Ableitungen und ähnliche Unfälle 2 – Teil 5

Dominik

Ich verließ das Haus und rannte los, mein Herz klopfte mächtig. Mein Dad neigte ja gerne zu Untertreibungen, aber ‚er hat gerade eine schwere Zeit hinter sich’ war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Darauf war ich nicht vorbereitet. Innerlich regte ich mich mal wieder über mich auf, weil ich danach wieder so verdammt locker war und mir die Sprüche nicht verkneifen konnte. Peter war echt schon ganz niedlich. Dieses schulterlange Rotblond reizte mich. Diese schönen Augen, dunkelblau und tief wie der Ozean, die gerade so traurig waren. Sein Vater war echt ein mieses Arschloch. Diese ganze Aktion machte mich wahnsinnig. Wütend trat ich gegen einen Laternenpfahl, und mit einem brummenden Flackern verabschiedete sich die Lampe.

Ich lehnte mich gegen den Altglascontainer, neben der Laterne, und schloss die Augen. Mit der Hand strich ich über meinen Bauch, wo Peter fast schon zärtlich mit dem Daumen entlang geglitten war. Ich war drauf und dran mich in Peter zu verknallen. Wieder dachte ich an Fabian, diese miese, kleine und dreckige Hure. Verliebt war ich aber nicht in ihn, der Sex war nur der Hammer, und ich hab echt gedacht, das wäre was zwischen uns allein. Fabian war also auch nur ein Frosch und kein verzauberter Prinz. Peter… Peter war toll. Aber ob ich gegen diesen Josh eine Chance hatte? Aber wenn er doch ne Hete war, dann…

Gefrustet schlug ich mit der Faust gegen den Glascontainer.

„FUCK!“, brüllte ich, dass tat echt verdammt weh. Warum sind die Teile so hart?

Langsam lief ich weiter Heimwärts. Weiter vorne tauchte plötzlich Luka auf, hatte mich aber nicht gesehen. Luka und ich hatten uns in einer Musikschule kennen gelernt. Er war ein toller Keyboarder und wir haben mal zusammen gespielt. Er am Keyboard und ich am Klavier. Dann waren wir mal eine kurze Weile zusammen, mehr oder weniger. Ich war ihm aber viel zu anstrengend. Und mein Vater war auch nicht gerade begeistert. Immerhin war ich ‚fast’ 16, und Luka zu der Zeit 18. Wir trafen uns ab und zu mal, und ich hab ihn regelmäßig verführt.

Ich wollte gerade zu ihm hin und mich ein wenig trösten lassen, als noch jemand hinter ihm auftauchte. Ich versteckte mich schnell hinter einem Briefkasten und beobachtete die Szene.

Luka und der Andere schauten sich vorsichtig um und küssten sich plötzlich. Ich kannte den Knilch bei Luka nicht, schien aber auch noch etwas jünger zu sein. Der Andere verschwand und Luka kam in meine Richtung. Ich verließ meine Deckung und schlenderte ihm langsam entgegen.

Noch 20 Meter trennten uns, und er schaute verträumt durch die Gegend. Und er sah einfach durch mich durch.

„Hi Luke.“

„Domi? Oh, schön dich zu sehen.“

„Süß, der Kleine. Kenn ich den?“

Luka sah mich erschrocken an. „Du hast uns gesehen?“

„Jetzt mach dir nicht ins Hemd. Ich weiß doch, dass du schwul bist.“

„Jetzt sei mal etwas leiser, bitte! Nein, du kennst ihn nicht. Und es geht dich auch nichts an.“

„Verstehe. Du Luke, hast du vielleicht ne Stunde Zeit für mich, ich fühl mich grad nicht so toll.“

„Sorry, es geht nicht. Ich bin nicht mehr zu haben.“

„Du Schelm, als ob ich nur an das Eine denken würde.“

„Ach, tust du nicht?“ Luka grinste mich spöttisch an.

„Erwischt!“, grinste ich. „Aber mal im Ernst: Ich verspreche dir auch nur zu reden, meinetwegen auch in nem Café. Und meine flinken Fingerchen kommen deinem Luxuskörper auch nicht zu Nahe.“

„Ach Domi, das hast du mir beim letzten Mal auch versprochen. Und 20 Minuten später waren wir auf dem Klo.“

Ich ging einen Schritt vor und platzierte meinen Mund direkt neben seinem Ohr.

„Diesmal meine ich es ernst“, flüsterte ich in sein Ohr. Deutlich konnte ich die Gänsehaut sehen, die sich da an seinem Hals bildete. Wenn ich es wirklich gewollt hätte, dann hätte ich Luka haben können, sofort.

„Hör bitte auf damit. Den Kleinen von gerade, ich liebe ihn wirklich. Bring mich bitte zu nichts, was mir danach Leid tut.“

„Verdammt Luke, ich brauche jemanden zum Reden. Mir ist grad auch nicht nach Sex.“

Luka seufzte resignierend auf. Wortlos nickte er mir zu, und wir liefen in Richtung Café.

„Um was geht es eigentlich, Domi?“

„Ich glaub ich bin verknallt.“

„Du?“, fragte er ungläubig.

„Ja. Ich hab heute jemanden auf dem Revier getroffen. Peter. Er war mit seinem Kumpel Alex dort.“

„Du meinst nicht zufällig Peter Busseck, oder?“

Ich blieb stehen und hielt ihn am Arm fest. „Du kennst ihn?“

„Alex ist unser Bandgitarrist und geht mit Peter in dieselbe Klasse. Genau wie unser, hoffentlich, neuer Sänger, Joshua.“

„Joshua Dellmer?“

„DU kennst Josh?“

„Nein… aber Peter hat von ihm erzählt. Er ist in ihn… verliebt.“ Ich seufzte schwer.

„Peter ist also auch schwul. Jetzt macht diese Geschichte aus der Zeitung langsam Sinn. Aber Josh ist doch Hetero!“

„Hast du dich noch nie in einen Hetero verguckt, Luke?“

„Doch. Aber damit muss man dann halt leben und ihn vergessen.“

„Ja… oder umdrehen“, grinste ich.

„Dir würde ich das auch ohne weiteres zutrauen. Aber Peter ist nicht du.“

„Ich glaub er mag mich. Ich bin den Beiden gefolgt und war bei ihnen im Zimmer und er hat mir den Bauch gestreichelt und ganz lieb gelächelt.“

„Er hat was?“

„Ich hab seine Hand auf meinen Bauch gelegt und er hat ihn gestreichelt.“

Luka bedachte mich mit einem Kopfschütteln. „Kannst du nicht einmal langsam an so was rangehen?“

„Das Leben ist kurz, Luke. Heute noch jung und morgen bist tot und dann war es das.“

Luka nahm mich plötzlich in den Arm und schaute mir besorgt in die Augen.

„Domi, das mit deiner Mutter war ein Unfall. Du warst damals noch so jung. Und solange ich dich kenne, hast du nie richtig um sie trauern können.“

Ich hasste Luka für seine Worte, weil sich meine Augen langsam mit Tränen füllten.

„Papa braucht mich doch und ich muss für ihn stark sein.“

„Du redest manchmal echt totalen Schwachsinns, Dominik. Ständig überspielst du deine Gefühle und machst einen auf Happy-Punk. Damit kam ich auch nicht klar. Du bist nie du selbst.“

„Aber…“ ein schmerzhafter Kloß machte sich in meinem Hals bemerkbar, meine Stimme hörte sich zittrig an.

„Kein aber, Domi. Gesteh dir endlich ein, dass dir der Tod deiner Mutter Schmerzen bereitet und dass du, verdammt noch mal, dass Recht hast traurig zu sein.“

Irgendwie war heute alles zu viel, und ich konnte die Tränen nicht mehr bremsen. Luka presste meinen Kopf gegen seine Schulter und ließ mich heulen.

„Endlich, mein Kleiner, lass es raus“, flüsterte er.

Dorothea

Dieser fremde Junge spukte mir noch immer durch den Kopf. Das Peter ‚solche’ Freunde hatte war etwas überraschend. Dieses Outfit war schon gewöhnungsbedürftig, und welcher Junge läuft bei diesem Wetter schon bauchfrei.

Gedankenverloren schob ich meinen Einkaufswagen durch die Gänge des, fast leeren, Supermarkts. Plötzlich stieß mein Wagen auf Widerstand. Ein schmerzliches Ächzen ließ mich hochschrecken. Vor mir hockte ein Herr in Uniform und rieb sich über die Ferse.

„Was zum Teufel…“ der Polizist drehte sich um und brach mitten im Satz ab.

„Frau Reed, was für eine Überraschung!“

„Guten Abend, Herr Grüner. Das tut mir sehr Leid, ich war etwas in Gedanken.“

„Es ist ja nichts passiert.“

„Haben sie doch schon Feierabend?“

„Schön wäre es, aber ich gönne mir gerade eine kleine Pause und besorge mir etwas Essbares fürs Büro.“

„Ich will auch nur schnell noch ein paar Zutaten besorgen, damit die Jungs nicht vom Fleisch fallen.“

„Ich finde es großartig von ihnen, dass sie sich um den jungen Herrn Busseck kümmern.“

„Sie wissen warum er bei mir wohnt, nehme ich an?“

„Ihr Sohn hat es mir gestern erzählt. Es ist einfach unglaublich, wie manche Eltern auf solche Dinge reagieren.“

„Also haben sie keine Probleme damit?“

Der Kommissar grinste mich an „Dann, Frau Reed, hätte ich mit meinem Sohn ein großes Problem. Er ist selber auch schwul. Und da fällt mir auch noch etwas ein…“

Er druckste ein wenig herum, als ob ihm etwas unangenehm wäre.

„Mein Sohn hat Peter heute auf der Wache getroffen, und wie soll ich sagen…“, er öffnete seine Uniformjacke und griff in die Hemdtasche.

„Hier ist die Karte mit meiner Privatnummer. Vielleicht würden sie diesen Peter geben. Mein Sohn würde ihn gerne wieder sehen, aber ich kann ihm da nicht helfen. Wenn Peter es möchte, dann kann er Dominik anrufen.“

„Dominik?“ Ich musste lachen.

Herr Grüner sah mich fragend an.

„Hat ihr Sohn, zufälligerweise, eine etwas grelle Haarfarbe?“

„Orange“, seufzte er. „Sie kennen ihn?“

„Er scheint ihren Spürsinn zu haben. Er tauchte vor ungefähr 20 Minuten bei uns daheim auf und stellte sich mir als Dominik vor, ein Freund von Peter.“

„Der Junge treibt mich noch in den Wahnsinn. Er hört für keine 10 Cent auf mich. Aber seit Marthas Tod hat er sich sehr verändert. Er tut immer so erwachsen und kann manchmal ein echter Kindskopf sein. Ich bekomme ihn kaum noch zu Gesicht.“

„Wann ist sie gestorben?“

„Es ist fast zehn Jahre her.“

„Und wie alt ist ihr Sohn?“

„Er wird in einem halben Jahr 18.“

„Ein schwerer Verlust für einen Vater, mit einem Sohn in dem Alter.“

Herr Grüner nickte traurig.

„Haben sie sich damals Unterstützung geholt?“

„Falls sie einen Kinderpsychologen meinen, ja. Ich habe es versucht. Aber Dominik hat alle Versuche abgeblockt.“

„So wie sie ihn beschreiben, Herr Grüner, scheint er es noch nicht ganz verarbeitet zu haben. Verhaltensauffälligkeiten sind da üblich.“

„Manfred. Sagen sie doch Manfred.“

„Gut. Manfred. Mein Name ist Dorothea, aber Doro reicht auch. Und wenn sie mögen, dann können wir auch das ‚Sie’ weglassen.“

„Sehr gerne, Doro.“ Manfred lächelte mir freundlich zu.

„Wenn dein Sohn es möchte, dann kann ich mich ja mal mit ihm unterhalten. Oder mit meinem Sohn…“

„Wieso mit deinem Sohn?“

Ich erzählte Manfred grob von den Vorgängen im Krankenhaus. Manfred schaute erst sehr ungläubig und langsam fing er an zu lachen.

„Auf den Kopf gefallen ist dein Alexander nicht.“

„Nein, dass ist er mit Sicherheit nicht. Und vielleicht wäre es ja auch gut für Peter, wenn er Kontakt zu anderen Schwulen in seinem Alter hätte.“

„Das wird sich ja dann bald zeigen, wo Dominik den ersten Schritt schon gemacht hat. Doro, ich würde gerne noch weiterplaudern, aber ich muss wieder auf die Wache.“

Er reichte mir die Hand zum Abschied.

„Dann noch einen schönen Abend, Manfred.“

„Danke, den wünsche ich euch auch.“

Manfred eilte zur Kasse und ich besorgte noch die restlichen Zutaten, und dann fuhr ich heim.

Dominik

Luka war mit seinem Milchkaffee schon fertig, und ich trank noch den letzten Schluck meines Kirschtees. Er hatte sich geduldig Peters Geschichte angehört.

„Und nun?“ Luka sah mich durchdringend an.

Mutlos kratze ich mit dem Löffel durch die Tasse und Luka verzog das Gesicht. Dieses Geräusch konnte er auf den Tod nicht ausstehen.

„Das ist nicht so einfach, Luke. Vielleicht sollte ich mal mit diesem Alex reden. Pete braucht etwas Unterstützung.“

„Und du hast da natürlich schon jemanden im Auge, nicht wahr? Und… ich hab gehört du bist mit Fabian zusammen, was ist denn mit ihm?“

„Was interessiert mich diese Nutte? Der poppt doch eh…“

Luka sah mich streng an und die Worte blieben mir im Hals stecken. Ja, zugegeben, ich war gekränkt.

„Glaubst du denn nicht, dass ich Pete helfen könnte?“ Ich sah fragend zu Luka.

Dieser spielte nachdenklich mit seiner Tasse und schob sie über den Tisch, von einer Hand in die Andere.

„Rede wirklich mal mit Alex darüber. Ich kenne Peter kaum und kann dir nicht wirklich helfen.“

Eine mir sehr bekannte Stimme meldete sich hinter mir und ich bekam eine sehr unangenehme Gänsehaut.

„Unserem Wonderboy kann man nicht helfen. Er ist und bleibt eine verkorkste kleine Schlampe.“

Luka sprang sofort auf und wollte auf den Störenfried losgehen, doch ich hielt ihn zurück.

„Tach Simon, na wie geht es dir, du olles Miststück?“ grinsend drehte ich mich um und sah in das wutverzerrte Gesicht von Simon Warnebrink, Ex-Affäre, Stadtsnob und Oberarsch schlechthin. Das ultimative Feindbild von Menschlichkeit, Güte und gutem Geschmack.

Ende Teil 5

— Joshua (Epilog)

„Hi Schatz!“ ich hatte gerade die Tür geöffnet und hielt nach Flo Ausschau.

„Ich bin im Wohnzimmer, Josh!“ Flo saß auf der Couch und wühlte sich durch ein paar Unterlagen.

„Du glaubst nicht, wen ich gerade in der Stadt getroffen habe“, grinste ich Flo an.

Er sah mich fragend an.

„Gaius. Der Arme war total gehetzt, kam gerade von der Arbeit.“

„Ach, deshalb passiert bei uns grad so selten etwas?“

„Japp, so schaut es aus. Und scheinbar chattet der abends lieber mit seiner Flamme, anstatt sich Gedanken um uns zu machen.“

„Jetzt sei mal nicht so hart zu ihm, Josh. Gönne ihm lieber die Abwechselung. Die Arbeit hat es ja auch in sich, und lass ihn doch mal verliebt sein. Er hat uns ja nicht komplett vergessen, oder?“ Flo lächelte mich an.

„Ja, stimmt auch. Er hat mir jedenfalls versprochen, dass es noch weitergehen wird. Und er hat so glücklich gelächelt.“

„Siehst du, es geht ihm so wie uns. Apropos uns: bekomme ich denn keinen Begrüßungskuss von dir?“ Flo zwinkerte mir zu.

Ich setzte mich neben ihn auf die Couch, und wir versanken in einem langen und leidenschaftlichen Kuss.

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