It’s raining – Teil 4

„Was will der denn hier?“, fragte ich, stand schnell auf und lief zum Schrank.

„Woher soll ich das wissen?“, fuhr Matthew mich an.

Schnell zog ich mir einen Jogginganzug über, schlüpfte in Strümpfe und Turnschuhe, als es schon unten an der Haustür klopfte. Ein Blick zu Matthew verriet mir, dass er langsam in Panik geriet.

„Er muss wissen, dass du hier bist, dein Wagen steht sicher draußen vor dem Haus.“

Matthew nickte.

„Hallo, das ist alles nicht so schlimm, du besuchst mich einfach.“

Ich rannte die Treppe hinunter und riss die Haustür auf.

„Hallo George, was führt dich hier her?“

„Hallo Billy. Ich sah Matthews Pickup von der Straße aus und dachte, ich schaue mal vorbei. Ich wunderte mich auch, dass er nicht in der Schule ist.“

Jetzt wo George das erwähnte, fiel mir das auch auf. Deswegen war Matthew eben etwas panisch geworden.

„Ja, Matthew hat mir einen Besuch abgestattet, wollte wissen wie es mir geht, nachdem es mir gestern nicht so besonders ging.“

„Ach so und jetzt geht es dir wieder besser?“

„Ja, sehr gut.“

Ich hörte Matthew hinter mir die Treppe herunter kommen.

„Hallo Mathi, hast du heute keine Schule?“

„Ähm doch…“

George schaute auf die Uhr und schüttelte den Kopf.

„Wenn du dich beeilst, dann kommst du vielleicht noch rechtzeitig in die dritte Stunde.“

Matthew, der nun neben mir stand, zuckte mit den Schultern und steckte seine Hände in die Hosentaschen.

„Matthew, das war kein Vorschlag, sondern ein gut gemeinter Rat. Du weißt, wie schnell du Ärger mit deinen Eltern bekommst“, sagte George in einem für mich liebevollen Ton.

George hob die Arme und schaute Matthew durchdringend an. Der zögerte erst, aber lief dann doch in Georges Arme. Sein Onkel drückte ihn fest an sich und wuschelte ihm durch die Haare.

Die beiden schienen wirklich ein gutes Verhältnis zueinander zu haben, wenn nicht sogar ein sehr inniges.

„Wir sehen uns sicher später“, meinte Matthew zu mir und lief zum Wagen.

Ich sah ihm nach, wie er einstieg, mit dem Wagen den Weg vorfuhr und dann auf der Hauptstraße verschwand.

„Ist da mehr zwischen euch?“, fragte George plötzlich, „ich weiß dass Matthew einen Krieg mit sich selbst führt, weil er nicht genau weiß, ob er schwul ist oder nicht.“

Er ist es…, das dachte ich, sagte es aber nicht laut.

„Wie kommst du darauf, dass zwischen uns etwas läuft?“, fragte ich entsetzt.

„Billy, ich bin nicht blind. Ich sehe dir an, dass du schwul bist.“

„Wieso, tucke ich dermaßen herum, oder was“, gab ich nun etwas ärgerlich von mir.

„Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich spreche oft aus, was ich denke, zum Ärgernis der anderen. Ich wollte dich jetzt nicht irgendwie beleidigen, denn ich bin selbst schwul, sozusagen das schwarze Schaf der Familie… aber ein erfolgreiches“, grinste George mich an.

„Ja, ich bin schwul und meine Eltern wissen das und Matthew auch, mehr ist nicht und mehr wird nicht sein“, sagte ich und bat ihn mit einer Handbewegung das Haus zu betreten.

„Danke, für dein Vertrauen, Kleiner. Wenn ich schon hier bin, könntest du mir die Bilder zeigen, von denen du mir erzählt hast?“

Stimmt ja, an das hatte ich nicht mehr gedacht. Ich beschloss, mich gegenüber George weiter zu öffnen, irgendwie war mir danach, mit jemandem darüber zu reden. Gut, ich hatte es eben Matthew erzählt, aber das galt nicht.

„Die Bilder sind oben in meinem Zimmer. Gemalt hat sie mein Ex, der noch in England verweilt.“

„Da bin ich aber gespannt.“

Wir liefen gemeinsam in mein Zimmer hoch, ich holte die Bilder hervor und zeigte sie George.

„Wundervoll. Wie alt ist dein Ex?“

„Tassilo…, das Wort Ex mag ich eigentlich nicht so. Er ist siebzehn wie ich.“

„Erst siebzehn? Wow! Das hätte ich nicht gedacht. In dem Bild steckt soviel Gefühl…, die Farben so prächtig inszeniert. Meinst du, du könntest… Tassilo heißt er… fragen, ob er mir vielleicht ein paar Bilder per Mail zukommen lassen könnte?“

„Für was?“

„Unsere Galerie versucht immer wieder, neuen Künstlern eine Chance zu geben und ich würde gerne ein paar Bilder von ihm dort ausstellen.“

„Bilder von Tassilo?“, fragte ich ungläubig.

„Ja, ich finde die so gut getroffen… aussagekräftig… und der ist wirklich erst siebzehn?“

„Ja!“

„Wahnsinn!“

„Ähm…, wir haben noch keinen Internetanschluss hier, aber der soll bald kommen…, dann kann ich Tassilo anschreiben.“

„Das ist lieb von dir“, meinte George und sah sich im Zimmer um.

„Nett hast du es hier. Die Möbel selbst ausgesucht?“

„Ja.“

„Passt irgendwie zu dir, besser gesagt, soweit ich dass schon beurteilen kann, aber es fehlt noch etwas die persönliche Note.“

„Bisher hatte ich noch keine große Idee, aber ich denke, das wird schon.“

„So, dann verschwinde ich wieder und bitte… versprich mir etwas.“

„Was denn?“

„Wenn Matthew noch mal irgendwie die Schule schwänzen sollte und du das mitbekommst, schick ihn in die Schule.“

„Ähm ja… kann ich machen.“

„Danke und noch etwas.“

„Ja?

„Ihr würdet ein süßes Paar abgeben!“

Ich wurde rot und George kicherte. Er verabschiedete sich mit Handschlag und war wenige Sekunden später verschwunden. Ich stand immer noch in meinem Zimmer und überlegte, ob ich das eben alles nur geträumt hatte, oder ob es wirklich geschehen war.

Tassilo

Ich saß im Wagen und schaute zum Fenster hinaus. Mir ging Daniels trauriger Blick nicht aus dem Kopf, als er in den Wagen seines Vaters gestiegen war. Im Fond des Autos schien man meinen Missmut zu bemerken.

„Tassilo, mach nicht so ein Gesicht, ihr seht euch doch wieder“, meinte Mum.

Verwundert schaute ich nach vorne.

„Wie meinst du das?“

„Ich habe ein etwas längeres Gespräch mit Daniels Vater geführt…, netter Mann muss ich sagen, mir aber etwas zu hektisch“, erzählte Lewis.

„Ja und, worum ging es in dem Gespräch?“

„Um Daniel natürlich.“

„Ja klar, aber was habt ihr geredet, dass Mum meint, wir sehen uns bald wieder.“

„Ich habe mit Daniels Vater eine Abmachung getroffen. Bevor Daniel zu viel alleine zu Hause sitzt, weil seine Eltern ständig irgendwelchen Verpflichtungen nachgehen müssen, kommt Daniel zu uns, damit eine gewisse Aufsicht da ist.“

„Aufsicht?“

„Ja, ich habe dir ja schon gesagt, dass der nicht verkraftete Tod seines Bruders Daniel ganz schön zu schaffen macht. Da du und Daniel euch gut versteht und er etwas aufgetaut ist, dachte ich, vielleicht wäre das eine gute Medizin dagegen und sein Zustand bessert sich.“

„Ich sage aber gleich, dass ich nicht ganz mit Lewis einer Meinung bin“, warf Mum ein.

„Wieso?“, fragte ich.

„Na hör mal, Daniel ist eigentlich ein wildfremder Junge, du kennst ihn erst zwei Tage.“

Ich sah von der Seite, dass Lewis heftig grinste.

„Warum grinst du jetzt“, fragte Mum.

„Ach nur so“, meinte Lewis und schaute kurz zu mir nach hinten.

*-*-*

Der Montag war wie immer. Unterwegs in die Schule traf ich Ella.

„Morgen Tassilo, alles wieder fit?“

Ich nickte.

„Warst du das ganze Wochenende noch krank im Bett gelegen?“

„Nein, ich war mit Mum und Lewis beim Leuchtturm.“

„Ich fasse es immer noch nicht, dass du einen Leuchtturm geerbt hast.“

„Ja…“

„Das Wochenende bei der Verwandtschaft war voll öde. Wäre lieber mit dir gefahren.“

„Meins war nicht langweilig. Ich habe sogar wieder etwas gezeichnet.“

„Das musst du mir bald möglichst zeigen, ich habe schon lange nichts mehr von dir gesehen.“

„Ich habe die Zeichnung dabei…, aber… mal sehen, vielleicht nachher.“

„Komm, jetzt stell dich nicht so an.“

„Hallo ihr Zwei“, hörte ich Jack von Weitem rufen.

Wir blieben stehen und warteten auf ihn.

„He Tassilo, was machst du für Sachen, von dir hat man ja die übelsten Sachen gehört.“

„Bitte?“, fragte ich verwirrt.

„Ja, einige hatten sogar erzählt, du wolltest dir das Leben nehmen und würdest im Krankenhaus liegen, einer hatte erzählt, dass dein Essen vergiftet war.“

„Das Essen nicht…, aber gekotzt habe ich trotzdem.“

„Was war denn?“, fragte Ella mitfühlend.

„Überlastung des nervalen Kontext.“

„Was?“, fragte  Jack.

„Einen Schwächeanfall… die letzten Wochen waren etwas viel für mich“, erzählte ich.

„Verständlich“, bejahte Ella.

„Aber jetzt hast du ja uns“, meinte Jack und legte seinen Arm um mich.

„Ja… habe ich?“, fragte ich.

„Öhm…, ja, du weißt schon, wie ich das meine.“

„Ja?“, sagte ich und war mittlerweile stehen geblieben.

Ich legte meine Hand auf seine Schulter und er wurde sichtlich nervös. Ella fing an zu kichern.

„Ähm…, Tassilo… ich mag dich sehr… aber ich steh wirklich auf Mädchen.“

Erst als ich breit grinste und Ella anfing, laut zu lachen, bemerkte Jack, dass wir ihn auf den Arm nahmen. Wir bogen durch das Tor in den Schulhof ein, wo Betty und Nick bereits auf uns warteten.

„Habt ihr schon gehört, wir bekommen einen Neuen in die Klasse“, begrüßte uns Betty.

Sie war immer bestens informiert, denn die Rektorin der Schule und ihre Mutter waren gute Freundinnen.

„Einen Neuen? Wer wechselt denn mitten im Schuljahr die Schule?“, fragte Ella neugierig.

„Ich weiß nicht so genau, der war vorher auf einer Privatschule“, antwortete Betty.

„Das wird so ein eingebildeter Schnösel sein“, meinte Jack.

Mein Blick wanderte über den Schulhof, auf dem die meisten auf den ersten Schulgong warteten.

„Jetzt warte doch erst einmal ab“, meinte Ella.

„Vielleicht ist es ja jemand für unseren Tassilo“, sagte Nick süffisant, was ihm einen Boxer von Ella einhandelte.

„Kein Interesse“, meinte ich dazu nur.

Mein Blick blieb auf dem Parkplatz haften.

„Was ist, Tassilo?“, fragte Ella.

„Mir ist, als kenne ich das Auto.“

„Damit ist vorhin der Neue gekommen“, meinte Nick, „ist mit seinem Vater schon im Schulgebäude.“

„Du hast ihn schon gesehen…?“, fragte Ella weiter.

Sie wollte wie immer alles genau wissen.

„… und wie hat er ausgesehen?“

„Gut“, entfleuchte es mir, denn ich wusste nun, wem das Auto gehörte.

Alle schauten mich verwirrt an. Ich konnte nicht anders und fing an zu grinsen.

„Tassilo Melright, du weißt wieder mehr, als du uns erzählst“, beschwerte sich Ella.

„Kann sein“, meinte ich und grinste weiter.

„Lass dir doch nicht wieder alles aus der Nase ziehen… man!“

Die Schultür öffnete sich und ein groß gewachsener Mann kam heraus. Daniels Vater, der Duke.

„Hallo Tassilo“, begrüßte er mich, als er mich entdeckte.

„Hallo Mr. Cavendish.“

Er kam auf unsere kleine Gruppe zu und begrüßte mich nochmals mit Handschlag.

„Ich habe gerade Daniel hergebracht, der ab heute auf eigenen Wunsch eure Klasse besucht.“

Ich war etwas verwundert, denn wie hatte er das so schnell fertig bekommen, dass Daniel hier auf die Schule konnte? Wir hatten uns doch erst gestern voneinander verabschiedet.

„Ja, ich habe schon gehört, dass heute ein Neuer in unsere Klasse kommt. Ich wusste aber nicht, dass es Daniel ist.“

„Ja, das ging jetzt alles sehr schnell, aber ich denke, es ist besser so…, du wirst dir sicher denken können warum.“

Ich nickte. Die anderen waren verstummt und schauten mich mit großen Augen an.

„Jetzt muss ich aber los, ich habe einen dringenden Termin…, vielleicht besuchst du uns ja mal, Tassilo…, öhm wenn wir zu Hause sind.“

„Kann ich machen… einen schönen Tag noch, Mr. Cavendish.“

„Dir auch.“

Und schon war er weg und ließ mich in der Höhle der Löwen alleine. Sie wetzten bereits ihre Krallen und fletschten mit den Zähnen. Sprich, wenn ich nicht sofort eine Erklärung abgegeben hätte, wäre mir Ella sicher an die Gurgel gegangen.

„Da denkt man, der Herr liegt schwer krank in seinem Bett zu Hause, dabei lernt er irgendwelche Leute kennen und erzählt nicht mal was davon.“

„Wieso, das war doch nur Mr. Cavendish, Duke of Burlington.“

„Ein Duke?“, kam es aus vier Mündern gleichzeitig.

Ich nickte grinsend.

„Wie bist du denn an den geraten?“, fragte Betty.

„Eine lange, lange Geschichte…“

„Man du Nasenbüffel… erzähl endlich“, fuhr mich Ella fast an.

Aber dies blieb ich ihr schuldig, denn der Gong ertönte. Ich lief ins Gebäude, die anderen folgten mir.

„Tassilo“, begann Betty, „wenn der Mann ein Duke ist… hat dieser Daniel dann auch einen Titel?“

Ich drehte mich um und wollte antworten, aber schaute direkt in zwei wunderschöne Augen, die ich seit gestern vermisst hatte.

„Lord Daniel Cavendish…, aber Daniel reicht“, kam es Daniel über die Lippen, der die Frage gehört hatte und hinter uns hergelaufen war.

Mein Trupp drehte sich blitzartig um, so dass Daniel etwas zusammen fuhr.

„Uh, ein Lord… unsere Klasse wird adlig“, spöttelte Nick.

Daniel lächelte verlegen. Seine Augen lächelten auch, nichts war mehr von der Traurigkeit am Wochenende zu sehen.

„Ich bin Ella, Tassilos beste Freundin“, drängte sich Ella vor und streckte ihre Hand aus.

„Ähm… Daniel.“

Betty kicherte.

„Warum seid ihr noch nicht im Klassenzimmer?“, hörten wir unseren Klassenlehrer hinter uns rufen.

Billy

Der Regengott hatte Erbarmen und es regnete seit ein paar Stunden nicht mehr. So saß ich etwas draußen und schaute durch die Gegend. Irgendwo musste eine Straße gesperrt sein, denn vorne auf der Straße war ungewöhnlich viel Verkehr.

Ein roter Pickup erweckte meine Neugier und spätestens, als er in unsere Einfahrt einbog, war mir klar, dass es sich um Matthew handelte. Der Wagen rollte aus und Matthew sprang aus dem Wagen.

„Schule schon vorbei?“

„Ja, das Training ist ausgefallen.“

„Aha…, was trainierst du denn?“

„Basketball.“

Das erklärte seinen sportlichen Körperbau, der mir von Anfang an aufgefallen war.

„Und nun möchtest du wieder wissen, wie es mir geht?“, fragte ich verschmitzt.

Er lächelte.

„Ja…“

Er ließ sich neben mich auf die Bank fallen.

„Hast du Ärger bekommen, weil du zu spät kamst?“

Matthew schüttelte den Kopf.

„Dann ist ja gut.“

„War Onkel George noch lange da?“

Ah, er wollte mich aushorchen. Er dachte sicher, er hätte etwas verpasst.

„Ja, er hat noch die Bilder von Tassilo angeschaut und wir haben uns noch ein wenig unterhalten.“

„Über was?“

„Neugierig scheinst du nicht zu sein“, merkte ich an.

Matthew wurde rot und ich konnte nicht anders und grinste mir eins ab.

„Wenn du es genau wissen willst, wir haben über dich geredet.“

„Über mich… äh…, was hat George erzählt…?“

Sein fröhlicher Gesichtsausdruck war wieder gewichen und hatte sich auf leichte Panik eingestellt.

„He keine Angst, er hat mir deine bösen Geheimnisse nicht erzählt.“

Matthew atmete tief durch.

„Dann ist ja gut!“

Was war das jetzt? Hatte er wirklich Geheimnisse? Er lächelte wieder und ich beschloss, die Aussage nicht all zu ernst zu nehmen.

„Aber er meinte, wir würden ein schönes Paar abgeben.“

„Bitte was?“, fragte Matthew erschrocken.

„Du hast schon verstanden.“

„Wir ein Paar?“

Ich nickte.

„Lächerlich!“

„Genau!“

„Wie kann man auf so eine Idee kommen?“

„Das hatte ich mich auch gefragt.“

„Also wirklich!“

„Ja!“

Wir schauten uns die ganze Zeit an und ich hatte nicht bemerkt, wie sich unsere Gesichter immer mehr genähert hatten. Plötzlich schnappte sich Matthew meinen Kopf, zog mich zu sich heran und begann mich zu küssen.

Beschweren wollte ich mich sicher nicht, dazu küsste Matthew viel zu gut. So erlag ich seiner Kussattacke und sank in seine starken Arme. Irgendwie vergaß ich alles um mich herum und schwebte im Gedanken von dannen.

Plötzlich setzte Matthew ab.

„Können wir hinein gehen?“, fragte er und schaute sich um.

Etwas spät, dachte ich und nickte. Ich nahm ihn bei der Hand und zog ihn hinter mir her ins Haus. Wenig später lag ich wieder in seinen Armen, diesmal auf meinem Bett. Ob das gut war oder nicht, darüber machte ich mir jetzt keine Gedanken. Ich ließ es einfach geschehen.

*-*-*

Matthews Kopf lag auf meiner Brust, schwer atmend rang er nach Luft. Mir ging es nicht anders. Ich küsste ihn sanft auf die Stirn und kraulte dabei seinen Nacken.

„Wenn ich das früher gewusst hätte“, hörte ich Matthew leise brummen.

„Was denn?“

„Dass das so schön ist.“

Ich musste lächeln und streichelte weiter über seinen Rücken.

„War das einmalig?“, fragte er plötzlich und hob den Kopf.

Ich schaute in seine tiefblauen Augen. In dem Augenblick wusste ich nicht recht, was ich ihm antworten sollte. Ich mochte Matthew sehr, er war ein ganz Lieber, das hatte ich sofort gemerkt, aber ich hatte mich immer noch nicht von Tassilo gelöst.

„Entschuldige die Frage“, sagte Matthew und wollte sich erheben.

Ich hielt ihn fest.

„Warte, du brauchst dich nicht entschuldigen, deine Frage ist durchaus berechtigt. Ich weiß nur nicht recht, was ich dir darauf antworten kann… soll… möchte. Es ist schwer. Ich hatte mir geschworen, als das mit Tassilo in die Brüche ging, mich nie wieder jemand anderem zu öffnen.“

„Und was hat dich umgestimmt?“

„Du.“

„Warum ich?“

„Kann ich dir nicht genau sagen. Es ist deine Art, wie du dich gibst. Du bist du und das gefällt mir.“

Matthew zog die Decke über uns beide und schaute mich weiter an.

„In deinem Auto…, du warst mir so vertraut, obwohl wir uns noch nicht lange kennen und doch fühle ich mich bei dir wohl…, irgendwie sicher…, behütet.“

„Du schwärmst ganz schön von mir…“

„Wundert dich das? Schau dich an, du bist ein attraktiver Kerl, mit sehr viel Grips in der Birne. Du bist einfühlsam und wie ich spüren durfte unheimlich lieb.“

„Rede weiter und ich halte um deine Hand an“, kicherte Matthew.

Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Nase.

„Darf ich mir also Hoffnungen machen?“

„Matthew, lass mir einfach etwas Zeit, ich muss mir über mich klar werden.“

Er nickte, aber sein Blick war fröhlich.

„Was hältst du davon, wenn wir duschen gehen?“, fragte ich.

Matthew lächelte.

„Du hast Recht, bei mir klebt alles.“

„Daran bin ich ja nicht schuld“, grinste ich frech.

„Kann ich etwas dazu? Ich bin noch nie so heftig gekommen.“

Jetzt musste ich lachen.

„Du bist so süß“, sagte ich und küsste ihn erneut.

*-*-*

Wir saßen wieder auf der Veranda und schauten dem Regen zu, während Matthew an seiner Zigarette zog.

„Sehen wir uns morgen wieder?“, fragte ich.

„Wenn du willst?“

Ich hob mein Kopf schräg und grinste ihn an.

„Mal überlegen…“

Er hob die Hand und piekste mir in die Seite. Meine Beine, die über seinem Schoss lagen, flogen hoch und ich quiekte.

„Das war gemein!“, beschwerte ich mich.

„Wieso denn? Irgendwie muss ich mich doch gegen deine Frechheiten wehren können.“

Er drückte seine Zigarette aus und stand auf.

„Ich verschwinde dann mal, meine Mutter wird schon eine Vermisstenanzeige aufgegeben haben.“

Ich erhob mich ebenso.

„Wieso, du bist doch sicher öfter weg?“

„Na ja, schon, aber meist nur wegen der Schule. Viele Freunde habe ich nicht und die, die ich habe, wohnen alle in der Stadt oder noch weiter weg. Also bin ich meist daheim.“

„Dann muss sie sich wohl daran gewöhnen, dass du nun öfter weg bist“, meinte ich und legte meine Arme um ihn.

Er lächelte und umarmte mich ebenso. Der Kuss, der folgte, wurde von einem heran nahenden Auto unterbrochen. Meine Eltern.

„Ich bin dann weg, bis morgen!“

Ich wunderte mich, dass Matthew sich vorbeugte und mir noch mal einen Kuss gab, obwohl er davon ausgehen musste, dass das meine Eltern sehen konnten. Er lief zum Wagen und winkte mir noch einmal zu.

Dad blieb vor mir an der Veranda stehen und stieg aus.

„Hallo Mr. und Mrs. Fox. “

„Hallo Matthew“, meinte Mum noch, aber da war er schon losgefahren.

Mit verwunderten Blicken kamen die zwei auf die Veranda.

„Sohnemann, mir scheint, euer Gespräch hat Früchte getragen“, meinte Dad und stellte sich neben mich.

„Könnt ihr mir mal sagen, was los ist? Mir erzählt ja wieder keiner was“, meinte Mum.

Ich musste kichern.

„Dein Sohn hat einen neuen Schwarm.“

„Matthew ist schwul?“

Das klang jetzt weder entsetzt, noch irgendwie enttäuscht. Eben eine ganz einfache Frage.

„Wie würdest du den Kuss und die liebevolle Umarmung von eben sonst deuten?“

Ich konnte nicht anders und kicherte weiter.

„Na ja…, ich weiß nicht.“

„Also ich geh hinein, denn ich habe Hunger“, meinte Dad und betrat das Haus.

Hunger hatte ich auch und so folgte ich Dad.

Tassilo

In der Pause standen wir draußen unter der großen Kastanie, hier war es wenigstens etwas trocken.

„Was hat dich geritten, auf meine Schule zu kommen?“, fragte ich ihn, als wir endlich mal alleine waren.

Die Frage war weder vorwurfvoll noch böse gemeint. Dies merkte Daniel auch und lächelte.

„Ich weiß es nicht genau. Dieses Wochenende hat soviel in mir verändert und bewirkt und ich wollte einfach nur weiterhin in deiner Nähe sein.“

Wow! Ich war verblüfft. Dieser Junge brachte es fertig, dass ich sprachlos war.

„Und… ich gebe auch zu…, ich habe mich etwas in dich verliebt.“

Ich wollte gerade etwas erwidern, als Daniel seinen Finger auf meinen Mund legte.

„Ich weiß, Tassilo, dass du noch sehr an deinem Billy hängst, so eine Liebe verpufft nicht einfach, aber ich kann warten, denn so liebevoll wie du mit mir umgehst, kann da nur noch mehr kommen.“

Ich wusste nicht, wo Daniel plötzlich diese Selbstsicherheit her nahm, aber ich musste ihm recht geben. Daniel war etwas Besonderes und ich war drauf und dran, mich in diesen Kerl heftig zu verlieben.

Ich blieb ihm eine Antwort schuldig, denn die anderen hatten uns gefunden.

„Ach hier versteckt ihr euch“, hörte ich Ella rufen.

„Ich brauche mich nicht zu verstecken“, meinte ich und stellte mich in Pose.

„Da sieh dir diesen eingebildeten Hirni an, der denkt doch wirklich, er sieht gut aus, mit seinem Hühnerbrüstchen und den langen Stelzen, die ihr Beine nennt.“

Diese Äußerung kam von Robert. Ich wusste, er meinte das nicht böse, solche Scherze machte er laufend.

„Du… Robert, glaube ich“, begann Daniel neben mir, „es soll Leute geben, die auf Hühnerbrüstchen stehen!“

Alles begann zu lachen, selbst ich, der total verwundert über Daniel war, der so ganz anders schien, als ich ihn am Wochenende kennen gelernt hatte. Ein Wochenende, das nicht nur sein, sondern auch mein Leben verändert hatte.

Doch jemand anderes kam mir wieder in den Sinn. Würde es nicht so aussehen, als hätte ich Daniel gegen Billy ausgetauscht? Es war immer noch ein tiefes Gefühl für ihn da. Aber auch dieser sommersprossige Junge neben mir machte sich in meinen Gedanken breit.

„He du Gockel, wo bist du wieder mit deinen Gedanken?“, riss mich Ella aus meinen Überlegungen.

„Hier!“

Und damit hatte ich nicht gelogen. Daniel lächelte mir zu und ein Blick zu Ella sagte mir, dass ihr nichts verborgen blieb. Sie blickte zwischen uns hin und her und man sah ihr deutlich an, wie die Hirnzellen heftig arbeiteten.

„Ich glaube, ich schenke mir die zwei Stunden Kunst“, warf Jack ein.

„Nichts da, du kommst mit“, meinte Betty.

„Genau!“, kam es von Charlotte, „du willst dich doch nur vor deiner Figur drücken!“

„Figur?“, fragte Daniel.

„Ja, ausnahmsweise malen wir mal kein Bild“, erklärte ich, „Mrs. Richardson meinte, wir könnten doch auch mal eine Figur nachbilden.“

„Was für eine Figur“, fragte Daniel weiter.

„Einen nackten Mann“, kicherte Ella.

„Es ist eine Fotografie, kein echter“, kam ich Daniels Frage zuvor.

„Also mir gefällt er“, meinte Betty.

„Eine Frau wäre mir lieber gewesen“, sagte Jack.

„Da gebe ich dir Recht, die ist doch sicher viel einfacher nachzuformen“, fügte Nick an.

„Da bin ich ja mal gespannt“, meinte Daniel.

Der Gong ertönte und wir bewegten uns wieder zum Eingang zurück.

„Habe ich am Wochenende irgendetwas verpasst?“, fragte Ella leise neben mir.

„Wie kommst du da drauf?“, fragte ich ebenso leise zurück.

„Da läuft doch etwas zwischen euch…, wo hast du diesen Typ denn aufgegabelt?“

Ich blieb stehen.

„Zum ersten, Daniel ist kein Typ. Er ist ein ganz lieber Junge und zum zweiten…, wenn du es genau wissen willst… auf dem Friedhof!“

„Hä, was?“

„Ich habe Daniel auf dem Friedhof kennen gelernt.“

„Auf dem Friedhof? Das wird ja immer schräger.“

„Ich hatte dich eingeladen! Aber du hast es ja vorgezogen, dich mit verwandtschaftlichen Feiern zu vergnügen.“

Es war herrlich, Ella mal aus der Reserve zu locken.

„Du bist so was von gemein, du weißt genau, wie gerne ich mitgegangen wäre…“

„Man, was trödelt ihr zwei so, jetzt kommt endlich“, unterbrach Nick unser Gespräch, als er nach uns rief.

*-*-*

Diese zwei Kunststunden waren wie im Flug vergangen und ich hatte schon lange nicht mehr so viel gelacht. Nick und Jack hatten sich eine Schlacht mit Ton geliefert und dabei auch noch Mrs. Richardson getroffen.

Während die zwei nun den Kunstraum putzen durften, bewegten Daniel und ich uns nach Schulschluss aus dem Gebäude.

„Was machst du jetzt?“, fragte Daniel.

„Eigentlich nach Hause gehen, warum fragst du?“

„Möchtest du wissen, wie ich lebe?“

Erstaunt schaute ich ihn an. Klar interessierte mich das.

„Wenn du mich kurz meine Mutter anrufen lässt, damit sie Bescheid weiß, sicher!“

„Das kannst du von Auto aus machen.“

„Auto?“

„Ja, den Wagen dort hat Dad geschickt, damit ich sicher nach Hause komme.“

„Öhm… ja… okay.“

„He, ihr zwei, wo wollt ihr hin?“, hörte ich Ella rufen.

„Ich fahr mit Daniel mit.“

„Ach so“, sagte sie, als sie uns mittlerweile erreicht hatte.

Es klang sehr enttäuscht, auch Daniel merkte das.

„Willst du vielleicht mit? Ich wollte Tassilo zeigen, wie ich wohne.“

Sofort hellte sich ihr Gesicht wieder auf.

„Klar, meine Eltern sind eh nicht zu Hause“, meinte sie.

„Meine auch nicht“, sagte Daniel.

Er lief los und bewegte sich zum Wagen. Ella schaute mich verwundert an.

„Er wird abgeholt“, erklärte ich.

„Das wird ja immer besser.“

„Wo bleibt ihr…, kommt steigt ein“, rief uns Daniel zu.

Das ließen wir uns nicht zweimal sagen. Daniel hob die Tür auf und wir schlüpften auf die Rückbank des Wagens. Vorne saß ein Mann, der sich aber nicht umdrehte. Daniel setzte sich zu uns und zog die Tür wieder zu.

„Wir können fahren“, sagte Daniel und ohne eine Erwiderung setzte der Fahrer den Wagen in Bewegung.

„Ist der immer so stumm?“, flüsterte Ella.

Daniel schüttelte den Kopf.

„Nein, Marco ist cool, aber es gibt gewisse Regeln in unserem Haus, an die sich das Personal halten muss, auch wenn mir das widerstrebt. Zum Beispiel…, am Anfang hielt mir Marco immer die Tür auf, das habe ich ganz schnell abgeschafft.“

Ein flüchtiger Blick in den Rückspiegel zeigte mir ein Lächeln auf Marcos Lippen. Es war irgendwie alles recht aufregend, denn diese Seite der Oberen kannte ich ja bisher nur aus dem Fernsehen.

Nun bekam ich sie hautnah mit und war gespannt, was noch alles kam.

„Du wolltest noch deine Mutter anrufen“, sagte Daniel plötzlich und hielt mir einen Hörer hin.

Stimmt, das hatte ich total vergessen. Ich nahm den Hörer entgegen und wählte die Nummer.

„Melright“, konnte ich Mums Stimme hören.

„Hallo Mum, hier ist Tassilo.“

„Hallo Tassilo, wo bist du?“

„Ich sitze hier mit Daniel in einem Wagen und fahre zu ihm nach Hause.“

Mum lachte.

„Das hätte ich mir denken können.“

„Was meinst du?“

„Als mir Lewis heute Morgen erzählte, dass Daniel ab heute in deine Schule geht, dachte ich mir so etwas in der Richtung.“

„Du und Lewis habt das gewusst? Warum habt ihr mir nichts gesagt?“

„Weil es bis zum Schluss nicht sicher war, ob es überhaupt geht. Ich wollte nicht, dass du irgendwie enttäuscht bist.“

„Das ist lieb von dir, aber ich hätte das schon gern gewusst. Was meinst du, wie erstaunt ich war, als Daniel plötzlich vor mir stand.“

Daniel neben mir grinste und Ella schaute verwirrt.

„Das Gesicht hätte ich gerne gesehen. Okay Tassilo, Falls wir dich abholen sollen, gib uns Bescheid und benimm dich.“

„Ja Mum, ist gut, ich melde mich dann.“

Ich hatte das Gespräch beendet und Daniel den Hörer zurück gegeben.

„Und du bist wirklich ein richtiger Lord?“, fragte nun Ella.

„Dem Titel nach ja, aber ich mache mir nicht viel aus meinem Titel, sprich, ich benutze ihn nicht viel, auch wenn er Vorteile bringt.“

Auch Nachteile dachte ich, aber laut hätte ich das nie gesagt. Zu sehr gefiel mir Daniels strahlendes Gesicht. Das Auto fuhr aus der City heraus, der Verkehr wurde ruhiger. Wir kamen in eine Siedlung, in der jedes Häuschen mit Vorgarten versehen war.

Bis auf das Haus, in dessen Einfahrt wir jetzt bogen. Man könnte sagen, es beinhaltete mindestens drei dieser Häuser in der Nachbarschaft. Für seine Größe war es aber doch recht schlicht gehalten und erinnerte eher an ein altes Cottage, welches man an den Küsten Englands fand.

Der Wagen hielt und Daniel öffnete seine Tür. Nacheinander verließen wir unser Beförderungsmittel.

„Schön ist es hier“, sagte Ella.

Daniel nickte und öffnete die Haustür. Wer drinnen nun den Geldadel erwartet hatte, wurde enttäuscht. Alles war schlicht eingerichtet, so wie man es von anderen Wohnungen her gewohnt war.

„Eure Jacken könnt ihr dort hinlegen“, meinte Daniel und zeigte auf einen Stuhl.

Während Ella und ich uns stumm unseren Jacken entledigten, kam eine Frau in den Flur.

„Hallo Mrs. Keeling, besteht die Möglichkeit zwei weitere Esser mit zu verköstigen?“

„Hallo Daniel. Nein, das ist kein Problem. Ihre Mutter lässt schön grüßen, sie verspätet sich, sie wurde aufgehalten. Ihre Schwester ist bereits da und befindet sich in ihrem Zimmer.“

„Danke“, erwiderte Daniel.

Während dieser kleinen Unterhaltung standen Ella und ich still da und bewegten uns kaum. Noch nie war ich in so einem Haus gewesen, geschweige denn beim Adel.

„Wollt ihr hier Wurzeln schlagen oder kommt ihr mit in mein Zimmer?“, fragte Daniel.

Ella entkam als erstes unserer Starre.

„Habt ihr noch mehr Personal?“, fragte sie neugierig.

„Mrs. Keeling ist unsere Hausdame, Marco unseren Fahrer kennt ihr auch schon. Es gibt noch Mrs. Clayton unsere Köchin und Mr. Hamphton, das ist der Sekretär meiner Eltern.“

„Das macht meine Mutter alles in einem“, merkte Ella an, ohne aber dabei irgendwie abfällig zu wirken.

„Ich weiß, dass ich hier einen Sonderstatus genieße und das genau war es, womit mein Bruder nicht fertig geworden ist“, meinte Daniel, der vor uns die Treppe hinauf lief, „also dass er ein Privilegierter war.“

Ella schaute mich fragend an, aber ich schüttelte den Kopf, sie sollte nicht nachfragen. Ich hätte jetzt ein aufgeräumtes Jugendzimmer erwartet, aber das Chaos in Daniels Zimmer übertraf alles.

Daniel hatte unsere Blicke bemerkt.

„Sorry, ich wusste ja nicht, ob das mit der Schule heute funktionieren würde und ich auch noch Besuch bekäme.“

Daniels Gesicht war rot gefärbt und in aller Eile versuchte er, die notwendigsten Sachen beiseite zu räumen.

„Hast du dich auch deines Zimmermädchen entsagt?“, fragte Ella grinsend.

„Öhm…, eigentlich bin ich schon immer für den Zustand meines Zimmers verantwortlich, meine Mutter wollte das so.“

Ella grinste mich an und ich konnte ein gewisses Lächeln auch nicht unterdrücken. Mittlerweile konnte man einen Schreibtisch und ein Bett entdecken. Das Zimmer war nicht viel größer als meines, wobei ich eigentlich ein recht großes Zimmer hatte.

Ich wurde von Ella angerempelt, die mir mit ihrem Wink einen Hinweis auf ein Regal gab. Dort stand, schön aufgereiht, ein Pokal neben dem anderen. Ich lief hin und schaute mir die Daten genauer an.

Sechs Jahre in Folge Juniorenmeister in Judo. Ich hatte mich schon am Wochenende gewundert, dass obgleich er mit Klamotten recht dünn aussah, darunter ein recht muskulöser Body zum Vorschein kam.

„Ich habe aufgehört“, meinte Daniel nur.

„Wieso? Du warst doch sehr erfolgreich.“

„Es hat mir keinen Spaß mehr gemacht.“

Auf einem Pokal standen die Namen Oliver und Daniel zusammen, also hatte sein Bruder auch Judo gelernt. Verständlich, dass Daniel kein Judo mehr machte, weil ihn das auch an Oliver erinnerte. Doch fand ich, oder glaubte zumindest, dass dies seinem Bruder sicher nicht recht gewesen wäre.

„Das war der letzte Pokal, den ich bekommen habe, zusammen mit Oliver.“

„Hast du deswegen aufgehört?“, fragte ich.

Ella hatte sich still auf das Bett gesetzt. Daniel rang etwas nach Luft und schaute nach oben. Ich konnte deutlich sehen, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.

„Ich kenne deinen Bruder nicht, weiß nur das, was du mir erzählt hast, aber ich glaube, ihm wäre das nicht Recht gewesen, dass du den Sport aufgibst…, meinst du nicht?“

Ella schaute mich mit großen Augen an.

„Sein Bruder hat sich umgebracht…“, sagte ich leise.

Sie stand auf und nahm Daniel in den Arm, der nun leise vor sich hinweinte. Eigentlich wäre das mein Job gewesen, aber ich dachte, je mehr Leuten Daniel offen gegenübertritt, umso besser für ihn.

„Du glaubst, er ist mit dem all hier nicht fertig geworden? Ich finde nicht, dass ihr…, wie soll ich sagen…? Dass ihr irgendwie abgehoben seid, nur weil ihr dem englischen Adel angehört. Es gibt viele Leute mit Bediensteten und die gehören nicht dazu. Sie haben halt Geld.“

Ella verstummte und schaute kurz zu mir.

„Es ist ja auch nicht nur der Adel… oder das Geld, es ist alles… alles, was damit zu tun hat. Wir sind nicht normal aufgewachsen, immer schön behütet. Aber Oliver hat auch eine andere Seite kennen gelernt.“

Ella zog ihn zum Bett und beide setzten sich hin. Ich zog es vor, den Stuhl vom Schreibtisch zu nehmen.

„Er hat mitbekommen, wie einige seiner Freunde sich nichts leisten konnten, weil die Eltern arbeitslos sind, wie viele in England. Irgendwann wollte niemand mehr eingeladen werden oder kleinere Geschenke bekommen. Die hatten alle ihren Stolz.“

„Dein Bruder schien sehr sensibel gewesen zu sein“, wollte Ella wissen.

Daniel nickte.

„Das hat seine Freundin auch immer gesagt“, erzählte er weiter, „meine Schwester gibt ihr die Schuld, sie hätte ihn in den Tod getrieben, aber das glaube ich nicht.“

„Hast du noch Kontakt zu ihr?“

„Nein…, sie hat nach Olivers Tod den Kontakt sofort abgebrochen.“

„Hast du nach ihr gesucht?“

Wieder schüttelte Daniel den Kopf.

„… ich habe mich nicht getraut.“

Die Tür wurde ohne anzuklopfen aufgerissen und ein Mädchen kam herein.

„Die alte Keeling hat gesagt, du hast Besuch…, ah da sitzt er ja schon.“

Das war also Daniels Schwester. Eine gewisse Familienähnlichkeit war zu bemerken. Aber ihr abfälliger Blick, der nun folgte, als sie Ella und mich musterte, ließ ihre Beliebtheitsskala bei mir tief sinken.

„Ist das Essen fertig?“, fragte Daniel im genervten Ton.

„Ja, deshalb bin ich ja hier…“

„Wir kommen!“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte sie sich um und verließ das Zimmer wieder. Mir war so, als hätte ich beim Hinausgehen so etwas wie „… das habe ich befürchtet…“ gehört, aber ich verwarf den Gedanken wieder.

„Wer war das denn?“, fragte Ella und schaute uns mit großen Augen abwechselnd an.

„Meine ältere Schwester Maude.“

„Mein Beileid…“, rutschte Ella heraus, bevor sie sich den Mund zu hielt.

„Danke! Sie ist schwierig…, verstand sich nie mit Oliver, die beiden stritten immer.“

„In meinen Augen eine Tussi“, sagte Ella.

„Da hast du Recht, was anderes ist sie nicht. Wichtig ist nur die neue Mode und dass sie bei ihren sogenannten Freunden, die nicht anders sind als sie, gut ankommt. Aber gehen wir mal hinunter, sonst wird das Essen kalt. Lasst euch einfach nicht provozieren.“

Ella und ich nickten nur und folgten ihm wieder nach unten. Das Esszimmer empfand ich wieder als imposant, denn an den Tisch passten nicht nur fünf oder sechs Leute, wie es normalerweise der Fall war, da hatten mindestens zwanzig Platz.

An einer Seite des Tisches war bereits gedeckt, wo wir auch Maude wieder fanden. Sie hatte irgendeine Zeitschrift in der Hand und nahm sonst keine Notiz von uns.

Billy

Überraschenderweise gab es kein großes Gespräch über das Geschehene. Gemütlich hatten wir zu Abend gegessen und so noch über allerlei gesprochen. Danach hatte ich mich auf mein Zimmer verzogen und aufs Bett gelegt.

Alles im Bett roch nach Matthew und ich kuschelte mich in meine Decke, bis ich bald darauf einschlief.

*-*-*

Die Nacht schien recht kurz zu sein, denn recht früh kam Dad herein und weckte mich.

„Billy, es wäre recht, wenn du heute zu Hause bleiben würdest, denn die Leute wegen dem Internetanschluss kommen heute.“

„Wann?“, gähnte ich müde.

„So ab zehn Uhr meinte der Mann am Telefon.“

„Gut…, ich bin da“, sagte ich und drehte mich zur anderen Seite. Wie Dad das Zimmer verlassen hatte, bekam ich schon nicht mehr mit.

Als ich wieder wach wurde, klingelte es unten Sturm. Mit einem Auge schielte ich zum Wecker und war sofort wach. Es war kurz nach zehn und unten klingelte es immer noch. Ich sprang aus dem Bett, rannte die Treppe hinunter und riss die Haustür auf.

„Ah ist doch jemand zu Hause, wir wollten gerade gehen.“

„Tut mir Leid, ich habe verschlafen.“

„Ja, ja, die jungen Leute, immer lange schlafen.“

Der junge Mann hinter dem älteren Monteur verdrehte die Augen.

„Sie wissen wo Sie hin müssen, oder soll ich Ihnen alles zeigen?“, fragte ich, ohne auf diesen Kommentar einzugehen.

„Ich kenne dieses Haus schon, aber ich müsste wissen, in welchen Räumen die Anschlüsse gesetzt werden sollen.“

Hatte der noch nie etwas von W-Lan gehört?

„Hat ihnen mein Vater einen Plan mitgegeben?“

„Ja, den hier.“

Ich bekam einen etwas verknitterten Zettel gereicht, den ich kurz überflog.

„Okay, dann zeig ich Ihnen die Räume.“

Mir war etwas kühl, nur in Shorts und Tshirt. So zeigte ich den beiden den Keller, wo die Hauptanlage hinkommen sollte. Danach entschuldigte ich mich kurz und verzog mich nach oben, um mich wärmer einzukleiden.

Als ich wenig später wieder zurück kam, saßen die zwei Handwerker da und aßen. Ich war etwas perplex und beschloss Dad anzurufen. Wenig später hatte ich ihn auch an der Strippe.

„Hallo Junior, was kann ich für dich tun?“

„Hallo Dad, was für eine Firma hast du da ausgesucht?“

„Was meinst du?“

„Zwei Herren für den Internetanschluss sind hier, hast du da keine genauen Anweisungen gegeben, wie du es haben willst?“

„Klar habe ich das mit dem Chef genau durchgesprochen, sogar eine Skizze angefertigt, damit alles klar ist.“

„Ja, diesen zerknüllten Zettel hat mir der ältere Herr von den beiden gegeben und sitzt mit seinem Kollegen jetzt im Keller und macht erst mal Pause.“

„Das tut mir Leid, Billy. Ich wusste nicht, dass dies so läuft. Ich werde sofort in der Firma anrufen.“

„Ob das etwas ändert?“

„Das werden wir dann sehen. Sonst ist alles klar mit dir? Wir haben gestern nicht mehr groß geredet.“

„Ja Dad. Sehr gut.“

„Oh, sogar ein sehr gut…, ich glaube, wir werden uns heute Abend mal ausführlicher unterhalten müssen.“

Das hatte ich befürchtet.

„Das können wir machen. Wann kommst du nach Hause?“

„Das kann ich dir nicht genau sagen. Hier ist alles im Umbruch, sprich es herrscht das Chaos, aber das erzähle ich dir auch zu Hause.“

„Und weißt du, wann Mum kommt?“

„Ich weiß nur, dass sie sich selbst nach einem fahrenden Untersatz umschaut, ich hoffe nur, dass sie sich nichts Schlechtes andrehen lässt. Du kennst sie ja.“

„Ja ich kenne sie.“

„Du Billy, ich muss hier weiter machen, ich melde mich vielleicht später noch einmal wegen der Internetfirma.“

„Okay Dad und lass dich nicht stressen.“

„Ich doch nicht!“

Beide lachten wir laut.

„Okay, bis später Sohnemann… hab dich lieb!“

„Ich dich auch!“

Das Gespräch war beendet. Nachdenklich legte ich den Hörer auf. Das hatte Dad schon lange nicht mehr gesagt. Etwas gerührt ging ich in die Küche und machte mir etwas zu Essen. Ich war gerade dabei, mir eine Tasse Milch in der Mikro heiß zu machen, als es unten im Keller einen heftigen Schlag gab und plötzlich der Strom weg war. Etwas angesäuert lief ich die Kellertreppe hinunter.

„Ist etwas passiert?“, fragte ich.

„Entschuldigen Sie bitte, ich muss wohl beim Bohren etwas abgerutscht sein und dieses Kabel erwischt haben“, meinte der ältere Mann von beiden, der vor mir auf dem Boden saß.

Das Kabel an der Wand war hin, das sah ich sogar als Unwissender.

„Der Schaden ist aber schnell behoben, ich rufe sofort meinen Freund an, der hat das in Null Komma nichts wieder repariert.“

Beruhigen tat mich das nicht, aber mir bleib auch nichts anderes übrig, als dies zu glauben. Eine viertel Stunde später klopfte jemand an die Haustür, stimmt, die Klingel ging ja nicht mehr.

Ich öffnete also und ein weiterer Mann stand vor der Tür. Hinter ihm ein Pickup mit der Aufschrift einer Elektronikfirma.

„Ich soll hier etwas reparieren“, nuschelte der Mann.

„Öhm… ja hier entlang.“

Ich zeigte diesem Mann also den Zugang in den Keller. Mit nach unten begleiten wollte ich ihn nicht und zog mich wieder in die Küche zurück, um mich meiner kalten Milch zu widmen. Als ich gerade in das Stück Brot beißen wollte, ließ es im Keller wieder einen Schlag.

Heftiges Geschrei folgte und wenige Sekunden später stand der Elektriker vor mir.

„Es tut mir Leid, aber wir müssen kurz das Wasser abstellen“, teilte mir dieser triefnass tropfende Mensch mit.

„Aha.“

Eine halbe Stunde später standen vier Arbeitswagen vor dem Haus und im Keller herrschte Lärm, der langsam nervte. Die Haustür öffnete sich und Mum kam herein. Wortlos und verwundert schaute sie mich an.

„Hallo Mum…“

„Was ist denn hier los?“

„Wir bekommen Internet.“

„Dazu braucht man eine Elektronikfirma, einen Klempner und eine Holzfirma?“

Ich konnte nicht anders und musste grinsen, auch wenn der Anlass nicht zum Lachen war.

„Das war eine Kette von unvorhergesehenen Missgeschicken der Arbeiten, die eine in die andere überging.“

„Hä?“, meinte Mum legte ihre Tasche ab.

„Die Leute vom Internet haben unsere Stromleitung angebohrt, dann kam der Elektriker, der hat anscheinend irgendwie etwas mit der Wasserleitung angestellt, deshalb der Klempner und zu guter letzt kam der Holzmensch an, weil irgendwas Weiteres beschädigt wurde. Ich bin nicht mehr in den Keller, weil ich das nicht mehr mit anschauen konnte.“

Mum schaute mich geschockt an.

„Deshalb dieser ganze Fuhrpark vor dem Haus.“

„Hast du deinem Vater schon Bescheid gegeben?“

„Wie denn? Das Telefon funktioniert ja auch nicht mehr…“

„Also kein Telefon, keinen Strom, kein Wasser… ich glaube ich muss mal in den Keller und mit den Herren Handwerker reden.“

Mum stand auf und begab sich in den Keller. Was dann folgte, konnte ich bis in die Küche hören.

*-*-*

Ich stand vor dem Haus und begutachtete Mums neue Anschaffung. Vor lauter Handwerkern war dies völlig untergegangen. Aber mittlerweile hatten wir wieder Telefon, Strom und Wasser. Und… Internet!

Da stand ein alter Golf in brauner Farbe. Hier und da konnte ich ein paar Dellen entdecken. Mum schien meine kritischen Blicke zu bemerken.

„He, er hat nur 1200 Dollar gekostet. Der Motor und Auspuff sind neu. Hauptsache er fährt.“

Da musste ich ihr Recht geben. Gut, so toll kannte ich mich jetzt nicht mit Autos aus. Letztendlich würde Dad sicher wissen, ob es ein guter Kauf war.

„Und in Hinsicht, dass du auch irgendwann Auto fährst, ist das genau der richtige Wagen.“

Dies freute mich zu hören, wobei ich die Fahrten mit Matthew schon sehr genoss. Es wunderte mich, dass er sich noch nicht hatte blicken lassen. Sicher hatte er noch irgendwelche Pflichten, seinen Stundenplan kannte ich ja noch nicht, auch nicht seine Freizeitaktivitäten, außer dem Theater.

„Was überlegst du?“, fragte Mum, die mich aus dem Gedanken riss und nun neben mir stand.

„Ach… ich habe an Matthew gedacht.“

„An Matthew? Der junge Mann hat dir wohl etwas den Kopf verdreht.“

„Verdreht?“

Ich wunderte mich über mich selbst, dass ich so offen darüber reden konnte.

„He, gestern habt ihr euch geküsst, oder habe ich das falsch aufgefasst?“

„Nein.“

„Aber?“

Ich schaute sie an.

„Tassilo?“, fragte sie.

Ich nickte.

„Billy…, das mit Tassilo war eine schöne Zeit für dich, aber du musst auch irgendwie loslassen können.“

Ich atmete tief durch.

„Wenn das so leicht wäre.“

„Ich weiß, dass das nicht so leicht ist, es gab auch bei mir so etwas. Dein Dad ist ja schließlich nicht der erste Mann in meinem Leben.“

Darüber hatte ich mir nie Gedanken gemacht und ich wollte es auch nicht. Ein Zufall kam mir entgegen, dass dieses Thema nicht weiter vertieft wurde. Dad kam den Weg herauf gefahren. Er stellte den Wagen neben den von Mum.

„Hallo ihr beiden. Ich wollte anrufen, aber der Anschluss war anscheinend gestört.“

Ich musste grinsen.

„Ich konnte mich früher frei machen, nachdem Billy heute Morgen wegen der Internetfirma angerufen hatte. Haben die den Anschluss gesetzt?“

Sein Blick fiel auf Mums Golf.

„Ja, das Internet haben wir jetzt, einen neuen Stromanschluss, die Hauptwasserleitung ist gerichtet und der Querbalken vor dem Kellerabgang ist auch neu gerichtet“, sagte ich.

Dad, der prüfend um den Golf gelaufen war, schaute mich verwirrt an.

„Ich glaube, das erzähle ich dir lieber beim Abendessen“, meinte Mum.

„Aha… ähm, sieht gut aus…, was hat der gekostet?“

„1200 Dollar“, meinte ich nun.

„Okay… gut. Lasst uns hinein gehen.“

Was war das? Kein weiterer Kommentar zu dem Wagen? Ich folgte den beiden ins Haus. Als ich bereits auf der Treppe war, sah ich durch das Oberlicht der Haustür einen Wagen auf unser Grundstück fahren.

Tassilo

Das Essen verlief ruhig, zu ruhig für meinen Geschmack. Ella und ich wechselten oft die Blicke, aber keiner von uns beiden traute sich etwas zu sagen. Kaum war der letzte Happen gegessen, erhob sich Maude und verschwand.

„Heute war sie ja richtig human“, meinte Daniel und legte seine Serviette ab.

„Wie meinst du das?“, fragte Ella.

„Normalerweise zieht sie über andere Leute her oder fängt Streit mit mir an.“

„Macht sie das immer?“, wollte ich wissen.

„Nur wenn meine Eltern nicht da sind…, also leider viel zu oft.“

Er ließ den Kopf sinken.

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Ella.

„In den Wintergarten?“, fragte Daniel.

„Ihr habt einen Wintergarten?“, fragte ich.

„Ja, kommt mit.“

Wir folgten durch das Haus und fanden uns in einem sehr großen Wintergarten wieder.

„Wow“, entfleuchte es Ella und mir gleichzeitig.

„Wo wollen wir uns hinsetzen, Stühle oder Couch?“, fragte Daniel.

„Couch… Stühle“, kam es von uns wieder gleichzeitig.

Daniel schaute uns an.

„Okay Couch“, meinte ich.

So setzten wir uns auf die große Couchgarnitur, während im Kamin das Feuer vor sich hin prasselte.

„Romantisch“, hachzte Ella und lehnte sich gegen mich.

„Liebe Ella, ich gebe dir Recht, aber du weißt schon, dass ich für romantische Augenblicke nicht zur Verfügung stehe?“

Daniel musste kichern.

„Deinen Arm werde ich ja wohl noch in Anspruch nehmen dürfen.“

„Das ist hart an der Grenze, aber gerade noch ertragbar.“

Für diesen Spruch kassierte ich einen Knuffer in die Seite.

„Aaah…, sag mal, das ist für dich romantisch?“, sagte ich gespielt empört.

„Jetzt zick hier nicht so herum, was soll Daniel von dir denken?“

„Das Richtige“, meinte Daniel und ich musste grinsen.

Ella schaute zwischen uns hin und her.

„Den ganzen Tag ist mir schon aufgefallen, wie ihr euch anhimmelt und anschmachtet, da ist doch etwas im Busch.“

„Büsche sind im Garten, da kannst du gerne nach schauen“, kam es von Daniel.

„Boah, nicht jetzt auch noch du… einer von der Sorte wie Tassilo reicht mir eigentlich.“

„Ich bin nicht Tassilo…“

Ich genoss dieses Wortgeplänkel zwischen den Beiden. Vor allem, dass Daniel die ganze Zeit so süß dabei lächelte. Ich bemerkte plötzlich, dass beide schwiegen und mich anschauten. Hatte ich gerade etwas verpasst?

„Ihr seid zusammen?“, fragte Ella plötzlich.

Daniel grinste breit und ich nickte.

„Da mache ich mir die größten Sorgen am Wochenende, habe ein schlechtes Gewissen wegen dir und du tröstest dich hier mit diesem zuckersüßen Boy.“

Daniel fing wieder an zu kichern. Ich setzte mich auf und wurde ernst.

„Ella, ich habe mich nicht mit Daniel getröstet. Ich habe ihn am Wochenende kennen gelernt und irgendwie ist eine besondere Freundschaft entstanden. Ich gebe zu, das ging sehr schnell und ich weiß auch nicht, was daraus wird, aber ich gebe zu, ich habe mich in den Kleinen verliebt.“

Ella fiel die Kinnlade nach unten. Daniel ging vor mir auf die Knie und legte seine Hände auf meine Knie.

„Tassilo…“, er schluckte schwer und bekam feuchte Augen, „… das ist das schönste, was mir jemals jemand gesagt hat und auch ich kann aus reinem Herzen sagen, dass ich mich in dich verliebt habe.“

„Ach nein, mein kleiner Bruder ist ein Schwanzlutscher“, hörte ich Maudes Stimme.

Billy

„Erwartet ihr noch jemanden?“, fragte ich meine Eltern.

„Nein, nicht dass ich wüsste“, hörte ich Mum rufen.

Langsam lief ich die Stufen wieder hinunter. Mein Blick haftete auf dem Wagen, der zum Haus fuhr. Irgendetwas war nicht in Ordnung. Er fuhr einmal zu weit nach rechts, dann wieder in die Mitte. Dann sah es aus, als würde er auf der linken Seite in den Zaun krachen.

„Dad…, schau mal bitte raus“, rief ich.

„Was ist denn?“, kam es von Dad zurück und kam auf den Flur.

„Der Wagen draußen“, meinte ich nur und zeigte in die Richtung.

Nun sahen wir beide, wie das Auto ständig die Richtung wechselte oder bremste und wieder anfuhr.

„Ist der betrunken oder was?“, meinte Dad.

Mum kam ebenso in den Flur.

„Was ist denn los?“

Ich hatte mittlerweile die unterste Stufe hinter mir gelassen und trat bis zu Tür, die ich langsam öffnete.

„Da draußen erlaubt sich entweder einer einen üblen Scherz oder er ist total betrunken“, erklärte Dad.

„Billy bleib bitte hier drinnen“, meinte Mum, aber ich war schon im Begriff nach draußen zu laufen.

„Billy…!“, hörte ich Dads Stimme.

Meine Augen konnten in der Abenddämmerung und der starken Autoscheinwerfern nicht erkennen, was für ein Auto es war. Ich blieb auf der obersten Stufe der Veranda stehen. Dad und auch Mum waren mir langsam gefolgt.

Das Auto kam langsam immer näher.

„Das ist Matthews Pickup“, stellte ich plötzlich fest und lief los.

„Billy bleib hier“, schrie Mum, aber ich reagierte nicht.

So schnell ich konnte spurtete ich zum Wagen von Matthew, der in diesem Augenblick in den Zaun krachte. Die Tür öffnete sich und jemand flog aus dem Wagen. Mittlerweile hatte ich den Wagen fast erreicht und blieb ruckartig stehen.

„Dad, ruf einen Krankenwagen…, das ist Matthew… er blutet überall“, schrie ich.

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