Der Stoff aus dem Leben gemacht ist – Teil 6

Diese Geschichte und die darin handelnden Personen sind ein Produkt meiner Phantasie, wobei nicht auszuschließen ist, dass ähnliche als die darin beschriebenen Handlungen bereits passiert sind, oder sich künftig so zutragen werden. Eine Haftung dafür übernehme ich nicht.

27. August 2030, Dienstag, Bilbao

Mahlzeit beendet. Gut gegessen und doch unzufrieden, weil mein Gemüt ganz tief in negative Werte auf der Gefühlsskala abgerutscht ist. Eine Besserung kann nur mein Fabio erzielen, indem er mich unverzüglich umarmt und küsst. Wo mag er nur stecken?

Noch einmal kurz in die Umgebung auf die markanten Punkte geschaut, damit ich mir den Weg merken kann, grüble ich anschließend darüber nach, was für mich ansteht.

Von allen Dingen, die ich nun gerade nicht tun kann, ist nichts zu tun, vollkommen ausgeschlossen, denn mein Unruhepotential ist viel zu groß.

Es kann nicht schaden, mich mal in der Musikschule umzuschauen. Keine Ahnung, ob das was bringt, aber es könnte mich wenigstens ablenken. Außerdem ist es interessant, all die Leute und Orte kennen zulernen, zu denen Fabio eine Beziehung hat.

Ok, besonders weit ist es nicht, doch dieser Tag mit seinen Aufregungen hat mich bereits geschafft und das eigentlich überschaubare Stadtzentrum wird zu Fuß mehr und mehr zum Marathonlauf.

Mein altes Studentenfahrrad sollte im abgesicherten Hinterhof des Hotels eigentlich sicher abgestellt sein. Schauen wir mal, ob und wie ich es dort noch vorfinde.

Meine Blicke kreisen beim Gehen unentwegt wie die Strahlen eines Leuchtturms in alle Richtungen und in die dunkelsten Ecken, aber von ihm keine Spur.

Am Empfangstresen des Hotels angekommen, hoffe ich auf eine hinterlegte Nachricht, jedoch da ist nur der Zimmerschlüssel. Besser ist, ich dusche vorher noch mal, bevor ich durch die Gegend muffle.

*-*-*

Vom etwas spärlichen und viel zu warmen Wasserstrahl der Dusche notdürftig erfrischt und mit einem frischen T-Shirt und Shorts bekleidet, radele ich bereits zügig mitten durch den geschäftigen Verkehr, den vielen Spaziergängern und Fahrzeugen geschickt ausweichend. Der Fahrtwind fühlt sich angenehm auf meinen nackten Beinen an, in der Wirkung verstärkt von der aus Meeresrichtung einfallenden frischen Brise.

Schon nach wenigen Minuten durchfahre ich das Tor zum Innenhof der Musikschule, die in einer alten malerischen Klosteranlage untergebracht ist. Die Bänke in der von der Tageshektik der Stadt gut abgeschirmten Anlage laden geradezu zum Verweilen und Betrachten der alten Gemäuer ein, und unter anderen Umständen hätte ich bestimmt hier eine längere Rast eingelegt.

Jetzt gilt es, eine geeignete Ansprechperson zu finden, vielleicht in einem Büro.

Als ich nach kurzem Klopfen die Tür zum Sekretariat öffne, erblicke ich an der Wand Fabio!

Nein, leider nicht persönlich, nur rein bildlich auf einem eingerahmten Foto, was mir aber signalisiert, dass ich mich hier am richtigen Ort befinde: Auf einem Tisch stehen verschiedene Typen von Feuerlöschern, und dahinter Fabio in einer Feuerwehrjacke, anscheinend eine Brandschutzeinweisung erteilend.

„Hallo, junger Mann, kann ich ihnen vielleicht helfen?“, tönt es von der Sekretärin aus Richtung Schreibtisch.

„Guten Tag, ich bin Manuel. Ich suche eigentlich meinen Freund Fabio, der spurlos verschwunden ist. Also, den Feuerwehrmann hier auf dem Bild…“

„Ja, spurlos verschwunden ist genau der richtige Ausdruck. Wir haben damit gerechnet, dass er pünktlich wieder zur Arbeit erscheint und eigentlich kann man sich auf ihn auch 100pro verlassen. Aber wenn er nicht bald wieder zum Dienst erscheint, werden wir seine Hausmeisterstelle leider kündigen müssen.

Und, wie ist es mit ihnen, suchen sie vielleicht gerade einen Hinzuverdienst, so als armer, hilfsbedürftiger Student?“

„Bitte kündigen sie ihm nicht! Mein Freund wird auch bestimmt bald wieder kommen. Vielleicht kann ich für ihn in der Zwischenzeit etwas aushelfen.“

„Ja, mein Junge, äh, Manuel, das ist ein guter Vorschlag. Hilfe wird dringend benötigt, kannst gleich damit anfangen. Ich bin übrigens Maria.

Emiiiliiiooo! Drückst du mal in einer Minute den Knopf vom Feueralarm!

Dann ziehe dir schon mal die Uniformjacke dort von der Garderobe über und hilf mir, die Utensilien auf den Innenhof zu bringen.“

‚Wieso extra Feueralarm, die macht doch schon so Alarm genug. Sind die denn hier vollkommen…‘, denke ich gerade beim Jacke überziehen, schon gehen im Gebäude alle Sirenen los.

„Nun stehe hier nicht so rum wie bestellt und nicht abgeholt! Du nimmst diese beiden Feuerlöscher, ich den Klapptisch, anschließend holst du rasch das restliche Anschauungsmaterial, damit wir gleich anfangen können.“

*-*-*

Ich muss total verrückt sein! Alles was zwei Beine hat und laufen kann, steht aufgereiht auf dem Hof und starrt erwartungsvoll auf mich. Quasi in der Uniformjacke als offizielle Amtsperson bestellt, dazu passend meine kurzen Hosen, soll ich die verschiedenen Typen von Feuerlöschern sowie deren Wirkungsweise und Einsatz erklären. Mir wird heiß und kalt, als ich in die Gesichter der meist noch sehr jungen Leute sehe. Ich bin doch so etwas von schüchtern…

„Bitte, Fabio, äh, Manuel, jetzt kannst du beginnen. Wir warten bereits.“

Allen meinen Mut zusammen nehmend, versuche ich mich an die vielen in der Schulzeit bereits erlebten Brandschutzeinweisungen zu erinnern, jedoch tut es mir nun leid, dass ich meistens nicht gut aufgepasst habe. Aber eigentlich steht alles Wesentliche schon auf den Löschern, sogar in Großbuchstaben.

Die Wirkung des elektrischen Stromes auf den menschlichen Körper anhand einer eingängigen Pantomime erklärend, die anschaulich vor dem unsachgemäßen Gebrauch eines Nasslöschers warnt, vor der Erstickungsgefahr durch den Einsatz von CO2-Löschern in geschlossenen Räumen danach ebenso, sind schließlich auch die letzten Klarheiten beim Umgang mit einem Schaumlöscher beseitigt.

Nur noch einige Hinweise auf den recht begrenzten Inhalt der Stahlflaschen und deren möglichst rationellen Einsatz, wie auch zu den Aufstellungsorten der Löscher, schon bin ich über die Erwähnung der Krankentrage (wo ist die eigentlich) und die Erklärung der in einem Karton bereit liegenden Hinweisschilder bei den Fluchtwegen angelangt. Die große Karte im Flur habe ich bereits beim Hineingehen ins Gebäude gesehen.

Als ich fertig bin, muss ich erstmal richtig durchatmen.

„Na, das war ja richtig gut. … Kinder, für diese lehrreiche Vorstellung könnt ihr Feuerwehrmann Manuel ruhig etwas Beifall klatschen.“

Das Eis ist gebrochen, schon bin ich von einer Traube der Kleinsten umgeben, die mir neugierig an der Jacke zupfen und sofort die Löscher in Beschlag nehmen. Jetzt heißt es gut aufzupassen, dass nur keiner an den Ventilen dreht!

Als die Meute endlich ihre Neugier gestillt hat und wieder abgerückt ist, darf ich für den ordnungsgemäßen Rücktransport sorgen.

„Für den Anfang nicht schlecht, Manuel“, wieder im Büro, gibt es ein Lob. „Mal sehen, was du noch so alles drauf hast. Wir sind hier ja eine Musikschule und wenn du hier aushilfst, solltest du als Voraussetzung schon etwas musikalisches Interesse und Einfühlungsvermögen mitbringen. Fabio ist ein hervorragender Sänger; wie sieht es eigentlich mit deiner Einstellung zur Musik aus?“

„Nun, ich habe bis zum Stimmbruch mit Fabio zusammen im Schulchor gesungen. Danach wurde ich allerdings weggeschickt. Aber Musik höre ich immer noch sehr gern.“

„Das ist ja ein Ding, was ist das denn für eine Schule! Hört man leider immer wieder. Vielleicht schaust du dich hier mal gründlich um; gibt ja mehr als nur Singen…

Übrigens, danke für die Hilfe. Hier, dieser Umschlag enthält schon mal einen Abschlag auf deinen ersten Lohn.

Im Keller findest du im dortigen Probenraum einige der Jungs, mit denen Fabio befreundet ist. Du kannst sie nicht verfehlen. Wir sehen uns morgen gegen 16.30 Uhr zwecks Einweisung wieder, dann unterhalten wir uns gründlich und du bekommst einen ordnungsgemäßen Arbeitsvertrag. Hier ist noch meine Karte. Bis Morgen, auf Wiedersehen.“

*-*-*

Ich bin wirklich verrückt! Musste ich mir diesen Job überhalsen lassen; als ob ich mit meinem Studium nicht schon genug ausgelastet bin. Aber interessant finde ich die Entwicklung schon…

Als ich die letzten Stufen der Kellertreppe erreiche, sind deutlich sehr schnell gespielte Bassläufe zu hören. Die lauten Geräusche dringen durch eine massive Stahltür, die den Probenraum verschließt. Jetzt hier höflich anzuklopfen, scheint mir sinnlos, so ziehe ich die Tür mit einem kräftigen Ruck auf.

Sofort nach dem Betreten des spärlich beleuchteten Raumes werde ich von den Bässen körperlich durchströmt, mein Innerstes beginnt heftig zu vibrieren. Nun, ich befinde mich ziemlich nahe an der Bassbox, und um dem Schalldruck nicht so unmittelbar ausgesetzt zu sein, beeile ich mich, ein Stück davon wegzukommen.

Auf zwei Stühlen sitzen sich zwei Jungs gegenüber, deren Gesichter ich nicht erkennen kann. Zu schlecht beleuchtet und zu viele Haare davor. Einer hat den Bass auf den Knien, der andere eine E-Gitarre umgehängt. Sie wirken hochkonzentriert.

Eine kurze Pause, ein mehrfaches Fingerschnippen im Takt, dann beginnt ihr Spiel: Die Gitarre eröffnet mit einigen einleitenden Akkorden, um danach in eine mit viel Feeling gespielte einfache Tonfolge überzugehen.

Der Bass sorgt anfangs nur für eine dezente Begleitung, um aber schon einige Takte später in verblüffenden Tonfolgen und Bassfiguren zu brillieren, so dass sich nun das Spiel der beiden Instrumente genial ergänzt.

Einer fordert den anderen immer mehr heraus. Mir scheint es sogar, als wenn sich die Musikanten mit ihren Tonfolgen necken würden, und ich das Lachen aus der klanglichen Erwiderung raushören könnte.

Durch die in Oberstimmen zum Gitarrensolo begleitenden Bassläufe erklingen ganz neue Gesamtakkorde mit immer neuen Obertönen, von deren klanglicher Wirkung ich vollkommen überwältigt werde.

„He, hier ist keine öffentliche Probe! Was machst du überhaupt hier?“

„Hallo, ich bin Manuel. Eigentlich bin ich auf der Suche nach Fabio, meinem Freund. Wir sind heute zusammen am Busbahnhof eingetrudelt und plötzlich ist der einfach verschreckt weggerannt, hat mir aber vorher noch seine Tasche in die Hand gedrückt. So ganz ohne Geld und Papiere, und ohne Handy, wo mag er nur sein. Ich mache mir jetzt ziemliche Sorgen, versteht ihr…“

„Hi. Wir sind das Duo Sébastien & Sébastien, und wir warten eigentlich auf Fabio, dass wir zusammen proben können. Wir müssen noch einige Stücke für eine Theatervorstellung einstudieren.

Das hört sich erstmal nicht so gut an, was du erzählst, aber mach dir nur keine Sorgen, er wird sich schon bald wieder anfinden und eine einleuchtende Erklärung für sein plötzliches Verschwinden geben. Nur dumm, dass wir gerade jetzt ohne Sänger sind.

Was machst du eigentlich so?“

„Ich studiere Informatik. Früher war ich mal mit Fabio zusammen im Schulchor, aber mit der Singerei hab ich leider nach dem Stimmbruch aufhören müssen.“

„Mensch, wenn du Informatik studierst, dann kennst du dich bestimmt viel besser als wir mit dieser ganzen digitalen Studiotechnik aus. Die Musikschule hat so ein tolles Tonstudio gesponsert bekommen, nur damit richtig umzugehen, das versteht hier keiner. Komm mit, wir zeigen dir das gerne mal.

Kannst vorher auch einen Kaffee haben, oder möchtest du lieber Tee?“

„Kaffee, bitte.“

„Ok, dann gehen wir hoch zur Kantine, da gibt es auch was zu Beißen dazu. Für dich heute umsonst.“

Sich an den Händen fassend, gehen sie vor mir die Kellertreppe hoch. Endlich mal welche, die noch kleiner sind als ich, beide sind sie nicht größer als 1,70. Außer den schulterlangen dunkel-blonden Haaren und den weiten blauen Shirts ist von ihnen leider nicht viel zu erkennen.

*-*-*

Endlich kann ich das musikalische Duo mal im Lichte betrachten, als wir uns in der kleinen Kantine  gegenüber sitzen und ich mir Kaffee und Kuchen schmecken lasse. Ihre Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und die Arme verschränkt, starren sie mich an, allerdings bestens von ihrer Haarpracht und verspiegelten Sonnenbrillen getarnt, während ich es noch nie richtig verstanden habe, meine Emotionen zu verbergen.

Die Szene verunsichert mich zusehends. „He, das ist nicht fair, dass ihr eure Gesichter so hinter großen Sonnenbrillen verbergt und mich unentwegt anstarrt! Ich möchte schon sehen, mit wem ich mich gerade unterhalte.“

„Kein Problem, dann nehmen wir sie halt ab“, entgegnen sie, schütteln dabei kurz ihre Haare und schon ist die Tarnung wieder perfekt.

Darüber muss ich laut lachen und bei ihrem synchronen Verhalten tippe ich schon mal auf Zwillinge.

„Für den Freund von Fabio wollen wir allerdings mal eine Ausnahme machen und dir unser wertes Antlitz zeigen. Bist du bereit, Bruderherz?“

Vier braune Augen sehen mich spöttisch an, die Gesichter zeigen noch sehr weiche kindliche Gesichtszüge, sind aber sehr hübsch. So mit verspiegelter Brille fühlen sie sich wohl etwas cooler und reifer, glaube ich zu verstehen.

„Und, was siehst du gerade?“

„Ich sehe gerade zwei, naja, recht hübsche Milchbubis, die einen auf cool machen wollen.“

„Ganz falsche Antwort! Na warte, wenn wir dir nachher das Tonstudio zeigen, schließen wir schnell ab und dann werden wir dich gemeinsam vernaschen, so dass von dir nur noch ein paar Krümel übrig bleiben! Du hast es ja nicht anders haben wollen!“

Vernaschen… Eigentlich wäre das gar nicht mal schlecht, aber die sind mir echt noch zu jung.

„Bevor ihr mich gleich vernascht, sagt mal, wie alt seid ihr eigentlich, damit ich weiß, ob ich dabei mitmachen kann?“

„Bald 17.

Ist schon gut, Manuel, wir wollten dich doch nur mal testen, um zu schauen, wie du so tickst. Außerdem wollen wir es uns auch nicht mit Fabio verderben.

Dann: Willkommen im Klub!“

Links und rechts hängen mir augenblicklich zwei knutschende Haarknäuel an den Wangen, und auch ich erwidere die freundschaftlichen Grüße sehr gern auf gleiche Weise. Sind ja auch süß, die beiden.

„Wir heißen nicht wirklich Sébastien, das ist nur unser Künstlername. Unsere wahren Vornamen lassen sich leider schlecht als Bandbezeichnung verwenden.

Falls du es schaffen solltest, uns auseinander zu halten, werden wir dir diese vielleicht mal verraten, ansonsten machen die für dich keinen Sinn.

Unser Zuhause ist beinahe nur um die Ecke. Vielleicht kommst du mit Fabio uns mal besuchen, dann können wir zusammen was unternehmen.

Bist du nun fertig mit dem Mampfen! Können wir endlich wieder runter gehen!“

Die und bald siebzehn, eher gerade sechzehn…

*-*-*

Als sie die hintere Tür im Probenraum öffnen und das Licht einschalten, bin ich von all der Technik wie geblendet. Ein derartig modernes und umfassendes Equipment für ein Tonstudio, wie ich es mir nie hätte im Traum besser vorstellen können! Und ich darf hier vielleicht der Tonmeister sein…

„Da ist es. Wirklich der allerletzte Schrei, sehr teuer und bereits seit einem viertel Jahr betriebsbereit, aber noch nie benutzt. Mein Bruder und ich stehen hier leider wie das sprichwörtliche Schwein vorm Uhrwerk.

Jetzt kuckst du, was? Und, kannst du damit umgehen?“

„Ich denke schon, aber ich bräuchte sicherlich noch einiges an Training und Einarbeitungszeit, um damit gut arbeiten zu können. Und ihr müsstet mir schon mit euren Instrumenten dabei helfen.

Ansonsten, ein ganz deutliches definitives Ja meinerseits zum Tonstudio, hier möchte ich mich gern einbringen. Das ist ja ein absoluter Traum!“

„Ok, wir haben von dir auch nichts anders erwartet. Dann komm jetzt wieder mit raus. Du müsstest dich erst noch bei der Geschäftsführung melden und bestimmt einen ordentlichen Vertrag mit denen machen, bevor wir dich hier allein reinlassen können.“

„Wieso allein, erst wolltet ihr von mir nur noch ein paar Krümel übriglassen… Bin ich euch vielleicht nicht mehr attraktiv genug!“

„Nein, eher im Gegenteil. Du und Fabio, ihr habt schon beide einen guten Geschmack, aber wir wollen es uns mit der Musikschule nicht verscherzen; wir sind doch froh, hier kostenlos proben zu dürfen.

Ihr seht beide wirklich sehr schnuckelig aus. Ihr habt euch wohl gesucht und gefunden, wie?“

„Bei Fabio gesucht, bei mir eher gefunden.“

„Hä?“

„Das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich euch lieber zusammen mit meinem Freund. Keine Ahnung, was der euch schon aus seinem Leben erzählt hat.“

„Nun, so lange kennen wir Fabio noch gar nicht, dass er uns viel erzählen konnte.

Aber jetzt wollen wir wieder ungestört proben. Wir sind meistens nach der Schule hier, um was auszuprobieren. Wenn du die Genehmigung für das Studio hast, dann komm am besten sofort. Wir brauchen dich wirklich sehr dringend für Demo-Aufnahmen, und erst all die anderen im Haus, der Chor usw.

Na, du wirst schon sehen, bis bald!“

*-*-*

Nur dadurch, dass ich Fabio kennengelernt habe, hat sich mein Leben bereits total verändert. War es bis vor kurzem bei mir Usus, meine Freizeit überwiegend allein zu verbringen, was nicht gerade langweilig, aber reichlich sinnfrei war, habe ich an einem Tag schon soviel Freunde gewonnen, wie in meinem ganzen bisherigen Leben nicht und mir ist, als wenn ich mich vom kleinsten Monde am Rande der Milchstraße mitten hinein in deren Zentrum begeben habe, hinein ins wahre Leben.

Soll Fabio später doch ruhig seinen Hausmeisterposten weiter machen, wenn er möchte, ich jedenfalls nehme das Tonstudio in Beschlag! Und was noch zählt, ist, dass wir bei den Proben und Aufnahmen zusammen sein können.

*-*-*

Jetzt muss ich auch mal an den offiziellen Teil des Tages denken, solange noch Zeit dafür ist, also ab geht’s Richtung Uni.

Transparente, Demos und Stände, an denen es immer irgendetwas zu unterschreiben gilt, also wie immer. Schnell habe ich mich zur Ansprechperson meines Studienganges durchgewuselt.

„Hallo, der Herr. Für sie wie auch für alle anderen Auswärtigen, die an unserer Uni studieren, ist es leider nicht mehr möglich, das Studienangebot aufrecht zu erhalten. Sie kennen sicherlich die derzeitige Versorgungslage mit Wasser. Außerdem haben uns die besten Lehrkräfte bereits verlassen. Jeder muss halt in diesen Zeiten sehen, wie er mit dem besagten Arsch an die Wand kommt.

Für sie war es das dann. Suchen sie sich einfach eine neue Uni. Ihre Unterlagen schicke ich ihnen zu. Viel Glück und schönen Tag auch noch!“

„Aber…“, mir schnürt es die Kehle zu. ‚Aber hier geht es um meine Zukunft!‘, wollte ich eigentlich ganz laut protestierend rufen. Unvermittelt kommt mir die Erinnerung an die vielen aktiven Bewässerungsanlagen auf den Gemüsefeldern während der Busfahrt, die ihr Wasser fast bis in den Himmel verspritzen, und ich verstehe die Welt nicht mehr.

Draußen fallen mir die traurigen und frustrierten Gesichter der Studenten auf, die auf den Bänken entlang des langen Flures sitzen.

Ich bin geschockt! Kopfschüttelnd und mit Tränen in den Augen, verlasse ich die Uni wieder und schreibe mich in alle ausliegenden Protestlisten ein.

Fabio weg, die Uni im Arsch, was wird nun werden.

Das Fahrrad an meiner Seite langsam vor mich hin schiebend, laufe ich stundenlang ziellos durch das Stadtzentrum, schaue in all die fremden, scheinbar glücklichen Gesichter um mich herum. Und was werden erst meine Eltern dazu sagen… Aber bevor ich die anrufe, denen etwa auch noch die Sache mit Fabio erzähle, möchte ich erst noch etwas warten, um damit selbst erstmal klar zukommen. Und dass die mir dann noch meinen Aufenthalt hier sponsern, das kann ich auch vergessen.

Unverhofft stehe ich vor meiner Unterkunft. Heute will ich nichts mehr sehen und hören. Einfach nur die Tür zu und mich so vor der bösen Welt verschließend. Vielleicht kann ich etwas schlafen und zur Ruhe kommen.

*-*-*

„Ring! Ding! Ring! Ding! Ring! Ding!“

Es dauert lange, bis ich in der Lage bin, die richtige Taste zu drücken.

„Hier Manuel, wer spricht?“

„Hallo Manu, Nico am Apparat. Hier wollen ein paar Leute den Freund von Fabio kennenlernen. Vielleicht können sie dir helfen. Den Weg kennst du bereits. Kommst du bitte?“

„Entschuldige, Nico, das war heute ein ganz anstrengender Tag. Erst die Sache mit Fabio, dann schmeißt mich die Uni raus – ich habe heute wirklich absolut keine Lust mehr. Auf Nichts.“

„Soweit verstehe ich das ja, aber das geht auch viele andere so. Nun komm schon her und wir bereden das zusammen; das ist doch viel besser, als wenn du jetzt in deiner Kammer ganz alleine rumflennst. Manuel? … Ich erwarte dich. Bis gleich!“

Schön, wenn man gute Freunde hat, und wo er Recht hat, hat er Recht.

*-*-*

Es fängt schon leicht an zu dämmern, als ich mein Fahrrad durch den Torweg schiebe und sich mir die Szene im Garten vor der Unterkunft eröffnet.

Etliche Leute sind versammelt und stehen diskutierend in kleinen Gruppen zusammen, andere sitzen auf einer Gartenbank ein Stück abseits. Selbst der Eingangsbereich und die Treppe wird als Sitzgelegenheit genutzt.

„Hallo Manu. Hier wissen alle Gäste schon Bescheid, was Fabio und auch die Uni anbelangt. Eine totale Sauerei ist das. Nichtsdestotrotz, die Welt ist groß und Bilbao dagegen ein Dorf, es wird sich schon eine Lösung für dich finden.

Am Besten, du machst dich erstmal mit den Leuten hier bekannt. Sind auch einige dabei, die richtigen Einfluss haben und dir vielleicht helfen können.

Nun los, nimm dir eins von den Weingläsern und sei nicht so schüchtern, die beißen dich nicht.“

Ziemlich hilflos muss ich aussehen, wie ich jetzt in die Runde schaue. Da stehen nicht nur junge Leute wie Nico und ich auf dem Hof, selbst Anzugsträger mit Glatze oder bereits grauen Haaren sind dabei, auch ein junger Polizist in Uniform mit umgeschnallter Dienstpistole fällt mir auf, die in angeregter Unterhaltung mich noch gar nicht bemerkt haben.

„Guten Abend! Sie sind der Freund von Fabio? Ach ja, dann möchte ich sie ganz herzlich begrüßen. Trinken sie einen Schluck Wein mit mir? Kommen sie doch rüber zu den anderen, damit wir uns alle bekannt machen und kennenlernen können.“

Endlich hat sich mir einer erbarmt…

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