Margie 01 – Aller Anfang ist schwer

Komisch, ich kannte ihn noch keinen Tag, und trotzdem fehlte er mir, als wären wir schon hundert Jahre zusammen.
Wir waren noch bis zum Sonnenuntergang an dem Baggersee, dann fuhr mich Angelo heim. Viel geredet hatten wir nicht, waren beide doch so ziemlich im Eimer gewesen. Wir unterhielten uns übers Wetter, den See im allgemeinen und dem TV- Programm im Besonderen. Nichts wirklich Erhebendes. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, wir würden auch ohne viele Worte auskommen.
Und zudem war ich mir ja absolut sicher, dass wir zum reden noch jede Menge Zeit hätten. Vielleicht lag es auch daran, dass jedes erst Mal dieses Erlebnis verarbeiten musste. Klar hatte ich eine Million Fragen, aber die mussten eben warten.
Es gab keine intimen Abschiedszeremonien zu Hause vor der Tür, er sagte nur „Tschüs“ aus dem Auto heraus und weg war er.
Nun stand ich im Bad und betrachtete mich im Spiegel. Ich konnte mit meinem Aussehen doch eigentlich ganz zufrieden sein und das musste ich auch. Wegen ihm. Meine ganzen Gedanken drehten sich nur um Angelo.
Zwar hatte ich mir den Abschied da draußen vor der Tür anders vorgestellt, aber wir hatten ja unsere Handynummern ausgetauscht und er sagte, er würde mich anrufen. Eine Planung für die nächsten Tage gab es nicht, Angelo wollte proben und konnte nicht sagen wann er Zeit hätte.
Auf meine Frage, was er probte, kam eine für mich sehr erfreuliche Nachricht: Er bastelte bereits an seiner Solokarriere.
Mir fielen da nämlich meine Träumereien wieder ein. Die Sache mit dem Herumreisen, den Nobelhotels, dem Roten Teppich. Was mich irgendwie schmunzeln ließ: Es würde keine kreischenden Teenies geben. Die Leute, die sich vor ihm verneigen würden, waren sicher aus diesem Alter heraus. Aber am Ende konnte man nicht wissen, Angelo tat jedenfalls ziemlich geheimnisvoll als ich ihn auf die Art von Musik, die er machen wollte, ansprach.
Ich zog mich aus, feuerte das T-Shirt in den Wäschekorb und stellte mich unter die Dusche. Keine Sekunde meines Denkens wich Angelo aus dem Kopf. Als er am See so neben mir lag, auf dem Rücken.. er trug keine Shorts oder Bermudas, nein, er musste eine wirklich knappe Badehose anhaben. So eine, die keine Kontur ausließ.
Ich war ja noch nie ein Mensch, der länger als einen Tag ohne wichsen auskam, aber nun fürchtete ich, dies würde zumindest in naher Zukunft nicht ausreichen. Allein wenn die Bilder der vergangenen Nacht auftauchten spürte ich Druck in der Hose. Nun gut, ich war alt genug um zu wissen, dass das sicher nicht ewig so gehen würde.
Ich war halt im Moment rattenscharf auf ihn, und das wie gesagt, in jeder Minute hundert Mal. Also seifte ich meinen kleinen Freund so lange ein, bis mich der Orgasmus schüttelte.
Danach lief ich im Haus herum und riss sämtliche Fenster auf. Die Hitze war wirklich unerträglich und hatte sich im Lauf des Tages schwer wie Öl in die Zimmer gelegt. Es kühlte auch am Abend kaum ab und da ich alleine zu Hause war und sich durch die dichten Hecken kein Blick von draußen hinein verirren konnte, lief ich Splitternackt herum. Das tat ich eigentlich immer wenn ich allein zu Hause war.
Nachdem ich mir eine Fertigmahlzeit durch die Mikrowelle und dann in meinen Magen gejagt hatte, lümmelte ich mich auf die Couch und zappte durch die Fernsehsender. Aber irgendwie drang das alles nicht zu mir vor. Das Autogramm lag vor mir auf dem Tisch, immer wieder nahm ich es in die Hand.
Wie schön der Junge war. Ich spürte zum ersten Mal in meinem Leben etwas, das ich bis dahin in der Form noch nicht kennengelernt hatte: Sehnsucht. Gott ja, ich hatte mich wirklich in den Burschen verliebt. Was er jetzt machte? Sollte ich ihn anrufen?
Irgendwie machte mich mein Zustand nervös. Auf keinen Fall konnte das ja immer so weitergehen, in meinem Kopf mussten auch noch andere Dinge Platz haben. Aber im Augenblick war das völlig unmöglich. Angelo in allen Windungen meiner grauen Gehirnmasse.
Ich tapste in die Küche, mein Ziel war der Kühlschrank. Der war mit allem möglichen vollgestopft, meine Eltern kümmerten sich ja rührend um mich. Was sie wohl sagen würden?
Ich nahm eine Flasche Bier heraus und setzte mich auf die Fensterbank, lehnte mich an den Rahmen – sehr vorsichtig, wegen dem Sonnenbrand -, steckte mir eine Zigarette an und ließ die Beine herunterbaumeln. Einerseits war’s richtig toll mal eine Weile alleine zu sein, andererseits auch irgendwie langweilig.
Tja, meine Eltern.. sie wussten da schon dass ich auf Jungs stehe. War ganz lustig damals. Da gab’s nämlich den Gerald. Ein ziemlich flippiger Typ aus dem Nachbarsdorf. Der ging mit mir auf dieselbe Schule, aber nur im Konfirmandenunterricht waren wir zusammen.
Sonst war er eigentlich immer mit seinen Kumpels zugange und eigentlich kannte ich ihn bis dahin nur vom sehen. Das allerdings intensiv, denn er war mir irgendwann aufgefallen. Vermutlich zu der Zeit, als meine Gene die Richtung bestimmte.
Mit Weibern hatte ich nie was gehabt, zu meinem Glück gab’s in der Klasse ein paar richtige Schnuffis und die sorgten für Abwechslung in der Weiberwelt. Anfangs, also ich mein, ganz am Anfang, war ich das eine oder andere Mal schon etwas angepisst weil sich so gar keine mit mir abgeben wollte.
Aber das war nicht wirklich lange so. Dann hab ich mehr zu den Kerlen geschaut. Hab die mal ab und an näher betrachtet und irgendwann stellte ich fest, dass ich die viel anziehender fand als den Weiberkram.
Gut, ich war nicht der schwule Außenseiter, das nicht. Ich ging schon mit auf Partys, ins Schwimmbad oder auch mal auf unserem Bahnhöfchen rumhängen. Aber trotzdem, ich hielt mich mehr oder weniger im Hintergrund. Das war Gerald irgendwann aufgefallen.
Jener Abend kam dann, auf unsrem winzigen Bahnhof. Ich stand etwas Abseits der Clique und rauchte so vor mich hin, als er plötzlich neben mir stand. Das war der Tag, als der Konfirmandenunterricht begonnen hatte. Wir kamen so ein bisschen ins Gespräch und währenddessen machte es „klick“. Der war ja richtig hübsch, stellte ich plötzlich fest.
Vor allem, er war kein Angeber, kein Großmaul. Er hatte so ne sanfte Stimme… Gerald war so groß wie ich, schlank und dichte, schwarze Haare. Und ein ganz weicher Teint, auf den ich neben den schönen Augen an diesem Abend abfuhr. Nach einer Weile haben wir uns abgeseilt und sind zum Härtel, einer kleinen Kneipe am Bahnhof, in der wir öfter abhingen, und knallten uns ein paar Biere rein. Mit jedem Glas verliebte ich mich mehr in den Kerl und seinen Augenaufschlägen nach ging es ihm genauso. Jedenfalls hat er das später gesagt.
Irgendwas war an dem Abend aber anders als sonst. Ich wurde immer hippiger, kannte den Grund aber nicht. Heute weiß ich’s, aber damals war das schon ulkig. Gerald begleitete mich nach Hause und als wir da so vor unserer Haustür standen nahm er plötzlich meinen Kopf in seine Hände und drückte mir einen Kuss voll auf die Lippen. Ich hab’s erst nicht gecheckt, weil ich das ja überhaupt nicht kannte. Aber ich fand es gar nicht übel, im Gegenteil.
Dumm nur, dass ich schon viel zu spät dran war, meine Mutter deshalb am Fenster lehnte und auf mich wartete. Keine vier Meter weg, und schön ausgeleuchtet durch die Laterne gegenüber. Ich hab das so wenig mitgekriegt wie Gerald, der sich erst nach was weiß ich wie viel Küssen davonmachte.
Als ich die Haustür aufschloss und meine Schuhe in der Diele auszog, da bekam ich ein ziemlich sonderbares Gefühl. Mutter stand plötzlich vor mir. Ich ahnte Schlimmes, ohne eigentlich zu wissen, was es sein könnte. Gut, ein Anpfiff weil ich zu spät dran war, aber das hatte noch nie irgendwelche Konsequenzen. Ich hatte schon mit Sechszehn eine eher lange Leine von zu Hause aus.
Ich muss erwähnen, dass meine Eltern alles andere als Konservativ sind. Die gehen schwer mit der Zeit, sind Weltoffen. Es war nur jener blöde Umstand, dass ich an diesem Abend gerade erst selbst kapiert hatte, dass ich schwul bin. So einiges war mir während der Küsse durch den Kopf gegangen, dann wurde so ziemlich alles klar. Man muss sich letztendlich ja auch erst Mal mit dieser Tatsache auseinander setzen. Die üblichen Horrorszenen, was einem nun in Zukunft alles blüht und all die Geschichten. Selbst mit klar kommen, das ist ja das oberste Gebot.
Nur hatte ich dafür die wenigste Zeit die es gibt. Kaum selbst erst mal gerafft was da abläuft und schon muss man die Dinge anderen Leuten erklären.

»Du bist spät dran«, sagte meine Mutter im gewohnt ruhigen Ton. »Wer war denn der Junge da draußen?«

Das schlug ein wie eine Bombe, ich dachte mir fliegt der Schädel weg. Wenn sie schon den „Jungen“ gesehen hatte, dann garantiert auch die Küsse. Mir wurde richtig schlecht. »Kenn ich vom Konfirmandenunterricht«.

Daraufhin nickte sie. »Aha.«

Nanu? Das sollte alles gewesen sein? Jau, das war’s, zumindest für den Augenblick. Sie sagte nichts mehr, verzog sich ins Wohnzimmer und setzte sich zu meinem Dad auf die Couch. Ich zog es vor, nach oben in mein Zimmer zu verschwinden.
Musste mir Gedanken machen über das, was da wie eine Lawine über mein kurzes Leben hereingebrochen war. Natürlich malte ich mir aus, was von nun an anders werden würde, hier und vor allem in der Schule. Wer durfte, sollte, konnte das wissen? Im Grunde nicht mehr wichtig, die Schule dauerte ja nur noch zwei Monate, dann ging’s in die Lehre.
Jochen, Alexander, Felix. Meine besten Freunde, die würden das ja auch ohne Schule bleiben. Aber es denen sagen? War schwer zu überlegen.
Mit Gerald ging’s dann so wie mit Angelo. Der bestimmte mein Denken und Handeln, das vor allen Dingen. Ich wichste mir bald die Eingeweide raus, zumindest die ersten Tage danach. Wunder nahm mich, dass meine Eltern schwiegen. Aber ich verhielt mich ruhig, das was Mutter gesehen hatte war schließlich deutlich genug.
Gerald traf ich dann oft, jeden Tag eigentlich. Es dauerte nicht lange bis wir uns bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen runterholten, irgendwann dann auch gegenseitig. Ich fand das immer geiler, irgendwas in mir schrie nach mehr.
Kurz bevor die Schule zu Ende war, kamen dann Udo und Holger ins Spiel. Wir erwischten die beiden, als sie es im Schwimmbad inner Umkleide trieben. Erstens bekam ich da den endgültigen Stempel, schwul zu sein, weil, es machte mir einfach tierischen Spaß zu viert. Und die Schwänze anderer anzugucken versetzte mich in regelrechtes Entzücken.
Gerald zog dann leider fort und ich traf mich mit den beiden noch ein paar Mal, wobei ich das Kekswichsen zu dritt nicht so spannend fand. Mit Gerald war das immer so ein Highlight gewesen. Na ja, als die Lehre dann begann verloren wir uns aus den Augen und seitdem war da nie mehr was.
In der Schreinerlehre, die ich dann absolvierte, gab’s nur noch einen Azubi, der war aber schon im Vierten, in meinen Augen eher der Machotyp und überhaupt nicht meine Kragenweite. In der Berufsschule war ich dann sozusagen noch auf der Suche, aber das hatte sich durch Angelo schlagartig erledigt.

Ich rauchte bereits die vierte Kippe und das zweite Bier lag auch schon hinter mir. Endlich kühlte es ein bisschen ab und nach dem kurzen Ausflug in die Vergangenheit übernahm Angelo wieder die Führung in meinem Kopf.
Ich stellte das Radio leise an und setzte mich erneut auf das Fensterbrett. Es war irgendwie so gemütlich und mir ging’s wirklich unheimlich gut. Was meine Eltern sagen würden? Sie hatten sich ja noch immer nicht geäußert, in dem ganzen Jahr kein Ton über das, was da mit Gerald passiert war.
Gleich Mitternacht. Angelo würde nicht mehr anrufen.
Dabei sehnte ich mich so nach seiner warmen, weichen Stimme. Was würde morgen passieren? Rief er an? Rief er überhaupt noch mal an? Mir wurde plötzlich ganz komisch. Er hatte mit keiner Silbe erwähnt dass er schwul ist. Wir hatten bloß zusammen gewichst, mehr oder weniger. Gut, da war das Autogramm. „In Liebe“ hatte er draufgeschrieben. „Dein Angelo“.
Nun, wie viel Gewicht hatten denn diese Worte für ihn wirklich? Schrieb er dass vielleicht viel öfter als ich dachte? Blödsinn. Er war Teil eines Ensembles. Ob die einzeln ein Autogramm geben würden? Wohl eher nicht. Die Karte war ja ein richtiges Foto von ihm. Kein so ne billige Machware auf Karton, tausend Mal gedruckt. Verflucht, was war Angelo für ein Mensch?
Holger und Uwe fielen mir ein. Auch die hatten nie behauptet, schwul zu sein. Vielleicht hatten die nur ihren Spaß? Möglich. Und Angelo? Der war alleine, so wie ich das dann interpretierte. Brauchte er mich tatsächlich nur als Ersatz? Wofür auch immer? Ich nahm mir vor, ihn direkt zu fragen, denn auf einmal wurde ich bedenklich unsicher. Und leider wieder hellwach.
Was, wenn er mich nicht mehr anrufen würde? Er hätte doch mit mir etwas ausmachen können. Er hatte ja nicht mal gesagt dass er mich gern hat. Oder doch? Mein Kopf wurde schon wieder wirr. Welche Zeichen gab es denn, dass er schwul ist? Keine eigentlich. Geküsst haben wir uns, okay, und er konnte das tausend Mal besser als Gerald. Und er sagte, ich würde gut aussehen. Das hör ich aber schon mal öfter, besonders im Verwandtenkreis. Tanten und Omas sagten das, wenn sie mich mal ne Weile nicht gesehen hatten.
Aber gab’s nicht auch die Bisexuellen? Jene, die mit beiden gut konnten? Dummerweise wurde mir das immer wahrscheinlicher und es machte mich beinahe verrückt. Wieder ein Blick auf die Uhr. Halb eins.
Ich ging ins Wohnzimmer und schnappte mein Handy.
„Hi Angelo. Wie geht es dir? Muss dauernd an dich denken. Ich hab dich ganz doll lieb. Du mich auch? Dein Ralf.“
Senden drücken und die SMS war weg. Das war super kindisch, eine typische Teenie – SMS, aber in meiner drohenden Verzweiflung fiel mir einfach nichts Besseres ein. Er musste schließlich drauf reagieren und bei einer weiteren Zigarette und einem Bier auf der Fensterbank starrte ich auf das Display meines Handys. Schlief er wirklich schon? Klar, was sollte er so spät noch auf sein? Hockte er vielleicht da unten in seinem Keller und probte für seine Karriere? Alles war möglich.
Das Handy schwieg beharrlich. Noch mal kontrolliert, aber die SMS war fehlerfrei ausgeliefert worden. Sie war bereits am Ziel, das hatte ich amtlich.
Meine Augen wollten zufallen, aber ich hielt mich eisern wach. Noch eine halbe Stunde warten, wenn dann keine Antwort kam schlief er wahrscheinlich doch schon.
Ging’s mir ne Stunde zuvor noch so gut, jetzt war wieder alles durcheinander. Die Schmetterlinge im Bauch waren durch Hornissen ausgewechselt worden. Sie schwärmten in meinem ganzen Körper herum und sorgten sogar für leichtes Dröhnen in meinem Kopf. „Du trinkst zuviel in letzter Zeit.“ Ah ja, hätte mich nicht gewundert wenn die böse Stimme nicht noch irgendwas auf Lager hatte. Klar trank ich zuviel, aber letztendlich war das nicht alleine meine Schuld. Es gibt ja immer einen Grund zum saufen und der war nun mal eindeutig: Liebeskummer. Jawohl, auch wenn ich dieses Wort in der Vergangenheit verhöhnt hatte weil ich’s einfach kindisch und noch dazu weibisch fand, jetzt konnte es dafür keine andere Erklärung geben. Und beendet wäre dieser Zustand erst, wenn die entsprechende Antwort auf meine SMS kommen würde. Oder ein Anruf. Oder am besten, wenn Angelo nur drei Worte sagen würde: ich bin schwul. Und noch mal drei: ich liebe dich.

Gegen Eins schlich ich mich nach oben. Merkwürdig nur, dass es mir ansonsten überhaupt nichts ausmachte wenn ich allein zu Haus war. Aber nun fühlte ich mich auf einmal einsam. Fast verlassen. Das war weder bei Gerald damals so noch sonst wann.
Die Hitze war schon unheimlich. Der Rücken tat wieder saumäßig weh, die Schultern spannten. Dabei war es wie weggeblasen nachdem mich Angelo eingecremt hatte.
Wo lag ich auf meinem Bett, mit einigen Flüchen drehte ich mich auf den Bauch, ließ den Arm herunterhängen und die Füße rechts und links auch. Todmüde und nicht schlafen zu können ist eine Strafe. Ich rauche nie im Bett, aber da musste es sein. Schön den Arm aus dem Bett raushängen lassen, falls du doch einpennst, befahl ich mir.
Oh ja, ich tat mir unendlich leid in jener Nacht. Die Schmerzen, das Alleinsein, der Liebeskummer. Und diese verdammten Hornissen, die keine Ruhe geben wollten. Immer mal wieder ein Blick aufs Handy, das auf dem Boden neben dem Aschenbecher lag. Aber es rührte sich nichts. Gut, er würde schlafen. Kein Wunder, war auch ein harter Tag für ihn, teilweise recht sprichwörtlich. Und schon muckte mein kleiner Freund wieder auf. Nein, jetzt nicht mehr, später, redete ich auf ihn ein. Irgendwann musste ja mal Ruhe sein. Schwanzgesteuertes Denken schadet in jeder Hinsicht. Aber das sagt man in so einem Zustand eben vor sich her, wirklich abstellen war gar nicht möglich. Ich begehrte diesen Jungen, ihn und seinen Körper. Wie war das? Auf jeden Fall zum Freund gewinnen? Ja, da gab’s keinen Zweifel. Die Frage wie, die konnte ich da nicht beantworten.
„Vielleicht kennt er dich ja schon gar nicht mehr. Sammelt Bettgeschichten wie andere Leute Briefmarken.“ Blöde Stimme. Das traute ich Angelo nicht zu. Nein, das durfte überhaupt nicht sein. Ich wollte meine Ohren zuhalten um den negativen Einwirkungen der Stimme zu entgehen – welch Unfug. Immer wieder drang in mein Hirn, dass es nichts weiter als ein Abenteuer gewesen sein könnte. Eine Affäre von vielen.

Anstatt aufzuspringen und den neuen Tag zu begrüßen, saß ich am Morgen wie gerädert auf der Bettkante. Nichts passte mehr zueinander in meinem Kopf. Der erste Blick aufs Handy, eine SMS war da. Sofort erhellten sich meine Geister, ich schnappte das Gerät und öffnete die Mitteilung.
„Hallo Ralf, kommst du mit ins Schwimmbad? Alex und Jo kommen auch. Ciao Felix.“
Enttäuscht ließ ich das Handy sinken. War ja schön dass wir vier immer zusammenhingen und viel unternahmen, aber grade jetzt war’s ziemlich unpassend.
Mit den drei Jungs war ich so quasi aufgewachsen, wie kannten uns schon ewig. Allerdings ein recht keusches Trio. Von wegen Gruppenwichsen oder so war mit denen nicht, die hatten alle drei ne Freundin. Na ja, nicht so fest dass sie wie mit Haftcreme aneinander klebten, aber die waren auch so richtig bieder, vor allem was Sex betraf.
Erzkonservative Eltern katholischen Ursprungs. Da war mit Pimmelzeigen vor der Ehe nichts zu machen und das Wort Schwul an sich schon die Katastrophe schlechthin. Allerdings zog mich zum Glück keiner der drei sozusagen magisch an, und da sie nicht in dieselbe Schule gegangen waren blieb ihnen mein Outing verborgen.
Ich mein, getuschelt wurde ja immer irgendwie, auch wenn’s erst mal nicht unbedingt der Wahrheit entsprach. Gerald und ich waren zwar nie aufgefallen, aber durch Holger und Uwe war die Gefahr doch schon ziemlich groß.
Man kann also sagen, dass ich in zwei Cliquen herumgehangen hatte. Die ausm Dorf und die drei. Wobei die sich eigentlich nie in die Quere kamen, ohne es zu beabsichtigen. Ich fand das bisweilen gar nicht schlecht. Konnte mir oft genug aussuchen auf was ich Bock hatte und auf was nicht.
„Vernachlässige die nicht.
Wenn Angelo nichts taugt sind die auch weg und das nur wegen ihm.“ Da war was dran, aber trotzdem. Ich musste auf Angelos Antwort warten. Oder einen Anruf.
Es war halb elf, zu der Zeit würden selbst die größten Penner schon aus dem Bett sein. Gut, bis elf wollte ich warten, dann musste ich ihn anrufen, auch wenn er es tun wollte. So lange ließ ich mir mit einem eher kargen Frühstück und der Dusche Zeit.
Frisch geschniegelt saß ich später auf der Terrasse, unter der Markise konnte man es schon gut aushalten und zudem war ja auch das Wort Urlaub noch irgendwie im Raum. Entspannen wollt ich, dies oder jenes liegengebliebene erledigen. Aber das geriet alles irgendwie außer Kontrolle.

Lange starrte ich mein Handy an, dann nahm ich mir ein Herz.

Tüüüt. Tüüüt. Tüüüt….

Ich hatte nicht mitgezählt, wie oft das Freizeichen ertönte, irgendwann legte ich auf. Abgeschaltet waren seine Kiste nicht und auch keine Umleitung auf die Mailbox. War da am Ende was passiert? Ich wiederholte die Aktion noch dreimal, dann ließ ich das Handy enttäuscht sinken.
Er sah wer anrief, ich ging davon aus dass er meine Nummer schon gespeichert hatte. Und wenn dem so war, wieso nahm er nicht ab? Keine SMS.. Da musste was passiert sein, eine andere Erklärung hatte ich nicht. Schließlich würde ich nicht der einzige sein der ihn anrief.
Freunde – er hatte sie mit keinem Wort erwähnt und auch in dem Album war dergleichen nicht auszumachen. Aber ein Mensch wie er hatte Freunde, schon vom Aussehen her.
„Klugscheißer.“ Ich streckte der bösen Stimme die Zunge raus.

Gut, es half alles nichts, ich fühlte mich plötzlich verantwortlich und musste aus diesem Grund herausfinden, was mit meinem Schnuckel los gewesen war.

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