Eric Einarson – Der versprochene Mann – Tür 4

Kims Kopfteil war leicht angewinkelt, so konnte er mich ungehindert sehen, als ich den Raum betrat.

„Da bin ich wieder… und was meinte der Arzt“, fragte ich, als wäre es ganz normal.

„Gehirnerschütterung… und er möchte mich noch für ein zwei Tage hier behalten.“

„Immer noch Schmerzen?“

„Nein… besser, die Tabletten fangen an zu wirken.“

Ich entledigte mich meiner Jacke und dem Schal, zog den Stuhl ans Bett und wollte mich setzten.

„Ach deine Tasche, die wollte ich vorhin schon ausräumen. Ich soll dir übrigens ganz liebe Grüße von deinen Kollegen ausrichten.“

„Eric?“

Ich hielt in meiner Bewegung inne. Seit dem Betreten des Raumes, hatte ich ihn nicht angeschaut und auch jetzt stand ich mit dem Rücken zum ihm.

„Was ist los?“

Ich drehte mich langsam zu ihm. Ich wusste nicht warum, aber plötzlich hatte ich Hemmungen ihn anzusehen. Als ich meine Drehung vollendet hatte, sah ich nur seine Hand, wie sie aufs Bett zeigte.

„Komm her…“, meinte Kim nur.

Zögernd setzte ich mich in Bewegung, um nach zwei Schritten am Bett wieder zum Stehen zu kommen. Langsam wanderte mein Blick, der die ganze Zeit auf den Boden gerichtet war, zu Kims Gesicht.

Er lächelte wieder, auch seine Augen strahlten.

„Setz dich bitte.“

Nickend kam ich seiner Bitte nach und ließ mich auf dem Stuhl wieder.

„Wieso bist du so schnell wieder hier? Es gibt doch einen neuen Fall.“

„Du weißt…?“

Er zeigte auf sein Handy, das neben ihm auf dem Schränkchen lag. Natürlich hatte er bereits alles gelesen, was Hekla im Ordner hinterlassen hatte.

„Anna meinte…, ich soll mich um dich kümmern.“

„Und dir ist das nicht Recht?“

„Das habe ich nicht gesagt…“, meinte ich verlegen und kratzte mich am Hinterkopf.

„Aber…?“

Er griff nach meiner Hand.

„Kein aber…“

Ich atmete tief durch.

„Ich hab mir bloß Gedanken gemacht, was zukünftig sein könnte und über grundlegende Dinge, wie es weiter gehen soll.“

„Spiel ich darin eine Rolle?“

Da war wieder der alte Kim, wie ich ihn kennen gelernt hatte. Direkt wie immer, aber das mochte ich so an ihm. Aber ich spürte auch, dass mein Gesicht sich rot färbte.

„Nach deinem Gesichtsausdruck zu urteilen … ja! Dann erzähl mal, was für Gedanken hast du dir denn gemacht?“

Kims Direktheit und starkes Selbstbewusstsein, schüchterten mich irgendwie noch mehr ein.  Oh Mann, was war jetzt nur los mit mir. Aber ich nahm mir vor, wie in den letzten Wochen, keinerlei Geheimnisse vor Kim zu haben.

Noch einmal atmete ich tief durch, nahm seine Hand in meine Hände und zog sie hoch, so dass sie kurz vor meinem Gesicht ruhte.

„Gestern…, als Anna und Phillip im Krankenhaus waren…“

„Die waren beide hier?“, kam es erstaunt von Kim.

„Ja, ich hatte Anna angerufen und sie ist einfach hergekommen, mit Phillip im Schlepptau.“

Nun sagte Kim nichts und nickte nur leicht.

„Also… irgendwie kam die Sprache irgendwann auf uns beide, also ich meine… Anna sagte…“

„Anna hat gemerkt, dass du immer zu mir schaust?“

„Ja… aber…?“

Sein Lächeln wurde breiter.

„Mir ist das auch aufgefallen…“

Ich spürte, dass sich Kim aufrichten wollte, ich hinderte ihn aber sofort daran, in dem ich eine Hand auf seine Schulter legte. Ich sah mich um und fand schnell das Gesuchte. Ich griff nach der Bedienung fürs Bett und ließ sein Kopfteil noch ein wenig höher fahren.

„Ich denke, dir geht es nicht anders, als mir…“, sprach Kim dann einfach weiter.

„Was meinst du?“, fragte ich unsicher.

„Seit ich dich näher kennen gelernt habe, kommt immer wieder die Frage auf, ob ich mehr will… dich…will?“

Da lag dieser zierliche und kleine Mann vor mir und hatte dieselben Gedanken wie ich. Warum ich mich plötzlich erleichtert fühlte, wusste ich nicht. Ich atmete tief durch und musste lächeln.

„… und …bist du zu einem Ergebnis gekommen?“

„Ja und nein…!“

„Hä?“

Meine Verwunderung musste auf meinem Gesicht klar sichtbar sein, denn Kim lächelte schon wieder.

„Ja…, weil ich dich will und nein, weil ich absolut keine Ahnung habe, wie man so etwas anstellt!“, sprach Kim weiter.

Für Sekunden war es still im Raum, man konnte nur unsere Atmung hören. Besser gesagt Kim, denn ich hielt kurz den Atem an. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen und beugte mich vor und küsste Kim sanft.

Noch mit geschlossenen Augen ließ ich mich langsam auf den Stuhl zurückgleiten und sah beim Öffnen der Augen, wie Kims seine ebenfalls öffnete. Ich atmete stoßweise aus und lachte.

„Ich weiß es auch nicht…!“, meinte ich und lachte weiter.

„Bisher hatte ich noch keine lange Beziehung, um daraus Erfahrungswerte zu ziehen.“

„..du …du hattest noch nie einen Freund?“, fragte Kim erstaunt.

Ich schüttelte den Kopf.

„Das glaub ich jetzt nicht…!“

„Darfst du“, lächelte ich.

Wir hatten unsere Hände bisher noch nicht losgelassen.

„Und was wird jetzt aus uns beiden?“, fragte Kim

Direkt wie immer von Schüchternheit keine Spur, davon konnte ich nur lernen.

„Du… um ehrlich zu sein…, ich habe es nicht eilig. Können wir das langsam angehen?“

Er schaute mich nur an, erwiderte aber nichts.

„Bist du jetzt enttäuscht…?“, fragte ich unsicher.

„Nein…!“

„… aber?“

„Kein aber…, ich bin nur ein bisschen verwirrt. Du meinst das wirklich ernst?“

Ich nickte.

„Du willst mich? Du könntest jeden haben, den du möchtest…“

Wo war plötzlich seine Selbstsicherheit? Ich beugte mich erneut nach vorne. Mein Gesicht war nun ganz dicht an seinem.

„Ich will aber dich…, keinen anderen.“

Wieder begann Kim zu grinsen.

„Und warum küsst du mich dann nicht, das war nämlich schön!“

Auch dieser Kuss blieb sanft und einfach, auf Rücksicht von Kims Zustand. Dann fiel mir wieder etwas ein.

„Auf die Gefahr hin, dass ich jetzt diesen romantischen Augenblick zerstöre…“

Kims Lächeln wich.

*-*-*

„Aus der Familie war nichts heraus zu bekommen. Die Mutter weinte ständig, der Vater bestrafte uns mit Verachtung und seine Geschwister taten so, als würde es sie nichts angehen“, erzählte mir Ari.

Ari wollte auf meine Berichterstattung über Kims Befinden nicht abwarten und war selbst ins Krankenhaus gekommen. Wo er einen Blumenstrauß her hatte, wusste ich nicht, genauso wenig, ob Kim so etwas überhaupt gefiel.

„Habe ich mir irgendwie gedacht“, meinte ich.

„Und Alexander wäre fast ausgetickt, wenn Anna ihn nicht zurück gehalten hätte.“

„Warum wundert mich das nicht?“, fragte Kim.

„Hat Anna noch irgendetwas gesagt?“, wollte ich wissen.

„Nein, aber ich denke, sie wird sich ihre Gedanken machen und uns wie immer irgendwann mitteilen“, antwortete Ari grinsend.

„Bei dem Verhalten der Familie, könnte ich mir den oder die Täter in der Familie vorstellen“, sagte ich.

„Wie kommst du darauf?“, fragte Kim.

„In England hatten wir mal einen Fall, da hat der Bruder seine Schwester umgebracht, weil sie nicht den heiraten wollte, der von der Familie bestimmt worden war.“

„Ich habe gelesen, der Sohn wurde vermisst gemeldet, weiß man von wem?“

Ari zog sein Handy hervor und begann zu suchen. Ich griff Kims Gedanke auf.

„Stimmt, daran habe ich noch gar nicht gedacht.“

„Nicht die Familie“, meinte Ari plötzlich, „da steht ein Bjarki Dagurson. Mehr Informationen hatte Hekla wohl nicht.“

„Vielleicht ein Arbeitskollege oder so etwas in die Richtung“, kam es von Kim.

„Denkst du wirklich, dass jemand aus dem Lager hier Arbeit findet?“, fragte Ari,  „es heißt doch, die Familie wurde bisher noch nicht weiter vermittelt!“

„Wieso nicht? Keine Wohnung heißt ja nicht gleich keine Arbeit … und schon mal etwas von Immigration gehört? Die Regierung werden ja nicht aus reiner Nächstenliebe, Flüchtlinge aufnehmen“, antwortete ich, „ohne weiter zudenken.“

Ari sagte darauf nichts.

„Ach so, ich habe vergessen auszurichten, dass Katrin heraus gefunden hat, dass eine Gruppe englischer Schüler im Kex Hostel abgestiegen sind. Stefan und Alexander haben sich gleich auf den Weg gemacht, “

Kim sah mich fragend an.

„Du hast gesagt, dass sich die Jugendlichen Englisch gesprochen hätten, da kam Katrin mit der Idee, dass vielleicht eine englische Schulklasse in einer der Herbergen untergekommen ist.“

Kim sah mich nur an, sagte aber nichts. Plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde der Boden anfangen zu wackeln. Automatisch schaute ich nach unten.

„Oh, wow, wieder ein Erdbeben…“, kam es von Ari.

„Erdbeben…?“ blabberte ich nach.

„Dein erstes?“, fragte Kim.

Ich nickte.

„Habt ihr nicht die Warnungen gehört?“, wollte Ari wissen.

„Welche Warnungen?“, fragte nun ich.

„Bereits seit Wochen gibt es auf Island Anzeichen für einen bevorstehenden Vulkanausbruch.“

„Vulkanausbruch?“, entfleuchte es mir entsetzt.

„Du vergisst wohl, wo wir hier sind!“, sagte Ari, „Island besitzt 31 aktive Vulkane, von denen kann jederzeit mal einer ausbrechen, zudem liegen wir direkt auf dem Mittelatlantischen Rücken, einer Grabenbruchzone, die ganz langsam auseinanderdriftet.“

„Woher weißt du das alles?“, fragte Kim.

Leicht verschämt schaute er zum Boden.

„… ein Hobby von mir…“, antwortete er leise.

„He, ich finde das cool, auch wenn mich das gerade nicht beruhigt“, meinte ich, „wie weit ist denn der nächste Vulkan von uns entfernt?“

Ich dachte gerade an Vulkanausbruch vor zehn Jahren, der den gesamten Flugverkehr in Europa zum Erliegen brachte.

„Der Fagradalsfjall, ungefähr dreißig Kilometer von hier…“

„So dicht?“

Kim begann zu grinsen.

„Was denn? Ich finde das ziemlich dicht, für das was man so hört bei Vulkanausbrüchen. Da darf man doch etwas besorgt sein, oder?“

„Daran gewöhnst du dich ziemlich schnell“, meinte Kim.

„So, ich muss dann wieder los“, sagte Ari, „vielleicht sieht man sich ja noch später. Bye!“

Und schon war er verschwunden. Mein Blick wanderte wieder zu Kim.

„Entschuldige, wenn ich mich über dich lustig gemacht habe…“

„Du brauchst dich nicht entschuldigen, Kim. Es ist etwas ungewohnt und war mir nicht bewusst. Zudem konnte ich dazu beitragen, dich wieder Lächeln zu sehen.“

Nun grinste ich ihn an, aber sein Gesichtsausdruck blieb ernst.

„Ari hat uns vorhin unterbrochen…, du wolltest mich etwas fragen?“

„Ähm… ich muss zu meiner Schande gestehen, dass wir bisher, nur immer über mich geredet haben, wenn wir zusammen waren…“

„Ja und?“

„Ich… ich weiß über dich so gut wie gar nichts. Was meinst du, wie überrascht ich war, als dein Vater mir die Tür öffnete.

Kims Gesichtsausdruck verfinsterte sich wieder.

„Er ist auch nicht erwähnenswert!“

„Es tut mir leid, wenn ich dir damit zu nahe trete.“

„Das tust du nicht, ich rede nur nicht gerne über ihn. Wie du wohl gemerkt hast, bin ich sofort auf 180, wenn er erwähnt wird.“

Fragend schaute ich hin an.

„Mein Vater ist der Meinung und das schon seit meiner Geburt, dass meine Mutter mich ihm untergejubelt hat und ich gar nicht sein leibhaftiger Sohn bin.“

„Bist du‘s?“

„Ja… leider!“

„Und deine Mutter…, dein Vater meinte sie wäre verreist.“

„Verreist? Sie hat vor einem halben Jahr ihre Koffer gepackt und wollte ihre Familie besuchen. Seit dem ist sie bei ihrer Schwester in Japan und meldet sich nicht mehr.“

„Seit einem halben Jahr…?“

Kim nickte vorsichtig.

„Tut mir leid… ich verstehe… warum du nicht gerne darüber redest.“

„Wieso…, ist deine Mutter auch abgehauen?“

Ich schüttelte den Kopf, denn über meine Eltern hatten wir noch nicht groß geredet.

„Nein, aber als mein Vater einen Streit anfing, wegen der Vorkommnisse auf der Dienststelle, hat sie sich nicht sonderlich für mich eingesetzt.“

Geschockt schaute mich Kim an.

„Weil… weil du schwul bist…?“

Ich nickte.

„Sie haben natürlich mitbekommen, was in meiner Dienststelle vorgefallen ist, irgendjemand hat wohl seinen Mund nicht halten können.“

„… und dann haben sie dich rausgeworfen?“

Wieder nickte ich.

„… und dann kam die Versetzung…, also bin ich einfach ausgezogen, ohne einen weiteren Ton zu äußern.“

„Sie wissen nicht, wo du bist?“

„Ich denke mal nicht, außer sie haben auf der Station nach mir gefragt, was ich mir aber nicht vorstellen kann.“

„Die haben doch einen Sprung in der Schüssel!“, regte sich Kim auf, was er aber sofort bereute. Er griff nach seinen Kopf.

„Sorry, ich hätte mit diesem Thema nicht anfangen sollen.“

„Warum denn? Worüber sollen wir sonst reden?“

Ich zuckte mit meinen Schultern.

„Ich denke einfach, wir sollten über all diese Dinge sprechen…, denn ich möchte keinerlei Geheimnisse vor dir haben… was das Thema Eltern betrifft…, naja, es gibt darüber einfach nicht viel zu reden, oder?“

„Okay“, meinte ich.

Kim schaute mich durchdringend an.

„Warum bist du dann noch nicht ausgezogen, wenn es dir so unangenehm ist.“

Diese Frage musste ich stellen, ich war einfach nur neugierig. Kim atmete scharf aus und starrte in die Luft.

„Nenn es Bequemlichkeit… oder Faulheit, bisher habe ich mir noch nicht die Mühe gemacht, mir etwas Eigenes zu suchen.“

„Ein Zimmer, Küche und Bad…, dass wird doch nicht so schwer zu finden sein. Dein Zimmer übrigens find ich cool, ich dachte sofort, ich wäre in einem anderen Land!“

Kim lächelte.

„Wie gesagt, bisher hatte ich auch nur meine Arbeit im Kopf, alles andere schien eben unwichtig. Was mein Vater betrifft, ich weiß nicht einmal ob er bemerkt, wenn ich zu Hause bin, er ignoriert mich einfach.“

Über sein seltsames Benehmen, brauchte ich mich nun nicht mehr wundern.

„Aber es hat auch seinen Vorteil, er lässt mich in Ruhe.“

Ich schaute Kim lange an, ein winziger Gedanke machte sich in mir breit, nahm Besitz von mir.

„Was ist?“, fragte Kim verwirrt.

„Du kennst meine Wohnung und du weißt, das es da noch dieses eine Zimmer gibt… naja, im Augenblick stehen da die ganzen Sachen drin, die ich noch nicht ausgepackt habe…“

„Halt, halt, halt… sagtest du nicht, wir wollen das langsam angehen! Ich soll zu dir ziehen?“

Mir wurde gerade selbst bewusst, was ich da gerade gesagt habe.

„Ähm… sorry, war nur so ein Gedanke… du würdest nicht so weit weg wohnen und… hättest Gesellschaft… die Miete könnten wir uns teilen…“

Ich wurde immer leiser, begann mich irgendwie dafür zu schämen. Mein Blick wanderte nach unten. Plötzlich spürte ich seine Hand auf meiner.

„Du hast das jetzt ganz ohne Hintergedanken gesagt…“, hörte ich Kims sanfte Stimme.

Langsam wanderte mein Blick zu seinen Augen.

„Entschuldige… ich habe nicht groß darüber nachgedacht, der Gedanke war einfach da…“

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen! Ich finde es furchtbar lieb, dass du dir so Gedanken um mich machst! Die Idee zu dir zu ziehen, kam zwar jetzt sehr überraschend, aber da ist etwas dran… dieser Gedanke sollte weiter gedacht werden.“

 

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