Luka
Ich konnte die ganze Nacht kaum schlafen. Dominik, dieser Wahnsinnige, hatte mich beinahe in eine gewaltige Katastrophe manövriert. Ich erzählte meiner Mutter, dass an der Schule ein paar Homos Ärger hätten. Ihre einzige Reaktion bestand aus einem verständnislosen Blick und der Ermahnung, meine Worte besser zu wählen. Ich solle nicht so intolerant sein.
Trotzdem traute ich mich nicht, ihr über mich die Wahrheit zu erzählen. Das Beispiel von Peter machte mir Angst. Dominik verabschiedete sich kurz darauf, aber nicht ohne zu erwähnen, dass ich eine gute Gelegenheit verpasst hatte.
Meine Eltern verließen früh das Haus und ich verschlief gnadenlos. Die Schule erreichte ich in der Pause zur zweiten Stunde und ergatterte noch einen Parkplatz. Ein wahrer Tumult herrschte auf dem Pausenhof. Inmitten der Massen sah ich Alex, Guido und Hendrik. Linda stand etwas abseits bei Josh und dem Referendar, also dem Freund. Direktor Baumann hatte sich zu ihnen gesellt und sprach mit ein paar Schülern. An der Tür prangte ein Plakat, Alex hatte Nägel mit Köpfen gemacht und uns den Namen ‚Out Now!‘ verpasst. Mir war es, seltsamerweise, egal.
Hendrik sah mich und bahnte sich einen Weg durch die Massen.
„Luka, ich bin so froh dass du hier bist. Hier ist heute der Teufel los, die erste Stunde ist geplatzt. Der Warnebrink ist heute geschnappt worden, weil er Josh erpresst hat. Der Arsch hat die halbe Schule zusammen gebrüllt. ‚Dietz vögelt Josh‘ und Schlimmeres. Luka, kaum einer hat was dagegen, alles ist total cool. Wir könnten…“
„Hendrik, nichts überstürzen. Ich wusste von der Erpressung. Dominik hat es mir gestern erzählt. Aber ich bin noch nicht bereit dazu.“
„Dominik, dein Ex? Du siehst ihn noch?“ Hendrik wirkte auf einmal so traurig.
„Hey, wir sind nur Freunde. Er hat es von Alex und Peter erfahren und kam gestern noch zu mir heim.“
„Okay.“ Mehr sagte er nicht, zog sich aber wieder zur Gruppe zurück. Die Halbwahrheit von gerade nagte an meinem Gewissen. Natürlich waren wir Freunde, aber ich konnte ihm einfach nicht sagen, dass Domi mich meistens ziemlich anmachte, rein körperlich. Ich fasste einen Entschluss.
„Hendrik“, rief ich, aber er hörte mich nicht bei dem allgemeinen Lärm. Also bahnte ich mir einen Weg durch die Menge und stand kurz darauf bei der Band.
„Leute, ich muss euch was sagen“, fing ich an. Die anderen schauten mich erwartungsvoll an und mir blieben die weiteren Worte im Hals stecken. Hendrik drehte sich traurig zur Seite.
„Hendrik… Kleiner, komm mal bitte her.“ Drei Augenpaare sahen mich irritiert an und eins davon fing an zu strahlen. Mein Freund kam langsam auf mich zu, schaute mir tief in die Augen und ich küsste ihn, vor allen anderen. Seine Arme schlangen sich fest um mich und er flüsterte ein leises ‚Danke‘.
„’Out Now!‘ also? Okay, wir sind dabei.“
Alex war nicht überrascht, dank Dominik, und grinste, aber Guido fiel die Kinnlade herunter. Dann verdunkelte sich sein Blick und er verschwand ohne ein weiteres Wort. Hatte ich einen meiner ältesten Freunde verloren?
Peter
So langsam kotzte mich die Krankschreibung richtig an. Alex‘ Mutter wuselte und gluckte um mich herum. Ihr Sohn und Domi waren in der Schule und überließen mich meiner Langeweile. Doro verließ das Haus, um noch ein paar Einkäufe zu erledigen.
Nach langen Wochen der Enthaltsamkeit, beschloss ich, dem ‚kleinen Peter‘ etwas Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und verzog mich in mein Bett. Ich griff etwas umständlich in meine Shorts und stellte mir mein Lieblingsbild vor, üblicherweise war das Joshua, wie damals in der Umkleide nach dem Schwimmen. Doch dieses Bild verschwamm vor meinem inneren Auge. Josh wurde zusehends kleiner, die schwarzen Haare wurden hellbraun und die grünen Augen immer blauer. Es war Dominik. In Gedanken lächelte er mir zu und meine Hand wurde feucht. Die Nachbeben schüttelten mich noch kräftig durch. Der Atem beruhigte sich nur langsam wieder und kurz darauf musste ich lachen.
Josh war also überstanden. Meine Finger glitten über meinen glitschigen Bauch und ich erinnerte mich an das weiche Gefühl, welches seine Bauchdecke auf meinen Kuppen hinterlassen hatte. Das Kitzeln seines dünnen Flaums und die harten Bauchmuskeln, die sich unter der zarten Haut bewegten.
Ich war relativ schnell bereit für eine zweite Runde, hörte dann aber Doros Auto vorfahren. Damit war die Aktion erstmal verschoben. Ich reinigte meinen Bauch mit ein paar feuchten Tüchern und wusch mir die Hände. Alex´ Mum schleppte sich gerade mit den Einkäufen ab und ich half ihr. Sie sah mich merkwürdig an und fing an zu lächeln.
„Du strahlst ja so, ist was passiert?“
Ich musste leicht kichern und kam mir fast schon etwas albern vor. „Nee, ist alles okay, ich musste gerade nur an Dominik denken.“
„Du magst ihn ziemlich, oder?“
„Vielleicht sogar mehr als das“, erwiderte ich leise.
„Die Grüner-Jungs haben was, finde ich“, lächelte sie zurück.
Sie hatte sich scheinbar wirklich in den Polizisten verguckt. Das könnte ja noch heiter werden.
„Domis neuer Look sieht echt toll aus.“
Doro nickte bedächtig. „Es spricht für eine positive Veränderung in ihm, dass er nun nicht mehr durch sein auffälliges Äußeres nach Aufmerksamkeit sucht.“
Ich musste sie wohl komisch angeguckt haben, weil sie zu einer entschuldigenden Antwort ansetzte.
„Tut mir Leid, dass ist die Berufskrankheit.“ Sie lachte kurz auf.
„Jedenfalls, ich glaube er gefällt mir.“ Um dem Einwand zuvor zu kommen, der da gerade in ihren Augen lag, ergänzte ich: „“Natürlich muss ich den wahren Domi noch kennen lernen. Es sind ja erst ein paar Tage.“
Doro nickte bestätigend. „Richtig, überstürze nichts und verrenne dich nicht. Manfred sagt ja auch, dass sein Sohn etwas schwierig ist.“
„Na davon werde ich mich lieber selbst überzeugen.“
Florian
Die Resonanz auf die Aktion war überwältigend. Das Outing von Luka und seinem Freund hatte der ganzen Sache noch frischen Wind eingehaucht und ein positives Zeichen gesetzt. Josh und ich standen nun nicht mehr als die Exoten da. Zudem hatte es noch drei weitere Schüler aus den Klassen neun bis elf ermutigt, darunter auch ein Mädel.
Mit ein paar dummen Kommentaren war natürlich zu rechnen und wir wurden nicht enttäuscht. Doch es hielt sich in Grenzen, unser Direktor lud den ein oder anderen zum persönlichen Gespräch.
Ich wollte mich gerade mit Josh ein wenig absetzen, als mir jemand auf die Schulter klopfte.
„Hallo Lieblingspatient!“ Ein grinsender Jens stand hinter mir.
„Hallo Lieblingszivi!“ Ich fiel ihm zur Begrüßung um den Hals. Auch mein Schatz umarmte ihn, allerdings weit weniger stürmisch. Ich fand ihn in solchen Situationen besonders niedlich, wenn er sich so schüchtern verhielt.
„Ihr seid also für den Trubel hier verantwortlich? Soviel zum Thema ‚unauffällig‘.“ Der tadelnde Unterton wurde durch die belustigt zuckenden Mundwinkel stark abgeschwächt.
„Ja, da sagst du was. Wer hätte ahnen können, dass so eine kleine Ratte versucht uns zu erpressen. Aber was machst du denn hier?“
„Euer Direktor hat mich angerufen. Ich hab über das Krankenhaus den Kontakt zur Aidshilfe aufgebaut und wir haben eine Beratungsstelle eingerichtet. Jetzt gibt es zweimal in der Woche eine Sprechstunde und natürlich auch anonyme Tests. Jedenfalls hab ich heute ein paar Kartons mit Infoflyern vorbei gebracht.“
„Und wie geht es euch?“
„Soweit ganz gut. Peer ist momentan Gast im Krankenhaus. Er ist vor kurzem beim Schlittschuhlaufen gestürzt und mit dem Kopf gegen die Bande geknallt. Aber dem Dickschädel ist nichts passiert, nur eine mittlere Gehirnerschütterung. Dafür hält er uns gut auf Trab.“
„Dann wünsche ihm doch noch gute Besserung. Zumindest waren es diesmal keine Inliner. Mit denen ist er damals auch ziemlich fies gefallen. Dem Kopf war zwar nichts passiert, aber er hatte den Arm fast über die komplette Länge aufgescheuert. In der Zeit hätte ich ihn töten können, hat mich herumkommandiert und wehe ich hab nicht gehört, dann fing er an zu jammern, es täte ja so furchtbar weh.“
Jens lachte. „Ja, das klingt jetzt sehr vertraut. So, ich muss leider wieder weiter. Wir können die Tage telefonieren und uns abends mal zum gemütlichen Essen treffen, okay?“
Josh war einverstanden und Jens machte sich auf den Weg zur Arbeit.
Dominik
Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg zum Internat. Simon so auffliegen zu sehen hatte mir echt Spaß gemacht. Und Josh war wirklich ein Schnuckel erster Güte. Aber bei dem brauchte nicht einmal ich einen Versuch zu starten, er hatte nur Blicke für seinen Referendar. Das war wirklich beneidenswert. Schade war nur, dass Luka sich so dermaßen quer stellte. Es war zwar seine Sache, aber er hätte eine große Unterstützung sein können.
Ich befürchtete schon zeitweise, dass er sich irgendwann irgendeine Tussi zur Frau nehmen würde, nur damit er nicht zu sich stehen muss. Wie er bei der aber einen hochbekommen würde, das wäre mir schleierhaft. Vielleicht würde er kurz vor der Hochzeit ja noch nach einem Nacktbild von mir fragen, damit er es neben das Kopfkissen legen könnte.
Meine Gedanken ließen mich laut auflachen.
„Schön, dass wenigstens du lachen kannst. Was bist du eigentlich für ein Arschloch?“
Die Stimme jagte mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken. Fabian.
„Arschloch? Ich? Wer hat denn hier wen ständig betrogen.“ Meine gute Laune war schlagartig weg.
„Und was ist das für ein Zettel am schwarzen Brett? ‚Fabian du Schlampe, es ist aus. Ciao Domi‘!“
„Ach, du meinst den kleinen Liebesbrief. Das ist doch schon verjährt. Dabei fällt mir ein, ich hab dich die letzten Tage nicht im Internat gesehen.“
Er wirkte nun doch eher ziemlich traurig. „Ich war daheim, die Trennung von dir hat mir irgendwie zugesetzt.“
„Armer Fabian. Zugesetzt hat es dir also? Das wollte ich nicht. Dir hätte dein verfickter Schwanz abfaulen sollen, du miese Kröte.“
Mit diesen Worten ließ ich meinen lieben Ex stehen und marschierte die letzten Meter durch das Internatstor. Mit der angekratzten Stimmung machte der Unterricht noch weniger Spaß als üblich und ich langweilte mich. Damit war es jedoch vorbei, als mein Handy stumm vibrierte. Eine SMS von meinem anderen Ex füllte nun den Speicher ‚Ich hab es getan. Gruß Luka‚.
Spontan fielen mir meine Gedanken von vorhin ein und ich antwortete ‚Herzlichen Glückwunsch! Wie heißt sie und wann heiratet ihr?‚ Ich drückte auf Senden und kicherte vor mich hin.
Kurz darauf empfing mein Handy ein verwirrtes ‚Häh? Ich hab mich geoutet, du Depp. Die ganze Schule weiß es jetzt. Wir reden nachher, hdl Luka‚. Das überraschte mich doch ziemlich.
Dementsprechend fiel auch meine Antwort aus. ‚Wow. Dass ich das noch erleben darf. Du hast doch nicht nur nen Schwanz in der Hose sondern auch noch Eier *g* Hdal, Domi.‚
Ich fand es schon ein wenig schade, dass er es erst jetzt tat und nicht schon zu unserer Zeit, denn damit war ich damals nicht gut zurecht gekommen. Aber unser Scheitern lag hauptsächlich an mir und meiner, bisher ziemlich verkorksten, Art. Bei Peter würde das anders werden. Es war schon komisch, dass ich mir eine gemeinsame Zeit mit ihm vorstellte. Hatte er sich überhaupt in mich verguckt, oder war er wegen meiner direkten Art so verwirrt?
Eine weitere SMS unterbrach diese Gedanken. ‚Ich muss noch was klären, sehen wir uns morgen nach der Schule? Luka‚. Ich tippte schnell ein ‚Ok, ich warte ab 15 Uhr im Café.‘ zurück.
Der restliche Tag verlief ereignislos. Ein paar Termine für Hausaufgaben standen an und ich kümmerte mich bis zum späten Abend darum, schaufelte währenddessen tafelweise Schokolade in mich hinein.
Irgendwann saß ich vor dem Fernseher und wartete auf Dad. Mir war richtig schlecht von dem Süßkram, wie neulich schon, nach dem Besuch bei Alex, und es ging rapide auf 21 Uhr zu. Ich kuschelte mein Gesicht in die Lehne der Couch und schlief kurzfristig ein. Erst eine laute Stimme weckte mich auf.
„Wer bist du und wo ist mein Sohn?“
„Dad, schrei bitte etwas leiser, ich hab Bauchweh“, grummelte ich.
„Dominik?“
Mir fiel meine kleine Veränderung wieder ein und grinste müde.
„Ich brauch wohl bald ein Namensschild, keiner erkennt mich. Und, gefällt es dir?“
Mein Paps lächelte. „Sieht toll aus. Ich bin nur etwas überrascht. Wie kommt’s?“
Ich erzählte ihm von den letzten Tagen und dass ich mich für Peter ein wenig verändern wollte. Von dem Gespräch mit Luka über Mum sagte ich erstmal nichts. Stattdessen ging ich auf ihn zu und umarmte ihn fest. „Dad, ich liebe dich.“
Er erwiderte die Umarmung ganz fest und eine Träne stahl sich in sein Auge.
„Ich dich auch, Sohnemann.“
Alex
Der Schultag war total abgefahren. Unser Unterricht fiel komplett aus und der Baumann hielt mit ein paar Kollegen Sprechgruppen ab. Linda erzählte mir später davon, es ging überwiegend um Aufklärung zu Gesundheitsfragen. Sie war schockiert, wie viele von unseren älteren Mitschülern noch mit dem ‚Alle Schwule haben Aids‘-Vorurteil zu kämpfen hatten.
Wir, die Band, standen auch einigen Schülern Rede und Antwort. Nach Domis Andeutungen hatte ich Hendrik zwar im Visier, doch dass er mit Luka zusammen war, überraschte mich erst. Guido war nach dem Outing zwar verschwunden, was ich in der jetzigen Situation überhaupt nicht toll fand, aber er informierte mich per SMS, dass er nach Hause gegangen sei.
„War das Guido?“ Luka hatte sich neben mich gestellt. Er wirkte auch ziemlich unglücklich darüber, die beiden waren quasi seit dem Kindergarten dicke Freunde.
„Ja, er ist nach Hause gegangen.“
„Alex, du… also ich denke ja, du hast kein Problem damit, oder?“
Statt einer Antwort umarmte ich ihn und klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und er lächelte dankbar.
„Kommst du mit zu ihm? Ich möchte mit ihm reden, trau mich aber nicht alleine dahin.“
„Kein Thema. Ich suche nur eben schnell Linda und gebe ihr Bescheid.“
Luka blieb bei Hendrik und ich machte mich auf den Weg. Linda stand noch immer bei Josh und der Direx war auch bei ihnen.
„Herr Baumann, ich muss mit Luka zu Guido, es geht um die Sache auf dem Schulhof. Dürfen wir gehen?“
„Eine gute Idee, Alexander. Ich freue mich, dass du dich hier so mit einsetzt. Du hast dich wirklich sehr verändert.“
Meine Freundin lächelte mich bei seinen Worten an und ich strahlte zurück. „Lange Geschichte, Herr Direktor. Wir sind dann mal weg.“
Linda küsste mich noch zum Abschied und auch Josh nahm mich kurz in den Arm. „Danke, Kumpel. Du bist echt ein toller Freund.“
Meine Freundin kicherte kurz, während mir die Hitze ins Gesicht kroch und ich rot wurde.