BBT`s Corner – Gedanken einer österreichischen Grübeltante

Da stehen wir nun – gescheitert an Faust II

Es ist eine halbe Stunde vor Mitternacht an einem, mit 35 °C zu den heißesten des Jahres gehörenden, Tag – 23:30 Uhr – und mein Freund und ich werfen das Handtuch. Nach sechseinhalb Stunden wanken wir (ja, wir wanken) aus dem Theater – in die Flucht geschlagen von einer Inszenierung der wohl bekanntesten Tragödie des deutschsprachigen Theaters, die die Grenze zwischen moderner Kunst und einem LSD-Trip mehrfach überschritten hat. Den geneigten Leser, der sich jetzt eine Kritik erhofft, muss ich leider enttäuschen – für eine Kritik fehlt mir Kraft und Motivation. Alles, was ich anzubieten habe, ist ein „Erfahrungsbericht“.

Angefangen hat es mit der Idee, man könne sich doch den Faustmarathon der diesjährigen Salzburger Festspiele anschauen – immerhin haben wir beide damals in der Schule den    Faust I mit weniger Widerwillen gelesen als der typische Schüler (ich traue mich auch hier nicht zugeben, dass er mir eigentlich ganz gut gefallen hat – ich will ja nicht als Streber dastehen ;-)…).

Gesagt, getan. Die Karten werden besorgt, der Anzug in die Reinigung gebracht und Inhaltsangaben gelesen, um die Kenntnis der Handlung aufzufrischen.

Dann ist es soweit – kurz nach dem Mittagessen machen wir uns in meinem, Gott sei Dank klimatisierten, Auto auf den knapp dreistündigen Weg Richtung Salzburg bzw. nach Hallein. Dorthin ist diese Produktion nämlich ausgelagert worden (für die, die es genauer wissen wollen: in die Alte Saline auf der Perner Insel).

Nach nur 40 Minuten Stau auf der Autobahn und immerhin noch eine halbe Stunde zu früh erreichen wir die Spielstätte, und finden überraschenderweise ganz in der Nähe einen Parkplatz.

Dann, im Theater, der erste Schock: Wir sind over-dressed! Mein Freund und ich jeweils im Anzug mit Krawatte, während man Besucher in durchlöcherten Jeans genauso trifft wie junge Pärchen in Shorts und Polo-Shirts. Aber was soll‘s? Für mich gehört seit jeher der Anzug zum Theater. Warum also soll ich für Faust eine Ausnahme machen?

Dann geht es los – das Publikum nimmt Platz und der Regisseur richtet einleitende Worte an die gespannte Menge und erwähnt beiläufig das Vorhandsein einer Kühlung – Erleichterung macht sich breit, denn es beginnt bereits nach fünf Minuten unerträglich heiß zu werden.

Der Regisseur verlässt die Bühne, Spannung beginnt sich aufzubauen und schließlich betritt ein Schauspieler die Bretter, die die Welt bedeuten – in der Hand ein Reclam-Heft. Die ursprüngliche Angst, es würde eine Lesung werden, zerschlägt sich rasch –  er beginnt nun, teilweise im Gespräch mit dem Heft, teilweise mit dem Rücken zum Publikum, die Zueignung und das Vorspiel auf dem Theater vorzutragen. Erste Zweifel was die Inszenierung betrifft, beginnen sich bei mir zu regen. Den „Prolog im Himmel“ spielt er alleine – stellt Gott, Mephisto und die Engel dar, nur unterscheidbar durch verschieden Stimmlagen. Meine Zweifel wachsen.

Doch während der nächsten paar Szenen merke ich, dass ich mich an diese Art der Darstellung gewöhne – mehr noch, es beginnt mir zu gefallen. Doch die Freude währt nur kurz, während der Szene in Faustens Studierzimmer betritt ein weiterer Schauspieler die Bühne und beginnt erneut mit dem Vorspiel auf dem Theater. Mit einem Schlag sind alle meine Zweifel wieder da (mittlerweile sind auch die ersten Leute gegangen).

Das Stück geht weiter, die beiden Darsteller wechseln einander als Faust und Mephisto ab, spielen teilweise gegeneinander an und mein Unbehagen wird immer größer (was nicht nur an der fragwürdigen Inszenierung, sondern auch an der zunehmenden saunaartigen Atmosphäre im Saal liegt – die versprochene Kühlung scheint leider nicht zu funktionieren, oder aber zu schwach zu sein).

Die Inszenierung wird seltsamer und seltsamer – in Auerbachs Keller tritt eine Opernsängerin auf, die Passagen aus Reclams Erläuterungen zum Urfaust (erkennbar an dem grünen Reclam-Heft, dass sie in der Hand hält) schmettert und anschließend, weitersingend, von Statisten von der Bühne getragen wird, während Faust mit einer Discokugel in der Hand reglos auf der Bühne steht.

Die restlichen zweieinhalb Stunden bis zur ersten Pause (und zum Ende der Tragödie erster Teil) vergehen so seltsam, wie die ersten 20 Minuten begonnen haben: Videoprojektionen an die Rückwand der Bühne „unterstützen“ das Stück; eine Schauspielerin tritt auf, die zusätzlich zur Rolle der Gretchen auch fallweise Faust und Mephisto spielt; ganze Szenen werden als Ausdruckstanz dargestellt.

Direkt im Anschluss an Gretchens Tod unser Highlight des Abends: die erste Pause. Eine Stunde lang haben wir Zeit, uns von den geistigen Strapazen der letzten drei Stunden zu erholen.

Der Realist in mir, beginnt sich damit abzufinden, dass, wenn der Theaterabend so weitergeht, wir das große Finale wohl nicht mehr erleben werden – obwohl der Regisseur bei der Begrüßung extra darauf hingewiesen hat, dass die letzten beiden Akte von Faust II noch einmal „richtig gut“ würden. Mein Freund wehrt sich zwar gegen diese Erkenntnis, denn „es könne doch nicht sein, dass uns Faust nicht gefällt! Wir seien ja immerhin keine niveaulosen oder ignoranten Menschen, die sich fragten, warum man sich sowas überhaupt antuen wolle.“ Aber es ist auch ihm anzumerken, dass ihn die Inszenierung bisher mehr verschreckt als überzeugt hat.

Die Pause geht viel zu schnell zu Ende – offenbar haben wir zu lange dabei gebraucht, uns darauf zu einigen, zumindest die nächste Etappe noch abzuwarten. Immerhin hegen wir beide noch kleine Hoffnungen, dass es besser würde.

Doch auch diese Hoffnung zerschlägt sich rasch. Nach einem relativ vielversprechenden Start in den zweiten Teil der Tragödie (der auf eine gewisse Selbstironie hoffen lässt – würde ich merken, dass sich die Inszenierung nicht ganz selbst nimmt, wäre das wohl die Rettung des Abends) gleitet die Inszenierung zunehmend ins Abstruse und Surreale ab. Ich komme mir immer mehr wie in einem beweglichen Bild von Salvador Dali vor – halb erwarte ich, dass sich die Gesichter meiner Nachbarn in Fratzen verwandeln und die Requisiten auf der Bühne zu schmelzen beginnen.

Mephisto beginnt auf einmal Faust mit „Sebastian“ anzureden, dafür wird er von Faust „Josef“ genannt – keiner weiß, warum das Ganze. Ein Statist beginnt live ein Diagramm auf eine Overhead-Folie zu zeichnen, während Mephisto eine Art Wirtschaftsvorlesung rappt – begleitet von als Affen verkleideten Tänzern, die sich mit roter Farbe beschmieren.

Und nun ist der Punkt erreicht, an dem ich mir denke „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ – sofern sich das eigene Niveau an der Bereitschaft misst, sich fürchterliche Inszenierungen anzuschauen, bin ich ab heute – ihr alle seid meine Zeugen – ein Ignorant. Den Rest bekomme ich nur mehr so am Rande mit, weil ich eigentlich nur mehr darauf warte, dass die nächste Pause beginnt.

Eine Szene gegen Ende des zweiten Aktes reißt mich aber nochmal aus meiner geistigen Abwesenheit: Zwei Puppen, die offenbar irgendwelche Philosophen darstellen, unterhalten sich über ein Manuskript von Faust III, das bei Goethes Obduktion in dessen Darm gefunden worden sei. Das daraus entstehende „Was zur Hölle soll das denn?“-Gefühl begleitet mich bis zur nächsten Pause nach weiteren 90 Minuten als moderne Kunst getarnter Folter.

In dieser zweiten Pause sieht auch mein Freund ein, dass es nur Selbstkasteiung wäre, uns den Rest anzusehen und mit dem Gefühl, Kunstbanausen zu sein, verlassen wir den Ort des Geschehens. Und noch während ich mein Vehikel vom Parkplatz lenke, fällt mir ein alter Witz zur Steigerung von Intelligenz ein, der so richtig gut zum heutigen Abend passt:

gescheit – gescheiter – gescheitert

Euer (mental total erschöpfter)

BBT

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3 Kommentare

  1. Davon mal ganz abgesehen, dass ich von Kunst überhaupt keine Ahnung habe und es mich auch nicht sonderlich interessiert, entsetzt mich dein Bericht dann doch, wie die ein Stück so verhauen können.

    Da bin ich dann doch ganz froh, dass ich mich von so etwas eher fern halte.

    Aber es ist ja mit Filmen nicht so sehr viel anders. Hollywood vergeigt ja auch so manche Filme…. (denk da grad an Troja (mit Brad Pitt und Orlando Bloom)) Der Film war wirklich schrecklich. Da hat nichts… aber auch gar nichts gestimmt. Und wenn man sich ein wenig in der griechischen Mythologie auskennt… dann tut man sich diesen Film nicht wirklich an.

    Es tut mir leid für dich, dass das so in die Hose gegangen ist. *knuddel*

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    • heri auf 5. September 2011 bei 09:40
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    Da wendet sich der(zahlende!) Gast mit Grausen. :-((
    M.f.G.
    heri

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      • Blueberrytart auf 5. September 2011 bei 16:25
      • Antworten

      Das kann man allerdings definitiv so sagen, ja ;-)…

      LG
      BBT

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