Dorkas – Teil 2

Einleitung zwei

„Hallo, lieber Leser. Schon, dass Du mich, Dorkas, nach dem Lesen meines ersten Teiles wieder besuchst. Draußen regnet es immer noch, ein Grund weiter zumachen, aber ich kann jetzt auch nicht vom Text loslassen, weil ich vor dessen Ende nicht zur Ruhe kommen kann. Da sind halt immer noch Emotionen, die der Aufarbeitung bedürfen. So, viel Spaß weiterhin! Dorkas.“

Hinweis: Die Geschichte beinhaltet brutale Gewalt. Wer damit nicht umgehen kann, sollte sich lieber anderen Geschichten zuwenden.

Wichtige Personen:

  • Dorkas Hauptperson
  • Oscar bester Freund
  • Amir + Mitschüler, Liebster
  • Abdul Aufpasser
  • Jeremy Freund in der Ferne

Orte:

  • Sant Elia Anlandungsort im Industriehafen
  • (Anfahrt Landstraße über Moro, Montebello Jonico)
  • Sant Elena Unterbringungsort

(bitte dort nicht hinfahren und nachprüfen… gibt nur Ärger!)

Angekommen unter Palmen

„Dorkas! Nun werde endlich mal wieder normal und komm wieder ins Leben zurück! Dorkas, hörst du? Oskar spricht mit dir, dein bester Freund!“ Oskar drückt meine vor das Tränen verschmierte Gesicht gehaltenen Handflächen weg und sieht mich aufmerksam an. Meine Augen sehen in ein um seinen Freund sehr besorgtes Gesicht. „Oskar…“, schluchze ich, mehr kann ich nicht von mir geben. „Ja, es ist schlimm – Amir ist ertrunken – und ich finde es auch furchtbar, aber denk doch mal daran, dass du noch vor gar nicht vielen Stunden mit ihm nicht mal ein Wort geredet hast! Aber ich bin doch da, ich lebe ja noch, und ich brauche dich jetzt noch viel mehr als sonst als meinen besten Freund. Wir sollten einfach wie immer zusammenhalten und uns vertrauen, dann können wir gemeinsam auch alles gut durchstehen. Nun, komm schon, wisch deine Tränen weg, und rede wieder mit mir!“ Uns umarmend, gibt mir Oskar wieder etwas von meiner Lebenskraft zurück, und jetzt nehme ich auch die Umgebung wahr, die quälenden Geräusche des Motors, das Gerüttel auf der Ladefläche. „Abdul hat ihn umgebracht“, flüstere ich an Oskars Ohr, „brutal mit dem Messer.“ „Aber Dorkas, was erzählst du da – wie kannst du sowas nur behaupten! Du täuscht dich sicherlich.“ „Nein, Oskar, ich täusche mich nicht“, sage ich bitter, „mir hat er ja auch das Messer an den Hals gehalten und mich bedroht, dass ich die Schnauze halten soll, und ich mußte auch noch Amirs Blut abwaschen…“ Oskar sagt darauf nichts, aber ich merke deutlich, wie sich in ihm was bewegt, wie er sich innerlich verkrampft, es ihn schüttelt, und wie er mir kurz seine Fingernägel schmerzhaft in die Oberarme bohrt. „Oh, das hätte ich vom dem nicht gedacht, da habe ich mich aber total in einem Menschen geirrt. Aber warum – nur dass Amir auf Jungs steht und nicht in die alte Denkschablone seiner Umgebung passt? Das ist doch total krank und unsinnig! … Dorkas, lass uns das hier gemeinsam durchstehen. Wir können ja auch nicht so ohne weiteres zurück, müssen erst mal sehen, was auf uns zukommt, aber es wird die Gelegenheit kommen, da werden wir Amir rächen, das verspreche ich!“ Mir einen Kuß auf die Stirn drückend, flüstert er sehr entschlossen und männlich in mein Ohr, „Ich schwöre auf das Andenken von Amir, Abdul wird dafür büßen.“ Unsere Wangen dann eng aneinander gelegt, den aufgeregt heftigen Herzschlag meines Freundes spürend, bin ich dafür bereit, sage wieder ja zum Leben. Ich registriere den mittlerweile penetranten Schweißgeruch meines Freundes, und das ist etwas, was ich eigentlich überhaupt nicht bei ihm ausstehen kann, aber hier und jetzt stört mich das nicht, erscheint es mir sogar als der beste Duft der Welt, weil der meines besten, nun einzigsten Freundes.

„Sag mal, wo sind wir hier überhaupt?“, sind meine ersten konstruktiven Worte nach schlimmen Stunden der Depression, und ich merke, dass die Augen vieler unbekannter Jungs auf mich gerichtet sind und Anteil am Gespräch genommen haben, obwohl sie über den eigentlichen Sinn meines Verhaltens und die Tragik kaum eine Ahnung haben können. Sollte ich denen alles erzählen, macht das Sinn? Mitten in dieser Überlegung meint Oskar, „Nun, angekommen sind wir in Sant Elia, in einem Hafen gleich neben einem Industriegebiet, dann auf diesem LKW weiter gefahren mit noch anderen Jungs, die dort schon gewartet haben, über Moro in Richtung Montebello Jonico, wie ich lesen konnte. So eine Touristengegend ist das hier wohl nicht, eher am Arsch der Welt. Aber, sieh mal, dahinten dieser große Berg, das sieht interessant aus.“ „Ich denke mal, das wird der Ätna sein, und wenn wir auf dem italienischen Festland sind, ist dahinten etwa Westen.“ „Da, Ätna“, mischt sich einer der anderen Jungs ein, dessen Gesicht ich nicht kenne, und gleich fangen die restlichen Fahrgäste eine wilde Diskussion an, nur von der Sprache und dem Inhalt bekomme ich nichts mit. Auch das Aussehen meiner Mitfahrer scheint sich verändert zu haben, was daran liegen könnte, dass wir einer anderen Gruppe zugeteilt wurden. Und ich habe davon nichts bemerkt, war nur mit mir beschäftigt… Doch zum großen Glück ist Oskar noch bei mir, ohne ihn würde ich bestimmt untergehen.

Als wir am Ende eines kleinen Dorfes namens Sant ‚Elena angelangt sind, biegen wir nach rechts ab und gelangen kurz darauf durch das Tor eines mit einer hohen Mauer aus rohen Feldsteinen und Felsstücken kunstvoll errichteten Mauer, die einen großen Bauernhof umschließt. Alles sieht sehr ordentlich und sauber aus, die Gebäude erstrahlen durchweg in einem reinen Weiß. „Los, absitzen!“, brüllt Abdul, dessen ungewohnt scharfe Stimme nicht nur mir einen gewaltigen Schrecken einjagt. Aber nur zu gern verlassen wir das unbequeme Fahrzeug und können unsere Glieder strecken, die nach vielen Stunden Fahrerei schon zu schmerzen beginnen. Von der Ferne sind Fluggeräusche zu hören, die rasch näher zu kommen scheinen. Als ein Militärhubschrauber sichtbar wird und länger über der Umgebung kreist, bekommt Abdul Panik und schickt uns unter ein Vordach, unter dem Landmaschinen aufgereiht stehen, bis der Flieger nicht mehr am Horizont zu sehen ist. Zwei etwas ältere Sonnen gegerbte Männer, die aus dem Eingang des Wohnhauses einen Stapel Campingstühle anschleppen, werden von Abdul mit Handschlag und Umarmung begrüßt, wir Jungs von ihnen nur aufmerksam gemustert. Anschließend werden mit unserer Hilfe noch einige Partybänke aufgestellt, viele große Pappkartons herangeschafft und Sonnenschirme aufgestellt. Ein Korb mit einer Reihe von Flaschen mit trinkbarem Inhalt einer amerikanischen Marke und auch schärfere Sachen rundet alles ab. Offensichtlich ist für uns eine Begrüßungsveranstaltung geplant. Und als wir glauben, endlich was von der bereits sehnsüchtig anvisierten dunklen Flüssigkeit zu bekommen, stellen sich die Männer breitbeinig vor uns auf, schauen uns nur lange an und sagen nichts. Dann grinst Abdul Oskar und mich an, „Na, wart ihr auch schön artig und habt, wie von mir aufgetragen, alle eure Wertsachen schön mitgenommen?“ Dem darauf höhnischen Gelächter der Männer folgt wieder langes Schweigen. Was soll das denn jetzt werden? Plötzlich und schmerzend laut kommandiert Abdul, „Alle eure Sachen sofort ausziehen und auf einem Haufen legen! Los, wird’s bald!“ In mehreren Sprachen werden wir nun angebrüllt, wissen nicht was uns geschieht, denn damit haben wir nun wirklich nicht gerechnet. Abdul „hilft“ uns sogar beim Ausziehen, durchsucht jedes Kleidungsstück peinlichst genau, reißt uns rabiat selbst die Unterwäsche vom Leibe, denn freiwillig uns vor allen zu entblößen, das sind wir nicht gewohnt und finden es sehr unschicklich. Meine Dollars kann er allerdings nicht finden, aber was soll’s, wenn ich auch den Gürtel nicht behalten kann. Meine Digitaluhr schmeißt er achtlos auf den Boden, ist ihm wohl nichts wert, da eben nur ein Werbegeschenk, aber ich bücke mich sofort unauffällig und verberge sie als große Kostbarkeit in meiner Hand. Wir Jungs stehen als ein nacktes Häufchen Unglück nur still, entsetzt und wie gelähmt da, so eines guten Stückes der Würde beraubt. Wir sind auf das Arglistigste getäuscht worden und wissen nicht was uns geschieht, können nicht fassen, dass mit uns so umgegangen wird, denn nicht in unseren schlimmsten Albtraumen konnten wir es jemals erahnen. Während wir so verharren, haben die Peiniger sich inzwischen uns gegenüber gemütlich auf die Stühle gesetzt, die Sonnenschirme ausgerichtet, öffnen die Flaschen und prosten uns zu. Ungeniert betrachten sie unsere jungen Körper, machen dreckige Späße und sich über unsere körperlichen Eigenheiten lustig. Plötzlich merke ich, dass Oskar mich ansieht. Kannte ich seine Augen bisher immer nur als die eines lieben Jungen und netten Freundes, sehe ich darin nun eine wilde Entschlossenheit kraftvoll glühen. Ich erkenne, da ist jemand, der sich nicht so leicht brechen läßt und kämpfen will. Nur gut, dass Abdul nicht seine Gedanken lesen kann, aber ich kenne sie, denn es sind auch meine…

„So, Jungs, alle haben ihren Spaß gehabt, jetzt aber an die Arbeit!“ Dann können wir uns endlich wieder bedecken, denn wir bekommen Arbeitsanzüge, einfache Latschen und alle wichtigen Dinge für die Körperpflege, Unterwäsche und Socken aber Fehlanzeige. Organisatorisches ist wenig zu erfahren: Tagsüber lange arbeiten, Sonntags immer frei, außer während der Erntezeit. Geld gibt es solange nicht, bis der Vorschuß für unsere Eltern abgearbeitet ist, und das kann dauern. Weglaufen sollten wir ja nicht erst probieren, man würde uns mit Hilfe der Einwohner sofort wieder finden, auch wäre das Gelände für Ortsfremde so gut wie unüberwindlich, und die Polizei kassiert sowieso mit. Da es hier sonst mangels Bedarf kaum noch Esel gibt, haben wir nun deren Stelle eingenommen. Vom Typ „Goldesel Delux“, und die läßt man nicht ohne Not entkommen…

Die Unterkünfte sind der Hammer, nur so alte Ställe mit viel Stroh auf dem Boden und schmutzigen Decken darauf, mit kleinen unverglasten Fenstern, einige Campingstühle dazu als dann schon komplette Einrichtung. Eine Toilette haben wir auch – einen großen Eimer mit Holzdeckel. Wir haben sogar ein sehr großes Bad zur Verfügung, unter freiem Himmel, draußen an einem Brunnen. Ein Futtertrog ist unsere Waschgelegenheit. „Ich brauche einen, der das ganze Zeug jetzt wäscht. Du, du kommst mit!“, ruft Abdul und zeigt auf mich. Nur widerwillig folge ich ihm ins Haus. Vor mir sein kraftvoller Rücken, vom Alkohol leicht schwankend, die Arme groß im Umfang und breit der Nacken, dahinter ich mit meiner fast noch kindlichen Figur und auch viel kleiner – als unmittelbarer Gegner ist er für mich wie eine uneinnehmbare Festung, stelle ich in Gedanken fest. Leider sinnlos, weiter darüber nachzudenken. Ich folge ins Haus, welches wie der Hof sehr sauber erscheint, und werde in einen Raum geschoben, der als Wäschelager und Waschraum dient. „Da ist die schmutzige Wäsche, dort durch die Tür draußen der Platz zum Trocknen, in die Regale kommt die zusammengelegte saubere Wäsche rein und eine Waschmaschine hast du ja schon mal gesehen. Lass dir aber ruhig Zeit, denn heute liegt für euch weiter nichts mehr an. Ich muss ja erst noch die Verträge für die Leihfirma fertig machen, damit ich für euch auch Lohn bekomme. Und mach dir nicht soviel aus dem blöden Empfang. Meine Kollegen, das sind nur einfache Bauerntrottel übelster Sorte, aber ich kann ihnen den primitiven Spaß nicht verwehren, sonst werden die unberechenbar und sind zu nichts mehr zu gebrauchen. Ist leider jedes mal so. Sehe dich vor denen etwas vor, ja?“ Als mir noch freundschaftlich auf die Schulter geklopft wird, weiß ich nicht mehr, wie und was ich denken soll… Dann bin ich mit dem ziemlich großen, einfach im Raum aufgeschichteten Berg aus schmutzigen Hosen, verschiedenen Pullovern, Jacken, Socken und allerlei Unterwäsche alleine, der von der Menge her nicht nur von den gerade neu Angekommenen sein kann. Nun, die Wäsche war zuhause immer die Aufgabe meiner Mutter, und ich stehe jetzt ziemlich ratlos davor. Einfach nur zu sagen, ich kann das nicht, könnte mir bestimmt eine Menge Ärger bringen. Als ich plötzlich die Schnalle meines Gürtels in dem Wirrwar erkenne, und gerade dabei bin, diesen hervorzuziehen, bekomme ich einen gehörigen Schrecken! „Junge, Junge, hat man dir zuhause nicht mal die einfachsten Dinge im Leben beigebracht? Also erst mal sortieren in Buntwäsche und Weiß, auf Kochwäsche und wenig Temperatur achten. Dann getrennt waschen, damit es nicht färbt oder sich vielleicht auflöst. Da machst du das Pulver rein, hier von dieser großen Flasche etwa bis zu der Markierung, und dann drehst du den großen Knopf auf Zwei für Weißes, für Buntes auf Fünf, steht ja auch drauf. Fertig. Danach kannst du dich meinetwegen solange draußen in den Garten setzen und Pause machen, bis der Waschgang jeweils zu ende ist. Nun, schau mal, ist doch nicht so schwer, oder? Hier, das habe ich dir noch mitgebracht.“ Er zeigt auf einen Teller mit einer großen, halben Pizza und eine Limonadenflasche. Ich habe nicht bemerkt, dass Abdul rein gekommen ist, und ärgere mich über mich selbst, als ich ihn auch noch recht dankbar anschaue! Mein Menschenbild über Abdul ist total durcheinander, und ich habe ja auch noch nicht soviel Lebenserfahrung, um alles genau einordnen zu können, doch da bleibt zwischen uns für immer und alle Zeit der Mord an Amir, egal, was ist und sonst noch kommen wird.

Die Waschmaschine läuft, die Pizza ist verspeist, mit der Limonadenflasche in der Hand öffne ich die Hoftür für eine verdiente Pause. Gerade will ich mich umsehen, und muß mich erst an die plötzliche Helligkeit gewöhnen, da wird das Licht vor mir dunkel, ein Koloß versperrt den Weg und springt mich an! Bedrohlich große Zähne und triefende Lefzen, nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt, dicke Tatzen auf meiner Schulter liegend, erwarte ich gleich das Schlimmste…, was aber nicht eintritt. Schnüffelnd macht sich ein riesiges Hundetier mit mir bekannt, beäugt mich eingehend aus runden, großen Augen. Ergebnis der Betrachtung: Für gut befunden und abgeleckt! Schwanz wedelnd zieht der riesige Hund ab, als von innen, „Mussolini, komm!“, gerufen wird. Und mein Herz kommt mir fast aus dem Hals raus, so sehr habe ich mich erschreckt, muß aber lächeln wegen dieser Überraschung und dem Namen. Doch der Hund, keine Ahnung wie diese Art heißen könnte, ist trotz seiner äußeren Bedrohlichkeit anscheinend ein recht lieber und die Sympatie ist gegenseitig. Entspannt setze ich mich an den Stamm eines Zitronenbaumes, schaue mir die Umgebung an. Eine lange Reihe von Gemüsebeeten, viele Obstbäume und der Wäscheplatz befinden sich zwischen Wohnhaus und Außenmauer. Von dahinter sind helle Kinderstimmen und Ballgeräusche zu hören. Und viel Lachen. Eine schöne, heile Welt… Ich schließe die Augen, wünsche, dass alles Erlebte der letzten 24 Stunden nur ein böser Traum wäre, und ich hier nur Ferien machen würde. Ich muß an Amir denken, an all das, was ich ihm noch so gern gesagt hätte, und auch daran, was ich noch gern mit ihm zusammen erlebt hätte, dann fordert mein Körper seinen Tribut…

„…einfach köstlich, das Bild, und sehr schade, dass ich dich nun wecken muß, denn die Waschmaschine muß geleert und wieder gefüttert werden, aber wenn ich das Bild nächste Woche zuhause deinem Vater zeigen werde, wird er glauben, du bist hier in den Ferien auf einem Bauernhof, und sich sehr dazu freuen. Und Mussolini hast du auch schon kennen gelernt. Aber nicht weitersagen, dass der nicht beißt… der soll ja eigentlich den Hof bewachen, Leute erschrecken und nicht als Schmusehund dienen.“ Langsam komme ich wieder zu mir, hab richtig fest geschlafen. Vor mir steht lachend Abdul mit einer Kamera in der Hand. Dicht an meiner Seite liegt „Mussolini“, hat alle Viere weit von sich gestreckt. „Nun hoch, mach deine Arbeit, danach komm zu mir ins Büro.“ Noch ziemlich benommen, folge ich der Anweisung. Meinem Vater zeigen… Irgendwie laufe ich neben der Spur, habe Schwierigkeiten, die Dinge richtig einzuordnen. Ohne Probleme ist die Maschine wieder befüllt, dann finde ich das Büro anhand der unbeholfenen Tastaturgeräusche im Einfingersuchmodus, so als ob das ungeliebte Eingabegerät bei jedem Tastendruck erschlagen werden soll. Die Uhr dort an der Wand zeigt bereits 17:00 Uhr, ich muß wohl ziemlich lange „Pause“ gemacht haben. Mich gleich bemerkend, meint Abdul, „Nun, setz dich erst mal. Möchtest du vielleicht Kaffee, oder lieber was von dem guten Wein aus der Gegend hier? Übrigens, du siehst deinem Vater täuschend ähnlich, als der in deinem Alter war. Ich freue mich richtig, dich so zu sehen, da kommen wieder schöne Erinnerungen hoch.“ „Woher kennen sie denn meinen Vater“, diese Frage kann ich mir jetzt nicht verkneifen. „Nun, dein Vater gehört zu meinen besten Freunden seit Kindertagen. Wir waren auch zusammen beim Militär, und damit du es weißt: ER hat mich gebeten, dich hierher mitzunehmen. Damit du zuhause nicht unter die Räder kommst, was bei der jetzigen Entwicklung dort leider sehr wahrscheinlich ist. Ich habe ihm versprochen müssen, dass du es hier gut hast und du normal behandelt wirst, von unvermeidlichen Ausnahmen mal abgesehen. Ich werde versuchen, dich zu beschützen so wie ich kann, aber du sollst auch nicht verwöhnt werden! Die Welt ist leider oft schlecht, und du mußt die Stärke haben, sich ihr widersetzen zu können, sonst gehst du unter. … Trink ruhig, ich schenke dir gern nach, dieser Wein ist hier so preiswert wie Wasser, aber wirklich gut.“ Obwohl ich ungern alkoholische Sachen zu mir nehme, habe ich gleich nach dem vollen Glas Wein gegriffen, welches Abdul wohl ursprünglich für sich eingeschenkt hatte, wie ich seinem erstaunten, dann amüsierten Gesichtsausdruck deutlich ablesen kann, aber mir ist jetzt einfach nach dieser Art von Getränk. Irgendwie entwickelt sich alles in eine Richtung, die mir vom Gefühl her wenig gefällt. Mein Vater als bester Freund eines brutalen Mörders… Nein, bitte nur das nicht! „Schau, das sind wir etwa in deinem Alter.“ Abdul zeigt mir ein altes Foto, was zwei nett aussehende Jungs zeigt, die sich freundschaftlich umarmen, genau wie Oskar und ich es oft tun. Von einem Mördergesicht ist absolut keine Spur, Abdul wirkt sehr glücklich, harmlos und friedlich, seine Augen haben einen schalkhaften Glanz. Bei dem Anblick muß ich mich nur wundern und den Kopf schütteln. „Aber warum nur… Warum Amir?“ Unangenehmes Schweigen erfüllt lange den Raum, ich hätte diese Frage wohl lieber nicht stellen sollen. „Ja, warum Amir… Es ist wohl besser, dass du es erfährst, jetzt nur soviel: Das war so nicht geplant, denn ich habe ihn eigentlich gern gemocht, was du jetzt kaum glauben kannst! In meiner Brust sind leider zwei Seelen, und ich kann oft nicht mehr richtig erkennen, welche gut oder schlecht für mich ist, und für andere.“ Sehr leise und betrübt, mit brüchiger Stimme, flüstert er beinahe, „Ich würde es wirklich sehr gern rückgängig machen… Aber jetzt geh! Wir reden morgen weiter. Und hüte dich vor bösen Weibern, da kommt alles Unglück her! Du fährst morgen nicht mit auf die Plantage, sondern meldest dich wieder hier. Falls ich so früh noch schlafe, warte unter deinem Baum, bis ich dich rufe. Komm, ich bringe dich jetzt zu den anderen rüber.“ Mit einem Kopf voll ungeordneter Gedanken und vollkommen ratlos, wie ich die Ordnung dort jemals wieder herstellen könnte, werde ich in unser „Arbeiterwohnhotel“ geschoben, wo es schon etwas finster ist und unangenehm muffelt. Ich höre noch, wie draußen ein Schloß einschnappt, als Oskar mich aufgeregt empfängt und sofort zu reden beginnt, „Dorkas, und ich dachte schon, der hat dir auch was angetan! Ich hatte solche Angst um dich! … Du, schau mal, was ich organisiert habe…“ Unter einem Bund Stroh zieht Oskar ein großes und scharfes Brotmesser hervor und hält es hoch. „Das habe ich aus dem Brotkorb bei der Begrüßung geklaut. Die waren zum Schluß ja reichlich betrunken, haben nichts mehr gescheckt. Das werden wir gut für unsere Rache gebrauchen können.“ „Nein, Oskar, das lassen wir vorerst mal lieber. Ich bin mir da nicht mehr so sicher…“ Ein Gesicht wie das leibhaftige Fragezeichen schaut mich ungläubig an, nicht begreifend, wie ich an unserem vorher fest gefassten Vorhaben nun zu zweifeln beginne. „Bitte, Oskar, ich verstehe es auch noch nicht so richtig. Bitte warte noch bis morgen, dann kann ich dir vielleicht mehr erzählen. Im Moment ist mir alles etwas zu viel und ich bin ganz schön durcheinander.“ „Gut, Dorkas, du hast ja recht. Was die letzten Stunden auch alles so gelaufen ist… Die anderen Jungs schlafen schon eine ganze Weile. Lass uns auch ruhen.“ Erst viel später kann ich einschlafen, dicht an Oskar gedrängt, der immer sofort einpennt, lausche ich lange schlaflos den vielen unbekannten Geräuschen hier im Raum, als auch denen von draußen. Oft knistert das Stroh, wenn jemand sich im Schlaf umdreht, Schnarchen ertönt. Die Luft ist ziemlich schlecht bei so vielen Leuten in dem kleinen Raum, ich fühle mich etwas beengt und unwohl. Das ferne Hundegebell wird aber bald leiser und leiser und leiser…

„Aufstehen! Die Nacht ist beendet!“ Unser Oberaufpasser steht am Eingang, rümpft die Nase. „Bäh, was für ein Gestank. Kommt lieber schnell raus, hier gibt es frische Luft und Frühstück gratis. Ihr habt etwa 30 Minuten, dann fahre ich einen Teil von euch zum Arbeitsort, die anderen werden zusammen mit euren Vorarbeitern von den Bauern abgeholt, die euch zur Unterstützung gern haben wollen. Dorkas, du kommst dann…“ Die folgenden Anweisungen auf Russisch verstehe ich nicht. Draußen scheint bereits die Sonne und die frische Luft wirkt unheimlich belebend. Mit dem Waschzeug in der Hand muß ich mich sogar am Brunnen anstellen, denn hier herrscht großer Andrang am zur Badewanne umfunktionierten Futtertrog. Die anderen Jungs haben keine Scheu und sich gleich nackt ausgezogen, seifen sich gegenseitig ein, schnell geht die Morgenwäsche in eine große Wasserschlacht über. Die ausgelassene Stimmung steckt auch unsere Aufpasser an und geht in allgemeines Gelächter über. Auch Oskar und ich stehen bald nackt wie alle anderen da, und das erste mal in unserem Leben helfe ich meinem Freund beim Waschen, lerne seinen gesamten Körper kennen. Aber Oskar ist eben Oskar, mein bester Freund, und von Erotik ist da sowieso keine Spur (man muß ihn nur mal so sehen), trotzdem liebe ich ihn sehr. Was er in dem Punkt über mich denkt, hat er mir noch nie erzählt, und ich würde niemals wagen, ihn sowas zu fragen, obwohl ich da doch sehr neugierig wäre…

Nach dem Frühstück sind alle schnell weg. Die Masse der Jungs auf dem Anhänger eine Traktors und Oskar mit zwei anderen mit dem Jeep, mir noch nachwinkend. Ich bin jetzt auf dem Hof ganz alleine, alles steht unverschlossen auf und ich bin ziemlich neugierig. (Gut, nicht ganz allein, denn Mussolini weicht mir nicht von der Seite, als ich ihn nach seiner Nachtschicht als Bewachungsdienst endlich von der langen Leine losgeknüpft habe.) Doch außer Landmaschinen, großen Heuhaufen in der Scheune, gackernden Hühnern und vielen Hasenkäfigen gibt es weiter nichts zu entdecken. Also versorge ich die Tiere erst mal mit Kornfutter, welches reichlich bereit steht, hole frisches Wasser vom Brunnen und Grünzeug aus der näheren Umgebung, von dem ich annehme, dass die Tiere es mögen. Dann setze ich meine Arbeit von Gestern fort, leere auch die noch volle Maschine. Die Sachen von Oskar und mir lege ich extra, mit meinem Gürtel fest verschnürt, und ungestört kann ich die wenigen Dollarnoten an mich nehmen und in der sicher verschließbaren Tasche meines Arbeitsanzuges verbergen. Besonders die von Jeremy mit seiner Schrift bekritzelte ist mir sehr wichtig, als mögliche Verbindungsmöglichkeit zu ihm und zur Außenwelt.

Das mir schon bekannte Motorengeräusch auf dem Hof kündigt Abdul an, doch vorerst läßt der mich noch in Ruhe. Aber eine schon ältere Frau, ganz in Schwarz gekleidet, schaut kurz zu mir rein, wundert sich scheinbar, als sie mich jungen Mann bei der Wäsche arbeiten sieht, begrüßt mich mit einem „Buongiorno!“ und breitem Lächeln. „Hallo, du bist aber eine Überraschung! Ich wollte gerade die Tiere füttern, da sehe ich, alles ist schon fertig! Du hast dir ein zweites Frühstück verdient. Ich werde unserer Köchin Ginevra sagen, sie soll dir eine große Pfanne mit Rührei und viel Speck zubereiten, und auch den schönen Cappuccino, den nur sie so gut herrichten kann. Komm so in zwanzig Minuten ins Büro, deine Uhr hast du ja in der Tasche…“ „?“, mir fällt darauf hin nichts mehr ein, aber bald pfeife ich vergnügt vor mich hin, als ich die Wäsche von der Leine nehme, dabei mit dem Hund spielend. Wieder im Haus, riecht es dort so verführerisch lecker, dass mir das Wasser im Mund mächtig zusammen läuft, und mein Bauch mit seinem Grummeln meint auch, es wäre nun Zeit, was zu essen.

„Da bist du ja endlich! Dann komm mit in die Küche, ich habe auch schon großen Hunger!“, meint schnell aufspringend Abdul, als ich sein Büro betrete. In der Küche auf einem dicken klobigen Holztisch stehen zwei große Bratpfannen, und jede bis über den Rand gefüllt. Ich lasse mich nicht erst bitten, schlage sofort zu, denn so ein reichliches Nahrungsangebot habe ich schon lange vermisst. „Keine Sorge, ihr bekommt hier wirklich immer gut zu essen. Wir essen aber für gewöhnlich erst so richtig am Abend, wenn alle von der Arbeit zurück sind. Ginevra ist eine vorzügliche Köchin, ein Juwel der Kalabrischen Küche, die kann da sogar zaubern.“ Dann wiederholt er den letzten Satz wohl auf italienisch, denn sie erstrahlt plötzlich und zeigt uns ihre Zähne, als hätte sie gerade einen Hauptgewinn in der Italienischen Staatlichen Lotterie erzielt.

Einer trage des anderen Last

So richtig gut gesättigt und eigentlich momentan kaum mehr zu einer Arbeit fähig, sage ich zu ihr höflich, „Danke“, und gehe mit ins Büro rüber, sitze wieder auf dem Stuhl wie gestern und warte, was nun kommen wird. Dort läuft ein kleiner Fernseher, zeigt gerade die Nachrichten der Welt. Gewalt, Hunger, Katastrophen. Als mir sehr bekannte Bilder auftauchen, reißt Abdul den Stecker aus der Steckdose und schaut mich an. Und ich werde mir schlagartig bewusst, dass mein Gegenüber mir immer sympatischer wird, ja, es in hohem Maße schon ist. Der Mörder meines Liebsten ist mir syphatisch! Von meinen eigenen Gedanken erschreckt, schüttele ich ungläubig den Kopf. „Ja, ich sehe schon, du wunderst dich. Ich kann gut verstehen, was dich erschreckt, in dir vorgeht… Auch ich erschrecke oft – meistens vor mir selbst! Es tut mir richtig gut, dass du hier bist, glaub mir das. Du bist für mich wie die beste Medizin der Welt, Medizin für die Wunden im Laufe meines Lebens. Wunden, die ich einstecken mußte, und die mich dazu gemacht haben, wie ich heute bin, ohne eine Alternative. Es ist mir, als würde ich wieder wie früher, als ich noch so jung und unschuldig war wie du jetzt, mit deinem Vater reden. Du bist wie er, damals. Und hab keine Angst, dir könnte ich nichts antun, niemals, eher würde ich mich selbst umbringen! Aber den Gedanken, den hatte ich schon, gebe ich zu. Nicht umsonst habe ich deinen Freund und dich einer anderen Gruppe zugeteilt, da ihr ja auch unliebsame Zeugen geworden seid, aber das ist Wahnsinn, nein… Früher als Junge habe ich sogar noch Fliegen vor dem Ertrinken gerettet, Gewalt total verabscheut. Und ich habe sehr gern und viel gelesen und mit deinem Vater über Gott und die Welt diskutiert. Wir wollten alles viel besser machen als die Alten, hatten unendliche Träume – haben aber alles versaut! … Weißt du, ich habe die ganze letzte Nacht kaum geschlafen, immer nur nachgedacht, und dass ich jetzt dir das alles so erzählen kann, ist nicht nur für mich sehr wichtig, nein – es ist auch ein Teil der Geschichte deines Vaters. Du sollst es nun erfahren und dir ein Urteil bilden, also höre gut zu:

Alles war damals gut für uns und wir dachten, es geht immer so weiter. Aber dann kam dieser lange Krieg mit unserem Nachbarland, und dein Vater und ich wurden eingezogen, auch Amirs, da waren wir 17. Der war ja bald der tolle Offizier wegen dem Reichtum und der gesellschaftlichen Stellung seiner Familie, hatte uns schon vorher immer nur von ganz oben behandelt, und noch Schlimmeres mehr, aber das möchte ich dir jetzt ersparen, möchte dich keinesfalls mit meinem Hass anstecken. Und als dann das große Töten losging… Du weißt ja nicht wie es ist, wenn ganze Horden von Kindersoldaten auf dich zu rennen, manche sogar erst zwölf, nur sehr schlecht ausgebildet, aber total verblendet und mit viel Mut. Wie verzweifelt ich war, als ich das erste noch sehr junge Leben auslöschen mußte! Sie hatten doch keine Chance gegen uns als Eliteeinheit… Und als ich erst Hunderte, ja, vielleicht, ich weiß es nicht, sogar Tausende getötet hatte – da war ich nur noch eine perfekte Maschine zum Töten, hatte jedes Mitgefühl verloren! Meinen ganzen Frust auf meine beschissene Welt damals habe ich an meinen Feinden ausgelassen. Ich war perfekt, Spitzname das Messer. Einen Hals aufzuschneiden war für mich leichter als ein Brot! Für mich war die Welt recht einfach geregelt: Töte, oder du wirst getötet. … Irgendwann wollte ich nicht mehr so weiterleben, habe keine Auseinandersetzung gescheut und mich präsentiert, in der Hoffnung dass es mich erwischt, aber ich sah noch viele Kameraden sterben. Mehr als die Hälfte meiner ehemaligen Klasse. Und ich habe gesehen, wie der Clan von Amirs Familie immer reicher und mächtiger durch den scheiß Krieg wurde… Sie waren ja mit Schuld an der folgenden Eskalation, an einem Ende nicht interessiert.

Irgendwann und viel später haben dein Vater und ich beschlossen, uns an dieser Familie zu rächen. Wir wollten sie langsam Stück für Stück zerstören, ihnen alles nehmen, so wie man uns die Freunde und unsere Unschuld genommen hat. Auch meine Frau wollte das, will es immer noch. Sie wurde ja damals wegen der unstandesgemäßen Liebe zu mir verstoßen. Und Amir war dabei nur als ein Baustein gedacht, um seinem Vater maximales Leid zuzufügen. Ihm seinen geliebten Sohn zu nehmen, dass war unsere teuflische Idee, aber nicht meine. Ihn als homosexuell in seiner streng gläubigen Familie zu verunglimpfen, erschien uns zweckmäßig. Seinen Vater wird es vor Gram zerreißen, war unsere Hoffnung. Und dann, als er neben mir im Schlauchboot saß, da war es nur ein Reflex, die Gelegenheit, die es auszunutzen galt. Es war wieder wie auf dem Schlachtfeld… Ausgelöst von dem grenzenlosen Hass in mir gegen seinen Vater. Amir war aber ganz anders als sein Vater, er war ein wirklich guter Junge. Leider war er immer sehr einsam und ohne Freunde, hat nur ständig an seinen Tasteninstrumenten gesessen und von einem Leben als Musiker geträumt. Gern würde ich wieder wie früher, als er noch klein war, mit ihm durch die Felder streifen, seine zahllosen Fragen beantwortend. Leider geht es nicht rückgängig zu machen. Nun, Leid kann man nicht mit Leid bekämpfen, das weiß ich jetzt, und ich trage eine große Schuld in mir, habe deinen Freund getötet. Ich habe ja gesehen, wie sehr du ihn gemocht hast, aber viel zu spät verstanden… Und mich störte eure Liebe überhaupt nicht, ja, ich fand es sogar sehr schön, wie ich erstaunt bemerkt habe. Nun: Nur die Liebe kann die Welt retten, nur die Liebe ist es wert, überhaupt zu leben. Der Hass zerstört nur alles, und Hass gebiert nur neuen Hass.“

Schweigend und mit feuchten Augen geben wir uns dann unseren Gedanken hin. Das Wesentliche ist gesagt, schwer, es zu verarbeiten. Mein Vater hat mir leider nie etwas von früher erzählt. Die drei Gläser Rotwein danach tun mir richtig gut. … „Dorkas, was ist – würdest du dich herablassen und mir deine Hand reichen?“ Ohne zu zögern greife ich zu, wir sehen uns in die Augen. Ich erkenne des anderen Leid, aber auch die Hoffnung auf Verzeihung. „Danke! Vielen Dank. Du machst mich wieder etwas glücklicher. … Übrigens, ich muß morgen für ein paar Tage wegfahren, werde dann auch deinen Vater wieder sehen. Ich werde versuchen, ihn zu überreden, unsere Aktion abzubrechen. Ich will das nicht mehr. … Wenn alles erst zu ende ist, dann möchte ich dich und deinen Freund hier gern mal einladen, eine Tour über mehrere Tage zu machen, wenn ihr das wollt. Die Umgebung ist wunderschön, eine der letzten unberührten Wildnisse Europas und der Welt überhaupt. Aspromonte, ist dir das ein Begriff? Und die Kasse ist gut gefüllt, das Geschäft läuft hervorragend… So, und nun mach was du willst, oder jäte Unkraut im Garten, miste die Ställe aus, das wäre auch mal wieder nötig. Ich habe dich ja heute schon weit über Gebühr für mich beansprucht. Ich muß jetzt aber zu unseren Kunden und auch kontrollieren, ob gut gearbeitet wird. Wir sehen uns später.“

Nach diesem Gespräch finde ich keine Ruhe. Besser also, sich mit reichlich Arbeit abzulenken. Mit weit mehr Einsatz als nötig arbeite ich mich durch die Ställe der Tiere, mache viel mehr als mir aufgetragen wurde. Als dann auch noch wirklich alles Unkraut dran glauben muss, habe ich den Eindruck, Mussolini lacht mich aus, so wie er mich anschaut. Ob er jemals so einen verrückten Arbeiter in seinem Revier gesehen hat? Als ich meine, alles wäre erledigt, setze ich mich wieder unter den Zitronenbaum und komme langsam wieder zur Ruhe. Mir fällt das Geld ein und ich betrachte die krakelige Schrift darauf. Als ich die Nummer anschaue, kommt mir eine Idee, das Telefon im Büro…

Im Büro sieht es so aus, als ob es jemand völlig aufgelöst verlassen hat. Sogar eine geöffnete Geldkassette mit vielen, großen Scheinen darin steht mitten auf dem Tisch. Ich verschließe den Metalldeckel vorsichtshalber, schaue kurz in den großen, fast leeren Tresor, wo mir ein Stapel Ausweispapiere auffällt. Aber das ist mir jetzt alles ziemlich unwichtig. Mit der Nummer in der Hand sitze ich dann vor dem altmodischen Gerät, teste es auf ein Freizeichen, und bekomme nach ungewohntem Drehungen an der knarrenden, altmodischen Drehscheibe sofort meine gewünschten Gesprächspartner. Zum Glück hat so ein Ding noch keine Wahlwiederholung. Oder haben die eine detaillierte Telefonrechnung?

Am Abend nach dem Essen kann ich es kaum erwarten, dass ich die Gelegenheit bekomme, mit Oskar meine Tageseindrücke zu teilen, denn ich bin allein unfähig, alles für mich zu verarbeiten und abzuspeichern. Er merkt sehr schnell, dass mir irgendwo sehr der Schuh drückt. In eine stille Ecke verzogen, erzähle ich ihm alles klitzeklein. Lange sitzt er dann nur da, und ich kann richtig merken, wie es schwer in ihm arbeitet. Dann steht er entschlossen auf, zieht das Messer unter dem Stroh hervor und wirft es zielgenau und weit aus dem Fenster hinaus ins Gebüsch. „Ja, Abdul hat recht: Hass gebiert nur neuen Hass, und setzt alles bis in ewige Zeiten fort! Und Rache ist nur die Schwester des Hasses! Wir sollten gleich jetzt damit aufhören…“

Zwischenbemerkung zwei:

Puh, endlich Pause! Hast Du wieder alles gut lesen und verstehen können? Ich glaube, ich habe dir wohl reichlich zugemutet, diesmal… Bis bald denn und ciao, Dorkas.

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