Ein Schritt nach vorne – Teil 9

Kapitel 36

David erschrak im ersten Moment etwas, konnte sich jedoch nicht wehren, wollte es eigentlich auch gar nicht wirklich. Trotzdem stieß er sie von sich. Er hatte das ein wenig mehr genossen, als er eigentlich sollte. Das machte ihn erst recht unsicher.

Hatte er Nico jetzt betrogen? Nein, noch nicht, aber wissen müsste er es ja nicht unbedingt.

Er wollte sich hektisch von ihr entfernen. Ulli jedoch lächelte ihn wieder so verführerisch an. Sie richtete sich auf und nahm seine Hand.

„Lass das!“, wehrte er sich, doch Ulli gab noch nicht auf.

Sie hatte längst gemerkt, dass er einen inneren Kampf mit sich aus trug.

Ulli nahm wieder seine Hand.

„Entschuldige. Ich konnte nicht anders. Natürlich weiß ich, dass Nico im Moment dein ein und alles ist.“

„Nicht nur im Moment!“, gab David barsch zurück.

„Ich glaub, ich sollte jetzt lieber gehen.“

Er drehte sich um und war schon an der Tür, als er sich ihr noch einmal zuwandte.

„Du solltest mich einfach vergessen. Ich hab dich als gute Freundin wirklich gern, aber mehr wird daraus nie werden. Je eher du das einsiehst, desto weniger wird es dir wehtun. Glaub mir, ich möchte dir wirklich nicht wehtun.“

Jetzt nahm er die Klinke in die Hand, drückte sie hinunter und ging langsam die Treppe hinunter. Er verließ das Haus und fuhr dann mit seinem Polo direkt nach Hause.

Er war froh, dass nicht mehr passiert war, denn einen nicht ganz so kurzen Moment lang hatte er wirklich nicht an Konsequenzen gedacht.

Glücklicherweise war ihm Nico währenddessen durch den Kopf gegeistert. Er hatte ihn vor Schlimmerem bewahrt. Ob er es ihm sagen sollte? Würde Nico das verstehen?

Eigentlich war ja nichts passiert. Sie hatte ihn schließlich geküsst und nicht umgekehrt. Auch wollte er Ulli nicht bloß stellen. Doch wie würde Nico reagieren, wenn er es nicht von David sondern von irgendeinem Anderen erfahren würde? Das würde doch dann bedeuten, dass David es ihm nicht gesagt hatte, weil es ihm doch etwas bedeutet hatte.

Er würde es aber bestimmt nicht heraus bekommen. Warum sollte Ulli auch jemandem davon erzählen? Es war ja schließlich ihre Niederlage. Und wer hängt so etwas schon an die große Glocke?

Er beschloss also das Ganze für sich zu behalten. Er wollte das, was er gemeinsam mit Nico hatte nicht aufs Spiel setzen. Um keinen Preis der Welt wollte er Nico verlieren und er hatte ja schon gesehen, wie eifersüchtig er schon ohne Grund werden konnte.

Kapitel 37

Als David zu Hause ankam, ging er gleich nach oben in sein Zimmer. Er wollte weder jemanden sehen noch von jemandem angesprochen werden. Es war ihm einfach nicht danach zu Mute. Außerdem bemerkte er jetzt, wie sehr der Tag doch an ihm gezehrt hatte. Er war nur noch müde und so machte er sich schnell bettfertig und ließ sich in sein Kissen fallen.

Sein letzter Gedanke, bevor er in Morpheus Armen versank, galt seinem Schatz. Er liebte ihn über alles und das sollte auch so bleiben, denn er war zum allerersten Mal in seinem Leben wirklich richtig, richtig glücklich.

Seine Eltern waren okay, die Schule war bald vorbei, Tessa, seine beste Freundin war immer für ihn da und als krönender Abschluss war da Nico, sein ein und alles.

Am nächsten Morgen wurde er unsanft von seiner Mutter geweckt.

„David, komm frühstücken!“, hörte er es von unter zu ihm hinauf schallen.

Er war gerade noch im Halbschlaf in einem wunderschönen Traum versunken und jetzt… So sehr er sich auch anstrengte, wieder hinein zu finden, es gelang ihm nicht, seine Mutter und die üblen Gedanken an das Aufstehen zu verdrängen.

Also machte er sich mürrisch daran, die Bettdecke zurück zu schlagen und das erste Bein auf den Boden zu setzen. Er rollte sich aus dem Bett und schleppte sich ins Bad, wo er als erste morgendliche Tat die Dusche auf drehte und unter ihr seine Lebensgeister weckte.

Fit für den Tag und auch schon nicht mehr ganz so mürrisch setzte er sich zu seinen Eltern an den Frühstückstisch. Ein kurzes, mittlerweile auch gut gelauntes „Morgen!“ aus seinem Munde begrüßte die Beiden. Seine Mutter goss ihm auch schon die Kaffeetasse voll und nach dem ersten Schluck war er komplett wach.

„Wow, mein Sohn frühstückt mal wieder mit uns zusammen und das auch noch am Wochenende.“, grinsend sah sein Vater ihn an.

„Ach Paps, in den letzten zwei Wochen hatte ich keine Zeit. Tut mir Leid! Letztes Wochenende war ich nicht da und den Samstag davor wollte ich auch mal wieder ausschlafen.“

Er setzte seinen bettelnden Blick auf. Der hatte bis jetzt immer funktioniert und auch diesmal zeichnete sich ein Lächeln auf dem Gesicht seines Vaters ab.

„Ist ja schon gut! Ich wollte dich doch nur ein wenig aufziehen.“

„Apropos, du warst nicht da am letzten Samstag…“, fiel seine Mutter nun auch ein und David ahnte, was jetzt kommen würde. „…dieser Nico. Ihr scheint euch ja ganz gut zu verstehen.“

David nickte nur und biss von seinem Brötchen ab. Vielleicht hatte er so das Glück, dass er nicht auf ihre Fragen antworten musste.

„Du hast ihn uns noch gar nicht richtig vorgestellt. Und du weißt, dass ich es nicht sonderlich mag, wenn Leute bei uns übernachten, die ich nicht kenne.“

Sie drängte ihn in eine Ecke. Denn das hatten sie von Anfang an so ausgemacht. Wenn jemand über Nacht hier bleiben sollte, wurde er vorher zumindest kurz vorgestellt, so dass man wusste, wer er war. Und eigentlich hatte David sich bis jetzt immer daran gehalten.

„Mum, Nico ist mein Freund.“, brachte er nur hervor.

Wobei er nicht das mein betonte und auch nicht das Freund. Sollten die beiden sich doch selbst ihren Reim darauf machen. Jedenfalls hatte er nicht gelogen, seine Eltern konnten zufrieden sein und würden sicher keine weiteren fragen stellen. Dachte er.

Doch schon nachdem er den Satz ausgesprochen hatte, blickte sein Vater hellhörig von seinem Frühstücksei, das er gerade bearbeitet hatte auf und auch seine Mutter bekam große Augen.

„In wie fern Freund?“, wollte sein Vater auch schon wissen.

„So wie Kumpel oder so wie dein Freund?“, dabei betonte er das dein Freund ausdrücklich, aber nicht abwertend.

Das hätte David eigentlich auch nicht erwartet. Er wusste ja, dass seine Eltern recht tolerant waren, aber trotzdem. Er hätte den Zeitpunkt es zu sagen nun doch lieber selbst bestimmt. Doch es gab kein zurück.

„Mein Freund.“, antwortete er klein laut und fragte gleich darauf, wie sie denn auf die Idee gekommen wären.

„Hör mir mal zu.“

Sein Vater hatte seine Hand auf Davids Arm gelegt und beugte sich etwas zu ihm. David stiegen die Tränen in die Augen und wieder versuchte er sie nieder zu kämpfen. Die Ruhe aus der Stimme seines Vaters war nicht gewichen und trotzdem hatte er etwas Angst vor dem, was jetzt kommen würde.

„Du bist unser Sohn und lebst immer noch unter unserem Dach. Wenn ich mich nicht ganz täusche, verstehen wir uns auch eigentlich ganz gut. Denkst du deiner Mutter und mir ist noch nicht aufgefallen, dass du noch nie ein anderes Mädchen außer Tessa mit nach Hause gebracht hast? Gut von deinen anderen Freunden mal abgesehen, aber wenn du mit einer zusammen gewesen wärst, hätten wir das mitbekommen. Und jetzt taucht dieser Nico auf, du stellst ihn uns nicht richtig vor…“

„… und wenn ihr euch beim Frühstück anseht, sprühen die Funken nur so.“, setzte seine Mutter fort.

David wurde rot im Gesicht.

„Ups, das hast du gemerkt?“, wollte er von seiner Mutter wissen. Seine Eltern grinsten ihn nur an.

„Wir wollen, dass du glücklich wirst und da ist es doch egal, mit wem.“, lächelte sein Vater ihn wieder an. Auch von seiner Mutter erntete er ein wohlwollendes Lächeln.

„Danke!“, brachte David nur hervor und grinste schief. „Ihr seid wirklich die Besten!“

Nachdem das nun geklärt war, wandten sich alle Familienmitglieder wieder ihrem Essen zu und das Thema am Tisch wurde wieder alltäglich. Was die alte Nachbarin wieder aufregte, wer in das alte Haus am Ende der Straße eingezogen war, was es morgen zum Mittagessen geben sollte…

Als David fertig war und mit seiner Mutter den Tisch abräumte, fiel ihm noch etwas ein.

„Nico kommt nachher vorbei. Ist das okay?“

Seine Mutter lächelte nur und mit einem „Na klar!“ wischte sie die letzten Krümel weg. „Wenn dein Zimmer aufgeräumt ist und du ihn uns vorstellst.“, fügte sie gespielt streng hinzu.

„Mum!“, setzte David ihr genervt entgegen und trollte sich in Richtung Treppe.

„Irgendein Druckmittel brauche ich doch!“, rief sie ihm lachend hinterher.

Kapitel 38

In seinem Zimmer blickte er sich um. So schlimm sah es hier gar nicht aus. Er machte schnell sein Bett, räumte sein Lernzeugs weg und brachte die benutzen Gläser nach unten in die Spülmaschine. Dann schleppte er noch ein paar Getränke nach oben und sah sich noch mal um. So konnte es bleiben.

Dann rief er Nico an und hoffte, als es schon tutete, dass er ihn nicht wecken würde.

Nico jedoch lag noch im Bett und griff mit noch geschlossenen Augen nach seinem Handy auf dem Nachttisch. Er wollte sein Gegenüber gerade unfreundlich anschnauzen, als David ihm auch schon ein „Guten Morgen mein Sonnenschein!“ ins Ohr säuselte. Immer noch fast im Halbschlaf zeichnete sich ein glückliches Lächeln auf Nicos Gesicht ab.

„So könntest du mich jeden Morgen wecken!“, sprach er genießerisch.

„Wann kommst du denn nachher vorbei?“, wollte David wissen.

„Hm… ich stehe jetzt erstmal auf, mach mich fertig und bin in einer Stunde da. Was hältst du davon?“

„Klingt super! Ich freu mich schon auf dich!“, nach einer kurzen Pause setzte David etwas klein laut fort. „Meine Eltern wollen übrigens, dass ich dich ihnen vorstelle. Aber keine Angst, die sind ganz cool!“

„Au Mann! Und so was am frühen Morgen! Da muss ich ja auch noch schauen, dass ich nen guten Eindruck mache!“, witzelte er.

„Sie wissen es.“, brachte David dann hervor und klang ein wenig besorgt.

Er wusste nicht, wie Nico reagieren würde, schließlich hatten sie noch nicht darüber gesprochen und wollten es eigentlich auch noch für sich behalten.

„Und? Sie scheinen ja nicht so schlimm reagiert zu haben. Du lebst noch und mich wollen sie kennen lernen.“

Nico war zwar etwas überrumpelt, aber auf der anderen Seite war er froh, dass sie bei David zu Hause nun auch nicht mehr darauf achten müssten, unauffällig zu sein.

„Nein, hab ja schon gesagt: die sind recht cool. Ich wusste nur nicht wie du reagierst.“

„Mach dir da mal keine Sorgen. Ich beeil mich. Bis nachher!“

„Bis dann!“

David legte auf. Jetzt war ihm auch noch der letzte Stein vom Herzen gefallen. Nico fand es okay und würde gleich vor seiner Tür stehen. Im Moment schien echt alles glatt zu laufen. An Ulrike dachte er schon gar nicht mehr. Sie würde keine Rolle spielen. Egal was sie versuchen würde.

Kapitel 39

Nico beeilte sich aus dem Bett zu kommen, sprang schnell unter die Dusche und hastete in die Küche. Dort saß seine Mutter, die scheinbar ausnahmsweise doch mal wieder zu Hause war, am Tresen und trank ihren morgendlichen Tee. Sie blickte auf, als Nico in die Küche kam und wünschte ihm einen guten Morgen.

„Morgen“, erwiderte Nico, nahm sich ein Toast und setzte sich zu ihr, um es schnell zu verputzen.

„Ich will gleich weg zu nem Freund.“, informierte er sie über seinen geplanten Tagesablauf.

„Aber wir wollten doch mal wieder etwas zusammen unternehmen.“, setzte sie kühl entgegen.

Nico versuchte freundlich zu bleiben. „Lass uns das doch verschieben. Ich bin ja sonst immer da.“

„Da möchte man mal etwas Zeit mit dem Herrn Sohn verbringen, um die er sonst immer bettelt und nun hat er was anderes vor!“, empörte sie sich etwas.

Nico schlang den Rest seines Frühstücks herunter. „Ich bin eben auch nicht immer da. Sonst kümmert dich das doch auch nicht. Lass uns das, was du vor hattest auf das nächste Mal verschieben, wenn du hier bist. Ich muss los.“

Schon war er aufgestanden schlüpfte im Flur in seine Schuhe und holte sein Fahrrad aus dem Schuppen. Dann fuhr er so schnell er konnte zu David. Die Wut über seine Mutter hatte er so heraus gelassen und als er vor Davids Haustür bremste, freute er sich schon gleich nicht mehr an sie denken zu müssen.

Er stellte sein Bike an die Hauswand und schloss es an. Dann klingelte er. Keine Minute später öffnete ein strahlender David ihm die Tür und zog ihn in den Flur. Die Tür flog zu und schon fand er sich in Davids Umarmung wieder.

„Guten Morgen mein Süßer, da bist du ja endlich!“, säuselte er ihm dabei ins Ohr.

Sofort fühlte Nico sich wieder wohl.

„Lass uns nach oben gehen.“, schlug David vor.

„Aber ich dachte, du sollst mich deinen Eltern vorstellen.“, gab Nico zu bedenken.

„Genau, du wolltest ihn uns vorstellen.“ Seine Mutter kam auch gerade in den Flur, wo die beiden immer noch standen. Sie lächelte Nico an, der sich etwas perplex umgedreht hatte, um sie anzusehen und streckte ihm ihre Hand entgegen.

„Hallo Frau Engelhardt.“, grüßte Nico freundlich und schüttelte ihre Hand.

„Nana, nicht so förmlich! Ich bin Gisela.“, lachte sie und schon fühlte Nico sich wohler.

„Ich bin Nico von Gronsberg.“, antwortete er und lächelte sogar dabei.

Ein wenig Angst hatte er schon gehabt, bevor er hergekommen war, doch wie er jetzt feststellte, war die völlig unbegründet. Zumindest Davids Mutter schien wirklich nett zu sein.

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