Gideons Aufbruch in ein neues Leben

„Manchmal wünschte ich, es würde die Matrix wirklich geben. Dann könnte ich wenigstens die Hoffnung haben, dass eines Tages jemand mit einer roten Pille vor mir stehen würde.

Ich würde die Pille nehmen, sie schlucken und dem Überbringer kräftig in die Fresse hauen, um ihn dann zu fragen, wo er die verdammten letzten Jahre gewesen sei.

Seit ich den Film gesehen hatte, ging mir diese Vorstellung nicht mehr aus dem Kopf, dass es vielleicht doch einmal so passieren könnte. Eine andere reale Möglichkeit, meinem derzeitigen Scheißleben zu entkommen, sah ich momentan nicht und die Möglichkeiten in der Vergangenheit hatte ich aus Frust, jugendlichem Leichtsinn und mangelnder Erziehung nicht genutzt.“

Genau das waren die Gedanken, die mich heute vor fast einem Jahr schier zum Wahnsinn gebracht hatten. Verzweifelt und völlig am Ende saß ich am Marktplatz in ALJEZUR, ganz allein und meine Gedanken beschäftigten sich mit meiner Vergangenheit und wenn ich dann an meine Zukunft dachte, überlegte ich mir, ob mein Leben überhaupt noch einen Sinn hatte.

Dann dachte ich an SAGRES, an die 60 Meter hohen Klippen, die steil ins Meer abfielen – schon einmal hatte ich dort gestanden und überlegt, ob es nicht besser wäre, sich einfach hinab zu stürzen in die Tiefe, um auf der Oberfläche des Meeres zu zerbrechen – für immer und ewig! Aber letztendlich hing ich wohl doch noch an meinem, wenn auch nicht gerade schönen Leben und hoffte im tiefsten Grunde meines Herzens auf meine, eigens für mich vorhandene rote Pille und auf ihren Überbringer. Es war Ostersonntagmorgen und morgen war wieder mal mein Geburtstag, der 8. April und ich fühlte, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.

Um das alles wirklich verstehen zu können, ist es schon nötig, ein wenig in der Vergangenheit zu wühlen. NUR dann kann man den Wunsch nach der Matrix verstehen. Also werde ich euch meine Geschichte erzählen.

Kindheit, Zu Hause Ich bin ein morgen am Ostersonntag 18 Jahre alt werdender Junge, der irgendwann auf den Namen Gideon Heiner Michels getauft worden ist. Als ich geboren wurde, war die Welt, und damit meine ich meine Familie, noch in Ordnung und meine Eltern waren noch richtig verliebt in einander. Mein Vater arbeitete in einer Fabrik in der Stadt Köln, wo man Autos zusammenbaute. Er war eigentlich aus der Gegend von Kassel und ein Einzelkind, dessen Eltern bei einem Brand ums Leben gekommen waren.

Die Liebe zu meiner Mutter hatte ihn nach Köln verschlagen und in der Autofabrik hatte er dann auch eine Arbeit gefunden. Ich wurde am Ostersonntag, einem 8. April 1988 geboren und das kleine Glück war komplett. Das Osterfest hatte so eine zentrale Bedeutung in meinem Leben und oft sollten sich gerade an Ostern wichtige Dinge für mein Leben ereignen, aber davon später.

Als ich 3 Jahre alt war, verschwand der Vater meiner Mutter, mein Opa, über Nacht mit einer Jüngeren und meine Oma konnte das nicht verarbeiten. Sie wurde depressiv und eines Morgens fanden sie die Nachbarn tot im Keller des Hauses, in dem sie gewohnt hatte. Meine Eltern waren fix und fertig und irgendwann, ich war jetzt 4 Jahre alt, übernahm der Alkohol die Herrschaft in unserer Familie. Seelentröster und Vergessenmacher, zuerst in Form von Bier und Wein, später dann Korn und Weinbrand hielten ihren Einzug in unsere Wohnung und, auch ständig mehr werdend, in das Hirn und die Leber meiner Eltern. Mit dem Ansteigen des Alkoholkonsums begann der steile Abstieg meines Lebensstandards. Regelmäßige Mahlzeiten gab es nicht mehr, saubere Kleider hatte ich selten und die Wohnung sah aus wie bei „Hempels“.

Zu dieser Zeit durfte ich dann erstmals in den Kindergarten gehen, aber auf Grund meines Äußeren und auch meines „Duftes“ wurde ich bald zum Gespött der anderen Kinder und Freunde fand ich keine. Ständig wurde ich gehänselt und keiner wollte mit mir spielen. Meine Betreuerin zog mir ab und an mal andere, frische Kleider an und sie versuchte wohl auch, mit meiner Mutter zu reden, aber diese Bemühungen waren zwecklos.

Mittlerweile hatte mein Vater auf Grund alkoholbedingter Unzuverlässigkeit seine gute Arbeit verloren und die Autos in Köln wurden jetzt ohne seine Hilfe gebaut. Nun lungerte er sehr oft den ganzen Tag zu Hause rum und er und meine Mutter fingen schon früh am Morgen an, Alkohol zu trinken. Oftmals versäumte ich den Kindergarten und irgendwann wurde dann von einer verantwortungsvollen Betreuerin des Kindergartens das Jugendamt informiert.

Nach mehreren Besuchen von Mitarbeitern des Jugendamtes und nach ellenlangen Gesprächen, bei denen mein Vater immer öfter ausrastete und mit Prügeln drohte, beschloss dann ein Richter auf Antrag des Jugendamtes, meinen Eltern das Sorgerecht und die Aufenthaltsbewilligung zu entziehen.

Am dem Morgen, als das Jugendamt mich abholen wollte, waren meine Eltern schon beizeiten stark angetrunken und mein Vater schimpfte und drohte damit, alle umzubringen, die mich holen wollten. Sie kamen gegen 11 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt waren meine Eltern schon arg angeschlagen und die Mitarbeiter des Jugendamtes und die zwei Polizeibeamten, die sie zum Schutz mitgebracht hatten, hätten eigentlich leichtes Spiel gehabt, wenn nicht mein Vater plötzlich sein großes Sackmesser in der Hand gehabt hätte. Er hatte mich an sich gerissen und hielt das Messer an meinen Hals. „Verschwindet, ihr Schweine, meinen Sohn bekommt ihr nicht lebendig“, schrie er in seinem Suff. Seine linke Hand hielt mich vor der Brust und die rechte mit dem Messer hielt er direkt vor mein Gesicht. Mich erfasste eine Wahnsinnsangst und ich fing an zu schreien. Die Leute vom Jugendamt und die Polizisten waren entsetzt zurück gewichen und wussten zunächst nicht, was sie tun sollten. Meine Mutter lachte hysterisch.

Just als mein Vater seine Hand mit dem Messer vor meinem Mund hielt, biss ich mit aller Kraft, die ich hatte, in seinen Handballen. Wie ein verhungernder Wolf schlug ich meine Zähne in seine Hand und spürte Blutgeschmack. Mit einem lauten Aufschrei ließ er das Messer fallen und mich los, und um dem Biss zu entkommen, schlug er mit der linken Hand gegen meinen Kopf. Den Mund öffnen und nach vorn springen war eins bei mir und durch den Schwung landete ich vor den Füßen der Jugendamtsleute. Die Polizisten reagierten schnell und binnen weniger Sekunden lag mein Erzeuger am Boden und die Handschellen klickten. Ich wurde nach draußen zu einem Wagen gebracht und ab ging die Fahrt ins Ungewisse. Was aus meinen „Eltern“ geworden ist, habe ich nie erfahren und ehrlich gesagt, ist es mir auch scheißegal. Dazu sind die Erinnerungen zu schlimm, als dass mich das noch interessieren würde.

Kindheit, Allein Zunächst brachten sie mich aufs Jugendamt und Frau Zipp, so hieß die Frau, gab mir ein Hefeteilchen und sagte, ich solle mich auf einen Stuhl setzen und erst mal essen. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen, hatte ich doch heute morgen mal wieder nichts bekommen. Später wurde ich dann zum Amtsarzt gebracht, der mich gründlich untersuchte. Bei dieser Aktion wurde ich dann auch noch einer Vollbad unterzogen, denn mein Geruch war wahrlich kein Vergnügen. Auch bekam ich dann zum ersten Mal seit 8 Tagen frische Wäsche und saubere Kleider angezogen.

So frisch aufgebrezelt wurde ich dann wieder in ein Auto verfrachtet und in ein Kinderheim bei Düsseldorf gebracht. Dort angekommen, wurde ich von der Leiterin des Hauses, einer schon etwas älteren Frau mit dem seltenen Namen Schmitt, in Empfang genommen. Diese brachte mich, als die Formalitäten erledigt waren, in den zweiten Stock und dort wurde ich der „Affengruppe“ zugeteilt. Diese Gruppe bestand mit mir aus 16 Kindern zwischen 4 und 10 Jahren und wurde von einer Frau Decker geleitet. Dann war da noch eine Frau Wagner und ein Praktikant, der Wolfgang hieß.

Nun begann für mich ein Leben mit einem festen Tagesablauf, etwas, was ich schon lange nicht mehr kannte und an das ich mich sehr schlecht gewöhnen konnte. Das hatte zur Folge, dass ich ständig irgendwelche Repressalien ertragen musste, weil ich mich nicht an die Regeln halten konnte oder wollte. Auf Einzelheiten verzichte ich jetzt besser, sonst würde die Aufzählung wohl den Rahmen sprengen.

Im Laufe des Jahres, nach den Sommerferien, wurden ich und noch 4 weitere Kinder eingeschult. Das waren außer mir noch Inge aus meiner Gruppe und aus der Entengruppe ein Daniel, ein Kevin und eine Veronika. Wir wurden morgens mit einem Schulbus abgeholt, mit dem auch noch alle anderen schulpflichtigen Kinder aus dem Heim in die Schule gebracht wurden. Wir mussten in die Willy-Brandt Gesamtschule nach Düsseldorf und wir fünf Erstklässler kamen alle in die gleiche Klasse.

Die Lehrerin unserer Klasse war eine Frau Reimann und die konnte mich nach zwei Wochen schon nicht mehr so gut leiden, weil ich mal wieder die Regeln nicht einhielt und auch sonst nicht besonders erpicht auf das Lernen war. Von allen 5 Heimkindern hatte sie mit mir die meisten Probleme und mehr als einmal bekam die Heimleiterin einen Brief aus der Schule. Diese Briefe mit ihren negativen Inhalten führten selbstverständlich nicht dazu, dass es mir im Heim besser ging und bedingt durch die ständigen Repressalien wie Küchendienst, Strafarbeiten, Zimmerarrest und so weiter entwickelte ich mich zu einem totalen Einzelgänger, der zu niemand Vertrauen hatte und der keinen an sich ranließ. Die Versetzungen in die jeweils nächste Klassenstufe erreichte ich nur mit Müh und Not und in der Klassenstufe 3 durfte ich die erste Ehrenrunde drehen.

Nach Beendigung der 4. Klassenstufe wurde mir gesagt, dass auf Grund meiner Leistung und meines Verhaltens ich zu dem Zweig Hauptschule gehören würde und wenn meine Leistungen und mein Verhalten so schlecht bleiben würden, dann wolle man mich im nächsten Jahr spätestens auf die Sonderschule schicken. Zum ersten Mal machte mir etwas Angst, denn auf die Sonderschule wollte ich absolut nicht. Von anderen Heimbewohnern wusste ich, dass das wohl das Schlimmste war, das mir momentan passieren konnte. Also beschloss ich für mich, dass ich etwas ändern musste.

Kindheit, Freundschaft Das 5. Schuljahr begann und ich fing an, etwas mehr für die Schule zu tun. Da ich nicht in allen Fächern gleichermaßen besser wurde, überlegte ich, ob ich nicht meine selbst gewählte Eigenbrötlerschaft aufgeben und mir wenigstens jemanden in meiner Klasse suchen sollte, der mit mir Aufgaben machen und mich unterstützen konnte. In Mathe und Deutsch brauchte ich auf jeden Fall Unterstützung, bei den andern Fächern ging es einigermaßen und in Sport war ich einer der Besten. Ich war nicht allzu groß für mein Alter, war schlank, hatte aber trotzdem eine gute Muskulatur und Leichtathletik lag mir gut.

Nun war in meiner Klasse ein Alex, der war mir nicht unsympathisch und seine Leistungen waren mehr als ordentlich. Darüber hinaus war auch er gut im Sport und so versuchte ich, über den Sport etwas näher an ihn heran zu kommen. Nachdem wir ein paar Mal in der gleichen Mannschaft beim Schulsport gespielt hatten, wagte ich es, ihn zu fragen, ob er mir in Mathe und Deutsch ein bisschen helfen könnte. Anfänglich lief alles eher zögerlich, was wohl auch daran lag, dass ich im Heim wohnte und er bei uns keine Aufgaben machen durfte. Seine Eltern hatten zwar nichts dagegen, wenn ich zu ihm kam, aber sie wollten zunächst nicht, dass er zu uns ins Heim kam.

Meine Erzieherin erlaubte mir dann, zwei bis dreimal in der Woche bei Alex Hausaufgaben zu machen, bis auf Widerruf versteht sich und nur, wenn die Noten besser würden. Das war ein Glücksfall für mich, erfuhr ich doch über die Aufgabenhilfe hinaus so manche kleine Vergünstigung durch die Mutter von Alex. Oft steckte sie mir was Süßes zu oder wir bekamen Cola und das Beste war der Umstand, dass Alex ca. 6-7 cm größer war als ich. Seine Mutter gab mir immer wieder Kleider, die ihm nicht mehr passten, die aber noch Tipp-Topp in Ordnung waren. So hatte ich immer genügend coole Klamotten im Schrank.

Als Ausgleich dafür, dass ich dort so gut behandelt wurde, half ich natürlich bei Alex zu Hause mit, wann immer eine Gelegenheit war und so langsam wurde eine Freundschaft aus der ganzen Geschichte.

An meinem 13. Geburtstag bekam ich ein eigenes Fahrrad und durfte jetzt öfter mal auch so und am Wochenende zu Alex fahren. Alles entwickelte sich sehr positiv und meine Zukunftsaussichten waren längst nicht mehr so trübe. Im Heim waren natürlich alle Betreuerinnen und Betreuer stolz auf „ihren“ Erfolg, war ihr Schützling doch auf dem besten Weg, ein, na sag ich mal etwas zynisch, Musterknabe zu werden.

An Ostern, nachmittags, an meinem 14. Geburtstag, eröffnete mir Alex Mutter, dass ihr Mann eine neue Arbeit annehmen würde. Die neue Arbeitsstelle war in München und Alex und sie würden am Ende des Schuljahres, im August, dort hin ziehen. Mir war, als hätte mir einer den Boden unter den Füßen weggezogen und ich fiel in ein tiefes Loch. Ich fuhr zurück ins Heim und weinte die ganze Nacht und wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Ich spielte ernsthaft mit dem Gedanken, mein Leben zu beenden. Irgendwann gewann aber eine große Wut in mir die Überhand und ich verfluchte im Stillen alle Erwachsenen.

Es dauerte Tage, bis ich wieder normal denken konnte und in der Zwischenzeit mutierte ich wieder zu dem Arschloch, das ich vor meiner Freundschaft zu Alex gewesen war. Gott sei Dank ließen sie mich im Heim weitgehend in Ruhe und als ich wieder klar denken konnte, fuhr ich zu Alex und entschuldigte mich für mein Verhalten. Auch er war traurig und sehr bedrückt, dass er so weit wegziehen musste. Wir schworen uns ewige Freundschaft und wollten die Zeit, die uns noch blieb, nutzen.

In diese Zeit fielen auch die ersten Selbstversuche auf sexuellem Gebiet und nach dem wir unsere Erfahrungen ausgetauscht hatten, beschlossen wir, einmal gemeinsam zu onanieren, jeder bei sich versteht sich, auch um einmal alles miteinander zu vergleichen. Bei diesen Aktivitäten blieb es aber und es ging nie darüber hinaus. Allerdings fiel mir auf, dass er dabei immer auf seinen Schwanz schaute, ich aber immer auf seinen und das machte mich immer besonders geil, aber auch im Nachhinein ein bisschen nachdenklich. Aber ich dachte nicht weiter darüber nach und der Tag der Abreise kam immer näher.

Als das Schuljahr zu Ende war und die Ferien begannen, half ich noch eine Woche, die Sachen im Haus zu verpacken. Dabei fiel noch allerhand für mich ab. Als dann der Tag des Abschieds kam, weinten wir beide ein bisschen und zum Schluss umarmten wir uns noch einmal. Und dann war ich allein, und da ich außer Alex keine Freunde hatte, wusste ich mit mir und meiner Freizeit nichts anzufangen. Da noch Ferien waren, überkam mich eine große Langeweile.

Jugend, Schlechte Gesellschaft Auf der Suche nach Ablenkung fuhr ich jetzt öfter mit dem Rad in die Stadt. Am Bahnhof und in der City waren immer viel Betrieb und ein Haufen Menschen unterwegs. Immer öfter hing ich am Nachmittag am Bahnhof rum und betrachtete die Leute, zog durch die Geschäfte und vertrieb mir so die Zeit. Eines Tages sprach mich ein etwas älterer Junge an und fragte, warum ich immer hier rumhänge. Er hatte mich wohl schon öfter beobachtet. Er meinte, ich solle mitkommen zu seiner Clique, das wäre nicht so langweilig, als allein rum zu hängen.

So vertrieb ich mir dann meine Zeit mit der Clique und nach einer Mutprobe, ich musste im Geschäft eine Flasche Wein klauen, wurde ich dort fest aufgenommen. Ich war froh, wieder Freunde zu haben und es war mir egal, wenn wir mal öfter irgendwo was klauten oder am Bahnhof Penner verscheuchten. Bald war ich bei ihnen voll anerkannt und fragte nicht, ob das, was wir taten unrecht war oder nicht.

So kam, was kommen musste. Ich wurde erwischt und landete bei der Polizei. Die Bullen brachten mich nach der Vernehmung zurück ins Heim und dort ging der Stress erst richtig los. Hausarrest und Taschengeldentzug und alle Sanktionen, die es sonst noch gab, waren gerade passend für mich und ich war fast keine Sekunde unbeobachtet.

Nachdem das so 10 Tage gegangen war, fing die Schule wieder an und es begann mein letztes Schuljahr in der Hauptschule. Ich nahm mir vor, die Zähne zusammen zu beißen und einen halbwegs vernünftigen Abschluss zu erreichen. Wenn ich den in der Tasche hatte, dann würde ich die große Flatter machen und irgendwie nach München kommen. Bei Alex und seinen Eltern würde ich bestimmt unterkommen.

Für die Klauerei drückte mir der Richter 80 Stunden gemeinnützige Arbeit aufs Auge. Die musste ich an den folgenden Wochenenden in einer Behinderteneinrichtung ableisten. Rasenmähen, Hecke schneiden und Kehren waren meine Haupttätigkeiten und die Aufsicht über mich hatte der Hausmeister. Der hatte einen Sohn, der war etwas älter als ich und der sah in meinen Augen echt gut aus. Immer wenn der am Nachmittag in der Badehose in der Sonne lag, musste ich zwanghaft zu ihm hinschauen und ich bewunderte seinen Körper. Zu meinem Erschrecken hatte das ziemliche Auswirkungen auf den „kleinen Gideon“ und im Laufe dieser Zeit dort traf mich die Erkenntnis, dass ich wohl zu denen gehörte, die sich zu ihresgleichen hingezogen fühlten. Kurz gesagt, ich war wohl schwul!!!

Diese Erkenntnis traf mich tief und auch unvorbereitet und da ich niemanden hatte, mit dem ich hätte darüber reden können, wusste ich nicht, wie ich damit fertig werden sollte. Waren doch in der Regel Schwule für die meisten anderen Menschen Dreck oder Kranke, von denen man sich fernhalten musste. So jedenfalls hatte ich es immer wieder gehört.

Es dauerte Tage, bis ich wieder einigermaßen klare Gedanken hatte und ich beschloss, so viel wie möglich über Schwulsein zu erfahren. Ich wollte genau wissen, was da in mir vorging und auch, ob man etwas dagegen tun könnte, denn ich wollte nicht schwul sein.

Es kam mir die Idee, im Internet zu suchen und dort etwas mehr zu erfahren. Aber wie sollte das gehen? Ich hatte keinen Computer und der Rechner, der im Heim zur Verfügung stand, war immer von mehreren Jugendlichen umlagert und für meine Nachforschungen deshalb nicht geeignet. Ein Internetcafé wäre wohl eine Möglichkeit, aber das kostete auf jeden Fall Geld und viel Taschengeld hatten wir nicht. Ich sparte mir ab jetzt jeden Cent und nach 2 Wochen hatte ich 6 Euro und 40 Cent zusammen gespart. Da ich meine Strafe ordentlich abgearbeitet hatte, durfte ich auch wieder ab und zu nachmittags in die Stadt radeln.

Dort suchte ich dann ein Internetcafé und in demselben einen Platz, wo nicht gleich jeder auf den Monitor vor mir schauen konnte. Aus der Schule wusste ich, wie das mit Internet und Google funktionierte und alsbald hatte ich die ersten Seiten gefunden. Erschrocken stellte ich fest, dass sich hier alles nur um Sex, blasen und ficken drehte und die Bilder waren für mich fast alle eher schockierend als aufklärend oder anregend und Geld sollte das auch noch kosten.

Ein Räuspern hinter meinem Rücken ließ mich tief erschrecken und mit rotem Kopf klickte ich die Bilder weg, um mich dann vorsichtig umzudrehen. Dort stand ein etwa 2-3 Jahre älterer Junge und grinste freundlich. Ob ich schwul wäre, wollte er wissen und was ich denn genau im Internet suchen würde. Mein Kopf war auf Ampelrot angelaufen und mein Herz klopfte bis zum Hals. „He, ich tu dir nichts, ich will dir nur helfen“, sagte er mit leiser Stimme und in seinem Gesicht sah ich, dass er es wohl ehrlich meinte. „Ich weiß selber nicht genau, ob ich schwul bin“, erwiderte ich und sagte, dass ich mal im Internet schauen wollte, was es darüber zu lesen gibt, aber ich hätte nur diese Bilder und Anzeigen gefunden. Damit könnte ich wohl nicht viel anfangen. Er gab mir dann einige Adressen von Web-Seiten, auf denen man Informationen und Hilfe bekommen konnte und er sagte mir, er und sein Freund hätten vor ein paar Jahren dasselbe Problem gehabt. Meine Zeit am Computer war abgelaufen, so dass ich jetzt nicht mehr gucken konnte, was auf den Seiten angeboten wurde. Ich bedankte mich bei dem Jungen und machte mich auf den Weg zurück ins Heim.

Das Geschehene beschäftigte mich für den Rest des Tages und auch fast die ganze Nacht und morgens war ich wie gerädert und kam nur mit Müh und Not in die Schule. Den ganzen Tag musste ich daran denken, dass der Schlüssel zu meinem Ich vielleicht dort zu finden war. Aber woher das nötige Kleingeld holen, um erneut ins Internetcafé zu gehen.

Die Tatsache, alles wissen zu wollen über meine Veranlagung und der permanente Geldmangel brachten mich dazu, alle Vernunft über Bord zu werfen und so stahl ich während einer günstigen Gelegenheit einer Frau im Kaufhaus die Handtasche. Dass ich dabei vom Kaufhaus-Ermittler beobachtet wurde, merkte ich erst, als ich von der herbeigerufenen Polizei in Handschellen abgeführt wurde. Da ich fast 16 Jahre alt war und strafmündig, brummte mir der Richter 6 Wochen Jugendarrest auf. Die verbrachte ich schlecht und recht in einer Einzelzelle und zwei Tage vor Ende eröffnete man mir, dass ich in eine erlebnispädagogische Maßnahme nach Portugal kommen würde, und zwar direkt im Anschluss an den Arrest.

Ich war noch nie anderswo als hier im Umkreis von Düsseldorf gewesen und die Vorstellung, in einem vollkommen fremden Land zu leben, ohne Bekannte und ohne Sprachkenntnisse machte mir Angst und so konnte ich die beiden letzten Nächte in der Zelle kaum noch schlafen und ich fühlte mich schlecht, allein und von allen guten Geistern verlassen. Der Entlassungstag war der Gründonnerstag, drei Tage vor Ostern und vier Tage vor meinem 16. Geburtstag und nachdem ich meine wenigen Habseligkeiten eingepackt hatte, wurde ich in das Büro des Anstaltsleiters gebracht, wo mich ein Herr in Empfang nahm. Er stellte sich als Christian Fuchs vor und sagte, dass er mich nach Portugal bringen würde. Meine Sachen aus dem Heim würden ebenfalls dorthin gebracht.

Nach ein paar ermahnenden Worten des Direktors wurde ich von Herrn Fuchs zum Auto gebracht und der Weg zum Flughafen begann. Meine Stimmung war am Boden und am liebsten hätte ich mich aus dem fahrenden Auto gestürzt. Am Flughafen erledigte Herr Fuchs die nötigen Formalitäten, ohne mich auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen, so dass ich mir eine Flucht gleich aus dem Kopf schlagen konnte, der war nämlich sehr sportlich und mir haushoch überlegen. Eine weitere Stunde verging, bis wir endlich zur Maschine gebracht wurden und mein Herz klopfte sehr stark, war ich doch noch nie geflogen und mir war das alles nicht geheuer.

Ich bekam den Platz am Fenster, konnte mich aber wegen der aufkeimenden Flugangst zunächst nicht darüber freuen, Nachdem die Türen verschlossen waren, mussten wir den Sicherungsgurt anlegen und die Maschine wurde in Betrieb genommen. Dann ging ein leichter Ruck durch die Maschine und sie rollte langsam Richtung Startplatz. Mein Herz begann dagegen in Richtung Hose zu rutschen und ich sank in mich zusammen.

„Nun scheiß dir mal nicht ins Hemd, Kleiner, du hast doch bei anderen Dingen sonst auch keine Angst“, meinte Herr Fuchs grinsend und sich an meiner Blässe sichtbar weidend, „das bisschen Fliegen kann dir doch nicht so viel ausmachen. Reiß dich mal zusammen und fang mir nur nicht an zu Kotzen.“ Schön, wenn man so aufgebaut wird. Dieses Arschloch machte sich über mich lustig und in mir stieg Wut auf. Viel Wut stieg in mir auf und je wütender ich wurde, umso besser ging es mir wieder und so schaukelte ich mich auf meiner Wut langsam zur Höchstform auf. „Leck mich, du Penner, ich werde dir schon nicht über deine Gichthaken kotzen und überhaupt, du kannst mich mal und bei der nächsten Gelegenheit bin ich eh weg“, stieß ich hervor und drehte den Kopf demonstrativ zum Fenster, jetzt schon froh, dass ich dort sitzen und rausschauen konnte.

Wenn ich eine Reaktion erwartet hatte, so wurde ich enttäuscht. Er sagte keinen Ton und fing an, Zeitung zu lesen. Die Maschine war jetzt zum Stillstand gekommen und das Rauschen der Triebwerke wurde Ständig lauter. Plötzlich setzte sich der Flieger rasant in Bewegung, der Lärm der Turbinen wurde lauter. Immer schneller schoss die Maschine dahin und nach dem Anheben der Nase löste sie sich mit hohem Tempo vom Boden und schwang sich in die Luft.

Es gelang mir die ganze Zeit, die Augen offen zu lassen und so sah ich durch das Fenster den Flughafen, die Stadt und alles unter uns verschwinden. Nach etwa 10 Minuten wurden die Triebwerke wieder leise und die Nase des Fliegers ging langsam runter, bis wir fast waagerecht waren. Mein Adrenalinspiegel sank langsam auf seinen Normalpegel und langsam drehte ich den Kopf und schaut auf den Mann neben mir. Der las unbeirrt in der Zeitung und würdigte mich keines Blickes.

Der Flug war ruhig und zwischendurch bekamen wir was zu essen und zu trinken. Nach 3 Stunden mussten wir uns wieder anschnallen und der Landeanflug auf den Flughafen FARO begann. Bei der Landung keimte noch mal kurz ein bisschen Angst auf, die aber bald einem Aufatmen Platz machte, nachdem die Maschine aufgesetzt hatte. Kurz darauf standen wir an dem Laufband in der Halle und warteten auf unser Gepäck. FARO war wohl kein so großer Flughafen, aber da das Osterwochenende bevorstand, waren doch etliche Touristen hierher geflogen, um dem Regenwetter in Deutschland zu entkommen. Als unsere Gepäckstücke kamen, holten wir sie vom Band und ich trottete hinter Herrn Fuchs zum Ausgang.

Am Haupteingang blieb er stehen, blickte zuerst in die strahlende Sonne und dann auf mich. „Also, Gideon, hier beginnt jetzt ein neuer Abschnitt deines Lebens und ich kann dir nur raten, nutze deine Chance, dein Leben zu verändern. Warte nicht auf ein Wunder, dafür sind die zu selten und warum sollte ausgerechnet Dir eins widerfahren. Deine Mitarbeit ist gefragt und es liegt an dir, wie du den Rest deines Lebens, deine Zukunft gestalten willst. Zum Zeichen dafür, dass das hier ein Neuanfang ist, möchte ich, dass du mich in Zukunft Christian nennst und mich als einen der Menschen betrachtest, die dir bei deinem Neuanfang helfen wollen. Ich werde sooft ich kann und immer wenn es die Situation erfordert, hierher kommen und mit den Leuten, die dich hier betreuen nach Wegen suchen, die dir weiterhelfen. Aber, und das sagte ich schon, es kann nur eine Hilfe sein. Das meiste dazu musst du selber leisten. Denke darüber nach und wenn du Fragen hast oder reden willst, dann sag es einfach. Du bist in diesem Film der Hauptdarsteller.“ Ui, das war ja eine Predigt, dachte ich und warum auf einmal nett und „du“, wo er mich doch bis jetzt eher wie ein unbequemes Gepäckstück behandelt hatte. Ich beschloss, vorsichtig zu sein und nicht all zuviel von ihm zu erwarten.

Plötzlich rief er „Peter, Peter, hier sind wir!“ und winkte mit beiden Armen über dem Kopf herum. Ich blickte in die Richtung, in die er schaute und dort kam ein großer, etwa 35 jähriger Mann auf uns zu. Auf den ersten Blick sah der cool aus und er war mir nicht unsympathisch. Als er uns erreicht hatte, begrüßte er zuerst den Christian und nahm ihn kurz in den Arm. Dann wandte er sich zu mir und sagte: „Hallo, Gideon, ich bin der Peter Kiesling und ich bin für die Dauer deines Aufenthaltes hier in Portugal für deine Betreuung verantwortlich. Christian und ich werden dich jetzt zu den Leuten bringen, wo du in Zukunft wohnen wirst und dir dann dort auch erklären, wie wir uns den Ablauf hier in Portugal vorstellen.“ Er gab mir die Hand, schüttelte sie und sagte: „Willkommen in Portugal und ‚Bom Dia’, das heißt hier ‚Guten Tag’. So, jetzt gehen wir rüber zum Auto und dann geht’s los, wir haben noch gute 120 Kilometer vor uns.“ Wir nahmen unser Gepäck und machten uns auf den Weg, das heißt, ich lief einfach hinter den Beiden her.

Auf dem Parkplatz gingen wir zu einem dicken japanischen Geländewagen und luden das Gepäck ein. Nachdem wir eingestiegen waren und die Gurte angelegt hatten, fuhr Peter los und zuerst ging die Fahrt quer durch die Stadt FARO zur Autobahn, die in Richtung LISSABON führte. Es war viel Verkehr und die Fahrt zog sich in die Länge. Irgendwann fielen mir die Augen zu und ich nickte ein.

Als ich erwachte, waren wir noch unterwegs, aber es war keine Autobahn mehr und es war auch nicht mehr viel Verkehr auf der Straße. Peter hatte im Spiegel wohl bemerkt, dass ich wieder wach war und er meinte, wir würden bald am Ziel sein. Der nächste Ort sollte schon ALJEZUR sein und von dort aus wäre es nicht mehr weit. Kurz darauf kamen wir dann in eine Ortschaft, nach 500 m machte die Straße eine scharfe Rechtskurve und dann fuhren wir über eine Brücke. Diese führte über einen Fluss, der nur mäßig Wasser führte. „Hier links ist jeden Morgen der Markt und da drüben ist auch eine Disco und oben auf dem Berg kannst du die Burg sehen“, sagte Peter. Wir fuhren weiter und nach ein paar hundert Metern sah man oben auf einem Hügel in Mitten von Häusern die Kirche liegen.

Wir fuhren aber noch unten vor dem Anstieg rechts und folgten der Straße unten am Hügel entlang. Nach einem weiteren Stück geradeaus verließen wir die Hauptstraße und bogen rechts auf eine Nebenstraße ab, die direkt in die Pampa führte. Nicht genug damit, bog Peter nach ca. einem Kilometer links in ein zunächst schmales Tal ein. Im Verlauf des Tales, immer noch auf geteertem Weg kamen wir an vereinzelten Häusern vorbei, die sich alle ziemlich ähnlich waren. Irgendwann, nach einer Rechtskurve hörte dann die Wegbefestigung auf und auf einem Weg, der bei uns nicht mal mehr Feldweg genannt worden wäre, fuhr Peter nun wesentlich langsamer weiter und weiter in das Tal hinein. Rechts von uns ging es stellenweise mehr als 30 Meter steil nach unten und Häuser sah ich auch keine mehr. Der gegenüberliegende Hang war schwarz verbrannt und fast ohne Bewuchs, lediglich ein paar angekohlte Bäume sah man auf dem verbrannten Grund. Nach gut 30 Minuten ging es steil nach unten und das Tal öffnete sich zu einem kleinen Talkessel, in dessen Hintergrund einige kleine weiße Gebäude sichtbar wurden. Ansonsten sah man nur Pampa, Steine, Geröll, und einige Büsche und Bäume. Am rechten Rand des Kessels vor dem ansteigenden Hang floss in einem breiten Bachbett ein eher kleinerer Bach munter vor sich hin und nicht weit von uns waren zwei Autos abgestellt. Dorthin lenkte Peter den Wagen und hielt an. Endstation Hölle, ging es mir durch den Kopf. Hier sollte ich bleiben, in dieser Einöde, allein bei wildfremden Leuten. „Niemals“, schrie es in mir, „niemals werde ich hier am Arsch der Welt bleiben und wenn es mich das Leben kostet!“

„Aussteigen, wir sind am Ziel“, sagte Peter und langsam stieg ich aus dem Wagen. Als die zwei mein Gesicht sahen, sagte Christian: „Das sieht schlimmer aus, als es ist. Du wirst sehen es wird dir noch gefallen. Nimm dein Gepäck und komm, das letzte Stück müssen wir zu Fuß gehen.“ Dann wandte er sich dem Hang zu und durchquerte auf einer Reihe aus dicken Steinen den Bach und begann, auf einem kaum erkennbaren Weg, den Hang hoch zu kraxeln. Wenigstens nahm Peter mir eine meiner Taschen ab und ging ebenfalls Richtung Hang. Ich überquerte den Bach hinter ihm und es begann ein Aufstieg über Stock und Stein und bereits nach 50 Metern brach mir der Schweiß aus. An einem verfallenen Gebäude vorbei erreichten wir nach weiteren 300 Metern auf einem kleinen Plateau ein lang gestrecktes flaches, weißes Haus, vor dem im Schatten eines krüppeligen Baumes eine Bank und ein Paar andere Sitzgelegenheiten standen. Peter stellte meine Tasche dorthin, Christian war wohl schon ins Haus gegangen.

Da stand ich nun in der Pampa vor einem weiß gestrichenen Haus und war entsetzt darüber, den nächsten Teil meines Lebens hier verbringen zu müssen. Tief verunsichert ließ ich mich auf die Bank sinken und harrte so der Dinge, die da kommen sollten. Peter war ebenfalls ins Haus gegangen und ich hörte drinnen Leute sprechen. Die Stimmen kamen näher und dann traten Christian, Peter und eine etwa 40 Jahre alte Frau aus dem Haus und setzten sich zu mir unter den Baum.

Peter stellte die Frau als Karin Augustin vor und die Frau gab mir die Hand. „Willkommen in Portugal. Wir, mein Mann und unsere beiden Töchter hoffen, dass du dich hier bei uns wohl fühlst und wir gut miteinander auskommen. Dein Zimmer ist dort im Anbau und Horst, mein Mann wird dir nachher alles zeigen. Morgen früh fahr ich dann mit dir zu deinen Lehrern, die wohnen hier im Tal. Ihr seid da vorhin schon vorbei gefahren. Dort muss du dann jeden Tag zum Unterricht gehen, damit du im nächsten Jahr, wenn alles klappt, mit einem Schulabschluss nach Deutschland zurück kehren kannst.“

Dann erzählte sie noch, dass sie hier ein bisschen Landwirtschaft hätten, ein paar Schweine und Kaninchen, Hühner und etwas Gemüse würden sie auch anbauen. Die Gebäude weiter hinten im Tal, die ich gesehen hatte, waren vier Ferienwohnungen, die an Leute vermietet wurden, die ein bisschen Abenteuerurlaub machen wollten. Im Moment wären aber keine Touristen dort, das würde erst im Juni losgehen und wäre meist im September wieder vorbei. Auch erzählte sie, dass sie im Ort noch zwei Wohnungen in einem Haus am Burgberg zum Vermieten hatten. Meine Aufgabe wäre es in Zukunft neben der Schule ihrem Horst bei der Landwirtschaft zu helfen und auch ab und an etwas mit ihm auf den Märkten in den umliegenden Dörfern zu verkaufen.

Na toll, dachte ich, jetzt soll ich hier wohlmöglich noch den Schweinehirt spielen und den Bauerntrampel machen. Das können die aber mal glatt vergessen. Das läuft mit mir nicht, darauf hatte ich mal keinen Bock und wir werden schon sehen, wer hier was macht.

Nun kam aus dem Bereich hinter dem lang gestreckten Haus, den wir nicht einsehen konnten, ein nicht sehr großer und auch ziemlich schmächtiger Mann auf uns zu. Er begrüßte Peter und Christian und musterte mich neugierig, bevor er auch mir die Hand hinstreckte und mich begrüßte. Er setzte sich auf die Treppenstufe neben der Bank und die Erwachsenen unterhielten sich untereinander. Ich kam mir überflüssig vor und erhob mich, um mir die Umgebung des Hauses näher anzusehen. Es war alles nicht so doll aufgeräumt und man merkte, dass hier einiges zu tun war. Unterhalb vom Haus auf einer Fläche von etwa 70 mal 30 Metern war ein großer Garten, in dem jetzt schon viele Pflanzen wuchsen. Im hinteren Drittel des Hauses befand sich ein Raum, der wohl mein Zimmer sein sollte. Eine windschiefe Tür und ein kleines Fenster, ein altes Bett und ein noch älterer Schrank (der hatte wohl schon Vasco da Gama gehört) und ein kleiner Tisch mit zwei Hockern, das sollte nun wohl mein Aufenthaltsort für die nächsten 12 Monate sein. Ich war entsetzt und schwor mir im Stillen, bei der nächsten Gelegenheit einen Abgang zu machen. Das hier war echt nichts für mich. In der hinteren Ecke des Zimmers war dann noch ein kleiner Kamin, der wohl dazu dienen sollte, den Raum im Winter etwas zu heizen. Ich hoffte inständig, dass ich dann schon längst über alle Berge sein würde.

In der Verlängerung zu meinem Zimmer befand sich dann der Raum mit einem Stromaggregat und einem Warmwasserboiler, der von einem Sonnenkollektor auf dem Dach mit Wärme versorgt wurde. Außerdem war hier auch eine Sattelitenantenne angebracht, so dass es hier wohl auch Fernsehen gab, was mich anlässlich der sonstigen Umstände hier doch sehr wunderte.

Man rief nach mir und so ging ich zurück zum Baum, wo sich jetzt Christian und Peter verabschieden wollten. Ich solle mal meine Sachen einräumen und dann wollte mir Horst alles zeigen. Peter wollte morgen dann im Laufe des Vormittags bei dem Lehrerehepaar vorbeischauen, wenn ich dort zum Unterricht wäre und Christian wollte nach Deutschland zurückfliegen.

Als die beiden gegangen waren, brachte ich meine Taschen zu dem Zimmer und begann, alles in den Schrank zu räumen. Dann ging ich zum Eingang des Hauses und schaute durch die offene Tür in eine große Wohnküche, in der sich jetzt Karin und Horst befanden.

Horst fragte, ob ich erst was essen wolle oder ob er mir mal zuerst alles zeigen sollte. Ich entschied mich für „alles zeigen“ und er ging mit mir dann über das gesamte Anwesen und erklärte mir alles. Langsam gewann ich den Eindruck, dass er meinte, mich würde alles interessieren und er dachte bestimmt, dass ich ihm viel Arbeit abnehmen würde. Einen Dreck würde ich tun! Ich nahm mir vor, bei der nächsten besten Gelegenheit die Flatter zu machen.

Nachdem er mir alles gezeigt hatte, gingen wir zum Eingang zurück und dann gab es was zu essen für mich. Mittlerweile waren auch die beiden Mädchen eingetroffen. Mit einem kleinen Schulbus kamen sie nachmittags immer aus dem Ort hierher. Sie waren 14 und 17 Jahre und nicht hässlich, aber das war mir eh egal. Sie begrüßten mich kurz und dann aßen wir alle, ich schweigend, sie unterhielten sich auf Portugiesisch, wahrscheinlich über mich. Nach dem Essen verdrückte ich mich schnell in mein Zimmer, erstens, um dem Abwasch zu entgehen und weil ich dringend nachdenken musste, wie ich aus dieser Scheiße wieder raus kam. Nach reiflicher Überlegung beschloss ich, zunächst mal abzuwarten, bis ich hier und im Umland besser Bescheid wusste. Also musste ich wohl oder übel zunächst einmal so tun, als ob ich mich in mein Schicksal fügen würde. Ich ging dann beizeiten ins Bett, damit ich morgen beizeiten ausgeschlafen war, sollte ich doch morgen schon dieses Lehrerehepaar kennen lernen, bei dem ich Unterricht bekommen sollte.

Host weckte mich um 7:00 Uhr und sagte, ich solle mich fertig machen, in 15 Minuten gäbe es Frühstück. Wasser und eine Schüssel zum Waschen ständen draußen und ab jetzt müsste ich das Wasser zum Waschen selber an der Zisterne holen. Er hatte mir sogar ein Handtuch hingelegt. Ich verrichtete meine Morgentoilette im Freien in einer Waschschüssel und fühlte mich dabei ins Mittelalter zurückversetzt. Nach dem Frühstück fuhr Karin mit mir ins Tal vor. Nach etwa 4 km waren wir wieder auf dem geteerten Weg und nach weiteren 3 km waren wir am Haus des Lehrerehepaares angekommen.

Offensichtlich wurden wir schon erwartet, denn die beiden älteren Herrschaften, ich schätzte sie auf über 60, warteten schon vor dem Haus, wo eine Sitzgruppe in dem kleinen Vorgarten stand. Sie machten keinen so schlechten Eindruck und begrüßten mich freundlich. Sie wollten natürlich alles Mögliche über mich wissen und auch über meine schulischen Leistungen wurde gesprochen.

Karin verabschiedete sich und sagte mir noch, dass sie mich um 15:00 Uhr abholen würde. Ehe ich protestieren konnte, war sie auch schon weg. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Unterricht jetzt gleich beginnen sollte, aber das war wohl schon so geplant gewesen. So wurde ich zunächst mal in allen Fächern auf meinen Wissensstand kontrolliert. Zwischendurch, gegen halb Eins, gab es einen Imbiss, dann ging es weiter und dann war es auch schon 15:00 und Karin tauchte wieder auf, um mich mit zu nehmen. Als wir zu Hause, so nenn ich es jetzt mal, angekommen waren, wartete Horst schon mit Gartenarbeit auf mich und ich musste 2 Stunden Hacken und Unkraut zupfen – ein echter Scheißjob war das!! Der Vorsatz, hier sobald wie möglich abzuhauen, wuchs mit jeder Pflanze, die ich aus dem Boden riss. Dass das nicht immer nur Unkraut war, regte mich nicht, Horst aber dafür um so mehr auf und er meinte, dass ich zum Abendessen besser nicht kommen sollte. Na Bravo, geschuftet wie ein Idiot und dann noch nix zu essen – nicht mit mir, und so packte ich denn meinen Schulrucksack wieder aus, um das dringend Notwendige einzupacken, das ich zum Verschwinden brauchte. Ein bisschen Wäsche, eine Badehose, ein Reserve-T-Shirt und eine zweite Jeans sowie Ersatzstrümpfe und meinen Geldbeutel, in dem noch 27,50 Euro waren, stopfte ich hinein und als die Dunkelheit herein brach machte ich mich auf den weiten Weg in den Ort. Wenn ich erst mal das Haus des Lehrerehepaars erreicht hatte, würde ich mir dort ein Fahrrad „leihen“ und dann wird es schon besser gehen.

Beim Überqueren des Baches bekam ich zwar nasse Füße, weil ich in der Dunkelheit neben die Steine trat, aber das war mir gerade scheißegal. Über den Talgrund hinweg und dann den Weg zum Hang hoch und schon ging es am Hang entlang Richtung ALJEZUR. Nach fast zwei Stunden ereichte ich die Behausung der Lehrer und ich schlich um das Haus, um die Fahrräder zu suchen. In einen offenen Schuppen unweit des Hauses fand ich sie und suchte mir das Beste raus. Vorsichtshalber schob ich das Gefährt noch solange, bis ich vom Haus aus nicht mehr gesehen werden konnte und dann schwang ich mich in den Sattel, um die erste Etappe der „Tour de Portugal“ in Angriff zu nehmen.

Das Rad hatte ein 7 Gangschaltung und ich kam zügig voran. Nach gut 30 Minuten fuhr ich dann auf den Platz am Markt, wo die Brücke über den Fluss ging und die Straße nach LAGOS weiterging. Dort machte ich erst mal halt und sah auf meine Uhr. Es war 00:25 Uhr und mir blieben noch etwa 6 Stunden, bis zur Entdeckung meiner Flucht. Wenn ich hier dauerhaft weg wollte, dann durfte ich nicht zögern und musste versuchen, so viele Kilometer wie möglich hinter mich zu bringen. Ich entschloss mich, Richtung LAGOS zu fahren, also näher nach FARO. Also fuhr ich los und da es zunächst keinerlei größeren Steigungen gab, kam ich gut voran. Als es begann, hell zu werden, hatte ich etwa 30 km zurückgelegt und dabei auch einige größere Steigungen überwunden. In der nächsten Ortschaft erstand ich dann in einem Geschäft zwei Brötchen und etwas Käse sowie eine Flasche Wasser. Ich verließ die Hauptstraße am Ende des Ortes und ließ mich abseits nieder, um zu frühstücken.

Während ich aß, fiel mir ganz heiß ein, dass ja der Peter heute noch mal kommen wollte und der würde hier auf der Straße kommen und mich dann vielleicht sehen. Das wäre dann schon das vorzeitige Ende meiner Flucht. Also beschloss ich, hier abseits der Straße zu ruhen und zu beobachten, wann denn der große japanische Geländewagen hier vorbeifahren würde. Erst wenn der durch war, wollte ich weiterfahren. Ich suchte mir also einen guten Platz, von dem aus ich unbeobachtet die Straße im Auge hatte und wartete dann darauf, dass Peter hier vorbei kam. Meine Aufmerksamkeit wurde nach etwa eineinhalb Stunden belohnt, als Peter mit seinem Auto die Straße lang kam, um dann in der Ortschaft zu verschwinden. Halbwegs satt und gut ausgeruht ging ich sofort wieder auf die Piste und nahm die zweite Etappe in Angriff.

Nach weiteren 2 Stunden auf und ab sah ich die Stadt LAGOS unter mir liegen, und wollte hier erstmal schauen, wo ich denn vielleicht bleiben konnte. LAGOS ist eine wunderbare Stadt direkt am Meer und wird von vielen Touristen aufgesucht. Ich hoffte darauf, vielleicht ein paar jüngere Deutsche zu treffen, die bereit waren, mir zu helfen. Also fuhr ich zunächst mal planlos durch die Stadt und versuchte, die Altstadt und damit das Meer zu finden. Nach etwa 30 Minuten hatte ich den Yachthafen der Stadt gefunden und von dort aus ging eine Promenade direkt neben der Straße entlang, an deren Ende ein herrlicher Badestrand lag. Dort gab es bizarre Felsen und viel Sand und alles sah echt toll aus. Es war zwar nicht besonders heiß, etwa 22 Grad, aber es waren doch einige Leute unterwegs. Das Fahrrad hatte ich an einer Laterne angeschlossen, dort wo es an den Strand ging. Später wollte ich es wieder mitnehmen.

Eine Gruppe einheimischer Jungen in meinem Alter spielten weiter hinten Beach-Volleyball und ich ging dorthin, um etwas zuzuschauen. Sie spielten gut, während ich etwas abseits im Sand saß und zuschaute. Die meisten der 10 Jungs spielten mit freiem Oberkörper und der Anblick gefiel mir echt gut. Wann hatte ich zum letzten Mal so ein Paar schnuckelige Boys gesehen, und dann gleich 10 an der Zahl. Irgendwann, eine Stunde später vielleicht, hörten sie auf und zogen sich wieder an. Dann brachen sie auf in Richtung Altstadt und ich folgte ihnen, weil ich mal unbedingt wieder was essen musste und das würde ich in der Altstadt bestimmt finden. Also ging ich zum Fahrrad und schloss es von der Laterne los und schob hinter den Jungen in Richtung Stadt.

Als ich die Altstadt mit ihren engen Straßen erreichte, verlor ich die Ballspieler aus den Augen. Wohl wegen der Ostertage und der damit verbundenen Ferien war ein bisschen Betrieb in der Altstadt und es waren alle Geschäfte und Restaurants geöffnet. Ich kaufte mir ein paar Gebäckstücke und setzte mich an einem kleinen Platz auf eine Mauer und verzehrte die Teilchen. Es war jetzt Nachmittag und etwa 16:00 Uhr und ich musste mir Gedanken machen, wo ich heute Nacht schlafen wollte und wie denn überhaupt alles weitergehen sollte mit mir. Zunächst zählte ich kurz meine Barschaft, 21,85 Euro hatte ich noch, also hatte ich am ersten Tag meiner Flucht bereits fast 6 Euro ausgegeben und der Tag war noch nicht zu Ende. Mir fiel ein, dass morgen schon Karfreitag, der 6. April war und dass ich ja am 8. April meinen 17. Geburtstag hatte. Das zog mich natürlich schon etwas runter und meine Augen wurden feucht, musste ich doch hier in der Fremde und ganz allein meinen Geburtstag verleben, von feiern konnte wohl keine Rede sein. Mit ein paar Kröten im Geldbeutel und auf der Flucht, so ein Scheißgeburtstag wünsche ich keinem.

Ich zerknüllte die leere Tüte und nahm meinen Rucksack wieder auf die Schultern und griff zum Rad. Ich beschloss, zunächst zurück zum Meer an den Strand zu fahren und dort weiter hinten die Felsregion zu erkunden. Vielleicht fand ich ja einen Unterschlupf in den Felsen, wo ich heute Nacht unterkriechen konnte. Am Ende des Sandstrandes ragten bizarre Felsen bis ins Meer und ich fand tatsächlich einen Überhang, in dessen Schutz ich mich für die Nacht einrichten konnte. Ich versteckte meinen Rucksack, schloss das Fahrrad ab, und begann, Treibholzstücke für ein kleines Feuer zu sammeln. Mit der Zeit fand ich einiges an Holz und trug es in meinen Unterschlupf. Weit und breit war kein Mensch zu sehen und so machte ich, als es zu dunkeln begann, ein kleines Feuer, das mich ein bisschen wärmte, denn die Nächte waren doch noch recht frisch. Irgendwann später legte ich meinen Kopf auf den Rucksack und schlief ein.

Ich erwachte, weil ich Stimmen hörte und als ich meine Augen öffnete, sah ich zwei Männer und einen Uniformierten, offensichtlich einen Polizisten vor meinem Unterschlupf stehen. „Oh, Scheiße“, dachte ich und setzte mich erst einmal auf, was ging denn hier ab. Der Polizist sprach mich an, aber ich verstand natürlich kein Wort. Als er merkte, dass ich ihn nicht verstand, versuchte er es mit Englisch, das ich ja aus der Schule ein bisschen kannte. Er gab mir zu verstehen, dass ich mich ausweisen sollte, aber meine Papiere hatte ja der Peter in Verwahrung, wohlweißlich, um zu verhindern, dass seine Schützlinge die Flatter machen konnten. Nachdem ich umständlich erklärt hatte, keine Papiere zu besitzen, wurde ich zum Mitkommen aufgefordert. Die zwei anderen Männer verabschiedeten sich von dem Polizisten und gingen Richtung Strand. Offensichtlich hatten sie mich dort eher zufällig gefunden.

Der Polizist ging mit mir Richtung Stadt und am Ende vom Strand angekommen, stand dort ein Polizeiauto mit noch einem Beamten. Der stieg nun aus, öffnete den Kofferraum, nahm das Fahrrad in Empfang und verstaute es dort hinten. Ich musste mich in den Wagen setzen und dann ging es Richtung Stadt. Ich muss sagen, dass die beiden Polizisten nicht unfreundlich zu mir waren und dass sie mich auch sonst ordentlich behandelten. Auf dem Revier, das in einem anderen Stadtteil lag, bekam ich zunächst mal eine große Tasse Kaffee. Mittlerweile war für die Polizisten klar, dass ich Deutscher war und so telefonierten sie und später kam dann ein Polizist, der ganz gut Deutsch sprechen konnte.

Der Rest ist schnell erzählt, Nachdem sie wussten, wo ich abgehauen war, tätigten sie ein paar Anrufe und knapp 3 Stunden später kam, na wer schon? – richtig, der Peter, um mich abzuholen und wieder dorthin zu bringen, wo ich hergekommen war. Auch er war nicht übermäßig sauer, vielleicht eher ein bisschen angepisst, und er wollte natürlich wissen, warum ich denn abhauen wollte. Ich sagte, dass ich nicht den Sklaven von dem Horst spielen wolle und dass ich nicht gegen meinen Willen wie ein Kuli schuften würde und mich nicht von einem Trinker kaputt machen lassen wollte. Ich sollte mich mal nicht so aufspielen, ein wenig Arbeit würde mir ganz gut tun und außerdem wollte ich ja auch Taschengeld und ein Fahrrad und so weiter, und da wäre eine Gegenleistung nicht verkehrt. Darüber hinaus müsse ich einfach lernen, dass es nicht immer im Leben alles umsonst geben könne. Der hatte natürlich gut reden, brauchte er ja nicht unter der Fuchtel von Horst das halbe Tal zu jäten und zu bewässern.

Nach eineinhalb Stunden Fahrt und nach Ablieferung des Fahrrades bei der Lehrerfamilie (ich stieg nicht aus dem Auto) trafen wir wieder bei Familie Augustin an. Die waren natürlich schon über alle Einzelheiten informiert und Horst konnte sich ein paar spitzfindige, dumme Bemerkungen nicht verkneifen. Sie schickten mich in meine Höhle, wie ich mein Zimmer liebevoll nannte und unterhielten sich dann noch eine geraume Zeit, ich denke wohl über mich.

Karin rief mich dann später zum Essen und trotz erfolgloser Flucht hatte ich doch gut Hunger und aß mich gut satt. Peter hatte sich vor dem Essen auf den Weg gemacht. Karin erwähnte, dass Peter hinter FARO in einem kleinen Ort wohnte und insgesamt 12 Jugendliche in der gesamte Region ALGARVE betreute. Nach dem Essen durfte ich dann duschen und anschließend sollte ich mit Karin nach ALJEZUR fahren und beim Einkaufen helfen. Das erschien mir ganz gut, lernte ich doch etwas mehr von dem Ort kennen.

Am Ortseingang fuhren wir rechts ab und dann den Hügel hinauf, bis wir auf einen großen freien Platz vor der Kirche fuhren und dort einen Parkplatz bekamen. Der Platz war von Häusern umrahmt und es gab einige Geschäfte, darunter auch zwei, die den uns bekannten Märkten glichen und die ein reichhaltiges Sortiment an Lebensmitteln und sonstigen Dingen des täglichen Lebens anboten. Dorthinein gingen wir und Karin kaufte alles, was auf ihrem Zettel stand. Als alles in dem Wagen verstaut war, fragte ich, ob ich mir auch etwas kaufen dürfte. Also kaufte ich von meinem Geld eine Tafel Nussschokolade, eine Rolle Doppelkekse und eine Flasche Rotwein, schließlich wollte ich ja meinen Geburtstag feiern und wollte mich dabei auch zu einer Flasche Wein einladen, die ich dann in Ermangelung anderer Gäste wohl alleine verpicheln würde. Der dabei zu erwartende Rausch und ein dicker Kopf am nächsten Tag würden mich nicht davon abhalten, dessen war ich mir sicher. Mann wird schließlich nur einmal 17, nicht wahr. Nachdem wir die Talsohle unterhalb des Hauses wieder erreicht hatten, musste der gesamte Einkauf den Hang nach oben geschleppt werden. Gott sei Dank half Karin dabei, sodass ich nicht alles allein schleppen musste. Meinen Einkauf verstaute ich sofort in meiner Höhle, den Wein versteckte ich im Bett, wollte ich doch Horst gar nicht erst in Versuchung führen. Später gab es dann noch Abendessen, bei dem auch die Töchter anwesend waren.

Dem anschließenden Fernsehabend entzog ich mich mit der Entschuldigung, dass ich sehr müde sei und begab mich in meine Höhle, zog mich aus und legte mich ins Bett. Dabei kamen mir die Volleyballer wieder ins Gedächtnis, was natürlich nicht ohne Reaktionen auf den kleinen Gideon geschah, der, in den letzten Tagen der Vernachlässigte, verlangte aufrecht nach einigen Streicheleinheiten, die ihm dann auch gerne gewährt wurden. So sah, wenigstens für eine Weile, die Welt nicht mehr gar so trübe aus. Irgendwann schlief ich dann auch ein, und da ja morgen Ostersonntag war, konnte ich bestimmt ausschlafen.

Um 8:00 Uhr, also fast mitten in der Nacht, wurde ich von Horst geweckt und er forderte mich auf, vernünftige Kleider anzuziehen, da wir um 10:00 Uhr in die Kirche fahren würden. Ich vergaß, zu erwähnen, dass Portugal ein erzkatholisches Land ist, in dem Ostern entsprechend gefeiert wird. Ich sagte Horst, dass ich mir aus Kirche nichts mache und nicht mit wollte. Er meinte, ich sollte mir das wohl überlegen, da sie nach der Kirche zum Essen gehen würden und es hier heute Mittag nichts zu Essen gäbe. Also musste ich wohl oder übel wählen zwischen 2 Stunden Tempel und satt oder kein Tempel und hungrig. Ich entschied mich für satt und zog die besten Jeans und ein gutes Kapuzenshirt an und ging dann zum Frühstück nach vorn. Alle waren richtig aufgebrezelt und machten echt was daher. Sogar Horst sah einigermaßen passabel aus. (grins)

Als wir in der Kirche ankamen, war diese schon echt voll und alles war festlich geschmückt. Offensichtlich waren viele Bekannte von Horst und Karin hier, denn viele Leute nickten uns zu und ich wurde eingehend und neugierig gemustert. Wir bekamen mit Müh und Not noch ein paar Plätze in einer Bank und es dauerte nicht lang, da ging die Chose auch schon los.

Oben auf einem Balkon fing eine Orgel an zu spielen und dann kamen von hinten durch den Gang zuerst mal eine Reihe rot-weiß gekleidete Jungs, von denen einige echt süß aussahen. Danach kamen ebenso gekleidete junge Männer, von denen einige rauchende Behälter an silbernen Ketten schwangen und einen schweren, süßlichen Rauch verbreiteten. Dann kamen wohl die Hauptdarsteller, drei an der Zahl, die hatten echt protzige Kleider umgehängt und der in der Mitte, wohl der Boss, trug ein goldenes Teil mit einem Glasfenster und einer weißen Scheibe vor sich her und sie gingen ganz nach vorne bis dahin, wo ein großer Tisch mit Kerzen und Blumen stand. Dort versammelten sie sich alle und einer fing jetzt an zu singen. Das ging dann eine längere Zeit hin und her, mal sang er, mal die Leute um mich rum und alles in einer Sprache, von der ich kein Wort verstand. In der Folgezeit musste ich dann stehen, dann wieder knien und einmal durfte wir auch sitzen, als der Chef eine Rede hielt, von einem kleinen Balkon herunter, so dass er alle und ihn alle sehen konnten. Zwischendurch sangen immer alle Leute und die Orgel spielte dazu.

Nach circa 2,5 Stunden und einem fulminanten musikalischen Finale konnten wir endlich an die frische und sonnig warme Luft zurückkehren. Nun bildeten sich vor der Kirche einzelne Gruppen von Leuten und auch wir standen bei einer Gruppe, die überwiegend aus Deutschen bestand und die sich jetzt alle ein frohes Osterfest wünschten. Meine Lehrer waren auch da und wünschten auch mir frohe Ostern und das, obwohl ich ihr Fahrrad geklaut hatte.

Nach etwa 15 Minuten gingen wir zum Auto und dann fuhren wir, unten am Berg rechts abbiegend, Richtung Westen um nach dem Ortsausgang links ab zu biegen. Die Straße führte zunächst durch ein Tal, das später immer breiter wurde und durch das der Fluss, der durch ALJEZUR floss, seinen Weg zum Meer nahm. An diesem Meer kamen wir nach 15 Minuten Fahrt an, das heißt, wir gingen noch 200 Meter zu Fuß, weil schon überall Autos standen. Hier, auf einem Plateau über dem Meer stand ein Gasthaus mit einer großen Außenterrasse und einem großen Grill. Links ging es eine Treppe nach unten zu einem schönen Sandstrand, der weiter hinten am Flusslauf endete. Der Fluss mündete hier in einer Breite von etwa 100 Metern ins Meer und es war schon ein toller Anblick und bestimmt ließ sich hier gut baden.

Horst erklärte, dass hier im Sommer nur Einheimische und Touristen aus der unmittelbaren Region zum Baden kamen und dass es nie so Überlaufen wäre wie an der Südalgarve. Mir gefiel es hier auf Anhieb so gut, dass ich am liebsten hier geblieben wäre. Jetzt gingen wir erst mal zum Gasthaus, setzten uns auf die Terrasse und bestellten was zum Essen. Nach dem Essen gingen wir runter zum Strand und wanderten bis zum Fluss, und hinterher in die andere Richtung, bis uns eine zerklüftete Felsenreihe, die bis ins Meer ragte, den weiteren Weg versperrte. Ich sah viele Muscheln und fand auch das ein oder andere Schneckenhaus. Nach fast 2 Stunden Strandaufenthalt gingen wir dann zum Auto zurück und fuhren zurück in die Pampa.

Zu meinem Erstaunen kam dann noch Peter vorbei und plötzlich gratulierten mir alle zum Geburtstag. Peter hatte ein gutes, gebrauchtes Fahrrad für mich mitgebracht und Karin hatte einen Kuchen gebacken. Das war schon eine angenehme Überraschung für mich und zur Feier des Tages bekam ich auch noch ein Glas Rotwein zum trinken. Wir saßen noch bis zum Einbruch der Dunkelheit unter dem Baum am Eingang und erst als Peter fuhr, ging ich in meine Höhle, um meine private Feier zu meinem Geburtstag zu beginnen. Zuerst zog ich mich aus und widmete dem Kleinen ein bisschen Aufmerksamkeit, mal an die Volleyballer und mal an die Jungs in Rotweiß denkend. Danach öffnete ich dann die Flasche Rotwein und trank diese langsam und mit Genuss auf mein Wohl und als die Flasche leer war, war ich voll und schlief tief befriedigt und mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft weinselig einem neuen Tag einem neuen Lebensjahr entgegen. Was würde das Jahr wohl bringen.

Das Rappeln des alten Weckers, den Horst in mein Zimmer gestellt hatte, riss mich um 7:00 Uhr unsanft aus dem Schlaf und der fürchterliche Ton hämmerte sich infernalisch in meinen Kopf. Zu greifen, ausholen und werfen gingen nahtlos ineinander über und das vorsintflutliche Teil zerschellte an der gegenüberliegenden Wand, und Ruhe war’s!! Der war jedenfalls für immer hin und ich schlief wieder ein. Es war etwa um die Mittagszeit, als Horst mich weckte und zum Essen rufen wollte. Ich hatte aber immer noch massiv an den Folgen meiner Geburtstagsflasche zu kämpfen und war zur Nahrungsaufnahme definitiv noch nicht bereit. Das tat ich dann auch brummig kund und Horst verschwand wieder. Dass er das Wrack des Weckers gesehen hatte, glaubte ich mal nicht und ich nahm mir vor, die sterblichen Überreste des kaputten Weckers später heimlich zu entsorgen.

Mit einem pulvertrockenen Hals konnte ich nicht mehr einschlafen und so stand ich auf und trank zuerst mal eine Wasserflasche halb leer. Anschließend musste ich erst mal pinkeln und so suchte ich das Gelände hinterm Schweinestall auf, um dort mein Geschäft zu erledigen. Nachdem ich mich gewaschen hatte, zog ich frische Kleider an und ging nach vorn, wo ich unter dem Baum Platz nahm. Ich nahm mir vor, etwas kooperativer zu sein und mal zu schauen, wie sich die Dinge denn so entwickeln würden.

In den nächsten Wochen wurde ich nicht so oft zu irgendwelchen Arbeiten herangezogen und kam neben der Schule auch des Öfteren mal in die Stadt. Ab und an durfte ich sogar in die Disco am Marktplatz, wenn die beiden Töchter auch dorthin gingen. Dann wurden wir dorthin gebracht und so gegen 23:30 Uhr wieder abgeholt. Mein Leben nahm halbwegs einen normalen, geregelten Ablauf an und die Schule ging auch voran. Im Juli sollte ich dann in LAGOS meinen Hauptschulabschluss machen.

Probleme mit Horst gab es nur, wenn er etwas getrunken hatte, was nicht jeden Tag vorkam. Dann ließ er immer den Molly raushängen und wollte mir zeigen, dass ich alles machen musste, was er von mir verlangte. Wenn es mir dann zuviel wurde, nahm ich das Fahrrad und verschwand für den Rest des Tages, manchmal auch für die Nacht in der Stadt und traf mich dort mit gleichaltrigen Deutschen und Portugiesen, die ich in der Disco kennen gelernt hatte. Allerdings war da wohl niemand dabei, der auf Jungs stand und so blieb es bei meist lockeren Freundschaften, obwohl da schon der ein oder andere dabei war, der mir gefallen hätte. Meist kehrte ich dann freiwillig wieder zurück und meist wurde nach einer Predigt durch Karin wieder zur Tagesordnung übergegangen.

Am 10. Juli, einem Donnerstag, fuhr mich mein Lehrer morgens früh nach LAGOS und dort nahm ich mit mehreren deutschen Jugendlichen, die wohl in ähnlichen Lagen waren, wie ich, an der Abschlussprüfung teil. Die Prüfung war gegen Mittag beendet und wir hatten frei bis 16: 00 Uhr, dann sollten wir das Ergebnis erfahren. Mein Lehrer lud mich zum Essen ein und in der Altstadt aßen wir in einem Restaurant gut zu Mittag.

Ich war aufgeregt und musste immer auf die Uhr schauen und an die Prüfung denken. Ich hatte zwar ein gutes Gefühl, dass es geklappt hatte, aber sicher war ich mir nicht. So war ich froh, als wir nach einem Spaziergang zum Strand gegen viertel vor Vier wieder dort eintrafen, wo die Prüfung stattgefunden hatte. Der Leiter der Prüfungskommission eröffnete pünktlich um 16:00 Uhr die Bekanntgabe der Ergebnisse und er fing an, zuerst die aufzurufen, die die Prüfung in Teilen nicht bestanden hatten. Mir fiel ein Stein von Herzen, als mein Name nicht aufgerufen wurde und mein Lehrer drückte spontan meine Hand. Nun ging es in der Reihenfolge der Ergebnisse von weniger Gut an aufsteigend weiter und als nur noch zwei Namen ausstanden, wurde ich aufgerufen. Ich hatte als zweitbester mit einem Zweierdurchschnitt meinen Abschluss bestanden und spontan umarmte ich meinen Lehrer und bedankte mich bei ihm. Ich war stolz wie ein Spanier und das mitten in Portugal!!

Gut gelaunt und beide in Hochstimmung fuhren wir zurück nach ALJEZUR, wo wir zuerst im Lehrerhaus mit der Frau zusammen eine Flasche Sekt tranken. Wenig später kam die von meinem Lehrer verständigte Karin mit Horst und den Mädchen und sie wollten zur Feier meines Abschlusses mit uns Essen gehen. So fuhren wir alle nach ALJEZUR in eine Pizzeria und feierten bei einem guten Essen noch ein bisschen. Horst hatte wohl schon vorher ein bisschen getrunken und als wir mit Essen fertig waren, war er doch ganz schön angeschickert und seine böse Zunge hielt er nur mit Mühe im Zaum und auch wohl nur, weil das Lehrerehepaar dabei war.

Unterwegs auf der Heimfahrt konnte er es aber mal wieder nicht lassen, mich mit spitzfindigen und dummen Bemerkungen zu ärgern und mich niederzumachen. Ich war einfach noch zu gut gelaunt, um mich mit ihm zu streiten, aber er strapazierte meine gute Stimmung doch ganz erheblich. Ich nahm mir vor, die Ferienwochen am Strand zu verbringen, denn jetzt im Sommer waren viele deutsche Touristen dort und man konnte dort nächtelang Party machen oder einfach nur dort schlafen und den ganzen Tag Fun haben. Ich wollte nur einen günstigen Moment abwarten, um mit den notwendigen Sachen und meinem zusammengesparten Taschengeld ein bisschen Strandurlaub machen und mich vom Prüfungsstress und von Horst zu erholen.

Fünf Tage später, nach einer heftigen Verbalattacke von Horst, angeblich hatte ich den Schweinestall aufgelassen und eine Sau einen Ausflug in den Gemüsegarten gemacht hatte, beschloss ich kurzer Hand, dass es Zeit für meinen Urlaub sei und da eh jetzt keine Schule mehr war, brach ich nach Einbruch der Dunkelheit auf mit Fahrrad, Rucksack mit Wechselwäsche und vor allem der Badehose und meine gesamten Ersparnissen, über 70 Euro hatte ich gehortet. Das sollte fürs Erste reichen und dann sehn wir mal weiter, dachte ich, als ich losfuhr. Da der Mond vom klaren Himmel schien, kam ich auf der Buckelpiste gut voran und als ich den geteerten Weg erreichte, ging es doppelt so schnell.

Zuerst wollte ich mal zum Marktplatz und gucken, was so in der Disco abging. Ich sperrte mein Rad am Geländer fest und ging mit dem Rucksack auf dem Rücken in die Tanzbude, in der ein Haufen Betrieb war. Schnell hatte ich ein paar Bekannte gefunden und nachdem ich mir ein Bier besorgt hatte, stand ich mit den anderen rum und wir betrachteten das Treiben. Es waren etliche Touristen anwesend und es ging auf der Tanzfläche gut ab. Da ich nicht der tolle Tänzer war, stand ich lieber bei den anderen und trank Bier. Im Laufe des Abends und der Nacht lernte ich ein paar Touristen kennen, zwei Mädchen und drei Jungs aus der Gegend um Augsburg, die eine Ferienwohnung in der Nähe gebucht hatten. Sie waren 2 bis 3 Jahre älter als ich und wir verstanden uns gut.

Als sie hörten, dass ich am Strand übernachten wollte, schlossen sie sich spontan dieser Idee an und wollten auch dort übernachten. Vorher wollten sie aber dann noch Badesachen holen, damit sie auch morgen am Tag dort draußen baden konnten. Jasmin und Tanja hießen die Mädchen, Steven, Tobias und Lukas hießen die Jungs und Jasmin und Steven und Tanja und Lucas waren jeweils ein Paar. Tobias war der Bruder von Lucas, ein Jahr älter und er war auch der, der den Führerschein hatte und den Leihwagen der fünf fahren durfte. Da ich nicht ohne mein Fahrrad zum Strand wollte, machten wir ab, dass ich in der Zeit, in der sie ihre Sachen holten schon mal zum Strand fahren würde und oben am Restaurant auf sie warten wollte. So brachen wir dann gegen 1:00 Uhr auf und dreißig Minuten später hatte ich das Restaurant über dem Strand erreicht. Alles war dunkel und es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Nach ca. 25 Minuten kamen dann die anderen und sie stellten das Auto auf dem Parkplatz ab.

Wir gingen hinunter an den Strand und Richtung Fluss, dort zwischen den ersten Sanddünen bezogen wir einen windgeschützten Lagerplatz und breiteten die Bastmatten aus. Wir Jungs gingen Treibholz sammeln und dann machten wir ein kleines Lagerfeuer. Tobias hatte dann aus seinem Rucksack 3 Flaschen Rotwein geholt und nun kreiste im Schein des Feuers die erste Flasche. Das war echt romantisch und die Stimmung war super. Sie erzählten ein wenig von sich und ich erzählte halt ein wenig von mir und auch noch was über die Gegend hier. Irgendwann waren die Flaschen leer und wir legten uns zum Schlafen hin. Es dauerte nicht lange und alle waren eingeschlafen.

Die Sonne weckte uns am nächsten Morgen mit ihren warmen Strahlen und nach anfänglichen Schwierigkeiten kamen wir so langsam in Gang. Es war etwa 9:00 Uhr und ein Frühstück wäre nicht schlecht gewesen. Tobias bot sich an, in den Ort zu fahren, um einzukaufen und Steven wollte ihn begleiten. Ich wollte mich im Ort vorerst nicht sehen lassen, da ich ja doch schon ziemlich bekannt war. Also fuhren die beiden los, nachdem ich ihnen gesagt hatte, dass es vorne am Marktplatz alles fürs Frühstück zu kaufen gab. Wir anderen machten uns unterdessen auf und sammelten Treibholz für das Lagerfeuer heute Abend.

Nach einer Stunde kamen Tobias und Steven zurück und nun frühstückten wir zuerst mal. Anstelle von Kaffee gab es Kakao aus der Flasche oder Eistee. Nach dem Frühstück machten wir einen ausgedehnten Strandspaziergang und gingen ein Stück an der Flussmündung aufwärts. Auf der anderen Seite des Flusses war ein steiler Hang und weiter oben waren ein paar Häuser zu sehen und als wir noch ein Stück weiter gingen konnte man in der Ferne die Burg von ALJEZUR sehen. So gegen 11:00 Uhr war es dann schon recht heiß und wir gingen ins Meer baden. Es war leichter Wellengang und wir alberten im Wasser herum und spielten mit einem kleinen Ball. Jetzt waren auch nach und nach noch andere Leute gekommen und es war schon ein wenig Betrieb hier am Strand. Einige bauten einen Grill auf und als es auf Mittag zuging, zog hier und da der Geruch von Gegrilltem über den Strand.

Wir beschlossen, zum Restaurant zu gehen und dort etwas zu Essen zu bestellen. Gesagt, getan, die Wertsachen und Handys in einem Rucksack, machten wir uns auf ins Restaurant. Dort setzten wir uns unter einen Sonnenschirm und studierten die Speisekarte. Mittlerweile konnte ich ja schon soviel portugiesisch, dass ich den anderen beim Aussuchen helfen konnte. Beim Essen sprachen wir darüber, was wir weiterhin machen wollten. Dabei gab ich zu bedenken, dass ich am Sonntag nicht am Strand bleiben könne, weil da die ganzen Deutschen und wahrscheinlich auch Familie Augustin hier zum Baden erscheinen würde. Also boten mir die anderen an, am Sonntag mit dem Auto eine Tour zu machen, wohin, das sollte ich vorschlagen, da ich mich am besten auskannte. Spontan fiel mir die Festung bei SAGRES ein, die ich selber noch nicht kannte und dort war der südlichste Zipfel Portugals mit seiner tollen Felsenküste. Das fanden die anderen in Ordnung und so war es abgemacht.

Nach dem Essen gingen wir wieder zu unserem Lagerplatz, der jetzt voll in der heißen Sonne lag. Also gingen wir nach einer halben Stunde Ruhe wieder ins Wasser, denn nur da war es im Moment auszuhalten. So verging der Tag und gegen Abend waren die meisten Leute dann wieder fort und es kehrte Ruhe ein. Als es dunkel wurde, machten wir ein Feuer und wieder kreiste eine Weinflasche in der Runde.

So ähnlich verliefen auch die Tage bis zum Sonntag, wobei wir noch an zwei Abenden die Disco im Ort besuchten. Dabei sah ich auch am Samstag die Töchter von Horst und Karin, die mich aber nicht gesehen haben und ich hielt mich bis Mitternacht von der Disco fern. Danach, ich wusste, dass die um diese Zeit schon abgeholt waren, konnte ich mich dort auch wieder sehen lassen.

Am Sonntagmorgen fuhren wir dann los, kauften im Geschäft an der Brücke noch was zum Frühstück, und fuhren dann hinter ALJEZUR rechts ab nach Süden Richtung SAGRES. Nach einer guten Stunde Fahrt kamen wir in der Nähe der Festung an und parkten auf einem großen Parkplatz. Zu Fuß gingen wir nun in Richtung der großen Befestigungsanlagen und nach und nach besichtigten wir das ganze Gelände. Man konnte auch direkt bis an die steil abfallenden Klippen gehen und auf das etwa 60 Meter tiefer liegende Meer blicken. Mich beschlich ein dumpfes Gefühl und ich dachte, wenn ich den Mut hätte, zu springen, wäre die ganze Scheiße endgültig vorbei. Dann aber dachte ich wieder, dass es mir ja im Moment ganz gut ging und was morgen oder später ist, daran wollte ich jetzt auch nicht unbedingt denken. Wenn wirklich mal gar nichts mehr geht, dann wusste ich ja jetzt, dass ich hier eine Möglichkeit für das große Finale finden würde.

Also raffte ich mich gefühlsmäßig wieder auf und rannte den anderen, die schon weiter gegangen waren, hinterher. Einzig Tobias hatte mich wohl beobachtet, als ich an der Klippe stand und er sah mich lange und merkwürdig an. Innerhalb der Festung setzten wir uns auf eine große Treppe und packten die gekauften Esswaren aus und stärkten uns für den Nachmittag, denn wir wollten die Gegend hier ausgiebig betrachten.

Nach dem Essen gingen wir wieder los, Jasmin und Steven, Tanja und Lukas gingen vorne weg und Tobias und ich hinterher. „Was war denn vorhin am Felsen mit dir los, du hast ausgesehen, als wolltest du dort runterspringen, zumindest einen Moment“, fragte mich plötzlich Tobias. Ich wurde rot und sagte: „Es geht mir halt ziemlich beschissen und die Tage hier mit euch sind eine Ausnahme, meistens werde ich nur vermotzt, muss einen Haufen Drecksarbeit machen und von morgens bis abends tun, was wildfremde Leute von mir wollen. Spaß und Geld gibt’s nur wenig und Perspektiven gar nicht. Irgendwann nächstes Jahr nach Ostern komme ich vielleicht nach Deutschland zurück. Dann muss ich mich neu orientieren und dann werde ich versuchen, mit meinem einzigen echten Freund Alex in München Kontakt aufzunehmen. Ich hoffe, dass ich ihn und seine Eltern finde und dass ich zu ihnen oder in ihre Nähe ziehen kann.“ Nach dieser langen Rede schwieg ich zuerst mal und schaute auf den Boden. Meine Augen waren feucht geworden und ich war kurz davor, fortzulaufen.

Tobias hatte wohl gemerkt, dass ich kurz davor war, seelisch zu kollabieren und er legte plötzlich seinen Arm um mich und zog mich tröstend an sich. Wir waren stehen geblieben und er hielt mich einfach nur fest. Das tat mir unheimlich gut und nach ein paar Minuten ging es mir schon viel besser. „Wir müssen weiter, die anderen sind schon weit weg“, sagte er zu mir. Schade, ich hätte stundenlang so bleiben können, aber das würde natürlich zu weiteren Fragen, auch von den anderen führen und das wollte ich eigentlich nicht. Wir gingen weiter und Tobias meinte, wenn ich über alles reden wolle, dann könnten wir ja heute Abend mal allein einen Strandspaziergang machen. „Ich überleg es mir“, sagte ich und dann versuchten wir, so schnell wie möglich zu den anderen zu kommen. Tanja hatte einen Fotoapparat dabei und so machten wir noch eine Reihe schöner Bilder.

Gegen 18:00 Uhr fuhren wir dann gemütlich wieder zurück und ich war mir sicher, dass Familie Augustin schon wieder zu Hause war, mussten doch um 19:00 Uhr spätestens die Schweine gefüttert werden. Als wir den Strand erreichten, war das Restaurant noch geöffnet und wir aßen dort zu Abend. Auch nahmen wir noch ein paar Flaschen Rotwein mit, die ich, gegen den Protest der anderen, von meinem Geld bezahlte. „ Ihr habt schon soviel bezahlt, jetzt bin ich dran, basta“, sagte ich und damit war die Sache erledigt.

Nachdem wir ein Feuer angebrannt hatten, kreiste die Flasche und jeder erzählte etwas über sich und seine Jugend und ich erzählte auch etwas darüber, warum ich hier war und wie es mir hier so ergangen war. Je mehr Wein ich trank, um so mehr gab ich Preis aus meinem Leben und meine Freunde, als solche betrachtete ich sie mittlerweile, hörten zu und wurden immer ruhiger.

„Du hast ja echt schon viel Scheiße erlebt, aber wenn du ehrlich bist auch schon einige Scheiße gebaut. Wenn du dir den Rest deines Lebens nicht total verbauen willst, dann musst du dich verändern, auch wenn es dir noch so schwer fällt“, sagte Steven und die anderen stimmten ihm zu.

„Ich weiß das, aber der Horst, dem kann ich nichts recht machen und wenn er was getrunken hat, dann mutiert er zum Arsch und hackt nur auf mir rum. Ich will nach Deutschland zurück und Alex suchen und dort in seiner Nähe ein neues Leben anfangen“, sagte ich, „er war der erste und einzige wahre Freund und mit ihm verbindet mich viel. Ich weiß, dass er mich auch vermisst und dass er sich freut, wenn ich wieder bei ihm bin.“

„Morgen müssen wir wieder in unsere Wohnung zurück, am Mittwoch früh fahren wir nach FARO und fliegen nach Deutschland zurück“, sagte jetzt Tobias, „gib uns mal den ganzen Namen von dem Alex, wir suchen mal im Internet und in den Münchner Telefonbüchern nach seiner Adresse. Die schreiben wir dir dann und dann kannst du ja mal versuchen, Kontakt auf zu nehmen.“

„Dann gehst du besser zu den Leuten zurück und versuchst, die Zeit bis Ostern einigermaßen anständig über die Bühne zu bringen“, sagte Jasmin, „und wenn du wieder in Deutschland bist, melde dich mal bei uns.“

„Gibt es hier ein Internetcafé oder so was?“ fragte Tobias. „Ich darf bestimmt mal bei meinen Lehrern das Internet benutzen, die E-Mail-Addi weiß ich auswendig, dorthin könnt ihr was schicken. Die werden auch nichts verpetzen, denke ich“, gab ich zur Antwort. „Wir schreiben dir auch unsere Mail-Addis auf, dann kannst du immer mit uns reden, wenn es dir schlecht geht“, sagte Jasmin, und die anderen nickten zur Bestätigung. Die vier Flaschen waren leer und wir machten uns lang für die Nacht, es war immer noch mindestens 27 Grad und irgendwann waren wir eingeschlafen.

Am nächsten Morgen packen alle ihre Sachen zusammen und wir machten uns auf den Weg in die Stadt, ich mit Fahrrad und sie mit dem Auto, wir wollten zusammen am Marktplatz noch frühstücken. Das taten wir ausgiebig und dann verabschiedeten sie sich von mir.

Sie nahmen mich in den Arm und zum Schluss flüsterte mir Tobias ins Ohr: „ Ich hoffe für dich, dass dein Alex deine Gefühle auch erwidert, die du für ihn empfindest. Wenn ich keinen festen Freund hätte, den ich sehr liebe, dann hätte aus uns auch was werden können. Ich mag dich sehr gern, aber ich bin hundert Prozent treu und würde meinen Schatz nie betrügen.“ Nun wurde ich aber knallrot und war echt erstaunt, dass er mich so durchschaut hatte. Er drückte mich noch einmal und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Wir bleiben in Verbindung, und wenn du nach Deutschland kommst, werden wir uns auch wieder sehen, davon bin ich überzeugt“, sagte er und ging dann zum Wagen. Als sie fuhren, hatte ich Tränen in den Augen und winkte noch lange hinterher. Dann setzte ich mich aufs Rad und fuhr Richtung Pampa, gewillt, mich von Horst nicht mehr provozieren zu lassen, und nur noch das zu arbeiten, was mir auch Spaß machte.

Auf dem Weg in die Pampa hielt ich bei meinen Lehrern an und die waren echt froh, dass ich noch mal heil auf dem Weg zurück war. Sie wussten natürlich davon, dass ich mal wieder abgehauen war und ich erzählte ihnen alles, was ich in dieser Woche erlebt habe, einschließlich der Geschichte am Felsen in SAGRES.

Mir der Internetnutzung waren sie einverstanden, wenn ich keine kostenpflichtigen Speckseiten aufsuchen würde, könnte ich jeden Tag eine Stunde surfen und E-Mail schreiben. Ich war sehr froh darüber, und nahm mir vor, ihr Vertrauen nicht zu missbrauchen. Nachdem ich noch einen Kaffee getrunken hatte, machte ich mich auf den Weg, gewillt, mich nun nicht mehr aufzuregen und zu versuchen, einigermaßen zurecht zu kommen.

Meine Ankunft war unspektakulär, weil überhaupt keiner zu Hause war und so räumte ich meine Sachen in der Höhle ein und entsorgte kurzer Hand die Überreste des Weckers, die ich tief im Schrank unter den Kleidern versteckt hatte. Dann harrte ich der Dinge die da kommen sollten. Als erstes kam Karin und ich hatte den Eindruck, dass sie ganz froh war, dass ich wieder da war und sie sich keine Gedanken mehr machen musste, ob ich OK sei. Sie sagte dann, dass Peter heute noch kommen würde und dann könnten wir mal über alles reden, denn so könne es nicht weitergehen. Ich sagte ihr, dass ich mich jetzt mehr bemühen wolle, dass ich aber auch nicht jede Drecksarbeit machen würde. Sie meinte, darüber müsse ich mit Peter und Horst reden, wenn die später kommen würden.

Kurz vor Mittag kamen die Beiden und wir setzten uns mal wieder unter dem Baum zusammen. Peter wollte wissen, was los war, warum ich weg bin und wo ich gewesen sei, und wie das jetzt endlich mal anders werden sollte. Ich erzählte, dass ich mich mal wieder mit Horst gestritten hätte und der immer, egal was ich mache, auf mir rumhacken würde. Da wäre ich halt ab und hätte ein Paar Tage am Strand gelebt mit deutschen Touristen, die morgen wieder zurück fliegen würden. Ich erzählte auch, dass wir in SAGRES waren, dass ich sie als Freunde gewonnen hätte und dass sie mir auch ins Gewissen geredet hätten, dass ich mir hier Mühe geben solle für den Rest der Zeit, wo ich noch hier wäre. Das möchte ich auch jetzt tun und mit den Lehrern hätte ich vereinbart, dass ich jeden Tag von 17 bis 18:00 ins Internet dürfte, um Emails zu schreiben und zu surfen. Dafür würde ich mir dann auch wirklich Mühe geben, die Zeit in Portugal ordentlich hinter mich zu bringen.

Horst war mal wieder skeptisch und meinte, das müsse er dann wohl erst mal erleben, bevor er das glauben könne. Peter sagte, dass er mich beim Wort nehme und wenn das nicht klappen würde, müsste er sich überlegen, ob er mich nicht für den Rest der Zeit woanders unterbringen müsste. Er hatte da noch eine Adresse in Zentralportugal, weit weg von Meer und Menschen und die nächste Ortschaft wäre Luftlinie 40 km weg und mit dem Auto 55 km. Das wäre dann wohl zu überlegen, ob ich das wollte. Dort gab es auch kein Fernsehen, kein Telefon, geschweige denn Internet, nur allertiefste Pampa und harte Arbeit.

Als wir bis hierher gekommen waren in unserem Gespräch, rief Karin, dass das Essen fertig sei und wir reinkommen sollten. Während des Essens wurde über ein anderes Thema geredet und nach dem Essen, draußen unter dem Baum, gab mir Peter dann noch 6 Wochen Bewährungsfrist. Wenn es bis dahin nicht klappen würde, wäre die absolute Pampa angesagt. Ich sagte dann aber noch, dass ich nichts mehr mit den Schweinen arbeiten würde, weil mir von dem Gestank immer schlecht würde, Gartenarbeit ja – aber keine Schweine. Peter sagte dann Horst, er solle das so akzeptieren und mir auch die Möglichkeit geben, die Lehrer zu den abgemachten Zeiten aufzusuchen. Horst sagte das dann auch so zu. Ich war gespannt, ob er das auch einhalten würde. Langsam war die Uhr bis auf 16:00 Uhr vorgerückt und ich sagte, dass ich jetzt zu den Lehrern fahren wollte, weil mir Alfred, so hieß der Mann, noch ein bisschen zeigen wollte, wie man am besten im Internet surft. Da niemand was dagegen hatte, machte ich mich auf den Weg.

Als ich dort ankam, setzte sich Alfred mit mir an den PC und richtete mir zuerst mal eine eigene Emailadresse ein. Wenn ich jetzt den Anderen eine Mail schickte, dann hatten sie automatisch meine Adresse und konnten mir direkt dorthin schreiben. Also schickte ich 5 Emails auf die Reise, zu Jasmin und Tanja, zu Steven und Lukas und eine besonders lange zu Tobias. Ich schrieb ihm, dass wenn Alex nicht wäre, ich mich wohl auch in ihn verliebt hätte und er würde mir schon ein bisschen fehlen. Das schrieb ich, obwohl ich überhaupt nicht wusste, ob Alex noch etwas von mir wissen wollte und ich ja auch gar nicht wusste, ob er sich was aus Jungs machte. Alfred hatte mir gesagt, ich solle jetzt das Kennwort ändern, damit nur ich das Postfach öffnen könne, er wollte nicht, dass ich das Gefühl hätte sie könnten meine Emails lesen.

Nachdem die Stunde rum war, fuhr ich brav zurück in die Pampa und meldete mich bei Karin. Die hatten schon ohne mich gegessen, aber sie hatte mir was aufgehoben und so aß ich dann Abendbrot und setzte mich anschließend unter den Baum. Ich las ein bisschen in der Blöd-Zeitung von gestern, Horst kaufte die jeden Morgen, obwohl die schon vom Vortag war. Später, so gegen 20:00 Uhr ging ich dann schlafen, weil ich ja doch ein bisschen nachzuholen hatte.

Am nächsten Morgen schlief ich bis kurz nach 8:00 Uhr, dann stand ich auf und nach dem Frühstück wollte ich im Garten arbeiten, weil es ja später einfach zu heiß dazu war. Am Spätnachmittag wollte ich ja wieder zu Alfred und seinem PC. Ich schleppte Wasser vom Bach nach oben in den Garten und goss die Gemüsepflanzen alle reichlich. Um 11:00 Uhr, als es begann, richtig heiß zu werden, war ich mit wässern fertig und sogar Horst war mit meiner Leistung zufrieden. Mittags aßen wir nur einen kleinen Imbiss, weil Karin für Abends was Warmes machen wollte. Mittags war es einfach zu heiß zum Arbeiten, 40 Grad im Schatten, das hielt keiner aus und ich legte mich in die Höhle, dort war es nicht ganz so heiß.

Kurz nach 16:00 Uhr machte ich mich auf den Weg zu Alfred und um 17:00 Uhr saß ich vor dem Bildschirm und klickte auf mein Postfach. 4 Mails hatte ich bekommen, aber von Tobias war keine dabei. Die anderen hatten, nachdem sie heute vom Flughafen zurückgekommen waren, gleich ihr Postfach kontrolliert und auf meine Mail geantwortet. Vielleicht hatte Tobias ja zuerst mal seinen Freund aufgesucht und würde erst später seine Emails lesen. Also musste ich mich noch bis morgen gedulden.

Am nächsten Tag war dann eine Mail von ihm dabei und er schrieb noch einmal, dass er mich sehr mochte und nur wegen seinem Freund könnte er mich halt nicht so lieben wie man einen Boyfreund liebt. Er ermunterte mich noch einmal, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und das Beste aus meiner Situation zu machen.

So gingen die Tage ins Land, es klappte ganz gut und es gab nur selten mal einen Streit mit Horst. Auch Karin, und vor allem Peter waren sehr zufrieden und die absolute Pampa war kein Thema mehr.

Nach sechs Wochen schrieb mir Steven, sie hätten vermutlich den Alex gefunden und sie hätten ihm einen Brief geschrieben. Antwort stehe noch aus, aber sie hätten meine Email Adresse mit in den Brief geschrieben und wenn er der Alex wäre, könne er mir ja direkt eine Mail schicken.

Es war der Alex, der einst mein bester Freund war und er schrieb mir am nächsten Tag eine Mail und er freute sich sehr, was von mir zu hören. Er schrieb von seinen Eltern und von der Schule und dass er jetzt eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann machen würde. Aber, und das traf mich tief, er schrieb auch, dass er eine Freundin hätte und dann war das ja mit meinem Wunschgedanken hinfällig. Das ging mir sehr aufs Gemüt und ich war erstmal nicht in der Lage, zu antworten. Ich machte den Rechner aus und fuhr schweigsam und in Gedanken zurück in die Pampa.

Dort ging ich ohne Essen und ohne was zu sagen direkt in meine Höhle und ins Bett und irgendwann kamen dann die Tränen und ich weinte mich in den Schlaf. Nachts träumte ich dann heftig und feucht, aber nicht von Alex, nein, von Tobias. Der Sommer war jetzt schon ein paar Wochen vorbei und es war Anfang November, das heißt, die Zeit des Regens stand bevor. Nach wie vor schrieb und empfing ich täglich E-Mails von allen meinen Freunden und sie freuten sich mit mir, dass es ganz gut lief bei mir. Tobias gegenüber hatte ich Andeutungen gemacht, dass Alex wohl nicht auf Jungs stand und ich gestand ihm auch, dass ich öfter von ihm träumte. Er ging aber nicht darauf ein und antwortete immer ganz normal, eben als ein guter, aber eben nicht als DER Freund.

Weihnachten kam und ging vorbei und plötzlich waren die Mails von Tobias nur noch kurz, nicht sonderlich freundlich und sie kamen auch nicht mehr jeden Tag. Als ich die anderen fragte, was denn mit ihm los sei, bekam ich nur ausweichende Antworten und ich machte mir echt Gedanken. Immer wieder schrieb ich ihm, er solle mir seinen Kummer, falls er einen hätte doch sagen, ich würde ihn so gern trösten und ihm helfen, aber je mehr ich schrieb, um so weniger wurden seine Antworten.

In Deutschland lag jetzt Schnee und hier gab es viel Regen und dann war auch schon Weihnachten. An Weihnachten brach noch mal all der Frust über mich herein, die Sache mit Alex, mit Tobias und meine ganze Situation, ich saß hier fest, während mich Tobias vielleicht dringend brauchte. Es war keine Weihnachten in mir und ich war froh, dass die Feiertage bald vorbei waren.

An Sylvester durften wir dann bis 2:00 Uhr in der Disco feiern und Horst und Karin waren sonst wo eingeladen und holten uns an der Disco ab. Ich hatte, auch aus Frust, etwas zu viel getrunken und es war mir auf der Rückfahrt nicht so gut. Gleich nach der Ankunft verschwand ich in der Höhle und legte mich ins Bett, das Gott sei Dank, keinerlei Drehbewegungen machte. Also schlief ich ein und wurde erst am Neujahrstag gegen Mittag wieder wach. Es regnete draußen leicht und so ging ich nach dem Mittagessen noch ein bisschen ins Bett. Mir war aufgefallen, dass es draußen unverhältnismäßig kalt gewesen war und auch in meiner Höhle war es für portugiesische Verhältnisse sehr kalt. Sollte jetzt wirklich noch der Kamin zum Einsatz kommen? Irgendwann später schlief ich ein und als ich in der Nacht wach wurde, war es schweinekalt und ich fror im Bett. Ich holte noch eine Decke aus dem Schrank und kroch wieder ins Bett.

Als sich am Morgen aufwachte, staunte ich nicht schlecht, Es hatte, und es war immer noch am schneien und es wehte ein heftiger Wind draußen. Auf so ein Wetter ist man hier nicht gefasst und auch nicht vorbereitet und nachdem ich mich zitternd so warm wie möglich angezogen hatte lief ich nach vorn. In der Küche saßen die anderen und frühstückten und ich machte gleich mit. Horst sagte, dass wir vorerst nicht aus dem Tal heraus könnten, weil sie mit dem Auto den Stich zum Hang wohl nicht hoch kommen würden. Er meinte aber auch gleich, dass der Schnee wohl nicht lange anhalten würde, aber das müsse sich wohl erstmal zeigen. Sie schalteten das Fernsehen ein, aber durch das Schneetreiben war fast nichts auf dem Bildschirm zu erkennen. Also musste das Radio die wichtigen Neuigkeiten bringen und wir hörten, dass über ganz Südeuropa der Winter in heftiger Form hereingebrochen war und das wohl 2 bis 3 Tage dauern könne.

Na Bravo, das konnte ja heiter werden, solange hier eingesperrt und keine Verbindung zur Außenwelt, das war ja mal was ganz neues. Wir mussten uns dann um Brennmaterial für die Kamine kümmern, wenn wir nicht frieren wollten. Also, noch dicker anziehen und Holz holen. Das lag in einem Unterstand hinten am Schweinestall und das war bei diesem Wetter ganz schön weit.

Zwei Tage kämpften wir mit der weißen „Pracht“ und mit der Kälte, dann stiegen die Temperaturen wieder an und es begann zu tauen – Gott sei Dank, der „Spaß“ hatte ein Ende.

Das Thermometer stieg wieder auf 9 Grad, und am nächsten Tag auf 11 Grad und es regnete auch zwei Tage gar nicht, so dass man wieder ins Freie konnte. Das bedeutete auch wieder Internet, und auch Peter hatte sich zu einem Besuch angekündigt.

Am meisten war ich aber überrascht, dass Tobias das erste Mal seit langem eine Email geschrieben hatte. Er bat mich um Entschuldigung, dass er nur selten und kurz gemailt habe, aber er habe sehr viele Probleme zu bewältigen gehabt. Seine Eltern hätten sich getrennt und, was noch schlimmer wäre, sein Freund ist sehr krank geworden und die Ärzte machten ihm wenig Hoffnung, dass er je wieder gesund würde. Er war sehr traurig und er war froh, dass die anderen ihm so beistehen würden. Er hatte sie gebeten, mir nichts davon zu schreiben, um mich nicht runter zu ziehen und er wäre immer froh gewesen, wenn sie ihm von meinen Fortschritten berichtet hätten.

Der Januar ging ins Land und der Februar kam und mit ihm weniger Regen und laue 15 Grad. Tobias Mails wurden trauriger und kürzer und auch wieder seltener und ich hatte Sehnsucht nach ihm, wollte in tröstend in den Arm nehmen. Die Arbeit im Garten begann wieder und Horst hatte mal wieder seine Trinkattacken. Die Stimmungen gingen gefährlich in den Keller und auch ich war seit langem wieder stark reizbar und immer schlecht gelaunt. Peter hatte mir mitgeteilt, dass ich zwei Wochen nach Ostern nach Deutschland zurück fliegen würde. Christian Fuchs würde mich abholen und mit dem Jugendamt in Düsseldorf müssten wir festlegen, wie es weitergehen sollte. Ich wollte mit denen aber nichts mehr zu tun haben, ich wollte zu Tobias, koste es was es wollte. Ich wusste für mich schon längst, dass ich mit ihm und nur mit ihm leben wollte. Ich wollte ihn trösten und ihm Kraft und Halt geben.

An Ostern, genau am Ostersonntag, würde ich volljährig werden und dann konnte ich über mich selbst bestimmen und brauchte niemand mehr zu fragen. Tobias schrieb schon seit einigen Tagen keine Mails mehr und auch die Mails der anderen waren kürzer als sonst. Meine Stimmung war schlecht und das erste Mal seit langem blieb ich eine Nacht weg, weil mich Horst angetrunken niedergemacht hattet, wie vor 10 Monaten. Es waren noch zwei Wochen bis Ostern und ich war regelrecht depressiv und unzufrieden. Die Tage schleppten sich dahin, und zu allem Überfluss hatte der Rechner von Alfred den Geist aufgegeben. Kein Internet, Horst auf dem Trip und viel Gartenarbeit. Ich war kurz davor wegzulaufen und nach SAGRES zu fahren.

Zum Eklat kam es dann am Ostersamstagnachmittag, Horst war gut angeschickert und schikanierte mich bereits seit mehreren Stunden. Selbst Karin hatte schon mit ihm gemault, was ihn wohl noch mehr ärgerte. Jedenfalls, als ich ihm sagte, dass ich für Heute genug von seinen Attacken hätte, rutschte ihm die Hand aus und er schlug mir ins Gesicht. Ich war erstaunt, entsetzt, wütend und verletzt, alles in einem und anstatt zurück zuhauen, ging ich wortlos in die Höhle und holte meine Rucksack, mein Geld und eine Weste, nahm mein Fahrrad und machte mich vom Acker. Wütend fuhr ich Richtung Stadt und schaukelte mich in Gedanken immer mehr hoch. Am Marktplatz angekommen, schloss ich mein Rad an und ging in die Disco und holte mir ein Bier und einen Tequilla. Es war normal nicht meine Art, Schnaps zu trinken, aber jetzt war mir danach und ich wollte mich heute Abend in meinen Geburtstag hinein saufen. Wieder mal Ostern und endlich 18 und doch nur Scheiße, Scheiße und noch mal Scheiße.

Irgendwann war ich dann stark angetrunken und hatte den Moralischen. Ich fand mich draußen auf der Bank wieder und war zu wie eine Handbremse. Ich legte mich auf die Bank und fing an zu schlafen, das muss so ungefähr drei Uhr gewesen sein.

Als ich wach wurde, war es längst hell und dir Glocken läuteten zur Ostermesse. Mir war übel und mein Kopf brummte und jetzt, just in diesem Moment fiel mir die rote Pille aus „MATRIX“ ein und wie ein Film lief es vor meinen Augen ab. Ich musste würgen vor Ekel und ich fluchte vor mich hin. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass ein Auto hielt und jemand ausstieg. Ich sah alles verschwommen und bemerkte, wie eine Person auf mich zukam. Ich strengte meine Augen an und glaubte die Person zu kennen. Jetzt krieg ich auch noch Hallus, dachte ich und wollte mich erheben und fortlaufen. Aber die Person hatte mich erreicht und griff in die Tasche und zog, nein, nicht die rote Pille, sondern ein Taschentuch hervor und putzte sich dicke Tränen aus dem Gesicht. „Gideon“, sagte eine Stimme: „Gideon, ich bin’s, Tobias! Ich will dich hier raus holen, du musst mit mir kommen. Ich brauche dich, mehr als alles andere auf der Welt.“

Er nahm mich in den Arm drückte mich weinend an sich und wuschelte meine Haare durcheinander. Mir war schwindelig und ich meinte immer noch, das wäre ein Traum oder wirklich die Matrix. Ich streckte meine Hände aus und befühlte ihn, meine Augen wurden klarer und ich stammelte: „Tobias? Bist du wirklich Tobias und du bist wegen mir gekommen? Ich kann das nicht fassen und ich weiß echt nicht, ob ich hier nicht träume. Kneif mich in die Backe, damit ich weiß, dass du echt bist“, sagte ich und auch mir trieb jetzt die Anspannung die Tränen in die Augen.

Zärtlich und doch deutlich spürbar kniff er in meine Wange und ich begann zu begreifen, was hier passierte. Er, Tobias war zu mir gekommen, wollte mich holen und es fiel mir auch ganz heiß ein, was das bedeutete. Ich zog ihm herunter neben mich auf die Bank, sah ihm in die Augen und fragte: „ Dein Freund ist…?“ Er nickte und weinte erneut und ich nahm ihn in den Arm. Ich drückte ihn fest an mich und streichelte seine Haare und seine Wangen.

Mit meinen Lippen küsste ich seine Tränen weg, die sich mit meinen vermischten. Als er sich ein wenig gefangen hatte, sagte er: „An dem Tag, als keine Emails mehr kamen ist er in meine Armen gestorben. Ich musste ihm versprechen, nach Portugal zu fliegen, um dich zu holen und er wollte, dass wir zusammen sind und glücklich werden. Ich habe es ihm versprochen und bitte dich, mit mir nach Deutschland zurück zu kommen. Ich brauche dich jetzt und irgendwann später kann ich dich bestimmt genau so lieben, wie ich ihn geliebt habe. Bitte komm mit und bleib bei mir.“

„Liebster Tobias“, antworte ich, sein Haar streichelnd und tief in seine dunklen Augen schauend, „es gibt nichts auf dieser Welt, was ich lieber tun würde als mit dir zu kommen und bei dir zu sein. Ich will dir Trost spenden, denn ich liebe dich mehr, als alles andere auf der Welt. In deiner Nähe zu sein, ist für mich das größte Glück.“

Nachdem wir uns eine zeitlang festgehalten hatten, putzte er zuerst meine und dann seine Tränen ab und sagte. „Komm, lass uns fahren und deine Sachen holen, ich habe in FARO ein Zimmer gemietet und am Dienstagmorgen geht unser Flieger nach München. Steven und Lukas kommen uns dort abholen und dann fahren wir zu mir. Meine Eltern möchten dich gerne kennen lernen und ein Zimmer ist auch für dich frei.“ Ich rappelte mich auf und wir gingen gemeinsam zum Auto und ich erklärte ihm, wie er fahren musste.

Als wir in der Pampa ankamen, war natürlich niemand da, alle waren in der Kirche und so packte ich meine Sachen und wir fuhren zurück, nicht ohne einen Zettel mit folgendem Inhalt zurück zu lassen. „Hallo, Familie Augustin! Heute bin ich 18 Jahre alt geworden und volljährig. Mein zukünftiger Schatz ist extra nach Portugal gekommen, um mich zu holen. Ich habe meine Sachen mitgenommen, und ich denke, für alles, was ich hier bekommen habe, habe ich genügend Arbeit geleistet, sodass ich euch keinen Dank schulde. Ich hoffe, dass man es keinem Jugendlichen mehr zumutet, sich ein Jahr lang von einem frustrierten Trinker schikanieren zu lassen. Lebt wohl und sagt Peter Bescheid, dass mir mein Schatz bereits ein Ticket in die Heimat besorgt hat. Lebt wohl!!“

Auch bei Alfred und seiner Frau legten wir einen Zettel hin und ich bedankte mich bei beiden mit lieben Worten für alles Gute, das sie für mich getan hatten. Ich schrieb ihm noch das Passwort auf, damit er das Mail-Konto löschen konnte. Dann ging es endlich los. Als wir den Ortsausgang hinter uns hatten, bat ich Tobias, noch einmal nach SAGRES zu fahren. „Ich möchte noch einmal an der Stelle stehen, an der du mich so intensiv beobachtet hast und du sollst mich ansehen und mir dann sagen, was du in meinen Augen siehst.“ Zum ersten Mal seit unserem Wiedersehen lächelte er ein bisschen und dann bog er rechts ab auf die Straße, die uns nach Süden führte.

An der Festung angekommen, suchte ich die Stelle auf, an der sich damals die Selbstmordgedanken in mein Hirn geschlichen hatten und die Tobias damals dort gelesen hatte. Diesmal war es Glück, Freude und eine tiefe Liebe, die ihn aus meinen Augen anstrahlten und er nahm mich in den Arm und sagte: „Dieser Blick allein war schon den Weg hierher wert und ich bin froh, dass ich hier her geflogen bin, um das zu sehen.“

Wir verblieben noch eine kleine Weile dort und hielten uns gegenseitig im Arm. „Komm, lass uns aufbrechen“, sagte ich und wir gingen zum Wagen. Gut zwei Stunden später waren wir in FARO und nachdem wir den Leihwagen abgegeben hatten, brachte mich Tobias in unser Hotelzimmer. Dort duschte ich zuerst mal, zog frische Wäsche und andere Kleider an und dann gingen wir beide ins Hotelrestaurant zum Essen. Nach dem Essen legten wir uns aufs Bett, ich kuschelte mich an ihn und dann schliefen wir ein bisschen. Ich träumte von der Matrix. Tobias war der Mann, der die Pille bringen sollte und diese war so groß, dass ich sie fast nicht in den Mund bekam. Er sagte dann im Traum zu mir, je größer die Pille sei, umso größer wäre später das Glück desjenigen, der sie genommen hätte. Da schaffte ich es locker, sie in meinem Mund verschwinden zu lassen.

Der Abend und der nächste Tag vergingen wie im Flug und wir kauften in FARO noch ein paar neue Klamotten für mich. Am Dienstag brachte uns dann ein Taxi zum Flughafen und um 10:30 waren wir glücklich in der Luft, Kurs Deutschland, Zielort München.

Vielleicht werde ich euch ja mal später erzählen, wie es weitergegangen ist. Das ist dann aber eine andere Geschichte.

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