Kapitel 1
David lief die Straße hinunter. Der Morgen hatte schon beschissen begonnen. Er war mal wieder viel zu spät dran und auf seinen morgendlichen Kaffee hatte er auch verzichten müssen. Dabei könnte es heute wirklich super werden.
Die Sonne hatte ihn geweckt. Okay eine halbe Stunde zu spät, aber immer hin.
Gleich würde Tessa zu ihm stoßen. Zum letzten mal der gemeinsame Schulweg, den sie jetzt seit fünf Jahren jeden Tag zusammen gegangen waren.
Tessa war seine Freundin. Nicht so eine, mit der man ins Bett geht und die man danach wieder fallen lässt, sondern einfach seine beste Freundin. Mit ihr konnte er über alles reden, das wusste er und ihr ging es genau so.
Heute gab es die Vornoten fürs Abi… der letzte Tag. Für immer. Keine langweiligen Mathestunden mehr und keine nervige Schneider, die bergeweise Analysen schreiben lässt. Nie wieder die dummen Partyschnepfen, die ihr Gehirn in irgendwelchen Discos gelassen haben…. eigentlich ein freudiger Tag.
Wenn das nicht auch hieße, die Freunde nur noch selten zu sehen.
Da bog Tessa um die Ecke und begrüßte ihn mit einer Umarmung, die heute irgendwie länger dauerte als sonst. Tessa trug außerdem eine sehr dunkle Sonnenbrille auf ihrer hübschen Nase. Es war zu offensichtlich: sie hatte jetzt schon geweint. Wie sollte das nur heute Nachmittag werden?
„Morgen Süße! Hey, brauchst doch jetzt noch nicht weinen!“
Liebevoll strich David ihr durchs Gesicht.
„Schon gut… red nicht davon, sonst fang ich gleich wieder an!“
Er nahm sie an die Hand und sie liefen weiter. Wenn sie nicht zu spät kommen wollten, mussten sie sich beeilen.
In der Schule angekommen, trafen sie gleich auf den Rest ihrer Clique.
„Ah, da sind ja unsere beiden Turteltauben!“ rief Tobias gleich.
Tessa schenkte ihm nur ein müdes Lächeln und gab David einen Kuss auf die Wange. Sie fand es lustig, dass die anderen dachten, David und sie wären ein Paar. So hatte sie Ruhe vor aufdringlichen Typen und David vor jenen Partytussis, die ihm ständig hinterher liefen.
„Seid ihr heute Abend dabei?“ fragte Tobi, woraufhin David Tessa fragend ansah.
Heute Abend war Tanzen. Die Clique hatte sich schon vor Monaten zur Tanzschule angemeldet, um beim bevorstehenden Abiball nicht wie doof auf dem Parkett zu stehen.
„Scheiße…. Hab ich total vergessen!“
Tessa schlug sich mit der flachen Hand gegen sie Stirn.
„Ich glaub, das ist nicht so schlimm. Nico kommt, so weit ich weiß heute auch nicht. Da kann David doch mit Ulli tanzen!“
David freute sich schon jeden Freitag tierisch auf den Kurs und für einen kurzen Augenblick hatte er schon die Befürchtung, es würde heute für ihn flach fallen.
Der Vormittag verging viel zu schnell und nachdem alle ihre Vornoten bekommen hatten, war es erst halb zwölf. Das große Heulen ging los. Und auch wenn David schon den ganzen Tag mit Sonnenbrille herum lief, hatte er sich fest vorgenommen, frühestens zu Hause los zu flennen. Schließlich war er ein Mann…
Die Mädels hatten ja schon morgens angefangen, doch sogar Basti, der normalerweise der Bully hoch drei ist, kam ihm jetzt mit roten Augen entgegen.
Ein Gutes hatte die Tanzstunde heute Abend, danach würden sie alle noch etwas essen gehen und aus den Augen verlieren würden sie sich auch in den nächsten Wochen noch nicht.
Kapitel 2
Als David wieder zu Hause war, suchte er sich erst einmal etwas zu essen und ging dann duschen, denn hier konnte er am besten nachdenken. Während das Wasser wie ein warmer Sommerregen auf seinen Körper prasselte, setzte er sich hin und genoss den Augenblick.
Er ließ den Tag Revue passieren, doch seine Gedanken drehten sich schon um heute Abend. Er würde mit Ulli tanzen. Er war wirklich zu beneiden. Ulrike war klug, gewitzt und sah dazu richtig gut aus. Schon lange hatte er ein Auge auf sie geworfen, sich aber nie getraut, sie anzusprechen, auch wenn sie zur gleichen Clique gehörte.
Es hämmerte an der Badezimmertür.
„David, bist du nicht mal bald fertig??“
Das war seine Mutter.
„Gib mir zehn Minuten“, rief er zurück und drehte das Wasser ab.
Er stieg aus der Dusche und betrachtete sich von oben bis unten in dem großen Spiegel.
Gut sah er aus. Mit seinem muskulösen Oberkörper, den er dem Schwimmbecken im Keller zu verdanken hatte.
Die dunkelbraunen Haare hingen ihm nass bis in die eisblauen Augen. Kurze Stoppeln bedeckten sein markantes Kinn.
„Da muss dann wohl noch mal der Rasierer ran!“, dachte er sich und fuhr sich gedankenverloren mit der Hand über die Wange.
Dann drehte er sich um und betrachtete seinen Rücken. Auch der war muskulös und ging in einen knackigen, durchtrainierten Po über, welcher in sehnigen Beinen auslief.
Ja, er sah gut aus. Tessa sagte immer, er könne jede haben, aber irgendwie schien er nie die Richtige zu finden. Seine Beziehungen dauerten nie länger als zwei Wochen. Er schob das auf sich. War er zu anspruchsvoll? Zu selbstverliebt? Nicht gut im Bett? Nein, daran konnte es nicht liegen.
Ein erneutes „DAVID!!!“ von seiner Mutter holte ihn aus den Gedanken und er begann sich noch schnell zu rasieren, die Haare zu machen und sich wieder anzuziehen.
Danach ging er in sein Zimmer, schnappte sich seine Tanzschuhe und warf sie in den Rucksack, den er sogleich schulterte und sprang dann mit einem lauten Knall die Treppe herunter.
„Hey…“, rief es aus der Küche, doch bevor ihn sein Vater zu Recht weisen konnte, war er schon zur Tür hinaus.
Er sprang in seinen dunkelblauen Polo und fuhr Richtung Tanzschule, in Gedanken zu Ulli. Er würde sie führen, dass sie dahin schmilzt. Frauen stehen schließlich auf Gentlemen und ohne sich selbst zu loben, konnte er von sich behaupten, dass er ihre Wünsche aus kleinsten Andeutungen sehr gut herauslesen konnte.
Kapitel 3
An der Tanzschule angekommen, sah er sich nach ihr um, doch sie war nirgends zu sehen. In der Schule hatte er sie heute nicht getroffen, aber Tobi hatte ihr Bescheid sagen wollen. Na toll! Die ganze Euphorie war hin. Jetzt würde er wohl doch nur zugucken.
Da sah er Nico auf sich zukommen. Meinte Tobi nicht, der hätte heute etwas anderes vor?
„Hi Dave.“ Nico sah ihn nett an. „Hab gehört, Tessa kommt heute auch nicht…. Da müssen wir wohl beide zu schauen. Die anderen sind alle da!“
„Ich dachte, du kannst heut‘ nicht!“
„Ich bin da! Ulli muss heute zu ihrer Tante – Familienfeier.“
„Und ich dachte, ich müsste heute mit ihr tanzen.“
„Tja, da lagst du dann wohl falsch! Komm, wir gehen erst mal rein!“
Gesagt, getan! Schuhe an und ab in den Saal.
Frau Erdmann, die Tanzlehrerin begrüßte erst einmal alle. Dann fielen ihr Nico und David auf, die sich, während sich die anderen Paare auf der Tanzfläche verteilten, in eine der Ecken gestellt hatten.
„Oh, wir haben Herrenüberschuss! Na das kommt aber selten vor!“ rief sie quer durch den Saal. „Was machen wir denn da?“
David sah Nico an. Der grinste nur: „Die Schritte sind doch nicht viel anders. Das krieg ich schon hin. Wenn Dave vernünftig führen kann.“
„Ist der denn bescheuert? Ich tanz doch nicht mit ’nem Kerl!“, fuhr es David durch den Kopf. Doch bevor er etwas sagen konnte, war Frau Erdmann schon begeistert von der Idee und wies ihnen einen Platz auf dem Parkett zu.
David war die ganze Sache total peinlich.
„Das hast du ja toll hin gekriegt!“, raunte er Nico giftig zu, erschrak aber selbst über seinen harschen Ton.
Eigentlich war Nico richtig nett. Er war erst am Anfang des Schuljahres dazu gekommen, weshalb David ihn noch gar nicht richtig kannte.
Er war eher ruhig, blond und etwas kleiner als David. Zusammen würden sie das perfekte Aufreißer-Duo abgeben.
Nico sah ihn entschuldigend an. Sich seiner Schuld bewusst, brachte David etwas über die Lippen, was wie „Na ja, egal“ klang und sie tanzten los.
Ein langsamer Walzer erklang und David, der sich auf ein holpriges Hin und Her eingestellt hatte, wurde schnell eines Besseren belehrt, denn Nico tanzte einfach nur gut. Er beanspruchte nicht einmal die Führung und verstand Davids Zeichen sofort und ohne Worte.
Der Typ tanzte besser als alle Mädels zusammen.
„Wo hast du denn so tanzen gelernt?“ fragte er verblüfft.
„Hier. Den Fortgeschrittenen-Kurs hatte ich schon einmal. Allerdings hat mich da immer meine Partnerin geführt. Ich kam einfach nicht gegen sie an und diesmal versuch ich bei Ulli Führungsqualitäten zu entwickeln. Nur klappt das irgendwie auch nicht so richtig.“ verlegen grinste er und trat David dabei auf den Fuß.
„Na Jungs, das hätte ich ja nicht gedacht, dass ihr das so gut hin bekommt.“
Frau Erdmann kam zu ihnen herüber: „Wir machen heute am besten nur Tänze, bei denen Damen- und Herrenschritt gleich sind, dann braucht ihr nichts nachzuholen, Ok? Was haltet ihr von Rumba?“
„Klingt gut!“ sagten beide wie aus einem Munde, sahen sich an und fingen lauthals an zu lachen.
Ihre Blicke trafen sich abermals und beide verstummten plötzlich. Für einen kurzen Moment hatte David das Gefühl in diesen Augen zu ertrinken.
Die Musik setzte wieder ein und mechanisch nahm David wieder Tanzhaltung ein, ohne sich von Nicos Blick lösen zu können.
Was war das?
Wie in Trance machte er seine Schritte auf dem Parkett, konnte sich aber nicht auf den Tanz konzentrieren. Er latschte Nico bestimmt fünfmal hintereinander auf die Füße, bis dieser entnervt aufgab.
Die anderen lachten schon und das fand David gar nicht lustig, schließlich war er sonst immer derjenige, der die Schritte zuerst drauf hatte.
„Du bist überhaupt nicht bei der Sache! Was ist denn so schlimm daran mit mir zu tanzen? Ich will ja nicht mal führen!“ Nico war sauer. Auch er hatte sich schon den ganzen Tag aufs Tanzen gefreut.
David führte gut – jedenfalls sonst. Scheinbar hatte er sich zu sehr auf Ulrike gefreut und dass er, der beliebteste Junge des Jahrgangs, jetzt keine abbekam, schien ihn zu wurmen.
Doch David hatte ganz andere Gedanken. Mit Nico im Arm spürte er ein komisches Gefühl im Magen. Ein wohliges Gefühl…
Nico sah gut aus, war klug, aber immer ein wenig zurückhaltend und jungenhaft. Mit seinen kurzen, blonden Haaren und dem verlegenen Blick, den er oft hatte….
„Reiß dich jetzt mal zusammen!“ sagte David zu sich selbst, als er sich bei diesem Gedanken ertappte. Und fortan konzentrierte er sich wieder auf seine Füße.
Als die Tanzstunde zu Ende war, hatten die anderen auf einmal keine wirkliche Lust mehr, etwas zu unternehmen und verabredeten sich stattdessen lieber für Samstagabend bei Tobias zum Videos gucken.
Also ging David zum Auto, um nach Hause zu fahren.
Kapitel 4
Als er noch einmal an der Tanzschule vorbei kam, sah er Nico ganz allein laufen. Er schien zu fluchen und wütend zu sein.
War das seine Schuld?
Mit schlechtem Gewissen hielt David noch mal an: „Hey Nico, wo musst du denn hin? Soll ich dich ein Stück mitnehmen?“
„Das wär Super, aber ich wohn doch in ’ner total anderen Richtung!“
„Egal!… Komm, steig ein! Wo willst du denn hin?“
Nico kam über die Straße gelaufen und stieg zu David ins Auto.
„Meine Eltern können mich nicht abholen. Die sind bei Freunden. Ich dachte ja, wir machen noch was zusammen und Tobi nimmt mich dann mit, aber der scheint ja voll auf Anna fixiert.“
„Sag, wo du hin willst. Ich fahr dich!“
Nico beschrieb David den Weg und sie landeten in einer super feinen Gegend, in der er vorher noch nie war.
Vor einem riesigen Grundstück mit einem wunderschönen weißen Haus ließ Nico ihn halten.
David kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Haus seiner Eltern war ja schon nicht schlecht, aber das hier übertraf echt alles.
Nico bemerkte seine großen Augen und, dass es ihm offenbar die Sprache verschlagen hatte.
„Wenn du willst, kann ich dir mein Reich zeigen. Meine Eltern sind ja nicht da.“ David willigte ein.
Kapitel 5
Also stiegen sie aus. Nico zückte den Schlüssel für das Gartentor und sie gingen hinein.
„Lass uns draußen anfangen.“ sagte er und schritt, den Weg außer Acht lassend, quer über den Rasen auf die Hinterseite des Hauses. David lief ihm zögernd hinterher. Auch wenn er sonst immer vor Selbstbewusstsein strotzte, fühlte er sich jetzt irgendwie winzig klein und unsicher.
Hinter dem Haus bot sich ein noch gewaltigerer Anblick. Eine Teakholz Terrasse bot eine perfekte Partylocation für den Sommer und der weite, kurze Rasen mit den großen Bäumen lud zum Chillen und Quatschen ein. Der Garten schloss mit einem langen Bootssteg, der in einem kleinen See endete, ab. Dort schaukelte ein kleines hölzernes Ruderboot auf den Wellen, die sich übers Wasser kräuselten.
David bekam seinen Mund gar nicht mehr zu, doch Nico lief, ihn nicht beachtend über den Rasen bis hin zum See. Er sah zu David zurück, der ihm in einigem Abstand, immer noch staunend, folgte. Nico musste schmunzeln. Bis jetzt war es den meisten seiner Freunde, die er mit hier her genommen hatte, so ergangen.
Nico war jetzt am Wasser angekommen und blieb nicht, wie David gedacht hatte am Ufer stehen, sondern ging den Steg entlang und setzte sich an dessen Ende auf die Kante.
David staunte immer noch über die Schönheit des gepflegten Anwesens, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen und ging auf Nico zu, wo er sich auf ähnliche Weise, mit einem möglichst trivial klingendem „Schön hast du’s hier!“ neben ihn auf den Steg setzte.
Nico schenkte ihm ein Lächeln, bei dem David auf einmal ganz anders wurde. Da war wieder dieses komische, wohlige Gefühl von der Tanzstunde.
So etwas war ihm vorher noch nie passiert, auch wenn er sich schon öfter dabei ertappt hatte, wie er in der Stadt anderen Typen hinterher sah. Das hatte er aber bis jetzt immer als „Konkurrenz checken“ abgetan.
Nico blinzelte ihn mit einem Auge an.
„Hast du denn überhaupt noch Zeit?“
Das riss ihn wieder aus den Gedanken.
„Klar, hätten die anderen nicht umdisponiert, wäre das bestimmt ein langer Abend geworden.“ antwortete er schnell, als er die Frage realisiert hatte.
„Und was ist mit deiner Freundin?“
„Tessa?“ David musste lachen. „Sie ist meine beste Freundin, aber da läuft nichts!“
Warum erzählte er das? Das ging Nico doch überhaupt nichts an! Oder etwa doch? Was hatte das alles zu bedeuten?
„Und was ist mit dir und Ulli?“ fragte er, um die Situation unter Kontrolle zu bringen.
„Ach, Ulli hatte am Anfang keinen Tanzpartner, da hat sie mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte! Sie ist zwar total nett, aber überhaupt nicht mein Typ! Aber, dass zwischen Tessa und dir was läuft, da hätte ich meinen Arsch drauf verwettet!“
„Oh, da solltest du aber wirklich vorsichtiger sein!!!“
Hatte er das jetzt wirklich gesagt? Oh Mist! Hoffentlich hatte Nico den Unterton nicht so gedeutet, wie er gemeint war…
Doch Nico fing an zu lachen und quetschte zwischen drin etwas wie „Da hast du Recht!“, heraus, was aber eher unverständlich blieb.
David atmete innerlich erleichtert auf und fiel dann in Nicos Gelächter mit ein. Als sie sich wieder beruhigt hatten, zog Nico seine Schuhe aus und ließ die Füße ins Wasser baumeln. Er zuckte kurz, als seine Zehen die Oberfläche berührten, ließ sie dann aber trotzdem eintauchen.
„Ist das nicht kalt?“ wollte David wissen.
Seine Stimme klang dabei jedoch nicht amüsiert wie er das geplant hatte, sondern weich, ruhig und irgendwie ein wenig zärtlich.
Nico sah ihn an. Sah ihm direkt in die Augen.
„Doch…“ antwortete er dabei, ganz und gar abwesend.
Als David bemerkte, dass er schon wieder begann, sich in diesen Augen zu verlieren und realisierte, dass Nico das mitbekommen hatte, wandte er seinen Blick ab, sprang auf und setzte zur Flucht an. Er musste hier weg! Wenn Nico mitbekommen hatte, wie er ihn ansah. Was würde er nur denken! So schnell wie möglich wollte er weg! Einfach weg von hier!
Doch weit kam er nicht, denn Nico hatte blitzschnell reagiert und mit seiner Hand Davids Unterarm gerade noch zu fassen bekommen.
Er hielt ihn auf und sah ihn an.
„Bleib doch noch!“
Seine Augen blickten hoffnungsvoll und gleichzeitig flehend zu David hinauf. Mechanisch setzte sich dieser wieder auf die Kante ohne seinen Blick von Nicos Augen abzuwenden.
So saßen sie sich gegenüber und Nicos Gesicht kam Davids immer näher. Der war wie versteinert und wusste nicht so recht, wie ihm geschah.
Nicos Lippen kamen langsam auf ihn zu. Er schloss die Augen als er sie auf seinen eigenen spürte. Sie küssten ihn erst zaghaft, doch als David den Kuss erwiderte und seine Lippen ein wenig öffnete, begannen ihre Zungen sich ineinander zu verschlingen und das Spiel wurde immer stürmischer und begieriger, bis sie sich nach einer kleinen Ewigkeit unwillig wieder trennten. Sie saßen nebeneinander und sahen der Sonne beim Untergehen zu. Langsam wurde es kühl.
„Hast du das schon mal gemacht?“ fragte David wie aus dem Nichts.
„Nee… du?“
„Nhnh…“
Wieder Stille.
Kapitel 6
Nach einer Weile richtete sich David auf.
„Du gehst schon?“
Nico hatte sich ebenfalls aufgerichtet und seine helle Haut leuchtete in der Dunkelheit fast weiß. David drehte sich zu ihm um.
Sollte er gehen oder bleiben? Er war sich nicht sicher. Was würde geschehen?
„Soll ich denn bleiben?“, fragte er dann aber verschmitzt, um seine Unsicherheit zu überspielen.
„Wenn du willst. Meine Eltern sind erst morgen Nachmittag wieder da. So lange sind wir allein!“
„Dann muss ich nur mal eben zu Hause Bescheid sagen!“
Er kramte in seiner Hosentasche nach seinem Handy, wählte die Nummer seiner Mutter, sagte nur, dass er erst morgen wieder da sei und sie sich keine Sorgen zu machen bräuchte. Wo er war, was er tat, verschwieg er und bevor sie nachfragen konnte, hatte er schon wieder aufgelegt.
Das hätte er nicht gebrauchen können. Er wollte nicht lügen. Nicht seiner Mutter gegenüber und auch nicht gegenüber Nico.
Dieser war in der Zwischenzeit Richtung Haus gelaufen und war durch die Terrassentür verschwunden. David ging ihm zögernd hinterher. Er hielt inne und hörte von irgendwo her schon eine Dusche prasseln.
„Nico?“, rief er fragend in den Raum.
„Durchs Wohnzimmer durch, die Treppe rauf und dann die zweite Tür links!“, kam prompt eine Antwort zurück. Langsam setzte er sich in Bewegung. Zum Haus angucken war sicher morgen noch Zeit.
Kapitel 7
Er stieg die hölzerne Treppe empor und landete in einem langen Flur. Nico hatte kein Licht gemacht und so musste er sich anstrengen, überhaupt etwas zu sehen. Im Dunkeln fand er schließlich die zweite Tür von links, hinter der er immer noch das Geräusch eines gleichmäßigen Schauers vernahm. Nico stand also noch nicht unter der Dusche.
Wartete er auf ihn?
Zaghaft klopfte er an die Tür und kam sich irgendwie bescheuert vor. Ein „Komm rein, ich beiß doch nicht!“, von drinnen verstärkte dieses Gefühl nur noch.
Er öffnete die Tür und ein warmes Licht schien ihm entgegen. Nico hatte mindestens 20 große weiße Kerzen angezündet und stand nackt, mit dem Rücken zu ihm, gedankenverloren am Fenster. Er hatte sich mit den Ellenbogen auf dem Fensterbrett abgestützt und streckte David seinen kleinen knackigen Po entgegen. Seine Hüfte war schmal und am Rücken zeichnete sich leicht die Wirbelsäule unter der glatten Haut ab.
David schloss die Tür hinter sich und mit dem Klappen drehte sich Nico zu ihm um. Er schritt auf ihn zu. David war etwas unwohl dabei Nico so ganz nackt vor sich zu haben und vermied es zwischen seine Beine zu sehen. Er zog sich ebenfalls aus, stieg über seine Klamotten hinweg und stand Nico gegenüber. Dieser nahm ihn an die Hand und führte ihn hinter sich her in die große Dusche, als hätte er das schon öfter gemacht.
Das Wasser war schon angenehm warm und lief an den beiden herab.
Nico griff hinter sich und ließ grünes Duschgel in seine Handfläche fließen. Dann umarmte er David und begann ihm den Rücken einzuseifen. Das Wasser strömte dabei über seinen Körper.
David gab sich ganz den sanften Händen, die ihn überall gleichzeitig zu berühren schienen hin. Er stand einfach nur da und ließ Nico machen. Mittlerweile wusch dieser gefühlvoll Davids Prinzen, der sich durch die Berührungen aufrichtete.
Nun nahm auch David etwas Duschgel und begann Nicos Rücken zu streicheln, wobei er es dort verteilte. Während dessen massierte Nico immer noch den kleinen David, was der Große sichtlich genoss und sich jetzt auch dem kleinen Nico widmete. Sie steigerten sich immer weiter dem Höhepunkt entgegen und ihre Körper bebten als sich ihr weißer Saft fast gleichzeitig auf den jeweils anderen ergoss.
Erschöpft und außer Atem glitten beide an den Kacheln hinunter bis sie saßen. Das Wasser der Dusche prasselte auf sie herunter und beide sagten, in Gedanken versunken, kein Wort.
Was ging hier vor sich? Alles war so schnell gegangen und hatte sich so verdammt gut und richtig angefühlt. Doch war es das? Dieses Kribbeln im Bauch, das David gespürt hatte, schon beim Tanzen… War er dabei, sich in einen Mann zu verlieben? Nico schien das alles so leicht zu nehmen…
Doch auch Nico wusste nicht so recht, wie ihm geschehen war. Die Ereignisse hatten sich heute so dermaßen überschlagen, dass er mit dem Denken gar nicht hinterher kam, aber so langsam realisierte auch er, was da gerade passiert war.
Eigentlich war ihm schon eine ganze Weile klar, dass er nichts mit Frauen anfangen konnte, doch dass er sich so bald vollkommen darüber im Klaren sein würde, hätte er sich nicht in so naher Zukunft erträumen lassen. Hatte David ähnliche Gefühle oder würde er das alles am liebsten vergessen wollen?
Nico überkam eine furchtbare Angst… Hatte David das alles überhaupt gewollt???
Er ließ seinen Kopf in seine Hände fallen und wollte nie wieder hervor kommen, so elend war ihm bei diesem Gedanken.
Er spürte eine verhaltene Berührung von David an seinem Arm. Seine weichen Hände fuhren über Nicos nasse Haut.
„Das gerade, war das Schönste, was ich je erleben durfte!“, sagte er intuitiv, als hätte er Nicos zweifelnde Gedanken gelesen. Dieser ließ sich nur in Davids Arme sinken, wo er hemmungslos zu weinen anfing. Ein Stein der Größe des Riesengebirges war ihm gerade vom Herzen gefallen. Dieser Mann war einfach der Wahnsinn.
David hielt ihn nur fest, bis er sich wieder beruhigt hatte. Irgendwann löste sich Nico langsam aus seiner Umarmung, sah ihn an und gab ihm einen innigen Kuss.
„Danke!“
David verstand, antwortete mit einem Keine – Ursache – Lächeln und sah ihm dabei liebevoll in die Augen.
Dann standen beide vorsichtig auf. Nico drehte das Wasser ab und sie stiegen aus der Dusche. Die Kerzen waren schon ein ganz schönes Stück herunter gebrannt. David hatte sein Zeitgefühl verloren.
Nico hatte zwei große Handtücher von irgendwo her geholt und reichte David eines davon, wobei er sich selbst in das Andere Einhüllte.
Auch David trocknete sich ab und wickelte sich das Handtuch dann um die Hüfte. Seine Haare trieften immer noch. Nico kam zu ihm herüber, grinste ihn an, nahm sein eigenes Handtuch und wuschelte David damit über den Kopf. David musste lachen, denn Nico kam kaum heran, ohne sich auf die Zehenspitzen zu stellen. Auch Nico resignierte bald und warf ihm lachend das Handtuch ins Gesicht. „Mach mal selbst!“
David rubbelte noch ein paar Mal hin und her, kam zu Nico herüber und ging auch ihm durch die Haare um sie zu trocknen. Dann wickelte er ihm das Handtuch wie sich selbst um die Hüfte.
Nico begann die Kerzen zu löschen und David in seinen Klamotten wenigstens nach seiner Unterhose zu suchen. Als er diese gefunden hatte, zog er sie drüber und klaubte den Rest seiner Sachen zusammen. Nur eine der Kerzen in Türnähe brannte noch und auch Nico nahm seine Sachen, warf sie aber in den Wäschekorb in der Ecke. Dann öffnete er die Tür und deutete David die letzte Kerze aus zu machen und ihm zu folgen.
Kapitel 8
Sie gingen den dunklen Flur hinunter. Hier war es kalt im Gegensatz zum Bad, in dem das Wasser der Dusche und die vielen Kerzen für eine wohlige Wärme gesorgt hatten. David fröstelte leicht und er hoffte, Nicos Zimmer würde wieder diese behagliche Atmosphäre herbei zaubern.
Einige Türen weiter, blieb Nico stehen und ging in den Raum hinein, lugte dann aber wieder durch den Spalt, um auf David zu warten.
Dieser beeilte sich, und schlüpfte nach Nico durch die Tür. Das musste sein Zimmer sein.
Nico machte eine der vielen kleinen Lampen, die überall im Zimmer herum standen an und tauchte den Raum damit in ein warmes Licht, wie er es auch schon mit den Kerzen im Bad getan hatte.
Das Zimmer war modern und geschmackvoll eingerichtet. Es strahlte eine Gemütlichkeit aus, die David bis jetzt nur von Tessas Zimmer bekannt war, er aber noch nie bei jemand anderen gesehen hatte. Er fühlte sich sofort wohl.
In der einen Ecke befand sich unter dem Fenster ein großer Schreibtisch, auf dem ein Computer stand und allerlei Schulkram herum lag. An der linken Wand war ein großer Kleiderschrank, vor dem Nico jetzt stand und aus einer der unteren Schubladen eine frische Boxershorts für sich hervor kramte. Er löste das Handtuch und ließ es achtlos zu Boden fallen, zog sich die Unterhose an und kam auf David zu, der sich weiter im Zimmer umgesehen hatte und sich auf der schwarzen Ledercouch, die gegenüber Nicos Futonbett stand, niedergelassen hatte. Nico drehte die Heizung noch ein wenig weiter auf und ließ sich quer auf das Bett fallen, rollte sich auf die eine Seite und kuschelte sich unter die Decke.
David wusste nicht was er tun sollte. Bedeutete das jetzt, er sollte zu ihm kommen, oder lieber ganz gehen? Oder einfach sitzen bleiben? Er entschied sich für letzteres und hoffte, Nico würde ihm sagen, was er jetzt wollte.
Nico bemerkte Davids Unsicherheit und musste wieder schmunzeln. Es sah so niedlich aus, wie er da, in die Luft guckend, möglichst unauffällig wirken wollend offenbar nicht wusste, was er tun sollte.
„Willst du noch lange dort rum sitzen?“ fragte er.
Erleichtert, dass das Eis wieder gebrochen war, fuhr sich David verlegen durch seine immer noch feuchten Haare: „Wo hättest du mich denn gern?“
„Komm her zu mir!“ Nico hob einladend seine Decke an und David schlüpfte zu ihm.
Da lagen sie nun nebeneinander nach diesem Abend, der irgendwie total beschissen begonnen hatte und jetzt für beide so unvergesslich geworden war. Nico kuschelte sich an Davids Seite und streichelte seine Brust. David legte seinen Arm hinter Nicos Kopf und fuhr sanft an seinem Rücken entlang. In Gedanken versunken und mit einem wunderbaren Gefühl von Nähe schliefen sie bald ein.