gerne, was da abgeht. Angelo Kassini.. und du. Warum musste ich euch fahren? «
Ich holte tief Luft. Lieber darüber reden als über gar nichts. Also begann ich Margies Geschichte zu erzählen, alles, was mir dazu einfiel.
Sandro sagte nichts, fragte nichts. Er nickte nur, ließ mich schwallen und schwallen und mit jedem Mal, wenn mir Angelos Name über die Lippen kam, wurde mir seltsamer. Er war schon so sehr in meinem Leben verankert, ohne dass ich das bis zu diesen Minuten so wahrgenommen hätte.
Irgendwann bog Sandro wieder ab und wir tauchten erneut in viel Wald und Wiesen ein. Wären die Umstände andere gewesen, eine zweifellos beschauliche Fahrt. So ärgerte mich immer mehr, dass ich das Ziel dieser Reise nicht kannte und Sandro darin so schweigsam blieb.
Am späten Nachmittag schließlich steuerte Sandro den Wagen in ein Waldstück und hielt an.
»Komm, wir müssen ein Stück zu Fuß«, sagte er nur, die ersten Worte seit was weiß ich wann.
Ich gehorchte ohne Murren, was hätte das auch bringen sollen.
Wir folgten dem Waldweg, der leicht anstieg und hier war alles noch einsamer als einsam. Vögel, sonst nichts vernehmbares. Was hatte der Junge bloß vor? Mich zum knuspern hierher zu schippern war fast schon lächerlich, dazu gab es seit Frankfurt 1000 Möglichkeiten. Allerdings verschärfte sich mein Eindruck, dass er gar nichts von mir wollte. Zumindest bis hierher nicht.
Irgendwann kamen wir auf eine kleine Anhöhe und Sandro blieb stehen. Er zeigte vor uns, durch einige Büsche hindurch, hinunter. »Da unten«, sagte er nur und ich folgte seinem Arm.
Einen Moment musste ich mich sortieren. »Oh.. das.. ist ja ein Ding«, sagte ich leise. Da unten, keine 100 Meter entfernt, stand die Hütte. »Wieso.. ? «
»Ach Ralf. Ich habe mit der Sache nichts zu tun, aber mich merke doch wie sehr du Angelo liebst. Was wir genau hier sollen… ich habe keine Ahnung, aber trotz allem stecke ich ja jetzt mit drin. Ich wollte dich nicht einfach so absetzen und das war’s. «
»Und wie konntest du den Ort wieder finden – aus einer ganz anderen Richtung? «
»Ach weißt du, ich musste zuvor ja die Karte studieren. Anfangs wollte ich die Strecke fahren, die wir jetzt gekommen sind, hab mich dann aber für die andere entschieden. Deswegen. Und die hier war jetzt zudem schneller. «
Gespannt beobachtete ich das Haus da unten. Es war verdächtig still. »Sind die überhaupt noch da? «
Sandro zog die Schultern hoch. »Keine Ahnung, ich denk aber schon. «
Gut, in Anbetracht der Umstände, dass Angel, Sebastian und Charly abtauchen mussten, war tatsächlich davon auszugehen. »Und wie geht es jetzt weiter? Ich meine, sie haben mich ja förmlich rausgeworfen. Ich glaube nicht, dass sie mich mit heller Freude empfangen werden. «
Sandro rieb sich am Kinn und lächelte mich an. »Also ich an deiner Stelle würde mich nicht so billig abservieren lassen. Immerhin ist dein Freund da unten und.. «
Ich winkte ab. »Der war der erste, der mich los haben wollte. «
»Zu deiner Sicherheit, denk ich. «
»Aber warum hast du mich dann wieder hier her gebracht? Nur, damit sich das Ganze wiederholt? Sandro, darauf hab ich aber absolut keinen Bock. Ehrlich. Ich hab dir ja erzählt, dass wir untertauchen mussten, vor wem auch immer. «
Mein Handy klingelte und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich deswegen fast zu Tode erschrocken. Hastig fummelte ich das Phone aus der Tasche. Kein Videoanruf, kein Angelo. „Felix“ stand im Display. Himmel, welch Freude. Nicht, dass ich ihn völlig vergessen hätte, aber er war doch schon weit entfernt.
»Hallo Felix, wie geht’s dir? «
»Ralf. Sag mal, lebst du noch? Geht es dir gut? Wo steckst du denn? «
»Klar leb ich noch. Ob es mir gut geht weiß ich nicht genau und wo ich bin, noch weniger. «
»Du sprichst in Rätseln. «
»Ja, ich weiß, Felix. Mein ganzes Leben ist zumindest im Moment ein Rätsel. «
»Wirklich alles okay mit dir? «
»Ja, wirklich. «
»Und wann kommst du zurück? «
»Ich denke, heute, spätestens morgen. Sobald ich zu Hause bin, melde ich mich bei dir, ja? «
»Gut. Was macht Angelo? «
Diese Frage musste kommen. »Dem geht es auch gut. « Das Hoffentlich am Ende sparte ich mir, denn im selben Augenblick sah ich, wie er und Sebastian vor das Haus traten und sich Kippen anzündeten. »Du, ich muss Schluss machen. Bis bald. «
»Ja, bis bald.. «
Uff. Felix hatte sofort gemerkt dass Rauch in der Küche war, aber ich hätte ihm so oder so nicht alles erzählen können. Trotzdem, sein Anruf gab mir ein bisschen Aufwind, mein anderes Leben wartete auf mich und ich musste ganz dringend da wieder hin.
Allerdings blockierte Angelos Anblick mein Vorhaben. Die beiden standen da unten, unterhielten sich und lachten sogar. Was war an all dem so lustig? Gab es nicht eher jeden Grund, ernst zu sein? Ich kniff die Augen zusammen. Sie standen je schon sehr nah beieinander, knufften sich auch mal am Arm. Na ja, immerhin die besten Freunde, sozusagen.
Tja, und was dann kam hätte ich lieber nicht sehen sollen. Okay, es war ja nicht meine Schuld dass ich hier oben stand. Sandro hatte das zu verantworten, allerdings nicht, was dann passierte.
Angelo und Sebastian sahen sich an, zu lange und zu intensiv wie mir schien und gingen noch einen Schritt näher auf sich zu. Sie warfen die Kippen in den Sand und plötzlich hatte Angelo Sebis Gesicht mit beiden Händen im Griff. Er zog ihn zu sich und – küsste ihn. Mitten auf Mund. Grade mal so schätzungsweise fünfzig Meter vor mir.
Hätte man mich mit einer Nadel gestochen, es wäre kein Tropfen Blut aus mir entwichen. Mir wurde ganz seltsam vor den Augen und alles begann so komisch zu verschwimmen.
Es half ein wenig, dass ich auf einmal Sandros Hände um meine Hüften spürte, aber das tat er wohl mehr, um mich vorm umfallen zu hindern. Das hatte ich nicht erwartet, nein. Alles, aber das nicht. Wie lange die sich da abknutschten weiß ich nicht mehr, aber logischerweise dauerte das viel zu lange, auch wenn’s nur ne Sekunde oder so gewesen sein sollte.
Irgendwann gingen die beiden ins Haus zurück, wobei mich wunderte, dass sie das nicht Händchen haltend taten.
Und ich stand da. Der Ausdruck begossener Pudel würde es wohl am besten getroffen haben. Diese beiden.. Also deswegen wollte man mich unbedingt loswerden. Margie diente nur als Alibi, sonst für nichts. Diese verfluchte Geige.. sie brachte mein Leben gehörig durcheinander.
Sandro drehte mich zu sich um. »Entschuldige, ich hab dich nicht hier her gebracht um dir das zu zeigen… es tut… mir so leid. «
Das klang ehrlich und nach Entschuldigung, aber das brauchte Sandro nicht. Nie hätte ich ihn dafür verantwortlich gemacht und so legte ich meine Arme um seine Schultern und heulte erst mal los.
Und noch während ich meine Tränen in seinem Hemd versickern ließ, rappelte wieder mein Handy. Mit verschwommenem Blick sah ich dass es Angelo war, aber es kam mir vor wie eine höhnische Fratze. Das empfand ich da als perverse Provokation, drückte deswegen den Anruf weg und schaltete das Handy aus.
»Lass und gehen, ich muss weg von hier. «
Ohne Zögern trat Sandro mit mir den Rückweg an.