23. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

Ich stand geschockt da, zu keiner Regung fähig.

„Hi… alles klar mit dir?“

Es war Kai und legte seine Arme um mich.

„Nein, ist es nicht.“

„Ist was passiert… mit deinen Eltern?“

„Nein…, da ist alles gut gelaufen… habe ihnen erzählt, dass ich schwul bin und… und das ich mich verliebt habe…“

„Etwas viel auf einmal und sie haben alles gut aufgenommen?“

„Ja, klar. Na gut, so klar war es mir nicht, auch überrascht, aber schön trotzdem.“

„Und was ist dann schlimmes passiert?“

„Gerrit ist passiert.“

„Gerrit?

„Ja Gerrit, er hat mir gerade offenbart, dass er sich in mich verliebt hat.

„Oh… heftig… ist er deswegen gestern hinaus gerannt?“

„Ja…“

„Krass!“

„Das stimmt.“

„Und was machen WIR jetzt?“

Ich wusste genau was ich tat. Ich rannte zu Jonas hoch und klopfte wie wild an der Tür. Die wurde auch wenige Sekunden später aufgerissen.

„Hallo Jonas, wo brennt es denn?“

Er stand nur in Jeans bekleidet und ich musste kräftig schlucken, weil ich so einen perfekten Oberkörper noch nie gesehen hatte.

„Danke für das Kompliment, Jens. Bekomme ich selten zu hören. Sorry, wollte nicht in deinen Gedanken lesen.“

Das Rot schoss ins Gesicht und verschämt schaute ich zu Boden.

„He schon in Ordnung, ich höre so was auch gerne. Was ist passiert, du wolltest doch etwas von mir.“

„Gerrit…, kannst du Gerrit helfen?“

„Warum soll ich ihm helfen.“

„Er ist hoffnungslos in mich verknallt.“

„Oh…, da kann man nicht helfen.“

„Nicht?“, fragte ich verwundert.

„Nein Jens. Gegen Liebe kann man nichts tun. Aber vielleicht hilft dir ein Spruch von einem alten weisen Mann, das Liebe die nicht erwidert wird, zum Herz zurückläuft und Trost spendet.“

Ich wusste nicht, was ich von diesen Worten halten sollte.

„Zudem habe ich dir schon gesagt, dass Gerrit sein Glück finden wird, er hat es bloß noch nicht gesehen, obwohl es seit er hier zur Schule geht täglich sieht.“

„Ich denke, du willst und kannst da nicht mehr verraten oder tun?“

Jonas schüttelte seinen Kopf.

„Ach da steckst du… du ich meinte das Ernst, mit dem WIR und du rennst einfach weg.“

Kai.

„Entschuldige, mir war da etwas eingefallen… was aber nicht spruchreif war, deshalb wollte ich erst alleine fragen“, erwiderte ich und nahm ihn in den Arm.

„Ist er nicht süß?“, sprach Kai zu Jonas, „da kann man nicht mal böse sein.“

Jonas lächelte.

„Wenn ihr mich nicht mehr braucht, verschwinde ich wieder in mein Zimmer.“

Wir nickten und schon war er verschwunden.

„Was wolltest du von Jonas?“

„Ihn um Hilfe bitten…“

„Jonas mag zwar ein Engel sein, was das Helfen betrifft, aber alles kann er sicher nicht.“

Wenn du wüsstest, wie Recht du hattest… ein Engel.

*-*-*

Wegen der guten Schneeverhältnisse viel am Samstag der Kochclub aus, denn es waren zu viele, die das prächtige Weiß auskosten wollten. Kai war auch so ein Schneefreak. Am kleinen Hang hinter dem Haus, düste er fortwährend mit seinem Snowboard hinunter.

Ich hatte es wenigstens fertig gebracht, dass Gerrit nicht mehr weglief. Bei ihm eingehakt, liefen wir in Sichtweite des Hügels spazieren. Immer wieder schaute ich hinüber, weil die Schneefanatiker laut aufjubelten.

Am Ende des Hügels war eine kleine Rampe aus Schnee errichtet worden. Da folgen in Minutenabständen die Snowboarder drüber.

„Wer ist das, im hellblauen Skianzug?“, fragte ich Gerrit, als wir stehen geblieben waren.

„Der ist eine Klasse über uns heißt Frank.“

„Der springt find ich am Besten von allen.“

„Keine Kunst, der kommt auch aus ein Alpen… hat Heimvorteil.“

„Der macht eine gute Figur in seinem Schneeanzug.“

„Der macht nicht nur, der hat einen Körper wie ein Gott.“

„Du bist gut informiert.“

„Nein, meine Brille ist sauber ich sehe besser.“

Ich konnte nicht anders und musste kichern. Dies schien Gerrit anzustiften mit zu kichern.

„So gefällst du mir schon viel besser. Und wäre dieses Jüngelchen nichts für dich.“

„Frank?“

„Ja, voraus gesetzt er ist schwul!“

„Eine Freundin hat er keine und ich habe ihn auch noch nie mit einer gesehen, obwohl ihm die halbe Schule nachrennt.“

Kai sprang über den Hügel und preschte anschließend scharf an uns heran, was uns eine Ladung Schnee einbrachte.

„He Jens, willst du es nicht auch einmal versuchen?“

„Ich? Nein, dann kannst mich gleich in Schnee wälzen und ich geh dann als Schneemann durch.“

Wieder kicherte Gerrit neben mir.

„Bin da total unbegabt.“

Ich sah, wie dieser Frank nun auch über die Rampe sprang und sein Board zu uns auslaufen ließ.

„He Kai, zeigst du schon Müdigkeit… Pause gibt es nicht!“, rief er meinem Schatz zu.

„Nein, ich versuchte gerade meinen Freund hier zum Snowboarden zu überreden.“

„Erfolgreich?“

„Nein, leider nicht. Er ziert sich.“

Frank kam nun endlich bei uns zu stehen.

„Welcher der beiden ist denn dein Herzallerliebster?“

Nanu, der war ja bestens informiert.“

„Der Mümmelmann in rot, der zitternd da steht.“

Mümmelmann? Nur weil ich meine dicke rote Jacke anhatte? Ich konnte nicht anders und schupste Kai, der immer noch an seinem Board angeschnallt vor mir stand. Das Resultat… er lag Sekunden später im Schnee.

So schnell konnte ich aber gar nicht schauen, wie Kai sich vorbeugte, nach mir griff und ich neben ihm im Schnee landete. Als Entschädigung wurde ich aber gleich geküsst.

„Hört auf, da kann man ja richtig neidisch werden!“, hörte ich Frank sagen.

„Es gibt noch genug an der Schule, die geküsst werden möchten!“, gab mein Kai von sich und rappelte sich wieder auf.

Ich tat es ihm gleich.

„Du weißt ganz genau, dass ich mich mit so etwas schwer tu, so tolle Menschenkenntnisse wie du habe ich nicht“, erwiderte Frank, der wie Kai auch sein Board abschnallte.

„Vielleicht solltest du dich ehr mal mit deinen Mitmenschen befassen. Stattdessen sieht man dich nur bei einer deiner vielen Sportarten und gibst dich hier als Unsensibelchen.“

Frank seufzte und Gerrit neben mir ebenfalls.

„Kai, du kennst mich und weißt, dass ich an der Zickenriege keinerlei Interesse habe und bei meinen Menschenkenntnisse habe ich die Chance, einen süßen Typen hier kennen zu lernen?“

Stimmt ja, Fine sagte mir zu Anfang, ich wäre nicht der einzige Schwule hier. Sie sagte von mindestens vier anderen etwas. Aber woher wusste Frank und Kai von einander Bescheid. Kai schien meine Frage regelrecht von meiner Stirn ablesen zu können.

„Frank war vor Fine Schülersprecher und hat versucht sich um mich zu kümmern, als ich hier das erste Mal ankam.“

„Das war gar nicht so einfach“, ergänzte Frank.

„Obwohl Frank behauptet, er hat keine Menschenkenntnisse, bemerkte er damals sofort, dass mit mir etwas nicht stimmte.“

„Und ich musste lange bohren, bis Kai mir endlich sagte, was los ist.“

„Du hast ihm die ganze Geschichte erzählt?“, fragte ich verblüfft, wo er doch erst das Gegenteil behauptete.

Kai schüttelte den Kopf.

„Die ganze Geschichte?“, fragte nun Frank neugierig.

„Nein nur ansatzweise…, nur du kennst alles. Frank weiß nur dass ich schwul bin und starke Probleme zu Hause hatte. Da offenbarte er sich mir auch als schwul… das ist alles.“

„Mich würde jetzt interessieren was Jens damit gemeint hat… ganze Geschichte“, hakte Frank nach.

„Frank bitte… ein andermal, okay?“

Frank nickte und hielt seinen Mund. Dafür fing Gerrit jetzt an.

„Wo wir hier bei den Wahrheiten sind… Frank… ich bin auch schwul…“

„Wow“, kam es von Frank.

Erstaunt sah ich zu Gerrit.

„Und… äh… du hast einen Freund…?“, fragte Frank auffällig neugierig.

„Nein“, sagte Gerrit scharf, „… nur hoffnungslos…verliebt… oder so…“

Gerrits Offenheit rührte mich und ich nahm ihn in den Arm.

„Ich will dir ja nicht zu Nahe treten…, aber gibt es keine Chance, dass der Typ, deine Liebe erwidern wird?“

Sensibel war das jetzt nicht gerade und als Gerrit nicht darauf antwortete, mischte ich mich eben ein.

„Nein hat er nicht…, weil ich Kai liebe.“

„Autsch“, sagte Frank und bemerkte mit welchem riesigen Anlauf er eben das größte Fettnäpfchen erwischt hatte.

Ich wunderte mich selbst über meine Ruhe und auch das Gerrit so ruhig bei mir stehen blieb. Einzig Kai stand da und grinste die ganze Zeit. Wusste er etwas, wovon ich nicht wusste? Was hatte ich wieder verpasst?

This Post Has Been Viewed 352 Times

Rating: 5.00/5. From 2 votes.
Please wait...

1 Kommentar

    • Jonas auf 20. November 2011 bei 23:39
    • Antworten

    So, lieber Pit, neugierig, wie ich war, habe ich mich nun durch diesen älteren Adventskalender gelesen. Und weißt Du was? Ich hasse dieses Konzept! Ich werde die Adventszeit damit verbringen, schlecht gelaunt darüber nachzudenken, wie die Geschichte weiter geht. Das wird mich wahnsinnig machen. Und Achim direkt mit, weil ich ihn damit nerven werde. Meine Tochter werde ich um den Kalender beneiden, der schlicht und einfach Schoki enthält und mir auch so ein Teil kaufen, was aber natürlich nicht helfen wird. Meine Laune wird nur noch schlechter werden. Vielleicht werde ich Schlafstörungen entwickeln und meinen Job verlieren. Wahrscheinlich werde ich ernsthaft in Erwägung ziehen, dieses Ding hier zu hacken, um schon mal weiterlesen zu können. Oder einen Hacker beauftragen. Ich werde also wahrscheinlich straffällig werden und weil ich dann im Knast nicht weiterlesen kann schwere Depressionen entwickeln. Alles in Allem: Eine echt wirklichlich richtig blöde Idee! Ich werde den Kalender einfach ignorieren. Jawohl! In der Adventszeit ist Pitstories tabu.
    Hm… noch 9 Tage, bis ich das erste Türchen öffnen kann…

    No votes yet.
    Please wait...

Schreibe einen Kommentar

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht.