„Was ist los, Sapan? Warum ziehst du so ein Gesicht?“
Sammy hatte mich von hinten in den Arm genommen und pustete mir sanft über mein schwarzes Haar. Ich lehnte mich zurück und schmiegte mich an ihn.
„Nächste Woche ist Diwali“, antwortete ich.
„Diw… was?“
„Diwali, dass ist bei uns zu Hause das alljährliche Lichterfest. Da wird alles bunt geschmückt, überall werden Laternen hingestellt oder auch aufgehängt. Überall tanzen die Menschen bis tief in die Nacht hinein und es gibt Süßigkeiten in Hülle und Fülle.“
Nun war ich zwei Jahre auf diesem englischen Internat und das Glück hatte mir Sammy beschert. Ein warmherziger und träumerischen Kerl, den ich über alles liebte. Ja, wir waren ein Paar.
Ich sehr weit weg von der Heimat, Indien, was mich oft traurig stimmte, weil mir die Familie fehlte. Und doch glücklich, weil Sammy mir über vieles hinweg half. Eins gab es aber noch zu meistern. Ich war zu Hause nicht geoutet.
„Und du möchtest da hin?“
„Klar, ist dass schönste Fest des Jahres!“
„Und warum fliegst du nicht, wir haben doch Frei an dem Wochenende, oder bekommst du keinen Flieger?“
„Papa würde mir sofort einen Flieger schicken, bräuchte nur anzurufen.“
„Was ist es dann?“
„Du!“
„Bitte was?“
„Ich würde dich gerne mitnehmen…“
„Und wo liegt das Problem, ich bin sofort dabei, schon alleine, weil ich noch nie in Indien war“, sagte Sammy und küsste meinen Nacken.
„Du weißt doch, dass ich zu Hause nicht geoutet bin und bei uns zählen Familie und Traditionen sehr viel. Ein schwuler indischer Sohn, dass wäre die Schande der Familie.“
„Bist du dir so sicher? Alles was du mir über deine Eltern erzählt hast, lässt mich annehmen dass sie doch sehr weltoffen sind!“
„Ich habe eben Angst!“
„Brauchst du doch nicht, mein Kleiner! Ich bin doch bei dir!“
Sammy drehte mich zu sich und unsere Lippen trafen sich.
Später saß ich am Telefon und wartete auf die Verbindung. Sammy schlief schon längst. Ruhig ging sein Atem neben mir. Es knackte in der Leitung und ein Tuten kam.
„Tanduri!“, hörte ich es sagen.
„Papa, bist du es?“
„Sapan, mein Sohn, endlich meldest du dich wieder, erzähle wie geht es dir?“
„Gut Papa, in der Schule läuft alles gut!“
„Hast du einen bestimmten Grund, warum du anrufst, mein Sohn?“
„Ich wollte fragen, ob ich zum Diwali kommen kann?“
„Was für ein Frage, soll ich dir den Jet schicken?“
„Ja, aber da ist noch etwas Anderes, kann ich noch jemand mitbringen?“
„Wenn willst du mitbringen?“
Ich hörte das Misstrauen in seiner Stimme.
„Sammy, meinen englischen Zimmergenossen, er würde sich gerne unsere Kultur ansehen und auch am Diwali teilnehmen.“
„Sapan mein Sohn du weißt doch, dass ist ein Fest der Familie!“
„Papa, Sammy ist hier für mich meine Familie. Ich dachte, wo ich doch so oft mit ihm bei seiner Familie bin. Sollte er euch doch auch mal kennen lernen.“
„Was für eine Familie ist das?“
„Eine alte Adelsfamilie, sie würden dir gefallen, die Bristons.“
Ich wusste genau, Vater würde sie überprüfen lassen, jedes Detail der Familie freilegen.
„In Ordnung mein Sohn! Ich schicke euch am Freitag den Jet.“
„Danke Papa und danke, dass ich Sammy mitbringen darf.“
„Freunde sind wichtig, mein Sohn. Freundschaften muss man pflegen und hegen!“
„Ja Papa!“
„Ich soll dir noch einen Gruß und einen Kuss deiner Mutter übermitteln!“
„Danke Papa, gebe ihr einen Kuss von mir zurück.“
„Dann sehen wir uns am Freitag!“
„Ja Papa, ich freue mich!“
„Ich mich auch, mein Sohn. Tumhari khushi mujhe buhut aziz hai!“
Ich wiederholte den Satz und das Gespräch war beendet.
„Was sprichst du so komisch?“, murmelte Sammy neben mir.
„Das war ein Gruß!“, antwortete ich, während Sammy sich zu mir drehte, der anscheinend doch wach war.
„Und was heißt er?“
„Dein Glück liegt mir am Herzen!“
Sammy grinste breit.
„Wie ging der? Tumari kluschi muhje … was?“, fragte Sammy.
„Tumhari khushi mujhe buhut aziz hai!“
„Aus deinem Mund klingt das so liebevoll!“
„War auch ernst gemeint“, sagte ich und lächelte.
Sammy zog mich zu sich herunter.
„Das musst du mir erst einmal beweißen!“, sprach Sammy und schon hatte ich seine Lippen auf den Meinen.
*-*-*
Ich stand schon im Bad, als Sammy endlich auftauchte. Er war immer noch nackt, so wie ich ihn im Bett verlassen hatte. Seine blonden Haare standen wirr in alle Richtungen, als hätte er in eine Steckdose gelangt.
Seine braunen Augen konnte ich fast nicht erkennen, zu arg geblendet war er von der Beleuchtung über dem Spiegel.
„Morgen…“, brummte er.
„Morgen Sammy, gut geschlafen?“
„Weiß nicht. Fühle mich als hätte mich ein Traktor überfahren.“
„Komm, so wild war ich jetzt auch wieder nicht“, meinte ich und musste grinsen.
Sammy trat hinter mich und legte seine Arme um meinen Körper.
„Du warst verdammt gut“, brummte er, „jedenfalls bin ich tierisch gekommen.“
„Stimmt, ich tropfe immer noch!“
Sammy machte einen Schritt zurück und ich spürte seine Hand an meinem Hintern.
„Stimmt!“
Beide fingen wir an zu lachen und vielen uns wieder in die Arme.
„Warst du schon duschen?“, fragte mich Sammy.
„Klar, bin ja keine Schlafmütze wie du!“
„Ja, der Herr Frühaufsteher, ab und zu kannst du nervend sein.“
„Stimmt, aber ich muss noch packen! Falls du vergessen hast, wir fliegen heute Mittag weg.“
„Ach du scheiße und ich hab noch nicht mal was gerichtet… ich muss duschen.“
Lächelnd sah ich ihm nach, wie er in der Duschkabine verschwand. Ein Traum ging für mich in Erfüllung, ich würde mit Sammy wegfahren. Klar, wir waren schon oft bei seinen Eltern, sie wussten über uns Bescheid, hatten mich sehr herzlich aufgenommen.
Aber endlich konnte ich Sammy meine Welt zeigen, mein Heimatland, meine Wurzeln. Zu Hause wurden die Traditionen eben sehr groß geschrieben und ich versuchte mich auch ständig daran zu halten.
Doch plötzlich wurde ich wieder von einer Traurigkeit übermannt. Was würde Vater sagen, wenn ich ihm sage, dass ich nie heiraten werde, seine Familientradition fortführen und wie ein echter Inder handeln würde.
Ich liebte Sammy, wusste, dass ich niemals eine Frau an meiner Seite akzeptieren würde. Aber verstand das auch mein Vater? Mit meinen Geschwistern würde ich keine Probleme bekommen, sie waren noch mehr westlich eingestellt, wie ich, zum Ärgernis meines Vaters.
Und Mutter… zu ihr hatte ich eine ganz besondere Beziehung. Ich war der Älteste im Haus, ihr erstes Kind. Auch wenn sie nie Unterschiede zwischen uns Kinder machte, ich spürte ihre Liebe zu mir, sie war real, war immer in meinem Herzen.
„Wenn du so weiter bürstest, sind bald keine Zähne mehr da!“
Erschrocken drehte ich mich um. Total im Gedanken versunken hatte ich nicht gemerkt, wie Sammy wieder aus der Dusche stieg und tropfend hinter mir stand. Er sah so unheimlich erotisch aus, so wie er vor mir stand.
Seine Muskeln, glänzten unter den Wassertropfen, die langsam ihren Weg nach unten bahnten, ich konnte mich auch nicht beherrschen und fuhr langsam mit dem Finger über seine Brust und seinem Bauch.
„Du könntest wenigstens die Zahnbürste aus dem Mund nehmen, wenn du mit mir flirtest“, kam als Nächstes von Sammy.
Jetzt fing ich laut an zu lachen, und fast wäre mir dabei die Zahnbürste herunter gefallen. Ich drehte mich zum Waschbecken und spülte meinen Mund aus.
„So gefällst du mir viel besser, mit einem Lächeln im Mund, wo warst du denn wieder mit deinen Gedanken“, fragte Sammy mich.
„Zu Hause, bei meinen Eltern!“
„Und da ziehst du so ein Gesicht?“
Sammy zog sich eine Boxer über, nach dem er sich abgetrocknet hatte,
„Du weißt warum…, ich weiß einfach nicht, wie ich’s anstellen soll, dass über uns meinem Vater zu erzählen.“
„Sapan, du weißt ganz genau, es macht mir nichts aus, wenn du es nicht erzählst. Ich will dich zu nichts drängen, wozu du nicht bereit bist! Ich liebe dich und will dass du glücklich bist. Wenn du glücklich bist, bin ich es auch!“
„Ich will es ihnen sagen, will ihnen zeigen wie glücklich ich mit dir bin!“
„Egal, wie du dich entscheidest…, ich steh dir bei, du musst da nicht alleine durch!“
„Danke!“, sagte ich und besiegelte dieses Wort mit einem weiteren Kuss.
*-*-*
„Und wo müssen wir hin?“, fragte Sammy unruhig, als wir unseren Weg durch die Menschenmenge im Flughafen bahnten.
„Folge mir einfach!“, und das tat er auch.
Ich steuerte auf einen kleinen Schalter zu, wo sich eine kleine Frau befand.
„Mein Name ist Sapan Tanduri, ich erwarte einen Privatjet.“
Die Frau musterte mich ungläubig, begann aber in ihren Flugunterlagen zu suchen. Ihre Verwunderung, meinen Namen wirklich zu finden, konnte man an ihrem Gesicht ablesen.
„Ausgang 10, der Jet steht bereit, guten Flug die Herren!“, sagte sie leise und wies in die Richtung des Ausgangs.
Sammy, der dieses kleine Schauspiel mitverfolgte grinste vor sich hin. So liefen wir zu Ausgang 10, wo wirklich der Jet meines Dad bereits wartete. Kalun, die Stewardess wartete bereits auf uns und winkte uns mit einem Lächeln zu.
„Mr. Tanduri, es freut mich sie wieder bei uns an Bord begrüßen zu dürfen“, sagte sie und zog die Tür zum Flugfeld auf.
Ein Beamter der Flugsicherheit wartete draußen.
„Sammy, gibst du mir bitte deinen Ausweis?“, fragte ich.
Sammy stellte seine große Tasche ab und durchsuchte seine Jacke, wo er auch fündig wurde.
Mr. Bristons, können wir Ihr Gepäck schon an Bord nehmen?“, fragte Kalun, was Sammy mit einem schüchternen Kopfnicken bejahte.
Unsere Papiere wurden kontrolliert und uns wieder zurückgegeben.
„Wünsche den Herren einen angenehmen Flug“, kam es von dem Beamten, bevor er verschwand.
„Geht es hier immer so vornehm zu? Was ist dein Vater, Präsident von Indien?“, fragte Sammy leise.
„Nein Sammy, wir gehören nur einer sehr hohen Kaste an! Da ist dieser Empfang normal.“
Das erste Mal, war mir der Reichtum meiner Familie etwas peinlich. Kalun schien mit dem Piloten unser Gepäck verstaut zu haben und erschien wieder vor dem Jet und wies uns den Weg zum einsteigen. Wir folgten ihr in das Innere des Jets.
Ich bemerkte wie Sammy sich staunend umsah und ließ sich mehr oder weniger neben mir auf seinen Sitz fallen, während Kalun die Tür schloss.
„Würden die Herren sich bitte anschnallen, wir starten in wenigen Minuten.“
Sammy und ich nickten, ließen unsere Gurte einrasten. Ich hörte das Starten der Turbinen und wenigen Momente später setzte sich der Jet auch schon in Bewegung. Ich suchte Sammys Hand und umschloss sie mit meiner.
Am Ende der Startbahn blieb der Jet noch einmal stehen und durch das kleine Fenster konnte ich sehen, das gerade ein großer Jumbo landete. Dann setzte sich die Maschine wieder in Bewegung. Langsam nahm sie Geschwindigkeit auf, bis sie irgendwann abhob.
Wenige Sekunden später erschien Kalun durch die vordere Tür und Sammy ließ meine Hand los. Sie hatte ein kleines Tablett in der Hand, worauf sich zwei Gläser befanden. Ohne etwas zu sagen, stellte sie uns die Gläser mit einem Lächeln ab.
„Danke!“, sagte ich.
„Der Flug wird ungefähr acht Stunden dauern, haben sie Hunger?“
Ich schaute Sammy an, der zu schüchtern war, um zu antworten.
„Wir lassen uns noch etwas Zeit, Kalun.“
„Wie die Herren wünschen, rufen sie mich bitte einfach.“
Ich nickte und Kalun verließ uns wieder.
„Und ich dachte, mit dem vielen Personal, dass meine Eltern beschäftigt, würden wir in Luxus leben, aber das hier?“, raunte Sammy.
Ich nahm wieder seine Hand und strich sanft mit dem Daumen über seinen Handrücken.
„Lass uns anstoßen!“, sagte ich und nahm mein Glas.
„Champagner, denke ich mal!“, erwiderte Sammy und nahm ebenso sein Glas.
Ich nickte und grinste verlegen.
„Auf das wir einen schönen Kurzurlaub verbringen werden“, säuselte Sammy und beugte sich zu mir herüber um mir einen Kuss zu geben.
Danach nippten wir beide an unseren Gläsern, worauf Sammy sofort sein Gesicht verzog.
„Boah, ist der trocken!“
„Soll ich dir etwas Anderes bestellen?“
„Nein, lass mal. Ich genieße es mit dir alleine zu sein!“
Ich lächelte und ein weiterer Kuss folgte.
*-*-*
Der Flug verlief ohne Zwischenfälle und der Jet setzte zur Landung an. Überwältig schaute ich zum Fenster hinaus, endlich wieder in Indien zu sein.
„Freust du dich, wieder zu Hause zu sein?“, fragte Sammy.
„Klar, ich war 5 Monate nicht mehr hier, es fehlt schon etwas.“
„Dann lass uns mal gemeinsam Indien erobern!“
„Ich frage mich, ob Indien nicht dich erobert?“, sagte ich zu Sammy, was er mit einem Lächeln quittierte.
Die Maschine kam zum Stehen und ich sah die schwarze Limousine meines Vaters. Ihn konnte ich nicht entdecken, nur unseren Fahrer. Kalun kam herein.
„Der Fahrer ihres Vaters wartet bereits Mr. Tanduri, ich hoffe sie hatten einen angenehmen Flug.“
„Danke Kalun, hatte wir!“, sagte ich und erhob mich.
Gemeinsam mit Sammy stieg ich aus und nahm diesen wunderbaren Geruch von Indien wieder war, den ich so vermisst hatte Es roch nach Blumen und die Luft war warm, trotz der späten Stunde.
„Hallo Sapan, schön dich wieder zu sehn!“, begrüßte mich unser Fahrer und umarmte mich.
„Danke Eknath, ich freue mich ebenso. Darf ich dir Sammy vorstellen?“
Er ließ von mir hab machte eine leichte Verbeugung und reichte Sammy die Hand.
„Ich hoffe, sie hatten einen angenehmen Flug Sammy!“
„Danke… Eknath, hat mir gut gefallen…!“
Ich fühlte das Unbehagen bei Sammy.
„Wo soll es denn hingehen?“, fragte ich Eknath.
„Direkt nach Hause, deine Mutter erwartet sie schon. Dein Vater lässt sich mit lieben Grüßen entschuldigen, aber er befindet sich noch in einer wichtigen Besprechung.“
„Wie immer, es hat sich also nichts geändert!“
Eknath hielt uns die Tür auf. Beide ließen wir uns hinten nieder und Eknath stieg ein um wenige Minuten später mit uns den Flughafen zu verlassen. Er nahm nicht den üblichen Weg zu uns nach Hause, sondern durchfuhr Neu-Delhi direkt.
Ich dachte, er wollte Sammy etwas von unserer Stadt zeigen. Sammy schaute mit offenem Mund aus dem Fenster, sagte aber kein Wort. Vorbei an dem India Gate, das stark an den Triumphbogen in Paris erinnerte, fuhr Eknath dann langsam aus der Stadt heraus.
„Wie viele Einwohner hat Neu-Delhi eigentlich, hier wimmelt es ja vor Menschen!“, kam es von Sammy, ohne sich nach mir umzudrehen.
„Über 10 Millionen!“, gab ich zur Antwort.
„Wow, heftig!“
Die großen Häuser wurden weniger, Bäume und Sträucher zahlreicher. Auch wurden es immer weniger Menschen, die sich draußen blicken ließen. Irgendwann bog Eknath in unsere Einfahrt.
Innerlich zerriss mich meine Unruhe, was nun passieren würde. Nach Außen schien ich ruhig. Das große Haus kam zwischen den Häusern zum Vorschein. Es war zwar schon dunkel, aber sanftes Licht hüllte es in einen sanften Schein.
Der Wagen hielt und Eknath öffnete uns die Tür. Zur gleichen Zeit öffnete sich auch die große Holztür des Hauses und lächelnd trat meine Mutter hervor. Ich konnte nicht anders und stürmte auf sie zu.
Ich fiel ihr um den Hals und drückte sie kräftig, ohne zu merken, dass mir bereits die Tränen liefen.
„Hallo mein Sohn“, sagte meine Mutter.
Ich ließ von ihr ab und schaute ihr in die Augen.
„Hallo Mama, ich habe dich so vermisst.“
Sie wischte sanft mit ihren Fingern meine Tränen von den Wangen, nahm mein Gesicht in die Hand und küsste die Stirn. Ein Räuspern hinter mir, rief mir Sammy wieder auf den Plan.
„Mama, darf ich dir Sammy vorstellen, den jungen Mann, mit dem ich ein Zimmer bewohne?“
Sammy trat heran und streckte seine Hand zum Gruß aus.
„Hallo Mrs. Tanduri. Danke, dass ich mitkommen durfte, ihr Sohn hat mir schon sehr viel erzählt!”, sagte Sammy und verneigte sich leicht.
„Mein Sohn hat mir nicht soviel erzählt, dennoch freue ich mich Sie endlich kennen zulernen, der Freund meines Sohnes ist mir immer herzlich willkommen!“
Ich wurde rot bei den Worten meiner Mutter, wie hatte sie dass jetzt gemeint, wusste sie etwas? Sie zog Sammy an der Hand ins Haus. Ehrfürchtig trat Sammy ein und ich folgte den beiden.
„Ich habe dein Zimmer herrichten lassen und ein zweites Bett dazu gestellt, denn ich denke, du willst auch hier nicht auf die Anwesenheit deines Freundes verzichten.“
Wieder so ein Satz, wo ich innerlich zerbersten hätte können, was wusste sie?
„Danke Mam, das ist lieb von dir.“
Ich blickte kurz zu Sammy, der verlegen grinste. Auch er hatte die Worte meiner Mutter vernommen.
„Wie ich sehe, Sammy, haben sie ungefähr die Größe meines Sohnes, dass trifft sich gut.“
„Warum Mama?“, fragte ich jetzt doch erstaunt.
„Morgen feiern wir Diwali. Ich dachte, du könntest ihm eines deiner Gewänder ausleihen, weil er in seiner westlichen Kleidung doch sehr auffallen würde.“
„Stört dich das?“, fragte ich.
„Nein, aber du kennst Vater, mit seinen Traditionen!“
Noch bevor ich etwas dagegen sagen konnte, fiel mir Sammy ins Wort.
„Ich habe nichts dagegen, so ein Gewand anzuziehen, wobei mir Sapan schon viel erzählt hat, wie farbenprächtig, die Kleidung hier in Indien ist.“
Meine Mutter lächelte ihn an und nickte und ich wusste nicht was ich sagen sollte. Es freute mich aber, dass Sammy sich auf Anhieb so gut mit meiner Mutter verstand. Wir folgten ihr die große geschwungene Treppe hinauf.
Sammy schaute sich neugierig um, betrachtete die vielen Bilder von der Familie, die an der Wand hingen.
„Bist das du?“, fragte Sammy und grinste.
Das Bild zeigte mich als 5 jähriger auf dem Schoss meiner Mutter.
„Ja, das bin ich mit 5 Jahren.“
„Süß!“, war seine ganze Reaktion.
„Sapan, war der hübscheste Junge weit und breit“, meldete sich meine Mutter zu Wort, „und ist es jetzt auch noch!“
Sammy grinste mich mit einem fiesen Lächeln an, dass ich ihm am liebsten an die Gurgel gegangen wäre.
„So, der hübscheste Junge bist du also!“
Ich streckte ihm die Zunge raus und folgte weiter meiner Mutter.
„Ist dass hier früher mal ein Palast gewesen?“, fragte Sammy mich leise?“
„Wie kommst du darauf?“
„Schau dich doch einmal um. So sehen Schlösser aus, alles so prunkvoll ausgeschmückt, mit edlen Möbeln und alles sehr groß ausgelegt. Da kommt mir unser Haus wie eine bescheidene Hütte vor.“
„Das ist ein normales Wohnhaus… na ja von reichen Gefolgsleuten eben!“
Sammy schaute sich weiter um und ich folgte meiner Mutter. Sie öffnete die Flügeltür zu meinem Zimmer. Es hatte sich nach wie vor nichts geändert, als wäre ich nie ausgezogen. Alles war feinsäuberlich gereinigt, sogar frische Blumen standen auf dem Tisch.
Als ich auf mein Bett sah, stockte mir der Atem. Es war mit dem anderen Bett nun doppelt so groß, direkt nebeneinander, wie ein Ehebett. Beide Seiten waren bezogen und auch aufgeschlagen. Meine Mutter schaute mich kurz an.
„Ich denke, es ist Recht so, oder?“, fragte sie.
Ich spürte, wie sich das Blut in meinem Gesicht sammelte, meine Wangen zu glühen begannen. Sie kam auf mich zu und nahm meine Hand.
„Eine Mutter spürt, wenn ihr Sohn glücklich ist, auch wenn die Wahl seiner Liebe, etwas Sonderbar scheint.“
Sie schaute kurz hinüber zu Sammy, der gerade staunend das Zimmer betrat. Ihr Lächeln war echt, kam von Herzen. Sie ließ meine Hand los und schritt zu Sammy. In ihrem langen Gewand sah dies wie immer schwebend aus.
„Sammy, ich wünsche dir bei uns einen schönen Aufenthalt und pass ein wenig auf meinen Sohn auf!“
Sie beugte sich vor nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn auf die Stirn. Verwirrt schaute mich Sammy an, während uns meine Mutter alleine lies und die Tür hinter sich schloss.
„Sie weiß es!“, flüsterte ich leise.
„Was?“
Ich musste schlucken und bemerkte, wie Tränen sich den Weg über meine Wangen bahnten.
Sammy kam zu mir und nahm mich in den Arm.
„Sie hat dir die Stirn geküsst…, dass würde sie sonst nur…“, ich brach mitten ihm Satz ab.
Nun nahm Sammy mein Gesicht in seine Hände, damit er mir in die Augen schauen konnte. Seine braunen Augen strahlten mir wie immer entgegen, ich versank förmlich in ihnen.
„Damit ist dann wohl die erste Hürde genommen, oder?“, fragte er und küsste mich zärtlich.
„… sie sagte… sie ist glücklich, weil ich glücklich mit dir bin…“
„Und du hast dir so große Sorgen gemacht!“
„Ja, stimmt schon…, aber mehr wegen meines Vaters!“
„Das schaffen wir auch noch, oder?“, fragte Sammy und drückte mir einen weiteren Kuss auf den Mund.
Es klopfte an der Tür und wir fuhren auseinander.
„Ja?“, rief ich.
Die Tür ging auf und mein Vater schaute herein.
„Hallo Sapan, mein Sohn!“, meinte er und löste sich von der Tür.
„Hallo Vater!“, erwiderte ich und lies mich von ihm umarmen.
Ich bückte mich und berührte seine Schuh, wie es von alters her Tradition war, um meine Ehrerbietung zu zeigen. Sammy betrachte dieses Schauspiel, hielt sich aber höflich im Hintergrund.
„Und das muss Sammy sein.“
„Ja Vater, dass ist mein Freund Sammy.“
Wie leicht mir diese Worte von den Lippen gegangen war. Doch mein Vater konnte die Bedeutung des Wortes Freund sicherlich nicht so deuten, wie ich es gemeint hatte.
„Freunde sind immer gut, die braucht man für das Leben“, meinte mein Vater und wandte sich an Sammy.
„Hallo Sammy!“
„Guten Tag Mr. Tanduri, herzlichen Dank für ihre Einladung.“
„Nichts zu danken, ich konnte meinem Sohn bisher fast noch keine Bitte abschlagen.“
Beide sahen kurz zu mir und lächelten.
„Sie sind das erste Mal in Indien, Sammy?“
„Ja, bisher bin ich aus England noch nicht so weit weggekommen. Mein Vater liebt Traditionen und natürlich auch sein Vaterland.
„Traditionen sind sehr wichtig. Man muss sie erhalten und ehren.“
„Ich glaube, mein Vater und sie würden sich gut verstehen“, meinte Sammy und setzte sein hinreisendes Lächeln auf, das ich bisher gesehen hatte.
Er war schon im Begriff meinen Vater zu vereinnahmen und für sich zu gewinnen, wie er es sehr oft tat. Das war keine Absicht von Sammy, aber seine Art, sein ganzes Wesen, war so besonders, dass jeder ihm gleich verfiel.
„Und sie studieren mit meinem Sohn zusammen Agrawissenschaft?“
„Ja, mein Vater meinte, ich solle etwas Nützliches lernen, was der Familie später weiterhilft.“
„Ich habe gehört, ihr Vater leitet ein großes Unternehmen, das sich mit Ackerbau beschäftigt.
Also hatte Vater sich wirklich über Sammy und seine Familie informiert. Wie viel wusste er aber wirklich? Bei Sammy zu Hause, wusste jeder Bescheid, dass der Sohn des Hauses schwul war.
„Ja, ihm gehört die Produktion der Coats Limited, führend im Bau von landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen in England.“
Ich spürte, wie stolz mein Schatz auf diese Tatsache zu sein schien, ließ aber sonst nicht, den reichen Sohn an den Tag treten.
„Ich freue mich jedenfalls, dass mein Sohn einen Freund in ihnen gefunden hat.“
Bei dieser Bemerkung musste ich jetzt doch grinsen. Ich wusste, meine Gedanken waren hier nicht angebracht, aber Sammy hatte wirklich des Öfteren einen kleinen Freund in sich… meinen, aber ich verwarf diesen Gedanken sofort wieder.
„Aber jetzt will ich euch nicht länger stören, ihr wollt euch sicher noch frisch machen und euch für das Fest umziehen?“
„Ja Vater, Mutter hat für Sammy bereits einen Sari bereitgelegt.“
„Gut, dann werden wir uns später sehen.“
Er schüttelte nochmals Sammys Hand und verließ dass Zimmer. Als sich die Tür geschlossen hatte, drehte sich Sammy zu mir und grinste.
„Ich weiß nicht was du hast, dein Vater ist doch ein sehr netter Mann.“
„Du hast ja Recht, aber du hast auch gemerkt, wie traditionsgebunden er ist… und einen schwulen Sohn in der Familie würde er nie akzeptieren.“
„Nun lass mal gut sein. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich noch gerne duschen.“
„Kein Problem, soll ich dir den Rücken einseifen?“
„Das wollte ich als nächstes fragen“, meinte Sammy mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen.
*-*-*
„Dieser Sari steht dir fast noch besser als mir“, meinte ich.
Der Stoff war in einem schlichten grau gehalten, fast keinerlei Verziehrungen waren zu sehn. Dafür war der Ponnadei umso prächtiger. Ich musste Sammy dabei helfen, diesen übergroßen Schal anzulegen, damit er nicht beim Gehen darüber stolperte.
„Das sind auch so wunderschöne Stoffe. Diese intensiven Farben, dieses rot und gelb“, sagte Sammy.
Ich strahlte ihn an, mein Sammy sah einfach nur gut in indischen Klamotten aus. Ich ging zu ihm hin und nahm ihn in den Arm.
„Ich bin so stolz, dass ich dich habe!“
Sammy lächelte verlegen.
„Ich liebe dich, Sammy, komme was wolle, dich gebe ich nicht mehr her.“
„Ich liebe dich auch mein Kleiner“, sagte Sammy und küsste mich.
„So da wollen wir mal, damit der Sohn des Hauses nicht zu spät kommt.“
Ich zeigte Sammy, wie er den Schal über den Arm legen sollte, damit er beim gehen nicht behindert wurde. So liefen wir gemeinsam die Treppe hinunter, die uns in den großen Saal führte.
Dort wartete meine Mutter, die uns mit freudigen Augen entgegen strahlte.
„Sammy, der Sari steht dir ausgezeichnet!“
„Das habe ich auch schon gesagt Mutter.“
„Dann lasst uns gehen“, meinte Mutter.
„Wollen wir nicht auf Vater warten?“, fragte ich.
„Nein, mein Sohn, deinem Vater ist etwas Geschäftliches dazwischen gekommen, er wird später kommen.“
Das war nicht Vaters Art. Diwali war einer der höchsten und schönsten Feste hier und nie zog mein Vater etwas Anderes dem vor. Aber ich verwarf den Gedanken wieder, und hakte mich bei meiner Mutter ein, so wie es Sammy, auf der anderen Seite getan hatte.
So marschierten wir nach draußen ins Freie. Es waren viele Gäste da, alles war herrlich geschmückt, die Musik spielte mir vertraute Klänge, einige Menschen tanzten. Mutter begrüßte einige Leute, ich schloss mich ihr an, ohne zu vergessen jedes Mal Sammy vorzustellen.
Eine Gruppe junger Mädchen stand in einer Ecke und kicherte, als Sammy sich zu ihnen umdrehte. Ich hätte jetzt einfach Lust dazu gehabt, Sammy zu küssen, damit jeder sehen konnte, dass er zu mir gehörte.
Aber das verbot mir mein Anstand. Aber irgendwie war ich trotzdem glücklich Sammy einmal meine Kultur zeigen zu dürfen und näher zubringen. Eine kleine Gruppe hatte sich gebildet, die auf dem Rasen tanzte.
Lange hatte ich die Klänge nicht mehr gehört. Gut ich hatte einige auf Mp3 und auch auf dem Computer, aber im Original waren sie doch schöner. Ich konnte nicht anders, mein Körper bewegte sich zu den Klängen der Musik.
„Komm Sammy, lass uns tanzen“, sagte ich.
Etwas verlegen schaute Sammy zu der tanzenden Gruppe.
„Ich kann das doch gar nicht.“
„Stell dich nicht so an, dass geht ganz leicht.“
Ohne groß darüber nachzudenken, nahm ich ihn einfach an der Hand und zog ihn zum Rasen. Diese Szene blieb natürlich nicht unbeobachtet. Die Gruppe Mädchen folgte uns natürlich. Schnell war ich wieder im Rhythmus der Musik, bewegte mich zum Takt.
Sammy stand etwas verloren da, versuchte aber immerhin, etwas von den Schrittfolgen mitzumachen, aber da sie sich immer wieder wiederholten, hatte er, zumindest einige wenige Schrittfolgen bald perfekt drauf.
Ich vergaß alles um mich herum und ließ mich einfach fallen. Die Farben der Kleidung und der Natur taten ihr Übriges. Ich sah nur noch Sammy, der lächelnd nicht weit von mir versuchte Schritt zuhalten.
Nach fünf Liedern wurde eine Pause gemacht und Sammy und ich fielen uns in die Arme. Ohne auch nur irgendwie auf die Umwelt zu achten gaben wir uns einen Kuss. Erst als um uns herum ganz still wurde, glitten wir auseinander.
Alle Augen waren auf uns gerichtet, jeder schaute entsetzt auf uns. Meine Mutter konnte ich entdecken, sie schaute erst traurig zu mir, dann in eine andere Richtung. Ich folgte ihrem Blick und sah meinen Vater.
Wie versteinert stand er da und blickt uns an. Ich empfand die Stille als tödlich. Keiner wandte den Blick von uns. Kurz blickte ich zu Sammy, der mich ratlos anschaute. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und zog Sammy an der Hand führend hinter mir her, bis ich vor meinem Vater stand.
„Also stimmt es, was mir meine Leute zugetragen haben…, dieser Engländer ist…!“
„Ja, schwul!“, kam es im festen Ton von Sammy.
Verwundert schaute ich wieder kurz zu Sammy, der mich nun anlächelte. Was sollte das jetzt?
„Sohn, gehe weg von ihm, er schadet dir nur, er macht dich krank!“
„Krank?“, fragte Sammy, „in welchem Jahrhundert leben sie?“
Mein Vater nahm Sammy überhaupt nicht wahr, hatte seine Augen nur auf mich gerichtet. Ich dagegen, hatte Sammy Hand immer noch in meiner.
„Sapan, lass seine Hand los!“
Ich stand zwischen meine Vater und Sammy und musste mich nun entscheiden, entweder gegen meinen Vater, oder gegen die Liebe zu Sammy.
„Nein Vater, dass werde ich nicht tun!“
„Bist du dir da sicher?“
„Ja, das bin ich.“
„Dann pack deine Sachen und verschwinde, geh mir aus den Augen.“
„Raoul?“, hörte ich meine Mutter rufen, die aber sofort unter den scharfen Blicken meines Vaters, den Kopf senkte und verstummte.
Nur sehr langsam hob sie wieder den Kopf und ich konnte die Tränen in ihren Augen sehn. Auch nahm ich war, wie sich die Gäste zurückzogen. Ich drückte etwas fester Sammys Hand und zog ihn Richtung Haus.
Ohne mich noch einmal herum zudrehen, betraten wir gemeinsam wieder das Haus.
„Sapan, dass ist es doch nicht wert?“, hörte ich Sammy hinter mir sagen.
„Was? Unsere Liebe ist es nicht wert, dafür zu kämpfen? Nein Sammy, ich liebe dich und dafür kämpfe ich auch…, auch wenn mein Vater mich hinauswirft.“
„Sapan, sei doch vernünftig.“
„Sammy glaube mir, nie war ich so vernünftig wie heute.“
*-*-*
Die Luft war stickig. Es war eben ein Billigflieger. Auch wenn Sammys Vater dafür aufgekommen wäre, damit wir uns ein angenehmeres Beförderungsmittel hätten leisten zu können, so bestand ich darauf unseren Rückflug selber zu bezahlen.
Meine Großmutter hatte mir etwas Geld vermacht, so war meine Zeit auf dem Internat abgesichert und ich konnte auch ohne Sorgen diesen Flug bezahlen. Also war ich auf das Geld meines Vaters nicht angewiesen.
Den Luxus, dass es mit sich brachte, auch den musste ich eben nun verzichten.
„Sapan, noch kannst du zurück“, fing Sammy wieder an.
„Nein Sammy, ich habe mich für dich entschieden und mich bewegt nichts dazu, etwas Anderes zu tun.“
Sammy lehnte sich zurück und schaute aus dem Fenster. Ich dagegen schaute starr nach vorne, weil mir diese Blicke nicht aus dem Kopf gingen. Die starren Blicke meines Vaters, als wäre ich ein Fremder für ihn und die Blicke meiner Mutter, die tränenreich, mich beim Abschied anschauten.
Die Gangway wurde zurückgezogen und man konnte das Starten der Düsen hören. Langsam rollte die Maschine rückwärts.
„Irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl“, meinte Sammy.
„Kann ich dir nicht verdenken, nach dem wie sich mein Vater benommen hat.“
„Nein, ich meine nicht wegen deinem Vater, ich meine diese Maschine hier…“
„Was soll mit ihr sein? Ist eben keine Firstclass Maschine, eben nur ein Billigflieger.“
Sammy antwortete nicht darauf und nahm nur meine Hand in die Seine. Sanft streichelte er mit dem Daumen über meinen Handrücken, als wolle er mich beruhigen. Verständlich. Sammy war immer sehr klar im Denken, er erfasste schneller, was kommen würde.
Klar, ich habe etwas verloren, meine Familie, aber so Recht schienen mir die Konsequenzen noch nicht klar zu sein, ich konnte in diese Richtung einfach nicht weiter denken. Warum sollte ich mir darüber auch den Kopf zerbrechen, die Aussage meines Vaters war eindeutig.
Er wollte nichts mehr mit mir zu tun haben, ich sein schwuler Sohn, das Wort, das er nicht mal hat aussprechen können. Ich schämte mich für meinen Vater, dass er so altmodisch dachte.
Plötzlich schämte ich mich auch für die Traditionen meines Landes, für mein Land, für alles, was mir bisher immer wichtig war. Alles erschien mir jetzt so fehl am Platz. War ich wirklich schon zu lange in England?
Ich blickte kurz nach draußen, wo die Landschaft an mir vorbeiraste, als die Maschine abhob. Würde ich dass hier noch einmal wieder sehen, gab es einen Grund, noch einmal hier her zurück zukehren?
Es fühlte sich wie ein Stich in meinem Herzen an. Ich hatte alles verloren. Wieder kam mir der tränenreiche Blick meiner Mutter in den Sinn und spürte selber, wie sich Tränen, den Weg über meine Wangen bahnten.
Nie wieder würde ich glücklich barfuss über den Rasen unseres Hauses rennen. Nie wieder würde ich im See baden, den mein Vater damals extra für mich hat anlegen lassen. Keine Feste mehr mit ausgelassener Musik.
„Geht es?“, hörte ich Sammy leise sagen, während er mir ein Papiertaschentuch hinhielt.
„Muss gehen!“, meinte ich und nahm dankend an, „ich weiß jetzt nur nicht was wird.“
„Hör mal Sapan, ich bin immer für dich da, das weißt du und bei meiner Familie bist du immer herzlich willkommen, das hat mir vorhin meine Mutter am Telefon noch einmal gesagt, als ich dass alles erzählte, was passiert ist. Soll dir auch liebe Grüße ausrichten.“
„Danke Sammy“, erwiderte ich und drückte mit einem Lächeln auf den Lippen, ganz fest seine Hand.
Ein Leben in England. Ich würde mein Studium abschließen und konnte dort Arbeit finden. Ich hatte Sammy, den ich über alles liebte und heute nach meinem Liebesbeweis, den ich unfreiwillig abgegeben hatte, war ich mir sicher, unsere Bindung wurde noch mehr gefestigt.
„Sapan schau mal da nach draußen“, hörte ich Sammy sagen und folgte der Richtung seines Fingers.
Mir blieb fast das Herz stehen, als ich erkannte, was er meinte. Aus dem einen Triebwerk rauchte es gewaltig. Auch die Maschine fing jetzt an zu vibrieren. Nun schlugen schon kleine Flammen aus der Düse.
Die Maschine befand sich immer noch im Steigflug. Doch hatte ich das Gefühl, das wir gar nicht richtig stiegen, den Schub den man sonst beim Starten spürte, war nicht vorhanden.
„Sapan, wir gehen wieder runter“, sagte Sammy leise.
Ich sah, wie der Wald auf dem ansteigenden Hang immer näher kam. Jemand im Flugzeug schrie laut, dass wir abstürzen. Eine Durchsage kam, man solle sich nach vorne beugen, doch durch das hysterische Geschrei an Bord, war fast nichts mehr zu verstehen.
Ich war nicht fähig zu schreien, steif saß ich da, zerquetschte fast Sammys Hand. War das nun die Strafe für meine Entscheidung? Viel zu schnell kam der Wald näher, Sammy drückte mich nach vorne und weniger Sekunden später, hörte ich noch einen Knall, wir wurden herumgeschleudert und dann wurde alles um mich herum dunkel.
*-*-*
Ich hörte Vogelgezwitscher und sonst war alles ruhig. Nur langsam wurde mir bewusst, was eben geschehen war. Eben? Wie lange lag ich hier schon? Langsam versuchte ich meine Augen zu öffnen.
Das Bild was sich mir zeigte war etwas verschwommen, aber es wurde besser. Ich hatte einen komischen Geschmack im Mund, hob meine Hand, was ich aber sofort bereute, denn ein Stich fuhr in meine Schulter.
„Sapan?“, hörte ich leise neben mir.
Vorsichtig drehte ich den Kopf zur Seite, wo ich Sammy vermutete. Jetzt erst sah ich, dass Sammy und ich immer noch in unseren Sitzen saßen, aber vom Flugzeug nicht viel da war.
Es musste uns herausgerissen haben. Ich konnte hinter Sammy große Teile vom Flugzeug erkennen, die noch brannten, aber auch Menschen, die leblos schienen. Bevor ich Sammy antworten konnte, hörte ich nun aus allen Richtungen, Laute, Jammern und Schreie.
„Sammy, ich bin hier!“
Erst jetzt viel mir die Wunde an Sammys Kopf auf, aus der Blut sickerte. Ich hob nun vorsichtig die andere Hand, dann den ganzen Arm, der schien heil geblieben zu sein. Ich versuchte meinen Gurt zu lösen, was sich aber als schwer erwies, da wir nicht mehr aufrecht saßen, sondern mit den Rückenlehnen der Sitze auf dem Boden lagen.
Mit etwas Geduld hörte ich es klicken und der Druck von meinem Bauch war genommen. Ich versuchte mich auf die Seite zu drehen, weg von Sammy, damit ich vom Sitz wegkam. Mit einem lauten Schrei fiel ich zu Boden, neben dem Sitz.
Meine Schulter tat höllisch weh. Mit der noch heilen Hand hob ich meine Schulter und versuchte mich aufzurichten. Mit letzter Kraft schleppte ich mich auf die andere Seite unserer Sitze und ließ mich neben Sammy fallen.
„Sapan, ist… alles okay… mit dir?“, hörte ich Sammy leise sagen.
„Meine Schulter… ich glaube, die ist gebrochen… aber was ist mit dir?“
Sammy, der immer noch in gehockter Stellung vor mir lag, öffnete die Augen.
„Mir tut das Atmen weh, ich habe Stiche in der Brust.“
Tränen rannen über seine Wangen.
„Sapan, mir ist so kalt…“
Kalt? Die Sonne brannte, wurde durch keinen Baum abgehalten, denn die hatte das Flugzeug weggerissen. Nun versuchte ich auch Sammys Gurt zu lösen, was sich als noch schwieriger erwies, als bei mir.
Sammys Bein lag so komisch da, deshalb kam ich nicht richtig an den Gurt. Als ich Sammys Bein auf die Seite drücken wollte, fing Sammy an laut zu schreien.
„Scheiße, dein Bein scheint gebrochen zu sein…, Sammy es tut mir leid, ich wollte dir nicht wehtun…“
Tief atmete Sammy durch.
„Braucht dir nicht… leid zu tun… du konntest… es nicht wissen.“
„Sammy, ich muss dich aber losschnallen, es ist nicht gut, wenn du da so liegen bleibst…, du hast eine Wunde am Kopf…“
Sammy hob seine Hand und fuhr sich über die Stirn, wo er nun auch noch das Blut verschmierte.
„Sapan, irgendwie schaffen wir dass schon, ich… ich muss nur die Zähne zusammenbeißen.“
Also versuchte ich noch einmal an die Gurtschnalle zu kommen, ohne Sammys Bein zu verschieben.
„Sapan, doch nicht… nicht vor all den Leuten.“
Ich schaute zu Sammy hinunter, der ein winziges Lächeln auf seinen Lippen hatte. Mir wurde bewusst, wie dass aussah, was ich da gerade machte, als würde ich Sammy in die Hose fassen.
„Du kleiner Spinner!“
Jedenfalls hatte Sammy seinen Humor nicht verloren. Plötzlich machte es Klick und Sammy rutschte in sich zusammen, was er auch gleich wieder mit einem Schrei quittierte. Vorsichtig zog ich ihn mit einem Arm vom Sitz herunter, was er brüllend begleitete.
Beide atmeten wir nun schwer und Sammy schien sich wieder zu beruhigen. Er lag nun halber auf mir und beide Beine einigermaßen gerade von sich gestreckt. Meine Schulter hatte dies auch nicht schmerzfrei gelassen, aber ich versuchte mich zusammen zureisen.
Ich presste meine Hand auf die Wunde von Sammys Kopf und dann erst schaute ich mich um. Überall waren Trümmer, hier und da brannte es noch. Aber konnte ich auch andere Menschen entdecken, die sich noch bewegten.
Aber keiner schien unverletzt zu sein, ich sah niemand, der herumlief. Wie weit waren wir eigentlich vom Flughafen weg? Ob die den Absturz schon mitbekommen hatten. Dicker Rauch stieg zum Himmel, den man eigentlich sehen musste.
Sammy hatte wieder die Augen geschlossen, atmete ruhig. Hoffentlich stirbt er mir hier nicht weg, dachte ich noch, als ich Sammys Hand an meinem Bein spürte, die mich sanft streichelte.
„Wie viel kann ein Mensch am Tag eigentlich ertragen?“, fragte er leise.
„Was meinst du?“
„Hatten wir heute nicht schon genug Aufregung?“
„Aufregung… Sammy, wir haben gerade ein Flugzeugabsturz überlebt, was ist daran aufregend?“
„Ja, wir leben noch, ist… doch immerhin etwas, oder?“
Jetzt musste ich grinsen, Sammy versuchte mich nur aufzumuntern.
„Ob es lange dauert, bis jemand zur Hilfe kommt?“, fragte ich nervös, immer noch meine Hand an Sammys Stirn haltend.
„So weit waren wir nicht vom Flughafen weg“, antwortete Sammy, „ ich glaub ich höre sogar einen Hubschrauber…“
Angespannt lauschte ich, doch die Rufe und Schreie der anderen machte es mir fast unmöglich etwas Anderes zu hören. Doch Sammy hatte Recht, ich konnte nun auch einen Hubschrauber hören, der sich schnell näherte.
Wenig später überflog ein Helikopter die Unglücksstelle, zog seine Kreise, bevor er versuchte, in der Nähe herunter zu gehen. Es dauerte auch nicht lange, bis ein paar Leute gerannt kamen, ich konnte sogar auf ihren hellen Jacken das rote Kreuz erkennen.
„Sammy, bald ist Hilfe da!“, meinte ich, aber er antwortete nicht.
Er atmete normal, aber reagierte nicht auf mich.
„Sammy?“, rief ich, aber kein Laut kam.
Ich bekam es mit der Angst zu tun, bewegte seine Kopf langsam, aber keinerlei Reaktion.
„Junge, alles klar mit dir?“
Ich hob den Kopf und einer der Helfer stand vor mir.
„Ich habe nur etwas an der Schulter, aber mein Freund reagiert nicht mehr…“, sagte ich leicht panisch.
Der Helfer stellte seinen Koffer ab und kniete sich neben uns. Er öffnete mit einem Finger Sammys Auge, fühlte seinen Puls.
„Dein Freund ist bewusstlos, aber es dauert nicht mehr lange und es ist Hilfe da, hier in der Nähe ist eine Strasse, die Krankenwagen müssen bald eintreffen. Hier eine Kompresse, die drückst du fest gegen die Wunde deines Freundes. Und was ist mit deiner Schulter?“
Er griff leicht nach ihr, was aber wieder einen höllischen Schmerz verursacht und ich aufschrie.
„Ist vielleicht gebrochen…, bleib einfach ruhig hier sitzen… es kommt bald Hilfe“, meinte der Helfer und stand wieder auf.
Ich sah seine Hilflosigkeit im Gesicht, mir schien er wusste nicht, wohin er als Erstes hinlaufen sollte. Fest drückte ich die Kompresse an Sammys Wunde, spürte wie sich die Tränen in meinen Augen sammelten und auf Sammy herunter tropften.
*-*-*
Zwei Stunden saß ich nun hier und wartete, dass mir jemand wegen Sammy Bescheid sagte. Außer seinem gebrochenen Bein und der Platzwunde am Kopf wurde festgestellt, dass Sammy sich auch noch zwei Rippen gebrochen hatte.
Ich hatte dagegen Glück mit nur einer gebrochen Schulter und ein paar Schrammen am Körper. Ich hatte kurz mit Sammys Eltern telefonieren können, die sich wahrscheinlich schon auf dem Weg hier her befanden.
Meine Eltern hatte ich nicht angerufen und nach mehrmaligen Fragen der Schwester, äußerte ich den Wunsch, dass auch niemand vom Personal dies tat, denn ich hatte einen bekannten Nachnamen, mein Vater war in der Stadt sehr bekannt.
So saß ich nun auf meinem Stuhl und wartete. Eine Lernschwester kam vorbei und reichte mir eine Tasse Tee, bevor sie sich wieder entfernte. In meinem Kopf herrschte das Chaos und dazu kam, dass ich mir immer wieder vor Augen hielt, ich sei Schuld, dass mein Schatz da nun im Op lag, weil ich ihn dabei haben wollte, weil ich mich geoutet hatte.
Meine Tränen waren längst versiegt, meine Augen brannten.
„Sapan?“, hörte ich leise neben mir eine Stimme.
Ich hob meinen Kopf und sah vor mir eine ältere Frau in Schwesterntracht, die mich anlächelte.
„Willst du dich nicht etwas hinlegen, Sapan?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Ich warte auf Sammy, meinem Freund.“
„Sammy geht es gut, er hat die Operation gut überstanden. Ich werde veranlassen, dass er in dein Zimmer gebracht wird.“
Ich schaute die Frau wieder an, die mich immer noch anlächelte. Langsam erhob ich mich, die Schwester, mit dem Namensschild Tipai half mir auf.
„Und soll ich wirklich nicht deinen Vater anrufen?“
„Nein!“
„Sapan bitte, er muss doch wissen was geschehen ist…“
„Es wird ihn nicht interessieren…“
„Warum…?“
Ich schaute der Frau ganz lange in die Augen, bevor ich antwortete.
„Weil ich meinen Freund liebe… er mich deswegen verstoßen hat…“
„Raoul, dein Vater?“
Die Schwester schien meinen Vater näher zu kennen.
„Sie kennen meinen Vater persönlich?“
Mittlerweile waren wir an einem Zimmer angekommen, in dem nur ein Bett stand, dass andere fehlte. Tipai half mir ins Bett und ich merkte wie gut es tat, mich einfach zurück zulehnen.
„Sobald dein Freund aufgewacht ist, verlegen wir ihn hier her, okay?“
Ich nickte, merkte aber, dass sie jetzt etwas säuerlich war.
„Und wegen deinem Vater mach dir mal keine Sorgen, darum kümmere ich mich schon.“
„Was haben sie mit meinem Vater zu tun?“
„Dein Vater, Raoul, war der beste Freund meines Bruders….“
„War?“
„Ja, mein Bruder ist Tod!“, sagte sie und mit traurigen Blick verließ sie mich. Ich spürte, wie mich die Müdigkeit überkam, ich gähnte und es dauerte nicht lange und ich war eingeschlafen.
*-*-*
Etwas erholt öffnete ich die Augen und ich musste tief geschlafen haben, denn ich hatte nicht mal bemerkt, dass man Sammy zu mir ins Zimmer geschoben hatte. Im Zimmer war es schon dunkel, eine Lampe brannte auf dem Tischchen, neben meinem Bett.
„Endlich wach?“
Ich drehte meinen Kopf, da saß Eknath unser Fahrer am Bettrand.
„Eknath, was tust du denn hier?“
„Ich habe deine Mutter hergebracht, sie ist aber gerade draußen, um sich einen Tee zu holen, so lange soll ich am Bett wachen.“
Also wusste man daheim Bescheid… daheim, es war ja nicht mehr mein Zuhause. Aber warum war meine Mutter hier? Sie durfte mich doch sicher nicht sehen, mein Vater hätte es ihr verboten.
Ich schaute wieder zu Sammy, der sich etwas regte.
„Dem jungen Herrn geht es auch gut, das Bein konnte wieder gerichtet werden und er muss einen Stützverband tragen, solange bis seine Rippen wieder in Ordnung sind“, sagte Eknath, als könne er meine Gedanken lesen.
Ich versuchte mich aufzurichten. Eknath schien von der Idee nicht begeistert, trotzdem half er mir auf. Langsam und schwankend ging ich an Sammys Bett und setzte mich zu ihm. Seine blonden Haare lugten unter einem Verband heraus, zärtlich strich ich darüber.
Er schien friedlich zu schlafen, hatte sogar ein kleines Lächeln auf den Lippen. Die Tür zum Zimmer wurde leise aufgeschoben und meine Mutter trat herein.
„Sapan, du bist aufgewacht?“, fragte sie leise, stellte ihre Tasse ab und kam um das Bett herum zu mir.
Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und küsste mich auf die Stirn.
„Was ist mit Vater?“, war das Einzigste was ich überhaupt herausbrachte.
Meine Mutter schaute kurz zu Eknath, der sich erhob und ohne einen Ton zusagen das Zimmer verließ.
„Er kommt nach…“
„Er kommt hier her?“
„Ja…“
„Ich habe Tipai extra gesagt, ich will nicht, dass man ihn verständigt.“
„Da kennst du Tipai nicht“, meinte Mutter und atmete tief durch.
Ich verstand nicht Recht, was das jetzt sollte, denn ich wusste wie stur mein Vater war, was konnte ihn schon umstimmen, hier her zu mir zu kommen…
„Was hat Tipai mit Vater zu tun?“
„Sie hat dir nichts erzählt?“
„Sie hat gesagt ihr Bruder und Vater waren mal die besten Freunde.“
Meine Mutter lächelte kurz, bevor ihr Gesicht wieder ernst wurde.
„Stimmt, die beiden waren unzertrennlich. Jeder dachte, die Zwei machen gemeinsam eine Firma auf und kaufen die ganze Stadt auf.“
„Und warum ist es nicht dazu gekommen?“
„Dein Vater…“
„Hat Vater wieder einer seinen traditionsreichen Entscheidungen getroffen?“, fragte ich leicht sarkastisch.
„Nicht nur…“
Ich schaute meine Mutter an, die sich anscheinend sträubte mir mehr zu erzählen.
„Ich glaube, dass soll dir besser Tipai erzählen“, meinte sie und drückte den Knopf.
Es dauerte nicht lange und Tipai betrat das Zimmer.
„Ihr habt gerufen?“
„Ja, Tipai, erzähl Sapan doch, was damals zwischen Raoul und Kalame vorgefallen ist.“
„Bist du sicher, Mallalai?“, fragte Tipai meine Mutter.
„Ich denke, er sollte es wissen.“
Tipai wandte sich an mich und atmete noch einmal tief durch.
„Kalame war ein lieber Junge sah immer zu Raoul auf, der ein Jahr älter war. Keiner von uns merkte, wie sich mein Bruder veränderte, dass er Probleme hatte. Eines Tages fanden wir ihn erhängt im Garten meiner Eltern.“
Ich musste schlucken.
„Wir fanden auch einen Abschiedsbrief, in dem er den Grund erklärte, warum er sich so von seinem Leben trennte. Er… er vergötterte deine Vater… ja er liebte ihn. Aber er konnte mit dieser Schande nicht leben, er wollte uns allen die Schande ersparen, dass er anders fühlte, als normale Männer.“
„Ich und Sammy sind auch normal, nur weil wir uns lieben, sind wir nicht krank!“
„Sapan, dass weiß ich und dass weiß auch deine Mutter. Nur Raoul hatte sich seit damals verschlossen. Keinerlei Gefühlsregungen konnte man ihm ansehen, auch nicht als wir Kalame seine letzte Ehre erwiesen und ihn verbrannten. Er war nicht mal erschienen.“
„Aber warum? Warum ist Vater so?“, fragte ich.
„Das musst du ihn selber fragen, dieses Thema wurde seither nie wieder in seiner Gegenwart angeschnitten.“
Ich schaute hilflos meine Mutter an.
„Sapan, habe keine Angst, auch wenn dein Vater, Kalame, wie einen Bruder liebte und mit dessen Gefühlen nicht zu Recht kam, er kann dich nicht auch noch verstoßen und noch jemand aus seinem Leben drängen“, sprach Tipai weiter.
„Das hat er doch schon!“, meinte ich trotzig.
„Lass ihm bitte Zeit…“, sagte meine Mutter.
„Damit er mich und mein Sammy noch mehr verletzten kann? Nein Mutter, dazu bin ich nicht bereit. Ich liebe Sammy über alles und nichts kann uns trennen, auch mein Vater nicht.“
Sammy schien durch die laute Unterhaltung wach geworden zu sein.
„Es ist ja schön…, dass du mich liebst…, aber könntest du das leiser sagen?“
„He mein Schatz, wie geht es dir?“
Ich beugte mich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„So weit gut, aber mein Kopf dröhnt, also etwas leiser bitte!“
„Mein Vater will herkommen…“
„Oh Gott, dann streitet aber bitte euch draußen, den Krach ertrage ich nicht…“
„Hallo Sammy…“, hörte ich meine Mutter sagen.
Sammy hob leicht den Kopf und sah in Richtung meiner Mutter.
„Entschuldigen Sie Mrs. Tanduri, ich habe nicht bemerkt, dass sie auch im Raum sind.“
„Keine Sorge, ich verstehe den Gram gegen meinen Mann.“
Sammy wurde rot.
„Ich hole erst einmal etwas gegen deine Kopfschmerzen“, sagte Tipai und verließ uns wieder.
Sammy sah mich an und dann wieder zu meiner Mutter.
„Sie haben nichts dagegen, dass ihr Sohn mich liebt?“, fragte er direkt.
„Warum sollte ich, Hauptsache er ist doch glücklich…“
„Und ihr Mann? Ich meine… Sapan hat mir die zwei Jahre die ich ihn jetzt kenne, soviel von Indien, von ihnen und auch von seinem Vater, den er sehr liebt, erzählt. Ich gebe zu, auch ich kam mit gemischten Gefühlen hier her, weil ich nicht wusste, was auf uns zukam. Aber alles was mir Sapan über sie hier erzählte, ließ mich vermuten, dass sie alle sehr aufgeschlossen wären.“
„Aufgeschlossen dem Neuen ja, aber fest an der Tradition festhaltend“, meinte meine Mutter.
„Ich möchte nicht, dass Sapan wegen mir verletzt wird, es tat mir weh ihn leiden zu sehn, ich spürte die Schmerzen, die ihm sein Vater zufügte.“
„Das spricht für dich, Sammy.“
„Ich habe versucht ihn zur Umkehr zu bewegen, lieber auf mich zu verzichten, als auf seine Familie zu verzichten, denn auch in England ist die Familie das höchste Gut, das man besitzen kann.“
„Ich werde dich nicht verlassen, das kommt gar nicht in Frage?“, nörgelte ich.
„Das wieder spricht für meinen Sohn, was er sich in den Kopf gesetzt hat, führt er auch durch, da ähnelt er sehr seinem Vater.“
„Das wird auch das Einzigste sein…, entschuldigen sie, es steht mir nicht zu so etwas zu sagen“, meinte Sammy.
„Auch dies macht mir nichts aus, weil ich meinen Mann, aber auch Sapan gut kenne, sie trennen Welten.“
Es klopfte an der Tür und Tipai kam zurück.
„Hier schluck das bitte, dann wird dein Kopfweh langsam weichen.“
Tipai hielt ihm eine Tasse hin. Ich half ihm etwas auf und Tipai setzte die Tasse an, die Sammy auch schön brav leer trank.
„Bah, schmeckt das widerlich…“, meinte Sammy und verzog das Gesicht.
„Aber es hilft!“, meinte Tipai und verließ uns wieder.
„Und jetzt?“, fragte Sammy.
„Was? …dir scheint es ja wirklich besser zu gehen“, meinte ich und streichelte über seine Wange.
„Das täuscht, warte bis die ganzen Spritzen aufhören zu wirken und ich meinen Körper wieder spüre, dass wird sicher heftig.“
„Das ihr Männer immer jammern müsst“, kam es von meiner Mutter und sie lächelte auch etwas.
Bevor ich etwas sagen konnte, wurde die Tür wieder geöffnet. Zu meiner Überraschung waren es Sammys Eltern… hatten die eine Rakete? Ein Blick auf die Uhr beleerte mich etwas Anderem, es war schon spät in der Nacht.
Durch meinen Schlaf hatte ich irgendwie das Gefühl für Zeit verloren.
„Oh Gott Junge, wie geht es dir… wir haben die Bilder im Fernseher gesehen, einfach schrecklich… ein Wunder, dass so viele Menschen überlebt haben.“
Mrs. Briston beugte sich über ihren Sohn und küsste ihn.
„Hallo Sohn, was machst du nur für Sachen?“, kam es vom Mr. Briston.
„Ich lebe, siehst du doch und du weißt ja, Unkraut vergeht nicht, besonders das Englische!“
Nun lachten alle drei und ich war geneigt mitzulachen, wenn da nicht noch eine dritte Person das Zimmer betrat… mein Vater.
*-*-*
Ich stand nur da und sagte gar nichts, die Stille im Raum war mir unerträglich.
„Hallo Mr. Tanduri!“, kam es von Sammy und hob die Hand.
Mein Vater blickte zu ihm, ließ seinen Blick kurz durch den Raum wandern, blieb an mir haften und reichte dann schließlich Sammy die Hand. Ich atmete tief durch.
„Hallo Sammy, sie hat es ja ganz schön erwischt…“, sagte er zu Sammy.
„Na ja, das mit dem Bein wird eine Weile dauern, die Rippen werd ich überleben, ich darf nur nicht zuviel lachen und der Kopfverband kommt sicher morgen wieder ab, alles in allen, ich sehe schlimmer aus, als ich es bin…“
War das jetzt ein Schnitzer, oder hatte dass Sammy mit Absicht gesagt. Sammys Vater grinste, gab aber kein Kommentar von sich. Ich hatte mich inzwischen wieder auf mein Bett gesetzt, denn meine Schulter machte mir wieder zu schaffen.
Wieder war es ruhig im Zimmer und wieder war es Sammy, der die Stille durchbrach.
„Wie seid ihr eigentlich so schnell hier hergekommen, ich meine England ist ja schon ein Stückchen weg“, sagte er zu seinen Eltern.
„Raoul hat uns abgeholt mit seinem Privatjet“, meinte Mr. Briston.
Raoul, nanu, hatte ich etwas verpasst? Jetzt wurde schon im vertrauten Du gesprochen.
„Deswegen hatten wir auch keine Schwierigkeiten mit dem Einreisen, er hatte bereits alles für uns erledigt und wir konnten direkt hier ins Krankenhaus fahren.“
Mein Vater setzte sich in Bewegung und kam zu mir ans Bett. Er ließ sich auf dem Bettrand nieder.
„Sapan…“, er schaute mich direkt an, „Sapan es tut mir leid, ich hätte fast einen Fehler begangen und dich verloren. Diesen Fehler habe ich schon einmal begangen und jemand starb durch meine Schuld…, diese Schuld reicht für mein ganzes Leben…“
„Aber… wieso… wieso du bist doch nicht schuld an Kalames Tod“, meinte ich, weil ich nicht verstand, was er damit meinte.
Er schaute mich etwas erstaunt an und sein Blick wanderte zu meiner Mutter.
„Tipai?“, fragte er.
Sie nickte.
„Dann hat dir Tipai nicht die volle Wahrheit erzählt?“, sprach er weiter, wieder zu mir gewandt.
Ich verstand nicht. Mein Vater senkte den Kopf und begann zu erzählen.
„Vor dem Abend seines Todes, war… Kalame bei mir. Er hatte sich über die Außenfassade in mein Zimmer geschlichen…, er war aufgeregt, ich konnte ihn fast nicht beruhigen. Und plötzlich gestand er mir seine Liebe.“
Ah daher wehte der Wind, jetzt bekam die Geschichte auch eine Sinn.
„Ich verstand es nicht und habe ihm eine ins Gesicht gehauen.“
„Was hast du Raoul?“, kam es entsetzt von meiner Mutter.
„Nein, ich bin nicht stolz über das, was ich gemacht habe. Ich habe ihm ins Gesicht gesagt, er wäre eine Schande für uns alle, würde uns alle ins Unglück reisen. Zu mehr kam ich nicht, weil Kalame wegrannte. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe, bis uns am nächsten Morgen der Anruf von Tipai erreichte.“
Mein Vater sah mich flehend an.
„Verstehst du Junge, nur weil ich ihm nicht klar machen konnte, dass ich nicht so fühlte wie er… er eben nur mein Freund war… ich ausgerastet bin… habe ich nun ein Menschenleben auf dem Gewissen,… durch meinen Fehler… und ich will diesen Fehler nicht wiederholen!“
„Also das mit dem Absturz war jetzt nicht geplant, Mr. Tanduri“, kam es von Sammy.
Seine Mutter schaute ihn entsetzt an.
„Entschuldigung, so wollte ich das jetzt nicht sagen, aber ich kenne jetzt Sapan seit zwei Jahren. Klar, es hat ihn sehr verletzt, was da heute Morgen gelaufen ist, aber sich deswegen umbringen, nein, das ist nicht Sapan!“
Ich wunderte mich, wo Sammy diese Selbstsicherheit her nahm.
„Aber ich hätte ihn dennoch verloren…“, sagte mein Vater.
„Auf eine gewisse Art und Weise schon, aber dennoch kann ich ihnen mit Überzeugung sagen, Sapan liebt sie! Auch wenn es gerade nicht den Anschein hat.“
Ich war versucht Sammy einen Stoß für seine Bemerkungen zugeben, bis ich feststellte, was er da gerade tat. Es war seine Art zu zeigen, wie sehr er mich liebte, eben dadurch, dass er jetzt für mich eintrat, sich vor mich stellte.
„Ich habe schon ihrer Frau vorhin gesagt, Sapan erzählt mir seit zwei Jahren ununterbrochen von Indien und von ihnen. Er hat eine sehr große Meinung von ihnen, sie sind sein Vorbild, auch was die Traditionen betrifft.“
Immer wieder schaute Sammy kurz zu mir und lächelte. Seine Kopfschmerzen schienen wohl verschwunden zu sein und auch so machte er einen fiten Eindruck.
„Und was die Traditionen betrifft, ja ich würde Sapan sogar heiraten, wenn er mich fragen würde, auch wenn sie dass jetzt entsetzt, ich liebe Sapan, er ist mein Leben!“
Erstaunt schaute ich zu Sammy, der gerade dieses Wort Heirat losgelassen hatte.
„Klar, Eines würde es geben, auf dass sie verzichten müssten… das wären Enkel, aber fragen sie meine Eltern, die haben sich an diesen Gedanken schon gewöhnt. Sie verlieren keinen Sohn…, sie bekommen einen Sohn dazu!“
Nun schwieg auch Sammy wieder und alles schaute gespannt zu meinem Vater.
„Sammy… eins verstehe ich nicht…“
„Was?“, fragte Sammy verwundert.
„Wenn du mein Sohn bist, warum sagt du immer noch sie zu mir?“
Es dauerte kurz, aber Sammy verstand, was er damit sagen wollte. Er grinste breit über das ganze Gesicht. Mein Vater stand auf, nahm Sammys Gesicht in seine Hände und küsste ihn auf die Stirn.
Meine Mutter hielt ihre Hand vor den Mund und konnte ihre Tränen nicht länger unterdrücken. Dann wandte sich Vater wieder zu mir.
„Sapan, kannst du mir noch mal verzeihen?“
Er hielt die Hände nach mir ausgestreckt. Ich stand auf und nickte.
„Vater es gibt nichts zu verzeihen, denn keiner von uns trägt eine Schuld mit sich.“
Ich bückte mich schwerfällig und wollte seine Schuhe berühren. Mein Vater hinderte mich daran, nahm mich in den Arm und drückte mich fest an sich.
„Ich glaube, jetzt haben wir etwas zu feiern“, kam es von Sammy.
„Das feiern wir, wenn du und Sapan wieder aus dem Krankenhaus seid“, sagte Mrs. Briston.
„Das kann aber noch dauern“, erwiderte Sammy.
„Wer sagt denn, dass dein Vater und ich sofort zurückfliegen. Wenn ich schon mal von zu Hause wegkomme, nutze ich das auch!“
Sammy lächelte und sein Blick fiel wieder zu mir… ein fordernder Blick. Ich begriff und ging zu ihm hin. Unsere Lippen berührten sich und so gut es eben ging umarmten wir uns auch.
*-* Ende *-*