Blau – Teil 5 – Ein Ende

Das Blau wird schnell wieder blasser; die Konturen der Welt werden wieder sichtbar.
Allerdings stellt es sich als erstaunlich kleine Welt heraus.
Wir stehen in einem rechteckigen Raum, mit vielleicht sechs Metern Kantenlänge. Die hohe Decke ist mit Sicherheit vier Meter über uns. Polierte Metallstreben stützen die Wände und geben dem Raum halt. Die Wand selbst besteht aus ein Mal ein Meter großen Metallplatten.
In der Wand, die sich uns gegenüber befindet, gibt es zwei breite, nebeneinander liegende Durchgänge. Dahinter ist ein vorbeiführender Gang zu sehen.
Der Korridor ist ebenfalls mit Platten verkleidet. Allerdings bestehen diese scheinbar aus einem Blau-grauen Kunststoff.
Zwei Kameras unter der Decke haben uns im Visier.

Ich habe das Gefühl in einer billigen Science-Fiction Kulisse zu stehen.
Was soviel heißt wie: ich habe nicht die leiseste Ahnung wo wir sind.

Bevor ich jedoch Glaukos danach fragen kann, materialisiert sich neben uns noch jemand.
Komplett in einen Schutzanzug gehüllt. Ich kann nicht einmal sagen ob es sich um eine Frau oder Mann handelt. Selbst der Kopf ist unter einer Gasmaske versteckt. Die Gucklöcher für die Augen sind winzig und machen nicht den Eindruck genug Übersicht über die Umgebung zu bieten. Aus der Maske kommen etliche Schläuche hervor und verschwinden wieder an anderen Stellen im Anzug, die meisten jedoch in einem kleinen rechteckigen Rücksack auf dem Rücken. Als ich mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt zurück mache, zieht sich die Person die Maske vom Kopf. Darunter kommen rot gelockte Haare zum Vorschein, die durch die Maske nass geschwitzt sind. „Hi, Glaukos. Sehen wir uns beim Essen?“ fragt die Frau, die ich auf vielleicht vierzig Jahre schätze. „Sicher, ich bin da.“ Glaukos kann es ihr nur noch hinterher rufen. Mit der Maske in der Hand hat sie den Raum schnell verlassen. „Was war das denn?“, frage ich ihn. „Nicht was! Sondern wer! Wo sind denn deine Manieren“, werde ich von ihm belehrt. Ohne jedoch meine Frage wirklich zu beantworten, deutet er mir ihm zu folgen und verlässt ebenfalls den Raum. Allerdings in die andere Richtung wie die Frau zuvor. Ich folge ihm durch mehrere blaue Plastikgänge. Überhaupt scheint dies die vorherrschende Farbe zu sein. Die Türen sind alle in blau-grau gehalten. Und die kleinen Hinweisschilder, mit denen einige Türen versehen sind, sind ebenfalls blau.

Zwei Gänge weiter sind wir schließlich am Ziel angekommen. Glaukos öffnet eine der Türen und zieht mich hinter sich her. Wir stehen in einem großen Raum. Die Wände sind vollständig mit riesigen Bildschirmen, Anzeigentafeln oder irgendwelchen Schaltpulten bedeckt. Mehrere Stühle stehen vor den Pulten. Doch nur zwei davon sind besetzt.
In einem sitzt ein Mann und starrt die ganze Zeit auf einen der größeren Monitore. Währenddessen knabbert er an etwas, das aussieht wie eine Laugenbrezel.
Der andere ist von einer kleinen pummeligen Frau besetzt. Im Gegensatz zu dem Mann wechselt sie ständig zwischen den Pulten. Sie stößt sich mit den Füßen, die kaum den Boden berühren, ab und tippt dann am nächsten Arbeitsplatz so schnell auf die Tasten, dass man ihre Finger kaum noch erkennt. Bevor sie sich wieder abstößt und erstaunlich zielsicher beim nächsten Pult landet.

„Hi Leute, bin wieder da.“

„Haben wir schon registriert“, sagt der Mann ohne Blick von seinem Monitor zu lösen. Die Frau schaut kurz zu uns und unterbricht dann ihre Arbeit.

„Ah! Du musst Alex sein. Wir haben schon viel von dir gehört.“

Erst jetzt dreht sich auch der Mann zu uns.

„Der Alexander?“, fragt er erstaunt.

„Ähm…ja…ist er.“ Glaukos sieht grade ziemlich verlegen aus.

„Das sind übrigens Aidos und Lips“, ergänzt er kurz darauf; wieder mit seiner typischen Selbstsicherheit.

„Aber wir sind hier nicht zufällig im Olymp?“, frage ich, mal wieder über die eigenartige Namensvorliebe erstaunt.

„Den Namen hätten wir nehmen sollen! Wir nennen es einfach »Blau«. Immerhin war der Architekt auch nicht grade einfallsreich; und wir sind hier zum Teil in dem blauen Zeit-Zwischenraum.“

„Und was ist das »Blau«?“

„Unsere Zentrale. Von hier beobachten und korrigieren wir.“ Lips widmet seine Aufmerksamkeit wieder dem Monitor; zumindest glaube ich, dass Lips der Männername von beiden ist.

„Irgendwas braut sich da wieder zusammen.“ Alle drei starren nun auf den gleichen Schirm. Ich kann dort nur ein paar verschlungene Linien sehen. Manche wechseln kaum merkbar die Farbe und andere bewegen sich langsam.

„Wir sollten uns langsam überlegen was wir machen…“

Was genau sie machen wollen, bleibt unausgesprochen, aber alle scheinen zu wissen von was die Rede ist.

Ohne weitere Worte verabschiedet sich Glaukos von den Beiden und zieht mich mal wieder hinter sich her.

„Was meintet ihr grade?“

„Lass uns was Essen gehen. Ich hab Hunger“, weicht Glaukos mir wie so oft aus.

„Könntest du zur Abwechslung mal mit mir reden!“

„Entschuldige.“ Glaukos bleibt kurz stehen, sieht mich aber nicht an. „Es gibt mit den Anderen immer mehr Ärger. Wir sind nur noch damit beschäftigt möglichst alles auszugleichen, was sie anrichten.“

„Und was überlegt ihr zu machen?“

„Es gibt die Möglichkeit, die Zeitlinie herzustellen, bevor sich jemand eingemischt hat. Wir müssen nur dafür sorgen, dass die Entwicklung der Zeitreise etwas früher von statten geht und das »Blau« als erstes gebaut wird. Wir hätten so die Kontrolle was hier rein und raus geht und könnten verhindern, dass die anderen die Technik bekommen. Theoretisch müsste die Zeit dann wieder auf die Null-Linie springen.
Solange sie noch nicht selbst eine Zentrale außerhalb der Zeit haben.“

Schweigend laufen wir weiter. Glaukos hat mir erst einmal genug zum nachdenken gegeben. Und ob ich es überhaupt verstehe, bin ich mir noch gar nicht sicher.
Hinter der nächsten Ecke scheint es etwas wohnlicher zu werden. Ein paar Bilder hängen an der Wand und der Boden ist mit einem Teppich ausgelegt. Farblich passend zum Rest der Anlage.
Glaukos entschließt sich dann doch nicht zur Mensa zu gehen. Wofür ich ihm dankbar bin. Jetzt auf viele Menschen zu treffen, würde mich wahrscheinlich überfordern.
Stattdessen geht er mit mir zu seinem Apartment und bestellt dort eine Pizza.
Seine Wohnung besteht genau wie meine nur aus einem einzelnen Raum. Allerdings ist seine mehr als dreimal so groß wie meine. Es gibt genug Platz für Schränke, Regale und ein großes Doppelbett. In einer Ecke gibt es eine Küche, die durch einen Tresen von Rest des Raumes getrennt ist. Drei Barhocker stehen davor.
Ein beiges Sofa bietet die einzig gemütliche Sitzgelegenheit.

Erschöpft lasse ich mich darauf fallen.

„Wer ist bei euch eigentlich für die Namensvergabe zuständig? Derjenige scheint ja echt keine Phantasie zu haben! »Steuerstab«!? »Blau«!? Das ist ja wohl selten einfallslos!“

„Worüber regst du dich jetzt eigentlich auf?“, fragt Glaukos.

„Irgendwo rüber muss ich mich doch aufregen!“, werfe ich ihm an den Kopf. Nur um kurz danach leise zu ergänzen. „Ich weiß einfach nicht was ich machen soll. Ich fühl mich durch grade total überfordert.“

„Du bist echt niedlich, wenn du dich so aufregst.“ Ich habe nicht mitbekommen, wie sich Glaukos dicht neben mich gesetzt hat. Ich habe das Gefühl nicht mehr klar denken zu können.

„Tu ich nicht!
Was mach ich denn jetzt, wenn die anderen mich immer wieder umbringen wollen?“, frage ich ihn, hauptsächlich um vom Thema abzulenken. Allerdings ohne Erfolg.

„Lenk jetzt nicht ab!“ Glaukos rückt immer näher zu mir heran.

„Ich sehe doch wie du mich immer ansiehst.“ Er nähert sich immer weiter meinem Kopf. Und dann ist auf einmal das Blau seiner Augen weg als er sie schließt und weiter nähert. Ich spüre seine Lippen auf meinen. Erst ganz sacht und dann immer fordernder.
Irgendwie kann ich nicht anders als Glaukos wegzustoßen und mit dem Rücken auf das Sofa zu drücken. Überrascht reißt er die Augen auf als ich ihn mit blitzenden Augen ansehe und mich ihm wieder nähere.

„Du bist wohl doch nicht so schüchtern…“, sind seine Worte, die ich mit einem weiteren Kuss ersticke.

„Soll ich dir zeigen wie schüchtern?“, flüstere ich ihm ins Ohr. Ich ziehe ihn hoch und küsse ihn im stehen weiter. Mit meinen Händen ziehe ich an seinem T-Shirt und schiebe es hoch. Gleichzeitig fühle ich seine Hand auf meiner Haut.
Glaukos fängt an mich durch das Zimmer zu schieben. Auch wenn meine Augen noch geschlossen sind, kann ich mir vorstellen wohin. Eng umschlungen stolpern wir weiter, bis wir schließlich zusammen auf das Bett fallen.

*-*-*

Am nächsten Morgen wache ich alleine im Bett auf.
Von Glaukos im ganzen Zimmer nichts zu sehen. Langsam stehe ich auf und rufe nach ihm. Doch auch im Bad ist er nicht zu finden. Nachdem ich geduscht habe, suche ich meine Sachen wieder zusammen.
Erst jetzt sehe ich auf dem Couchtisch ein beschriebenes Blatt liegen

„Musste weg, hab einen dringenden Auftrag bekommen. Glaukos“, lese ich auf dem Zettel.

So hatte ich mir das Aufwachen zwar nicht vorgestellt, aber mit einem „Zeitpolizisten“ ist das wohl so. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich nicht einmal weiß wie die Berufsbezeichnung von Glaukos überhaupt ist, wenn es denn überhaupt eine gibt.

Ich lasse den Zettel liegen und mache mich in seiner Küche auf die Suche nach etwas Essbarem. Schon nach kurzer Zeit ist mir klar, dass es ein hoffnungsloses Unterfangen ist. Glaukos scheint meist in der Mensa zu essen, wo er am Abend zuerst mit mir hinwollte. Ich finde Müsli, aber keine Milch; und zum Brot gibt es keinen Aufstrich.
Letztendlich mache ich mir nur einen Kaffee, auch wenn ich den normalerweise mit Milch trinke. Ich habe grade den Schrank mit den Tassen gefunden als die Wohnungstüre aufgestoßen wird. Mit einem lauten Knall stößt sie gegen das dahinter stehende Regal.
In der offenen Türe steht Glaukos.
Er wirkt gehetzt.
Barfuss, in einem schwarz-weißen Neoprenanzug und völlig durchnässt, läuft er auf mich zu. Bei mir angekommen fällt er mir um den Hals.

„Ich…ich hab grad…“

Beruhigen streiche ich ihm über den Rücken.

„Ich hab dich grade gerettet. Ich hab dich aus einem See gezogen als du vier Jahre alt warst.“

„Ich wusste es!“

„Ist das alles was du dazu sagst? Ich hätte dich fast verloren.“

„Nein hättest du nicht. Immerhin war das schon meine Vergangenheit. Und jetzt weißt du wann ich mich in die verliebt habe.“

„Du hast dich…in dem Alter?“

„Irgendwie schon. Ich konnte dich nie vergessen; und deine Augen auch nicht.“

„Wow!“, mehr brachte mein Freund nicht zu Stande. Noch immer drückte er sich an mich.

„Glaukos? Was machen wir denn jetzt; ich meine ihr? Ihr könnt doch nicht eure ganze Aufmerksamkeit dafür aufbringen um auf mich aufzupassen.“

„Wir haben lange überlegt; und viel zu lange gezögert.“ Glaukos löste sich wieder von mir und begann den Anzug auszuziehen. „Wir werden die Null-Linie wieder herzustellen.“

Ich musste schlucken. Das würde wahrscheinlich die ganze Welt wie ich sie kannte verändern.

„Und wie kommt es auf einmal dazu?“

„Alex, du hattest damals keinen Unfall. Die haben dich ins Wasser gezogen und wollten dich umbringen.“

Geschockt sehe ich Glaukos an. Das ist der Teil an den ich nicht erinnern kann. Aber irgendwie macht die ganze Sache so mehr Sinn. Wie sollte es ein kleines Kind, das ins Wasser gefallen ist, bis zur anderen Seite des Sees schaffen.

„Warum sind die so hinter mir und meiner Familie her?“

„Weiß ich auch nicht genau.
Aber ich hatte dir doch gesagt, dass die Anderen ab und zu in die Zukunft reisen. Wir vermuten, dass sie dabei deinen Namen aufgeschnappt haben und er irgendwie mit ihrem Untergang zusammenhing. Anders kann ich mir die Reaktion nicht vorstellen. Meist waren sie recht vorsichtig.“

„Was soll ich denn schon machen können? Ich hab doch keine Ahnung von dem ganzen Mist!“

„Kannst du dich noch erinnern was ich dir über die Zukunft gesagt habe? Das es gefährlich ist sie zu kennen.“

„Du meinst…“ ungläubig sehe ich Glaukos an.

„Ja! Du bist für sie gefährlich, weil sie dich dafür halten.
Hätten sie es bei dir nicht so mit der Zeitmanipulation übertrieben, hätten wir uns wohl nicht dazu entschlossen die Null-Linie herzustellen.“

„Und was ist mit mir, wenn ihr die Null-Linie herstellt?“

„Du kannst bleiben, wenn du willst. Ich würde mich auf jeden Fall freuen.“

„Bis wann muss ich mich entscheiden?“

„Am besten heute noch; wir wollen nicht so lange warten.“

„Okay.“ Ich setzte mich auf das Sofa und starre vor mich hin. Erst nach einer Weile setzt sich Glaukos zu mir. Er zieht meinen Kopf zu sich und sieht mir in die Augen.

„Es ist deine Entscheidung. Und egal wie sie ausfällt, es ist okay. Aber ich kann dir dabei nicht helfen.“

„Ich hab mich doch schon längst entschieden.“

„Sicher?“

Ich nicke leicht und bringe sogar so etwas wie ein Lächeln zustande. „Ich hab neunzehn Jahre auf dich gewartet. Da kann ich doch jetzt nicht wieder gehen.“

Auch Glaukos lächelt jetzt, aber er sagt nichts. Stattdessen zieht er mich wieder zu sich und legt seine Arme um mich.

„Kann ich noch einmal zurück?“, frage ich ihn. „Um ein paar Sachen zu holen. Fotos, Erinnerungen; immerhin weiß ich nicht, was sich davon auflösen wird.“

„Klar. Das machen Andere auch. Ich begleite dich. Wir müssen uns nur kurz Abmelden.“

*-*-*

Eine Stunde später stehe ich mit Glaukos vor meiner Wohnung.
In meiner Tasche habe ich sogar meinen eigenen Steuerstab. Nur ließ sich meiner nicht an das Handgelenk schnallen. Lips meinte die Armbänder seien ausgegangen.
Zumindest war es eigenartig das erste Mal alleine zu reisen und nicht Glaukos Hand zu halten.

Mit zitternden Fingern angle ich den Schlüssel aus meiner Hosentasche.
Schon jetzt fühle ich mich wieder völlig überfordert. Ich will auf jeden Fall ein paar Fotos mitnehmen. Eins von meiner Familie, eins mit Ute und einigen anderen Freunden.
Aber viele Erinnerungen sind einfach zu sperrig. Wie soll ich da auf die schnelle etwas auswählen.
Glaukos scheint meine Verfassung zu bemerken. Sanft legt er seine Hand auf meine Schulter und dreht mich zu sich.

„Hey, das hier ist nur eine Vorsichtsmaßnahme damit du nichts verlierst. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass Menschen komplett verschwinden. Es werden sich nur hier und das ein paar Kleinigkeiten ändern.“

„Bist du sicher? Immerhin scheinen die in meinem ganzen Leben herumgepfuscht zu haben.“

Glaukos’ Schweigen ist Antwort genug und ich widme mich wieder der Wohnungstüre.
Leise schwingt sie auf. Glaukos will an mir vorbei in die Wohnung gehen, doch diesmal halte ich ihn an der Schulter zurück. Ich schüttle nur mit dem Kopf als er mich erstaunt ansieht.
Selbst aus dem Treppenhaus sehe ich, dass etwas nicht stimmt. Die Küchentür ist geschlossen, was ich nur mache, wenn ich etwas habe anbrennen lassen. Und die Schuhe, die noch immer auf einer alten Zeitung standen, weil ich sie das letzte Mal bei Regen getragen hatte, liegen auf einem Haufen mit den Anderen.

„Hier war jemand“, flüstere ich.

Glaukos geht leise zwei Schritte in meine Wohnung. Er bückt sich, hebt einen der Schuhe vom Boden auf und kommt wieder zurück. Mit Schwung schmeißt er anschließend den Schuh in den hinteren Teil der Wohnung. Polternd schlägt er auf dem Linoleum auf und rollt dann noch einen Meter weiter bis ins Wohnzimmer.
Auf dem Teppich bleibt er liegen.
An genau dieser Stelle verfärbt sich der Teppich schwarz. Eine Dünne Rauchfahne steigt auf bevor eine kleine Stichflamme zu sehen ist. Dann gibt es eine kleine Explosion und ein kleines Loch im Boden ist alles was vom Schuh übrig ist.

Glaukos ist der Einzige der reagiert.
Er zieht mich an seiner Hand hinter sich her bis ich ihm von alleine folge. Aus meiner Wohnung sind Schritte zu hören. Und auch von oben aus dem Treppenhaus kommen laute Schritte auf uns zu.
Nacheinander stürmen wir die Treppe runter und rennen aus dem Haus.

„Gibt es hier einen Ort wo keine Menschen sind?“ Glaukos dreht nur kurz seinen Kopf zu mir, bleibt aber nicht stehen.

„Sicher. Da wo du mich das letzte Mal abgesetzt hast. Komm mit.“

Ich laufe voraus. Die kleine Gasse ist nur zwei Straßen entfernt. Allerdings vergesse ich, dass die Gehwege hier noch mehr benutzt sind. Hinter der nächsten Hausecke stoße ich mit einem Mann zusammen. Die Wucht reißt mich von den Beinen während er nur ein wenig schwankt. Schmerzhaft lande ich auf meinem Hinterteil.

„Beeil dich!“ Glaukos zieht mich wieder auf die Beine. Ich kann mich noch grade bei dem Mann entschuldigen als wir auch schon weiterlaufen.
Hundert Meter weiter haben wir die Gasse erreicht. Glaukos zieht seinen Steuerstab hervor während ich mich umsehe ob auch wirklich niemand in der Nähe ist.
Kurz darauf sind wir wieder im Blau.

Ich ziehe meinen eigenen Steuerstab aus meiner Gesäßtasche und lasse Glaukos Hand los.

„Alex!“

Glaukos erschrockene Stimme lässt mich aufsehen.
Er starrt auf meinen rechten Arm.
Und dann sehe ich es auch.
Über meinen Unterarm laufen wie in Zeitlupe hellgelbe Lichtblitze, die ich jedoch kaum spüre. Nur jetzt wo ich sie sehe, bemerke ich auch ein leichtes Kitzeln.
Die Blitze gehen von dem kleinen Stab in meiner Hand aus.
In dem Gehäuse ist ein Riss zu sehen durch den das Innere zu sehen ist.

Glaukos streckt seine Hand aus um noch meine Arm zu erreichen. Doch er ist schon so weit in der Zeit versetzt, dass ich ihn kaum noch erkennen kann.

„Ale… x.… a….. n…… d……. e…….. r!“

Sein panischer Ruf zieht sich immer weiter in die Länge.
Noch lange glaube ich seine Stimme zu hören.
Doch da ist nichts mehr. Kein Laut, kein Luftzug und auch kein Glaukos.
Nur noch das unendliche Blau.
Und die gespenstisch langsamen Blitze auf meinem Arm.

Geschockt starre ich auf die Lichtbewegungen. Ich fühle mich zu keiner Regung fähig.
Meine Gedanken fangen an sich zu überschlagen. Hatte Glaukos nicht erzählt, dass so etwas nicht passieren kann. Es gibt doch eine Sicherheitsprüfung, oder wollte er mich nur beruhigen.
Erst nach einigen Augenblicken fällt es mir wieder ein. Wie viel Zeit wirklich vergangen ist, weiß ich nicht. Vergeht hier überhaupt die Zeit?
Zumindest habe ich den Steuerstab gar nicht bedient. Glaukos hat mich in der Aufregung hinterher gezogen. Wie bei den ersten Reisen hat er meine Hand gehalten. Erst hier, in dem Blau, hat er sie wieder los gelassen.
Eigentlich sollte ich jetzt auf ihn wütend sein. Immerhin ist er doch der Zeit-Profi. Doch das gelingt mir nicht.
Stattdessen kreisen meine Gedanken darum, was er sich jetzt für Vorwürfe machen wird. Glaukos wird wahrscheinlich nichts unversucht lassen mich zu finden.
Aber war das überhaupt möglich?
Sagte er nicht, In diesem Zeitzwischenraum könne nichts gefunden werden. Und hier könnte auch nichts alleine existieren, weil alles an Zeit gebunden ist und diese hier nicht existiert.
Was würde passieren, wenn ich den Steuerstab los lasse?
Sofort verwerfe ich den Gedanken wieder. Das würde ich bestimmt nicht ausprobieren.

Aber die ganze Zeit hier stehen bleiben, wird mir auch nicht helfen.
Vielleicht gibt es hier ja doch etwas.
Auch wenn ich nicht weiß ob es hier überhaupt ein Ziel gibt, mache ich zögernd einen Schritt.
Der erste überhaupt.
Bei allen vorherigen Aufenthalten musste ich einfach nur an einer Stelle stehen bleiben und warten bis die Reise zu ende war.
Ich schwanke ein wenig. Erst jetzt merke ich wie verkrampft ich eigentlich bin. Zögernd versuche ich meinen Fuß wieder aufzusetzen. Auch wenn es hier eigentlich keinen Boden gibt, habe ich doch das Gefühl wieder mit beiden Beinen zu stehen.
Schon mit etwas mehr Elan mache ich einen zweiten Schritt.
Und dann noch einen.
Schließlich gehe ich durch dieses Blaue Nichts.
Es fühlt sich eigenartig an. Noch seltsamer als einfach nur zu stehen. Doch habe ich hier überhaupt ein Ziel? Ich merke wie langsam Panik in mir aufsteigt.
Mit schnelleren Schritten laufe ich durch das Blau.
Im Augenblick ist das die einzige Beschäftigung, die ich habe.
Kurz darauf gehe ich vom Laufen zum Rennen über.
Selbst jetzt ist nicht mal ein leichter Lufthauch im Gesicht zu spüren, als würde es hier weder Luft noch Sauerstoff geben. So fange ich ohne Kühlung auch schnell an zu schwitzen.
Trotzdem renne ich durch das Blau bis mir die Lungen schmerzen.
Erschöpft bleibe ich stehen um wieder zu Atem zu kommen.
Doch als ich mich wieder halbwegs erholt habe, renne ich wieder los.
Doch auch diesmal ändert sich nichts.
Kein Luftzug, keine Farbveränderung und keine Gerüche.
Als mir das nächste Mal die Luft ausgeht, setzte ich mich hin. Das Laufen scheint sowieso nichts zu bringen.
Aber eine andere Idee habe ich auch nicht wirklich.
Ich sehe mir den Steuerstab an, den ich noch immer krampfhaft mit meinen Fingern umschließe. Ein kleiner Riss im Gehäuse, die gelben Blitze; daran hat sich auch nichts geändert. Ich weiß auch nicht einmal wie das Ding funktioniert, oder was überhaupt verbaut wurde. Das Ding aufzuschrauben, wird es bestimmt nicht besser machen.

Ich merke wie ich langsam müde werde und Hunger bekomme. Einfach los zu rennen, war wohl doch keine so gute Idee.
Wie lange ich jetzt schon hier bin, weiß ich nicht.
Das einzige, was ich noch mache, ist ins Blau zu starren. Ab und zu wenn ich merke, dass ich mich nur noch schlecht wach halten kann, sehe ich mir wieder den Stab an oder stehe einmal kurz auf.

Aber irgendwann hilft auch das nicht mehr wirklich.
Immer wieder fallen mir die Augen zu.
Mein Kopf sackt immer wieder auf meine Brust. Nur um ihn eine Sekunde wieder mit blinzelnden Augen hochzureißen.

Es fällt mir immer schwerer mich auch nur auf einen Gedanken zu konzentrieren.

Schließlich sinkt mein Kopf langsam nach unten und bleibt mit dem Kinn auf der Brust dort liegen.

Den aus meiner Hand fallenden Steuerstab bekomme ich nicht mehr mit.

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