Eric Einarson – Der versprochene Mann – Teil 15

„Nanu, wo kommt ihr denn schon so früh her?“, fragte Anna, die uns zufällig auf der Straße vor der Station traf.

„Eric hat jetzt eine Pension, habe dort übernachtet, wurde spät gestern“, sagte Alexander trocken und Kim fing an zu kichern.

„Pension…?“, blabberte Anna verwundert nach.

Schon alleine Annas Gesichtsausdruck war zu köstlich, ich fing an zu lachen.

„Ist gestern spät geworden… und Eric meinte, es rentiert sich nicht, nach Hause zu fahren, so habe ich bei ihm geschlafen“, klärte sie Alexander lächelnd auf.

Anna zog ihre Augenbraun nach oben und schaute mich durchdringend an. Ich hob abwehrend die Hände nach oben.

„Wir haben uns nicht gestritten, nur normal unterhalten und etwas gegessen!“

Der durchdringende Blick blieb, aber sie drehte sich um und betrat das Haus. Mit einem kichernden Kim folgten wir ihr. Wenig später betraten wir unser Büro. Ein lautes guten Morgen folgte und Anna lief direkt in ihr Büro.

Ich zog gerade meine Jacke aus, als der Boden unter meinen Füßen zu wackeln begann. Automatisch griff ich nach meinem Stuhl.

„Sie werden immer stärker“, hörte ich Hekla sagen und drehte mich um.

„Ähm…“

„Hörst du keine Nachrichten?“, fragte nun Kathrin.

Verlegen schüttelte ich den Kopf. Klar hatte ich mitbekommen, dass in den letzten Wochen öfter, die Erde bebte. Aber bisher waren das nur leichte Beben. Das gerade eben, war aber deutlich zu spüren.

„Der Fajradalsfjall soll anscheinend ausbrechen“, erklärte mir Kim und drückte mich auf meinen Stuhl.

„Aha und wie weit weg ist das von uns?“

„Knappe 42 km…“, sagte Hekla, „die Stadt Grindavik wurde bereits evakuiert.“

„Eine ganze Stadt?“, fragte ich verwirrt.

„Ja“, meinte Stefan, „die Stadt ist von großen Rissen durchzogen, die Gefahr ist einfach zu groß, dass dabei jemand ums Leben kommt. Grindavik hat übrigens nur 3600 Einwohner.“

„So, könnten wir nun die Geologierstunde beenden und uns wieder dem Fall widmen.“

Das kam von Anna, die nun wieder in ihrer Tür stand.

„Und wenn sich Bjarki dorthin abgesetzt hat?“, fragte Ari.

„So blöd wird selbst Bjarki nicht sein“, meinte Lilja.

„Wieso?“, kam es trotzig von Ari, „alles menschenleer und an Nahrungsmittel ist auch leicht zu kommen!“

Ich schaute zu Anna, aber sie erwiderte darauf nichts.

„Ari hat Recht“, fing nun Alexander zu reden, „man sollte vielleicht den dortigen Einheit Bescheid geben, dass sie besser Ausschau halten.“

Anna nickte ihm zu und Alexander griff nach dem Hörer. Stefan stand auf und lief zu Anna.

„Der Richter hat übrigens beschlossen, den Rest der Familie wieder unter freien Fuß zu setzten, da es keinerlei Beweise gibt, dass sie an der Schießerei, oder der Brandstiftung beteiligt waren.“

Da ich so dicht saß, konnte ich jedes Wort verstehen.

„So hat er das? Was passiert jetzt mit ihnen?“

Stefan begann an zu grinsen.

„Du wirst es nicht für möglich halten, Mr. Brigson persönlich hat sich dafür eingesetzt, dass die Familie eine Wohnung bekommt!“

„Brigson…?“, rutschte es mir heraus und mir wurde bewusst, dass ich gerade beim Lauschen erwischt wurde.

Verlegen lächelte ich die beiden an.

„Nicht nur das. Weil die Familie durch den Brand in ihrer Unterkunft alles verloren hat, soll er Anweisungen gegeben haben, sie mit allem zu versorgen, was nötig ist.“

Stefan hatte sich nun so gedreht, dass ich in das Gespräch mit einbezogen wurde.

„Der hat doch nur ein schlechtes Gewissen, wegen seinem Neffen!“, sagte ich.

Anna nickte mir zu.

„Brigsons Neffe ist nun auch in Untersuchungshaft!“, erklärte Stefan weiter, „wegen Amtsmissbrauch und weil er die Geschäfte seines Vaters mit Dagur Jökullson, Bjarkis Vater, weiter geführt haben soll!“

„Woher weißt du das alles?“, fragte ich verwundert.

Stefan grinste mich fett an.

„Ich werde meine Quellen nicht preis geben!“

„Ich denke, Chief Karlson will die Sache so schnell wie möglich vom Tisch haben. Ein schwarzes Schaf in seiner Einheit zu haben, ist nicht gut für sein Ego!“, sagte Anna und wandte sich ab.

Schnell war mein Computer hoch gefahren und die notwendigen Programme offen. Fleißig wie Hekla war, standen schon alle Berichte, über die Stefan, eben berichtete, schon in der Ablage.

Ich öffnete die Datei über Dagur Jökullson, der Vater von Bjarki, er war schon öfter ins Kreuzfeuer verschiedener Ermittlungen geraten. Nachgewiesen wurde ihm nie etwas. Er hatte noch einen Bruder Hilger Jökullson, der auch nie mit etwas in Verbindung gebracht werden konnte.

Zu dem war er bereits verstorben und somit für den Fall der Waffenschieberei nicht mehr relevant. Auch er hatte einen Sohn. Meine Augen wurden groß. So viele Zufälle gab es nicht.

„Kim!“

„Hm?“, kam es von Kim und er rollte mit seinem Stuhl zu mir herüber.

Ich zeigte auf den Namen des Sohnes. Kim reagierte ähnlich wie ich.

„Denkst du, er hat etwas mit dem Fall zu tun?“

„Da bin ich mir eben nicht sicher. Anna!“

Anna schaute auf.

„Der Sohn von Dagurs Jökullson Bruder, heißt Magnus Hilgerson!“

„Eric, der Fall ist für uns soweit abgeschlossen! Der Rest erledigt Chief Karlsons Abteilung!“

„Der Arzt, der Kinderstation, auf der Mohammed liegt heißt Magnus Hilgerson!“

*-*-*

„Das würde aber den Amtsmissbrauch von Brigsons Neffe aufheben, wenn dieser Magnus, die Mutter selbst verständigt hat“, meinte Kim neben mir.

Wir waren mit Anna zum Krankenhaus unterwegs. Zu meiner Verwunderung hatte sie hinten Platz genommen.

„Die Waffenschieberei reicht für eine Verurteilung!“, kam es von der Rückbank.

Da ich den Weg zum Krankenhaus bereits kannte, fand ich auch ohne Kims Hilfe den Weg alleine. Ein paar Minuten später befuhr ich den Parkplatz und fand auch gleich einen Parkplatz.

„Irgendwie traue ich dem Kerl das nicht zu, an all dem beteiligt zu sein“, sagte Kim beim Aussteigen.

„Willst du ihn in Schutz nehmen? Denke an Bjarki, er hat uns alle getäuscht!“

„Da hast du leider Recht, aber Magnus…? Ich weiß nicht.“

„Da werden wir gleich wissen!“

Wir hatten Glück, es tauchte keine Tinna auf und wir konnten ungestört in die Kinderabteilung laufen. Dort angekommen, sahen wir mit Verwunderung, dass vor Mohammed Tür immer noch zwei Kollegen standen.

Eine Schwester hatte den Arzt über unsere Ankunft informiert und wenig später kam Magnus um die Ecke gebogen.

„Guten Morgen, was verschafft mir die Ehre…, sind sie wegen Mohammed da… er schläft noch. Wecken möchte ich ihn ungerne, er braucht seinen…

„Nein!“, unterbrach ich seinen Redeschwall, „Chief Superintendent Anna Björndottir hat ein paar Fragen an sie! Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“

„Ähm… aber sicher doch… folgen sie mir bitte.“

Er brachte uns in ein Büro, dass wohl ihm gehörte. Berge von Blätterstapel füllten den Schreibtisch und der Rest des Raumes sah nicht besser aus.

„Setzten sie sich doch.“

Anna und ich setzten uns, Kim blieb hinter uns stehen.

„Um gleich auf den Punkt zu kommen“, begann Anna, „haben sie Informationen über Mohammed an andere Personen weiter gegeben?“

Magnus Lächeln verschwand und er zog seine Stirn in Falten.

„Schon mal etwas von ärztlicher Schweigepflicht gehört?“

Sein Ton war deutlich frostiger geworden, nichts mehr übrig von seiner übertriebenen Freundlichkeit.

„Dann eine andere Frage, die sie nicht mit ärztlicher Schweigepflicht abtun können… was wissen sie über die Geschäfte ihres Onkel und ihrem Vater?“

Magnus riss die Augen weit auf und starrte Anna an. Dann sank er in sich zusammen.

„Warum müssen sie damit anfangen?“, sagte er leise in Richtung Boden schauend.

Hatte Anna seinen wunden Punkt gefunden. Sie schaute mich an und schmunzelte.

„Es kann kein Zufall sein, dass der Kollege Brigson und sie auf Mohammed aufgepasst haben!“

„Ich kannte Brigson nicht, ich wusste nur, dass Brigson Senior einen Sohn hatte und über die Geschäfte meines Vaters war mir  zu Anfang nichts bekannt… vielleicht Vermutungen.“

„Anfangs?“, fragte Anna.

„Ich erfuhr erst davon, als nach seinem Tod meine Mutter mir davon erzählte. Als es um die Bezahlung der Beerdigung ging, wunderte ich mich, warum meine Mutter alle Rechnungen ohne Probleme zahlen konnte.“

Was Kim darüber dachte, konnte ich nicht sagen, sein Blick war neutral.

„Meine Ausbildung war schon teuer genug und so fragte ich sie, wo das Geld herkam. Sie müssen wissen, mein Vater war Dockarbeiter am Hafen, da verdient man nicht viel.“

Für die Schmuggelei aber praktisch.

„Nach längerem Zögern erzählte sie mir dann alles.“

„Warum haben sie das nicht gemeldet?“, wollte Anna wissen.

„Mein Vater hat mit diesem Geld meine Ausbildung finanziert… unser familiäres Leben… einfach alles, was Geld kostet! Ich fühle mich deswegen schon schuldig genug! Aber warum hätte meine Mutter darunter leiden sollen…, wenn ich etwas gesagt hätte, was hätte das geändert… er ist tot!“

„Diese Informationen hätten vielleicht geholfen, einen Mörder zu fassen.“

„Tut mir leid, damals habe ich nicht so weit gedacht und ich wurde auch erst wieder daran erinnert, als dieser Brigson vor mir stand.“

„… und Mohammed?“, stocherte Anna weiter.

„Da habe ich nur bruchstückhaft mitbekommen, was Sache war. Erst als der Name meines Cousins Bjarki fiel, wurde ich dann misstrauisch. Als Mohammed erwache, fragte ich ihn direkt, was er mit meinem Cousin zu tun hatte.“

„Mohammed wusste, dass sie sein Cousin sind?“

„Nein!“, Doc Magnus schaute auf, seine Augen waren glasig, „hätte er das mitbekommen, hätte er genauso Angst vor mir, wie von meinem Cosuin gehabt.“

„Sie wussten, dass ihr Cousin auf ihn geschossen hat?“

„Nein, aber ich vermutete es, deshalb bin ich auch Mohammeds Wunsch gefolgt und habe seine Mutter kontaktiert.

„Wie?“

„Er hat mir eine Nummer gegeben.“

Das erklärte natürlich einiges, auch dass die Mutter so weit vordringen konnte.

„Sie haben dann angerufen und praktisch zu Mohammed gelassen? Die Schwesterntracht war also von ihnen?“

Doc Magnus nickte. Anna atmete tief durch und schaute Kim und mich an.

„Was ist schief gelaufen?“, fragte plötzlich Kim.

„Brigson, wusste, wer sie war…“, antwortete Doc Magnus, „er hat sie sofort erkannt.“

„Ich dachte, sie hatte eine Maske auf?“, fiel mir ein, „wie konnte er sie dann erkennen?“

„Er wollte sie auch persönlich auf das Revier bringen, da bin ich eingeschritten, er solle Kollegen rufen und er bei Mohammed bleiben.“

„Damit haben sie Mohammeds Mutter vielleicht das Laben gerettet“, meinte Anna.

Doc Magnus schaute auf.

„Meinen sie wirklich?“

*-*-*

„Wirst du Chief Karlson Bericht erstatten?“, fragte ich Anna auf dem Rückweg.

„Ich bin mir nicht ganz sicher.“

„Wieso?“, kam es von der Rückbank.

Dieses Mal saß Kim hinten.

„Ich weiß nicht recht, mein Bauchgefühl sagt mir, dass da etwas nicht stimmt. Hat die Familie sich versteckt, um nicht von uns verhaftet zu werden, oder  ging sie in den Untergrund, um nicht auch noch von Bjarki oder Brigson erschossen zu werden?“

„Du meinst, Bjarki wollte die ganze Familie aus dem Weg räumen, um Marut für sich alleine zu haben?“, fragte ich leicht entsetzt.

„Bjarkis Vater war so skrupellos, Phillip in den Rücken zu schießen, warum sollte sein Sohn nicht ebenso gewissenlos handeln?“

Eine Hand erschien von hinten auf Annas Schulter.

„Seit wann weißt du es?“, hörte ich Kim fragen.

„Sie haben bei Jökullson im Keller einiges an Waffen gefunden, eine davon war die, mit der auf meinen Bruder geschossen wurde. Auf der Waffe waren die Fingerabdrücke von Jökullson.“

„Das tut mir leid, Anna“, meinte ich.

„Muss es nicht, denn endlich wird der Täter seiner gerechten Strafe zu kommen!“

„Was sagt Phillip dazu?“, fragte Kim.

Anna atmete tief durch.

„Ich habe es ihm noch nicht gesagt…“

*-*-*

Der Rest der Woche gestaltete sich ähnlich und Kims Umzug rückte näher. Am Freitag wurde mehr über den Umzug diskutiert, als über den Fall geredet, denn von Bjarki und Marut fehlte immer noch jede Spur.

Auch fiel mir auf, dass Kim irgendwie nervös schien. Er war oft abwesend, mit seinen Gedanken meilenweit entfernt.

„Alles okay mit dir?“, fragte ich ihn, als wir beide  einen Kaffee holten.

„Hm?“

„Darf ich an deiner Gedankenwelt teilhaben? Du bist schon den ganzen Morgen so abwesend.“

Er lehnte sich an die Theke und rieb sich durchs Gesicht.

„Meine Mutter kommt nach Island, ich habe heute morgen eine Nachricht von ihr bekommen.“

„Sie kommt zurück?“

Kim atmete tief durch.

„Ich denke nicht…, sie… sie hat sich hier in der Stadt ein Zimmer gebucht…“

„Aber euer Haus…?“

„Sie will mit meinem Vater nichts mehr zu tun haben…“

Ich fühlte mich Zusehens unwohl, weil ich wie er auf dieses Thema nicht gut zu sprechen war.

„Ähm… ich weiß ehrlich nicht, was ich dazu sagen soll.“

„Ich auch nicht…!“

„Will sie sich scheiden lassen?“

„Weiß ich nicht, darüber steht nichts in der Email.“

„Wann kommt sie an?“

„Ähm… heute gegen Mittag.“

„Heute?“, fragte ich leicht entsetzt, „du weißt schon, dass heute Umzugstag ist?“

„Sie weiß das und ich soll am Abend, wenn wir fertig sind, zu ihr ins Hotel kommen…“, Kims Blick wanderte zu Boden, „und… und sie will dich kennen lernen.“

„Was?“, rief ich laut und hätte dabei fast meinen Kaffee verschüttet.

„Ich habe dir gesagt, ich habe keine Geheimnisse vor…“

„Sie… will mich wirklich kennen lernen… oh man, jetzt weiß ich warum du so nervös bist!“

*-*-*

Zu meiner Verwunderung, hörte ich von den anderen, dass Kims Vater, gar nicht zu Hause war. Kim selbst, sagte dazu nichts und begann sofort damit, die ersten Sachen in unsere Wohnung zu tragen.

Trotz des Arbeitstages, waren alle gut gelaunt. Selbst Phillip ließ sich blicken und versorgte uns mit Essen. Als ich das Haus betrat, stand Alexander vor dem Glaskasten, in dem die Mitteilungen der Hausverwaltungen hingen.

„Etwas interessantes?“, fragte ich ihn.

„Da steht,  hier wird eine Wohnung frei!“

 

 

 

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