Ableitungen und ähnliche Unfälle 2 – Teil 3

Peter

Mir war langweilig. Doro sprang die ganze Zeit um mich herum und versuchte mit mir zu reden, doch ich blockte ab. Mir war selber klar, dass ein Selbstmordversuch keine Lösung war und dass ich Hilfe brauchte.

Doch die fand ich in Alex. Letzte Nacht war es besonders schlimm, ich konnte nach einem Traum nicht einschlafen und ging noch gegen 2 zu Alex ins Zimmer. Verschlafen hob er seine Decke an und ließ mich zu ihm. Mit einem ‚Gute Nacht, Brüderchen’ zog er mich an sich und nahm mich in den Arm. Seine Nähe beruhigte mich und ich schlief schnell ein.

Ich musste grinsen, denn ich sah ihn mittlerweile tatsächlich als meinen Bruder, und liebte ihn abgöttisch als solchen. Er nahm mich wie ich war und es war gut. Aber verliebt war ich nicht. Zu sehr sehnte ich mich nach Josh. So eine freundschaftliche Nähe, wie mit Alex, wäre bei Josh unerträglich.

Es klingelte an der Tür und Doro ließ mich endlich mal allein. Durch die angelehnte Tür hörte ich eine gedämpfte Männerstimme.

„Guten Tag, Frau Reed. Mein Name ist Grüner. Hauptkommissar Grüner. Ist ihr Sohn zu sprechen? Es geht um den Einbruch bei Gabriel und Barbara Busseck.“

„Er ist in der Schule. Soll er sich bei ihnen melden?“

„Dringend. Herr Busseck macht mächtig Druck und die Staatsanwaltschaft hat ein gesteigertes Interesse an dem Fall.“

„Was ist mit Alex?“ fassungslos stand ich in der Tür zum Flur und sah die Beiden an.

„Und sie sind?“ fragte der Grüner.

„Peter Busseck. Warum weiß ich nichts von der Anzeige?“

„Alex wollte dich nicht aufregen, Peter.“

„Was soll der Mist? Warum hat mein Vater ihn angezeigt?“

„Wegen Einbruchs.“

„Verstehe. Weil er die Terrassentür demoliert hat, um mir das Leben zu retten? Oder weil er meine Sachen abgeholt hat, weil meine Eltern mich verstoßen haben? Das ist doch ausgemachter Bockmist. Alles was er getan hat, war um mir zu helfen!“

„Das ist mir bekannt. Alexander hat sich gestern freiwillig auf dem Revier gemeldet. Bis dahin war es eine Anzeige gegen Unbekannt.“

„Mein ‚Vater’ steigert sich wohl richtig rein. Er hat eine ganze Menge an Kontakten zur Justiz. Wahrscheinlich spielt er die gerade aus.“

PHK Grüner nickte. „Ich erwähnte es bereits: er sorgt für großen Druck. Aber es besteht wohl kein Grund zur Sorge. Wir haben eine Menge an Zeugenaussagen, die seine und deine Aussage bestätigen. Deswegen bin ich auch hier, Frau Reed. Sie sollten über eine Gegenanzeige nachdenken, das ist meine persönliche Meinung. Das scheint ein klarer Fall von falscher Verdächtigung, Vortäuschung einer Straftat und Verleumdung zu sein. Die Gerichte haben auch so genug zu tun, ohne ausgedachte Straftaten.“

„Doro, denkt nicht drüber nach. Macht es. Mein Vater verdient es nicht anders. Mich fallenlassen und dann noch den Menschen verknacken wollen, der mir nur helfen will. Das ist doch Wahnsinn. Alex nimmt mich wie ich bin, das hätten meine Eltern tun sollen.“

Meine Traurigkeit war wie weggeblasen. Es wurde Zeit auch mal meinem ‚Bruder’ zu helfen.

„Schön gesagt, junger Mann. Hier, Frau Reed, meine Karte. Ihr Sohn kann mich jederzeit anrufen ich werde noch lange im Büro sein.“

„Ihre Frau wird wohl öfter Mal auf sie verzichten müssen.“

„Ich bin Witwer. Und mein Sohn ist mal ganz froh, wenn der alte Herr nicht zu Hause ist.“

„Oh, das tut mir Leid. Ich wollte ihnen nicht zu Nahe treten.“

„Das ist kein Problem. Meine Frau ist schon seit einigen Jahren tot.“

„Wenn sie sich mal unterhalten möchten, ich stehe zu Verfügung. Ich selber bin geschieden. Mein Mann Geoffrey lebt wieder in den Staaten.“

„Danke für das Angebot, Frau Reed. Ich wünsche ihnen noch einen angenehmen Tag.“

Er verabschiedete sich und verließ das Haus. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, die beiden hatten eindeutig geflirtet.

Doro sah mich seltsam an und bedachte mich mit einem gespielt genervtem Kopfschütteln und zuckte mit den Schultern.

„Ich bin auch nur eine Frau, und der Herr Grüner ist ziemlich attraktiv.“

Ich grinste zurück „Ja, für sein Alter. Wahrscheinlich wäre sein Sohn eher was für mich.“

„So, junger Mann, ab ins Wohnzimmer, Zeit für ein Gespräch.“

Das war genau das was ich nicht wollte. Mir ging es doch wieder besser.

„Jetzt guck nicht so. Ich will ja nur sagen, dass du mir jetzt gerade deutlich besser gefällst. Die große Klappe meines Sohnes hat dir zwar nicht geschadet, aber sie färbt ab.“

Sie streichelte mir über den Kopf und lief grinsend in die Küche. So eine Mutter hätte ich mir auch gewünscht.

Doro kümmerte sich schon um das Mittagessen, Alex würde bald wieder auftauchen. Ich setzte mich im Wohnzimmer auf den großen Ohrensessel seiner Mutter und schlief kurz darauf ein.

Alex

Josh war heute DAS Thema unserer Band. Wenn Peter ihn gehört hätte, er wäre wahrscheinlich zu einer Pfütze zerschmolzen. Ich drehte den Schlüssel in der Haustür herum. Niemand war zu sehen und in der Küche köchelte das Essen auf kleiner Flamme. Im Wohnzimmer fand ich Peter, friedlich schlafend auf Mums Sessel.

„Pete?“ ich rüttelte vorsichtig an seiner Schulter und er fuhr erschrocken hoch. Dann lächelte er mich an, doch sein Blick verfinsterte sich schnell.

„Was ist los? Warum guckst so bös?“

„Gegenfrage: Warum hast Du nichts von dem Bockmist erzählt, den mein Vater verzapft? Grüner von der Polizei war heute hier und wollte dich sprechen!“

„Mensch Pete, dir ging es nicht gut. Ich hätte ja noch was davon gesagt.“

„Hör mir mal zu, ich hab mich idiotisch verhalten, mit den Schlaftabletten, aber ich bin kein rohes Ei, dass man vor allem schützen muss. Dank dir hab ich es geschafft, dann lass dir doch auch von mir helfen!“

Wie er sich aufregte war ja schon putzig, und ein Grinsen meinerseits konnte ich nicht verhindern.

„Warum lachst du jetzt? Du kannst mich auch ruhig mal ernst nehmen.“ Peter schien sauer.

Ich zog ihn vom Sessel und umarmte ihn ganz fest.

„Pete, ich nehm dich ernst. Ich wollte doch nur nicht, dass sich mein Bruder schlecht fühlt. Aber wenn du willst, dann kannst Du nach dem Essen mit zur Polizei. Grüner will doch bestimmt mit mir reden oder?“

„Mehr oder weniger. Für ihn ist die Sache ziemlich eindeutig und er würde nichts gegen dich unternehmen. Aber mein Vater hat viel Einfluss in den oberen Etagen, und wer weiß was der gerade alles in Bewegung setzt. Jedenfalls macht er einen riesigen Wirbel.“

„Man ist der nachtragend. Dass ihn die Kleinigkeit so aufregen würde.“

Peter wusste ja noch gar nichts über die Vorfälle im Haus seiner Eltern, und ich erzählte es ihm haarklein.

„Du hast WAS?“ Peter fiel lachend auf den Sessel und kriegte sich gar nicht mehr ein.

Sofort stürmte meine Mutter von oben herunter und sah erschrocken zu Peter.

„Schon gut, Doro“, brachte er zwischen zwei Glucksen hervor.

„Ich hab ihm nur von dem Gespräch an der Treppe, mit seinem Vater, erzählt.“

„Ich fass es nicht… der Schüler Alex Reed besiegt meinen Vater, den mächtigen Anwalt Gabriel Busseck! Hast du das auf Video?“ Peter lachte Tränen.

„Ne, da haben wir nicht dran gedacht.“

Peter wurde schlagartig wieder ernst „Und jetzt will dich das Schwein fertig machen… Na warte, die Brüder lassen sich das nicht gefallen!“

Peter erhob sich vom Sessel, drückte mir flüchtig einen Kuss auf die Wange und lief auf den Schrank zu.

„Komm, Bruderherz, das Essen riecht fertig, lass uns den Tisch decken.“

Nach dem Essen machten wir uns gemeinsam auf den Weg zur Polizei. Peter erzählte mir noch von den Vorschlägen, die Grüner gemacht hatte.

Peter

Alex marschierte sofort auf den Beamten am Empfangstresen zu und meldete uns an. Kurz darauf summte es an der Verbindungstür, und wir betraten die eigentliche Station.

„Ich muss mal eben aufs Klo, Pete.“

Alex wollte gerade gehen, doch dann tippte er mir grinsend auf die Schulter und zeigte in die hintere Raumecke. Dort saß ein Typ, schätzungsweise 17 oder 18, mit neon-orangenen Haaren. Auf dem alten Armeerucksack prangte ein dicker Sticker in Regenbogenfarben. Irgendwie sah der echt süß aus, schmales Gesicht, verträumte blaue Augen. Er trug eine völlig zerrissene blaue Jeans und einen viel zu kleinen schwarzen Rollkragen Pullover, der sich eng um seinen schlanken Oberkörper legte. Zu klein deshalb, weil er nicht bis zum Bund seiner Jeans reichte und seine gebräunte Haut um den Nabel freilegte. Auf der Bank lag sein schwarzer Ledermantel.

„Setzt dich dort mal hin, ich bin gleich zurück.“ grinste Alex und gab mir einen Schubs in die Richtung des Jungen. Dieser wurde auf uns aufmerksam und schaute uns an. Langsam steuerte ich auf die Bank zu, die ihm gegenüber stand.

„Hi.“ sagte ich schüchtern.

Er sah mich erst nur an und zog die Stirn in Falten.

„Hi. Na, was haste ausgefressen? Ner Omi die Handtasche geklaut?“

„Nein, mein Freund und ich müssen uns gleich mit jemandem unterhalten.“

„Dein Freund?“

„Mein bester Freund, so was wie mein Bruder.“ antwortete ich.

„Ah. Ich bin Dominik.“

„Peter. Und warum bist du hier?“

„Ich will mir nur Kohle von meinem Dad holen.“

Mein Blick fiel wieder auf den Rucksack. Der war doch bestimmt schwul, dieser Dominik. Alles sprach dafür.

„Und was habt ihr so wichtiges mit der Polizei zu bereden?“

„Mein Freund wird des Einbruchs beschuldigt, weil er bei meinen Eltern die Terrassentür zertrümmert hat.“

„Oh!“ Dominik grinste. „Das stand in der Zeitung. Und er hat dann dein Zimmer ausgeräumt?“

Ich nickte.

„Aber irgendwie passt das nicht. Wenn ihr zusammen herkommt, weil er angeblich deine Bude ausgeräumt hat.“

„Es ist auch alles ganz anders. Aber ich möchte nicht darüber reden. Das ist sehr persönlich, und ich kenne dich nicht.“

Dominik schwang sich elegant von seiner Bank auf und setzte sich neben mich.

„Wir können uns ja kennen lernen, erzählst du es mir dann?“ raunte er mir ins Ohr. Überrascht rutschte ich ein Stück zur Seite.

„Darf ich dich was fragen, Domi?“

„Klar, warum nicht?“

„Bist du schwul?“

„Das ist ja mal ne originelle Frage… warum fragst du, würde es dich stören?“

„Nein. Ich…“

Er rückte grinsend ein Stück näher, und ich nahm seinen Geruch wahr. Er roch nach Pfirsich.

„Du… bist auch schwul, wolltest du sagen?“

„Bin ich, ja. Und deshalb steckt mein Freund jetzt in Schwierigkeiten.“

„Cool. Also cool dass du schwul bist. Dann sind ja nicht alle süßen Typen hetero. Mit deinem Freund tut mir Leid, aber ihr kriegt das bestimmt hin.“

Süße Typen? Er meinte mich? Der Kleine war ja wirklich direkt. Ich musste zugeben, er gefiel mir.

Ein fremder Beamter erschien auf dem Flur.

„Dominik, dein Vater hat jetzt kurz Zeit, beeil dich bitte.“

„Okay! So, ich muss dann mal. Man sieht sich, oder?“ er zwinkerte mir kurz zu, dann nahm er seine Sachen und verschwand durch die Tür zu den Büros.

„Dein Gesicht müsstest du jetzt mal sehen, Pete. ‚Wir können uns ja kennen lernen, erzählst du es mir dann?’“ äffte Alex Dominik nach.

„Ich hab dich gar nicht gesehen.“

„Ich stand da, um die Ecke. Und, gefällt er dir?“

Keine Ahnung warum, aber ich wurde rot.

„Er ist so unverkrampft mit sich selbst. Er trägt es mit Stolz und gibt sich wie er ist. Schon beeindruckend.“

„Jeder sollte stolz sein, auf was und wer man ist.“

„Irgendwie süß ist er schon.“

Ein weiterer Beamter unterbrach unser Gespräch.

„Alexander Reed und Peter Busseck, bitte gehen sie in den Besprechungsraum 2, links den Gang runter, dritte Tür rechts. Hauptkommissar Grüner wird gleich nachkommen.“

Wir folgten den Anweisungen und saßen bald im Besprechungsraum. Auf dem Gang hörte ich noch Dominiks Stimme.

„Ciao Dad, und danke!“ Dann fiel eine Tür zu und Dominik war weg.

„Den seh ich wohl doch nicht wieder.“

„Warum?“ wollte Alex wissen.

„Ich kenne nur seinen Vornamen. Sonst nichts. Keine Adresse oder Telefonnummer.“

„Ach Pete, so was macht man ja auch nicht. Aber halt mal die Augen auf, so leicht ist er nicht zu übersehen.“

„Schön, dass ihr Beide gekommen seid.“ Die Tür hinter uns fiel ins Schloss und Grüner umrundete den Tisch.

„Es hat leider etwas gedauert, wichtige Familienahngelegenheiten.“

Dominik

„Familienahngelegenheiten“, kurz zuvor…

„Hi Dad.“

„Na Sohnemann, du bist aber früh dran. Sag mal, hättest du gestern nicht wenigstens noch die Wanne säubern können? Ich hab die Farbe nur noch schwer abbekommen.“

„Ich musste aber dringend weg, Daddy“, er blinkte mich mit seinen blauen Augen an. Zusammen mit diesen neuen Haaren löste das bei mir ein belustigtes Lächeln aus.

„Beim nächsten Mal, Dom. Okay, also du brauchst Geld für die Klassenfahrt.“

„Genau. 250 Euro.“

„Bei uns haben damals fast 100 Mark gereicht, für eine Woche, und jetzt 250 Euro für drei Tage.“

„Ich mach die Preise nicht, Daddy.“

„Sag mal, hast du dich mittlerweile mit Fabian ausgesprochen?“

„Ja. Deshalb musste ich ja gestern so dringend weg. Es ist aus. Wenn der seinen Schwanz nicht bei sich behalten kann und fremd vögelt, dann kann er sich verpissen. Der hat das halbe Internat durchgepoppt.“

„DOMINIK! Achte mal auf deine Ausdrucksweise. So genau muss ich das auch nicht wissen.“

„Sorry Daddy. Aber Fabian kann mir gestohlen bleiben. Ich hab gerade vor der Tür so ein ganz süßes Teil getroffen. Ein gewisser Peter, der wegen ner Einbruchssache hier ist.“

„Mit denen habe ich gleich noch einen Termin. Und mal abgesehen davon: Peter hat gerade eine schwere Zeit hinter sich.“

„Daddyyyy, du weißt nicht trotzdem zufällig wo die wohnen, oder? Weil ich hab keine Adresse und so. Ich würde den echt gern wieder sehen.“

„Zufällig weiß ich das. Aber sagen darf ich es dir trotzdem nicht.“

„Ach menno, ihr immer mit euren Regeln. Ich tu dem doch nichts. Vielleicht kann ich ihm ja helfen.“

„Deine Hilfe kann ich mir lebhaft vorstellen. Dein Verschleiß ist ja nicht gerade gering.“

„Manchmal muss man halt ein paar Frösche küssen, bis der Prinz dabei ist.“

Mein Vater rollte mit den Augen. Über das Thema hatten wir häufiger eine Diskussion.

„Mal was Anderes. Hast du dir schon überlegt, wann du mit dem Führerschein anfangen willst? In 6 Monaten wirst du ja schließlich 18.“

„In den nächsten drei Monaten haben wir ne Menge Klausuren anstehen und den Klavierunterricht musste ich auch schleifen lassen. Aber nach den Klausuren wäre es in Ordnung.“

„Gut. So, hier ist das Geld. Ich muss dringend weitermachen.“

Ich nahm das Geld und lief zur Tür.

„Ciao Dad, und danke!“

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