Der Neue – Teil 1

Kapitel 1

Das Internat lag mitten in der Stadt an einem schönen See und war seit etwa einer Woche von einer schneeweißen, leuchtenden Decke überzogen. Hier waren nur Jungs untergebracht. Ein Flügel für die Jüngeren, der andere Trakt für die Älteren.

Nur noch drei Wochen bis zu den Winterferien. Insgeheim freuten sich alle auf die Ferien. Bis auf Manuel, gerade siebzehn, aber im ganzen Haus bekannt. Mit zwei Abmahnungen des Direktors war er Spitzenreiter im Haus.

Dass er alleine wohnte, war eine Anordnung des Direx. Da Manuel als Einzelgänger galt und bekannt war für seine Ausraster, wollte sowieso niemand mit ihm das Zimmer teilen. Eine Schlägerei, die blutig endete, hatte er auch schon angezettelt.

Bei der dritten Abmahnung würde er fliegen, was vielen Internatsschülern sehr in den Kram passen würde, aber noch war es nicht so weit.

Manuel lag auf seinem Bett und hatte den Kopfhörer auf. Seit er Ärger wegen seiner lauten Musik bekommen hatte, zog er es vor, nur noch mit Kopfhörer zu hören. Hauptsache, man ließ ihn in Ruhe. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Zimmertür sich öffnete.

Direx Meyer kam herein, gefolgt von einem Jungen. Er sah zierlich aus, schwach und unscheinbar. Manuel zog den Kopfhörer ab.

Manuel

„Es tut mir leid Michael, das hier ist das einzige Zimmer, das im Augenblick noch über ein freies Bett verfügt. Aber im Frühjahr haben wir ein paar Abgänge, da können wir sicher etwas regeln.“

Dieser Junge nickte nur.

„Das hier ist Manuel, dein neuer Zimmerkollege. Falls er Ärger machen sollte, wende dich ruhig an mich!“

Mit diesen Worten verschwand Direx Meyer. Na toll, man hinterlässt wieder den besten Eindruck von mir. Meine Laune sank ins Bodenlose Der Junge drehte sich nun zu mir.

„Hallo…, bist du schon lange hier?“

„Das geht dich gar nichts an“, entgegnete ich barsch und murmelte, „der hat mir gerade noch gefehlt.“

„Entschuldige, dass ich gefragt habe, aber ich dachte, wir sollten wenigstens ein bisschen nett zueinander sein, wenn wir die nächste Zeit dieses Zimmer miteinander teilen müssen.“

„Ist ja schon gut. Meine Güte, kannst du nerven. Also mein Name ist Manuel, ich bin siebzehn, gehe in die 11b und habe absolut keinen Bock auf deine Gesellschaft, okay?“

Michael

Mit diesen Worten verließ Manuel das Zimmer, worüber ich sehr froh war, denn von dem Schock mußte ich mich erst einmal erholen. Warum musste ausgerechnet ich zu diesem Monster ins Zimmer kommen? Als ich weiter darüber nachdachte, klopfte es an der Tür und ein anderer Junge in Manuels Alter kam hinein.

„Oh, du bist wohl neu hier?! Da hast du dir ja das richtige Zimmer ausgesucht, wo ist denn der dumme A…?“

„Er ist gerade gegangen, wohin weiß ich nicht, ist mir auch egal. Ich bin übrigens Michael.“

„Hi Michael, ich bin Tobias und mit Manuel in einer Klasse. Hat er sich dir also schon von seiner besten Seite gezeigt?“

„Allerdings, das hat er. Ist er immer so?“

„Ich kenne ihn jetzt seit einem Jahr und ich habe ihn noch nie anders erlebt.“

„Na, das sind ja blendende Aussichten für mich. Sag mal, könntest du mir vielleicht das Internat und mein Klassenzimmer zeigen.“

„Klar, komm mit“

Tobias zeigte mir die ganze Schule. Ich erzählte währenddessen von mir, natürlich auch von meiner ersten Begegnung mit Manuel.

Manuel

Dick eingehüllt in meinen Mantel stand ich in einer vor Lehrern geschützten Ecke und zog schon die dritte Zigarette durch. Irgendwie tat es mir leid, dass ich den Jungen gleich so angefahren hatte, der ja nur nett sein wollte, aber ich konnte einfach nicht aus meiner Haut.

Ich wollte nicht als Weichei gelten und jeder sollte wissen, dass ich hier das Sagen hatte. Aber es würde sicherlich nichts schaden, wenn ich versuchte, etwas netter zu sein, denn ich musste ja schließlich noch eine Weile mit ihm das Zimmer teilen. Zumindest bis ins Frühjahr.

Doch wenn er so war, wie die Anderen, würde das eine eiskalte Zeit im Zimmer geben. Natürlich hätte ich auch gerne jemand, mit dem ich reden oder einfach befreundet sein konnte. Ich drückte meine Kippe aus und ging wieder zu meinem Zimmer… na ja, jetzt wohl unserem Zimmer zurück.

Michael war noch immer mit dem Auspacken beschäftigt, als ich zurückkam. Er sagte nichts, drehte sich nicht mal um, als ich die Tür hinter mir schloss. Sollte ich etwas sagen? Mein Blick fiel auf den Schreibtisch.

Ich hatte ihn komplett in Beschlag genommen. War ja auch keiner da bis jetzt. Ich ging hin und begann zu räumen. Ich setzte meine Sachen schön auf einen Stapel und räumte sogar noch zwei Fächer und eine Schublade leer.

„Du kannst deine Schulsachen hier rein tun, wenn du willst und auf dem Schreibtisch habe ich dir auch etwas Platz gemacht.“

„Danke“, sagte Michael und räumte seine Hefte und Bücher in die Lade.

„In einer viertel Stunde gibt es Essen. Sieh zu, dass du bis dahin fertig bist. Ich gehe schon einmal vor“, sagte Manuel und verschwand.

Als Michael in die Mensa kam, wurde er gleich von Tobias gerufen, sich mit zu ihm und seinen Kumpels zu setzen, was er auch sogleich tat. Na super, gerade zu dem. Meine Laune verschlechterte sich wieder.

Tobias, der Mistkerl, hetzt Michael bestimmt gleich gegen mich auf. Sie haben sich sicher kennengelernt, als ich draußen war. Scheiße, wäre ich doch nicht raus gegangen. Mir war der Appetit vergangen.

Ich brachte mein Tablett zur Ausgabe zurück und versuchte, schleunigst auf mein Zimmer zu kommen. Erst mal drinnen, riss ich das Fenster auf und zog eine Zigarette aus der Hosentasche. Lange zog ich und blies dann den Rauch ins Freie.

Normalerweise war das Rauchen für die siebzehn Jährigen noch nicht gestattet, schon gar nicht auf den Zimmern, aber das war mir egal. Wenn ich erwischt würde… na ja, das wäre dann ein anderes Kapitel.

Gegen 19.30 Uhr kam Michael vom Abendessen wieder und ich rauchte schon an meiner dritten Zigarette.

„Du darfst hier rauchen?“

„Nein, ich darf weder hier, noch woanders auf dem Schulgelände rauchen.“

„Na, dann würde ich es schnell lassen, weil der Direx auf dem Flur herumschleicht.“

Sofort schnippte ich die Zigarette aus dem Fenster und schob einen Kaugummi in den Mund. Fünf Minuten später kam der Direktor wirklich ins Zimmer und fragte, ob Michael sich wohl fühlte und ob er sich schon eingelebt hätte. Dieser bejahte die Frage.

„Hier riecht es aber ganz schön nach Rauch! Manuel, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“

„Er hat keine Schuld daran. Meine Mutter raucht und deshalb stinken meine ganzen Sachen nach Qualm, deshalb habe ich auch das Fenster aufgemacht“, sagte Michael.

„Na, da hast du ja noch mal Glück gehabt, was Manuel?“

Mit diesen Worten verließ der Direktor das Zimmer.

„Danke, du hast mich gerettet“, meinte ich verwundert.

„Schon gut. Hauptsache, du bist jetzt nicht mehr so ausfallend zu mir wie bei meiner Ankunft.“

Ich begann zu lachen.

„Ganz sicher nicht“, entgegnete ich.

Michael begann mir zu gefallen, trotz seines Schwenks zu Tobias.

Kapitel 2

Manuel

Morgens um 7.00 Uhr wurden die Schüler von einem Gong geweckt. Ich hörte ihn fast nicht mehr, da ich den Kopf halb unter dem Kissen hatte. Michael schien schon länger wach zu sein. Das Auf und Ab im Zimmer hatte mich ja geweckt.

Plötzlich rüttelte mich etwas an der Schulter.

„Was ist denn? Ich will noch nicht aufstehen“, brummte ich.

„Aber du mußt. Es gibt gleich Essen und du hast zur ersten Stunde.“

„Woher weißt du das denn?“

„Von deinem Stundenplan auf dem Schreibtisch.“

„Ach Mann, du kannst einem echt alles vermiesen“, brummelte ich und stand auf.

„Wo sind meine Zigaretten?“, fragte ich suchend.

„Du willst doch wohl jetzt nicht rauchen?“, fragte Michael entgeistert.

„Doch, ich rauche immer eine nach dem Aufstehen. Ich mache auch das Fenster auf.“

„Du kannst mich mal. Jetzt wird keine geraucht. Du kommst jetzt mit ins Bad und anschließend gehen wir zum Essen.“

Wow, der Kleine konnte ja richtig dominant sein, das sah man ihm nicht mal an. Ein breites Grinsen machte sich in meinem Gesicht breit.

„Ja, Mami. Also das kann ja echt heiter werden mit dir. Ich glaube, das wird das erste Mal seit zwei Wochen, dass ich mal wieder pünktlich zum Unterricht komme und daran bist du Schuld!“

„Damit kann ich leben“, sagte Michael, seufzte und zog mich hinter sich her. Erst im Duschraum ließ er mich wieder los.

Die anderen schauten uns erstaunt an, gingen aber schnell wieder ihren Beschäftigungen nach. Der ruiniert mir noch meinen schlechten Ruf hier, dachte ich. Also putzte ich artig meine Zähne. Meine Haare machte ich leicht nass, ließ sie aber so kreuz und quer stehen. Ohne ein weiteres Wort mit Michael zu wechseln, ging ich wieder in mein Zimmer zurück, um mich anzuziehen. Michael folgte wenig später.

Ich konnte mir nicht verkneifen, ihn beim Anziehen zu beobachten. Michael war gar nicht so zierlich, wie ich anfangs dachte. Er war eben nur einen ganzen Kopf kleiner als ich. Trotzdem verfügte er über ein breites Kreuz und seine Brustmuskeln waren toll ausgebildet.

Ich wusste schon länger, dass mich Jungs mehr interessierten als Mädchen. Und dieses Prachtexemplar von Kerlchen hatte es mir angetan. Niemand wusste Bescheid und das sollte sich auch nicht ändern. So verkniff ich es mir dann doch, Michael weiter zu beobachten. Ich verstaute schnell meine restlichen Sachen im Schrank.

„Okay, ich verschwinde dann mal in meine Klasse“, meinte ich, schnappte mir meine Sachen und verließ das Zimmer.

Natürlich wurde ich schon komisch angeschaut, als ich noch vor dem Läuten das Klassenzimmer betrat. Ich lief bis nach hinten, wo sich ein einzelner Tisch befand – mein Platz.

Ich hatte mich gerade hingesetzt, als auch schon der Schlüter hereinkam. Er knallte seine Tasche auf sein Pult. Ohne auf das Läuten zu warten, begann er einfach mit dem Unterricht.

„Da habt ihr euch ja mal wieder einen super Bockmist erlaubt“, meinte er und griff nach seiner Tasche.

Shit, die Mathearbeit, an die hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Eben diese zog er nun aus seiner Tasche. Nun gongte es. Schlüter nahm den Stapel und begann, die Arbeiten zu verteilen. Natürlich nicht, ohne zu jeder Arbeit einen Kommentar abzugeben.

Es dauerte eine Weile, bis er dann mich erreichte.

„Es mag dich ehren, Manuel, dass du mal endlich wieder pünktlich zu meinem Unterricht erscheinst. Aber das ändert nichts an der Sechs in deiner Arbeit.“

Zack, das hatte gesessen. In der Klasse wurde gemurmelt, einige grinsten mich sogar fies an.

„Meine Herren, sie brauchen sich nicht über Manuels Leistungen… oder auch Nicht-Leistungen lustig machen. Sie haben allesamt diese Arbeit verhauen. Deswegen werden wir sie noch einmal schreiben.“

Scheiße. Ich starrte auf meine Arbeit. Ich wusste zwar, dass ich nicht gerade die optimalen Lösungswege eingeschlagen hatte, aber ich hatte wenigstens mit einem Vierer gerechnet. Mist, das war die dritte Arbeit, die ich verhauen hatte. Zwei Fünfen und jetzt eine Sechs.

Ich versuchte, mir meine Niedergeschlagenheit nicht anmerken zu lassen und nach der zweiten Stunde ging ich wieder in „mein“ Rauchereckchen, um mich zu beruhigen. Mir kamen die Tränen und ich heulte verschämt.

Die anderen machten sich jetzt sicherlich wieder über mich lustig. Ich steckte mir die nächste Zigarette an und zog kräftig daran. Aus meinem >Versteck< konnte ich gut ans Ende des Internatsgrundstück schauen.

Dort standen wieder die Mädchen der Nachbarschule. Eine gemischte öffentliche Schule, aber nur die Mädchen verirrten sich an unseren Zaun. Ich hatte das Gefühl, dass sie über mich tuschelten und kicherten.

Sie waren jeden Tag da, wahrscheinlich, um das Jungeninternat mit ihrem Anblick zu bereichern. Ich fand das jedenfalls überhaupt nicht lustig. Ich trat die Kippe aus und beeilte mich, wieder ins Gebäude zu kommen, denn die Pause war gleich vorbei.

Die nächsten zwei Stunden hatte ich bei Frau Stein – Geschichte. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, sie konnte ich gut leiden. Sie war immer nett zu mir, trotz meiner ständig schlechten Noten.

Dann war da noch der Direx. Er war zwar sehr streng, doch auch ihn mochte ich gerne. Er hätte mich schon längst vom Internat schmeißen können, aber er tat es nicht. Ich konnte mich in den zwei Stunden überhaupt nicht konzentrieren, dachte unentwegt an die schlechten Noten. Sitzen bleiben konnte ich mir eigentlich nicht leisten, nicht bei dem Vater.

„Kannst du mir sagen, wann Schiller gestorben ist, Manuel?“, fragte Frau Stein. „Manuel?“

„Was? Oh, ´tschuldigung ich hab´ nicht aufgepaßt.“

Nun ging das Gekicher in der Klasse schon wieder los. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich wollte nur noch aus dem Klassenzimmer raus, aber ich durfte mir nichts anmerken lassen. Endlich klingelte es zur vierten Stunde und ich konnte mich auf mein Zimmer zurückziehen. Meine Klasse hatte erst in der fünften Stunde wieder Unterricht, da ein Lehrer krank war.

Kapitel 3

Als ich im Zimmer ankam, lag Michael auf seinem Bett und machte Mathehausaufgaben.

„Was machst du denn schon hier?“, fragte Manuel.

„Ich wohne hier und habe schon Schulschluss. Und, war dein Morgen erfolgreich?“

„Ja.“

Ich wollte Michael nicht auf die Nase binden, dass ich eine Arbeit verhauen hatte. Es wussten schon zu viele über meine Noten Bescheid, ich wollte dies irgendwie von ihm fernhalten. Ich zog meine Schublade auf, drückte die Mathearbeit hinein.

Am späten Nachmittag, als es auch für mich endlich Schulschluss hieß, ging ich ohne Appetit direkt aufs Zimmer. Ich lies mich auf mein Bett fallen und schloss die Augen. Diese Note hätte nicht sein dürfen. Die Tür ging auf.

„He, wo warst du? Keinen Hunger?“

Es war Michael.

„Nein, ich hatte keinen Hunger. Dachte, setze mal eine Mahlzeit aus.“

„Woher kommst du eigentlich, Manuel?“

„Aus Hannover. Und du?“

„Hamburg.“

„Ich glaube, ich gehe jetzt mal eine rauchen. Kommst du mit?“

„Nein, ich möchte das hier noch fertig machen.“

Michael schwenkte seinen Matheblock durch die Luft.

„Was denn, Mathe? Ich hasse Mathe! Tschau.“

Ich ließ Michael einfach sitzen und verließ das Zimmer.

Michael

Manuel ging und ich konnte mich nicht mehr auf meine Aufgaben konzentrieren. Diese Launen von Manuel, an die musste ich mich wirklich erst gewöhnen. Gut, ich war von Tobias und seinen Freunden gewarnt worden, den Umgang mit ihm weitgehend zu vermeiden.

Immer, wenn ich dachte, Manuel ist eigentlich ganz nett, mutierte er zum Arschloch. Irgendetwas war mit meinem Zimmerkollegen. Er benahm sich einfach so komisch. Mir fiel das Blatt ein, das er schnell in seiner Schublade verschwinden ließ. Ich wusste nicht, was mich geritten hatte. Ich stand einfach auf, ging an Manuels Schublade und zog sie auf.

Zum Vorschein kamen ein paar Blätter. Ich studierte sie näher und konnte sie als verschiedene Arbeiten entziffern. Zwei Mathearbeiten, eine Französischarbeit und eine Chemiearbeit, alles schlechte Noten.

Himmel, mit was war ich da in ein Zimmer geraten. Warum hatte er mich angelogen, sein Tag wäre so gut verlaufen. Was ich nicht merkte, war, dass Manuel plötzlich hinter mir stand. Ich drehte meinen Kopf und bevor ich etwas sagen konnte, flog eine Faust in mein Gesicht.

Sofort fing meine Nase an zu bluten und ich ging zu Boden.

„Es tut mir leid, ich wollte nicht schnüffeln.“

Tränen stiegen in meine Augen.

„Das hast du aber“, schrie mich Manuel an.

Er stopfte die Blätter in die Schublade zurück und pfefferte sie zu. Ich hatte das Gefühl, als wollte meine Nase das Gesicht sprengen. Wild pochte sie und ich sah, wie das Blut aufs T-Shirt tropfte.

Irgendwie schaffte ich es, aufzustehen und versuchte, an ein Tempo zu kommen. Noch immer stand Manuel vor mir.

„Komm, ich mach dir das“, meinte er.

Als er seine Hände anhob, zuckte ich ängstlich zurück. Doch er schlug mich nicht, sondern befeuchtete ein Taschentuch und tupfte mir das Blut von der Nase. Ängstlich schaute ich ihn an.

„Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe“, konnte ich leise vernehmen.

Bitte? Was war jetzt los.

„Das wollte ich wirklich nicht…“

„Es war ja meine eigene Schuld, ich hätte nicht an deine Sachen gehen dürfen.“

„Nein, war es nicht. Ich bin ausgetickt, sorry… Scheiße, das tut mir jetzt echt so leid.“

Manuel hatte Tränen in den Augen. Ich wurde nicht schlau aus ihm. Erst benimmt er sich wie das totale Arschloch und nun stand er da und begann zu weinen. Ich hätte ihn ja gerne in den Arm genommen, aber er war ja größer als ich, also wäre das recht schwierig.

„Warum hast du mir nichts gesagt… von der Sechs?“, fragte ich leise, immer noch das Taschentuch an der Nase.

Irgendwie fiel Manuel in sich zusammen. Plötzlich wirkte er nicht mehr so groß, eher klein und zerbrechlich.

„Ich wollte nicht… dass du weißt, was für ein Loser ich bin…“

Wieder trat Manuel näher und nahm mich plötzlich in den Arm.

„Kannst du mir noch mal verzeihen?“, nuschelte er mir in den Kragen.

Es war ein komisches Gefühl, von Manuel umarmt zu werden. Ich war noch nie so von einem Jungen umarmt worden. Nicht, dass es mich jetzt anekeln würde. Mein Körper fühlte sich wie elektrisiert an.

„Versuchen wir das Ganze einfach zu vergessen, okay?“, fragte ich.

Ich spürte, dass Manuel zitterte. Er zitterte am ganzen Körper. Sein Kopf hob sich und ich konnte sehen, wie die Tränen nur so über sein Gesicht liefen. Plötzlich ließ er mich los und stürmte aus dem Zimmer.

Notdürftig versuchte ich, die Sauerei in meinem Gesicht zu beseitigen. Ich griff mir ein neues Shirt aus dem Schrank und zog es über. Meine Nase fühlte sich dick an, aber sie blutete wenigstens nicht mehr.

Dann lief ich Manuel nach. Natürlich war er im Flur nicht mehr zu sehn.

„Spinnt das Arschloch? Er hätte mich fast mit die Treppe hinunter gerissen“, hörte ich einen Jungen rufen.

„Lass ihn, er wird sich sicher ordentlich wehgetan haben, als er die Treppe hinunter fiel. Geschieht ihm Recht!“, hörte ich eine andere Stimme sagen.

Manuel war sicher nach draußen gerannt. Aber bei der Kälte? Shit. Und das alles wegen mir. Ich ging schnell ins Zimmer zurück, zog mir meinen Parka über und griff nach Manuels langem schwarzen Mantel

Ich lief die Treppe hinunter, stieß auf die zwei Jungs, deren Gespräch ich anscheinend hörte. Ohne sie weiter zu beachten, lief ich ebenso zum Ausgang. Eiskalte Luft schlug mir entgegen und ich zog den Kragen hoch.

Da es frisch geschneit hatte, konnte ich eine Spur vom Haus weg entdecken. Sie führte Richtung See, den ich am Morgen gesehen hatte. Mein Schritt wurde schneller, irgendwie hatte ich plötzlich Angst, Manuel könnte sich etwas antun. Vorbei an Büschen und eingeschneiten Tannen folgte ich der Spur.

Hier schien er hingefallen zu sein. Deutlich waren die Abdrücke tiefer im Schnee. Dann, ganz plötzlich, hörte die Vegetation auf und der See tat sich vor mir auf. Ich schaute nach links und nach rechts, konnte aber wegen des wieder einsetzenden Schneefalls nichts erkennen.

Wenn es so weiter schneite, konnte ich bald die Spuren nicht mehr sehen. Plötzlich drang ein Schluchzen an mein Ohr. Ich folgte dem Laut. Es war dunkel, der Schein der Parkleuchten war schwach. Doch der Schnee reflektierte etwas Licht und so konnte ich bald am Rande des Sees eine Gestalt erkennen.

Langsam lief ich darauf zu. Manuel kniete im Schnee, hatte beide Arme um sich geschlungen und schluchzte fürchterlich.

„Manuel?“, sagte ich leise.

Er fuhr zusammen, denn er hatte mich anscheinend nicht kommen hören.

„Geh weg, was willst du mit so einem Loser wie mir… ich bin nichts wert… Dreck… ein Stück Scheiße!“

Ich überhörte einfach die letzten Worte, ging zu ihm hin und zog ihn aus dem Schnee. Ich warf ihm seinen Mantel um und drückte ihn dann an mich.

„Lass mich los!“

Obwohl Manuel ja einen Kopf größer als ich war und stärker schien, lag er kraftlos in meinen Armen.

„Manuel, komm lass uns reingehen. Hier draußen holst du dir den Tod.“

„Das wäre doch eh egal, mich mag keiner… nicht mal meinen Eltern … denen bin ich egal…“

Oha, worauf war ich da gestoßen?

„Rede nicht so einen Scheiß, wir gehen jetzt rein!“

Ohne Widerworte ließ er sich Richtung Internat ziehen. Er ließ sich förmlich von mir schleifen, stolperte laufend, aber irgendwann hatten wir es doch geschafft. Ich war froh, dass uns niemand auf dem Flur begegnete und wir unbeobachtet das Zimmer erreichten.

Im Zimmer ließ ich Manuel erst einmal aufs Bett fallen und atmete tief durch. Mann, war der ein schwerer Broken! Er kauerte sich in Embryostellung und weinte leise weiter. Sollte ich jemanden holen? Und wenn ja, wen?

So wie Tobias erzählte, war Manuel an der ganzen Schule verhasst, die Lehrer mochten ihn nicht. Er sei ein Schläger, rücksichtslos, der gerne Leute terrorisierte, eben ein Arschloch. Von alldem konnte ich nun nicht viel sehen. Ich sah einen erbärmlichen kleinen Haufen Mensch, der zitterte und wie ein kleines Kind wimmerte.

Ich zog erst mal meinen nassen Parka aus und hängte ihn über den Stuhl. Dann stand ich unschlüssig vor Manuels Bett. Ein Stück Scheiße hat er sich genannt… einen Loser… Probleme mit den Eltern.

Manuels Kleidung war nicht billig. Und auch, was hier so im Zimmer stand, hatte einiges gekostet. Also schienen seine Eltern schon Geld zu haben. Vielleicht hatten sie ihn deswegen ins Internat geschickt, weil sie mit ihm nicht zurecht kamen.

Ich beschloss, erst mal Manuel von seinem Mantel zu befreien. Was sich natürlich als schwierigste Aufgabe erwies. Gut, dass ich ihn nur umgelegt hatte, so zog ich ihn mit allen Kräften unter ihm weg.

Geschafft. Manuel war total durchnässt. Ob er sich von mir ausziehen lassen würde? So etwas hatte ich noch nie gemacht. Also machte ich mich zu erst an seine Schuhe. Ohne Gegenwehr ließ Manuel alles über sich ergehen.

Er fühlte sich total kalt an und als ich nun auch noch sein letztes Kleidungsstück vor mir hatte… seine Shorts, schluckte ich erst mal kräftig. Sie war nass… sie musste runter. Ohne weitere Überlegungen anzustellen, zog ich sie einfach herunter und deckte ihn mit seiner Decke zu.

Seine Klamotten hängte ich notdürftig über die Heizung. Mein Blick fiel wieder auf Manuel, der immer noch zitterte und wimmerte. Sollte ich nicht doch jemand holen? Ich wollte aber auch nicht, dass ihn jemand so sah. Also machte ich meine Nachttischlampe an, löschte das Deckenlicht und begann, mich auszuziehen.

Im Fernsehen hatte ich gesehen, dass man auch mit der eigenen Körperwärme jemanden wärmen konnte – wenn jemand so fror natürlich. Also zog ich mich bis auf meine Shorts aus und legte mich vorsichtig zu Manuel ins Bett.

Boah, war der kalt. Widerwillig nahm ich ihn in die Arme, drückte meinen warmen Körper an seinen. Es dauerte eine Weile, bis sich Manuels Körper zu beruhigen schien. Auch war er eingeschlafen, was mir sein gleichmäßiger Atem bestätigte.

Ich weiß nicht, wie viel Uhr es war, aber ein Schrei riss mich aus dem Schlaf. Ich musste mich erst orientieren, um zu wissen, wo ich war. Ach so, ich lag in Manuels Bett, ich hatte ihn nach seinem Zusammenbruch gewärmt.

Nun saß dieser mit weit aufgerissen Augen an die kahle Wand gepresst neben mir.

„Das wollte ich nicht… Michael… oh Gott, was habe ich nur getan…?“, schrie er hysterisch.

Ich verstand nicht, was er meinte.

„Jetzt beruhige dich doch erst mal… komm, leg dich wieder hin“, meinte ich und griff nach seiner Hand.

Wie schon einmal sank Manuel in sich zusammen, lehnte seine Ellenbogen auf die Knie und verbarg sein Gesicht hinter den Händen. Seine Decke rutschte nun völlig von ihm und Manuel saß mit gespreizten Beinen vor mir.

Ich musste schlucken. Erst jetzt sah ich mir Manuels Körper genauer an. Er war… richtig schön. Wenn man das als Junge von einem anderen Jungen sagen konnte. Was dachte ich da überhaupt? Manuel gefiel mir?

Es ließ mich auch nicht kalt, Manuels Schwanz so dicht vor mir zu sehen. Ich spürte, wie sich etwas in meinen unteren Regionen regte.

„Manuel… was ist denn los? Sag doch etwas.“

Sein Gesicht kam wieder hinter seinen Händen hervor und ich setzte mich auf. Sein Blick wanderte über meine Brust und endete an der Decke.

„Das wollte ich wirklich nicht… ich mach das nie wieder… ich verspreche es dir!“

„Manuel, ich steh im Augenblick auf dem Schlauch… ich weiß nicht, was du meinst.“

„Hab ich nicht… ähm bei dir…?“

„Was hast du?“

„Du liegst in meinem Bett… hast nichts an…“

Irgendwie ging eine ganze Ansammlung von Flutlichtern in meinem Kopf an und ich musste grinsen.

„Manuel, ich habe noch meine Shorts an und du bist nur nackt, weil du total durchnässt warst. Ich habe dich ausgezogen und mich dann zu dir gelegt, weil du am ganzen Körper gezittert hast und ich dich wärmen wollte.“

„Es ist wirklich nichts passiert?“

„Was sollte denn passieren? Wir sind zwei Jungs…“

Manuels Kopf wurde hochrot. Was hatte ich da gerade für eine gequirlte Scheiße vom Stapel gelassen? Natürlich wusste ich, was zwei Jungs im Bett machen konnten. Ich hatte zwar auch schon davon geträumt, aber bisher den Gedanken immer wieder verdrängt.

Auch konnte ich nun ein kleines, verlegenes Lächeln auf Manuels Gesicht erkennen. Und er wurde sich seiner Nacktheit bewusst, denn er zog die Decke über seine Beine.

„Duhu Micha… ich glaub, ich muss dir etwas sagen…“

Sein Blick senkte sich wieder und er starrte auf die Decke. Dort lagen unruhig seine Hände.

„Auch auf die Gefahr hin…, dass du jetzt schreiend wegrennst… ich habe mich in dich verliebt… ich bin schwul.“

Erst mal zeigte ich überhaupt keine Reaktion, sagte auch nichts. Das eben gehörte musste ich verdauen. Ich war jetzt siebzehn Jahre alt und eine so genannte Jungfrau. Ja, es hatte sich eben noch nichts ergeben, wobei ich sagen musste, dass ich an Mädchen irgendwie auch noch keinerlei Interesse hatte.

Manuel starrte mich mit großen, erwartungsvollen, aber auch ängstlichen Augen an. Ich kannte ihn erst einen Tag lang, aber ich musste zugeben, dass sich in mir Gefühle entwickelten, die ich bisher nicht kannte.

Sein Kopf senkte sich wieder, aber deutlich konnte ich die Enttäuschung auf seinem Gesicht lesen.

„Hör mal zu, Manuel. Es rührt mich, denn es hat mir noch niemand gesagt, dass er sich in mich verliebt hat. Ja, du hast richtig gehört. Ich bin siebzehn Jahre alt und hatte noch nie eine Freundin, geschweige denn einen Freund.“

Seine blauen Augen funkelten im Schein meiner Nachtischlampe.

„Und auf die eventuelle Frage, ob ich auch schwul bin…, kann ich dir keine Antwort geben…“

Manuel schaute mich immer noch an. Dann näherte sich mir sein Gesicht und ehe ich piep sagen konnte, presste Manuel seine Lippen auf meine. Ich war derart überrascht, dass ich mich nicht wehrte.

Nach ein paar Sekunden sogar, schien mir das zu gefallen, denn ich fand meine Arme um Manuel geschlungen. Sanft drückte er mich weg.

„Danke“, sagte Manuel leise.

„Wofür?“, fragte ich erstaunt.

„Dass du mich nicht zum Teufel gejagt hast.“

Kapitel 4

Trotz dieser Erlebnisse in der Nacht, war ich in mein Bett gegangen und hatte dort den Rest der Nacht verbracht. Richtig schlafen konnte ich sowieso nicht. Am nächsten Morgen stand Manuel mit mir gemeinsam auf, ohne dass ich ihn wecken musste.

Wie am letzten Morgen, lief Manuel diesmal ohne Aufforderung mit mir ins Bad. Während ich aber Zähne putze, stellte er sich unter die Dusche. Er traf wenig später als ich wieder im Zimmer ein.

Er zog sich schnell an und verabschiedete sich kurz mit >Tschau bis später<. Der Tag verlief wie die letzten zwei. Nach Schulschluss Mittagessen. Wieder saß ich am Tisch mit Tobias, während ich Manuel nirgends finden konnte.

Danach waren Hausaufgaben angesagt. Als ich ins Zimmer zurückkam, saß Manuel am Schreibtisch, seinen Kopf in die Hände vergraben. Sanft legte ich meine Hand auf seine Schulter.

„Alles klar bei dir?“

Er schüttelte den Kopf und reichte mir ein Blatt. Chemie – Fünf.

„Ich verstehe das nicht, ich lerne doch immer, bemühe mich, alles richtig zu schreiben.“

Ich setzte mich neben ihn auf meinen Stuhl.

„Und wenn wir beide gemeinsam lernen…, vielleicht kann ich dir helfen, wenn du magst“, schlug ich vor.

Er schaute mich an. Anscheinend hatte er wieder geweint, seine Augen waren feucht und gerötet. Manuel zuckte mit der Schulter.

„Du, das macht mir wirklich nichts aus – ich helfe dir gerne“, bestärkte ich meinen Vorschlag.

Die nächsten zwei Stunden saß ich mit Manuel am Schreibtisch und lernte. Mich wunderte, dass er solches Interesse zeigte, denn bei den Noten dachte ich eigentlich, er wäre nur faul. Mir machte es Spass, wenn er etwas verstand und sich wie ein kleines Kind darüber freute.

Auch wenn er Mathe als schwierig bezeichnete, so blieb er doch mit Feuereifer bei der Sache.

„Morgen will der Schlüter die Arbeit nachschreiben.“

„He, das packst du. Es hat doch alles so gut geklappt.“

„Meinst du wirklich?“

„Wäre doch gelacht, wenn du nicht mindestens eine Vier bekommen würdest.“

„Das dachte ich das letzte Mal auch…“

Abends gegen 20.00 Uhr gingen Manuel und ich in den Fernsehraum, um uns einen Film anzusehen. Außer uns beiden waren noch zwei Jungen im Raum, die aber verschwanden, als sie Manuel sahen.

Wir machten es uns auf dem Sofa gemütlich und sahen den Film an. Irgendwann schlief ich aber ein.

Manuel

Michael war eingeschlafen und sein Kopf fiel auf meine Schulter. Sofort fing es in meinem Bauch an zu kribbeln. Als der Film zu Ende war, nahm ich Michael sanft hoch und trug ihn ins Zimmer.

Ich zog ihn bis auf Unterhose und T-Shirt aus und deckte ihn zu.

„Was machst du mit mir?“, fragte Michael schlaftrunken.

„Du warst eingeschlafen, da habe ich dich ins Bett gebracht.“

„Danke, gehst du jetzt auch ins Bett?“

Noch bevor ich antworten konnte, war Michael wieder eingeschlafen. Ich beobachtete ihn noch eine Weile, bevor ich auch in mein Bett ging. Aber gerade, als ich am wegdösen war, wurde ich von einem Schrei hochgerissen und war wieder hell wach.

Ich schaltete meine Nachtischlampe an und sah zu Michael rüber. Der lag total verschwitzt in seinem Bett und wälzte sich hin und her. Ich sprang aus dem Bett und lief zu ihm hinüber.

„Michael, wach auf, du träumst, Michael.“

„Was…sind…sind sie weg?“

„Michael hier ist keiner, du hast geträumt.“

„Manuel, ich habe so eine Angst gehabt.“

„He, ich bin doch bei dir. Hier passiert dir nichts. Komm, ich drehe mal deine Bettdecke um, die ist total nass.“

„Manuel, ich möchte nicht wieder einschlafen.“

„Was hast du denn geträumt?

Michael drehte den Kopf zur Wand.

„Darüber… kann ich nicht sprechen.“

Na toll, was war das denn nun?

„Du musst mir nichts erzählen, Michael.“

„Ich würde so gerne…, aber ich darf nicht.“

„Du darfst nicht… öhm… hier hört uns keiner.“

„Bitte gib mir Zeit…, okay?“

„Du hast alle Zeit der Welt!“

„Duhu… würdest du bei mir schlafen?“, fragte mich Michael überraschend.

Ich zögerte.

„Na, meinetwegen, aber wir schlafen in meinem Bett, bei dir ist alles feucht!“

Mühsam wickelte sich Michael aus seiner Decke.

„Soll ich dir frische Sachen aus deinem Schrank geben?“, fragte ich.

„Nein…, geht auch so“, antwortete Michael, schlüpfte aus seinen feuchten Sachen und legte sich nackt in mein Bett.

Ich musste hart schlucken und merkte, dass ich diesen Kerl immer mehr liebte.

„Was ist, worauf wartest du noch…?“

„Du hast nichts an…“

„Ja und, du hast gestern vielleicht auch nackt in meinen Armen geschlafen.“

„Ich… ich weiß nicht…“

„Was weißt du nicht?“

„Boah, du bist gut. Da liegt der vielleicht süßeste Junge in meinem Bett – splitter-faser-nackt- und da soll ich ruhig bleiben. Du, ich liebe dich, du bist das Objekt meiner Begierde…“

Ein Grinsen machte sich auf Michaels Gesicht breit.

„Willst du dich jetzt bei mir einschmeicheln oder kommst du jetzt ins Bett, mir wird langsam kalt!“

Der Junge hatte echt Nerven und provozieren konnte er auch. Ich lief also hinüber zu meinem Bett, ließ ebenfalls meine Klamotten fallen und stieg über Michael in mein Bett. Dort kuschelte er sich eng an mich.

Es passierte nichts weiter, denn wir schliefen recht bald ein.

*-*-*

Am nächsten Morgen wurde ich von alleine wach, der Wecker war noch nicht in Funktion getreten. Michael lag immer noch eng an mich gekuschelt in meinem Arm. Ich genoss seine Wärme auf meiner Haut, es fühlte sich so geil an.

Ich blinzelte zum Wecker hinüber und war mit einem Schlag wach.

„Michael wach auf, wir haben verschlafen!“

Er fuhr in die Höhe und wusste erst mal nicht, wo er war.

„Komm, wir müssen raus, die Schule fängt gleich an!“, meinte ich und sprang aus dem Bett.

„Wird schon nicht so schlimm sein“, meinte Michael und räkelte sich im Bett.

„Du erinnerst dich vielleicht daran, dass ich die letzten zwei Wochen immer zu spät zum Unterricht kam. Jedes Mal hatte ich verschlafen. Und jedes Mal kam Frau Stein, um mich aus dem Bett zu werfen.“

„Ups…“

„Ja ups. Wenn sie dich nackt in meinem Bett vorfindet, ist der Teufel los!“

Michael sprang aus dem Bett und rannte auf seine Seite.

„Hast du nicht etwas vergessen?“, fragte ich grinsend.

Fragend stoppte Michael. Er sah so nackt vor mir einfach zum Anbeißen aus.

„Was meinst du?“

„Das!“, sagte ich, ging zu ihm hin und gab ihm einen Kuss.

„Guten Morgen, mein Kleiner!“

Strahlend sah er mich an.

„Morgen, Großer“, meinte er und gab mir seinerseits ebenfalls einen Kuss.

Dann sammelten wir unsere verstreuten Klamotten zusammen und zogen uns endlich an. Gerade noch rechtzeitig, denn plötzlich öffnete sich die Tür.

„Ah, habt ihr die Kurve also doch noch gekriegt“, meinte Frau Stein, die plötzlich in der Tür stand.

„Sorry Frau Stein, wir haben beide verschlafen“, erklärte ich.

„Okay, beeilt euch, damit ihr noch pünktlich zum Unterricht kommt.“

Und schon war sie wieder verschwunden.

„Mann, wenn die früher gekommen wäre“, meinte ich.

„Na und, da hätte sie zwei unheimlich süße Jungs zu Gesicht bekommen“, grinste mich Michael an.

Mittlerweile war ich fertig mit anziehen und schnappte mir meine Schulsachen.

„Hättest du Lust, heute Mittag mit mir ein Eis zu essen?“, fragte ich Michael.

„Ähm… es ist Winter! Ist es nicht etwas zu kalt draußen, um Eis zu essen?

„Wenn du das Eis erst mal probiert hast, wirst du wissen, warum ich dich dazu eingeladen habe.“

„Da werde ich dir wohl blind vertrauen müssen.“

„Ja, wirst du…, also bis später“, meinte ich und verließ auch das Zimmer.

Michael

Gegen Mittag trafen wir uns beim Italiener. Genüsslich zogen wir uns unser Eis rein. Manuel war die letzte halbe Stunde sehr ruhig geworden. Plötzlich fiel mir auch auf, dass seine Augen feucht waren.

„Manuel, was ist denn?“

„Ich habe schon wieder eine fünf. Ich schaff´ das nicht mehr. Frau Stein ist auch schon ganz enttäuscht von mir.“

„Weißt du was, wir gehen jetzt zurück ins Internat und auf dem Weg dahin erzählst du mir alles, o.k.?“

Manuel nickte und sah mich kläglich lächelnd an.

„Michael, ich hab´ dich gern, weißt du das?!“

„Ja, das weiß ich, komm her.“

Ich drückte Manuel an mich und dann gingen wir zurück ins Internat. Dort angekommen, zeigte mir Manuel seine verhauene Geschichtearbeit und fing beinahe wieder an zu weinen.

„Manuel, hab keine Angst, ich werde mit dir lernen.“

„Das bringt doch nichts.“

„Natürlich bringt das was, du mußt nur wollen. Nun legst du dich erst mal hin und schläfst ein wenig.“

„Bitte, Michael, legst du dich zu mir?“

“Nein, ich werde jetzt meine Aufgaben machen und mir dann deine Mathesachen ansehen, ich denke das ist fürs erste wichtiger als Geschichte. Versuch zu schlafen.“

Kapitel 5

Manuel

Als ich aufwachte, war es bereits dunkel draußen. Ich hatte tatsächlich so lange geschlafen. Auf dem Schreibtisch sah ich haufenweise Unterlagen von meinen derzeitigen Mathethemen. Im Moment war Michael nicht im Zimmer, auch sein Bett war noch nicht benutzt, er hatte also allem Anschein nach bis spät Abends über meinen Büchern gesessen, um mir helfen zu können. Gott, was hatte ich mir da für einen lieben und süßen Jungen geangelt? Hatte ich diesmal wirklich Glück?

Ich sah nach, was Michael alles für mich erarbeitet hatte. Eine ganze Menge, einiges verstand ich, vieles aber nicht. Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Als ich einen Stapel auf die Seite tun wollte, fiel etwas zu Boden.

Ich hob es auf und konnte eine Fotografie sehen. Das Foto zeigte Michael mit einem Mädchen. Sie küsste ihn auf die Wange. Warum hatte er dieses Bild? Wer war dieses Mädchen…, er sagte doch, er hätte keine Freundin… so eine Scheiße! War ich doch wieder reingefallen? Hatte ich die Arschkarte gezogen?

Traurig verstaute ich wieder das Foto in dem Stapel und zog mich auf mein Bett zurück. Ich zog meine Klamotten aus und warf sie achtlos auf den Stuhl. Die Zimmertür ging auf und Michael kam leise herein.

„Hi, du bist ja wieder wach, geht es dir besser?“

„Ja, geht schon.“

Ich legte mich wieder in mein Bett und drehte Michael den Rücken zu, damit dieser nicht sah, wie die Tränen sich den Weg aus meinen Augen bahnten. Er wunderte sich sicher, warum ich plötzlich so kurz angebunden war, aber das war mir jetzt egal.

Weniger später hörte ich, wie sich Michael ins Bett legte und das Licht ausging.

Michael

Später, so gegen ein Uhr Nachts wachte ich wieder auf, da ich etwas gehört hatte. Ängstlich versuchte ich, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Plötzlich flammte am Fenster eine kleine Flamme auf. Manuel saß mit dem Rücken zu mir, nur in Boxershorts am offenen Fenster und qualmte wieder.

Ich sah mir das ein paar Minuten an, dann stand ich auf und wollte Manuel fragen, was das mitten in der Nacht sollte. Da ich mich an die geringe Beleuchtung etwas gewöhnt hatte, erkannte ich plötzlich, dass Manuel wieder weinte.

„Kannst du nicht mehr schlafen?“, fragte ich.

Manuel fuhr zusammen, anscheinend hatte er mich nicht gehört.

„Was hast du denn?“, fragte ich weiter.

Manuel sah mir kurz ins Gesicht und sofort liefen ihm wieder Tränen über die Wangen. Er zog noch einmal kräftig an seiner Zigarette, dann feuerte er sie aus dem Fenster.

„Sag mir doch, was los ist.“

Er lehnte sich schluchzend gegen mich, aber ich bekam keine Antwort. Er drückte mich von sich weg und ging wieder in sein Bett. Ich folgte ihm, während er sich zudeckte. Als ich mich zu ihm setzte, legte er seinen Kopf auf meinen Schoss und wimmerte leise weiter.

Sanft strich ich ihm über sein Haar.

„Manu… wenn du mir nicht sagst, was los ist, kann ich dir nicht helfen!“

„Ist doch egal… ist schön wenn du einfach bei mir sitzt…“, hörte ich ihn sagen.

„Ich kann mich auch zu dir legen.“

Manu hob kurz seinen Kopf an und schaute mich an.

„Ich will nicht, dass du aus Mitleid etwas machst, was dir nicht liegt.“

Bitte… was meinte er damit?

„Ich verstehe gerade nicht, was du meinst.“

„Ich habe das Bild gesehen, du brauchst mir also nichts vorzumachen.“

Er drehte mir wieder den Rücken zu.

„Manuel, was meinst du, ich weiß es wirklich nicht.“

„Das Bild auf dem Schreibtisch.“

„Welches Bild?“

„Das Bild, das dich mit einer Tussi zeigt, die dich gerade abschlabbert.“

Ich stand auf, ging zum Schreibtisch und machte die kleine Leuchte an. Das helle Licht veranlasste mich, kurz die Augen zusammenzukneifen, bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte.

Einen Stapel nach dem anderen hob ich an, bis mir plötzlich das Bild entgegen fiel. Plötzlich wurde mir anders zu Mute. Andrea… Das Bild war zwei Jahre alt. Es war das letzte, das von ihr geschossen wurde.

„Das ist meine Schwester…“, meinte ich leise.

Manuel drehte sich langsam um.

„Deine Schwester?“

„Ja, meine Schwester und ich…, vor zwei Jahren.“

„Ach so…“

„Was dachtest du denn?“

„Deine Freundin…“

Jetzt wurde mir einiges klar.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich noch keine Freundin hatte. Wieso hast du mir nicht geglaubt?“

Ich hatte das Licht wieder ausgemacht und war zu Manus Bett zurückgekehrt. Ohne zu fragen, krabbelte ich einfach unter seine Decke und kuschelte mich an ihn.

„Ich…“, begann er leise zu reden, wohl merkend, dass ich hinter ihm lag, „bin einfach zu oft reingefallen… und als ich das Bild sah…, da ist für mich eine Welt zusammengestürzt…, dachte, ich bin wieder aufgelaufen.“

„Ich nehme das jetzt mal nicht persönlich… na ja ich versuche es wenigstens. Aber Manu, keine Sorge, ich habe nicht vor, dich irgendwie zu enttäuschen oder dir weh zu tun. Und wenn so etwas ist, dann rede gefälligst mit mir und zieh nicht so eine Show ab… du machst mir ab und zu Angst.“

„Wieso mach ich dir Angst“, sagte Manuel und drehte sich plötzlich um.

„Ach, ich kenne dich einfach noch zu wenig. Was wissen wir schon voneinander? Du sagst, du bist oft enttäuscht worden, man hat dir wehgetan. Und ich… da gibt es etwas, da kann ich nicht drüber reden… weil ich es für mich immer noch nicht verarbeitet habe…“

„Was hat das dann mit Angst zu tun?“

„Ich weiß nicht, wie du auf mich reagierst, auf das, was ich sage, wie ich mich gebe. Ich könnte etwas falsch machen, dich verletzten und das will ich nicht.“

„Sorry, dass ich dir misstraut habe… das steckt einfach in mir drin…“

Manuels Hand fuhr über meine Brust.

„Du hast Recht, wir müssen uns noch viel besser kennen lernen“, flüsterte er.

„Kein Problem, wir haben alle Zeit der Welt“, flüsterte ich zurück.

Dann spürte ich plötzlich einen Kuss auf meinen Lippen und ich ließ mich in Manuels Umarmung gleiten, versank in seinem Kuss.

*-*-*

Manuel

Am nächsten Morgen küsste ich Michael auf den Mund, um ihn wach zu machen.

„Aufstehen, es ist schon spät“, flüsterte ich ihm ins Ohr.

Er brummte.

„Shit, schon so spät?“

„Viel später!“, grinste ich.

Er wollte aufstehen, um sich etwas anzuziehen, aber ich schnappte seinen Arm und zog ihn wieder in Richtung Bett, so dass er das Gleichgewicht verlor und auf mich drauffiel. Michael legte die Arme um meinen Hals.

„Weißt du, Manu, ich hab nachgedacht, bevor ich eingeschlafen bin. Ich fände es cool, wenn ich dich meinen Freund nenne dürfte. Wollen wir es miteinander versuchen?“

Sprachlos schaute ich ihn an. Wow! Ich zog ihn zu mir herunter und wir beide verschmolzen in einem langen, stürmischen Kuss, bis auf einmal jemand an die Tür klopfte und das Zimmer betrat.

Ich konnte gar nicht so schnell reagieren und so sah mich Frau Stein unter Michael liegen.

„Was ist denn hier los, Michael, du liegst im falschen Bett!“

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