Unterhaltung
Na toll, man redet also über uns. Auf dem Weg zur Küche fand ich Michael bei den Giraffen.
„Hallo Michael!“, rief ich.
Er drehte sich herum und winkte mir zu.
Er stand auf einer Leiter und band dort Zweige an einem Mast fest.
„Du, kann ich dich mal etwas fragen?“
„Ja, klar“, meinte Michael und stieg die Leiter herunter, „was ist?“
„Sagt dir der Name Gisbert etwas?“
„Unser Obermotz ja, warum?“
„Ich war gerade in der Umkleide, da hörte ich zwei Frauen über uns sprechen und dass eben dieser Gisbert ein Schwulenhasser wäre.“
„Das stimmt, aber bisher hat er mich in Ruhe gelassen.“
„Die Eine meinte dann noch, dass, wenn er von seinem Urlaub zurückwäre, endlich hier wieder richtig gearbeitet würde.“
„Das kann nur Carina gewesen sein, sie schwärmt für Gisbert. Sie wird ihm dann wieder jede Einzelheit erzählen, die sich hier zugetragen hat.“
„Aber hier macht doch jeder seinen Job, man hilft sich sogar gegenseitig.“
„Das zählt bei Gisbert nicht. Wenn es nach dem ginge, müssten die Besucher sogar Überzieher auf ihre Schuhe machen, damit sie keinen Dreck in den Zoo schleifen.“
Ich musste grinsen, da ich mir gerade vorstellte, wie alle hier mit diesen blauen Tütchen an den Schuhen herumliefen.
„Mach dir da mal keine Sorgen!“, sagte Michael, „so, ich muss weiter machen, habe noch mehr Arbeit.“
Er gab mir einen Kuss und kletterte wieder die Leiter hinauf.
„Scheint schönes Wetter zu geben… die Affen steigen wieder“, rief ich ihm frech grinsend hinterher.
Er streckte mir dir Zunge raus. Ich schaute auf die Uhr und merkte, dass auch ich mich sputen musste. Also düste ich in die Küche und begann, Obst und Gemüse schnippeln. Mein Rücken begann wieder zu jucken und am Liebsten hätte ich auch so einen Kratzbaum wie die Bären gehabt, an dem ich mich hätte jetzt scheuern können.
„Morgen“, hörte ich eine Frauenstimme, die mir bekannt vorkam.
Ich drehte den Kopf, kannte diese Person gar nicht, bis jemand sie mit Namen anredete… das war also Carina. Sie schaute mich kurz an und rümpfte die Nase. Mir sollte es aber egal sein, ich hatte nichts mit ihr zu tun.
„Dennis?“
Ich drehte mich wieder zur Arbeit um, wo nun auch Sabine stand.
„Ja?“
„Ist was?“
„Nein.“
Überzeugend hatte das nicht geklungen, denn sie schaute nun auch in die Richtung von Carina.
„Ich wollte dir zeigen, wie wir das mit den Tabletten machen. Dem Bären eine geben und ihm ein Glas Wasser dazustellen, das geht halt nicht.“
Schnell war Carina vergessen und ich hörte Sabine gespannt zu. Sie zeigte mir, wie wir die Tabletten in das Essen der Bären schmuggelten. Ein kleiner Schnitt in den Apfel und die Tablette wurde reingedrückt.
Später sollte ich nur aufpassen, dass auch jeder Bär so einen Apfel bekam. Beladen mit Schüsseln machten wir uns gemeinsam zum Bärenhaus.
„Na… wie war dein Wochenende?“, fragte Sabine, als wir aus der Reichweite der Anderen waren.
„Ein ziemliches Durcheinander“, antwortete ich.
„Aber eins mit Erfolg?“
Ich strahlte und nickte.
*-*-*
Als wir unsere morgendlichen Pflichten erledigt hatten, die Bären ins Gehege entlassen und Krümel in seinem frisch renovierten Raum deponiert hatten, gingen wir gemeinsam zum großen Vogelhaus.
Zig mal war ich schon hier gewesen, früher, bei meinen Besuchen im Zoo, aber diesmal nahm ich es ganz anders wahr. Vor allem, weil ich nicht, wie bisher, vor den Scheiben stand, sondern diesmal dahinter.
Es waren auch jetzt Leute im Glastunnel, der quer durch das Vogelhaus führte. Im Innern des Hauses wurde die Stille durch einzelne Vogelrufe unterbrochen, die ich aber nicht zuordnen konnte.
Ich folgte Sabine auf einem Pfad quer durch das Dickicht, bis sich vor uns eine kleine Lichtung auftat und hier warteten schon die anderen. Doktor Reinhard stand in der Mitte.
„So Leute, wie jedes Jahr heißt es, Vögel zählen. Ihr fangt sie wieder ein und bringt sie zu mir.“
Alle nickten und hatten Netze und Kescher in der Hand. Michael konnte ich nicht entdecken, der war wohl noch bei den Giraffen. Ich wollte mir grad ein Netzt nehmen und ebenso Tiere fangen, als mich Doc Reinhard zurückhielt.
„Dennis, dich brauche ich hier“, meinte er nur, also legte ich das Netz zurück.
Schon kamen die ersten mit Vögeln an. Doc Reinhard drückte mir eine runde Scheibe mit einem Griff in die Hand.
„Du fährst mit dem Teil über den Körper des Tieres und wenn es piept, hast du die Codenummer gefunden, die du hier oben ablesen kannst“, sagte Reinhard und zeigte auf ein kleines Display.
„Lies sie laut vor, Sabine kann sie dann notieren!“
So kämpften wir uns von Käfig zu Käfig. Oft musste ich fast den ganzen Körper absuchen, bevor das Ding endlich lospiepte. Ein oder zweimal piepte es überhaupt nicht. Reinhard nahm dann eine Spritze und setzte sie an den Vögeln an.
Angewidert schaute ich jedes Mal weg.
„So, nun probiere noch mal“, meinte Reinhard.
Diesmal piepte es sofort.
„3 – 7 – 8 – 2 – 7“, lass ich laut vor.
Sabine notierte sich das und schrieb die Gattung des Vogels auch gleich hinten dran. So erfuhr ich, dass ich einen Canon Moorhahn vor mir hatte. Es war nicht leicht, die Tiere ruhig zu halten.
Mit einer Hand wurde der Schnabel festgehalten, mit der Anderen verhindert, dass sie nicht mit ihren Flügel schlugen. Keine leichte Aufgabe für meine Kollegen. Das nächste Tier kam und ich suchte wieder den Chip.
„Piep“
„6 – 5 – 3 – 6 – 2“, las ich ab.
So ging es die ganze Zeit. In meinem Kopf piepte es nur noch und ich sah nur noch Zahlenreihen.
„Geht das noch lange?“, fragte ich.
„Jetzt hab dich nicht so, die Hälfte der Vögel haben wir doch schon durch“, meinte Sabine.
„Die Hälfte?“
So piepte und zählte ich munter drauf weiter.
*-*-*
Am Mittag war wieder Bärengehege angesagt, aber diesmal nicht, um es zu reinigen, nein, diesmal wollte Sabine ein paar Sachen für die Bären deponieren, damit sie eine Beschäftigung hatten.
„Nimmst du den Schubkarren?“, fragte Sabine.
„Was ist das alles für Zeugs?“, fragte ich.
„Du weißt doch, Bären brauchen Unterhaltung und ich habe welche gemacht.“
Ich sah nur Seile, Holz und andere Sachen, wie konnte man damit Bären unterhalten? Sabine schien meine Gedanken zu lesen.
„Warte ab, du wirst es nachher sehen, wenn alles fertig ist.“
So schob ich meinen Schubkarren ihr hinterher und gemeinsam betraten wir das Gehege.
„So! Du nimmst den Eimer mit Obst und versteckst ihn hier auf dem Gelände an Stellen, wo die Bären etwas schlechter hinkommen.“
Ich nickte und schnappte mir den Eimer mit Obst. Es war gar nicht so einfach, solche Stellen zu finden. Wie ein Bär dachte ich nun mal nicht und so fing ich an, einzelne Obstteile in Baumgabelungen, in Feldnischen und Erdlöchern zu deponieren.
„Brauchst du Hilfe?“, hörte ich Michael rufen.
Damit war Sabine gemeint, denn ich war nicht im Sichtfeld von Michael. Ich lief um die kleine Steinformation herum und sah, wie Michael zu Sabine lief.
„Ja, kannst du mir das Seil auf dem Baum anbringen, damit wir diesen Holzstamm daran aufhängen können.“
Michael nickte und schnappte sich das Seil.
„Hi Michael“, sagte ich, als ich bei den Beiden angelangt war.
„Hast alles versteckt?“, fragte Sabine.
Ich zeigte ihr den leeren Eimer. Dann sah ich zu Michael hinauf, der schon recht weit oben im Baum war. Er hatte seinen Pulli ausgezogen und darunter nur ein enges Muskelshirt an. Ich konnte genau seine Muskeln sehen.
Jede einzelne Bewegung nahm ich wahr.
„Hallo DENNIS, könntest du mir mal helfen und nicht deinen Liebsten angaffen?“, sagte Sabine laut und riss mich aus meinen Gedanken.
„Schubs ihn ins Wasser, das kühlt ab!“, hörte ich von oben.
Ich streckte Michael die Zunge heraus.
„Zicke!“, bekam ich als Antwort darauf.
Ich atmete tief durch.
„Was soll ich machen?“, fragte ich jetzt leicht genervt.
Sabine grinste mich nur breit an.
„Da du auf so absolut süße Sachen stehst… nimm den Honig und streich damit ein paar Stellen an den Ästen ein, das lecken die Bären gerne ab“, erklärte Sabine und reichte mir einen Honigtopf und eine Spachtel.
Was war denn hier los, hatte ich irgendwo am Shirt „verarscht mich!“ stehen.
„Einstreichen?“
„Ja, du nimmst die Spachtel, tunkst sie etwas in den Honig ein und streichst dies dann auf den Ast.“
„Aha.“
„Sabine, hängst du dann den Holzklotz dran?“, rief Michael von oben.
„Ja, Moment… Dennis hilfst du mir kurz?“
Ich stellte den Topf mit Honig ab und half ihr, den Klotz an das Seil zu hängen.
„Was ist da drin?“, fragte ich.
„Auch Obst und Honig, aber wieder verschlossen, da müssen die sich sehr anstrengen, um an ihr Futter zu kommen.“
„Ich mach dann den Honig“, meinte ich und lief los.
Mühsam tunkte ich die Spachtel in den Topf und versuchte, nicht allzu viel davon wieder zu verlieren, denn der Honig floss recht schnell von dem blanken Metall der Spachtel herunter. Es tropfte mehr daneben, als dass der Ast was abbekam.
„Dennis?“, hörte ich jemand rufen.
Ich drehte mich um und da stand Tim. Zwischen uns nur der Wassergraben, der die Besucher vor Gefahren von den Bären beschützen sollte.
„Was tust du denn hier?“
„Ich habe schon Feierabend.“
„Na, toll, ich muss noch eine Weile.“
„Ist dein Michael irgendwo?“, fragte Tim.
„Ja, drüben an der Mauer, im Baum, warum fragst du?“
„Ich wollte ihm kurz etwas sagen.“
Ich hörte ein Knirschen, dann ein Krachen und dann folgte ein Schrei. Oh Scheiße… Michael.