Das Boycamp I – Teil 3

Manuel verschränkte seinen Hände hinter dem Kopf und starrte in den Himmel.
» Wenn du unbedingt willst.. «
» Ich will ja nicht, aber es ist besser für uns beide. «
Stein trat zu ihnen. » Nun, wie sieht es aus? Wie ich sehe habt ihr das Zelt hinbekommen. Gratuliere. Gut, dann kommt, wir treffen uns gleich mit den anderen. «
» Wo sind die eigentlich alle? « fragte Manuel.
» Der Wald hier ist sehr groß.. « antwortete Stein.
Sie standen auf und folgten ihm zu einer größeren freien Stelle in dem Wald. Dort hatte er sein eigenes Zelt aufgebaut, das freilich größer und sicher auch komfortabler war. Neben dem Zelt stand ein Anhänger.
» Da drin ist alles was wir brauchen « erläuterte er. » Lampen, Essgeschirr, Wasser, Getränke, Futter, Grill nebst Kohle, Holz und so weiter. Ihr seht, es fehlt an nichts. «
Manuels anfängliche Skepsis wich allmählich der Tatsache, dass es ihnen hier draußen nicht schlecht gehen würde.
Mirko, Lucas, Alexander und Erkan schlossen sich ihnen an und sie verließen den Platz. Der schmale Weg durch den Wald war von Sträuchern bewachsen und erschwerte ein vorankommen erheblich. Jetzt erwiesen sich die Kampfanzüge als sehr nützlich.
» Was ist, warum sagst du Stein es nicht? « fragte Manuel nach einer Weile.
Nico blieb schnaufend stehen, die schwüle Hitze machte ihnen zu schaffen. » Ich sage es ihm, wann mir es passt, okay? «
» Ist ja schon gut. «
Nico fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Natürlich wollte er nicht weg, dazu begann es ihm hier viel zu gut zu gefallen. Sein Herz sprach, aber seine Seele auch. Ein Zwiespalt, mit dem er nicht zurechtkam.
Manuel sah ihn an. Diese Augen, dieses Gesicht, diese Figur.
» Tschuldige, ich hab’s nicht so gemeint « sagte Nico leise.
» Ist kein Problem. Aber mir scheint, du weißt nicht was du willst. Bleib doch einfach da, es macht mir wirklich nichts aus. Außerdem wüsste ich nicht, mit wem ich die Zeit hier besser verbringen könnte. «
Nico grübelte über diese Worte nach. So gesehen würde er Manuel ja dann auch nicht glücklich machen wenn er ging und womöglich würde ja alles gut gehen.
» Okay, ich bleibe.. «
Manuel lächelte ohne ein Wort zu sagen.
Da der Pfad sehr schmal war, marschierten sie im Gänsemarsch hintereinander.
Plötzlich spürte Nico eine Hand auf seinem Hintern. Erschrocken blieb er stehen und drehte sich um.
» Hast nen geilen Arsch « flüstere Erkan und grinste bis über beide Ohren.
» Erkan..!? «
» Ist doch wahr. «
» Sag mal, was soll das? Du hast ne Freundin, darfst gar nicht schwul sein und jetzt grabscht du mich an.. «
» Weiterlaufen, wir haben noch eine Strecke vor uns « rief Falk Stein, der den Stopp zwar bemerkt, aber den Grund dafür nicht wissen konnte.
Sie gingen weiter, Erkan folgte Nico dicht auf den Fersen.
» Ach komm, alles Geschwafel. Ich find dich halt irgendwie.. «
» Erkan, du ziehst mich auf und das mag ich nicht. «
» Ne, ich zieh dich echt nicht auf. «
Natürlich hätte er nichts dagegen, immerhin liefen seine Gedanken ja auch schon in der Richtung.
Er blieb stehen, so dass Erkan auf ihn prallte. Entschlossen griff er nach hinten, hatte auf Anhieb seine Hand in Erkans Schritt und drückte zu. Deutlich fühlte er das Päckchen in der Hose.
» Nico « stöhnte Erkan.
» Siehst du, das war die Revanche. «
» Du geile Sau « flüsterte Erkan ihm fast ins Ohr und grinste dabei sehr verführerisch.
» Gleichfalls « gab Nico zurück.
Erkan war der letzte in der Reihe und so konnte keiner sehen, dass er seine Hand von hinten unter Nicos Jacke führte und seinen Zeigefinger im Gürtel einhakte.
» Dafür musst du mich jetzt mitziehen « sagte er.
» Komm mir vor wie unter der Panzerknacker AG « lächelte Nico und die Berührung, auch wenn es eigentlich keine richtige war, tat ihm gut.
Nach einem knappen Kilometer durch den Waldweg kamen sie an eine große Lichtung. Die Transporter standen hier und alle anderen Jungs saßen verstreut auf dem Boden. Die Sonne knallte in die Lichtung und es war unerträglich heiß.
» Hier rüber « sagte Stein und lotste seine Gruppe zu einem der Autos.
» Da sind Getränke. «
Dankbar stürzten sie zu dem Wagen und nahmen sich die Wasserflaschen.
» Und, wie ist es bei euch? « fragte Stefan, neben den sich Nico zufällig setzte.
Nico sah ihn an. » Hi Stefan. Bis jetzt gibt’s keine Probleme. «
» Bei uns auch nicht. Nur einer aus der Gruppe wird wohl wieder nach Hause geschickt. «
» Ach, wer und warum? «
» Bodo. Es geht ihm nicht gut. Meier glaubt, dass es besser ist wenn er ihn zum Arzt bringt. «
Nico sah sich Stefan genauer an. Sie hatten sich ja nur kurz gesprochen während der Einweisung und da war noch alles irgendwie durcheinander. Jetzt erst bemerkte Nico, dass Stefan doch auch recht ansehnlich war. Er war in der Gruppe der Ältesten.
Dunkle, kurze Haare, braune Augen und lange Wimpern, sinnliche Lippen und er war sehr ruhig. Das fiel Nico zuerst an ihm auf. Er hatte seine Größe und trieb anscheinend jede Menge Sport. Das schloss Nico aus der guten Figur. Niedlich fand er das Freundschaftsbändchen um sein Handgelenk.
» Das heißt, ich werde wohl alleine in dem Zelt schlafen, denn Bodo wäre mit mir zusammen gewesen. «
» Naja, das kann aber auch Vorteile haben « sagte Nico, nicht ohne etwas neidisch zu sein. Er wäre auch am liebsten alleine geblieben. So war noch nicht abzusehen, was der Rest der Zeit bringen würde.
» Wie alt seid ihr in der Gruppe eigentlich? « wollte er dann wissen.
» Neunzehn bis einundzwanzig. «
» Man sieht gar nicht dass da ein paar in dem Alter dabei sind. «
» Wie alt schätzt du mich? « fragte Stefan grinsend.
» Hm, lass mich nachdenken – Zwanzig? «
» Neunzehn. «
» Und was treibt einen wie dich in dem Alter hierher? «
» Neugier. Ich möchte Psychologie studieren und eigentlich verstehe ich mich als Beobachter des Ganzen, nicht unbedingt als Teilnehmer. Vielleicht werde ich so was ja auch mal machen, als Begleiter. «
» Dann machst du grade dein Abitur? «
» Ja. «
Nico hätte auch gern Abi gemacht, aber er dachte nicht schlau genug dafür zu sein. So blieb es bei der Hauptschule und nach den Ferien würde er seine Lehre als Feinwerkmechaniker beginnen.
Gern hätte er Stefan noch weiter ausgefragt, aber dazu kam er nicht.
Stein erklomm einen größeren Felsbrocken und pfiff kurz durch die Finger.
» So, Leute, die Pause ist zu Ende. Wir kommen jetzt zum offiziellen Teil. Wir, also Herr Bode, Herr Meier und ich, wüssten gern mit wem wir es die nächsten Tage zu tun haben. Jeder stellt sich jetzt vor, ein paar Worte zu Namen, Alter, woher ihr seid und was ihr grade macht – mehr braucht ihr nicht zu sagen. Wir, die Betreuer, machen den Anfang. «
Falk Stein stellte sich dann auch als erster vor. Er war tatsächlich erst 32 Jahre alt, wohnte in Bremen und war verheiratet, zwei Kinder. Promovierter Psychologe.
Rainer Bode war 23, wohnte in Hamburg und war ledig. Wollte sich hier Anregungen für seine Arbeit als Streetworker holen.
Leo Meier, 38, verheiratet, keine Kinder und verdingte sein Brot als Krankenpfleger am Klinikum Mannheim. Er nahm sich eine Auszeit wie er sagte und bei gesundheitlichen Problemen sollten sie sich an ihn wenden.
Die Vorstellungsrunde war nicht uninteressant. Nico hörte sehr genau zu.
Nach einer Stunde waren alle durch und allmählich machte sich Unmut breit.
» Ich sterbe jetzt gleich vor Hunger « jammerte Manuel, und erntete allgemeine Zustimmung derjenigen, die ihn hören konnten.
Er hob entschlossen die Hand.
» Wann gibt es etwas zu essen? «
Stein lachte. » Gutes Timing. Alle rüber zu den Bussen « rief er und deutete zu den Fahrzeugen.
Leo öffnete den Kofferraum eines der Autos und hievte einen großen Aluminiumkoffer auf den Boden.
» Das ist nur n Snack, « rief er » aber der lässt euch bis zum Abend durchhalten. «
Sofort stürzten sich die Jungs auf die Brötchen, Fleischwürste, Tomaten, hartgekochte Eier, Butter und dem Käse.
Nico setzte sich – diesmal mit Absicht – neben Stefan. Er fühlte sich zu ihm irgendwie hingezogen und er würde diese Nähe genießen so lange es ging. Er hatte so viele Fragen. Dass sich Erkan ebenfalls sehr dicht neben ihn setzte, störte ihn nicht.
Nicos Blick fiel zu Oliver. Er saß gegenüber und es schien, als könne er alles essbare auf einmal in sich hineinstopfen.
Mampfend stieß Stefan Nico in die Hüfte und zeigte mit dem Kopf zu einem der Fahrzeuge.
» Das ist Bodo, den bringen sie jetzt ins Krankenhaus « sagte er. » Schade, war ein netter Typ. Wär froh wenn er hier geblieben wäre. «
Leo hielt den Jungen am Arm und setzte ihn vorsichtig auf den Beifahrersitz.
Nico begann nachzudenken. Viel lieber würde er die Zeit hier mit Stefan verbringen und eine winzige Chance war es immerhin. Aber Erkan? Dessen Schenkel drückte sich an Nicos und der bot Widerstand. Es begann Spaß zu machen, den Jungen zu berühren.
» Von deiner Freundin? « fragte Nico und deutete auf das Freundschaftsband um Stefans Handgelenk.
Plötzlich wurde Stefan leicht rot. » Äh, nee. «
» Sorry, geht mich ja gar nichts an. War ne dumme Frage. «
Stefan nahm einen großen Schluck aus der Wasserflasche, so dass seine Augen feucht wurden.
» Macht nichts. Ist von einem Freund. «
Nico verschluckte sich und musste kurz husten.
» Oh, ist was? « fragte Stefan.
» Nein, alles in Ordnung. «
Er hakte nicht nach, aber in seinem Kopf braute sich etwas zusammen.
» Noch zehn Minuten « rief Stein von dem Felsen herüber.
» Sag mal, du hast dich doch bestimmt schon mit Psychologie beschäftigt, oder? « fragte Nico neugierig. Er zielte mit dieser Frage auf den Punkt.
» Klar. Wenn man das studieren möchte sollte man schon wissen was auf einen zukommt. «
» Und was hält die moderne Psychologie denn nun eigentlich von Homosexualität? «
Stefan machte große Augen.
» Ja ja, du hast mich schon richtig verstanden. «
Es gab genug andere Fragen um das Gebiet der Psychologie, und Stefan musste bemerkt haben dass er mit Absicht auf dieses Thema einging.
» Äh, ja nun, da gibt’s immer noch unterschiedliche Ansichten. «
» Und wie sind deine? «
» Meine? «
» Ja. Wie siehst du das denn? Vererbt, angeboren, Erlebnisorientiert oder Krankhaft? «
Stefan sah Nico plötzlich merkwürdig in die Augen.
» Ich hab dazu keine Meinung. «
Erkan stand auf und begab sich zu dem Anhänger, so dass sie jetzt alleine waren.
» Geht nicht. Als Psychologe musst du eine These vertreten « sagte Nico und rührte mit einem Stöckchen auf dem sandigen Waldboden.
Stefans Blick wurde ernst. » Erstens, ich bin noch lange kein Psychologe und zweitens, reicht es dir, wenn ich sage dass mir gerade all diese Thesen ums Schwulsein scheißegal sind? Man ist schwul oder man ist es nicht. Wie und warum geht mir buchstäblich am Arsch vorbei. Mich würde viel lieber interessieren womit ich mich verraten habe. «
Nico klappte das Kinn herunter. » Wie meinst du das? «
» Frag doch nicht so blöd. Warum hast du ausgerechnet nach diesem Thema gefragt? Erzähl mir nicht das wäre Zufall gewesen. «
Manuel kam zu ihnen und sah die beiden neugierig an.
» Um was geht es denn bei euch da? Scheint ja reichlich interessant zu sein. «
» Nein, es geht nur ums Wetter « antwortete Nico barsch.
» Aha, nur ums Wetter. « Manuel schüttelte den Kopf und entfernte sich wieder in Richtung Anhänger.
» Nun, woran hast du es gemerkt? « hakte Stefan leise nach.
» Ich hab’s nicht gemerkt. Gespürt vielleicht. «
Nico malte mit dem Stöckchen einen steifen Schwanz samt Hodensack in Vorderansicht in den Sand.
Stefans Mundwinkel bogen sich langsam nach oben.
» Ach so… «
» Genau. « Nico gab Stefan die Hand. » Willkommen im Club. «
» Und du hast einen Freund? « fragte Nico, nachdem sich Stefan wieder gefangen hatte.
» Nein, nicht mehr. Er ist ausgewandert. «
» Toll. Hat er dich sitzen lassen? «
» Nicht mit Absicht. Seine Eltern.. und er hatte keine Chance, er musste mit. «
» So Leute, das war’s. Alle bei den Bussen sammeln! « rief Stein.
Nico wedelte sein Gemälde mit dem Stöckchen zu.
» Schade « murmelte Stefan.
» Was? «
Er grinste breit. » War so ne hübsche Zeichnung.. «
Wenig später standen sie an dem Parkplatz und jemand schlug Nico auf die Schulter.
» Hi, wie geht’s bei euch? «
Bernd und Jochen standen neben ihm.
» Oh hallo ihr zwei. Soweit ganz gut, und bei euch? «
Die beiden strahlten sich an. » Sind in einem Zelt.. «
» Na, alles andere wäre ja auch ein Unding « entgegnete Nico.
» He Nico, du hast noch immer was bei uns gut. Nur damit du es nicht vergisst. «
» Nö, Bernd, ich vergesse es nicht. Aber macht euch keinen Kopf, das ist schon okay. «
Mit Stefan in einem Zelt, das musste möglich sein. Nico spürte sein Herz rasen, aber er musste etwas tun.
Stein stand bei Leo an einem der Busse und diskutierte. Nico ging entschlossen zu den beiden hin.
» Herr Stein? «
» Was gibt’s? «
» Ich hab da mal eine Frage. «
» Und die wäre? «
» Naja, sie ist nicht einfach. Also ich meine, sie ist nicht einfach zu stellen und zu verstehen vielleicht auch nicht. «
» Na, dann rück mal raus. «
Nico schluckte. Was sollte er jetzt sagen? Hätte er das nicht besser durchdenken sollen? Jetzt war es an ihm.
» Äh, unter vier Augen vielleicht? «
Stein sah Leo Meier kurz an, nickte und lief mit Nico ein paar Meter an den Waldrand.
» Muss ja ziemlich wichtig sein « sagte Stein.
» Ich weiß nicht ob es wichtig ist. Nur ne Frage halt. Dieser Bodo, der ins Krankenhaus musste war mit Stefan.. « Er wusste seinen Nachnamen nicht. » Also mit dem.. ach, lassen Sie es. «
Stein hielt ihn fest als er sich umdrehen und gehen wollte. Was hast du dir dabei gedacht? fragte sich Nico.
» Stopp junger Mann. Erst mal hübsch zu Ende reden. Also, um was geht’s? «
» Ich dachte, nachdem Stefan jetzt allein ist, ich könnte zu ihm – sozusagen – ziehen. «
Stein rieb sich das Kinn. » Hat das einen besonderen Grund? «
» Ja, hat es. «
» Und ich muss nicht wissen, welchen? «
Nico holte tief Luft. » Vielleicht können Sie es sich denken. «
Stein verschränkte seine Arme vor der Brust.
» Aber der ist in einer anderen Gruppe und eigentlich gibt’s da keine Änderungen in der Besetzung. Zudem – dein jetziger Partner wäre ja dann auch allein in einem Zelt. «
» Ich weiß, das ist auch mein Problem. Aber Manuel.. Also das ist alles so schrecklich kompliziert. «
» Merk ich. Aber komm jetzt, wir müssen los. Ich überdenk mir das Ganze, einverstanden? «
» Ja, bin ich. «
Sie gingen zurück und Nico sah, dass Stefan sie beobachtet hatte. Eigentlich hätte er ihn ja zuerst fragen sollen ob er das überhaupt wollte. Aber so brauchten sie sich erst gar keine Hoffnungen zu machen wenn Stein es ablehnte.
Erkan stellte sich zu ihm.
» Na, was gab’s denn zu bereden mit dem Stein? «
» Ach Erkan, lass mich. Es ist so schon kompliziert genug. «
» So? Was denn? «
Nico zog ihn zur Seite.
» Himmel Arsch. Ich mag dich, wirklich. Aber Stefan auch. Und ich hab keinen Plan wo ich mit mir hinsoll. «
Erkan grinste. » Dann geh ich richtig in der Annahme, dass du verknallt bist – in zwei gleichzeitig? «
» So kannst du es nennen, von mir aus. «
» Naja, ich weiß ja nicht ob dich meine Meinung interessiert, aber wenn du Stefan vorziehst – ich lass ihm den Vortritt. «
» Erkan, red nicht so. «
» Tu ich aber. Du möchtest zu Stefan, oder? Keine Angst, ich bin dir nicht böse. Sieh mal, ich bin doch nicht schwul. Neugierig vielleicht, aber so richtig.. nee.. Was hat Stein gesagt? «
» Dass er es sich überlegt. «
» So Jungs. Abmarsch in die Unterkünfte « rief Stein recht laut in die Gruppe.
» Den ganzen Weg zurück « stöhnte Alexander, » das schaff ich nicht «.
» Stell dich nicht so an. Du bist doch kein alter Opa « entgegnete ausgerechnet Lucas, dem man im Grunde keinen Meter Marsch zugetraut hätte.
Nico lief diesmal am Ende der Gruppe und konnte sich so seine Schritte besser einteilen. Die letzten Stunden gingen ihm durch den Kopf, aber er kam auf keinen richtigen Nenner. Stefan oder Erkan? Aber der war ja gar nicht schwul.
Er spürte Seitenstechen und blieb stehen, stützte seine Hände auf die Schenkel und atmete tief durch. Lucas, der vor ihm ging, verschwand allmählich im hohen Gebüsch, das über den Pfad hing.
Plötzlich war er alleine. Es begann zu dämmern und das rascheln der Gruppe im Laub verstummte. Würde eigentlich jemand seine Abwesenheit bemerken? Dieser Stein war vielleicht doch nicht das was er vorgab zu sein. Er könnte hier liegen und niemand würde das bemerken.
Aber der Gedanke an Flucht war in weite Ferne gerückt. Er sehnte sich nur noch nach Schlaf, tief und fest. Die Schmerzen ließ nach und er begann schneller zu laufen. Verirren konnte er sich nicht, außer diesem Pfad gab es keine Wege in diesem Wald.
Wie aus dem Nichts stand Mirko plötzlich vor ihm.
»Wo bleibst du denn? «
» Seitenstechen.. «
» Och, der Arme. Soll ich dich ins Camp tragen? «
» Nein, ich kann sehr gut alleine.. «
Plötzlich stürzte sich Mirko auf ihn, so dass beide auf den Weg fielen. Fest drückte Mirko Nicos Arme auf den Boden.
» Was soll das? « rief er aufgeregt.
» Küss mich « hauchte Mirko mit einem leichten Zittern in der Stimme, aber mit Nachdruck.
» Was soll ich? «
» Küss mich. Keine Freundin so lange, ich brauch das jetzt. «
» Mirko, hör auf damit. «
» Los, du willst es doch auch. Kein Junge kommt so lange ohne Sex aus, stimmt’s nicht? Mit wem, ist doch egal. «
» Du spinnst. Lass mich.. «
» Zier dich nicht so. Ich will.. ich will dich. «
» Völliger Quatsch… «
» Nein, mein Lieber, ist es nicht. Ich brauch Sex, harten Sex. Und du auch. «
» Mirko, bitte… «
Der Rest seiner Worte erstickte auf Mirkos Lippen. Nicos Gegenwehr hatte keinen Sinn, der Junge auf ihm war stärker und deshalb gab er nach.
Seine Angst wich dem Gefühl, er fuhr Mirko unter die Jacke und befühlte die nackte Haut auf seinem Rücken. Seine Umklammerung ließ langsam nach und Nico gab sich den Küssen hin. Eine Zunge in seinem Mund – wie oft hatte er sich das in letzter Zeit einmal gewünscht?
Als Nico seine Augen öffnete, trafen sie Falk Steins Blick. Hastig schob er Mirko von sich und wischte sich über den Mund.
» Was geht denn hier ab? « wollte Stein mit ruhiger Stimme wissen. » Ich mach mir die größten Sorgen und ihr… Kommt jetzt. «
Sie standen auf und folgten Stein.
» Ich bin noch nicht fertig mit dir « flüsterte Mirko.
» Was? «
» So einen scharfen Hasen kriegt man nicht alle Tage.. «
Nico bekam Angst. Mirko war in Wirklichkeit ein Teufel. Und er würde sicher nichts unversucht lassen, bei nächster Gelegenheit über ihn herzufallen. Das durfte nicht sein. Schwul war der nicht, nur wahnsinnig geil. Und anscheinend reichte es ihm nicht wie allen anderen, sich einen herunterzuholen. Dafür nahm er wohl in Kauf, einen Jungen zu missbrauchen.
Was war das für ein Haufen? sinnierte Nico. Er, Stefan, Mirko, Erkan zu Teilen vielleicht, Bernd und Jochen. Das waren zu viele, konnte es eigentlich nicht geben. Was stand denn nun wirklich hinter dieser Safari? Wussten oder ahnten die Eltern irgendetwas und versuchten nun.. Quatsch. Oder doch? Sollte hier jeder herausfinden, welche Gefühle er wirklich hegte? Und wollte man ihnen das nur leichter machen? Er wurde sehr, sehr neugierig auf die Antwort, die man ihm zu Hause geben musste.
Wenig später trafen sie am Camp ein. Stein lief zu dem Anhänger und zog aus einer Seitenklappe Holzscheite heraus.
Die Jungs gingen zu ihm und nahmen ihm die Hölzer ab.
» Dort in die Mitte des Platzes, und schön aufstapeln damit es ein anständiges Feuer gibt « wies er an.
Sie häuften die Hölzer auf und Stein schleppte schließlich den Schwenkgrill zu der Stelle.
Sie halfen ihm den Grill aufzustellen und Nico störte, dass Mirko ständig in seiner unmittelbaren Nähe war. Er hatte seine Meinung über den Jungen geändert und er musste einen Weg finden, sich zu schützen.
» Wer ist der Chefkoch heute Abend? « fragte Stein.
» Geht schon klar « rief Alexander, » ich bin zu Hause immer am Grill. Und außerdem möchte ich mal Koch werden. Im Herbst geht’s los mit der Lehre. «
Stein grinste. » Ein Mann, ein Wort. Und wer hilft ihm? «
Nico hob die Hand. So hoffte er, Mirko aus dem Weg gehen zu können.
Alexander verstand etwas von seinem Handwerk, er und Nico hatten eine Menge Spaß am Grill. Wenn nicht immer der düstere Gedanke an Mirko gewesen wäre.
Nun saß die Gruppe um das prasselnde Feuer und sie aßen die Steaks, die Stein aus dem Kühlfach des Anhängers geholt und Alexander zum grillen gegeben hatte.
Falk Stein saß neben Nico. » Sag mal, was da draußen gelaufen ist.. «
Nico spürte dass eine Antwort fällig wurde. Mirko saß zu weit um etwas hören zu können.
» Der ist über mich hergefallen. «
Stein ließ sein Messer in den Teller fallen. » Was? «
» Ja, einfach so. Und ich hab Angst, dass er das wieder tut. Er hat es mir angedroht. «
Stein nahm plötzlich sein Handy aus der Tasche und stand auf. Mit jemandem redend lief er zum Waldrand. Nur wenige Minuten später war er zurück.
» Mirko Engel? « rief er.
» Ja? «
» Geh bitte in dein Zelt und pack deine Sachen. «
» Was…? «
» Kein Kommentar. Du hast verstanden und du weißt warum. In zehn Minuten bist du samt Gepäck wieder hier. «
Nico vergaß zu kauen. Ungläubig blickte er zu Stein.
Der sah ihn ebenfalls an. » Tut mir leid, aber für solche Sachen ist hier kein Platz. Engel fährt noch heute Nacht nach Hause zurück. «
Nico starrte auf seinen Teller. Falk Stein war doch der, für den er ihn gehalten hatte.

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