Markus – Teil 9

TORBEN

„Lass ihn. Das bringt jetzt sowieso nichts.“

Anke! Sie legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter, denn ich bebte vor Wut.

„Was war denn los?“, fragte Kais Schwester.

Ich erzählte ihr mit knirschenden Zähnen, was vorgefallen war. Als ich geendet hatte, lag ich in Ankes Armen und heulte ihre Schulter nass. Ich hatte eine scheiß Angst, dass ich es mir mit Markus nun für immer verscherzt hatte. Ich hatte ihn doch so lieb und würde nie ohne ihn sein können.

„Shht, schon gut.“

Ich schaute wieder hoch und Anke in die Augen. Dann wischte ich mir die Tränen von den Wangen und wollte wieder ins Haus gehen.

„Wo willst du hin?“

„Ich muss doch auf ihn aufpassen…“, schluchzte ich hervor.

„Bleib mal lieber noch einen Moment draußen, ich schau nach Markus.“

„Okay.“

Ich sah Anke hinterher, bis sie im Haus verschwand, dann nahm ich einen der Plastikstühle aus dem Garten und setze mich in eine dunkle Ecke, um nachzudenken.

Nach ein paar Minuten, Anke war immer noch nicht zurück, konnte ich zwei Gestalten sehen, die ein paar Meter neben mir vorbei schlichen. Sie blieben immer wieder stehen, küssten sich wild und kicherten.

Die wollten doch jetzt wohl nicht…? Doch! Sie ließen sich ein paar Meter hinter mir in die Büsche fallen und begannen wild rumzuknutschen. Sehen konnte ich das zwar nicht, aber hören und das Stöhnen sprach Bände.

„Hast du was bei?“, hörte ich den einen der beiden fragen.

Bei mir gingen sämtliche Alarmglocken an. Ich schlich mich zu einer Stelle, von der aus ich freie Sicht auf die zwei hatte. Anschließend ging ich mit schnellen Schritten Richtung Terrassentür und befand mich kurze Zeit später wieder im Partygetümmel.

Ich schaute mich um, doch weder von Markus, noch von Anke war was zusehen. Dafür konnte ich Niklas und Martin ausfindig machen.

„Habt ihr Markus gesehen?“, schrie ich gegen die laute Musik an.

„Vor einer viertel Stunde oder so. Seit dem nicht mehr. Er sah ein bisschen durcheinander aus.“

Das kam von Martin.

„Was ist denn los?“, fragte Niklas in meine Richtung.

„Tut jetzt nichts zur Sache.“

Ich ließ meine Freunde stehen und bahnte mir weiter einen Weg durch die Menge, als ich Anke auf mich zukommen sah.

„Wo ist er?“, fragte ich sie.

„Er redet mit Sandra, drüben in der Küche. Hör mal, du solltest da jetzt vielleicht nicht rein gehen.“

Ich ignorierte ihre letzten Worte, stürmte in die Küche und beachtete den bitterbösen Blick nicht, der mich von Sandra traf. Markus saß zusammengesunken auf einem Stuhl und weinte. Es tat mir weh, ihn so zu sehen und plötzlich zweifelte ich auch, ob das, was ich jetzt vorhatte, richtig war.

Doch es musste sein. Ich schnappte mir Markus Arm und zog ihn gegen seinen Willen und unter Protest der umstehenden Leute hinter mir her bis in den Garten.

„Lass mich los, was fällt dir eigentlich ein?“, klang sauer Markus´ Stimme hinter mir.

Abrupt blieb ich stehen. Ich zog Markus an mich heran, nahm sein Gesicht in meine Hände und drehte seinen Kopf so, dass er genau in das Gebüsch sah, wo Kai gerade dabei war, sich einen blasen zu lassen. Der war so weggetreten, dass er uns nicht einmal bemerkte. Deutlich konnte ich sein Stöhnen hören.

Ich merkte, wie Markus sich verkrampfte und dann anfing zu zittern. Ich wollte ihn wieder von der Stelle fortziehen, er hatte gesehen, was er sehen sollte, doch er war starr vor Schreck und rührte sich nicht von der Stelle.

Mit sanfter Gewalt schaffte ich es dann aber doch noch, ihn vom Gebüsch fort zu bewegen. Ich schob ihn vor mir her, als er sich auf einmal blitzartig umdrehte und anfing mich unkontrolliert zu schlagen.

„Warum hast du das gemacht, warum…warum…warum“, schrie er, während er mit seinen Fäusten auf meine Brust trommelte.

Ich schnappte mir seine Hände, hielt sie an meiner Brust liegend fest und sah Markus tief in seine glasigen Augen. In dem Moment merkte ich, wie sein Widerstand brach. Er fing hemmungslos an zu weinen und ich schloss ihn in meine Arme.

„Warum?“, wisperte Markus immer wieder leise.

„Es tut mir Leid, Markus, aber ich wusste mir nicht mehr anders zu helfen. Er ist einfach ein Arschloch, bitte begreif das doch.

„Wenn du vorhin nicht ins Bad gekommen wärst, dann…“, fing Markus an, doch ich unterbrach ihn und redete leise auf ihn ein.

„Ach komm, Markus, selbst wenn ich euch vorhin nicht unterbrochen hätte, was meinst du, dann wäre das, was du eben gesehen hast, trotzdem passiert. Er wollte dich doch nur rumkriegen, danach hätte er dich abgeschossen und so was hast du nicht verdient.“

Markus grub seinen Kopf in meine Schulter, ich konnte seinen Atem an meinem Hals spüren und ich fühlte auch seine Tränen. Mir zog es das Herz zusammen, ihn so leiden zu sehen. Wenn es ihm schlecht ging, musste es mir einfach auch schlecht gehen. Es war gar nicht anders möglich.

„Du hast jemand besseren verdient, Markus. Jemanden, der dich wirklich liebt. So wie ich!“

Ich hatte den letzten Satz nur geflüstert und war nicht sicher, ob Markus ihn gehört hatte, aber selbst wenn, er hätte ihn wahrscheinlich nicht verstanden.

„Torben?“

„Ja, Markus?“

„Wieso habe ich immer so ein Pech? Ich will doch nur jemanden haben, der mich lieb hat. Also ich meine, jemanden der mich liebt, mit dem ich kuscheln, küssen und irgendwann halt auch Sex haben kann. Wie soll das gehen, wenn ich immer nur Angst haben muss, dass mich alle verarschen?“, fragte Markus verzweifelt indem er mich anblickte.

„Reiche ich dir denn nicht?“ Mit traurigen Augen sah ich ihn an.

„Aber du bist nicht…“

„Pscht.“ Ich legte Markus einen Finger über die Lippen. „Markus, ich liebe dich.“ Ich ließ meinen Finger sinken und gab ihm einen sanften Kuss auf seine von den Tränen salzig schmeckenden Lippen.

Als ich mich wieder von ihm löste, bemerkte ich, dass Martin und Sandra auf uns zukamen.

„Wir wollen los, kommt ihr mit oder wollt ihr noch bleiben?“

Das war Martin.

„Nein, wir kommen auch mit. Es reicht für heute“, sagte ich zu Martin und an Markus gewandt: „Na komm schon.“

Martin und Sandra guckten erst mich, dann Markus verständnislos an. Jetzt sahen sie auch, dass er geweint hatte.

„Ähm, was ist mit Kai? Muss der auch noch mit?“, fragte Martin irritiert.

„Der kann bleiben, wo der Pfeffer wächst“, kam es mit bebender Stimme von Markus.

Sandra wollte gerade zu einer Frage ansetzen, als sie die Augen weit aufriss und an mir vorbei nach hinten schaute. Ich sah nach hinten und registrierte, wie Kai mit seinem One-Night-Stand aus dem Gebüsch kletterte.

Ich drehte mich wieder um, Sandra sah mich fragend an. Ich sah zurück und sie verstand. Zwischen uns hatte es noch nie viele Worte gebraucht, um den anderen zu verstehen.

„Na komm“, sagte ich leise in Markus´ Richtung, zog ihn noch mal kurz an mich und dann machten wir uns eng umschlungen auf den Weg nach Hause.

MARKUS

Die darauf folgenden Tage waren nicht einfach. Torben kümmerte sich liebevoll um mich und versuchte – so weit es möglich war – mich aufzumuntern. Am Anfang war ich doch noch etwas sauer auf ihn wegen seinem Verhalten auf der Party, doch ich sah schnell ein, dass er es nur gut mit mir meinte.

Am schlimmsten war der Montag nach der Party. Als ich morgens das Klassenzimmer betrat und Kai mit einem breiten Grinsen auf mich zukam. Torben stellte sich jedoch gleich vor mich.

„Was soll das?“, fragte Kai wütend.

„Musst du dich immer in anderen Leuten Angelegenheiten mischen?“

Er guckte an mir vorbei und sah in mein versteinertes Gesicht.

„Markus?“

„Am besten, du verpisst dich jetzt ganz schnell auf deinen Platz, bevor ich mich vergesse“, zischte Torben ihn an.

„Ach, und was ich noch sagen wollte: Das nächste Mal solltest du dir nicht in aller Öffentlichkeit einen blasen lassen.“

Den letzten Satz rief er so laut, dass jeder in der Klasse ihn verstand. Kai lief dunkelrot an, ich wusste allerdings nicht, ob aus Scham oder einfach vor Wut.

Ich seufzte schwer und setzte mich auf meinen Platz. Torben ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen und streichelte mir kurz zur Aufmunterung über den Rücken.

Nach dieser ersten Begegnung mit Kai fiel es mir die darauf folgenden Tage etwas leichter, ihm in der Schule zu begegnen. Ich musste mich halt damit abfinden, immer an die Falschen zu geraten. Die Frage war, ob ich jemals ´den Richtigen´ abbekommen würde.

Zuweilen musste ich an Torbens Geständnis von der Party denken, doch weder er noch ich sprachen das Thema noch einmal an. Er war ja auch ziemlich betrunken an dem Abend und wusste wahrscheinlich gar nicht mehr, was er da gesagt hatte.

Selbst wenn, woher sollte ich wissen, dass er seine Liebe zu mir nicht nur mit einer sehr guten Freundschaft bzw. brüderlichen Liebe verwechselte? Und wenn wir jetzt was miteinander hätten, wie sollte das werden, wenn es nicht gut ging?

Ich durfte ihn einfach nicht als Freund verlieren, dafür war er mir viel zu wertvoll.

Die letzten Nächte hatte sich Torben immer eng an mich gekuschelt, um mich zu trösten, wie er sagte. Wir schliefen nach wie vor in einem Bett und würden daran auch vorerst nichts ändern.

Ich denke, wenn ich dazu bereit gewesen wäre, hätte in dieser Zeit durchaus mehr zwischen uns passieren können als in jener Nacht, wo wir gemeinsam gekommen waren. Doch das einzige, was wir taten, war uns zu küssen und ein bisschen zu streicheln.

Ich hatte immer das Gefühl, dass Torben nur auf ein Signal von mir wartete, um loszulegen. Was ich davon halten sollte, wusste ich allerdings aus oben genannten Gründen wirklich nicht.

Sicherlich wäre es wunderschön, mit ihm zusammen zu sein. Er war super lieb, hatte einen astreinen Körper und war überall beliebt, nicht zuletzt bei meinen Eltern. Eigentlich wäre er perfekt…

„Gehen wir Schwimmen?“, riss mich Torben aus meinen Gedanken.

„Jetzt? Es ist fast 18 Uhr.“

„Ja, und? Als wir neulich da waren, habe ich gelesen, dass es einen Mondscheintarif gibt: Montag bis Donnerstag von 19 bis 22 Uhr zum halben Preis. Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es, bis 19 Uhr da zu sein.“

„Ich weiß nicht, Torben, so richtige Lust habe ich eigentlich nicht.“

„Keine Widerrede, wir gehen jetzt Schwimmen!“, sagte er und zog mich vom Sofa, auf dem ich es mir bequem gemacht und zuletzt über ihn und mich nachgedacht hatte.

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