Margie 12 – Dunkle Schatten

Ich beobachtete ihn eine Weile, war mir eben nicht ganz sicher wie er mit der Sache umging. Aber er kam mir nicht viel anders vor als sonst. Trotzdem, mir war schon vorher klar, dass wir darüber reden mussten.
Felix setzte sich auf meine Couch und begann wie fast immer wenn er hier war, durch die Programme im TV zu zappen.

»Hast was zu trinken da?«, fragte er nach ein paar Minuten.

Ich wusste nicht ob er das Thema nicht anschneiden und damit gar nicht erst zur Diskussion bringen wollte. Aber ich sah auch ein, dass das alles seine Zeit brauchte.

»Was willst haben?«

»Was du da hast.«

Der Schlingel in mir schaltete sofort.

»Kannst ein Bier haben.«

»Ja, klar.«

Ich eilte nach unten und überlegte krampfhaft, ob und wenn ja wie ich ihn zum reden bringen konnte.

Kurz darauf setzte ich mich ihm gegenüber und signalisierte damit, dass ich im Augenblick keinen Bock auf Fernsehen hatte. Er begriff sofort und stellte die Kiste ab. Wir prosteten uns zu, dann sah ich ihn einfach an. Ohne ein Wort.

Dann endlich setzte sich Felix auf, so, als müsste er jetzt was ganz Wichtiges loswerden. Und das tat er dann auch.

»Ralf, ich weiß auf was du wartest. Ich hab dir zwar gesagt dass er mir egal ist. Also ich mein, dass du Schwul bist. Im Übrigen hab ich darüber mit niemandem geredet und ich werde das auch weiterhin nicht tun. Es ist deine Sache.«

»Danke, Felix. Aber ich denke anders darüber.«

»Und wie?«

Er nahm einen Schluck aus der Flasche.

»Es geht auch dich etwas an. Du bist mein Freund, jedenfalls hoffe ich dass du das noch bist. Weißt du, es kann Zeiten geben, da braucht man jemand zum reden. Ich habe dafür niemanden mehr außer dir.«

Er hielt den Kopf schief.

»Kann es sein, dass du.. ich mein, dass ihr Probleme habt?«

Ich winkte ab.

»Nein, nicht. Aber es kann ja mal möglich sein. Ums Mal so beschreiben: Wenn da mal was schief geht, dann steh ich eben alleine da. Und ich möchte nicht angerannt kommen wenn es soweit ist. Felix, alles was ich möchte ist, dass wir unsere Verbindung jetzt nicht deswegen trennen. Ich mag dich und du weißt wie das gemeint ist.«

Er nickte etwas verhalten, aber ich ging davon aus dass er mich verstanden hatte. Das schlimme an der Sache war, dass ich diese verdammten Vorahnungen hatte, aber das wurde mir erst in diesem Gespräch richtig bewusst.

»Und zwischen euch ist wirklich alles okay?«, wollte Felix dann eben wissen, denn ich war mir sicher dass er es spürte.

Dieses Brodeln in meinem Kopf.

»Ich sag dir, alles in Ordnung.«

»Gut, aber möchtest du mir nicht ein bisschen von ihm erzählen? Ich weiß überhaupt nicht wer er ist.«

Es beruhigte mich dass er nach Angelo fragte, er war ihm nicht egal irgendwie. Aber womöglich wollte er mich ja auch nur gerade mit dieser Frage beruhigen. Mein Gott, ich traute ihm plötzlich nicht mehr und das brachte mich nur noch mehr durcheinander.
Aber ich holte uns noch zwei Bier und dann begann ich zu erzählen, ganz von Anfang an. Legte sogar eine CD des Orchesters auf und Felix hörte fast schon andächtig zu.

»Schöne Musik. Zum träumen halt«, bemerkte er irgendwann.

Wie Recht er hatte. Seine Teilnahme an all den Dingen beruhigte mich dann zunehmend. Ich war wohl ein Hornochse, dass ich Angelo bestimmte Dinge einfach so zutraute. Das mit den Promis, das passierte wohl, aber ich redete mir ein dass es eben nicht Standard war, so an eine Karriere zu kommen.
Es war absurd, meinen Hasen mit so einem Kerl im Bett vorzustellen und von dieser Vision erzählte ich Felix auch nichts. Er hätte mir wahrscheinlich den Vogel gezeigt.

Er blieb dann auch nicht lange, wollte zum Abendessen wieder zu Hause sein.

Als Felix gegangen war fühlte ich mich sofort wieder einsam und verlassen. Keine Ahnung woher dieses Gefühl so praktisch über Nacht gekommen war. Angelo schon wieder anzurufen fand ich dann kindisch, irgendwo hatte er sicher auch seine Grenzen.
Ich zappte mich dann doch durch die Sender im Fernsehen, aber nichts konnte mich ablenken. Ich dachte an den kommenden Tag, wenn ich mit ihm nach Heidelberg fahren würde. Ja, jede Minute genießen, das war das einzige was mich einigermaßen bei Laune hielt.

Am anderen Morgen stand ich so früh auf wie sonst wenn ich zur Arbeit musste. Nach dem Aufwachen brachte ich kein Auge mehr zu und ich stellte fest, dass ich aufgeregt war wie als Kind an Heilig Abend.
Dabei war es doch gar keine große Sache, eigentlich. „Du bist verliebt, bis in die letzten Haarspitzen.“ Ja, anders konnte man meinen Zustand gar nicht beschreiben. Ich freute mich und versuchte jeglichen Negativgedanken gar nicht erst an die Oberfläche kommen zu lassen. Zum Beispiel den, dass etwas dazwischen kommen könnte. Oder er fuhr ohne mich, warum auch immer.
Keinen Meter ging ich ohne das Handy bei mir zu tragen. Weder im Bad, in der Küche beim Frühstück machen, noch später auf der Terrasse. Das Wetter sollte so bleiben, um die 33 Grad waren für diesen und die kommenden Tage angesagt.
Eigentlich nur Badewetter und bei diesem Gedanken konnte unser Spielchen am Baggersee gar nicht ausbleiben. Das viele Denken hatte mich zum ersten Mal in meinem Leben daran gehindert, an das Wichtigste überhaupt zu denken. Zumindest nicht in dem Maß, wie das früher war.
Allein zu Hause. Da hatte ich es bis zum Mittag meist schon zweimal getrieben. Geile Videos gezogen und dann ging die Post ab. Trotz der Erinnerung an diesen Nachmittag da draußen schwieg mein kleiner Freund, was mich irgendwie irritierte.
Dabei lief ich schon den Morgen nackt durch die Wohnung. Die Terrasse war nicht so sicher vor fremden Blicken, deshalb zog ich den Aufenthalt dort mit einer Shorts vor.
Kurz vor Mittag endlich mein Handy. Es hatte grade mal Zeit einmal zu klingeln, da war es schon an meinem Ohr.

»Hallo Angelo.«

»Oh, hast du dir dein Handy ans Ohr geklebt?«, feixte er.

»So ungefähr.«

»Ich werde so gegen Zwei bei dir sein, ist dir das recht?«

Was sollte diese Frage? Aber gut, er war höflich, wie gewohnt.

»Klar, ich warte.«

»Bis später dann.«

Ich schnaufte tief durch. Alle Sorgen, alle Ängste waren umsonst. Wie konnte ich glauben er würde ohne mich fahren? Ich nahm mir vor, in Zukunft nicht mehr an solche Dinge zu denken.
Es schadete mir selbst, sonst keinem und unnötig war es allemal.

Natürlich zog sich die Zeit bis dahin wie ein zähes Kaugummi. Irgendwie wusste ich nicht was ich mit mir anfangen sollte. Wichsen wollte ich nun erst recht nicht, auch wenn es zwischendurch doch recht eng wurde.
Nein, jetzt nicht. Das befahl ich mir, bis es Zwei Uhr geworden war. Zugegeben, ich stand schon eine halbe Stunde eher an der Tür, immer wieder nachschauend ob er nicht vielleicht früher kam. Aber er bewies nur Pünktlichkeit.
Auf die Minute genau hörte ich das schon gewohnte, angenehme Brummen und wie ebenfalls schon gewohnt ging mein Blick nach Gegenüber. Manskes waren anwesend, das Auto stand vor der Tür. Wahrscheinlich lugten sie durch die Vorhänge.. Egal. Das war jetzt wirklich egal. Ich schnappte meine Schlüssel und zog die Tür hinter mir zu.

Langsam, eher betont langsam fuhr mein Schnuckel vor. Ich kam mir eigentlich wie sonst wer vor in dem Augenblick, und hörte deutlich ein „Angeber“ in meinem Kopf. Aber das war gut so.
Lässig ging ich über den Gehweg zum Auto hin. Da saß er drin, mein Engel. Salopp gekleidet, die Frisur schön wild durcheinander. Ja, und die Sonne hatte auch schon ein Wörtchen mitzureden gehabt.
Angebräunt.. einfach lecker der ganze Kerl. Rasch setzte ich mich neben ihn. Ein Kuss? Nur wenn er es wollte. Ich beugte mich so halb zu ihm hinüber und er kam mir auf halber Strecke entgegen. Nun gut, jetzt hatten es die da drüben eben amtlich.
Wie fein er wieder duftete und es würde immer ein Erlebnis bleiben, diese Lippen zu küssen.

Wir lächelten uns an, irgendwie, und es war anscheinend der gemeinsame Gedanke. Hier zumindest waren wir beide bereit, unsere Liebe zu zeigen. Aus diesem Grund kam ich dann auch zur Sache, als wir losfuhren.
Allerdings, diesmal ließ Angelo kurz durchblicken was der Wagen so unter der Haube hatte. Die Reifen quietschten als er aufs Gaspedal trat und die Beschleunigung bis zur nächsten Kreuzung war schon immens. Ich musste lachen.

»Das hast du nur wegen den Manskes getan, stimmts?«

Er lachte zurück.

»Wer weiß.«

»Hast du, also ich meine, hat die Schneiderin was von sich gegeben?«

Angelo fummelte seine Zigarettenschachtel aus der Hosentasche und hielt sie mir hin. Dazu sagen musste er nichts mehr, darüber würde ich auch in Zukunft Bescheid wissen.
Er schüttelte den Kopf.

»Wenn sie was gesagt hätte, dann wüsste ich das inzwischen. Ich denke nicht dass das meine Mutter oder mein Vater so einfach hinnehmen werden.«

Also, entweder sie hatte gar nichts gesagt oder..

»Und du meinst, deine Eltern würden auf jeden Fall mit dir darüber reden?«

»Ja, es sei denn ich hab mich sehr getäuscht in ihnen. Das allerdings ist eher unwahrscheinlich.«

Ich dachte in dem Moment, dass meine dummen Gefühle und Vorahnungen aus dieser Richtung kamen. Das war es also, dieses Versteckspiel, das ich mir Anfangs ausgemalt hatte. Wir waren mitten drin und dieser Zustand mürbte mich mehr als ich dachte.

»Angelo, ich weiß nicht.. Wie sollen sie es denn erfahren? Ich mein, trotz allem haben sie ein Recht darauf.«

Ich spürte wie ihn das Thema aufwühlte, nervös rutschte er auf seinem Sitz.

»Oder.. ist es dir zu früh?«

»Was meinst du mit früh?«

»Angelo, ich weiß nicht. Deine Eltern stehen.. irgendwie zwischen uns. So fühle ich es jedenfalls. «

»Komm, lass uns über etwas anderes reden, okay?«

Au weh, er wich aus. Das passte mir irgendwie nicht. Aber einen Streit anfangen? Jetzt, wo sich alles so langsam in die Bahnen lenkte? Nein, das Risiko schien mir zu hoch. Aber ich würde dranbleiben, so konnten wir einfach nicht zusammenkommen.
Dem lieben Frieden Willen wechselte ich das Thema.

»Ist Margie fertig?«

»Ja, Paul hat das Teil auftreiben können. Ist wohl so dass es noch ein Geigenbauer gibt dahinten im Odenwald.«

»Find ich schön von ihm.«

Nun wollte ich doch die Fahrt und die Nähe zu Angelo genießen. Er steuerte den Wagen über die Bundesstraße zur Autobahn. Irgendwie wurde mir dann wieder mulmig. Er fuhr schnell, aber sicher, doch was würde er jetzt auf der Autobahn abziehen?
Ich stellte mich selbst am Steuer eines Porsches 911 vor. Mit 120 Sachen dahinkriechen war ja wohl Mumpitz. Also machte ich mich ganz langsam auf etwas gefasst. Zwar gab es fast nur Geschwindigkeitsbegrenzung bis Heidelberg, aber zum Überholen konnte man ja schon mal schauen was da unter der Haube los ist.
Angelo bog in die Auffahrt ein und schon in der Kurve spürte ich meine Arschbacken im Sitz. Man würde so ohne weiteres nur zu blinken brauchen auf dem Beschleunigungsstreifen, gucken ob da wer kam musste man eigentlich nicht.
Aber ich beobachtete Angelo aus dem Augenwinkel und er verhielt sich ganz normal. Er blinkte, sah in den Rückspiegel, dann in den Seitenspiegel und dann.. ja dann hörte ich erstmals das Brüllen der ganzen Pferdestärken. So musste man sich wohl in einem Space Shuttle beim Start fühlen.

»Ganz locker«, lachte Angelo nur und wechselte sogleich auf die Überholspur.

Aber ich sah bereits, dass wir keinen Tiefflug hinlegen konnten, es war einfach zuviel Verkehr und zu viele Lastwagen, die von allen möglichen lahmen Enten überholt wurden.

Ich weiß es noch, der Parkplatz „Fliegwiese“ stand da rechts ausgeschrieben und irgendwie amüsierte ich mich schon immer über diesen Namen. Da war die gesamte linke Spur praktisch frei, rechts, ziemlich weit vorne noch, krochen zwei Lastwagen dahin. Angelo gab Gas, um zügig an den beiden Brummis vorbeizukommen.
Keine Ahnung wie schnell wir waren, ich sah nur dass zwischen den beiden Lastwagen plötzlich ein Auto zum überholen ausscherte. Das war bis zu diesem Moment völlig unsichtbar, zog nun einfach raus und war da, eigentlich schon fast direkt vor uns. Noch hatte ich keinen Führerschein, war aber oft genug Beifahrer gewesen, zumindest bei meinen Eltern. Und so trat ich in die Bremsen, obwohl in meinem Fußraum ja keine Pedale waren. Reflexhandlung könnte man dazu sagen.
Angelo schrie irgendwie noch »Achtung!«, dann waren wir da. Ich spürte meine Schultern im Gurt, hörte das Quietschen der Reifen, zeitgleich mit der Hupe. Dann ein Knirschen, und Krachen, eben jene hässlichen Geräusche, wenn Metall verbogen wird. Die Landschaft zog nicht mehr nur einfach vorbei, sie war oben und unten, irgendwie überall. Die Schatten der Lastwagen rechts neben uns, das andere Auto war blau, so in etwa. Mal waren die dunkle Schatten links, dann wieder nirgends; Sekundenlang dachte ich abzuheben, schwerelos zu sein, dann wieder Schläge gegen meinen Körper. Alles nicht greifbar irgendwie, völlig ausgeliefert spielte sich dieser Film vor und in mir ab. An Angelo dachte ich gar nicht, ich wartete nur bis das endlich aufhören würde.

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