Die zweite Chance – Teil 4

„Und? Was wirst du so machen?“

Florian stand mit Kathrin unter ihrem Baum auf dem Schulhof.

„Wie machen?“

„Mensch Florian! In den Ferien natürlich! Wo bist du denn wieder mit den Gedanken?“

„Ähh… nichts Wichtiges“, log er. Aber eigentlich spielte er mal wieder alle Szenarien durch, wie seine Freunde auf ein Outing reagieren könnten.

„In der Ferien? Ich fahr mit meiner Familie nach Südfrankreich. Und du?“

„Wir fahren nicht weg. Meine Eltern mussten ein neues Auto kaufen, das ist das Geld etwas knapp.“

„Oh. Aber vielleicht könnten wir mal alle zusammen zelten fahren?“

Ein lächeln schlich sich Kathrins Gesicht. „Das wäre nicht schlecht.“

„Fein, weißt du wo man hier hin könnte?“

„Es gibt einen Zeltplatz an einem See der ungefähr zehn Kilometer weg ist.“

„Hört sich nicht schlecht an. Können ja mal die anderen fragen, was die denken. Wo bleiben die eigentlich?“

Florian sah sich auf dem Schulhof um. Aber in dem Gedränge konnte er ihre Freunde nicht ausmachen.

„Weiß nicht, eigentlich sollten sie schon da sein. Die Pause ist fast vorbei.“

„Naja, die werden schon noch auftauchen.“ Florian sah sich trotzdem weiter um.

„Sicher. Du, Florian?“

„Ja.“ Er drehte sich wieder zu ihr um.

„Kann ich dich was fragen?“

„Klar, warum solltest du denn nicht?“ fragte Florian mit zusammengezogenen Augenbrauen.

„Hey, ich hab doch gesagt die haben nichts mitbekommen und sich nicht vorbereitet!“ war Lars vom Schulgebäude zu hören, bevor Kathrin etwas sagen konnte. Beide sahen sich um und sahen den Rest der Clique auf sich zukommen. Alle waren mit mengen von Keksen und Getränken beladen, die sie auf dem Boden verteilten und sich anschließend darum setzten.

„Was ist denn jetzt los? Die Pause ist fast zu Ende.“

„Glaubt ihr wir verhungern in den nächsten Minuten, oder warum habt ihr die ganze Cafeteria leer gekauft?“

„Na los setzt euch!“

„Freistunde?“ war dann Kathrins Vermutung.

„Ja, und das ist unser Proviant. Die alte Jochens ist wohl krank.“

„Och nö…“

„Magst du keine Freistunden Florian?“

„Doch! Aber nicht am letzten Schultag wenn man dann hier herumsitzen und auf die letzte Stunde warten muss um sein Zeugnis zu bekommen.“

„Ja schon schlimm wenn man die Zeit mit Freunden verbringen muss“, kam es von Lars.
Florian grinste ihn nur an. „Wenn das so ist brauchst du ja auch nicht mit zum Zelten zu kommen.“

„Wie zelten? Wann zelten?“

„In den Sommerferien. Habt ihr Lust?“

„Na klar!“ kam es im Chor von den Anderen. „Dafür sind wir immer zu haben.“

„Klasse, wann könnt ihr denn? Ich bin die ersten 2 Wochen nicht da.“

Florians Einwurf sorgte für eine halbstündige Diskussion über den Richtigen Zeitpunkt. Man wollte niemanden ausschließen, weil er mit der Familie in Urlaub war und auch nicht grade in der letzten Ferienwoche fahren.

„Das erlauben meine Eltern nicht, “ warf Michael ein, “da soll ich mich wieder auf die Schule vorbereiten und die Sachen des letzten Jahres wiederholen.“

Auf Florians erstaunten Blick zog er nur seine Schultern hoch.

„Dann bleibt ja eigentlich nur die vorletzte Woche.“

„Hört sich gut an“, bestätigte Lars der sich über die nächste Packung Kekse hermachte, während die Anderen die restliche Freistunde dazu nutzten ihren Zelturlaub zu planen.

*-*-*

Der restliche Schultag war wie erwartet unspektakulär gewesen. Wenn man mal von den Zeugnissen absah, die bei der gesamten Klasse wie üblich alle möglichen Reaktionen hervorrief.
Florian konnte zu seiner eigenen Überraschung, trotz Umzugs, fast alle Noten halten.
Am Abend lag Florian auf seinem Bett. Den Kopf auf die Arme gestützt und sah er sich mal wieder eine der neuen DVDs an. Tom und Laura waren irgendwo im Haus. Ihre Eltern hatten Mal wieder ihren Pärchenabend, wie sie es selber nannten. Von Florian wurde die Ankündigung jedes Mal nur mit verdrehten Augen kommentiert. Sie wollten ins Kino und vorher noch Essen gehen.

„Florian! Besuch!“

Toms Stimme hallte durch das Haus. Florian schaltete den Fernseher aus, legte die DVD wieder in die Hülle und schob sie unter einen Stapel Bücher, wo sie niemand direkt sehen konnte. Er wollte grade zur Zimmertür als es auch schon klopfte.

„Ja“

„Ich bin’s. Hi Florian.“

„Hallo Marcus, was führt dich denn her? Willst du etwas trinken?“

„Ne Cola wäre nicht schlecht.“ Marcus schien etwas nervös zu sein. Er spielte die ganze Zeit mit seinen Fingern.

„OK, bin gleich wieder da.“

Florian ging in die Küche, suchte die Cola und Gläser zusammen und lief wieder nach oben.

„Hier bitte.“

„Danke.“

„Was kann ich denn nun für dich tun?“

„Ich wollte mit dir reden.“ Marcus drehte sein Glas in den Händen.

„Und?“

„Ich weiß nicht so recht wie ich anfangen soll…“

So langsam beschlich Florian wirklich ein schlechtes Gefühl.

„Seit wann bist du so schüchtern? Raus mit der Sprache!“

„OK… Du weißt, dass du unsere Clique ziemlich durcheinander gewirbelt hast?“

Florian schaute ihn fragend an.

„Na ja, das ist halt so wenn jemand neues kommt. Und du hinterlässt einen ziemlichen Eindruck…“

„Ähm… ich weiß nicht was ich sagen soll…“

„Noch gar nichts! Aber ich glaub bei Kathrin besonders…“´

Das ganze erinnerte Florian an eine Situation vor ein paar Monaten. Na ja, nicht ganz. Damals wurde er nicht vorgewarnt. Trotzdem fingen Florians Hände an zu zittern.

„… sie scheint dich wirklich zu mögen. Aber…“

Weiter kam er nicht. Florian konnte grade noch das Glas Cola auf den Tisch stellen ohne etwas zu verschütten.
Florian war mit den Worten: „Ich bin gleich wieder da, hab was vergessen.“ Aufgesprungen und aus dem Zimmer gerannt.

„Tom?“

„Hey, kannst du nicht anklopfen!“ Tom lag lesend auf seinem Bett und guckte ärgerlich zur Tür.

„Scheiße. Was ist los Florian?“

Florian stand wie ein Häufchen Elend im Zimmer. Tränen liefen seine Wangen runter. Tom ging auf seinen Bruder zu, dieser warf sich ihm an den Hals und drückte sich an ihn.

„Was ist los? Wo ist Marcus?“

„Es… es passiert wieder…“

„Hey Kleiner was ist denn los?“

„Marcus hat mir gesagt, dass Kathrin in mich…“ erneutes Schluchzen lies ihn wieder abbrechen.

„Florian, beruhig dich. Wer sagt denn, dass es wieder so wird? Gib ihnen eine Chance.“

„Ich kann nicht. Nicht noch mal.“

„Das ist grade Marcus in deinem Zimmer und nicht Kathrin! Weißt du wirklich warum er hier ist? Glaubst du Kathrin würde ihn deshalb vorschicken?“ Florian schüttelte seinen Kopf.

„Du musst zumindest mit ihm reden. Und wahrscheinlich auch noch sagen warum du aus dem Zimmer gelaufen bist. Das bist du doch oder?“

„Ja…“

„Dann hast du ihm auf jeden Fall eine Erklärung schuldig.“

„Ich weiß… aber ich hab Angst.“

„Glaub ich dir. Lass uns trotzdem gehen. OK?“

„Ja…“

„Und du bist nicht allen! Das weißt du, oder?“

Florian nickte leicht, Tom strich über die Wangen seines Bruders um die Tränen wegzuwischen. Dann zog er ihn am Arm hinter sich her, aus dem Zimmer hinaus zu seinem Zimmer.

„Marcus?“

Tom stand im Türrahmen, Florian noch immer im Flur.

„Florian hat dir was zu sagen. Bitte hör ihm bis zum Ende zu ja? Auch wenn es nicht ganz einfach wird.“

„Ja, klar. Ich versteh zwar grad nicht so ganz was hier los ist…“

Tom schob Florian ins Zimmer. Sein Blick war noch immer auf den Boden gerichtet. Danach ging Tom wieder und zog die Tür hinter sich zu.

„Florian, was ist los? Wir sind doch Freunde oder?“

Florian nickte, ging zum Bett und setzte sich neben einen sichtlich geschockten Marcus. Erst dort hob er den Kopf und sah ihn an. Seine Hände zitterten nicht mehr. Die Angst war zwar noch da, aber er wusste was er zu tun hatte.

„Was ist los? Warum weinst du?“ Marcus war noch immer ratlos.

„Ich weiß nicht so recht wie ich anfangen soll…“

„Das ist mein Spruch!“ Marcus grinst ihn an.

„Ich weiß… und… ähm… Kathrin mag mich?“

„Ja, denk schon. So wie sich dich ansieht…“

„shit…“

Marcus grinste ihn mal wieder an. „Also stimmt es!“

„Was stimmt?“

„Du bist schwul!“

Marcus nahm einen Schluck von seiner Cola und setzte sein Pokerface auf.
Florians Unterkiefer klappte runter. Schloss ihn und öffnete ihn wieder. Er kam sich selbst schon wieder vor wie ein Karpfen auf dem Trockenen.

„Was…? Wie…? Woher…?“

„Ich weiß nicht genau. Es war so eine Ahnung, wie du auf einiges regierst und auf anderes nicht.“

„So offensichtlich?“

„Nee, bestimmt nicht! Ich hab noch immer mit der Möglichkeit gerechnet eins in die Fresse zu bekommen…“

„Idiot!“ Florian konnte nicht anders als grinsen.

„OK, damit wäre das geklärt. Dann zum nächsten Punkt!“

Wieder fragende Blicke von Florian. „Was?“

„Du glaubst doch nicht, dass ich dich so einfach davon kommen lasse… Also… warum bist du hier? Ich meine hergezogen. Und warum gehst du zu meiner Mutter. Was ist passiert?“

„Du weißt…?“

„Ja, ich bin nicht blöd. Mir kam es schon bei unserer ersten Begegnung vor ihrer Praxis komisch vor. Du fängst leicht an zu stottern wenn du in eine Situation gerätst, die du nicht magst. Und vor der Praxis war es so eine. Deshalb hab ich in der nächsten Woche auf der Treppe nach oben gewartet und dich dann wieder zur selben Zeit reingehen sehen.“

„Oh man…“ Florian knabberte an seinen Fingerknöcheln. „…du willst also wissen was los ist…“

„Halt! Stopp!“ Florian sah erstaunt durch Marcus Einwurf auf.

„Du musst mir nichts erzählen. Besonders nicht, was mit meiner Mutter zusammenhängt. Ich will jetzt nur, dass du weißt, du kannst es mir sagen. Ich bin dein Freund. Aber es ist deine Entscheidung. Ich will nicht, dass du dich gedrängt fühlst.“

„Danke.“ Florian sah Marcus auch so an. „Aber wenn ich mich jetzt nicht traue dann nie mehr…“

„..es hat sich schon einmal eine Freundin in mich verliebt.“

„So wie Kathrin?“

„Ich hoffe nicht…“ Macus sah ihn fragend an. „Ich hab ihr damals gesagt, dass ich auf Jungs stehe… Es ist damals völlig schief gegangen.“

Marcus und Florian wurden durch ein Klopfen an der Tür gestört. Tom Steckte seinen Kopf durch den Spalt.

„Hi, alles klar bei euch? Ich hab euch was zu Essen und was zu Trinken geholt. Ich denk doch, dass ihr noch ne Weile brauchen werdet.“

Er öffnete die Tür ganz. Mit einem Tablett betrat er das Zimmer. Kurz darauf waren zwischen ihnen mehrere Schüsseln mit Oliven, Tomaten, Pilzen, Käse und etwas Brot verteilt. Dazu noch zwei Weingläser, ein leichter Rotwein und Wasser zum mischen.

„Danke Tom.“

„Mach ich doch gerne. Und übertreibt es mit dem Wein nicht, sonst bekomm ich Ärger“

Tom verschwand wieder aus dem Zimmer.

„Dein Bruder hat dich unglaublich gern, oder?“

„Ja, und ich glaub heute mehr denn je… er weiß was ich durchgemacht hab und wie einsam ich mich gefühlt hab… und was für Angst ich hatte.“

„Was ist danach passiert? Nachdem du es ihr gesagt hast? Warum bist du manchmal so traurig?“

„Michelle, so hieß sie, war damals richtig wütend, dass ich ihre Gefühle nicht erwidern konnte, konnte sie nicht akzeptieren. Für sie war es wohl ein Fall von: wenn nicht ich, dann keiner. Der Grund war ihr egal. Das ich schwul bin kam ihr dann wohl sogar ganz gelegen.
Sie meinte es würde mir noch Leid tun und sie mache mir das Leben zur Hölle.

Und so war es dann auch.

Zuerst war gar nichts, alles lief wie bisher. Ich hatte schon die Hoffnung, dass sie es einfach nur so daher gesagt hatte.
Aber dann fing es an. Hier und da ein Kommentar, eine Bemerkung. Anfangs hab ich es gar nicht so mitbekommen. Es hätte eich einfach Geplänkel zwischen Teenagern sein können. Aber dann merkte ich, dass eigentlich niemand dabei lachte, nicht einmal lächelte.
Später wurde ich auch nicht mehr gefragt ob ich mit ins Kino oder Schwimmbad komme.
Es wurde immer schlimmer. Ich wurde beschimpft und dann auch bedroht. Ich hatte Angst nach der Schule nach Hause zu fahren oder abends joggen zu gehen. Das Skateboard fahren hatte ich da schon längst aufgegeben.

Ich hab es gehasst, alles gehasst, das Leben, die Anderen, die Stadt und auch mich selbst.
Es hat einige Zeit gedauert, bis mir wirklich klar war, dass es so nicht weiter gehen kann. Und auch bis ich wusste was ich überhaupt machen sollte.
Ich beschloss es meiner Familie zu sagen. Auch wenn ich noch nicht wusste wie.
Und dann kam der Tag an dem fast alles schief gegangen wäre.“

Florian nahm noch einen Schluck Wein. Marcus saß die ganze Zeit schweigend neben ihm.

„Es war nach der Schule. Ich wollte grade nach Hause gehen, als Michelle mich vor der Schule abfing. Es sollte ihr übliches beleidigen werden. Aber irgendetwas war anders… ich weiß nicht genau was, aber diese Begegnung hat es mir klar gemacht. Wahrscheinlich hatte sie mich einfach so oft beleidigt, dass es mir schon fast egal war.
Sie stand mir gegenüber.

»Was willst du schon wieder.«

»Ist das nicht klar? Ich wollte nur unseren Schulperversen betrachten.«

»Du bist echt gestört Michelle.«

»Ich und gestört? Dann solltest du mal in den Spiegel gucken!«

»Lass mich in Ruhe!«

»Willst du das wirklich? Ich bin doch die einzige, die sich noch mit dir abgibt!«

Ich versuchte an Ihr vorbeizukommen, aber sie hielt mich am Arm fest.

»Du wirst auch noch merken wie allein du bist!« giftete sie mich an.

»Jeder wird sich von dir abwenden, wenn er weiß was du bist!«

»Du wirst dir noch wünschen, dass du mich nicht abserviert hättest!«

»So ein Perverser wie du wird immer allein sein!«

Ich riss mich von ihr los und lief nach Hause. Ich verkroch mich sofort in mein Zimmer. Überlegte was ich machen sollte.
Immer wieder.
Auch wenn ich jedes Mal zu dem gleichen Ergebnis kam.
Und am Abend war es dann soweit. Es waren alle zu Hause und meine Mutter hatte grade zum Abendessen gerufen. Es war wohl nicht meine beste Idee, aber ich wollte es ihnen sagen wenn alle dabei waren.

Laura hatte es wohl nicht so ganz verstanden, zumindest nicht was daran schlimm sein soll.
Meine Mutter lächelte irgendwie nur, es war für sie wohl eine Erklärung weshalb ich mich so verändert hatte.
Tom war… halt Tom. Er ist mein großer Bruder, und wird es immer bleiben.
Aber mein Vater… er hat mich angeschrien… Er habe keinen schwulen Sohn… Ich solle damit aufhören…
Und dann hat es sich verändert. Ich habe nicht mehr meinen Vater gehört. Sondern Michelle, wie sie sagt, dass mich niemand versteht, dass ich immer allein sein werde…
Und dann bin ich … naja, irgendwie ausgetickt.
Ich bin losgelaufen.
Habe beim raus rennen noch aus versehen eine Vase von einer Kommode gestoßen und bin dann durch die Gegend gelaufen.
Es müssen Stunden gewesen sein, genau weiß ich das nicht mehr.
Auch nicht was mir alles durch den Kopf gegangen ist.
Irgendwann wurden meine Gedanken dann wieder klarer. Die Sonne ging grade unter. Ich hatte die ganze Zeit geweint, aber jetzt waren keine Tränen mehr da. Ich wusste was ich wollte, wie ich alles ändern konnte. Ich saß auf einer Brücke, bei uns in der Nähe, oben auf der Brüstung…“

Florian stockte, er wusste nicht wie er weiter erzählen konnte. Marcus saß ihm gegenüber, starrte ihn aus großen Augen an, als er verstand was Florian grade gesagt hatte.

„Wie…? Wieso…? Du wolltest…? Weshalb hast du es doch nicht getan…?“

„Das war nicht wirklich eine Entscheidung von mir. Ich wäre wohl gesprungen. Wenn mich nicht zufällig jemand gefunden und von der Brüstung gezogen hätte.“

Florian atmete tief ein sah Marcus in die Augen.

„Rolf brachte mich dann nach Hause. Mein Vater brach an dem Abend völlig zusammen als er erfuhr was ich fast gemacht hätte…„

Florian hatte wieder Tränen in den Augen. Marcus rückte an ihn heran und nahm ihn in den Arm.

„Ich weiß bis heute nicht wer Rolf eigentlich war… ich hab ihn danach nicht wieder gesehen.“

„Und das ist der Grund für euren Umzug gewesen?“

„Einer der Gründe, aber der Auslöser kam etwas später.“ Florian lehnte sich an Marcus und erzählte weiter.

„Wenn meine sogenannten Freunde doch keine waren musste ich mir halt neue suchen. Auch wenn das in einer Kleinstadt recht schwer ist. Zumindest war mir danach klar, dass ich mich nicht weiter verkriechen konnte und zumindest wieder mal vor die Tür gehen sollte.
Ich war grade mit meinem Fahrrad im Wald unterwegs, als plötzlich das Vorderrad blockierte und ich über den Lenker flog.

»Sieh mal an, die Schwuchtel.« leicht benommen nahm ich war, dass jemand neben mir stand.

»Da hat sich unser Ausflug in den Wald ja doch gelohnt«

Ich wollte mich grade wieder hinsetzten als ich auch schon einen Tritt in die Seite bekam.
»Na los, dem zeigen wir es!«

Viel mehr bekam ich in dem Augenblick nicht mehr mit, wofür ich glaub ich auch froh bin.
Ich wurde bewusstlos.

Irgendwann kam ich dann wieder zu mir. Es war am dämmern, ich muss eine dreiviertel Stunde da gelegen haben. Ich war am bluten und mir tat alles weh. In meinem Vorderrad fand ich einen Ast den sie mir wohl in den Weg geschmissen hatten.
Mehr schlecht als recht schaffte ich es mit dem verbogenen Vorderrad nach Hause.
Ich schlich mich leise ins Haus und die Treppe hoch ins Bad. Irgendwie hatte ich wohl gehofft mich selbst verarzten zu können und es zu verheimlichen. Aber ich geschaffte es grade mal mir das T-Shirt auszuziehen, so leise war ich wohl doch nicht gewesen.

»Florian? Kommst du, wir sind schon am Essen.«

»Ja, gleich.«

»Alles in Ordnung?«

»Ja klar…«

Aber ich hatte es noch nie geschafft meinen Bruder etwas vorzumachen. Nicht einmal wenn sich eine geschlossene Türe zwischen uns befand.

»Florian, was ist los?«

Ohne weiter abzuwarten öffnete er sie Tür und stand auch schon im Bad. Ich saß mit blauen Flecken und blutend, wie ein Häufchen Elend auf dem Wannenrand.

»Scheiße! Was ist denn mit dir passiert?!«

Tom kam auf mich zu gerannt.

»Dad! Komm hoch! Sofort!«

Er schrie mit voller Lautstärke, selbst unsere Nachbarn müssten es gehört haben.
Tom strich mir die Haare aus der Stirn um zu sehen woher das Blut in meinem Gesicht kam.

»Was ist denn Tom?«

Ich sah hoch, hinter Tom stand unser Vater mit kalkweißem Gesicht in der Tür. Mit einer Hand umklammerte er den Rahmen. Unsere Mutter, die kurz darauf erschein, gab nur einen erstickten Schrei von sich.

»Dad, er muss ins Krankenhaus, das muss zumindest genäht werden.«

»Bring ihn runter, ich hol den Wagen aus der Garage.«

Unser Vater lief zur Tür raus. Er hielt nur einen Augenblick um unserer Mutter einmal kurz die Hand auf die Schulter zu legen. Dieser Moment reichte aus um sie aus ihrer Starre zu lösen. Sie verließ das Badezimmer kurz um mit einem alten, weiten Hemd von mir zurückzukommen.

»Das kannst du erst mal anziehen. Tom, bekommst du ihn alleine runter? Ich bleib mit Laura im Wohnzimmer und komm dann ins Krankhaus nach. Sie muss das ganze Blut nicht sehen.«

»Das wird schon gehen.«

Tom half mir dann das Hemd anzuziehen. Mit einem Arm um seine Schultern versuchte er mich aus dem Bad und die Treppe runter zu bekommen.

»Das geht so nicht! Beiß mal die Zähne aufeinander.«

Tom legte seine Arme unter meine Schultern und Beine und hob mich, trotz meiner Proteste, hoch. Das ging zwar nur unwesentlich schneller wenn er mich die Treppe runter trug, aber wenigstens schmerzte es nicht so stark wenn ich nicht selber gehen musste.

Vor der Haustüre empfing uns unser Vater. Zusammen schafften sie es ganz gut mich auf den Beifahrersitz zu setzten. Tom nahm auf der Rückbank platz und Papa fuhr uns ins Krankenhaus. Ich selbst bin nach ein paar Minuten vor Erschöpfung eingeschlafen und wurde erst wieder wach als mich zwei Pfleger auf eine Trage legten und ins Krankenhaus schoben.

»Bleib einfach ruhig liegen, wir kümmern uns schon um dich.«

Die beiden schoben mich ins Haus. Mein Vater und Tom folgten in einigem Abstand. Nach einem Korridor blieben sie in einem Wartebereich zurück, weil sie nicht weiter durften.
Nach einer knappen Stunde Untersuchung durch einen der Ärzte stand fest, dass ich ziemliches Glück gehabt hatte. Das Schlimmste war eine angebrochene Rippe, zwei Platzwunden, die genäht werden mussten und natürlich etliche Prellungen und Schürfwunden.

»Erzählst du mir was passiert ist?« fragte der Arzt als er mir grade einen Verband anlegte.

»Hatte einen Unfall mit dem Rad.«

»Das ist bestimmt nicht passiert! Sonst hättest du nicht überall Prellungen sondern nur an den Stellen, auf denen du aufgeschlagen bist.«

Ich schwieg, was hätte ich auch sagen sollen.

»Du weißt, dass ich die Polizei anrufen muss.«

»Bitte nicht…«

»Es geht nicht anders. Ich bin bei solchen Verletzungen dazu verpflichtet. Weißt du wer das war?«

»Nein!« kam es ziemlich heftig von mir. »Ich meine, ich bin mir nicht sicher.«

»Was heißt‚ nicht sicher’?«

»Ich glaub die waren von meiner Schule. Aber es ging so schnell, ich hab sie nicht richtig gesehen, mir kamen nur die Stimmen bekannt vor.«

»Und weshalb haben die das gemacht?«

»Weiß nicht« ich zuckte mit den Schultern und verzog das Gesicht weil die Schmerzen wieder da waren.

»Ok, mir musst du es nicht sagen. Aber die Herren in Grün werden auch danach fragen.
Die Schmerzen werden noch eine Weile bleiben.«

»Aber ich kann doch nach Hause, oder?«

»Solange du versprichst dich zu schonen und zur Nachbehandlung zu deinem Hausarzt zu gehen, sollte da nichts gegen sprechen. Wir sind hier auch so weit fertig, für die Prellungen gebe ich dir noch was mit.«

Ich bekam eine Salbe, die mehrmals täglich einmassiert werden sollte. Danach brachte er mich wieder in den Wartebereich, an dem mich die Pfleger vorbeigeschoben hatten. Mittlerweile war auch meine Mutter da. Laura lag mit ihrem Kopf auf ihrem Schoß und schlief.

»Florian, wie geht es dir? « Mein Vater umarmte mich vorsichtig.

»Können wir nach Hause, Papa?«

»Darf er denn?« Wandte er sich an den Arzt.

»Ja, ich hab Florian alles gesagt worauf er achten soll. Er muss sich wegen seiner Rippe schonen und die Fäden müssen auch wieder gezogen werden.«

Zusammen verließen wir die Klinik. Die Fahrt nach Hause verlief schweigend. Fast schon zu ruhig. Es kamen keine weiteren Fragen wie es mir geht oder was passiert war. Die Polizei war schon im Krankenhaus gewesen und hatte sich für den nächsten Tag bei uns angekündigt, da ich noch untersucht wurde.
Zu Haus angekommen übernahmen unsere Eltern wieder das Kommando.

»Kinder, es ist schon spät. Ihr solltet direkt nach oben und ins Bett gehen!«

Uns war klar, dass dies kein Vorschlag war und wir grade auch nicht erwünscht waren.
Mit Laura an der Hand ging ich die Treppe hoch, gefolgt von Tom. Aber auf der obersten Stufe blieb ich stehen. Irgendetwas hielt mich zurück. Ich drehte mich zu Tom, der zu verstehen schien und nur mit den Schultern zuckte.
Zu dritt setzten wir uns oben auf die Treppe. Ich lehnte mich an Tom, Laura kuschelte sich vorsichtig auf der anderen Seite eng an mich. Auch wenn wir gewollt hätten, in dem Augenblick hätten wir sie nicht von mir weg und ins Bett bekommen.
Von unten, aus dem Wohnzimmer, hörten wir unsere Eltern. Es war eine laute Unterhaltung. Auch wenn wir nicht alles verstanden war uns klar, dass es um mich ging. Es war genau das, was ich erwatet hatte und auch hören wollte. Mit der Zeit wurden sie immer lauter und wir konnten immer mehr verstehen.

»Was denkst du denn was wir sonst tun sollen?«

»Ich weiß es nicht! Aber ein Internat ist doch auch keine Lösung um ihn von dem Ganzen weg zu bekommen. Wir können ihn doch nicht einfach abschieben!«

»Aber wie stellst du dir das denn sonst vor? Diese Familie besteht nicht nur aus Florian alleine!«

»Das sagt ja auch keiner!«

»Wir können doch nicht alle aus ihrer Umgebung reißen!«

»Warum Streiten Mama und Papa?« Die Frage kam von Laura neben mir.

»Weil sie Angst haben.« zum Glück antwortete Tom, ich fühlte mich dazu nicht in der Lage.

»Warum?«

»Sie wissen nicht was sie machen sollen und haben Angst das Falsche zu tun.«

»Wegen Flori?«

»Ja.«

»Aber das brauchen sie doch nicht. Wir sind doch eine Familie und gucken doch alle, das es ihm wieder gut geht.«

Tom drehte seinen Kopf zu uns, sah erst Laura an und dann mich.

»Ja, das sind wir«, sagte er wie in Trance. Langsam löste er sich von mir und ging die Treppe runter. Von der Treppe aus hörten wir wie er die Tür zum Wohnzimmer öffnete.

»Tom? Was machst du hier. Ihr solltet doch oben sein!«

»Ihr plant grade, wie es weitergehen soll. Aber ich denke nicht, dass ihr an alles denkt.«

»Was soll denn das heißen?«

»Ihr könnt nicht für die Familie planen ohne uns auch zu fragen.«

»Und du glaubst da jetzt mitreden zu können?«

»Ja. Denn ihr versteht scheinbar nicht worum es geht. Nicht um Euch oder Laura und mich, es geht nur um Florian!«

»Aber…«

»Nichts aber. Ihr habt doch selbst gesagt, dass er hier weg muss. Und glaubt ihr wirklich wir wollen bleiben, wenn es ihm hier so schlecht geht. Oder, dass wir hier noch eine glückliche Familie wären wenn wir ihn wegschicken!? Selbst wenn er auf ein Internat geht, in den Ferien wird er hier sein! Und dann sollte er auch gerne nach Hause kommen.
Dad, du hast doch ein neues Angebot von deiner Firma bekommen. Das kannst du doch annehmen! Bisher hast du es doch nur wegen uns ausgeschlagen.
Mum, du bist Selbstständig und arbeitest eh meist zu Hause. Dad’s neue Stelle wäre auch nicht so weit weg. Du könntest deine Kunden bestimmt fast alle behalten!
Laura muss in einem halben Jahr eh auf eine weiterführende Schule. Wollt ihr dann wirklich, dass sie die Gleiche besucht, auf die Florian jetzt geht?
Und ich selbst mach grad Zivildienst, ich kann versuchen die Stelle zu wechseln oder bleib für die drei Monate bei Oma und Opa. Die meisten meiner Freunde sind eh nicht mehr in der Stadt.
So viele Zufälle, die es uns so einfach machen wegzuziehen kann es doch gar nicht geben! Denkt darüber nach!«

Unsere Eltern schienen nicht so recht zu wissen, was sie sagen sollten.

»Bitte!« Toms Ton wurde flehender. »Lasst uns gehen. Wir wollen, dass es dem Kleinen wieder gut geht…« Tom stockte. »Ich will Flori endlich wieder lachen sehen.«

Es blieb eine ganze Zeit ruhig. Laura drückte sich weiter an mich.

»Tom? Kannst du dich um die Beiden kümmern? Wir haben noch einiges zu tun.«

»Klar« Tom kam schnell die Treppe hoch. »Lasst uns ins Bett gehen, es ist schon spät.«

Diesmal hatte ich nichts dagegen. Ich wusste, dass die Entscheidung durch Tom und Laura gefallen war. Und auch der Tag forderte mittlerweile seinen Tribut, ich war kaum noch in der Lage alleine in mein Zimmer zu gehen. Doch das musste ich auch nicht. Wir waren eine Familie, wahrscheinlich mehr als jemals zuvor. In dieser Nacht schliefen wir zu dritt zusammen in meinem Bett, was wir schon lange nicht mehr gemacht hatten.“

Florian sah Marcus an, der seiner Erzählung gespannt zugehört hatte.

„Und einen Monat später waren wir dann hier.“

Marcus wischte sich über die Augen.

„Das hört sich nach einer ziemlichen Flucht an.“

„Nicht wirklich, zumindest hab ich das nicht so empfunden. Es lief ziemlich geordnet, und unsere Eltern haben in der gleichen Nacht noch mit der Polizei, einigen Anwälten und auch mit dem Chef von meinem Vater gesprochen. Es sollte halt einfach nur schnell gehen.
Ich hab mich nie wirklich danach erkundigt, aber das ganze hat wohl doch noch ziemliche Wellen geschlagen. Einige Nachbarn hatten wohl mitbekommen, wie ich blutüberströmt nach Hause kam, dann ins Auto getragen wurde und in der Nacht die Polizei und alle möglichen anderen Autos vor unserem Haus hielten.
Und die haben sich dann wohl auch in der Nachbarschaft erkundigt was los sei.“

„Und mit deinem Vater ist alles wieder Okay?“

„Ja, wir haben danach viel geredet. Er war auch bei dem Therapeuten, bei dem ich kurz war bevor wir Umgezogen sind. Mein Vater konnte nie genau sagen, was es war, dass ihn dazu veranlasst hat das zu sagen. Wohl eine Mischung aus Vorurteilen, Angst und was weiß ich. Aber seit dem ist er echt in Ordnung und hilft mir viel. Auch wenn das manchmal ganz schön nervtötend sein kann.“

„Ich weiß echt nicht was ich sagen soll.“

„Du musst nichts sagen. Es reicht schon wenn du nicht schreist und wegläufst.“

„Das werd ich nicht, versprochen!“

„Danke.“

„Und jetzt?“

„Wie? Was soll denn sein?“ Florian stand ein wenig auf dem Schlauch.

„Was ist mit den Anderen? Willst du es ihnen auch sagen?“

„Schon, aber das grad ist mir ja schon schwer gefallen. Lass mir Zeit.“

„Die hast du. Aber denk dran, dass es für dich auch einfacher wird wenn du dich nicht immer verstecken und darauf achten musst was du sagst. Und ich weiß nicht, wie viel Zeit du bei Kathrin hast.“

Florian sah betrübt aus. „Glaubst du…“

„ …dass es schief geht?“ Marcus beendete seinen Satz.

Florian nickte.

„Bestimmt nicht. So besessen ist sie wohl doch nicht von dir.“

Marcus grinste ihn an und in dem Augenblick wurde Florian klar, dass sich zwischen Marcus und ihm wirklich nichts ändern würde.
Eine ganze Weile saßen beide schweigend auf dem Bett. Florian noch immer an Marcus gelehnt.

„Florian? Ist es schlimm wenn ich jetzt geh? Es ist schon spät und meine Eltern glauben, dass ich nur kurz Rad fahren wollte.“

„Nee, wieso?“

„Ich lass dich jetzt nur ungern allein.“

„Mach dir keine Sorgen.“ Florian richtete sich wieder auf. „Ich glaub, mir geht es so gut wie schon lange nicht mehr.“

„Gut, mehr wollte ich nicht hören.“

Florian brachte Marcus noch zur Tür, wo Marcus auf sein Rad steig und losfuhr. Florian sah ihm noch eine Weile hinterher.

„Und? Alles klar?“

Tom war aus dem Wohnzimmer gekommen und stand hinter ihm.
„Ja!“

„Willst…willst du noch reden?“

„Noch mehr?“ Florian konnte sich ein grinsen nicht verkneifen.

„Ich wollt eh ins Bett. Wir können uns ja da unterhalten.“

„Ach, du willst mich also nur in dein Bett bekommen.“

„Das kann ja wohl nicht war sein!“

Da spürte Florian auch schon Toms Finger in der Seite. Kurz darauf lag er vor lachen auf dem Boden. Sein Bruder hockte über ihm.

„Was macht ihr denn für einen Lärm?“

Mit ihrem Lieblingskuscheltier kam Laura langsam die Treppe herunter.

„Florian war frech zu mir, da musste ich ihn bestrafen!“

War Toms Erklärung, die ihre Schwester zu kichern brachte, kannte sie doch Toms übliche Bestrafung selbst auch. „Wir wollten grad ins Bett. Kommst du auch wieder mit?“

„Klar! Bei Flori?“

Laura hätte am liebsten jede Nacht zusammen mit ihren Brüdern im Bett verbracht und stürmte bereits wieder die Stufen hoch.

„Nein bei mir, ich denk Florians Bett müsste erst noch aufgeräumt werden.“

Florian bekam einen roten Kopf und zog ihn ein, wusste er doch selbst, dass in seinem Bett noch die Essensschalen und Rotweingläser lagen.

Florian rannte noch ins Bad und machte sich Bettfertig. Zehn Minuten später kam er in Toms Zimmer. Neben Toms Decke lag nun auch Lauras bunte Comic-Decke im Bett. Seine Schwester lag in der Mitte des Bettes, Tom saß auf einer Seite und las ihr aus einem Buch vor.
Florian legte sich auf die andere Seite als Tom grade das Kapitel beendete und das Buch weglegte. Laura sah ihn aus gossen Augen an.

„Und?!“

Florian holte theatralisch Luft. „…und wenn sie nicht gestorben sind, dann kuscheln sie noch heute…“

Laura kicherte wie immer bei diesem Abschlusssatz. Kurz darauf rückte sie näher an Florian ran und kuschelte sich an ihn.

„Gute Nacht.“

„Schlaf gut Kleine.“ Kam es von ihren Brüdern.

Tom löschte das Licht und schon kurze Zeit danach war schon Lauras gleichmäßiges atmen zu hören.

„Flori?“

„Hmm…“

„Schläfst du schon?“

„Jetzt nicht mehr…. Was ist denn?“

„Heut ist der erste Abend wo ich keine Angst habe….“

„Wieso das denn?“ Mit einem Mal war Florian hell wach und versuchte seinen Bruder in der Dunkelheit zu erkennen.

„Ich wusste nicht… ob du… wieder…“ Toms Stimme brach ab.

„Tom? Was ist los?“

„Ich wusste… nicht… irgendwann… auf einer Brücke…“ Die hälfte des Satzes ging in einem Schluchzen unter.

„Das hat dich die ganze Zeit beschäftigt?!“

Florian rückte näher an seine Bruder heran. Mit einer Hand strich er ihm durch die Haare.

„Ja…“

„Tom,…“

„Wir haben nie wieder darüber geredet…“

„Glaubst du wirklich, dass noch die Gefahr bestand?“

„Ich weiß nicht.“

„Tom?! Zu wissen, das meine Familie hinter mir steht… dass du noch immer für mich da bist… war das wichtigste! Als ich an dem Abend wieder zu Hause war dachte ich nicht mehr daran und hab auch nie wieder daran gedacht.“

„Wirklich?“

„Ja! Wirklich! Ich hab begriffen, dass ich nicht weglaufen muss und hier immer jemand für mich da ist.“

„Das waren wir vorher auch schon.“

„Ich weiß. Es tut mir Leid, dass wir nie darüber geredet haben. Ich wollte nicht, dass du Angst um mich hast.“

„Hatte ich aber…“

„Es tut mir Leid, Tom. Die letzte Zeit ist es nur um mich gegangen. Und irgendwie hab ich euch beide auch vergessen.“

„Das war OK. Du hast es gebraucht. Aber…“

„… aber wir hätten miteinander reden sollen…“ ergänzte Florian.

„Ja. Ich hab mich nur irgendwie nicht getraut… wollt dich nicht daran erinnern.“

„Oh man, und ich dachte das du mit Mama und Papa geredet hast. Immerhin werden die ja auch von Sarah informiert wenn etwas ist.“

„Ganz schön blöd, was?“

„Nee, eigentlich nicht. Ich hab mich auch viel zu lange nicht getraut mit euch zu reden. Und dann hab ich es auch noch falsch gemacht…“

„Wieso das denn?“

„Ich hab euch einfach so gesagt, dass ich schwul bin. Glaubst du Papa hätte auch so reagiert, wenn er vorher gewusst hätte was für Probleme ich hab, dass ich Angst hab zur Schule zu gehen…“

„Vielleicht nicht, aber das rechtfertig nicht was er dir an den Kopf geschmissen hatte! Red dir das nicht ein! Niemand hat das Recht so was zu sagen!“

„Weiß ich ja… aber ich glaub, das hätte Allen einiges an Problemen erspart…“

„Kann sein… Aber vielleicht wären wir auch längst nicht so schnell weggezogen, wenn du uns nicht so deutlich gemacht hättest, dass du nicht mehr weiter weißt. Und Dad hat sich ja mittlerweile ganz gut damit arrangiert.“ Grinst Tom in die Dunkelheit.

„Oh ja! Der ist manchmal richtig peinlich mit seinen Anspielungen…“

„Selbst schuld. Hättest ja nicht schwul werden müssen.“ Dabei konnte Florian das kichern seines Bruders hören.

„Blödmann!“

„Aber wenigstens trifft es dich jetzt und ich hab meine Ruhe. Kannst du dich noch erinnern als mal versucht hab mich früh morgens wieder ins Haus zu schleichen? Dad hat es mitbekommen und ich durfte mir tagelang anhören, wann ich denn endlich die Schwiegertochter vorstelle…“, Florian kicherte als er von seinem Bruder daran erinnert wurde und daran zurückdachte. „…und dann hab ich noch ein Päckchen Kondome auf meinem Nachttisch gefunden.“

„Nicht wirklich?“

„Doch!“

„Da steht mir ja noch einiges bevor…“ Stöhnte Florian auf.

Zwischen ihnen fing Laura an sich unruhig hin und her zu wälzen.

„Wir sollten auch schlafen.“

„Nacht, Tom. Ich hab dich lieb.“

„Ich dich auch Flori. Schlaf gut“

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