Hallo Ihr Lieben,
und schon wieder lass ich ein wenig von mir hören, ob Ihrs wollt oder nicht. 😉
Daran schuld ist einzig und allein Gianna, also Beschwerden bitte an sie richten. *fg* Sie hat mich doch tatsächlich zu einem Rollenspiel genötigt. Und was soll ich sagen… irgendwie hat‘s richtig Spaß gemacht. Außerdem hab ich ganz neue Seiten an Gia kennen gelernt.
Wusstet Ihr, dass sie ganz schön rumzicken kann? Und wusstet Ihr weiter, dass, wenn sie so rumzickt, man sie zu Höchstleistungen bringen kann? Ganz ehrlich, ich hatte echt zu tun, da mitzuhalten. Ob was draus geworden ist? Ich denke schon. 😀 Aber lest selbst.
Dann mal schon jetzt viel Spaß Euch beim Lesen und super liebe Grüße
Hyen
PS: @Gianna: Ein dickes, fettes Dankeschön an Dich, meine süße Muse! Ich glaube nicht, dass jemand anderes so viel Geduld mit mir gehabt und mir so viel Inspiration geschenkt hätte, wie Du es getan hast! *Gia mal voll dolle abknutschen und umknuddeln tu*
ELIAS
Mit zusammengepressten Lippen stand ich auf dem Münchner Flughafen und sah mich um. Wie sollte ich bei diesem Treiben etwas mitbekommen? Hier war die Hölle los – was zu erwarten war – hatten die Herbstferien doch gerade begonnen. Hunderte, wenn nicht gar tausende Menschen wuselten hin und her und sehnten sich nach dem Abflug in ein warmes Urlaubsparadies oder in die Berge, um die ersten Tage der Skisaison auszunutzen. Nur ich war nicht zum Vergnügen hier. Weder wollte ich jemanden abholen, noch in die Ferne reisen. Doch ich wünschte es wäre so.
Wir, meine Schwester Elina und ich, waren schon viel zulange nicht mehr gemeinsam verreist. Dabei flog sie sehr gerne und bettelte mich jährlich an, dass wir während ihrer Schulferien doch mal zusammen „abhauen“ könnten. Ich wiegelte jedoch immer ab, da ich lieber alles in der Firma unter Kontrolle hatte. Wenn ich ehrlich war, war das nur der zweite Grund. Vorrangig hatte ich Angst vor zuviel Freizeit. `Vielleicht hätte ich doch nachgeben sollen´, dachte ich jetzt.
Traurig dachte ich an den Morgen vor zwei Tagen zurück, einen Sonntag, als ich verkatert aus dem Bett gekrochen kam und Elina mit ernster Miene am Frühstückstisch vorfand.
„Morgen, mein Schatz“, brummelte ich, beugte mich zu ihr runter und gab ihr einen Kuss auf den Kopf.
„Morgen, du alter Gierlappen.“
Mit hochgezogenen Brauen sah ich sie an, lehnte mich an die Spüle und schüttete mir einen Kaffee ein.
„Jetzt guck nicht so, als verstehst du nichts. Ich konnte euch durch alle Wände hören, wieder einmal!“
„Ups“, sagte ich grinsend und schlürfte an meinem Muntermacher.
Ich wusste, dass es sie rasend machte.
„Nicht `Ups´. Hundertmal habe ich dir schon gesagt du sollst damit aufhören. Ich mag es nicht, wenn du fremde Typen mitbringst.“
„Wie ich dir allerdings hundertmal sagte, ist das ganz allein meine Sache.“ Mein Grinsen verflog, denn ich wusste, was als Nächstes kam.
„Ich mach mir doch nur Sorgen um dich und… naja deine Gesundheit. Warum suchst du dir nicht endlich einen festen Freund. Dann hätte ich auch nichts dagegen, dass Wände wackeln“, versuchte sie die Stimmung wieder aufzulockern.
Das ging jedoch in die Hose, denn bei dem Thema sah ich grundsätzlich rot, obwohl mir natürlich klar war, dass sie es nur gut mit mir meinte.
„Elina, du weißt genau, dass ich keinen Bock auf eine Beziehung habe und ich will dieses Thema nicht immer wieder durchkauen“, fuhr ich sie lauter an als geplant.
„Aber…“
„Schluss jetzt!“ Damit war die Sache für mich erledigt.
„Schön, dann eben nicht.“ Meine Schwester sprang mit Tränen in den Augen – bei ihr ein Anzeichen von Wut – vom Tisch auf und rannte in ihr Zimmer.
„Na der Tag fängt ja prima an“, nuschelte ich.
Appetit hatte ich keinen, so räumte ich den Tisch ab und wusch das gebrauchte Geschirr ab. Dann tat ich die Wäsche in die Maschine – Elina würde sie hoffentlich aufhängen, wenn sie fertig war – und suchte anschließend einige Unterlagen im Büro zusammen, um sie mit in die Firma zu nehmen.
Ja, obwohl Sonntag war, fuhr ich in die Firma. Spricht schließlich nichts dagegen, wenn man sein eigener Chef ist und so konnte man wenigstens mal in Ruhe arbeiten, ohne dass alle 3 Minuten einer der Angestellten was von einem wollte.
Seit knapp 7 Jahren leitete ich einen mittelgroßen Wirtschaftskonzern, der von meinem Vater zu dem aufgebaut wurde, was er heute war. Nachdem ich damals mein BWL-Studium abgeschlossen hatte, schwebte mir eigentlich alles andere vor, als Chef der Firma zu werden, aber das Schicksal wollte es anders.
An einem Samstag waren meine Eltern und Elina im Zoo. Es war super Wetter und sie ließen es sich gut gehen. Auf der Rückfahrt verunglückten sie jedoch. Ein Reifen am Wagen platzte, wodurch er nicht mehr zu halten war die Mittelleitplanke der Autobahn durchbrach. Der Gegenverkehr besorgte den Rest. Unsere Mutter starb noch an der Unfallstelle, Dad kurze Zeit später im Krankenhaus.
Nun blieb mir nur noch Elina, die schwer verletzt auf der Intensivstation lag. Tag für Tag wachte ich an ihrem Bett, wich ihr nicht von der Seite. Nach einer quälenden Woche machte sie endlich zum ersten Mal die Augen auf und war über den Berg. Meine anfängliche Erleichterung wich der Angst, ihr sagen zu müssen, dass unsere Eltern nicht wiederkommen würden. Dass es niemanden mehr gab außer uns beiden.
Doch auch das meisterte ich – irgendwie. Anfangs weinten wir gemeinsam, doch dann riss ich mich zusammen, schließlich musste ich Elina eine Stütze sein. Wahrscheinlich bin ich zu jener Zeit umhergewandelt wie ein Zombie, ich erinnere mich nicht genau und das ist wohl auch besser so. Jedenfalls schlugen wir uns seit jenem Samstag alleine durch und ich übernahm die Firma und natürlich die Vormundschaft für meine Schwester.
Nachdem ich mich auf der Arbeit abgeregt und eine Menge für die kommende Woche vorbereitet hatte, verließ ich den Gewerbekomplex und fuhr zum Schießen, was seit etwa zwei Jahren zu meinen Hobbies zählte. Meine Waffe hatte ich – natürlich ohne Munition – genau wie meinen Waffenschein bei mir.
Dort hielt ich mich bis zum frühen Abend auf und anschließend beschloss ich mir noch schnell einen Quickie zu besorgen, sozusagen zum Abendbrot. Ich fuhr in mein Stammcafé, was eigentlich eher eine Kneipe war, und scannte das Angebot. Viel los war nicht, aber das war um die Zeit kein Wunder. Die meisten würden erst in ein paar Stunden aus ihren Löchern kriechen, machten die richtig guten Gay-Clubs doch erst in ein paar Stunden auf.
Am Tresen fiel mir ein Typ auf, mit dem ich es schon einmal getrieben hatte. Er war nicht meine erste Wahl, aber in Ermangelung einer Alternative nickte ich ihm zu und ging schnurstracks zur Toilette. Es dauerte nicht lange und er kam hinterher. Wir wurden uns schnell einig und eine Viertelstunde später war ich wieder draußen und auf dem Weg nach Hause.
Schon als ich auf den Hof, fuhr beschlich mich ein ungutes Gefühl. Dieses verstärkte sich noch, als ich die Tür aufschloss und ins Haus trat. Irgendetwas stimmte nicht. Es war zu ruhig.
„Elina? Bist du da?“
Keine Antwort.
Ich stellte meine Tasche ab und eilte in ihr Zimmer, natürlich nicht, ohne vorher anzuklopfen. Doch es war leer.
„Elina?“
In der Küche sah ich als nächstes nach, denn hier legten wir Nachrichten auf den Tisch, wenn wir weggingen. Der Tisch war leer!
Durch die Schiebetüren aus Glas sah ich ins Wohnzimmer und stutzte. Die Gardinen hatten sich gerade bewegt oder war das Einbildung? Ein paar Sekunden später stand ich im Wohnzimmer und starrte fassungslos auf den umgeworfenen Couchtisch, die Glasscherben auf dem mit Saft durchtränkten Teppichboden und die ausgehebelte Terrassentür.
„Alles, nur das nicht“, flüsterte ich und fühlte mich einer Ohnmacht nahe.
„Elina?“, brüllte ich überflüssigerweise erneut durchs ganze Haus.
Totenstille!
Innerlich seufzte ich auf, schüttelte die Gedanken an diesen fürchterlichen Abend ab und sah mich um. Es gab klare Anweisungen, die ich einen Tag nach der Entführung per Brief erhalten hatte: „Wenn du deine Schwester lebend wiedersehen willst, bringe 1 Mio Euro in kleinen, nicht nummerierten Scheinen kommenden Mittwoch um 12:00 Uhr in die Ankunftshalle des Münchner Airports. Weitere Anweisungen erhältst du vor Ort. Keine Tricks, keine Polizei!“ Daran würde ich mich halten.
Es war nicht einfach gewesen, das Geld zu beschaffen. Zwar hatten wir viel Vermögen, aber das meiste war langfristig festgelegt und ich kam nicht so ohne weiteres daran. Zumindest nicht, ohne dass ein anderer davon Wind bekam und das galt es zu vermeiden.
Ein Handy klingelte und ich zuckte zusammen, als es in der Innentasche meiner Lederjacke vibrierte. Es war nicht meines, sondern eins, das dem Erpresserschreiben beilag. Nervös fummelte ich an der Tasche herum, bekam das scheiß Handy aber nicht heraus, so dass ich die Tasche kurz abstellte. Endlich gelang es.
„Ja“, meldete ich mich mit, wie ich hoffte, halbwegs normaler Stimme.
„Geh in die Dusche des öffentlichen Bereichs auf Ebene 3 neben Terminal 2. Über der Dusche ist eine Deckenplatte lose, die du hochheben kannst. Dort hinein legst du die Tasche und verschwindest für eine Stunde in die Kirche auf Ebene 4“, ratterte ein Typ mit akzentfreiem Deutsch seinen Text herunter.
„Was ist mit Elina?“, fragte ich. „Wann lasst ihr sie frei?“
„Sobald wir das Geld in Sicherheit gebracht haben.“ Er legte auf.
Genau in diesem Moment wurde ich von einem jungen Bengel fast über den Haufen gerannt. Er rempelte mich ziemlich heftig an, fing sich aber wieder und lief weiter.
„Verdammt!“, fluchte ich und erfasste mit einem Blick meine Tasche, die immer noch an Ort und Stelle stand.
„Tschuldigung“, klang es noch hinter ihm her, doch ich war bereits mit den Gedanken wieder bei meiner Schwester.
Selbstverständlich befolgte ich alle Anweisungen und saß meine Zeit in der Kirche ab. Ich betete und flehte, dass alles glatt ging und ich meine Kleine bald wieder in die Arme schließen könnte.
Doch daraus wurde nichts.
*-*-*
RENÉ
Ich saß in einem riesigen Flugzeug und bewunderte die vielen kleinen, leuchtenden Punkte der Stadt, die ich gerade hinter mir ließ. Zwar war es zweite Klasse, aber ich konnte mir einen Platz am Fenster sichern, was schon viel ausmachte.
Mein Glück konnte ich noch immer kaum fassen. Seufzend lehnte ich mich zurück und genoss das Glas Wasser, welches mir die Stewardess gereicht hatte.
Mit einem Schlag waren all meine Sorgen vergessen. Der Streit mit meinen Eltern, als sie erfuhren, wie pervers ich war und ihr darauffolgender Rausschmiss, der Uniabbruch, weil das passende Kleingeld fehlte, die Sorge, wo ich die Nacht verbringe oder wie ich über den nächsten Tag komme. Alles vergessen.
Ich stellte das Glas weg, machte es mir im Sitz bequem und schloss die Augen. Bilder der letzten Stunden tauchten auf und verschwanden wieder, wie in einem Traum. Das Gesicht dieses Mannes werde ich wohl nicht mehr so leicht vergessen.
Er fiel mir sofort auf, als er den Flughafen betrat. Auf den ersten Blick sah er wie jeder andere aus, normale Alltagsklamotten, braune Lederjacke, nichts Besonderes halt.
Doch ein geübtes Auge erkannte die Markensachen, welche auf alt getrimmt waren. Und wie er sich bewegte, sich durch die Masse pflügte, als schienen ihm alle Platz zu machen. Diese arrogante Ausstrahlung schlug mir regelrecht ins Gesicht. Es war keine Minute später beschlossen. Er wäre der Nächste.
Meine Reisetasche schulternd, setzte ich mich in Bewegung, direkt auf ihn zu. Ich tat so, als wäre ich in Eile und stieß vorher schon ein paar andere Leute an, oder streifte diese. Eigentlich war ich ja nur auf die Brieftasche des Mannes aus, aber als ich erkannte, dass er die gleiche Reisetasche besaß wie ich, entschied ich mich spontan um.
Die Kapuze meines Pullovers über den Kopf ziehend, legte ich noch etwas an Tempo zu, gab vor, jemand anderes auszuweichen und rempelte somit meine Zielperson an.
Die Taschen waren schnell ausgetauscht, schließlich hatte ich darin Übung, und schon war ich, mit einer gehetzten Entschuldigung auf den Lippen, wieder weg, untergetaucht in der Menge.
Mein Herz schlug wie verrückt, dank Adrenalin und Hochgefühl des gelungenen Coups. Ich entfernte mich so weit wie möglich und verschwand in der nächsten Herrentoilette, in einem abschließbaren Abteil. Markenklamotten könnte ich gut im An- und Verkauf verticken und so schnell Bares bekommen.
Doch als ich die Tasche öffnete, verschlug es mir die Sprache. Mit offenem Mund starrte ich die Geldbündel an, welche mir in Mengen entgegen lachten. Wie unter Trance hob ich meine Hand zur Wange und kniff kräftig hinein. Ein Traum war es schon mal nicht. Mit zitternden Fingern zupfte ich einen Geldschein aus einem der Bündel, hielt diesen gegen das Licht und überprüfte somit die Echtheit. Ich musste schlucken, als ich erkannte, dass es wirklich kein Spielgeld war.
Kurz dachte ich zurück an diesen Mann, dem ich die Tasche abgenommen hatte und die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Das war bestimmt ein Drogendealer. Schwarze, lange Haare, zu einem Zopf gebunden, braun gebrannte Haut, dieser leicht suchende Ausdruck in den Augen. Und diese Kälte, die er ausstrahlte… Mich fröstelte es sofort, als ich an die kurze Berührung zurückdachte.
Wenn ich wirklich bei einer großen Übergabe dazwischen gefunkt hatte, musste ich hier sofort weg. Solche Leute waren schließlich nicht gerade für ihre Zimperlichkeit bekannt.
Mein Entschluss war schnell gefasst. In München hielt mich sowieso nichts mehr und ich wollte schon immer einmal groß verreisen. Ich zog rasch meinen Pullover aus und warf ihn achtlos beiseite, schließlich wollte ich so wenig wie möglich auffallen, besonders bei diesem Typen.
Ich kaufte mir das erstbeste Ticket, was zu haben war und rannte zum Terminal. Gerade noch so wurde ich durchgelassen und lief, mit einem kurzen Abstecher im Personalbereich des Flughafens, zum Gate. Endlich zahlte es sich aus, mal bei der Gepäckabfertigung gearbeitet zu haben. Dort konnte ich unauffällig meine Reisetasche durch die Kontrollen schleusen, ohne dass jemand etwas bemerkte.
So saß ich nun in diesem riesigen Airbus Richtung Shanghai und ließ mich von dem klein bisschen Luxus verwöhnen, der mir dargeboten wurde und dachte schmunzelnd an die tiefbraunen Augen des Mannes zurück, der mir in meinem Leben zum ersten Mal etwas Glück brachte.
*-*-*
ELIAS
Nachdem ich die Kirche verlassen hatte, fuhr ich auf direktem Weg nach Hause – und zwar wie eine besengte Sau. Verkehrsregeln kannte ich nicht und zum Glück hielt mich niemand an und es blieb bei einigen wild gestikulierenden und hupenden Verkehrsteilnehmern, die mir die Pest an den Hals wünschten.
Das alles war mir jedoch egal, denn ich war von der Idee besessen, Elina könnte bereits zu Hause sein, wenn ich dort ankam. Doch dem war nicht so. Niedergeschlagen ließ ich mich auf die Couch fallen und legte das Gesicht in meine Hände. Das Chaos im Wohnzimmer hatte ich bis auf den Fleck beseitigt und die Terrassentür war wieder eingehängt und geschlossen.
Seufzend stand ich wieder auf und ging in die Küche. Ein doppelter Whiskey sollte mir helfen bei Verstand zu bleiben und nicht völlig durchzudrehen. Gerade hatte ich das Glas in einem Zug geleert, als erneut das Handy klingelte.
Ich stürzte in den Flur, wo ich meine Jacke auf einen Rattan-Stuhl geschmissen hatte und fummelte es aus der Innentasche.
„Ja? Wo ist Elina? Kann ich sie wo abholen?“, sprudelte es aus mir hervor.
„Soll das ein Witz sein?“, fauchte mich wieder diese unangenehme Stimme von vorhin an.
„Was meinen Sie? Ich verstehe nicht… Sie haben doch das Geld.“
„Findest das wohl lustig, wie? Von wegen Geld, dreckige Klamotten habe ich und nicht die Spur von ´ner Million.“
„Was? Das kann nicht sein“, rief ich panisch. „In der Tasche war eine Million Euro, ich habe sie in der Dusche… oh scheiße!“
In diesem Moment zuckte eine Erinnerung durch mein Hirn. Ein junger Bengel, der mich über den Haufen rannte, die Tasche, die anschließend immer noch auf dem Boden stand.
„Der Typ hat mir die Tasche geklaut“, krächzte ich und ließ mich an der nächsten Wand hinunter gleiten.
„Hör mal zu, ich steh nicht auf Spielchen und deine Schwester muss das ausbaden!“ Der Typ am anderen Ende klang äußerst aggressiv.
„Nein!“, schrie ich und erklärte ihm im Folgenden was auf dem Flughafen passiert sein musste. „Bitte glauben Sie mir, er muss das Geld haben.“
„Dann besorg Neues und zwar schnell!“, polterte er.
Scheinbar war meine Erklärung plausibel. Klar war sie das, schoss es mir durch den Kopf, der oder die Erpresser hatten mich natürlich am Flughafen beobachtet, also musste ihnen auch der Bengel aufgefallen sein.
„Ich kann nicht noch mal so schnell eine Million besorgen. Ein paar Hunderttausend schaffe ich vielleicht aber mehr nicht. An den Rest komme ich nicht ran, es ist alles festgelegt.“
„Das ist nicht mein Problem. Hol es dir halt von dem Taschendieb wieder. Jedenfalls bringst du mir das Geld bis morgen, oder deine Schwester stirbt!“
„Bis morgen kriege ich das nie hin. Wirklich nicht. Wenn ich Glück habe, kann ich bis übermorgen Zweihunderttausend locker machen, mehr habe ich nicht“, keuchte ich in das Telefon.
„Moment mal. Mir kommt da eine Idee, wie ich eventuell herauskriege, wer der Typ ist. Das setzt voraus, dass er geflogen ist… Dann bräuchte ich aber mehr Zeit, um das Geld wieder zu beschaffen.“
„Hör mal, Schwertner, du gehst mir verdammt noch mal auf die Eier! Zweihundertfünfzigtausend bis morgen und die Million später. Alles weitere folgt.“ Er legte auf.
Das durfte alles nicht wahr sein. Tränen stiegen in mir auf und ich heulte wie ich schon seit dem Tod meiner Eltern nicht mehr geheult hatte. Ich musste Elina einfach zurückbekommen, koste es was es wolle.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich beruhigt hatte und wieder klare Gedanken fassen konnte. Ich beschloss, als erstes am nächsten Tag die Kohle aus der Firma zu holen. Das sollte zum Glück gerade noch so machbar sein, auch wenn ich mehr als in der Scheiße stecken würde, sollte das jemals raus kommen.
Eine Sache gab es, die konnte ich an diesem Abend noch erledigen und davon hing alles ab. Würde Heiner mir diesen einen Gefallen tun oder nicht? Heiner, ich kannte ihn vom Schießen, ist Wachmann auf dem Münchner Flughafen. Geschwind suchte ich seine Nummer aus dem Telefonbuch und rief trotz der späten Stunde noch an.
Es dauerte eine ganze Weile bis ich ihm, natürlich ohne die wirklichen Gründe zu nennen, plausibel erklärt hatte, was ich von ihm wollte. Glücklicherweise stimmte Heiner zu, die Überwachungsbilder auszuwerten und mir alles zu sagen, was den Typen betraf. Wenn ich also Glück hatte, würde ich spätestens bis zum nächsten Abend erfahren, wo dieser Typ hingeflogen war und dann Gnade ihm Gott!
Dass es natürlich auch die Möglichkeit gab, dass er nirgends hingeflogen ist, blendete ich aus, denn dann hätte ich faktisch keine Chance zu ermitteln, wer er ist. Mit einer Passagierliste der entsprechenden Maschine sah das schon etwas besser aus.
Am nächsten morgen erwachte ich gerädert am Küchentisch. Sofort, als ich die Augen öffnete, fiel mir Elina wieder ein und es schmerzte fürchterlich. Wie es ihr wohl ging, dort wo sie war? Was sie wohl mit ihr machten? Ob sie überhaupt noch lebte?
`Natürlich lebt sie noch, du Idiot´, dachte ich und haute mit der Hand auf den Tisch, um diesen letzten Gedanken zu verdrängen. Noch einmal würde ich es nicht durchstehen, jemanden zu verlieren.
Ich stand auf und fuhr, ohne zu duschen oder neue Klamotten anzuziehen, in die Firma.
„Na, das scheint ja eine anstrengende Nacht gewesen zu sein“, sagte Birgit, meine Sekretärin, als ich das Vorzimmer meines Büros betrat und zwinkerte mir zu.
Ich setzte ein falsches Lächeln auf und teilte ihr mit, dass ich die nächsten zwei bis drei Wochen von zu Hause arbeiten würde, da ich Ruhe brauchte.
„Mit Elina ist aber alles okay, es ist nur was geschäftliches, oder?“, fragte sie.
„Ja, alles okay. Es könnte sein, dass ich einen genialen Coup für die Firma lande, aber das versuche ich lieber ungestört. Sie kennen mich doch, Birgit. Ab und an laufen die Geschäfte besser, wenn ich mich zu Hause einbunkere.“
„In der Tat“, bestätigte sie lachend. „Dann sage ich alle Termine für die nächsten Wochen ab?“
„Ja, danke.“
Diese Lügen verlangten mir alles ab. Nicht, dass mir lügen schwerfiel, aber die Hintergründe für diese Lügen zermürbten mich immer mehr. Umso besser, dass ich einige Zeit aus der Firma verschwand. So würde niemand misstrauisch.
Nachdem ich das geklärt hatte besorgte ich mir das Geld, ohne nennenswerte Schwierigkeiten. Dann fuhr ich auf direktem Weg nach Hause und ersehnte einen Anruf von Heiner oder eben dem Entführer herbei.
Die Stunden vergingen quälend langsam, bis gegen späten Nachmittag endlich das Handy klingelte. Mein Bekannter war es nicht und die Stimme konnte ich nicht zuordnen. Der Typ sprach mit Akzent, ich tippte auf nahen Osten. Es war klar, dass auch er mit Elinas Verschwinden zu tun hatte.
„Gib mir den anderen“, sagte ich mutig. „Woher soll ich wissen, dass du wirklich dazugehörst.“
Zum Glück nahm er es mit Humor und übergab das Handy an den Mann, mit dem ich am Vortag schon gesprochen hatte.
„Schwertner, du bist schon so ein Fall für sich“, sagte er und fragte dann nach, ob ich das Geld bereits hätte. Nachdem ich das bestätigt hatte, nannte er Zeit und Ort der nächsten Übergabe – sie sollte bereits in der nächsten Stunde stattfinden.
„Ich will mit Elina sprechen. Vorher kriegt ihr gar nichts“, sagte ich so ruhig wie irgend möglich, als er schon im Begriff war aufzulegen.
Es raschelte einige Sekunden am anderen Ende und dann vernahm ich ein Schluchzen im Ohr, das mir fast das Herz zerriss. Ich hätte es unter Tausenden rausgehört.
„Elias? Bitte hol mich hier weg“, sagte sie weinend.
„Das werde ich, Süße! Versprochen. Ich liebe dich.“ Es kostete mich alle Überwindung, die ich in dieser Situation aufbringen konnte, ruhig zu bleiben und nicht selbst los zu heulen.
„Ich lieb´ dich auch“, hauchte sie und schluchzte erneut.
„Meine Fresse, ihr rührt mich ja zu Tränen“, vernahm ich wieder eine männliche Stimme. „Das sollte fürs erste reichen.“ Dann wurde aufgelegt.
Die unterschiedlichsten Gefühle bemächtigten sich meiner. Zum einen war ich froh, die Gewissheit zu haben, dass meine Schwester noch lebte und zum anderen machte ich mir große Sorgen über ihren Zustand.
Doch ich musste versuchen die Ruhe zu bewahren, wenn ich ihr helfen wollte. Alles andere würde ihr nur noch mehr schaden.
Ich rappelte mich auf und fuhr zur Geldübergabe, die diesmal reibungslos klappte, was ich später per Handy bestätigt bekam. Sie wollten sich in den nächsten Tagen wieder melden, um zu erfahren, wie es hinsichtlich der Million aussah.
Es machte mich rasend, dass ich so dämlich war und die Tasche für einen kurzen Moment aus der Hand gegeben hatte. Hätte ich es nicht getan, wäre Elina sicherlich schon wieder frei. Wenn die Erpresser die Geduld verlören, wäre ich ganz alleine Schuld daran, falls ihr was zustieße.
Das Telefon klingelte und ich musste mich einen Moment sammeln bevor ich schnallte, dass es der Festnetzapparat war.
„Schwertner“, meldete ich mich.
Es war Heiner, der mir mitteilte, dass er Erfolg hatte. Ich sollte zu ihm kommen und natürlich ließ ich mir das nicht zweimal sagen. Mein Bekannter hatte ganze Arbeit geleistet und den Weg des Trickdiebes bildlich und lückenlos nachgewiesen.
Inzwischen war ich wieder daheim und breitete die Unterlagen auf dem großen Esstisch im Wohnzimmer aus. Viel war es nicht, aber es reichte für den Anfang. Ich hatte ein paar Ausdrucke von dem Rempler mit mir, dann ein Bild, wo der Typ auf der Toilette verschwindet und anschließend mit meiner Tasche, aber ohne Kapuzenpulli, wieder heraus kommt. Die Statur stimmte auch, also musste er es sein. Weiterhin gab es dann noch einen Druck, auf dem zu erkennen war, dass er sich um 21:25 Uhr in dem Gate befand, wo laut Abflugauskunft ein Flug nach Shanghai gestartet war.
Als ich die letzten zwei Blätter genauer betrachtete, wurde ich ruhig und ich schätze in diesem Moment sah ich sehr zufrieden und mordlüstern zugleich aus. Auf dem einen Blatt war zu sehen, wie der Typ tatsächlich auf dem Flug nach Shanghai eincheckt und auf dem nächsten Blatt gab es eine komplette Passagierliste mit einer handschriftlichen Notiz, dass nur vier dieser Passagiere ihren Flug kurz zuvor direkt am Airport München gebucht hatten. Und dann stand dort noch eine Information, mit der ich nicht gerechnet hatte: `Der Junge hat als Letzter eingecheckt, sein Name ist René Hallwig´. Er war mein Mann und ich würde ihn finden, koste es was es wolle!
*-*-*
RENÉ
Verschlafen rieb ich mir über die Augen und versuchte, richtig wach zu werden. Es war kurz vor 9 Uhr morgens nach deutscher Zeit, also fast 15 Uhr Ortszeit. Der Flieger war ohne Probleme gelandet und ich hatte geschickt meine Tasche erneut durch den Zoll geschmuggelt. So stand ich nun auf dem Pudong International Airport in Shanghai, China und überlegte meine nächsten Schritte.
Zuerst bräuchte ich natürlich ein Hotel, weswegen es mich zur Touristeninformation zog. Zum Glück waren Fremdsprachen schon immer mein Ding, wodurch ich mich in einem guten Englisch verständigen konnte. Ein Hotel im Holiday Inn war schnell gebucht und auf einer Stadtkarte wurden mir die schönsten Sehenswürdigkeiten gezeigt.
Ich kaufte diese und gleich noch eine mit aktuellem Metro Netzwerk, und betrat wenig später den „Maglev“, den Transrapid von Shanghai. Mit 430 km/h raste ich mit der Magnetschwebebahn durch die Innenstadt der Metropole, bis zur Lóngyáng-Straße, einem Außenbezirk Shanghais.
Von dort waren es nur noch wenige Stationen bis zu meinem Hotel, welches keine fünf Minuten von der Longde Road, der Bahnhaltestelle, lag. Natürlich hätte ich mir auch ein Taxi nehmen können, das passende Kleingeld hatte ich ja. Aber ich wollte etwas von Land und Leute sehen und dass ging am besten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Der Typ an der Rezeption sah mich ganz schön pikiert an, wegen meiner abgetragenen Klamotten, aber mir war es total egal. Nach dem ich eine Anzahlung für das Zimmer leisten musste – Frechheit! Die Menschen besitzen einfach kein Vertrauen mehr und lassen sich ständig von Äußerlichkeiten beeinflussen – wurde mir endlich die Zimmerkarte ausgehändigt.
Grinsend schloss ich die Tür von Raum Nummer 408 auf und warf mich jauchzend auf das riesige Bett. Ich konnte es noch immer kaum fassen, dass ich wirklich hier war. Meine Müdigkeit war wie verflogen und von Jetlag nicht die geringste Spur. Ich war viel zu aufgeregt.
Voller Tatendrang holte ich die Infobroschüre hervor, die ich von der Touristeninformation bekommen hatte und suchte mir ein paar Ziele für heute raus. Dann nahm ich mir ein Geldbündel aus der Tasche, stopfte diese anschließend in den abschließbaren Schrank und ging wieder hinunter zur Rezeption. Dort tauschte ich ein paar Euros in die Landeswährung um und ging auf die Straße.
Die Stadt war einfach riesig. Lächelnd ging ich die Wege entlang, betrachtete die großen Bäume, die die Straßen säumten und grinste bei den vielen Fahrradfahrern, welche gemütlich durch die Gegend radelten. Die Häuser waren gigantisch und altertümlich zugleich. Neben westlichen Wolkenkratzern standen kleinere Bauten mit geschwungenen, spitzen Dächern, wie ich sie lediglich aus Mangas oder Animés kannte. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hingucken sollte.
Mein erstes Ziel war der Taipingqiao Park, dessen 52 ha von einer amerikanischen Firma angeblich in lediglich 6 Monaten über eine riesige Tiefgarage gebaut worden war. Diese vielen Bäume, die farbenprächtigen Blumen und der große Teich mit dem Springbrunnen waren echt eine Augenweide – und das mitten in der Stadt!
Es war zwar nicht sonderlich warm, aber auch nicht bitterkalt, weswegen ich mir eine freie Bank suchte und dort gemütlich eine riesige Pizza von Pizza Hut verdrückte. Die kam gerade einmal 44 Y kostete, was ca. 4,66 € entsprach. Da hatte ich endlich Geld und lebte trotzdem sparsam!
Auf meinem weiteren Weg durch die Stadt entdeckte ich einen kleinen Flohmarkt, wo neben etlichen Buddhastatuen sogar ein paar Anziehsachen verkauften. Da ich ja absolut nichts mehr besaß, kaufte ich mir erstmal einen Rucksack, diverse Shirts und Unterwäsche. In einem kleinen Laden, ein paar Straßen weiter, deckte ich mich mit Shampoo, Duschgel, Zahnbürste und noch anderen Kleinigkeiten ein, die Mann so braucht. Natürlich kaufte ich auch eine Kamera. Ohne die ging ja gar nichts.
An dem Tag schaffte ich es gerade noch so zwei verschiedene Tempel zu besuchen, bis es endgültig dunkel wurde und die Besucherzeiten vorbei waren. Dank meines gut ausgeprägten Orientierungssinns und einer Stadtkarte, fand ich gemütlich zu meinem Hotel zurück, aß dort noch eine Kleinigkeit zu Abend und ging dann auf mein Zimmer. Frisch geduscht lag ich im Bett und machte mir für den nächsten Tag erneute Ziele aus, bis schlussendlich doch meine Augen zufielen und ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf hinüber glitt.
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ELIAS
Es hatte mich einige Mühe gekostet, mir in dem ausgebuchten Airbus am nächsten Tag einen Platz zu sichern, doch da ich als geschäftlicher Vielflieger bei der Fluglinie bekannt war, wurde noch ein Plätzchen für mich „gefunden“. Dank der gesammelten Meilen, musste ich wenigstens nicht für die Flüge aufkommen. Elina hatte sich oft beschwert, dass wir dafür schon x-Mal Wochenendtrips nach London, Paris oder Amsterdam hätten machen können, jedoch hatte ich immer abgeblockt.
Während des gesamten Flugs dachte ich an meine Schwester und malte mir erneut alle möglichen Grausamkeiten aus, welche die Männer ihr antun könnten. Folglich kam ich völlig übernächtigt einen Tag später in Shanghai an. Das Gewusel auf dem Flughafen überforderte mich, wie immer, wenn ich in den asiatischen Raum flog. Suchend sah ich mich um und entdeckte einen kleinen Mann, der ein Pappschild mit meinem Namen drauf hochhielt.
Das war also mein Dolmetscher bzw. Handlanger für die Zeit in Shanghai. Ich ging zu ihm herüber und hielt mich nicht lange mit der Begrüßung auf, was zwar unhöflich, mir jedoch scheiß egal war. Schließlich würde ich ihn gut bezahlen und das wusste er, immerhin hatte er schon eine erste Zahlung erhalten.
„Haben Sie die Informationen bekommen, die ich brauche?“, fragte ich, während wir zu seinem Auto gingen.
„Natürlich. Dank Ihrer Großzügigkeit war das kein Problem. Das Personal hier verdient nicht sonderlich gut, ebenso wie die Taxifahrer, da kommt eine kleine Aufstockung den Meisten sehr gelegen. Hier ist die Adresse des Hotels.“ Er gab sie mir. „Soll ich Sie gleich hinfahren?“
Ich nickte, lud mein Gepäck in seinen Kofferraum und stieg ein. Das hatte ja wunderbar funktioniert. Nur noch ein paar Minuten und der Bengel würde nicht mehr wissen wo oben und unten ist.
Die Fahrt ging sehr stockend voran – wie sollte es in der Metropole auch anders sein. Es dauerte geschlagene eineinhalb Stunden, bis wir endlich am Hotel hielten und ich mich vorerst von meinem Informanten verabschiedete. An der Information fragte ich als allererstes nach der Zimmernummer meines „Geschäftspartners“ René Hallwig.
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RENÉ
Am nächsten Morgen wachte ich ziemlich früh, aber trotzdem ausgeruht auf. Es schlief sich wirklich besser, wenn man sich seit langer Zeit endlich einmal keine Gedanken mehr ums Geld machen musste. Gegen 8 Uhr sprang ich förmlich die Treppen hinunter und stapelte mir ordentlich vom Frühstücksbuffet etwas auf meinem Teller. Mit einem mordsmäßigen Appetit verdrückte ich zwei Brötchen mit Marmelade, Honig und Nutella, eine Schüssel Schokomüsli mit Joghurt und einen kleinen Teller voll frischem Obst. Und das alles in weniger als einer halben Stunde. Mir war piepegal was die anderen Leute von mir dachten. Wenn die wie ich Wochenlang kein richtiges Frühstück gehabt hätten, würden die sich genauso wenig zurückhalten.
Beschwingt und gesättigt ging ich den Flur entlang, Richtung Treppe, als ich kurz innehalten musste, da mein Schnürsenkel offen war. Ich kniete mich also hin, um dies zu beheben, als ich durch Zufall ein Gespräch aufschnappte. Jemand telefonierte hinter der angelehnten Tür, vor der ich gerade hockte, und zwar auf Englisch, was meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
„I can´t give you this information. I have a family. I need my job!“ Das war das schlimmste akzentbehaftetste Englisch, was ich mir je anhören musste.
„Okay… How much?“ Der Mann holte tief Luft.
„One moment.“ Papier knisterte. „Ehm… René Hallwig, you mean? Ehm… Yes, he is here. Room number 408. Okay … Bye“
Ich hörte ein Rascheln und wie jemand auf die Tür zuging. Schnell brachte ich mich hinter der nächsten Ecke außer Sichtweite und lief dann bis zu meinem Zimmer. Jemand suchte nach mir und die Frage nach dem wer, war leicht beantwortet.
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ELIAS
„Was soll das heißen? Er hat soeben ausgecheckt und ist auf dem Weg zum Flughafen?“, brüllte ich den Hotelier an, der verschreckt weit hinter den Tresen zurückwich und offensichtlich nach dem Sicherheitsdienst Ausschau hielt. Ich versuchte die Situation zu retten indem ich mich entschuldigte und er schien einigermaßen beruhigt.
„Bitte, wissen sie zufällig wohin er fliegt? Es ist wirklich wichtig, dass er meine Unterlagen bekommt.“
„Natürlich, er hat über uns einen Flug buchen lassen. Er fliegt mit der Air China, Boeing B777-200 um 9:55 Uhr nach Narita, Japan.“
„Danke.“
Hals über Kopf rannte ich mit meinem kleinen Koffer in der Hand wieder nach draußen und pfiff das nächste Taxi heran. Während wir schon fuhren – zumindest so lange, bis der Verkehr sich wieder verdichtete und zum Erliegen kam – telefonierte ich mit meinem Dolmetscher, schilderte ihm kurz die Situation und bat um eine Buchung für eben diese Maschine um 9:55 Uhr.
Einige Minuten später rief er mich zurück und teilte mit, dass der Flug ausgebucht und die Airline trotz Bestechungsversuch weder gewillt war, ihn mitfliegen zu lassen noch, die Maschine zurückzuhalten, falls ich zu spät kommen sollte.
Ich fragte den Taxifahrer, ob er nicht über Umwege schneller zum Ziel käme, aber er teilte mir in grausigem Englisch mit, dass alle Straßen voll seien und wir mindestens eine Stunde brauchen würden.
Es kam noch schlimmer, denn die Stunde war weit untertrieben. Als ich schweißgebadet auf dem Flughafen ankam, teilte mir die große Anzeigetafel in der Halle mit, dass das Boarding für die Maschine mit Hallwig an Bord gerade abgeschlossen war. Kurz darauf konnte ich sie durch die Fensterfront Richtung Startbahn rollen sehn.
„Das darf nicht wahr sein“, fluchte ich und stürzte zum nächsten Schalter, wo ich einem Herzinfarkt nahe für den nächsten Flug buchte.
Da mein Flug erst in 2 Stunden gehen würde, hatte ich genug Zeit, mir in Ruhe – sofern man auf dem Flughafen von Ruhe sprechen konnte – die nächsten Schritte zu überlegen. Für die nächsten 4 Stunden wäre der kleine Scheißer erst mal in der Luft und dort konnte er zum Glück nicht abhauen.
Ich rief erneut meine Kontaktperson aus China an und beauftragte ihn, mir Fotos der Überwachungskamera des Hotels zu besorgen, in dem ich noch vor kurzem an der Rezeption gestanden hatte. Des Weiteren bat ich ihn, den Kontakt zu einem japanischen Detektiv aufzunehmen, der René Hallwig vom ersten Schritt an in Japan beschatten sollte – natürlich gegen gutes Geld.
Nachdem ich dieses Prozedere erledigt hatte, wurde ich endlich ruhiger und so schaffte ich es auch, die Entführer zu beschwichtigen und glaubhaft zu vermitteln, dass ich der Kohle im wahrsten Sinne des Wortes auf den Versen war, als sie einen ihrer täglichen Kontrollanrufe machten.
Sie erlaubten Elina mit mir zu sprechen und sie klang etwas besser als das letzte Mal, auch wenn ich nach wie vor spürte, wie schlecht es ihr ging.
Bevor ich mit dem Einchecken dran war, versuchte ich, ein wenig Schlaf zu bekommen, doch das war unter diesen Umständen kaum möglich. Es war laut, unbequem und stank. Außerdem tauchte das Gesicht meiner Schwester vor mir auf, sobald ich die Augen schloss.
Also verschob ich diese Art der Erholung auf den Flug und siehe da, es klappte. Zwar schlief ich nicht sonderlich lange, nachdem wir ohne Verspätung gestartet waren, aber immerhin etwas.
*-*-*
RENÉ
Es war schon seltsam, wie schnell Dinge sich ändern konnten. Zuerst war ich der brave Mustersohn von Mami und Papi, dann ein perverser Versager, ein Straßenjunge und Dieb, Blitzmillionär und jetzt ein Flüchtling. Wie konnte ich auch nur so naiv sein und wirklich glauben, dass diese Typen nicht nach ihrem Drogengeld suchen würden.
Nachdem ich mitbekommen hatte, wie leicht die Menschen zu bestechen waren, hatte ich meine wenigen Sachen geschnappt, über den Hotelcomputer für Gäste den nächstbesten Flug gebucht und war sofort abgereist.
Das Geld stopfte ich vorher in einen Karton mit ein paar Klamotten von mir und schickte diesen per Post an das Hotel, wo ich unter falschem Namen ein Zimmer reserviert hatte. So blieb mir wenigstens die Schmuggelei auf dem Flughafen erspart.
Ich sah noch zu, wie der Postbote mein Paket mitnahm und auf seinem Roller verschwand, wich einem Taxi aus, das wild hupend den halben Bordstein vor dem Eingang des Hotels mitnahm und lief dann eilig Richtung U-Bahn-Station.
Wieder einmal schaffte ich es kurz vor knapp am Flughafen zu sein und war einer der letzten Passagiere, die eincheckten. Nun saß ich hier, ließ mich von dem Metallkollos Richtung Japan tragen und dachte ernsthaft über meine nächsten Schritte nach.
Dafür hatte ich dieses Mal ordentlich Zeit. Normal betrug die Reisedauer von Shanghai bis Narita/Japan um die vier Stunden. Doch anstatt wie geplant 13:50 Uhr zu landen, zog der Flieger gegen 15 Uhr die x-te Runde um den Flughafen, weil angeblich kein Platz auf der Landebahn war.
Eine weitere geschlagene Stunde später stand ich endlich an der Kasse an einem Kiosk und kaufte mir abermals Stadt- und Buspläne.
*-*-*
ELIAS
Sofort nachdem ich in Narita angekommen war erhielt ich die Info, dass Hallwigs Maschine arge Verspätung gehabt hatte und sich sein Vorsprung zu mir damit verkürzt hatte. Das war schon einmal eine gute Nachricht. Dann war er weiter nach Kyoto gereist und hatte dort das ARK Hotel aufgesucht, ohne jedoch einzuchecken. Scheinbar holte er nur etwas ab und ich konnte mir denken, was das war.
Ich machte mich auf den Weg nach Kyoto und nahm dort den City Bus Nr. 207 zu den Tempelanlagen von Kiyomizu, die mitten im Wald auf einem Berg lagen. Genau diese Route hatte der junge Mann einige Zeit vorher ebenfalls genommen.
Von dem Tempel Kiyomizu-dera hatte Elina mir mal erzählt, soweit ich mich erinnerte. Er gehörte seit vielen Jahren zum UNESCO-Weltkulturerbe und seine Geschichte geht bis zum Jahr 798 zurück. Meine Schwester interessierte sich sehr für die asiatische Kultur und hatte etliches über Japan gelesen. Mich hingegen interessierte der Osten nur mäßig, wobei ich zugeben muss, dass mich dieser Ort wahrhaftig beeindruckte, als ich dort ankam.
Die Menschenmengen, die sich hier hin und her schoben, machten mir etwas Kummer, aber ich bekam eine genaue Ortsbeschreibung, wo sich der kleine Scheißer aufhielt. Und tatsächlich: es dauerte nicht lange, bis ich ihn – per Fernglas – gesichtet hatte. Während ich mich mühsam zu ihm vorarbeitete, behielt ich ihn im Auge soweit das möglich war.
Er schien nervös zu sein, drehte sich nach einiger Zeit immer häufiger unauffällig um und tauchte hin und wieder in Touristengruppen ab. Ein paar Mal dachte ich schon, ich hätte ihn verloren, doch dann tauchte er wieder auf. Hatte er vielleicht mitgekriegt, dass wir hinter ihm her waren? Ich war mir nicht sicher.
Jedenfalls musste ich ihn schnellstens erwischen, bevor er wieder abhaute, was, so wie ich sein Gebärden einschätzte, jederzeit passieren konnte. Kaum hatte ich es gedacht, setzte Hallwig diesen Gedanken in die Tat um und sprintete zum ersten der bereitgestellten Busse zurück in die Stadt.
Ich rannte los und einige Leute über den Haufen, die sich lauthals bei mir beschwerten. Wegen der vielen Menschen auf dem Platz schaffte ich es nicht rechtzeitig und der Bus fuhr ab, bevor ich ihn erreichte. Der Detektiv hatte allerdings mehr Glück gehabt und saß mit drin. Es war also noch alles drin.
Etwa 15 Minuten später saß ich mit etlichen Schulkindern und deren Lehrerinnen in einem weiteren Bus nach unten. Die Fahrt ging leider nicht reibungslos von statten, denn wir mussten uns noch mit einem Reifen herumärgern, der Luft verlor und ewig darauf warten, dass jemand einen Ersatzreifen bringt. Irgendwann am nächsten Morgen war ich endlich in Narita.
*-*-*
RENÉ
Stöhnend ließ ich meinen Kopf kreisen und massierte meinen Nacken. Der kurze Schlaf im Nachtzug von Kyoto zurück nach Narita war echt unbequem gewesen. Und, wenn ich jetzt so zurückdachte, auch total unnötig.
Nachdem der Flieger endlich gelandet war, hatte ich mich in den nächstbesten Zug Richtung Kyoto gesetzt, wo ich einen kurzen Stop im Hotel einlegte, um das Geld und meine restlichen Sachen abzuholen. Dann schaffte ich es sogar, noch rechtzeitig den letzten Rundgang des Tages der absolut genialen Tempelanlagen zu erwischen.
So schön und atemberaubend die Umgebung auch war, genießen konnte ich sie nicht wirklich. Ständig kribbelte es mir im Nacken, als würde mich jemand beobachten und das Gefühl, verfolgt zu werden, konnte ich auch nicht loswerden.
Lächelnd schüttelte ich nun den Kopf über meine total bescheuerten Aktionen, mich unter verschiedenen Touristengruppen zu mischen, im Kreis und Zick-Zack zu laufen, nur um einem Hirngespinst zu entkommen. Zum Schluss legte ich sogar noch einen marathonreifen Sprint zu einem Bus hin und wechselte wild die Linien, damit mich auch ja keiner zu fassen bekäme.
Das Ende vom Lied war, dass ich den Aufenthalt in Kyoto nicht richtig genießen konnte und einfach zurück nach Narita fuhr. Meine Habseligkeiten hatte ich eh dabei, weswegen ich noch nicht einmal große Umwege in Kauf nehmen musste. Für die restliche Nacht nahm ich mir ein Hotel, aber wirklich schlafen konnte ich auch dort nicht.
So verschlug es mich schon beizeiten ins „AEON“ einem riesigen Einkaufszentrum in Narita, wo ich erstmal ordentlich frühstückte. Dann packte ich meine ganzen Sachen in ein Schließfach und begann gemütlich, die zwei riesigen Etagen der Shoppingmeile zu erkunden.
Es war echt der Hammer, was es hier alles gab. Gut, ein paar Läden kannte ich auch schon aus der Heimat, like Tommy Hilfiger oder MC Doof, trotzdem war hier die Atmosphäre eine ganz andere.
Da ich so oder so noch ein paar neue Klamotten brauchte, schlenderte ich gemütlich von Shop zu Shop, kaufte mir hier ein paar neue Jeans und dort ein paar neue Schuhe. Ich stattete mich einmal komplett neu aus, von oben bis unten, bis sich mein Magen knurrend zu Wort meldete. Nach einem kurzen Stopp bei einem Schließfach, steuerte ich also auf die erstbesten Mampfbuden zu. Ich war noch ganz in Gedanken, auf was ich überhaupt Lust hatte, als ich seufzend mein Blick über den Flur schweifen ließ.
Und dann sah ich ihn, genau zur gleichen Zeit, wie er mich entdeckte. Von einer Sekunde auf die nächste wurde mir speiübel und in meinem Körper breitete sich ein unangenehm heißes Gefühl aus, so, als wenn man ertappt wurde und man genau wusste, was einem nun blüht.
Das war er. Eindeutig. Obwohl sein arrogantes Gesicht vor Wut verzerrt war, erkannte ich ohne Zweifel den Typen vom Münchener Flugplatz, dem ich die Tasche voll mit Geld abgenommen hatte. Langsam machte ich zwei Schritte rückwärts, bis er sich endlich in Bewegung setzte und immer schneller auf mich zukam.
Ich geriet völlig in Panik. Hastig drehte ich mich um und stürmte los. Geschickt wich ich den Leuten aus, versuchte Besuchergruppen als Ablenkung zu benutzen, damit man nicht gleich sah, wohin ich rannte und widerstand krampfhaft den Drang, einen Blick über die Schulter nach hinten zu werfen.
Im Prinzip brauchte ich das auch gar nicht. Das Fluchen und böse Schimpfen der Menschen reichte vollkommen aus um zu wissen, dass der Typ mich weiterhin verfolgte. Und wenn ich nicht bald eine Lösung fand, würde der mich auch kriegen. Ich mein, das war nicht das erste Mal, dass ich bei einem krummen Ding erwischt wurde, allerdings hatte ich es bisher auch nicht mit skrupellosen Drogendealern zu tun.
Aus dem Augenwinkel sah ich ein riesiges Werbeschild, für die Touristen sogar auf Englisch geschrieben, welches zu einem Glaskabinett einlud, was über 2 Etagen am Rand des Centers aufgebaut war. Das war die Gelegenheit. Schon beim Frühstück hatte ich mir die Werbung dafür durchgelesen. Es hatte mehrere Ausgänge und war wie ein Labyrinth aufgebaut. Wenn der Typ mich wirklich kriegen wollte, musste er mir folgen, denn woher wollte er wissen, aus welchem Ausgang ich kommen würde.
Geschickt drängelte ich mich an einer Mädchenklasse vorbei, warf dem Kerl am Eingang einen Schein zu, der das Dreifache des Eintrittspreises bemaß und schlüpfte in das Kabinett.
Schon nach wenigen Schritten wurde mir das Ausmaß des Labyrinths bewusst, was mich langsam wieder beruhigte. Dieser Typ musste hier schon alle Scheiben zerschlagen, um direkt an mich ranzukommen und das würde nur zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Dank meines verstorbenen Großvaters, der ein Haus mitten in der Pampa besessen hatte und mit dem ich oft Verstecken spielte, besaß ich einen gut ausgeprägten Orientierungssinn, was mir nun zu gute kam. Ich hatte das Gefühl, gut voran zu kommen, als ich um die nächste Ecke bog und ER auf einmal wieder vor mir stand, mit dem Rücken zu mir.
Erschrocken machte ich ein paar Schritte zurück und donnerte lautstark gegen eine Scheibe. Aufmerksam geworden drehte sich der Typ um und als er mich sah, verdunkelten sich sein Blick noch mehr. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche vor Mordlust sprühenden Augen gesehen.
Wütend wollte er auf mich zustürmen, wurde jedoch seinerseits von einer dicken Scheibe aufgehalten. Wild brüllte der Typ auf, trat und schlug gegen das Hindernis, aber es passierte nicht viel. Sie waren aus stabilem Plexiglas, einige so behandelt, dass man nicht durchgucken konnte, andere klar, aber dennoch sehr standhaft.
Als der Kerl sich etwas beruhigt hatte, trat ich mutig ans Glas heran und legte die gleichgültigste Miene auf, die ich zustande brachte.
„Menschen wie du verdienen nichts Besseres. Ich hoffe du und deines Gleichen verrecken jämmerlich in irgendeiner dreckigen, verpissten Gosse!“
Ich konnte nicht verhindern, dass Abscheu in meiner Stimme mitschwang. Aber ich hatte nun lange genug auf der Straße gelebt, um mit ansehen zu müssen, wie Freunde, wirklich gute Menschen, an Drogen elendig zu Grunde gingen. Es war eine unheimliche Genugtuung, so jemanden eins auswischen zu können.
Doch anstatt dass der Typ noch wütender wurde, wurde er lediglich komplett ruhig. Nur an seiner kreidebleichen Gesichtsfarbe erkannte ich, wie sehr ihn meine Worte mitgenommen hatten. Ganz dicht trat er an die Scheibe heran und fixierte mich mit einem dermaßen kalten Blick, der selbst die Wüste in ein Eismeer verwandelt hätte.
„Wenn ich dich finde, bring ich dich um!“
Kurz sah er mir tief in die Augen, wie um seinen Worte Nachdruck zu verleihen. Dann wandte er sich ab und suchte systematisch nach einem Ausgang.
Ich konnte mich erstmal nicht rühren. War ich denn jetzt wirklich komplett wahnsinnig geworden den noch zu provozieren? Andererseits, warum nicht? Sobald mich der Typ in die Finger bekäme, wäre ich so oder so tot. So hinterließ ich wenigstens noch einen bleibenden Eindruck.
Endlich setzte auch ich mich in Bewegung und fand kurze Zeit später den Ausgang. Bedacht lief ich durch das Kaufhaus, schaute mich immer wieder um, nutzte große Personengruppen als Deckung aus und versuchte, so schnell wie nur möglich zu meinem Schließfach zu kommen.
Doch gerade als ich an einem Gemüseregal vorbei lief, stürzte dieses um, direkt auf mich drauf. Ich hatte noch nicht mal Zeit, darunter vorzukriechen, als ich am Arm gepackt wurde und gleich eine Faust in meinem Gesicht landete.
Keuchend lag ich zwischen Gurken und Tomaten und konnte einen Tritt in meinen Magen gerade noch so abwehren. Dieser psychisch gestörte Drogendealer throne über mir, sein Gesicht zu einer mordlustigen Fratze verzerrt.
„Du bist daran Schuld, dass sie leidet!“, zischte er, bevor abermals Schläge auf mich niederprasselten, von denen ich nur wenigen ausweichen konnte.
„Jetzt werden wir ja sehen, wer hier jämmerlich verreckt, du Pisser!“
Wie ihm Wahn fiel dieser Typ über mich her und ließ meine Gegenwehr von sich abprallen, als wäre ich eine Fliege, die immer und immer wieder gegen das geschlossene Fenster flog. Panisch versuchte ich ihn loszuwerden, schlug und trat um mich, bis mir langsam schwindlig wurde und sich alles zu drehen begann.
Doch kurz bevor ich ohnmächtig wurde, ließ der Typ von mir ab. Kräftige Hände schlossen sich um meine Oberarme und zogen mich auf die Beine. Als ich endlich wieder klar sah, bemerkte ich ein paar Sicherheitsleute des Kaufhauses, die den Drogendealer an beiden Armen gepackt hatten und ihn wild schimpfend hinter sich her zerrten.
So leicht ließ sich der Typ allerdings nicht abführen. Immer wieder bäumte er sich auf, seinen Blick weiterhin auf mich gerichtet und befreite sich ab und an von den Beamten, so dass die Security, die mir aufgeholfen hatte, mit einschreiten musste.
Ich nutzte sofort die Gelegenheit, um sang- und klanglos zu verschwinden. Immer noch zitternd und mit leichter Panik holte ich so schnell wie nur möglich meine Sachen aus den beiden Schließfächern und machte mich sofort auf Richtung Flughafen, wo ich gleich die nächste Maschine nahm.
ELIAS
Wieder einmal im Flugzeug sitzend, leckte ich meine Wunden beziehungsweise versuchte ich, mein angekratztes Ego zu kitten. Da war mir dieser Scheißkerl wegen meiner Doofheit wieder durch die Lappen gegangen. Es war doch klar, dass der Sicherheitsdienst aufmerksam wird und einschreitet, wenn ich mitten im Kaufhaus vor allen Leuten eine Schlägerei anfing.
Ich hätte mich schwarz ärgern können, dass ich die Beherrschung verloren hatte. Als dieser Bengel jedoch vor mir lag, setzte es einfach bei mir aus und dann spukte auch noch der Spruch, den er durch die Glaswand gerufen hatte, in meinem Hirn herum.
„Scheiße“, fluchte ich abermals und eine der Stewardessen sah mich konsterniert an.
Ganze 4 Stunden hatten sie mich im Kaufhaus festgehalten und blöde Fragen gestellt. Am Ende konnte ich mich nur damit aus der Schlinge ziehen, dass ich dem Kaufhaus eine Menge Geld in den Rachen warf. Da René sowieso abgehauen war – mal wieder – hielten die Leute dort diese Variante wohl auch für die vernünftigste. Ach ja, Hausverbot bekam ich auch noch aber mal ehrlich, nach Asien würde ich sicherlich nie wieder reisen. Zu viele schlechte Erinnerungen!
Vielleicht hatte ich Glück und würde Hallwig auf Hawaii endgültig in die Finger kriegen. Noch einmal würde er mir nicht entkommen, soviel stand für mich fest. Da ich mit der Beauftragung einer Detektei in Japan gute Erfahrungen gemacht hatte, setzte ich auf der Insel auf das gleiche Pferd und engagierte wieder entsprechende Leute. Diese teilten mir dank ihrer Kontakte auch relativ schnell mit, dass es diesmal mit Zwischenstopp in Los Angeles nach Honolulu ging. Sie würden den Jungen, wenn er mit der Boeing 767-200 auf dem Airport landete, in Empfang nehmen, ohne dass er es merkte, versteht sich.
RENÉ
Zu Anfang wusste ich wirklich nicht mehr wohin mit mir. Egal wo ich war, ständig fühlte ich mich beobachtet und verfolgt. So kam es, dass ich gegen 11:00 Uhr in Los Angeles landete und dort, keine 3 Stunden später, den nächsten Flieger direkt nach Honolulu, Hawaii nahm.
Und selbst da wähnte ich mich nicht in Sicherheit. In meiner kurzen Zeit auf der Straße hatte ich allerdings einiges gelernt, was Ablenkungsmanöver betraf. So nutzte ich wieder einmal Touristengruppen um abzutauchen, kaufte billige Basekaps, die ich kostenlos an die Leute verteilte, damit viele damit herum liefen, genau wie ich.
Auch wagte ich es nicht mehr, in irgendein Hotel einzuchecken, nicht mal unter anderen Namen, aus Angst, dieser Drogendealer könnte mich dort im Schlaf überraschen.
Dieser durchgeknallte Typ ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Zehn Stunden Flug von Narita nach LA und drei weitere von LA nach Hawaii ergaben genug Zeit, sich sinnlose Gedanken zu machen.
„Du bist daran Schuld, dass sie leidet!“
Diese Worte schallten immer wieder durch mein kleines Hirn und überforderten es total. Was meinte er nur damit? Vielleicht die vielen „armen“ Junkies, die er nicht versorgen konnte? Bestimmt nicht. Dafür waren seine Augen viel zu sehr mit Hass gefüllt. Sein ganzes Verhalten, die Reaktion auf meine Worte, die Prügelei mitten in der Öffentlichkeit, die Inbrunst seiner Schläge… All das wollte einfach nicht zu meinem Bild von einem typischen Drogendealer passen. Er nahm alles viel zu persönlich.
Abermals schüttelte ich meinen Kopf über die Sinnlosigkeit meiner Gedankengänge. Nur Grübeln brachte mich nicht weiter. Wenn ich dieser nervtötenden Verfolgungsjagd ein Ende setzen wollte, musste ich handeln.
Einen Plan hatte ich schnell zusammen. Gut möglich, dass mich dieser abgedrehte Typ mit seinem Wahnsinn ansteckte. Egal, ich hatte auf jeden Fall vor, den Spieß umzudrehen. Und dank dieser dilettantischen Detektive, die „total unauffällig“ hinter mir her schlichen, dürfte das wohl auch kein Problem werden.
ELIAS
Als ich auf Hawaii ankam erwartete mich eine Hiobsbotschaft. Ich wurde von dem Inhaber der Detektei erwartet, der mir mitteilte, dass seine Leute Hallwig im Getümmel verloren hatten.
Ich rastete völlig aus und zwar so sehr, dass der Idiot letztendlich auf seine Kohle verzichtete. In den nächsten Stunden versuchte ich auf eigene Faust den Dieb zu finden, jedoch hatte ich kein Glück. Ich klapperte zig Hotels ab, fragte nach, ob er irgendwo eingecheckt hatte und zeigte sogar sein Foto aber nirgends hatte ich Erfolg.
Es war bereits Abend, als ich völlig entnervt im Marina Tower 1696, Honolulu eincheckte. Dieses Hotel war das letzte, das ich für heute abgeklappert hatte. Nachdem ich meine wenigen Sachen aufs Zimmer gebracht und lange geduscht hatte, ging ich hinunter in die Bar, die schon bei meiner Ankunft eine anziehende Wirkung auf mich gehabt hatte. In den nächsten Stunden wollte ich nur dort sitzen, in Selbstmitleid zerfließen und mir aus lauter Frust einen hinter die Binde kippen.
RENÉ
Mit klopfendem Herzen stand ich vor dem Hotel, in dem ich ihn verschwinden sah. Seid über einer halben Stunde lümmelte ich hier nun herum und traute mich noch immer nicht hinein. ‚Das war echt ein Scheiß Plan‘, schalt ich mich in Gedanken selbst.
Bisher hatte meine ‚Tarnung‘ standgehalten, warum sollte sie jetzt nicht auch funktionieren. Meine hellen Haare waren dunkelbraun getönt und knallgrüne Kontaktlinsen verbargen meine eigentliche Augenfarbe, von meinen schicken Markenklamotten mal ganz abgesehen. Selbst Bräunungscreme hatte ich mir auf die Haut geschmiert. Ich sah aus wie so ein Bürschlein aus einer Boyband. Egal, der Zweck heiligte die Mittel.
Ich musste einfach herausbekommen, warum dieser Typ mich noch immer verfolgte. Wenn er wirklich ein Drogendealer war, wie ich bisher annahm, warum war er dann ganz allein hinter mir her und nicht gleich der halbe Clan? Mal davon abgesehen, dass sein ganzes, bisheriges Benehmen nicht richtig ins Bild passte.
Ein letztes Mal atmete ich tief durch und setzte mich dann endlich in Bewegung. Wenn ich dieser Verfolgungsjagd ein Ende setzen wollte, musste ich zum Löwen in der Höhle.
Die Eingangstür knarrte nach meinem Geschmack viel zu laut, dafür nahm ich die nervige Mainstreammusik aus den veralteten Lautsprechern kaum wahr. Es dauerte eine halbe Minute, bis sich meine Augen an das eigentümliche Zwielicht in der Bar des Hotels gewöhnt hatten. Noch war nicht viel los, was sich aber um diese Tageszeit bald ändern würde.
So lässig wie möglich ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen. Dann sah ich ihn. Er saß am Tresen, starrte in Gedanken versunken vor sich hin und wirkte niedergeschlagen. Sein Erscheinungsbild in diesem Moment war ganz anderes als das, welches ich bisher von ihm in Erinnerung hatte. Nichts deutete mehr auf diese gewisse Überheblichkeit hin.
Unsicher ging ich auf ihn zu und setzte mich direkt neben ihm auf den Barhocker. Klar waren noch mehr Plätze frei aber wer nicht wagt, der nicht gewinnt.
Kurz sah er zu mir herüber, bevor er dem Barmann mit einer Handbewegung zu verstehen gab, dass er noch einen Whisky wollte. Scheinbar beschäftigte er sich schon eine ganze Weile mit seinem Glas, denn die Strichliste, die der Typ hinter der Bar hervorholte, um einen weiteren hinzuzufügen, ließ darauf schließen.
Ich hasste Whisky wie die Pest und trotzdem bestellte ich mir mit einem Wink das Gleiche und prostete dann meinem Sitznachbarn auffordernd zu. Er sprang drauf an, prostete mir ebenfalls zu und kippte das Zeug in einem Zug hinunter.
Natürlich versuchte ich es ihm genauso cool nachzumachen, aber so ein hartes Zeug war ich einfach nicht gewöhnt. Das heftige Kratzen im Hals konnte ich nicht lange ignorieren und so verzog ich das Gesicht und begann laut zu Husten. Mein Nebenmann lachte kurz auf und klopfte mir ein paar Mal auf den Rücken, bis ich mich beruhigt hatte.
„Vielleicht solltest du besser etwas anderes trinken“, schlug er vor und bestellte in perfektem Englisch ein Gesöff, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, was sogleich mit hübschem Hütchen und Strohhalm vor mir drapiert wurde.
Skeptisch musterte ich das Glas mit dem seltsam farbigen Inhalt. Da musste ich wohl oder übel durch. Ich hätte vorher vielleicht etwas Richtiges essen sollen, aber ich war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, diesem Typen hinterher zu laufen. Ein verkrampftes Lächeln aufsetzend, bedankte ich mich bei meinem Gönner und setzte an.
Boar, das Zeug war nicht ohne. Zwar schmeckte es recht süß, doch der Alkohol war trotzdem präsent, wenn auch nur im Hintergrund. Ein Weichmacherdrink also, eher für die Damenwelt gedacht, um sie lockerer zu machen.
Ich tat so, als würde ich den Geschmack auskosten und hob anerkennend die Brauen. „Hm, nicht schlecht“, meinte ich und leckte mir den Zucker von den Lippen.
„Wusste ich es doch!“, sagte er und orderte sich erneut Nachschub. „Du auch noch einen?“ Er wartete meine Antwort nicht ab und entschied für mich. Dann wandte er sich wieder mir zu. „Ich bin übrigens Elias.“
Obwohl man ihm den Alkoholkonsum langsam ansah, strahlten diese tiefbraunen Augen eine Anziehungskraft aus, der man sich kaum entziehen konnte. Kurz schloss ich meine Lider. Das war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt für solche Gedanken.
„Ich bin Re…. afael. Ich bin Rafael.“ Zum Glück war er schon so angeduselt, dass er meinen kleinen Versprecher nicht wahrnahm.
„Rafael also.“ Elias nippte an seinem Glas. „Und Rafael, was hast du heute Abend noch vor?“
Sein Blick wanderte über meinen Körper und blieb den Bruchteil einer Sekunde in meinem Schritt hängen, bevor er mir wieder direkt in die Augen sah.
Die Aufforderung war deutlich. Aber was genau hatte er vor? War ich vielleicht doch erkannt worden und spielte er nun mit mir sein Spielchen, oder war er wirklich genauso „pervers“ wie ich?
Irgendwie konnte ich sein Verhalten einfach nicht einordnen. Bisher war er doch immer so kalt und mordlustig. Es war ungewohnt, ihn so gesprächig und fast schon nett zu sehen. Ein weiterer Grund, vorerst auf das Ganze einzugehen. Ich setzte mein bestes Pokerface auf und lächelte ihn wissend an.
Elias wechselte ein paar Worte mit dem Barkeeper und stand dann etwas unbeholfen auf. Er beugte sich zu mir herüber und sein Gesicht berührte fast meines, als er mir frei heraus zuraunte:
„Wie sieht´s aus, kommst du mit auf mein Zimmer?“
Das ich rot wurde, ließ sich nicht verhindern. Nur hoffte ich, dass es nicht all zu sehr auffiel. Anstatt eine Antwort zu geben, trank ich mein Glas in einem Zug aus und stand auf. Jetzt gab es eh nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder hatte er mich erkannt und es ging mir an den Kragen. Das würde es allerdings auch, wenn ich jetzt weglaufen würde. Oder er wollte einfach nur mit mir poppen.
Letzteres erschien mir interessanter. In seinem Zustand war er mir hilflos ausgeliefert und ich könnte ihm jegliche Informationen entlocken, wenn ich nur den passenden Mut dazu hätte. Ich mein, hässlich sah Elias ja nicht aus. Schon beim ersten Mal, als ich ihn sah, fand ich ihn recht ansehnlich. Wenn er nur nicht so arrogant wäre…
„Also tragen kann ich dich heute nicht mehr“, stellte er lachend fest und nickte mit dem Kopf, was wohl hieß, dass ich ihm nachgehen sollte. Schon hatte er die Bar verlassen.
Mit pochendem Herzen folgte ich ihm und sah gerade noch, wie er die Treppe nach oben nahm. Ich rannte ein kurzes Stück, um ihn einzuholen.
Krampfhaft versuchte ich mir in der Kürze der Zeit einen Plan zurechtzulegen, wie ich ihn dazu bringen könnte, ein wenig zu plaudern. Aber mein Kopf war mit einem Schlag leer.
„Dachte schon, du hättest es dir anders überlegt“, sagte Elias als wir in der ersten Etage ankamen.
Umständlich fischte er seine Hotelkarte aus der Hosentasche und hielt sie unter den Scanner, während ich nicht anders konnte und ihm auf den Hintern glotzte.
Die Zimmertür sprang auf und schon im nächsten Moment wurde ich am Kragen gepackt und hinein gezogen. Elias schloss die Tür mit einem lauten Rums und presste mich dann dagegen, bevor er mir seine Zunge in den Hals schob.
Für eine Sekunde vergaß ich, warum ich eigentlich hier war. Dieser kleine Angriff war zwar etwas heftig, aber absolut heiß. Er schmeckte leicht nach Whisky, doch sein Duft war so betörend wie ein Aphrodisiakum. Zaghaft erwiderte ich das Spiel, genoss dieses wunderbare Gefühl begehrt zu werden. Erst als er begann, an meinen Sachen zu zerren, hielt ich ihn auf.
„Was ist, bin ich dir zu schnell?“, fragte Elias schwer atmend und sah mich mit seinen braunen Augen an.
Was war das nur? Dieses seltsame Gefühl, was ich in mir spürte, als hätte jemand ein Sternchenfeuer in meinem Inneren gezündet. Und alles nur wegen dieses kurzen Augenblicks. Diese Stimme, der warme Atem auf meiner viel zu heißen Haut.
Ich hatte mich ja schon damit abgefunden, dass ich nicht drum herum kam, mit ihm ins Bett zu gehen. Aber müsste ich mich nicht schlecht fühlen? Benutzt? Einer Hure gleich? Doch ich tat es nicht. Was ich gerade empfand, war dafür viel zu gut. Fast schon schüchtern sah ich zu Elias auf und schüttelte leicht meinen Kopf.
„Okay“, hauchte er und küsste mich erneut, zwar immer noch fordernd aber nicht mehr ganz so stürmisch wie vorher.
Er hatte einen Gang runter geschaltet, mir zu liebe, wie ich annahm. Nun schob er mich von der Tür weg, zum Bett hinüber und hörte nicht auf, mich dabei zu küssen. Erneut konnte ich seine Finger an meinen Klamotten zupfen spüren. Er zog mein Hemd aus der Hose, langte aber nicht darunter sondern begann, einen Knopf nach dem anderen zu öffnen, um die freigelegte Haut anschließend mit heißen Küssen zu liebkosen.
Eine kurze Kusspause folgte, in der Elias mich einfach ansah und es schien, als gefiele ihm der Anblick, denn er lächelte kurz und schon hatte seine Zunge den Weg zurück in meinen Mund zu ihrem Gegenstück gefunden.
Auf einmal gab er mir einen leichten Schubs und ich verlor das Gleichgewicht. Jedoch landete ich weich auf dem Bett. Elias zog sein Shirt aus – seiner wahrscheinlich sündhaft teuren Lederjacke hatte er sich schon an der Tür entledigt – und legte sich neben mich.
Wow. In meinem leer gefegten Kopf war nicht mehr viel übrig, als dieses kleine Wort. Dieser kräftige, durchtrainierte Körper neben mir, das leichte Spiel der Bauchmuskeln deutlich sichtbar, raubte mir fast meinen Verstand. Ein letztes Mal versuchte ich dem nachzukommen, weswegen ich eigentlich hier war.
„Bist du hier auf Urlaub oder Geschäftsreise?“, hauchte ich stockend zwischen etlichen Küssen.
Elias kam ein Laut über die Lippen, der sich anhörte wie Lachen und ein genervtes Seufzen zu gleich.
„Hör auf abzulenken, küss mich lieber und lass dich fallen“, säuselte er mir ins Ohr. Mir schwante, dass er nicht zum ersten Mal einen Typen abschleppte. Wieder küsste er mich, nahm meine Hand und schob sie in seinen Schritt, was ihm ein süßes Aufkeuchen entlockte. Wenn ich das richtig deutete, wartete unter dem Jeansstoff ein halbsteifer Schwanz auf mich.
Seufzend schloss ich meine Augen, warf meine Bemühungen über Bord und begann, leicht sein bestes Stück zu massieren.
Mein Bettnachbar tat es mir gleich und legte seine Hand auf meine Hose. Er öffnete sie geschickt, ließ seine flinken Finger unter den Bund zu meinem Hintern gleiten und knetete ihn sanft. Es dauerte nicht lange und ich lag komplett entkleidet neben ihm. Elias zog sich ebenfalls aus und schmiegte sich dann an mich.
„Magst du mich vögeln?“, flüsterte er mir sanft ins Ohr. „Ich glaube meiner kriegt es nicht mehr so recht gebacken.“
Im ersten Moment glaubte ich, mich verhört zu haben. Dieser knallharte Macho erschien mir nicht gerade als der typische Passive. Ich konnte ihn mir eher als den Typ Mann vorstellen, der seinen Partner gnadenlos ran nahm, bis jener weder weiß, wo oben noch unten war. Und nun das.
Seine Körpermitte hingegen unterstütze seinen letzten Satz. Hatte ihm der Alkohol etwa so sehr zugesetzt? Oder lag es an mir? War ich vielleicht nicht geschickt genug? Oder fiel ich bei näherer Betrachtung nun doch aus seinem Beuteschema und er wollte es jetzt einfach nur noch hinter sich bringen? Warum interessierte mich das überhaupt? Es gab sowieso nur einen Grund warum ich eigentlich hier war.
„Komm schon, Rafael, ich brauch das jetzt. Bitte.“ Er sah mich fast schon flehend an. „Außerdem bist du echt süß, ich würde mich gern von dir vernaschen lassen.“
Oh Mann, dieser Kerl brachte mich einfach um den Verstand. Wieder waren meine „guten“ Vorsätze vergessen. Diese tiefbraunen Augen, seine Stimme, dieser kraftvolle Körper so nah bei mir… Mein Gehirn schaltete sich komplett ab.
Ich zog Elias so dicht wir nur möglich an mich heran und küsste ihn so leidenschaftlich, wie ich es lange nicht mehr bei jemanden getan hatte. Langsam wanderte ich hinab zu seinem Hals und übersäte diesen mit etlichen, kleinen Bissen, dann weiter abwärts zu seinen Brustwarzen, die sich vorfreudig aufgestellt hatten. Kurz umschloss ich sie mit meinen Lippen, ließ meine Zunge kreisen und neckte sie mit meinen Zähnen, sodass Elias wohlig aufstöhnte.
Dies stachelte mich nur noch mehr an. Unter vielen, sanften Küssen glitt ich weiter hinab, nahm sein halbsteifes Glied in den Mund und verwöhnte es, bis es etwas mehr anschwoll.
„Oh ja… bitte!“ Elias fuhr mir wild durch die Haare und war kaum mehr zu halten. Allein bei diesem heißen Anblick wäre ich fast gekommen.
Einen kurzen Moment ließ ich von ihm ab, nur um nach meiner Hose zu greifen, ein Kondom hervor zu holen und es mir überzustreifen. Erst wollte Elias mir dabei helfen, doch ich schlug seine Hände grob beiseite und lehnte mich gönnerhaft zurück. Er sollte das Schauspiel genießen, wie ich mich selbst berührte, mir über meinen zu Stein erstarrten Schwanz streichelte.
Fast glaubte ich, er würde mich packen wollen und zu Boden werfen, nur um doch noch über mich herzufallen. Mit einem fiebrigen Blick richtete Elias sich aber auf, drehte sich um und stütze sich mit den Händen an der Wand ab. Es war ein unbeschreiblich geiles Gefühl, ihn so vor mir kniend zu sehen, wie er sich mir darbot.
Allerdings war es noch zu früh, ihn zu erlösen. Um mir eine kleine Pause zu gönnen, streichelte ich über seinen Rücken, bis zu seinem prachtvollen Arsch. Ich kniete mich ganz dicht hinter ihn, knetete seine beiden Backen und biss kräftiger als sonst in seinen Nacken. Elias stöhne laut auf und seine Hände kratzten über die hässliche Tapete, was ein Zeichen dafür war, dass er mehr als nur bereit war.
„Hast du irgendwo Gleitgel?“, fragte ich ihn fast schon zärtlich, worauf er nur sacht mit dem Kopf schüttelte.
„Mach es so“, brachte er lediglich heiser hervor.
Klar zu denken war mir eh nicht mehr möglich, weswegen ich dies rasch akzeptierte. Kurz beugte ich mich hinab, fuhr mit meiner Zunge zwischen seinen Spalt und kostete ihn noch ein wenig aus. Als ich meine Finger befeuchtete, um ihn auf mich vorzubereiten, hielt Elias meine Hand auf.
„Tu es endlich!“, fuhr er mich keuchend an.
Gut. Wenn er es denn so haben wollte. Ich hielt es eh kaum noch aus. Langsam führte ich meinen Schwanz zu seinem Hinterteil, um sacht in ihn einzudringend. Doch kaum dass Elias meine Spitze an sich spürte, griff er nach meinem Becken, hielt es fest und drückte sich mir entgegen.
Die plötzliche Enge um mich, raubte mir fast den Atem. Stöhnend legte ich meine Stirn auf seinen Rücken und versuchte, wieder runterzukommen. Mein Gegenpart jedoch begann sich wieder zu regen, was mir viel zu schnell ging. Ich wischte seine Hand beiseite und hielt sein Becken fest, damit seine Bewegungen ihm nicht mehr viel brachten.
„Wenn ich dich schon vögle, dann auch auf meine Weise, ist das klar!?“
Keine Ahnung woher ich den Mut nahm, so etwas zu jemand anderem zu sagen, aber wie gesagt hatte sich mein Verstand schon lange verabschiedet. Elias nickte knapp, stützte sich wieder mit beiden Händen an der Wand ab und harrte der Dinge, die da auf ihn zukommen würden.
Ich folgte lediglich meinem niederen Instinkt. Langsam glitt ich aus ihm heraus, nur um den Bruchteil einer Sekunde später wieder wild in ihn zu stoßen. Dies tat ich immer wieder und entlockte Elias wunderbar tiefe Laute, die mir durch Mark und Bein gingen.
Leider hielt ich dieses Spiel nicht lange durch. Ich fühlte meinen Höhepunkt stetig näher kommen und als mein Partner sich verkrampfte und seinen Kopf in den Nacken warf, war es auch bei mir soweit. Ich explodierte in mehreren Schüben, bis mir meine Beine zu wackelig wurden und ich mich samt Elias seitlich auf das Bett fallen ließ.
Noch immer in ihm ruhend, küsste ich mit geschlossenen Augen zärtlich seinen Nacken und versuchte, solange es ging diesen Moment zu genießen.
Elias atmete heftig, aber sonst rührte er sich nicht. Das störte mich jedoch gar nicht, denn ich hasste es, wenn man nach dem Sex keine Kuscheleinheiten mehr bekam.
Nach einiger Zeit schreckte ich leicht auf. Da war ich doch tatsächlich für einen Moment weggeduselt. Allerdings konnten es nur einige Minuten gewesen sein, wenn überhaupt. Wir lagen immer noch genauso eng umschlungen auf dem Bett. Elias schlief wohl schon, aber er schien zu frieren, denn er zitterte am ganzen Leib.
Umständlich fingerte ich die Decke heran – die er vor dem Sex glücklicherweise zur Seite geschoben hatte – denn ich wollte vermeiden die Position, in der wir uns gerade befanden aufzugeben. Die ganze Nacht wollte ich so mit ihm liegen bleiben. Langsam zog ich das Daunenbett über unsere Körper und strich Elias anschließend durch seine langen dunklen Haare und über sein hübsches Gesicht.
Die Stirn runzelnd öffnete ich meine Augen und besah mir meine Finger genauer, die ich über die Wange meines Vordermannes gestrichen hatte. Waren die etwa feucht? Auf der Stirn hätte ich ja Schweißperlen erwartet, aber doch nicht dort. Oder waren es etwa… Tränen?
Vorsichtig beugte ich mich über ihn, so dass ich in sein Gesicht sehen konnte. Ich hatte mich nicht getäuscht, er weinte tatsächlich! Was bitteschön war hier nur los? Zuerst mimte er den coolen Geschäftsmann, dann den bösen Gangster, danach den heißen Loverboy, der sich gerne ran nehmen ließ und nun das! Dass ich komplett verwirrt war, war bei weitem untertrieben.
„Ich bin so ein Arschloch!“, schniefte er und versuchte sich abzuwenden.
Doch ich ließ es nicht zu und zwang ihn mich anzusehen. Mit verheulten Augen schaute er mich an. Es sollte wohl trotzig aussehen aber es gelang ihm nicht, dieses Bild zu vermitteln. Dafür sah man zu sehr, dass er litt. Meinem Blick konnte oder wollte er nicht Stand halten. Er schloss die Augen und als er sprach klang seine Stimme hart:
„Ich fasse es nicht. Schleppe dich ab und habe Spaß, während meine Schwester in irgendeinem Loch sitzt und darauf wartet, dass ich sie da raus hole.“ Er schnaubte vor Verachtung sich selbst gegenüber. „Und das alles nur, weil so ein scheiß Bengel das Lösegeld geklaut hat!“
Auf einmal schubste Elias mich von sich herunter, sprang schwankend auf und rannte auf die Toilette, wo er sich geräuschvoll mehrere Male übergab.
Ich blieb vor Schreck erstarrt auf dem Bett sitzend zurück. Nein! Das konnte doch alles nicht wahr sein. Das durfte alles nicht wahr sein! Stück um Stück setzte sich das Puzzle zusammen, machten seine ganzen bisherigen Handlungen auf einmal alle einen Sinn. Er war überhaupt kein Drogendealer, sondern ein besorgter Bruder, der alles für seine Schwester aufs Spiel setzte, um sie zu retten.
Für einen Außenstehenden klang das bestimmt weit her geholt. Und unter anderen Umständen hätte ich ihm diese Geschichte nie abgekauft. Aber so musste ich Elias einfach glauben. Der Mann war am Ende. Und ich trug die Schuld daran.
Nach ein paar Minuten schlurfte Elias aus dem Bad zurück und ließ sich wie ein nasser Sack neben mich aufs Bett fallen. Er heulte nicht mehr, sah aber ansonsten völlig fertig aus. Schwerfällig krabbelte er unter die Decke. Er sah mich an und bemerkte scheinbar, dass es in mir arbeitete.
„Vergiss am besten was ich gesagt habe. Es war nur dummes Zeug. Bleibst du die Nacht hier?“
Ich fragte mich ernsthaft, wie oft dieser Mann mich heute Nacht noch überraschen wollte. Nach all dem hätte ich eher erwartet, dass er mich so schnell als möglich raus warf. Seine Frage war für mich hingegen rasch beantwortet.
„So lange du willst“, sagte ich sanft, legte mich zu ihm und zog ihn abermals so dicht wie nur möglich an mich heran.
Sofort kuschelte er sich an mich und schloss die Augen.
„Danke“, flüsterte er leise und war kurz darauf vor Erschöpfung eingeschlafen.
Obwohl ich mich total ausgelaugt fühlte, bekam ich hingegen nicht ein Auge zu. In meinem kurzen Leben hatte ich ja schon viel Scheiße gebaut, aber das übertraf wirklich alles. Wenn es hart auf hart kam, hatte ich ein Menschenleben auf dem Gewissen. Konnte ich das wirklich verantworten?
Vielleicht klaute ich reich ausschauenden Leute ein bisschen Kohle, aber niemals würde ich jemanden was zu Leide tun, nur um besser dazustehen. Nein, ich konnte hier nicht einfach so verschwinden.
Seufzend schaute ich auf Elias herab und strich ihm eine Haarsträhne aus seinem markanten Gesicht. Unter anderen Umständen wäre ich jetzt ein zufriedener Kerl, der einen heißen Typen abgeschleppt hatte.
Aber jetzt… Jetzt fühlte ich mich einfach nur elend. Ich blickte aus dem kleinen Fenster des noch kleineren Zimmers und sah den Regentropfen zu, wie immer mehr gegen die Scheibe klatschten. Wenigstens passte das Wetter zu meinem Gemüt.
Keine Ahnung, wann ich genau eingeschlafen war, doch am nächsten Morgen weckten mich die ersten Sonnenstrahlen. Elias lag noch immer neben mir auf der Seite und hatte seine Beine leicht angewinkelt. So leise wie nur möglich stand ich auf, suchte meine Sachen zusammen und zog mich rasch an.
ELIAS
Trotz des vielen Alkohols am Vortag erwachte ich überraschend ausgeruht und – was kaum zu glauben war – richtig gut gelaunt. Diese Laune hielt jedoch nur solange an, bis sich Elina wieder in meine Gedanken schlich. Ein weiterer Tag brach an, an dem sie gefangen und nicht bei mir in Freiheit war und ich hasste mich dafür.
Grummelnd rollte ich mich vom Rücken auf den Bauch und warf meinen Kopf in das flauschige Kopfkissen vor mir. Es roch furchtbar gut und ich erinnerte mich an das was am Abend zuvor noch passiert war. Da hatte ich doch tatsächlich einen Typen vernascht. Rafael! Okay, vielleicht hatte er doch eher mich vernascht, aber es war der Hammer gewesen. Wie er mich anfasste und dann fast um den Verstand brachte, bis er endlich in mich eindrang und mich genüsslich fickte.
Zugegeben, zuerst war es nur aus der Situation heraus und weil ich Ablenkung suchte, dass ich ihn von jetzt auf gleich abgeschleppt hatte. Im Nachhinein musste ich mir jedoch eingestehen, dass er mir unheimlich gut gefiel und ich spürte in der Tat einen Anflug von Selbstmitleid, als mir klar wurde, dass er nicht mehr da war, sondern sich einfach davon geschlichen hatte. Okay, das war normalerweise mein Part, also sollte ich mich nicht beschweren.
„Elias, du bist bescheuert!“, sagte ich laut zu mir selbst, nachdem sich mein kleiner regte und Aufmerksamkeit verlangte.
Wütend über meinen Schwanz und meine Gedanken, die eigentlich bei der Widerbeschaffung des Geldes sein sollten, hievte ich mich aus dem Bett hoch – nicht ohne noch einmal eine Prise seines Duftes einzuatmen – und nahm eine eiskalte Dusche. Das mit dem kleinen Elias hatte sich somit erledigt. Blieben die Gedanken die immer mal wieder von Elina zu Rafael abglitten. Das kannte ich gar nicht von mir, dass ich einem ONS hinterher sann. Wie auch immer, irgendwann hielt ich sie in Zaum und überlegte stattdessen weiter, wie ich diesen René nun wiederfinden sollte. Eine Lösung fand ich jedoch nicht.
Obwohl ich keinen Hunger hatte, beschloss ich eine Kleinigkeit zu essen, denn es half Elina nicht, wenn ich irgendwann vor Nahrungsmangel zusammenbrach. Also quälte ich mir im Frühstücksraum etwas Obst hinunter und trank einen Kaffee. Dann wollte ich zurück auf mein Zimmer, um noch einmal diverse Leute anzurufen, die mir bei meiner Suche eventuell weiterhelfen konnten.
Soweit kam es allerdings nicht, denn im Flur zu meinem Zimmer stolperte mir Rafael im wahrsten Sinne des Wortes über den Weg. Verwundert stellte ich fest, dass mein Magen bei seinem Anblick einen kleinen Hüpfer machte. Es war nicht zu leugnen: ich freute mich über das Wiedersehen und bedauerte gleichzeitig, dass ich keine Zeit für ihn und die Vertiefung dieses Kennenlernens haben würde.
Wahnsinn, dass ich überhaupt darüber nachdachte, ihn näher kennenlernen zu wollen. Normalerweise war ich froh, wenn ich die Kerle, die ich abschleppte wieder los war.
„Hallo Rafael“, sprach ich ihn an, während er etwas von `Welcher Idiot lässt eigentlich seinen Putzeimer hier mitten im Weg stehen?´ vor sich hinschimpfte.
Schmunzelnd half ich ihm hoch und berührte ihn dabei wahrscheinlich öfter als nötig gewesen wäre. „Was macht der Kopf? Alles gut?“
Verlegen, wie mir schien, klopfte er sich die Sachen ab und versuchte, sein rot angelaufenes Gesicht vor mir zu verbergen, indem er ständig zur Seite schaute und mit einer Hand über seine Wangen strich.
„Nö, ähm ja, ähm alles okay… glaub ich zumindest“, stotterte er wirr und wurde zum Schluss hin immer leiser.
Er benahm sich wirklich seltsam, aber ich hatte andere Sorgen.
„Okay, also wenn ich nicht gerade überhaupt keine Zeit hätte, würde ich dich am liebsten gleich noch mal zu mir einladen. Diesmal würde ich jedoch der Aktive sein“, kam es mir mit einem fetten Grinsen über die Lippen, noch bevor ich es vermeiden konnte. Auch machte sich mein Körper irgendwie selbstständig und bevor ich mich versah, presste ich den jungen Mann an die Wand neben uns und sog seinen Geruch in mich auf.
Es kostete mich immens viel Überwindung wieder von ihm abzulassen, zumal ich spürte, dass er im Begriff war auf mein Gebärden anzuspringen.
„Zu schade, na dann mach‘s mal gut“, schob ich schnell hinterher und klatschte mir innerlich die Hand vor die Stirn, bevor ich wieder von ihm abließ und mich zum Gehen wandte. Doch der Kleinere hielt mich am Handgelenk fest.
„Warte“, sagte er leise, ohne mich dabei anzuschauen. Er sah fast ein wenig ängstlich aus oder bildete ich mir das nur ein?
„Was ist? Hör mal, Rafael, ich hab jetzt wirklich andere Sachen zu tun. Vielleicht können wir ja in Kontakt bleiben und uns in Deutschland mal sehen, was hältst du davon?“ Ich glaubte selbst nicht, was ich da von mir gab.
Mein Gegenüber wohl auch nicht, denn endlich schaute er auf und sah mich total bestürzt an. Hatte ich was Falsches gesagt? Selbst wenn, ich hatte weder Zeit noch Muse, darüber nachzudenken. Ich griff nach seiner Hand, um mich loszumachen, doch er klammerte dafür umso mehr.
„Rafael…!“, begehrte ich auf, wurde bei seinen nächsten Worten jedoch wieder ganz still.
„Ich hab Informationen“, sagte er hastig.
„Informationen? Was für Informationen?“ Für einen Moment stand ich tatsächlich auf der Leitung.
Ungläubig sah ich ihn, als mir wieder einfiel, was in der letzten Nacht noch passiert war. Beziehungsweise eingefallen war es mir schon früher, nur dachte ich, ich hätte geträumt, dass ich Rafael von meiner Schwester erzählte. Wie um Himmels Willen sollte ausgerechnet er an Infos zu meiner Sache gekommen sein?
„Rafael. Die Nacht mit dir war wirklich sehr schön, aber“, begann ich so ruhig wie mir nur möglich war. Mein Gegenüber spürte wohl, dass ich ihm noch immer nicht ernst nahm und unterbrach mich barsch.
„Ich weiß, wo sich René Hallwig aufhält.“
„Woher weißt du…?“, stotterte ich völlig perplex vor mich hin.
Mein Herz raste, meine Gedanken drehten sich im Kreis und mir wurde schwindelig. Was faselte der Junge da nur und wie viel hatte ich ihm bei unserem gemeinsamen Schäferstündchen erzählt? Scheinbar so einiges. Letztlich war das nun aber egal. Wenn er wirklich wüsste, wo dieser Wichser war, dann würde es nicht mehr lange dauern und ich hätte, wenn alles glatt lief, mein Geld wieder, könnte meine Schwester befreien und das alles hinter mir lassen – vielleicht sogar mit Rafael…
„Wo ist er?“, fragte ich mit rauer Stimme.
„Nicht hier“, meinte er und schaute sich besorgt um.
„Das er nicht hier ist, ist mir schon klar!“, bellte ich gereizter, als ich eigentlich wollte. Rafael zuckte daraufhin zusammen. Das war mir allerdings ziemlich egal.
„Nein, ich meine, ich rede nicht hier. Die Wände haben viel zu große Ohren. Ich kenne einen Ort, da sind wir ungestört.“
Grob packte ich den Kleinen am Revers und zog ihn dicht zu mir heran. So tief wie nur möglich blickte ich ihm in die Augen, suchte nach Lügen oder etwas Ähnlichem. Das Einzige was ich fand, war Aufrichtigkeit. Schroff ließ ich wieder von ihm ab und schubste ihn ein Stück von mir weg.
Wieder sah Rafael mich ängstlich an, als wäre er ein Kaninchen, das vor der Schlange sitzt und ganz genau wüsste, was ihm blühte. Dann wandte er sich Richtung Ausgang.
Wenig später befand ich mich auf einer Art Plateau, welches wohl als Aussichtspunkt diente. Von hier hatte man einen genialen Blick auf die Stadt. Mich interessierte das allerdings nur wenig. Keine Menschenseele war weit und breit zu sehen, was wohl auch daran lag, dass es angefangen hatte zu regnen. Erst tröpfelte es nur leicht, doch von Minute zu Minute wurden die Fäden dichter und hüllten uns in graues Nass.
Rafael stand am Geländer, was die Leute vor dem steilen Abgrund schützen sollte, und stütze sich mit beiden Händen schwer ab. Mit leerem Blick starrte er auf die Stadt hinab, bis er sich endlich zu mir umwandte.
„Ich bin René Hallwig.“
Zu diesen Worten bekam ich nicht mal ein spöttisches Grinsen hin. Ich drehte mich einfach um und wollte gehen, bevor ich mich vergaß, als er mir seinen Schuh direkt an den Kopf warf.
„Sieh mich verdammt noch mal an!“, schrie er aufgebracht.
Empört schaute ich wieder zu ihm und sah zu, wie er sich in die Augen griff, irgendwas rausholte und achtlos beiseite warf. Dann lief er zur nächstbesten Pfütze, kniete sich in den Dreck und spritze sich das Wasser ins Gesicht und über den Kopf.
Seine schöne, bronzen gebräunten Haut wich einer hellen Blässe und auch seine Haare wurden immer heller. Sein weißes Polohemd verfärbte sich dunkelbraun. Ich kniff meine Augen zusammen. War es denn wirklich möglich? Langsam ging ich auf ihn zu und je näher ich ihm kam, desto mehr erkannte ich ihn. Mein Herz begann zu rasen und mein Blut rauschte lauter in meine Ohren als der Regen.
Da hatte dieser kleine Scheißer mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt, mir eine Maskerade geliefert, auf die ich hereingefallen war. Sogar ficken hatte ich mich von ihm lassen. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Das durfte alles nicht wahr sein. Es hätte nicht viel gefehlt und dieser Kerl hätte meine Schwester auf dem Gewissen gehabt. Noch immer schwebte sie nur wegen ihm in großer Lebensgefahr.
Rafael kniete noch immer heftig atmend an Ort und Stelle und sah verzweifelt zu mir hoch. Doch mein Verstand hatte längst ausgesetzt.
In der nächsten Sekunde war ich bei ihm, zog ihn am Kragen aus dem Matsch hoch, nur um gleich darauf auszuholen und ihm richtig eine zu langen, so dass er wieder hinflog.
„Weißt du eigentlich, was du mir damit angetan hast?“, brüllte ich ihn an. „Wo ist das Geld? Ich hoffe für dich, dass noch alles da ist…“
René rappelte sich auf und fasste sich an seine aufgesprungene Lippe, aus der langsam Blut rann. „Das sage ich dir erst, wenn du dich beruhigt hast.“
Für die Antwort scheuerte ich ihm gleich noch eine und rammte ihm zusätzlich mein Knie in den Magen.
„Ich habe keine Zeit für deine Spielchen, du Arschloch. Elina könnte sterben, verdammt!“, schrie ich ihn weiter an.
Hätte ich mich wenigstens halbwegs in Zaum halten können, wäre mir vielleicht aufgefallen, dass es einen Grund dafür geben musste, dass er sich auf einmal offenbarte und mir sagte, wer er war. Doch ich war so vernagelt, dass ich nichts anderes tun konnte, als drauflos zu prügeln. Immer wieder setzte Hallwig zu einer Erklärung an, faselte etwas von mir helfen und versuchte mich zu beschwichtigen, aber es gelang ihm nicht.
Letztlich wurde es ihm wohl zu bunt und er tat etwas, womit ich absolut nicht gerechnet hatte. Er schlug zurück und das mit so einer Kraft, dass ich das Gleichgewicht verlor und abrutschte. Das an sich wäre nicht schlimm gewesen, aber hinter mir ging es viele Meter steil in die Tiefe. Ich rutschte also über den Rand und schaffte es gerade noch, mich an einem Bürschlein festzuhalten, der allerdings aussah, als würde er jeden Moment samt seiner Wurzeln und mir abrauschen.
Das war es also, mein Ende! Ich würde Elina nicht retten können, sie würde wahrscheinlich qualvoll sterben müssen und ich hätte Schuld. Ich dachte an meine Eltern. Was sie wohl dazu gesagt hätten, dass ich ihr kleines Mädchen im Stich gelassen hatte?
Über all das dachte ich nach, als sich eine Hand von oben um meinen Arm legte und zufasste, als wäre sie ein Schraubstock.
Es war als würde sich ein Nebel um meine Gedanken lösen und endlich sah ich wieder klar. René hatte sich weit über den Abgrund gelehnt und hielt sich mit der einen Hand am Geländer fest, mit der Anderen mich. Mir brannte nur eine einzige Frage auf der Zunge:
„Warum hilfst du mir?“
Durch den starken Regen war der Boden sehr glitschig geworden, weswegen René immer weiter nach vorn rutschte. Warum verdammt noch mal ließ er mich nicht einfach los und machte sich eine schöne Zeit mit meinem Geld? Wieso riskierte dieser Idiot hier sein Leben für jemanden, der ihn am liebsten umbringen würde?
„Ich… will… nicht noch… ein Leben… auf meinem… Gewissen haben!“, presste er stockend hervor und zog mich unter größter Kraftanstrengung wieder hoch, in Sicherheit.
Schnaufend, als hätten wir einen Marathon hinter uns, lagen wir beide auf der Erde und starrten uns durch den starken Regen hinweg an.
„Hörst du mir jetzt endlich zu?“
„Von mir aus. Bin eh gerade ansonsten zu nichts in der Lage“, brachte ich keuchend hervor.
„Ich dachte du wärst ein Drogendealer, als ich das ganze Geld sah und war froh, ein paar Kids davor bewahren zu können. Ich klaue sonst keine so große Summen, nur mal eine Brieftasche, um mir was zu Essen kaufen zu können. Und selbst die werfe ich später in einen Briefkasten, zurück an den „Absender“.
Glaub mir, hätte ich gewusst, dass es Lösegeld für deine Schwester ist, dann hätte ich es sofort zurückgegeben! Aber das erfuhr ich erst gestern Nacht. Bisher hast du es ja vorgezogen, mich zusammenzuschlagen, als zu Wort kommen zu lassen.“
Der Kleinere wischte sich mit dem Arm über den Mund und schaute mich flehend, aber durchaus auch vorwurfsvoll an. Ein Blitz zuckte am Himmel, sofort gefolgt von einem ohrenbetäubenden Donnerschlag.
„Wie hättest du an meiner Stelle denn reagiert? Drogendealer…, das ist echt lächerlich!“ Ich schüttelte beschwichtigend den Kopf, als René zu einer Rechtfertigung ansetzen wollte. „Spar dir den Kommentar. Ich will gar nicht wissen, warum ich für dich aussehe wie ein Gangster! Es gibt im Moment Wichtigeres.“
Wie um meine letzte Aussage zu unterstreichen, klingelte mein Handy und ich wusste noch bevor ich die grüne Taste drückte, dass es die Entführer waren, die langsam aber sicher ungeduldig wurden. Ich hörte mir an was sie zu sagen hatten und bat mit Elina sprechen zu dürfen. Diese Bitte wurde jedoch abgelehnt. Dann sagte ich ihnen, dass ich das Geld wieder hätte, allerdings noch nicht wusste, wie viel fehlte und dass ich mich bemühen würde, schnellstens nach Deutschland zurück zu kommen.
Mein Betthase der letzten Nacht – ich konnte es immer noch nicht fassen – hatte die ganze Zeit aufmerksam zugehört und er sah wirklich besorgt aus. Inzwischen war ich mir sicher, dass er das Geld wirklich nicht genommen hätte, wenn er von den Umständen gewusst hätte.
Umständlich hievte ich mich hoch und sah an meinen nassen und mit Schlamm bespritzten Klamotten herunter. Seufzend streckte ich René die Hand hin.
„Na komm, wird Zeit, dass wir hier weg kommen. Wir gehen zu dir und du gibst mir die Kohle. Ich muss zurück.“
Er ergriff meine Hand und stand ebenfalls auf.
„Meine Güte, musstest du so hinlangen?“, beschwerte er sich und befühlte seinen Bauch.
„Sorry, es ist halt mit mir durchgegangen. Verständlich oder?“, patzte ich ihn an und zog ihn mit mir mit.
„Ja ja, schon klar“, antwortete er genervt. „Es gibt allerdings noch ein kleines Problem.“
„Was heißt hier kleines Problem?“ Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Ich konnte nur hoffen, dass er damit meinte, dass nicht mehr alles Geld da war, weil er davon seine Reisekosten abgezweigt hatte und die würden wünschenswerterweise nicht in die zehntausende gehen „Sag jetzt nicht, du hast die Kohle in Japan gelassen, dann bring ich dich doch noch um!“
„Danke für die tollen Aussichten“, sagte René sarkastisch und funkelte mich wütend an. „Wir können nicht zu mir gehen, weil es kein ‚zu mir‘ gibt. Als ich merkte, dass du Leute auf mich angesetzt hast, habe ich in keinem Hotel mehr eingecheckt. Das Geld mit samt meinen Sachen liegt in einem Schließfach am Flughafen.“
„Oh man, das passt doch super. Du kannst einem echt Angst einjagen. Lass uns meinen Kram holen und dann geht‘s ab zum Airport. Den Schlüssel fürs Schließfach gibst du mir jetzt schon.“
Widerstrebend kam René meinem Befehl nach. Er war echt sauer auf mich und es machte mich stutzig, in seine empörten Augen zu blicken, also sah ich schnell wieder weg. Den Schlüssel steckte ich mir in meine enge Hosentasche, dort würde er nicht heraus fallen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir wieder beim Hotel angelangt waren. Der fast schon monsunartige Regen hatte es ganz schön in sich gehabt und den Abstieg in eine Schlitterpartie verwandelt. Mehrfach fing ich Hallwig auf, als er ausrutschte und er mich ebenso.
Irgendwann kamen wir im Hotel an und wurden ob unserer dreckigen Klamotten ziemlich schräg angeguckt. Das war mir jedoch scheiß egal. Während René sich ungeachtet seines Aufzugs in einen der roten Sessel nahe der Rezeption setzte, versuchte ich sofort ein Auto zu bekommen. Doch der Hotelangestellte machte mir einen Strich durch die Rechnung.
„Es tut mir Leid, Herr Schwertner, aber das wird nicht möglich sein. Unsere Autos sind momentan alle unterwegs und dann gab es ja noch diese Schlammlawine.“
„Schlammlawine?“ Verständnislos sah ich ihn an.
„Die Zufahrtsstraße zum Hotel wurde durch eine Schlammlawine begraben. Es dauert ein paar Stunden, bis sie wieder frei ist. Die Feuerwehr hat alles abgesperrt. Es tut mir Leid, aber momentan kommen Sie von hier nicht weg.“
„Das darf nicht wahr sein“, polterte ich und schlug mit der Faust auf den Rezeptionstresen, so dass der Mann dahinter zusammen zuckte.
„Ich versichere Ihnen, dass ich Sie sofort informiere, wenn die Straße wieder befahrbar ist und ich werde Ihnen schnellstens einen Mietwagen besorgen, damit Sie zum Airport gelangen.“
„Gut, danke. Machen Sie bitte auch schon die Rechnung fertig.“
Ich atmete ein paar Mal tief durch, um nicht komplett die Nerven zu verlieren. Dann sah ich an mir hinunter und auf den Fleck, den ich inzwischen unter mir hinterlassen hatte.
„Ich brauch ´ne Dusche!“, stellte ich fest und wollte auf mein Zimmer gehen.
Natürlich nicht, ohne Hallwig im Schlepptau. Der jedoch saß fröstelnd in dem Sessel und sah aus, als wüsste er nicht recht wohin mit sich. Allerdings war ja wohl klar, dass ich ihn nicht mehr aus den Augen lassen würde, bis ich die Knete in meinen Händen hielt.
„Und du kommst mit mir mit“, sagte ich, packte ihn am Arm und zog ihn neben mir her, den gleichen Weg nehmend, wie in der letzten Nacht.
Mein Gott, wenn ich nur daran dachte, dass wir noch vor einigen Stunden gevögelt hatten, wurde mir ganz anders. Jedoch war es ein komisches anders, eine Mischung aus Abscheu und Erregung.
Im Zimmer angekommen, schloss ich von innen ab und legte die Karte ins Bad, damit Hallwig sich nicht verpissen konnte während ich mich frisch machte.
Diese Dusche hatte ich echt bitter nötig. Umständlich legte ich vor dem jungen Mann ein Teil nach dem anderen ab. Mir fiel gar nicht auf, dass ich quasi vor ihm strippte.
Erst als ich prüfend zu Hallwig sah, ob er auch noch artig da saß und dieser dann ruckartig mit hochrotem Kopf wegschaute, wurde ich mir meiner Show bewusst.
Ein Grinsen konnte ich mir daraufhin nicht verkneifen.
„Was denn? Gestern hat es dir auch nichts ausgemacht, mich nackt zu sehen.“
Boah was war das jetzt, flirtete ich tatsächlich mit ihm, obwohl er mich so gelinkt hatte? Ich hatte sie nicht mehr alle und mein Schwanz auch nicht, denn der stand irgendwie halbsteif in der Luft rum und nun war ich es, der eine rote Birne kriegte.
„Bin dann mal duschen“, murmelte ich und schob erst mal ab.
So eine kalte Dusche wirkte Wunder. Zwar war ich nach der ganzen Anstrengung der letzten Stunden immer noch müde, aber zumindest der Dreck war runter.
Als ich in Shorts zurück ins Zimmer kam, lag René in einer ziemlich unbequemen Stellung auf einem Zweisitzer und schlief. Es sah niedlich aus, wie er so friedlich da lag und wieder musste ich an unser kleines Schäferstündchen denken. Warum hatte er mir nur die Kohle geklaut? Hätte ich ihn unter anderen Umständen kennen gelernt… Doch es war müßig jetzt darüber nachzudenken.
Der Junge schien zu frieren, denn er zitterte am ganzen Leib. Kein Wunder, hatte er doch immer noch die nassen Sachen an.
Ich ging zu ihm herüber und fasste ihm sanft an die Schulter.
„Wach auf und geh duschen, bevor du mir erfrierst, hm.“
Nur quälend öffnete er seine Lider und musterte mich kurz mit gerunzelter Stirn. Dann nickte er leicht und stand langsam auf, während er sich verschlafen die Augen rieb. Schweren Schrittes tapste er ins Bad, als wären seine Beine aus Blei und verschwand dort die nächsten 10 Minuten. Schneller als erwartet stand er wieder vor mir, lediglich mit einem Handtuch um die Hüften.
Nun war ich derjenige, der verlegen den Anderen anstarrte. Allerdings nicht nur wegen dem heißen Body, welchen ich nun bei Tageslicht ausgiebiger mustern konnte. Sondern wegen den blau-lila Flecken, die überall verteilt waren.
„Wie gesagt, meine ganzen Sachen sind im Schließfach“, meinte René schlicht, ohne auf meinen Blick einzugehen, den er sehr wohl mitbekommen hatte.
Wie ferngesteuert ging ich auf ihn zu und berührte mit meinen Fingerspitzen seine Blessuren. Er zuckte leicht, sah mich aber noch immer nicht an. Fast schon zärtlich nahm ich seinen Kopf in meine Hände und drehte ihn so, dass er nicht anders konnte, als mir in die Augen zu schauen.
„Es tut mir Leid, dass ich dich so zugerichtet habe, gerade nachdem wir“, ich räusperte mich, „du weißt schon.“
Wieder betastete ich seine bunte Bauchgegend, seine Muskeln und hätte nicht in diesem Moment mein Handy geklingelt, ich weiß nicht, was in mich gefahren wäre.
„Ja?“, meldete ich mich.
Es waren wieder die Verbrecher. Ich ließ von René ab und ging im Zimmer hin und her, während sie mir einbläuten, dass ich mich beeilen sollte und sie langsam die Geduld verloren. Um das zu unterstreichen holten sie Elina ans Telefon und es brachte mich fast um, ihre schwache Stimme zu hören. Doch ich riss mich am Riemen und redete ihr gut zu. Meine Fassung fiel erst in sich zusammen, als sie aufgelegt hatte.
Ich stützte mich an der nächsten Wand ab und legte meine Stirn an selbige. Mein Körper spielte verrückt, so als würde er jeden Moment kapitulieren, aber ich musste Haltung bewahren. Ich durfte jetzt nicht schlapp machen, konnte mir keinen Moment der Schwäche erlauben.
Eine leichte Berührung an der Schulter ließ mich aufschauen. René stand dicht neben mir und sah mich besorgt an. Er brauchte sich nicht zu entschuldigen, denn sein Blick sagte alles. Allerdings half mir das in meiner jetzigen Situation nicht weiter. Mal davon abgesehen, dass er überhaupt erst daran schuld war. Er spürte wohl meinen Gefühlswechsel und nahm wieder drei Schritte Abstand.
Ich drehte mich um und wollte auf ihn zugehen, doch meine Beine versagten mir den Dienst. Im nächsten Moment wachte ich auf dem Bett liegend wieder auf. René lag neben mir, allerdings auf der Decke und nicht wie ich darunter.
„Hey, da bist du ja wieder. Bist umgekippt, hast aber nur eine kleine Beule.“ Vorsichtig tippte er an meine Stirn und lächelte mich lieb an.
In dem Moment, als seine Finger mich berührten kribbelte es in meinem ganzen Körper angenehm. Dieses Gefühl war mir völlig neu. Ich fühlte mich seltsam geborgen und genoss seine Nähe, aber sollte ich das überhaupt? Was würde Elina dazu sagen, wenn ich mich zu dem Mann hingezogen fühle, der diesen ganzen Mist endlos in die Länge gezogen hatte? Sie würde mir sicherlich nicht dafür um den Hals fallen.
Dennoch konnte ich nicht anders, als mir vorzustellen, wie es gewesen wäre, hätte ich René unter anderen Umständen kennen gelernt. Ob wir wohl nur gefickt hätten, oder hätte sich eventuell sogar etwas daraus entwickeln können? Diese Frage konnte ich mir nicht beantworten. Schließlich war ich ja bisher immer der Typ gewesen, der seine Betthasen nach dem ONS vergrault hatte. Dieser Typ jedoch war so furchtbar niedlich mit seinen kurzen braunen Haaren, den großen blau-grünen Augen und selbst seine Blässe zog mich irgendwie an.
Ganz in diese Gedanken versunken merkte ich erst gar nicht, dass ich dichter an ihn heran gerutscht war und mir von ihm meinen Kopf kraulen ließ.
„Du solltest ein wenig schlafen und Kraft schöpfen, Elias. Du brauchst sie für deine Schwester.“
Tatsächlich schlief ich kurz darauf ein. Als ich wieder erwachte sah ich mich nach René um, doch der war weg. Verdammt! Schon wieder hatte ich es vergeigt und konnte meine Gefühle nicht länger unterdrücken. Ich fühlte mich schrecklich und ließ meinen Tränen freien lauf.
Vor lauter Selbstmitleid bekam ich überhaupt nicht mit, wie die Tür klappte und sich jemand neben mich aufs Bett setzte. Erst eine ruhige Stimme und eine sanfte Berührung ließen mich aufschauen.
„Schschsch… Ist ja gut.“
Liebevoll blickte René auf mich hinab und streichelte mir zärtlich über die Wange.
„Wo…?“, brachte ich gerade so über die Lippen. Er lächelte nur über meine Verwirrtheit und legte seinen Kopf leicht schief.
„Ich habe mich wegen der Lawine erkundigt. Zwar ist in der Hinsicht noch nicht viel passiert, aber ich habe einen Typen aufgetrieben, der einen Jeep besitzt und angeblich Schleichwege aus dem Stadtviertel kennt. Allerdings verlangt er eine happige Bezahlung.“
„Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an, denke ich. Hauptsache wir kommen hier weg. Wie viel von der Kohle hast du schon verbraten?“
Leider hörte er nach diesen Worten auf meine Wange zu streicheln. Dabei genoss ich die Berührung doch so sehr.
„Ich weiß nicht genau, schätze so um die Zehntausend“, gab er kleinlaut zu.
„Das geht ja noch.“
Ich setzte mich auf, wischte mir die Tränen ab und sah in René´s Augen. Meine Hand zuckte nach oben, denn Ich wollte ihn berühren, ließ sie aber doch wieder sinken. Natürlich bekam er das mit.
„Ich wünschte, wir…“ Ich sprach den Satz nicht zu Ende, sondern wandte meinen Blick ab und erhob mich, um mich anzuziehen.
Wenn René geknickt war, ließ er es sich nicht anmerken. Es war einfach der falsche Zeitpunkt und ich denke das wusste er auch. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und bekam erst da mit, dass der Kleine ein paar von mir an hatte. Er sah meinen prüfenden Blick, doch noch bevor er etwas sagen konnte winkte ich ab. Was hätte er auch anderes tun können, schließlich waren seine Klamotten alle im Schließfach, ein paar Kilometer weit weg von hier.
Gemeinsam verließen wir das Hotel und René machte mich mit dem Typen bekannt, der uns helfen wollte. Allein zwecks meiner Natur begann ich mit ihm zu verhandeln, schließlich sollte es nicht aussehen, als wären wir dringend auf ihn angewiesen. Geeinigt hatten wir uns dann doch recht schnell und so rasten wir keine fünf Minuten später Richtung Flughafen.
Als wir endlich dort und an den Schließfächern waren, konnte ich es kaum glauben. Abermals hatte ich heute Tränen in den Augen, doch dieses Mal vor Erleichterung. Bald, Elina, bald bist du wieder bei mir. Ich zählte grob durch und stellte fest, dass wirklich nicht viel mehr fehlte, als Hallwig gesagt hatte. Zum ersten Mal seit langem erfüllten mich Glücksgefühle und ein wenig Hoffnung.
„Und jetzt ab nach hause!“ Beschwingt schulterte ich meine Reisetasche und lief los. Schon beim Betreten des Airports hatte ich auf der großen Anzeigetafel gesehen, dass zeitnah ein Flug direkt nach München ging, weswegen ich mir nun so schnell wir möglich das entsprechende Ticket besorgen wollte. Ich war schon ein paar Meter gelaufen, als mich eine Stimme hinter mir innehalten ließ.
„Viel Glück!“
Ich drehte mich um und sah René noch immer bei den Schließfächern stehen. Er hatte so ein offenes Wesen und strahlte eine dermaßene Ehrlichkeit aus, dass ich nicht anders konnte als ihm zu glauben, dass er es wirklich aufrecht meinte. Er wünschte mir einfach Glück, ganz egal was nun aus ihm wurde.
René lächelte, ohne den Hauch von Traurigkeit ganz unterdrücken zu können, drehte sich um und ging in die komplett andere Richtung. Warum versetzte mir das so einen heftigen Stich ins Herz? Je mehr er sich von mir entfernte, desto mehr hatte ich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. War ich schlussendlich doch reif für die Klapsmühle?
Ohne überhaupt darüber nachzudenken, setzte ich ihm nach, packte ihn, als ich bei ihm war, grob am Arm und zerrte ihn bis zum Ticketschalter hinter mir her. Natürlich ging das nicht ohne großes Gemotze von seiner Seite von statten.
„Hey! Was soll das? Ich hab dir wirklich alles gegeben, was ich hatte, also was willst du denn noch von mir?!“
Irgendwie fand ich das total amüsant.
„Halt die Klappe, Hallwig!“, meinte ich ruhig und verkniff mir das noch so kleinste Zucken meines Mundwinkels, als ich zwei Tickets nach München buchte und René fast die Augen aus dem Kopf fielen.
Nun saßen wir also im Flugzeug Richtung Deutschland, direkt nebeneinander. Irgendwann schlief René ein und sein Kopf fiel auf meine Schulter. Sofort setzte das Kribbeln wieder ein. Einen Moment zögerte ich, doch dann hob ich meine Hand und streichelte ihm sanft über die Wange. Er würde es ja doch nicht mitkriegen. Ich lehnte mich zurück, genoss seine Nähe und harrte der Dinge, die da auf mich oder besser gesagt auf uns zukommen würden.
*
Der Flug verlief relativ unspektakulär. Eine Zeit lang hatte ich mich noch an René´s Anblick satt gesehen und darüber nachgedacht, wieso ich ihn mitgenommen hatte. Okay, eigentlich war es mir klar, aber wahr haben wollte ich es dennoch nicht. Nachdem mir die Grübelei über den jungen Mann neben mir und die erneut aufkeimenden Gedanken darüber, ob bei der Lösegeldübergabe alles klappen würde, auf den Zeiger gingen, haute ich mir ne Flasche Rotwein in den Kopf und schlief anschließend so gut, dass mein Sitznachbar mich wecken musste, als es kurz vor der Landung Essen gab.
Aus irgendeinem Grund, der sich mir nicht näher erschloss, hatte René wohl das große Bedürfnis sich mitzuteilen. Er sagte, wie sehr er bedauere, dass er Elina und mich in diese blöde Situation gebracht hatte und dass er verstehen könne, dass ich so sauer auf ihn war. Dann kam er irgendwie vom Einem zum Nächsten und zu guter Letzt erzählte er mir von seinem Großvater, der der einzige Mensch in seinem Leben gewesen war, der ihn so genommen hatte, wie er ist, mit all seinen Macken, einschließlich dem Schwulsein.
Als es in seinem Elternhaus anfing zu kriseln, da René begann Mathe anstatt Jura oder Medizin zu studieren, redete ihm sein Opa immer gut zu, weswegen er sich bei ihm sehr geborgen gefühlt hatte. Wenn es ihm zu hause zu viel wurde, ging er immer zu dessen Haus am See, weit außerhalb der Stadt. Eines Tages allerdings, fand René seinen Großvater tot auf. Herzinfarkt. Die Eltern wollten so schnell wie möglich das Haus verkaufen, aber niemand wollte eine „heruntergekommene“ Hütte an einem „stinkenden“ See.
Er erzählte mir auch von einem Fotoalbum, welches seinem Großvater gehörte. Dort hatte dieser alle Bilder reingeklebt, die sie zusammen gemacht hatten. René bedeutete das Album sehr viel. Allerdings war es unauffindbar.
Seine Eltern waren alles andere als erfreut, als sie erfuhren, dass ihr Sohn rumgeschnüffelt hatte und als sie dann herausfanden, dass er auch noch schwul ist, war er für sie gestorben und sie warfen ihn raus. Von da an hatte er für sich selbst sorgen müssen und sich mit kleineren Diebstählen über Wasser gehalten.
„Naja, zumindest, bis du mit deiner Tasche kamst“, schloss er etwas lapidar.
Fast schien es, als täte ihm Leid, dass er so viel von sich Preis gegeben hatte.
„Jedenfalls hoffe ich sehr, dass du Elina heile wieder bekommst.“ Aufrichtig sah er mich an.
„Danke“, erwiderte ich und meinte es auch so.
Die restliche Zeit bis zur Landung verbrachten wir schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach und als wir endlich aussteigen konnten, waren wir heilfroh der Enge in dem Vogel zu entfliehen.
Da wir nur Handgepäck hatten, brauchten wir uns nicht auf die Warterei am Gepäckband einzulassen und liefen gleich Richtung Ausgang. Ich winkte nach einem Taxi und gähnte herzhaft.
„Ich könnte mitkommen und dir helfen“, sagte René auf einmal und sah mich fragend an.
„Nein! Ich muss das alleine erledigen. Mach´s gut und Finger weg von fremden Taschen.“
Ich stieg in das Taxi und fuhr davon, jedoch nicht ohne mich noch einmal umzudrehen. Hallwig sah mir hinterher und schüttelte den Kopf. Scheinbar verstand er nicht, warum ich ihn wegschickte und ehrlich gesagt verstand ich mich selbst nicht. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenigstens eine Person in meiner Nähe zu wissen, die in mein Geheimnis eingeweiht war. Bei näherer Betrachtung war ich mir allerdings doch wieder sicher, dass ich genau richtig gehandelt hatte.
Dann strich ich den Taschendieb aus meinen Gedanken, denn ich hatte Wichtigeres vor. Ich musste mich auf die Geldübergabe vorbereiten.
Dafür blieb mir allerdings keine Zeit, denn kaum waren wir ein paar Kilometer gefahren, als auch schon mein Handy klingelte. Mir wurde gesagt, dass ich mich mit dem Geld in einer halben Stunde außerhalb der Stadt, auf einer von Wald umgebenen Landstraße, einfinden sollte. Sie wussten, dass ich im Taxi saß und verlangten, dass ich mich direkt dorthin begab und das Taxi dann weiterfahren ließ. Die Stelle, an der ich das Geld hinterlegen sollte wurde mir genau beschrieben.
Natürlich hielt ich mich an die Anweisungen – was blieb mir anderes übrig? Der Fahrer schaute zwar etwas skeptisch, aber als ich ihm erklärte, dass meine Freundin mich gleich hier abholen und wir uns noch ein paar gemütliche Stunden in unserer Blockhütte im Wald machen wollten, lachte er nur verstehend, zwinkerte mir zu und fuhr davon.
Was hätte ich dafür gegeben, wenn es wirklich so wäre. Selbst die Freundin hätte mich nicht gestört, naja zumindest nicht gleich. Seufzend schaute ich mich um und versuchte mich zu orientieren. Dann ging ich in die mir beschriebene Richtung los und suchte die entsprechende Stelle. Immer weiter führte ein kleiner Pfad ins Unterholz. Als ich den Ort gefunden hatte, der mir beschrieben wurde, blickte ich mich suchend um. Von Elina fehlte jede Spur und auch sonst sah alles verlassen aus. Dennoch fühlte ich den stechenden Blick, der auf mir lag, seit ich aus dem Taxi gestiegen war.
Ich drehte mich wieder herum, um die Tasche im Wurzelgeflecht eines alten Baumes zu verstecken, der vor Jahren vom Blitz getroffen worden war und erhielt im gleichen Moment einen furchtbaren Hieb vor die Stirn.
Vögel zwitscherten und in der Nähe rauschte ein Bach. Ich nahm den Geruch von Tannenzapfen wahr und hatte den Geschmack von moderiger Erde im Mund. Mein Schädel dröhnte und so langsam kam die Erinnerung zurück. Ich lag auf dem Waldboden und der Bach, den ich zu hören glaubte, war das Rauschen in meinem Kopf, wahrscheinlich eine Nachwirkung meines Knock Outs.
„Scheiße!“, stöhnte ich und brüllte dann nach meiner Schwester: „Elina? Elina…“
Mühsam rappelte ich mich auf und befühlte meine Stirn. Ich hatte scheinbar eine Platzwunde, denn an meinen Fingern klebte Blut. Allerdings schien es nicht mehr frisch zu sein. Ich sah auf die Uhr. Einige Zeit war es her, seit ich hier angekommen war.
Ich kramte in meiner Tasche und atmete erleichtert auf, weil mein Handy noch da war. Nur wen sollte ich anrufen, ohne dass derjenige dumme Fragen stellte? Verdammter Mist. Es klingelte und ich zuckte zusammen.
„Ja?“, fragte ich ängstlich.
„Wir werden deine Schwester morgen früh frei lassen. Weiterhin keine Polizei!“ Schon hatte der Typ wieder aufgelegt.
Das durfte nicht wahr sein. Wieso ließen die mich so lange warten? Sie hatten doch jetzt was sie wollten. Ich begann zu heulen und schrie mir den ganzen Schmerz von der Seele, so sehr, dass selbst die Vögel für einen Moment verstummten.
Als ich mich beruhigt hatte, ging ich zurück zur Straße und hatte Glück. Ein Bauer kam mit seinem Trecker vorbei und nahm mich freundlicherweise mit. Auch ihm erzählte ich das Märchen von dem geplanten Schäferstündchen, nur dass meine Freundin und ich in Streit geraten waren, sie mir eine mit nem Knüppel verpasst und mit dem Auto davon gerast war. Wieder wurde die Geschichte mit einem unterdrückten Lachen geglaubt. Mir sollte es recht sein.
Der Landwirt nahm mich mit in den nächsten Ort, wo er wohnte und ließ mich meine Wunde versorgen. Für den Weg zurück in die Stadt und zu unserem zu Hause, rief ich erneut ein Taxi. Zwar hätte ich auch irgendwen aus der Firma bitten können aber, ich wusste nicht, ob ich den Fragen, die sicher kommen würden, gewachsen wäre.
Kaum war ich daheim über die Schwelle getreten, rief ich nach Elina, aber sie war nicht da. Was auch sonst? Ich riss mir meine Klamotten vom Leib und nahm eine lange Dusche. Ein Beobachter hätte wahrscheinlich angenommen, ich wollte mich ersaufen. Danach zog ich Joggingklamotten an, legte mich starr vor Angst im Wohnzimmer aufs Sofa und weinte still vor mich hin.
RENÉ
Wie bestellt und nicht abgeholt, stand ich nun vor dem Münchener Flugplatz und schaute kopfschüttelnd dem Taxi hinterher, in welches Elias eingestiegen war.
Und das sollte es jetzt gewesen sein? Nach allem was geschehen war, nach allem was ich wusste, ließ er mich hier einfach so stehen. Aber was hatte ich bitteschön auch erwartet? Er übergibt mit mir zusammen das Geld, schließt seine Schwester wieder in die Arme und mich gleich danach? Und alle leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage???
Ich war so ein Träumer. Es fiel mir nicht schwer mir einzugestehen, dass ich mich wohl in diesen arroganten Typen verguckt hatte. Aber noch schwerer war es, einzusehen, dass nie was draus werden würde. Wenn nicht schon mein ganzes bisheriges Handeln ihn vergrault hatte, dann sicherlich mein Gefühlsausbruch und Redeschwall im Flugzeug. Aus irgendeinem verrückten Grund wollte ich, dass er mich verstand… alles nachvollziehen konnte.
Frierend steckte ich meine Hände in die Hosentaschen. Noch immer trug ich die Sachen von Elias, dem warmen Klima in Hawaii angepasst. Hier, zurück in Deutschland, war jedoch der Herbst angebrochen und zog dicke Regenwolken mit sich. Man, von so einem Pisswetter hatte ich echt die Nase voll.
Genervt ging ich zur nächsten Bushaltestelle und kramte nebenher einen kleinen Zettel hervor, den ich in der linken Tasche gefunden hatte. Plötzlich blieb ich stehen. Lediglich eine einzelne Telefonnummer war darauf notiert. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht. Im Hotel, als Elias schlief, hatte ich heimlich sein Handy genommen und mir seine Nummer aufgeschrieben. Ich dachte, es könnte mir irgendwann vielleicht weiterhelfen.
Meinen Entschluss hatte ich sofort gefasst. Ruckartig drehte ich mich um und lief Richtung Taxistand. Die beiden 50,-€ – Scheine hatte ich mir zwar als Notreserve eingesteckt, aber genau das war es auch. Ich hatte hier schließlich die ganze Scheiße verbockt, also musste ich es auch wieder gerade biegen!
Aus meiner Uni-Zeit kannte ich einen absoluten IT-Krack, der mir noch einen Gefallen schuldete. So fuhr ich also zu ihm, war heilfroh, dass seine Adresse noch stimmte und nahm seine nicht ganz legalen Hackertalente in Anspruch.
Für ihn war es ein Klacks, das entsprechende Handy anzuzapfen und den nächsten eingehenden Anrufer zu orten. Ich verlor keine Zeit, lieh mir sein Motorrad und raste zu dem genannten Ort.
Ich stellte die Maschine ein paar Seitenstraßen weiter ab und näherte mich vorsichtig der Adresse. Es war eine kleine Villa am Rande der Stadt, mit riesigem Grundstück, beides allerdings ziemlich heruntergekommen. Der Garten war regelrecht mit Unkraut und wild wachsenden Büschen übersät, was mir nur von Vorteil sein konnte.
Da ich dort nicht lange umherschleichen konnte, ohne aufzufallen, kletterte ich rasch über die Mauer und versteckte mich vorerst hinter Gestrüpp. Endlich zahlte es sich aus, ein paar Monate auf der Straße gelebt zu haben. Irgendwie hatten sich meine Sinne verfeinert und ich scheute nicht davor, mich dreckig zu machen.
Ich kroch also auf der Erde entlang, um das Haus herum und suchte ein offenes Fenster oder eine Terrassentür, als ich auf ein schlecht zugenageltes Kellerfenster stieß. Vorsichtig robbte ich näher und lauschte. Doch egal wie sehr ich mich auch anstrengte, ich hörte nicht einen Mucks.
Seufzend wollte ich schon aufgeben und weiter kriechen, als sich plötzlich über mir ein Fenster öffnete und laute Stimmen miteinander stritten.
„Alder, mach das Deil auf. Hier stingts.“ Schimpfte ein Türke im grausigen Deutsch.
„Draußen ist es aber kalt und nass und das können meine empfindlichen Geräte hier überhaupt nicht ab!“, antwortete ein anderer Mann fast schon hysterisch und kam näher.
„Bleib logger, Alder. Dann geh wenigsten Mal duschen, ne!“, lachte der Erste, ging in den Raum und ließ den anderen Mann das Fenster wieder schließen.
Noch einige Minuten lang presste ich mich mit wild klopfendem Herzen an die Mauer und betete zu wem auch immer, dass die mich nicht gesehen hatten. Dann atmete ich erleichtert auf und holte das Allzweckmesser raus, welches mir mein Hackerkumpel mitgegeben hatte. Er sollte auch die Polizei verständigen und zu dem Haus schicken, wenn ich binnen 2 Stunden nicht wieder auftauchte.
Zielstrebig machte ich mich nun doch an den Brettern des Kellerfensters zu schaffen, was echt mühsam von statten ging. Diese Kerle waren wirklich gründlich in ihrer Arbeit und so zog sich das Rauspulen der Nägel und Stemmen der Bretter übel in die Länge, vor allem weil ich so leise wie nur möglich vorgehen wollte.
Doch als ich das erste Brett beiseite legte und in Elinas verweinten Augen blickte, erfasste mich neue Energie. Ich bedeutete ihr ruhig zu sein und auf die Tür zu horchen, um mir notfalls ein Zeichen zu geben, wenn die Entführer in den Keller kämen. Sie verstand sofort und nickte mit zusammengepressten Lippen. Oh Gott, sie war Elias so ähnlich. Selbst in einer schwierigen Situation versuchte sie Haltung zu bewahren und das zu tun, was nötig war. Beide waren so viel anders als ich.
Doch ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Stück um Stück entfernte ich die restlichen beiden Bretter und machte mich dann daran, das Schloss zu knacken, welches das Kellerfenster von Haus aus besaß, damit keiner so leicht einbrechen konnte.
Kurz hielt ich inne, da ein Auto und laute Stimmen vor dem Haus bzw. auf der Einfahrt zu hören waren, machte aber sofort weiter, als Elinas Blick immer panischer wurde. Als ich endlich das heiß ersehnte „Klick“ hörte und das Fenster aufschwang, hatte sie Tränen in den Augen.
Auffordernd hielt ich ihr den Arm hin, den sie sofort ergriff. Zwar war das Fenster sehr schmal, aber sie eh nur eine halbe Portion und passte gerade noch so durch. Endlich draußen in Freiheit, hielt Elina sich nicht lange mit Fragen, wer ich war oder was ich hier tat auf, geschweige denn mit einer Verschnaufpause und rappelte sich gleich auf.
„Die wollen mich umbringen, sobald mein Bruder bezahlt hat!“, flüsterte sie rasch und blickte sich ängstlich um.
Und wie auf Kommando hörten wir das Schloss an der Kellertür und wie diese aufgestoßen wurde. Eine Millisekunde lang blickte ich dem einen Entführer direkt in die Augen, dann sprang ich auf und riss Elina hinter mir her.
Zu Fuß flüchten wäre komplett sinnlos, weswegen ich alle Hoffnungen in das Auto setzte, welches ich kurz zuvor gehört hatte. Und dieses Mal war das Glück auf meiner Seite. Das alte Fahrzeug stand mit dem Heck zur Haustür und war nicht abgeschlossen. Selbst der Schlüssel steckte noch, was wohl darauf hindeutete, dass der Fahrer zeitnah nochmal weg wollte. Hektisch drängte ich Elina auf den Beifahrersitz und sprintete hinten um das Auto herum, Richtung Fahrersitz.
Genau in diesem Augenblick wurde die Haustür der Villa aufgerissen und schon bellten die ersten Schüsse. Elina kreischte erschrocken auf und verkroch sich so gut es ging hinter dem Polster. Glas splitterte und Querschläger sausten viel zu nah zischend an mir vorbei. Ich zog nur den Kopf ein, warf mich hinter das Lenkrad, startete den Motor und brauste mit quietschenden Reifen davon.
Wild rauschte das Adrenalin durch meine Adern und dieses unheimliche Glücksgefühl, Elina neben mir lachend und weinend zugleich zu sehen. Dieser stechende Schmerz, der sich unaufhaltsam durch meine linke Seite zog, geriet dadurch komplett in den Hintergrund.
ELIAS
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, meine Tränen abzuwischen, als es irgendwann an der Tür klingelte und gleich darauf wild pochte. Wer immer davor stand würde sowieso sehen, dass ich geheult hatte. Missmutig machte ich auf und dachte zu träumen.
„Das kann nicht sein“, flüsterte ich und musste mich an den Türrahmen lehnen, um nicht zusammenzubrechen.
Schon schlangen sich die dünnen Arme meiner kleinen Schwester um meinen Hals und ich drückte sie fest an mich.
„Oh, Elina. Bin ich froh, dass ich dich wieder hab“, sagte ich mit rauer Stimme und küsste nahezu jede Stelle, die ich in dieser innigen Umarmung von ihr erreichen konnte. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch“, schluchzte sie und zitterte wie Espenlaub. „Er hat mich gerettet, sie wollten mich töten.“
Bei diesen Worten war mir, als würde ein Pfahl durch mein Herz gerammt. Um ein Haar hätte ich meine Schwester niemals wieder gesehen.
Erst jetzt blickte ich zu René, der sich etwas abseits gehalten hatte. Er versuchte mir ein Lächeln zu schenken und es schien, als wollte er sagen `Siehst du, ich konnte dir doch helfen´. Dann sackte er einfach so in sich zusammen und blieb reglos am Boden liegen.
„René? Scheiße, was ist mit dir?“ Schon war ich bei ihm und sah das ganze Ausmaß der Katastrophe.
„Arzt, wir brauchen nen Arzt“, murmelte ich völlig von Sinnen vor mich hin und nahm nicht sofort wahr, dass Elina bereits den Notruf gewählt hatte. Sie faselte irgendetwas von Polizei und kam anschließend zu mir, um René erstzuversorgen, da ich vollkommen überfordert war und gar nicht mehr wusste, was ich tun sollte.
„Elias geh zu dem Wagen da vorne und guck, ob ein Verbandskasten im Kofferraum liegt“, herrschte sie mich an und ich gehorchte.
Wahrscheinlich wollte sie mich nur aus dem Weg haben. `Oh Gott, René. Bitte tu mir das nicht an! ´, dachte ich und fummelte mit zittrigen Fingern an der Heckklappe des Autos herum. Als sie aufsprang sah ich als erstes tatsächlich einen Verbandskasten und als nächstes meine Tasche mit dem Geld.
Ich schnappte mir den Kasten, öffnete ihn noch währenddessen ich zu Elina zurück rannte und riss mich dann zusammen, um ihr bei der Versorgung helfen zu können. Zum Glück war der Krankenwagen bereits nach einigen Minuten da und die Sanitäter übernahmen.
Auch die Polizeisirenen konnte ich bereits vernehmen. Meine Schwester sah mir dabei zu, wie ich zu dem Wagen zurück rannte und dann eine Tasche in eins ihrer üppigen Blumenbeete unter einen Busch schmiss. Fehlte mir noch, dass die Bullen das Lösegeld beschlagnahmten.
„Wie schlimm ist es?“, fragte ich einen der Sanitäter, als sie René auf eine Trage bahrten und in den Rettungswagen schoben.
„Ich denke, er wird durchkommen aber nur, wenn wir sofort los kommen!“, sagte dieser genervt und drängelte sich an mir vorbei.
„Komm, Elias, lass sie ihre Arbeit machen“, redete Elina leise auf mich ein und zog mich von dem Wagen weg, der nach einiger Zeit mit Blaulicht abfuhr.
Inzwischen war die Polizei da und ich versuchte einigermaßen klar zu schildern, was vorgefallen war. Die Sache mit der geklauten Tasche behielt ich für mich und berichtete nur von dem Geld, was die Entführer bisher tatsächlich erhalten hatten. Zwar hatten die Beamten noch etliche Fragen an mich, aber sie sahen wohl ein, dass es momentan nicht möglich war, noch mehr aus mir heraus zu kriegen.
Elina indessen hatte einer jungen Polizistin alles erzählt, was ihr in der Zeit ihrer Gefangenschaft widerfahren war. Sie wollte wohl nicht, dass ich das alles mit anhörte, denn sie wusste, dass ich mir schwerste Vorwürfe wegen allem machte. Ich ließ mich jedoch nicht abwimmeln und hörte alles mit an.
Nachdem meine Schwester den Beamten geschildert hatte, wo sie gefangen war, wurden sofort ein paar Streifenwagen dorthin beordert und später erfuhren wir, dass die ganze Bande innerhalb der nächsten Tage dingfest gemacht werden konnte.
In den nächsten Stunden widmete ich mich voll und ganz Elina und sie genoss meine Fürsorge. Natürlich dachte ich auch an René und machte mir Sorgen um ihn, aber momentan würde ich ihn eh nicht sehen können und Elina brauchte mich.
Sie bestand darauf, dass ich ihr die ganze Geschichte erzählte und ich tat es widerwillig. Andauernd bohrte sie tiefer, wollte jede Kleinigkeit von meinen Reisen wissen. Elina konnte kaum glauben, wie René in die ganze Sache mit hineingeraten war. Als ich ihr von dem Abend in der Bar erzählte, ließ ich natürlich die Bettgeschichte aus und machte mit dem nächsten Tag weiter; aber meine Schwester merkte, dass etwas nicht passte.
„Elias, komm schon, was war da noch? Du verschweigst mir doch was. Du sollst alles erzählen“, sagte sie und setzte ihren Bettelblick auf. „Lief etwas zwischen euch?“
Ich schnaufte.
„Also ja. Na komm, erzähl schon.“
„Ich weiß auch nicht wie das passiert ist. Mein Hirn hat irgendwie ausgesetzt, weil ich viel zu viel getrunken hatte und Hallwig, ähm also René einfach so anziehend war. Du glaubst nicht wie mies ich mich deswegen fühle.“ Wieder wurden meine Augen wässrig. „Du bist irgendwo in so einem Loch gefangen und ich vögel´ durch die Gegend.“
„Hey, nicht weinen Großer. Ich bin dir nicht böse. Du hast einfach Nähe gesucht und Ablenkung wegen der ganzen bescheidenen Situation. Da war ein bisschen Sex natürlich willkommen und René ist ja wirklich total süß… Das siehst du doch auch so?“
Wieder schnaufte ich und beeilte mich dann weiterzuerzählen. Elina entging das natürlich nicht, doch sie lächelte nur und schmiegte sich noch fester an mich.
„Du solltest ihn besuchen“, sagte sie, nachdem ich geendet hatte. „Fahr ins Krankenhaus und frag wie es ihm geht. Du hältst es doch kaum noch aus, das nicht zu wissen, das merke ich doch.“
„Vergiss es, ich lass dich nicht alleine.“
„Ich werde Lilly und Bianca fragen, ob sie vorbei kommen und außerdem haben wir doch jetzt die Alarmanlage.“
Sie wartete keine Antwort ab, sondern schnappte sich das Telefon und rief ihre Freundinnen an. So wie ich das mitbekam, hatten die sich schon große Sorgen gemacht, weil sie unentschuldigt in der Schule fehlte und auch niemand von uns zu erreichen war.
Die beiden Mädchen – oder besser jungen Frauen – kamen bereits nach einer halber Stunde im Eiltempo mit ihren Rädern angefahren und so konnte ich ruhigen Gewissens, zumindest meinte das Elina, ins Hospital fahren.
„Ruft mich sofort an, wenn irgendetwas ist, ja?“
Lilly und Bianca warfen sich Blicke zu, die nichts anderes hießen als `Was ist hier eigentlich los´. Meine Schwester würde es ihnen sicher erklären.
„Ja, machen wir und jetzt hau ab.“
Gute zwanzig Minuten und 3 Herzinfarkte später fand ich endlich einen Parkplatz und kurz danach betrat ich den Eingansbereich des Krankenhauses. Ich fragte nach, wo René lag und machte mich auf den Weg zur Intensivstation. Natürlich war die nicht frei zugänglich und keine der Schwestern wollte mich reinlassen, da ich nicht mit ihm verwandt bin.
„Das darf doch alles nicht wahr sein“, schimpfte ich und haute mit der Faust gegen die Wand.
„Kann ich ihnen helfen?“, fragte ein Arzt, der seinem Aussehen nach nicht mehr lange bis zur Rente hatte.
„Ich möchte zu René Hallwig. Ich bin sein Freund!“ Dieses sagte ich mit so viel Ernst in der Stimme, dass ich mir fast selber glaubte. „Die wollen mich nicht zu ihm lassen und er hat doch sonst niemanden mehr.“
„Hören Sie, es tut mir Leid, aber auch ich denke es ist besser, wenn Herr Hallwig zurzeit keinen Besuch empfängt. Nicht, weil Sie nicht zur Familie gehören, sondern weil er einfach noch nicht stabil genug ist. Die OP hat lange gedauert und ich wage zu sagen, dass er es schafft. Reicht Ihnen das vorerst?“
Freundlich sah er mich an und ich nickte geknickt. Wie gerne würde ich ihn sehen, an seinem Bett sitzen, seine Hand halten. Ich wollte mit ihm zusammen sein, so richtig.
„Meine Güte, Elias, was denkst du dir nur dabei?“, fragte ich mich leise murmelnd.
Eine Beziehung mit mir war völlig aussichtslos. Es würde sicherlich keine 3 Tage dauern und ich wäre schon wieder mit anderen Typen im Bett. Ich war einfach nicht gemacht für eine feste Bindung. Das gab nur Probleme.
Ich fuhr zurück, hielt auf dem Weg nach Hause noch an, um den Mädels Pizza mitzubringen und lieferte die danach bei ihnen ab, bevor ich mich im Wohnzimmer vor die Glotze hing und irgendwann völlig fertig auf der Couch einschlief.
Später schreckte ich aus dem Schlaf auf, weil ich schreckliche Dinge, bis hin zu dem Tod meiner Schwester geträumt hatte.
Da war ein Geräusch und blitzartig drehte ich mich um und eilte in die Küche. Lilly schrie kurz auf, als ich das Licht anmachte.
„Entschuldige, dass ich hier so herum schleiche“, sagte sie, als sie sich vom Schreck erholt hatte. Ich wollte nur etwas trinken.“
„Schon gut, Kein Thema. Hat sie euch alles erzählt?“
„Ja, das ist echt furchtbar. Ich bin froh, dass ihr nichts passiert ist.“
„Das bin ich auch“, sagte ich. „Gute Nacht, Lilly.“
Ich spürte ihren Blick auf meinem Rücken, als ich die Küche verließ, um nach oben zu gehen. Lilly gehörte zu den Freundinnen meiner Schwester, die mir hoffnungslos verfallen waren. Sie schwärmte schon seit Jahren für mich und war am Boden zerstört, dass ich immer noch schwul bin. Naja zumindest wurde es mir so zugetragen. Ein Schmunzeln umspielte meine Lippen.
Leise machte ich die Tür zum Mädchenzimmer auf und schaute kurz hinein. Bianca und meine Kleine atmeten ruhig und gleichmäßig. Ich nahm mir vor, die Mädels am nächsten Morgen zu fragen, ob sie sich nicht für ne Woche hier breit machen wollten, um Elina etwas abzulenken und zu unterstützen. Sicher würden sie einwilligen – Lilly sowieso.
Nachdem ich noch einen Abstecher ins Bad gemacht hatte, zog ich mich aus und schlüpfte in mein Bettchen, froh, endlich wieder im eigenen schlafen zu dürfen. Schade nur, dass ich allein war. Kaum hatte ich diesen Gedanken, öffnete sich meine Tür wieder. Elina schlich blitzschnell herein und krabbelte zu mir unter die Decke.
„Ich habe schlecht geträumt. Darf ich bei dir schlafen?“
„Natürlich, mein Schatz. Nichts lieber als das. Komm her.“ Ich zog sie fest an mich und genoss ihre Nähe.
Es dauerte nicht lange und wir waren beide eingeschlafen.
Am nächsten Tag machte ich die Sache mit den Mädels klar. Sie freuten sich, uns Gesellschaft leisten zu dürfen und Elina war sichtlich erleichtert, das merkte ich ihr an, als sie mir dankbar um den Hals fiel.
Beim Frühstück erzählte ich ihr von meinem Besuch im Krankenhaus. Sie sagte, ich solle es erneut versuchen, aber ich blockte ab. Das würde nichts bringen. Meine Einstellung passte ihr nicht, das konnte ich deutlich spüren, aber sie sagte nichts.
Den Rest des Tages bemühte ich mich in der Firma um Schadensbegrenzung. Ich schaffte es glücklicherweise den Batzen Geld, das René ohne es zu wissen wiederbeschafft hatte, zurück zu bringen, ohne dass jemand etwas merkte. Somit war alles wieder in Ordnung und die nächste Prüfung konnte ruhig kommen.
Allerdings musste ich dennoch Rede und Antwort stehen, weil ich so lange nicht erreichbar gewesen war. Mit einigen Sätzen erzählte ich von der Entführung, bei der ich die ganze Kohle, die ich für Elinas Zukunft angespart hatte, flöten ging. Nun, was machte das schon? Geld war nicht alles, das war mir inzwischen deutlicher als jemals zuvor.
Meine Mitarbeiter reagierten bestürzt und als sie mir anboten, mich noch ein paar Tage auszuruhen und frei zu machen, nahm ich das gerne an. Gegen frühen Abend verließ ich das Gelände wieder, fuhr jedoch nicht gleich nach Hause, denn ich wusste ja, dass Elina in guten Händen war. Mehrfach hatte ich sie angerufen und bei meinem letzten Kontrollanruf, wie sie es nannte, war sie tatsächlich schon etwas genervt, obwohl sie es schon süß fand.
Ich kehrte noch für ein Weilchen in meiner Stammkneipe ein. Die erste Amtshandlung war, dass ich der Tresenschlampe meine Autoschlüssel in die Hand drückte, damit ich später nicht auf dumme Gedanken kam.
„Hab ihn bei dir auf den Hof gestellt. Hole ihn morgen wieder ab.“
„So, dann hast du also Größeres vor heute?“, fragte er zwinkernd und stellte mir einen Whiskey vor die Nase.
„Mal gucken, was so Großes vorbei kommt“, erwiderte ich doppeldeutig und zwinkerte zurück.
Tatsächlich hatte ich eine halbe Stunde und einige Drinks später meinen ersten Quickie seit langem hinter mich gebracht, auch wenn ich die Enge in den Klokabinen verabscheute. So richtig befriedigt hatte der Typ mich allerdings nicht, weswegen ich weiter auf Beutesuche ging.
Gegen 24 Uhr kam ein süßer Kerl herein. Er schien jung zu sein, hatte hellbraune, kurze Haare und war ziemlich blass um die Nase. Außerdem war er ziemlich nass, denn draußen schien es heftig zu regnen.
Ich schob mich zu ihm herüber und reichte ihm mein Glas, was ich gerade samt neuem Inhalt erstanden hatte.
„Du siehst so aus, als solltest du besser eine kleine Erkältungsmedizin schlucken“, sagte ich wenig einfallsreich.
„Vielleicht würde ich ja viel lieber etwas anderes schlucken.“ Er nahm das Glas, exte es und musterte mich wohlwollend.
Na endlich mal wieder einer, der wusste was er wollte. So sparten wir uns das lange Vorgeplänkel.
„Ich habe allerdings keinen Bock auf die Drecklöcher da hinten“, sagte er zu mir und deutete mit dem Kopf Richtung Klos.
„Wir können zu mir, wenn du willst. Es ist nicht weit.“
Er nickte und wir setzten uns in Bewegung. Eine dreiviertel Stunde später vögelte ich dem Jungen so dermaßen das Hirn raus, dass es sich anhörte, als krachte mein Bett jeden Moment zusammen. Mir war das im Moment der Ekstase jedoch vollkommen Wumpe.
In der Nächsten Nacht tat ich das gleiche und so ging das den Rest der Woche weiter.
Irgendwann kam dann das böse Erwachen. Elina stiefelte in mein Zimmer, riss das Rollo hoch und zog mir die Decke weg. Dass ich somit vollkommen nackt vor ihr lag, schien ihr Wurscht zu sein. Sie kochte vor Wut.
„Bist du eigentlich total bescheuert?“, fauchte sie mich an. „Vögelst hier wild rum, so dass jeder es mitkriegt. Ist dir eigentlich bewusst, dass ich noch Besuch habe und mir vielleicht peinlich ist, wie du dich aufführst?“
Ich setzte mich auf und wollte etwas erwidern, aber sie ließ mich nicht zu Wort kommen.
„Schleppst einen Typen nach dem andern ab. Glaubst du ich weiß nicht was hier läuft? Ich bin doch nicht blöde. Zwei von denen sind mir auf dem Weg zur Tür unter die Augen gekommen, nachdem du sie rausgeschmissen hast. Komischerweise hatten beide eine gewisse Ähnlichkeit mit René. Geh gefälligst ins Krankenhaus und kümmere dich um ihn und komm mir nicht wieder mit `Die haben mich nicht reingelassen´. Wenn du wo rein willst, kommst du auch rein. Hast du ja die letzten Nächte eindrucksvoll bewiesen! Himmel, Herr Gott, du liebst ihn doch. Tu uns allen einen Gefallen und akzeptier das.“
Sie machte auf dem Absatz kehrt und knallte die Tür hinter sich zu.
Geschockt über so viel Ehrlichkeit am frühen Morgen ließ ich mich wieder nach hinten in die Kissen fallen und dachte über ihre Worte nach. Es dauerte seine Zeit, bis ich mir eingestand, dass sie Recht hatte.
Nachdem ich nun endlich zu dieser Erkenntnis gelangt war, gab es kein Halten mehr für mich und ich machte mich wie ein geölter Blitz auf den Weg ins Krankenhaus. Dort angekommen fragte ich im Schwesternzimmer vor der Intensivstation nach René.
„Es tut mir Leid, aber Herr Hallwig ist nicht mehr bei uns“, antwortete mir eine Blondine und huschte an mir vorbei.
„Nicht mehr bei uns?“, stammelte ich und merkte wie mir flau im Magen wurde.
Völlig aufgelöst stand ich wie bestellt und nicht abgeholt im Flur, in dem es ekelhaft nach Desinfektionsmittel roch. Das durfte nicht wahr sein. Endlich war ich bereit, mich auf das böse Wort Liebe einzulassen und dann wurde er mir schon wieder genommen. Dabei war er noch so jung. Ohne ihn hätte ich Elina nie wieder gesehen, doch jetzt war er tot – wegen mir.
„Sie wollten doch neulich zu Herrn Hallwig“, wurde ich auf einmal angesprochen.
„Ja.“ Mehr brachte ich nicht über die Lippen.
„Können Sie mir sagen wo er ist?“
„Wie, wo er ist?“, krächzte ich verständnislos.
„Tja, der Herr Hallwig ist vorhin sang und klanglos abgehauen. Wir haben ihn gestern auf eine normale Station verlegt. Zur Visite vor zwei Stunden war er noch da.“
„Er ist also nicht … tot?“, fragte ich sicherheitshalber noch einmal nach.
„Nein, er ist viel zu lebendig, wenn Sie mich fragen. Er sollte eigentlich noch nicht in der Gegend herumlaufen.“
„Okay, danke für die Auskunft. Ich muss weg.“
Kaum hatte ich die letzten Worte ausgesprochen, rannte ich durch die Flure des Krankenhauses und raus zu meinem Wagen. Ich fuhr nach Hause und setzte mich an den Rechner, um das Telefonbuch zu wälzen. Hier war das Glück mir endlich mal hold, denn es gab nur 20 Treffer bei Hallwig im Großraum München. Das hätte durchaus schlimmer kommen können.
Nacheinander rief ich alle an und sagte, ich würde gerne Rene Hallwig sprechen, es ginge um ein Testament, das vor kurzem aufgetaucht sei. Übrig blieben letztendlich fünf, die ich allesamt abfahren würde. Drei, die ich telefonisch nicht erreichen konnte und zwei, die eigenartig reagiert hatten.
Der Rest war ein Kinderspiel. Tatsächlich waren die Eltern des schnuckeligen Taschendiebes unter den Übriggebliebenen und es war nicht schwer zu erraten, welche es waren, war man ihnen einmal begegnet. So biestig wie die waren grenzte es an ein Wunder, dass sie mich Anfangs noch höflich hereingebeten hatten.
Jedenfalls kam ich ohne Umschweife zum Punkt, denn ich wollte die Sache schnell hinter mich bringen, bevor ich ausrastete in diesem Haus, wo nicht mal ein winziges Foto an ihren Sohn erinnerte. Ich bat mit Nachdruck um die Adresse des Großvaters, da ich annahm, dass ich den Kleinen dort finden würde. Rausrücken wollten die homophoben Arschlöcher sie jedoch nicht.
Als sie mich ziemlich unhöflich baten, ihr Haus zu verlassen, machte ich sie ganz galant darauf aufmerksam, dass ich, wenn sie mir nicht gaben was ich wollte in der nächsten Ausgabe des hiesigen Wochenblattes eine riesige Anzeige schalten würde, dass René und ich heiraten würden – mit Adresse der Eltern versteht sich. Zum Glück fruchtete dieser Bluff und ich konnte ein paar Minuten später wieder frische Luft atmen.
Beschwingt machte ich mich auf den Weg. Nicht mehr lange und ich würde ihn wiedersehen, dachte ich aufgeregt. Ob er mich überhaupt sehen wollte? Immerhin hatte ich ihn im Stich gelassen als er im Krankenhaus lag. Nun, ich würde es erleben.
RENÉ
Gediegen ließ ich meinen Blick über den kleinen See schweifen, in dessen Wasser ich meine Füße baumeln ließ. Es war ein warmer Herbsttag, der so manche alte Erinnerung an Kindheitstage wach rief. Ein kleines Lächeln verirrte sich auf meine Lippen. Wie oft hatte ich hier mit meinem Großvater am alten Steg gesessen und geangelt. Er erzählte dann immer Geschichten von Oma und ihm und wie sie sich kennen gelernt hatten.
Er hatte mir so viel beigebracht, nicht nur über die Natur, wie man Feuer macht oder ein kleines Wasserrad baut, sondern auch, dass man jeden Menschen so akzeptieren sollte, wie er ist. Er sagte immer, selbst die Leute, die auf den ersten Blick böse erscheinen, haben ein gutes Herz und einen triftigen Grund, sich so zu verhalten, wie sie es tun.
Deswegen hieß er nicht immer alles gut. Auch für ihn war Mord eine schwere Straftat. Trotzdem akzeptierte er nie etwas, wie es war, sondern hinterfragte alles. Je älter ich wurde, desto weniger gefiel meinen Eltern, was er mir beibrachte, denn ich nahm mir viel von ihm an. Wieder stellte ich traurig fest, wie sehr er mir doch fehlte. Gerade jetzt.
Seufzend lehnte ich mich zurück und lag nun flach auf dem alten Holz. Ein schmerzhafter Stich fuhr blitzartig durch meine Seite, was mich kurz aufstöhnen ließ. Mit zusammengebissenen Zähnen rieb ich über die Stelle und verfluchte meine Ungeschicktheit. Trotzdem bereute ich nicht meinen Entschluss, das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen zu haben.
Mal davon abgesehen, dass ich zurzeit nicht krankenversichert war, hatte ich keine Lust auf ungebetenen Besuch. Es tat schon unheimlich weh, alleine aufzuwachen, aber zu wissen, dass ich nach wenigen Stunden komplett abgeschrieben war, brannte wie die Hölle.
Ich erinnerte mich, wie ich am Abend des verrückten Tages in der Intensivstation aufwachte und ich blaue Augen sah. Ein süßes Lächeln umspielte schmale Lippen und eine gerade Nase zierte das mit Sommersprossen übersäte Gesicht.
„Ich hätte nicht gedacht, dass ich doch im Himmel lande“, nuschelte ich im Tran, worauf das Lächeln des Anderen noch breiter wurde.
„Nicht ganz, Schätzchen, aber knapp vorbei. Ich hole den Arzt, okay?“, erklang eine sanfte Stimme und schon war er weg.
Somit hatte ich die Gelegenheit, richtig wach zu werden und mich umzuschauen. Nein, der Himmel war das hier bestimmt nicht. Nervig piepsende Geräte, von denen man nie wusste, wozu die überhaupt gut waren und der beißende Geruch von Desinfektionsmittel. Lange würde ich es hier bestimmt nicht aushalten.
Kurz darauf erschien ein älterer Herr. Er hatte so ein typisches Rektorlächeln drauf, was Verständnis zeigte, aber doch irgendwie mahnend ausschaute.
„Guten Abend Herr Hallwig. Wie fühlen sie sich?“
„Mal von dem Presslufthammer in meinem Hirn und der Dampfwalze, die über mich drüber gerollt sein muss, abgesehen? Fit wie ein Turnschuh!“
Der Arzt lächelte gutmütig.
„Das klingt doch sehr gut. Können sie sich erinnern, warum sie bei uns sind?“
Einen kleinen Moment musste ich wirklich stark über diese Frage nachdenken. Doch dann schossen Bilder durch meinen Kopf und zwar so schnell, dass ich gequält meine Augen schloss.
„Nicht wirklich. Nein.“ Ich war einfach noch nicht bereit, detailliert über alles nachdenken zu wollen. Der Arzt schaute mich intensiv an, drängte mich aber zu nichts.
„Na, das kommt bestimmt noch. Sie wurden mit einer Schussverletzung und hohem Blutverlust heute Nachmittag eingeliefert. Wir mussten sofort operieren, aber wie ein Wunder, hatte das Geschoss keine Organe verletzt. Es war ein glatter Durchschuss, den wir gut nähen konnten. Nur der Blutverlust machte uns bisher Sorgen. Aber wie mir scheint, haben sie die Transfusion gut überstanden.“
Weil ich auch dazu nichts zu sagen hatte, kontrollierte der Arzt kurz die Verbände und verabschiedete sich dann bis zum nächsten Morgen. Der süße Zivi, welcher sich als Tomas vorstellte, gab mir noch was gegen die Kopfschmerzen, wonach ich gleich wieder einschlief.
Tomas war echt ein Lieber. Die ganze Woche über umsorgte er mich, als wäre ich ein Kücken und er meine Glucke. Er schickte die Polizei weg, die noch immer eine Aussage von mir benötigte und hielt mich auf dem Laufenden, was draußen so ablief.
Zuerst dachte er, Elina wäre meine Freundin, weil sie wohl versucht hatte, wild schimpfend ihr Besuchsrecht zu erkämpfen. Aber als ich leise vor mir her nuschelte, dass mir es ihr Bruder eher angetan hatte, war für ihn alles klar. Er hatte Elias am Tag meiner Einweisung kurz gesehen, war von ihm trotzdem hin und weg gewesen. Laut Tomas war Elinas Bruder der Hingucker überhaupt.
Allerdings war der süße Zivi schon vergeben, weswegen er nur gucken und nicht anfassen durfte, was ich gespielt enttäuscht hinnahm. Er verstand es augenzwinkernd. Nein, was Neues könnte ich jetzt nicht anfangen. Dafür spukte Elias mir noch viel zu sehr im Kopf herum.
Es war der dritte Tag im Krankenhaus, als Tomas am Morgen mit ernster Mine mein Zimmer betrat. Da ich mich recht schnell erholte, bekam ich das sofort mit. Tomas lachte sonst immer! Er sprach mich auf Elias an und ob er denn wüsste, was ich für ihn empfand bzw. ob wir überhaupt zusammen wären. Genau konnte ich diese Frage nicht beantworten und drängte Tomas endlich damit rauszurücken, weswegen das so wichtig war.
Der junge Zivi jobbte nebenher in einer Schwulenbar, um das Geld fürs Studium aufbringen zu können. Dort hatte er den Abend zuvor Elias gesehen, wie er so einen Schönling abgeschleppt hatte, keine fünf Minuten nachdem er die Bar betrat.
Es ist verdammt schwer dieses Gefühl zu beschreiben, was sich in mir ausbreitete, als ich das hörte. Es tat einfach nur so beschissen weh. Natürlich versuchte ich das zu überspielen, doch Tomas kaufte mir das nicht wirklich ab.
Trotzdem erholte ich mich die nächsten Tagen immer mehr, was sogar die Ärzte überraschte. Allerdings basierte das nur auf einen Gedanken. Ich wollte hier raus! Weder war ich erpicht darauf, mit den Polizisten zu reden und die ganze Geschichte abermals durchkauen zu müssen, noch wollte ich Elina sehen, die ihrem Bruder so ähnlich sah. Es wäre einfach zu schmerzhaft.
Laut Tomas ließ Elias keinen Tag aus, um andere Typen abzuschleppen, was mich ganz krank machte. Ich wusste, dass es der Zivi nur gut meinte, damit ich Elias besser vergessen, schneller abschreiben konnte. Irgendwann wurde mir das allerdings zu viel.
Als ich auf die normale Station verlegt wurde, schnappte ich mir am darauffolgenden Morgen meine Sachen, die frisch gewaschen worden waren und haute einfach ab.
Es gab nur einen einzigen Ort auf der ganzen weiten Welt, der mir bisher immer Geborgenheit und Ruhe gespendet hatte. Und das war bei meinem Großvater. So lag ich also hier auf dem morschen Steg und gab auf, weiter gegen die Tränen anzukämpfen, die schon länger in meinen Augen brannten.
ELIAS
Mit klopfendem Herzen stellte ich meinen Wagen auf dem schmalen Waldweg ab, der zum Haus führte, welches ich an einigen Stellen durch die Bäume und Büsche hindurch schimmern sah.
Hoffentlich täuschte ich mich nicht und René war tatsächlich hier. Doch das war er, denn kaum hatte ich mich dem Besitz seines Großvaters genähert, sah ich ihn am See liegen. Zuerst dachte ich, er wäre wegen der Schusswunde zusammen gebrochen, jedoch bewegte er sich einen Moment später und setzte sich wieder auf.
Ich stand nun wenige Meter hinter ihm und erkannte, dass er weinte. Es stach mir ins Herz, denn ich konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen. Langsam ging ich auf ihn zu, beugte mich zu ihm herunter und legte ihm sachte eine Hand auf den Rücken. René erschrak fürchterlich.
„Scht. Keine Angst, ich bin es. Nicht weinen, René. Es wird alles wieder gut.“
Vorsichtig zog ich ihn in eine Umarmung.
„Danke, dass du Elina gerettet hast und … dass du mich gerettet hast. Das werde ich dir nie vergessen.“
Zuerst schien er meine Nähe zu genießen, lehnte sich erleichtert seufzend an meine Brust. Doch dann, als wenn ihm etwas eingefallen wäre, zuckte er zurück und sah mir kurz in die Augen. Neben einer seltsamen Fassungslosigkeit erkannte ich unterdrückten Schmerz und aufkeimende Wut. Noch ehe ich wusste wie mir geschah, hatte mich René gepackt und mit einem Ruck in den See gestoßen.
„Scheiße, ist das kalt“, rief ich prustend, als ich wieder auftauchte. „Also ich hab mir ja schon gedacht, dass du sauer bist, weil ich dich nicht besucht habe. aber das du so sauer bist…“
Mühsam schleppte ich mich ans Ufer, was mit vollgesogenen Klamotten und Schuhen gar nicht so einfach war. Mir klapperten die Zähne und kaum stand ich wieder auf dem Trockenen, zog ich mir bis auf die Shorts ein Kleidungsstück nach dem anderen aus und wrang alles aus. Außerdem wäre es sicherlich gesünder halb nackt im Herbstwind zu stehen, als mit dem nassen Kram an.
René sah mir eine halbe Minute zu, bis ihm schlussendlich doch der Kragen platzte. Er schnappte sich meine nassen Klamotten, die ich achtlos beiseite geworfen hatte und ging damit auf mich los.
„Klar hast du mich nicht besucht. An sich hätte ich damit auch kein Problem gehabt. Aber wild durch die Gegend vögeln und mich dann zulabern, von wegen Gefühle und so ein Scheiß! Vielleicht bin ich nicht so ein arroganter, versnobter Arsch mit riesen Villa und nen Haufen Kohle, wie du. Aber blöd bin ich deswegen noch lange nicht!“
Schnaufend stand er vor mir, ließ das nasse Shirt in seinen Händen fallen und sah mich kopfschüttelnd an.
„Verzieh dich!“, befahl er leise mit zitternder Stimme.
Einen Moment lang war ich sprachlos. Nicht wegen seiner Beleidigungen, ich wusste, dass ich bisweilen so auf Leute wirkte. Doch woher wusste er von meinen ONS, verdammte Scheiße.
„Aber ich will mich nicht verziehen“, sagte ich so ruhig wie irgend möglich. „Hör mal, ich weiß, dass ich mich in der letzten Woche nicht mit Ruhm bekleckert habe und es hat seine Zeit gedauert, bis ich das begriffen habe. Ich wollte einfach alles vergessen, mich ablenken, auch, wenn ich im Grunde wusste, dass das der falsche Weg ist.
Das soll keine Rechtfertigung sein, René. Es ist nur so, dass ich mich seit dem Tod unserer Eltern auf nichts mehr eingelassen habe. Ich…“ Mehrmals musste ich tief Luft holen, um weiter sprechen zu können, denn noch nie hatte ich es vor einem anderen Menschen eingestanden, nicht mal vor Elina. „Ich könnte es nicht ertragen noch einmal jemanden zu verlieren, den ich lieb gewonnen habe und mit meiner Vögelei, wie du es nennst, wollte ich dich einfach vergessen, weil ich dich sehr mag.“
Plötzlich standen mir Tränen in den Augen.
„Als ich dachte, du seiest tot… du kannst dir nicht vorstellen, was in dem Moment in mir los war…“ Mehr bekam ich nicht über die Lippen.
Schnell wandte ich mich ab, denn René sollte nicht sehen, wie ich heulte. Es reichte schon, dass Elina in den letzten Tagen mehrere Gefühlsausbrüche von mir mitbekommen hatte. Ich musste stark sein, für sie, für die Firma und überhaupt.
„Idiot!“, schnaubte René lediglich und stapfte Richtung Haus davon. Ich war schon einem Zusammenbruch nahe, als er sich auf halben Weg umdrehte.
„Was ist? Kommst du endlich? Oder willst du hier noch weiter halb nackt und nass in der Kälte rumstehen?!“ Er klang zwar noch immer etwas gereizt, aber längst nicht mehr so wütend wie eben.
Wie ein kleiner Junge, der gerade die Predigt seines Lebens bekommen hatte, schlich ich hinter ihm her ins Haus. Man sah deutlich, dass hier seit Jahren nichts gemacht worden war. Zwar erkannte man auch Renés klägliche Versuche, die Waldhütte in Schuss zu halten, aber gegen den steten Verfall kam er ohne Kohle nicht an.
„Oh, mir fällt ein, ich hab da noch was für dich“, sagte ich mit belegter Stimme und rannte noch einmal raus, um meine Klamotten zu holen. Ich hing sie über die Stuhllehnen der Esstischgarnitur und fischte dann einen Schlüssel aus meiner Jeans, um ihn weiterzureichen.
René schien das alte Stück Metall sofort zu erkennen. Mit riesig gewordenen Augen und blassem Gesicht, suchte er Halt an der Rückenlehne einer alten Couch, verzog aber gleich schmerzhaft das Gesicht und hielt sich seine Seite. Mit aufeinander gepressten Lippen, um auch ja keinen Laut von sich zu geben, setzte er sich hin, wobei ich tatsächlich etwas Blut entdeckte, was durch das Shirt schimmerte. Als ich mir das näher anschauen wollte, schlug er empört meine Hände beiseite und funkelte mich wütend an.
„Mir geht‘s gut, klar!“, schnappte er aufmüpfig. Doch ich sah ihm an, dass dem nicht so war.
„Ja, sicher!“, entgegnete ich voller Ironie. „Du lässt mich das jetzt ansehen!“
Bevor er sich wieder wehren konnte, schnappte ich mir seine Hände und hielt sie mit einer Hand fest umklammert. Mit der anderen Hand schob ich sein Shirt hoch und besah mir die Wunde. Die Naht war nicht gerissen, aber wenn er so weiter machte würde das sicherlich bald passieren.
„René, du brauchst Ruhe. Keine Widerrede! Ich habe keinen Bock, dass du meinetwegen noch mal in Lebensgefahr gerätst.“
Langsam bugsierte ich ihn zu einer alten Couch, die zwar nicht mehr taufrisch schien, aber ihren ganz eigenen Charakter hatte. Auf Anhieb konnte ich mir vorstellen, wie der Kleine und sein Großvater auf ihr gesessen und gemeinsam ihre Fotos angesehen hatten.
So richtig wollte mein selbsternannter Schützling nicht, aber ich schaffte es dennoch ihn dazu zu bringen sich hinzulegen.
„Die Sache mit dem Schlüssel – was immer das für eine Sache ist – läuft dir nicht weg. Du ruhst dich jetzt erst mal aus und ich lasse einen Arzt kommen. Und wenn du maulst, rufe ich gleich einen Krankenwagen!“, stellte ich unmissverständlich klar.
Trotzig wie ein kleiner Junge, der sein Spielzeug nicht bekam, schaute René mich an, was mich leicht schmunzeln ließ. Dann konnte ich mich einfach nicht länger zurückhalten und streichelte ihm liebevoll über die Wange.
Der Kleine wusste wohl nicht recht, was er davon halten sollte, runzelte lediglich die Stirn und sah mir direkt in die Augen. Als ob er etwas suchen würde, drang sein Blick tief in mich ein, bis hin zu meiner Seele. Dieses Mal verschloss ich mich nicht. Ich wollte, dass er die Wahrheit erkannte, wie es in mir ausschaute.
Als René Anstallten machte sich aufzusetzen, begann ich schon zu protestieren. Doch er würgte mich sofort ab.
„Halt die Klappe, Schwertner!“
Dann küsste er mich.
„Wow“, hauchte ich und schob ihn mit sanfter Gewalt zurück in die Waagerechte. „Ich würde nichts lieber machen, als mit dir zu knutschen, aber ich möchte erst sichergehen, dass es dir wirklich gut geht.“
Nun beugte ich mich zu ihm herunter und küsste ihn kurz auf die Lippen, bevor ich mein Handy zückte, was den Wasserschaden wie ein Wunder überlebt hatte. Zumindest funktionierte es momentan noch. Ich rief meinen Hausarzt an, der auch im Krankenhaus tätig war. Er kam netterweise kurz vorbei, obwohl er seinen freien Tag hatte.
Da René inzwischen keine Schmerzen mehr hatte und die Naht unauffällig aussah, musste er nicht wieder ins Krankenhaus. Der Doc empfahl uns aber am nächsten Tag noch einmal bei dem behandelnden Arzt vorbeizuschauen. Der Kleine maulte etwas rum, weil er da nicht mehr hinwollte, aber in der Hinsicht duldete ich keine Widerrede. Ich würde ihn fahren und darauf achten, dass er sich an den Rat hielt.
Nachdem ich den Doc hinausbegleitet hatte und zurück ins Wohnzimmer kam, saß René aufrecht auf der Couch und betrachtete den Schlüssel, den ich ihm gegeben hatte.
„Hey, du sollst dich doch schonen“, sagte ich sanft und setzte mich neben ihm. Er verdrehte gespielt entnervt die Augen.
„Das macht mich noch lange nicht zum bettlägerigen Pflegefall.“
„Obwohl die Sache mit dem Bett ganz reizvoll klingt“, meinte ich schnurrend und platzierte einen Kuss direkt an die empfindliche Stelle hinter sein Ohr. René erschauderte und bekam eine leichte Gänsehaut.
„Lüstling“, schnurrte er, ließ es sich aber gefallen. Doch seine Hauptgedanken drehten sich noch immer um das Stück Metall in seinen Händen.
„Du bist neugierig, hm“, stellte ich fest.
„Mein Großvater ist vor fünf Jahren gestorben. Außer dieser Hütte hier, die ich ja eigentlich widerrechtlich betreten habe, existiert nichts mehr, was mich an ihn erinnert.“
„Außer dem Fotoalbum“, schlussfolgerte ich, worauf René nickte.
„Dieses Album bedeutet mir so viel“, sagte mein kleiner und blickte mich aus großen Hundeaugen an.
„Ja, ich weiß. Es hat mich gewundert, dass deine Eltern damit rausgerückt sind. Naja, wahrscheinlich hatten sie zu viel Angst“, schlussfolgerte ich, während ich ihn in meine Arme schloss, und konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Meine Eltern, Angst…“ René sah mich stirnrunzelnd an. „Du hast sie doch wohl nicht bedroht?!“, fragte er empört. Es war schon seltsam, dass er seine Erzeuger in Schutz nehmen wollte, trotz allem was sie ihm angetan hatten.
„Wie man’s nimmt. Schätze, sie haben es so aufgefasst!“, sagte ich grinsend und schob lieber noch eine Erklärung hinterher, bevor er wieder böse wurde: „Ich sagte, wenn sie mir nicht die Adresse der Hütte gäben, würde ich unsere Verlobung mit ihrer Adresse im Wochenblatt bekannt geben. Wahrscheinlich dachten sie, sie legen zur Sicherheit besser noch den Schlüssel obendrauf.“
Zum ersten Mal schien ich dem Kleinen die Sprache verschlagen zu haben. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen schaute mich René an, als hätte ich ihm gerade gesagt, ich käme vom Mars und nicht von der Erde.
„Keine Sorge, du musst mich nicht gleich heiraten, nur weil wir gevögelt haben“, stellte ich klar und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen.
Er schmeckte so verdammt gut und vor allem nach mehr. Ich gab ein leises Seufzen von mir und trennte unsere Lippen von einander.
„Ehrlich gesagt hätte ich nichts gegen eine Wiederholung einzuwenden, aber du musst dich schonen. Wilder Sex passt da wohl nicht so recht.“
Schwer atmete der Kleine gegen meine Haut, was mir ein angenehmes Prickeln bescherte. Ihm schien es genauso wie mir schwerzufallen, sich zusammenzureißen, aber ihm war auch klar, dass er vorerst Ruhe brauchte. Trotzdem ließ er sich nicht ans Krankenbett fesseln. Abermals holte er das Stück Metall hervor.
„Der Schlüssel gehört zu einem Schließfach der alten Bank, ein Dorf weiter. Mein Großvater hat mich öfters dort hin mitgenommen, weil er mit dem Chef gut befreundet war. Ich muss einfach wissen, was da drin ist und warum er ihn gerade mir vererbt hat.“
Vorsichtig versuchte René aufzustehen, verzog dabei jedoch vor Schmerzen das Gesicht.
„Okay, ich fahre rüber und hole dir was immer in dem Fach ist hierher. Ich halte das für die beste Variante. Ich will nicht, dass sich dein Zustand wieder verschlechtert.“ Besorgt sah ich ihn an, fasste ihn an den Schultern und zwang ihn mit leichtem Druck, sich wieder hinzulegen.
„Das ist nett, aber wird nicht funktionieren“, meinte René darauf und sah mich seufzend an. „Wie schon gesagt, kannte der Bankchef meinen Großvater. Er wird den Inhalt nur an mich persönlich abgeben. Sonst hätten meine Eltern schließlich schon längst das Fach leer geräumt und dieser Schlüssel hier wäre nie mehr aufgetaucht.“
„Das habe ich befürchtet“, sagte ich seufzend. „Hör mal, kann das nicht noch ein paar Tage warten? Ich will sichergehen, dass du mir nicht zusammenklappst und der Doc hat auch gesagt, du sollst dich ausruhen.“
„Elias…“, sanft legte René beide Hände auf meine Wangen, sodass ich seinen großen, blau-grünen Augen nicht mehr entkommen konnte. „Mein Großvater ist seit 5 Jahren tot. Und jetzt, nach so langer Zeit, erhalte ich so etwas wie ein Zeichen von ihm. Ich möchte nicht mehr warten. Bitte!“
Ich stöhnte auf.
„Okay, wenn es unbedingt sein muss. Komm, ich helfe dir.“
Mit meiner Hilfe stand René auf und versicherte mir mehrmals, dass ihm nichts mehr weh tat. Er war sehr aufgeregt als wir zusammen die Hütte verließen und zu meinem Auto gingen. Während der Fahrt hing er seinen Gedanken nach und drehte immer wieder den Schlüssel in seinen Händen, ohne auch nur einen Blick davon abzuwenden.
„Ich kann gut verstehen, wie wichtig das für dich ist“, sagte ich in die Stille hinein, als wir wenige Minuten später vor der Bankfiliale hielten. „Hätte mir so lange nach dem Tod meiner Eltern jemand etwas gegeben, das von ihnen stammt, könnte ich es wohl auch nicht abwarten.“ Sanft nahm ich seine Hand, drückte sie kurz und stieg dann aus, da ich in diesem Moment ziemlich gefühlsduselig wurde.
Vor ein paar Wochen noch hätte ich nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte und nun war ich mit einem Mann zusammen, den ich von einem zum anderen Augenblick immer mehr vergötterte. Ohne Frage hatte Elina recht, ich hatte mich in ihn verliebt – und wie.
Schnell atmete ich noch einmal tief durch, ging um den Wagen herum und half René beim Aussteigen, auch wenn er mich seinem Blick nach zu urteilen für leicht übergeschnappt halten musste.
Drinnen war nicht viel los und nach nicht mal einer Minute kam ein älterer Herr auf uns zugeeilt.
„René!“ Es sah fast so aus, als ob der Mann meinen Schatz umarmen wollte, sich aber kurz davor doch noch seiner alten Schule besann und ihm lediglich kräftig die Hand schüttelte. Ich hingegen hätte den Typen am liebsten gegen die nächste Wand geworfen, so hart wie der meinen Kleinen anpackte.
„Deine Eltern sagten, du seiest an einer Krankheit verstorben. Aber eine Urkunde konnten sie mir nicht vorlegen. Deswegen habe ich ihnen auch den Zutritt zum Schließfach verwehrt. Deinem Großvater habe ich schließlich am Sterbebett versprochen, dass nur du den Inhalt erhältst.“ Der alte Mann war sichtlich gerührt und schien sogar feuchte Augen zu bekommen.
„Danke Herr Pierchhoff. Mein Großvater wusste schon immer, dass er sich auf seinen guten Freund vollends verlassen kann.“ René hatte die richtigen Worte gefunden, denn der Bankchef reckte stolz sein Kinn. Dann setzte er sich in Bewegung und winkte uns hinter sich her.
Für mich schien er sich gar nicht groß zu interessieren, was mich nicht weiter störte. Ich hielt mich dezent im Hintergrund und achtete wie ein Schießhund auf jede Bewegung meines Schatzes, um ihn wenn nötig zu stützen oder aufzufangen. Vielleicht hatte ich doch zu viel Wasser von dem grünen See geschluckt.
„Dein Großvater war wirklich ein guter Mensch. Es ist eine Schande, dass sein Sohn diese Frau geheiratet hat und so ignorant wurde. Aber sei es drum.“ Wir gelangten in einen großen, länglichen Raum mit etlichen alten Schließfächern. „So, da wären wir. Die Nummer steht auf dem Schlüssel und dort hinten sind abschließbare Räume, in die ihr euch diskret zurückziehen könnt. Den Weg kennt ihr ja nun. Falls etwas sein sollte, gebt einfach einem meiner Angestellten bescheid.“ Zum Abschied legte der Mann seine Hand auf Renés Schulter und drückte leicht zu.
„Alles Gute, mein Junge, und Gottes Segen!“
„Danke Herr Pierchhoff, Ihnen auch.“ Der Bankchef nickte noch einmal kurz, bevor er mit einem geschäftigen Schritt verschwand.
René sah mich unsicher an, nahm zu meiner Freude meine Hand und wir gingen die Reihe der Fächer entlang. Dann entdeckte er das Richtige, blieb stehen und versuchte mit zittrigen Fingern den Schlüssel ins Schloss zu schieben.
„Hey, ganz ruhig“, flüsterte ich, legte meine Hand auf die seine und führte den Schlüssel in sein Ziel.
Als wir die Tür öffneten, erschien eine nicht übermäßig große Kassette. Ich nahm sie heraus und schob meinen Süßen in einen der genannten Räume, um den Inhalt heraus zu holen. Groß war er nicht, aber ein Tisch und zwei Stühle fanden darin Platz. René setzte sich. Ich blieb hinter ihm stehen, schob den Deckel der Kassette herunter und legte sie vor ihm nieder.
René gab einen komischen Laut von sich, langte vorsichtig in den Behälter und holte langsam ein altes, in Leder gebundenes Buch hervor. Erst als ich sah, dass auf einmal Tränen über seine Wangen liefen wusste ich, dass es das Album sein musste, von dem er mir erzählt hatte.
Ebenso überwältigt wie er, nahm ich ihn kurz von hinten in die Arme und drückte ihm einen Kuss auf den Nacken, während er schon begann es bedächtig durchzublättern. Jedes Bild sah er etliche Sekunden an, als könne er sich gar nicht daran satt sehen. Ich konnte das gut nachvollziehen. Hatte ich doch in den letzten Jahren selbst immer wieder unsere Familienalben durchgeblättert.
Ich schluckte schwer und setzte mich dann neben ihm, um mir die Papiere anzusehen, die noch in der Kassette lagen, denen René jedoch noch keinerlei Beachtung schenkte.
Als ich den Aktendeckel aufklappte, erkannte ich auf den ersten Blick was es war. Die Frage war nur, welchen Wert diese Unterlagen für meinen Süßen haben würden. Warum weiß ich nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass sein Großvater ihm keinen Schund hinterlassen haben würde.
In Ruhe sah ich alles durch, um ganz sicher zu gehen und murmelte staunend vor mich hin. René jedoch beachtete mich gar nicht. Dann kam ich zur letzten Seite und hielt inne, bevor ich laut anfing zu lesen:
„Mein lieber Junge!“
Wenn du diese Zeilen liest, werde ich schon wo anders sein. Bitte sei nicht traurig darüber, denn das ist der Lauf des Lebens.
Ich hatte ein gutes Leben, an dem du einen großen Anteil hast. Du hast mir viel Freude bereitet und mich immer sehr stolz gemacht.
Selbstverständlich ist das beiliegende Fotoalbum für dich. Wir haben es so oft gemeinsam angesehen und zusammen in Erinnerungen geschwelgt.
Es ist außerdem mein Wunsch, dass du das Haus am See bekommst, was du immer so geliebt hast. Sicherlich wirst du eine Menge daran zu tun haben, es wieder in Schuss zu bringen, denn in den letzten Jahren habe ich es schändlicherweise etwas vernachlässigt. Jedoch bin ich mir sicher, dass du das hinbekommst. Damit es dir etwas leichter fällt, habe ich dir die Wertpapiere beigelegt, von denen keiner außer dir nun weiß, dass es sie gibt.“
Ich stockte und schluckte ein paar Mal, dann las ich weiter, wohl wissend, dass René zuhörte und jedes Wort verinnerlichte.
„Es würde mich sehr freuen, wenn du der alten Hütte wieder Leben einhauchst, wie du es immer getan hast. Ich hoffe, du findest eines Tages einen netten Partner, der gemeinsam mit dir dort einzieht. Ich wünsche es dir von ganzem Herzen.
Sei nicht traurig, dass ich fort bin, lieber René, du weißt, ich werde dich niemals ganz verlassen.
In Liebe,
Dein Großvater“
RENÉ
Ich konnte nicht länger an mir halten und heulte einfach drauf los. Auch wenn ich jeden Laut versuchte zu unterdrücken, das Zittern meiner Schulter und der Sturzbach der Tränen sagten alles. Es war seltsam, aber es tat so verdammt gut, Elias bei mir zu wissen, seinen Körper neben mir zu spüren, die Arme fest um mich geschlungen. Seit er zu Ende gelesen hatte, hielt er mich fest und redete leise und beruhigend auf mich ein. Ohne ihn wäre ich längst zusammengebrochen.
Dieses Mal stimmte ich ihm sofort zu, vorerst nach Hause zu fahren und dort die ganzen Papiere nochmals in Ruhe anzuschauen. Also packten wir alles zusammen und gingen nach draußen. Die frische Herbstluft tat richtig gut und ordnete meine Gedanken etwas. So stieg ich mit nicht mehr ganz so wackeligen Beinen in Elias Auto ein, der mich die ganze Zeit kritisch beäugte. Es war seltsam, wie sehr er auf einmal um mich besorgt war, aber ich genoss es sehr.
Auf dem Rückweg legten wir bei einem Kiosk, wo Elias ein paar Kleinigkeiten zu Essen einkaufte, einen kurzen Stopp ein. Allerdings bestand er vehement drauf, dass ich im Auto wartete, was mich schon etwas nervte. Schließlich war ich doch kein kleines Kind mehr!
Allerdings beschwerte ich mich nicht, denn er meinte es ja nur gut. Während der Fahrt redeten wir nicht viel. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und auch Elias schien einiges zu beschäftigen. Zwar tat er alles damit ich es nicht merkte, doch ich hatte wohl mitbekommen, dass auch er ein paar Tränen vergoss, nachdem sämtliche Geheimnisse der Kassette gelüftet waren.
„Da sind wir wieder.“
Mit diesen Worten riss er mich aus meinen Gedanken. Wir stiegen aus – Elias schnappte sich die Einkäufe – und gingen ins Haus, dass ich nun mit anderen Augen sah. Es gehörte mir, mir ganz allein und ich würde hier wohnen. Es überwältigte mich schlicht.
„Hey, alles okay, mein Schatz?“, flüsterte Elias mir ins Ohr und schon legte er wieder seine starken Arme um mich.
Ich schloss für ein paar Sekunden meine Augen und genoss diesen einzigartigen Moment. Mein Kopf war komplett leer, kein Gedanke war mehr richtig greifbar. Nur dieses wohlige Gefühl der Geborgenheit spürte ich noch, das mich sanft einlullte, wie das Wiegenlied einer Mutter.
Es vergingen ein paar Tage, in denen Elias sich fast schon zu liebevoll um mich kümmerte. Wir genossen beide unsere kleine Zweisamkeit, die lediglich durch einen kurzen Krankenhausbesuch und einem Abstecher bei der Polizei wegen meiner Aussage unterbrochen wurde.
Erst nach diesen Tagen war ich bereit, wieder nach München zurückzufahren. Aber irgendwann musste ich mich ja wieder der normalen Zivilisation zeigen, schließlich hatte ich beschlossen, mein Studium fortzusetzen und da gab es noch so einiges zu klären. Außerdem wollte Elias verständlicherweise zurück zu seiner Schwester.
Elina… Gut, ich hatte sie aus diesem Loch befreit. Aber ich trug daran Schuld, dass sie so lange dort ausharren musste. Konnte ich ihr überhaupt noch in die Augen blicken? Ich musste doch für sie der letzte Dreck sein. Klar hatte sie versucht, mich im Krankenhaus zu besuchen, aber die Hintergründe kannte ich deswegen noch lange nicht. Je näher wir dem Haus der Geschwister kamen, desto nervöser wurde ich.
Elias sah mich wissend an.
„Du musst keine Angst haben. Elina ist eine Frohnatur. Wenn ich dir verziehen habe, hat sie es schon dreimal getan.“
Zielsicher lenkte er den Wagen in die große Garage, in der noch ein Kleinwagen stand. Während hinter uns das Rolltor wieder herunter ratterte, stiegen wir aus und gingen durch eine Tür in der Garagenwand direkt ins Haus.
Ich war nicht darauf vorbereitet, dass wir sofort in der Küche stehen würden und war entsprechend erschrocken, als ich Elina dort mit zwei Freundinnen am Küchentisch sitzend vorfand.
Sie stand auf und schon lagen die Geschwister sich in den Armen. Elias küsste sie auf den Mund und sagte irgendetwas zu ihr, was ich aber nicht verstand.
Dann ließ Elina ihren großen Bruder los, kam auf mich zu und bevor ich mich versah umarmte sie mich.
„Danke, René, dass du mich gerettet hast. Hättest du meinem Bruder nicht das Geld abgenommen, wäre ich jetzt nicht mehr hier und vor allem danke ich dir, dass du ihm sein Funkeln in den Augen zurück gegeben hast. Ich habe ihn lange nicht mehr so froh gesehen.“ Den letzten Teil flüsterte sie mir ins Ohr.
Ich war wie gelähmt und konnte erst gar nichts darauf antworten. Dann legte auch ich zögerlich meine Arme um die zierliche Person und drückte sie sanft an mich. Krampfhaft versuchte ich, die Tränen der Erleichterung zurückzudrängen und schluckte endlich den Kloß in meinem Hals hinunter.
„Danke“, hauchte ich leise. Zu mehr war ich gerade einfach nicht fähig. Als sie mich los ließ, streichelte sie mir liebevoll über die Wange, als nehme sie meine stumme Entschuldigung an und überließ mich dann wieder ihrem Bruder.
Elias sah mich liebevoll an und küsste mich.
„Siehst du. Sie mag dich. Genau wie ich.“
Alle zusammen gingen wir ins Wohnzimmer und machten es uns gemütlich. Elinas Freundinnen verließen uns jedoch bald. Sie meinten, sie müssten sich mal wieder bei ihren Eltern blicken lassen. Es war jedoch offensichtlich, dass sie uns drei allein lassen wollten.
Die beiden Geschwister brachten sie hinaus und Elina kam allein zurück.
„Elias holt uns eine Flasche Wein. Jetzt machen wir es uns so richtig gemütlich.“
„Ja, okay“, sagte ich, ohne eigentlich zuzuhören.
Ich hatte ein altes, gerahmtes Bild entdeckt, das die beiden mit ihren Eltern zeigte. Sie alle sahen so fröhlich aus.
„Seit ihrem Tod habe ich ihn nie wieder so glücklich gesehen“, flüsterte Elina leise hinter mir. „Er wurde mein Vormund und hat sich sehr verändert. Doch jetzt, wo du in unser Leben getreten bist, entdecke ich zunehmend den alten Elias wieder und dafür danke ich dir. Du tust ihm so unendlich gut, auch wenn er das nie zugeben würde. Komm…“
Sie zog mich aufs Sofa und zwinkerte mir zu. Ihr großer Bruder kam mit einer Flasche Wein und drei Gläsern wieder herein und schenkte uns allen ein. Dann ließ er sich neben mich fallen, schlang einen Arm um mich und zog mich an sich.
Schmunzelnd über diese Besitz ergreifende Geste, kuschelte ich mich so dicht wie möglich an meinen Schatz und streichelte über seine Hand, die auf meinem Bauch ruhte.
Der Abend verstrich wie im Flug, während wir uns über alles Mögliche unterhielten. Seltsamerweise hatte ich nicht mal Hemmungen über meine Familie zu reden, als Elina danach fragte. Sie rümpfte mehrfach missbilligend ihre kleine Nase und meinte lediglich zum Schluss, dass ich auf die eh nicht angewiesen sei, weil ich jetzt eine neue Familie hätte. Nämlich ihren Bruder und sie. Mir wurde nach dieser Feststellung ganz warm ums Herz und es ließ sich auch nicht verhindern, dass ich mir eine Träne wegwischen musste. Es war einfach alles viel zu überwältigend.
Irgendwann fing Elina an heftig zu gähnen und auch bei mir machte sich die zweite Flasche Wein langsam bemerkbar.
„Ich denke, wir sollten schlafen gehen, bevor ihr mir noch wegpennt“, sagte Elias und stand auf. „Den Kram hier räumen wir morgen weg.“
Dann, ohne es anzukündigen ging er vor mir etwas auf die Knie und schwang mich unter Protest auf seine Schulter. Elina lachte sich halb schlapp bei dem Anblick.
„Gute Nacht, Schwesterchen. Schlaf schön.“
Mit diesen Worten stiegen wir die Treppe hoch – naja zumindest stieg er. Ich begutachtete inzwischen seinen wohlgeformten Hintern.
„Ich weiß genau wo du hinguckst!“, sagte er, als wir in seinem Schlafzimmer angekommen waren und er mich auf dem Bett ablegte.
„Ich hab überhaupt nicht auf deinen Hintern gestarrt!“, protestierte ich aufmüpfig und biss mir gleich darauf auf die Zunge.
„Ach nein? Soll ich dir etwas sagen? Es stört mich nicht im Geringsten. Wenn du willst, ziehe ich auch gerne die Jeans aus, damit du besser sehen kannst.“
Er tat es tatsächlich! Bevor ich etwas sagen, geschweige denn tun, konnte, stand er nur noch in Shorts vor mir. Einen Moment später flog sein Shirt durch die Luft und er stand fast nackt da.
Mir lief wortwörtlich das Wasser im Munde zusammen, weswegen ich ein paar Mal Schlucken musste. Was fiel diesen Typen auch ein, so heiß auszuschauen?! Umständlich nestelte ich an meinem Oberteil rum, bis mir Elias endlich zu Hilfe kam und mich davon befreite.
„Vielleicht habe ich ja Glück und du bist doch noch nicht so müde“, raunte er mir zu, nachdem er sich zu mir gelegt hatte und biss mir sanft in den Hals.
Ich stöhnte laut auf, nahm seinen Kopf in meine Hände und dirigierte seine Lippen zu den meinen. Elias grinste mich an und dann küsste er mich. Er schmeckte so wahnsinnig gut und es machte mich schier verrückt, was seine Zunge dort in meinem Mund tat.
„Ich möchte mit dir schlafen“, hauchte er mir entgegen, als wir kurz voneinander abließen, um Luft zu schnappen.
Eine heiß kribbelnde Gänsehaut wanderte von meinem Nacken hinab bis in die Zehenspitzen und ließ mich leicht zittern. Fasziniert über meine Reaktion, streichelte Elias über die feinen Härchen auf meiner Haut, die sich leicht aufgestellt hatten. Seine Finger glitten von meiner Seite hinauf über die Innenseite des Oberarmes bis zu meinem Hals, was mich erneut erschaudern ließ.
Die ganze Zeit sah er mir dabei in die Augen, bis er seinen Kopf herab senkte und anfing mir am Ohr zu knabbern.
„Hör auf, das kitzelt“, sagte ich lachend und versuchte, ihn davon abzuhalten.
Doch Elias schnappte sich meine Hände und hielt sie mit einer Hand fest. Er ließ von meinem Ohr ab, bahnte sich mit der Zunge einen Weg über meinen Hals bis zu meiner Brust, wo er wieder begann vorsichtig zu knabbern, was mich echt langsam wahnsinnig machte.
Elias sah wissend zu mir hoch und schleckte noch einmal über meine Brustwarze, bevor er seine Zunge immer weiter nach unten wandern ließ, bis er meinen Hosenbund erreichte.
Im nächsten Moment waren meine Hände wieder frei und er nutze seine, um mir die Jeans aufzuknöpfen und langsam samt der Retro auszuziehen. Wie zufällig streiften seine Hände dabei meinen Po und meinen schon ziemlich erigierten Schwanz.
Scharf sog ich die Luft ein, beugte mich nach vorn, um mir meinen Schatz zu schnappten. Doch er entwand sich meinem Griff und schaute mit einem fiesen Grinsen auf mich hinab.
„Vergiss es!“, sagte er, schnappte sich meine Beine und legte sie gegen seine Schulter.
Hatte ich also in unserer Nacht in Hawaii doch richtig gelegen, dass Elias eher der Aktive war. Bei dem Gedanken an unser erstes Mal lief ein kleiner Schauer über meinen Körper. Wie würde es wohl sein, ihn in mir zu spüren? Bald würde ich es wissen und ich konnte es kaum noch abwarten.
Aufgeregt sah ich Elias dabei zu, wie er sich ein Kondom überzog, dass er wer weiß woher gezaubert hatte und mich mit einem Öl einrieb.
Im nächsten Moment spürte ich, wie er seinen harten Schwanz ansetzte und vorsichtig Druck ausübte, bis er sich langsam in mich hinein schob. Elias stöhnte laut auf, verharrte kurz als er ganz in mir war und zog sich dann ganz langsam zurück, nur um dann – diesmal etwas schneller – wieder zuzustoßen.
„Elias…!“ Keuchend warf ich meinen Kopf in den Nacken und krallte mich tief in dessen Oberarme. Allein dieser Anblick, wie mein Liebster über mir thronte, mit diesem wilden Funkeln in den Augen, was schon beinahe an Wahnsinn grenzte, hätte diesem sündigen Spiel fast ein frühzeitiges Ende gesetzt. Aber ich wollte mehr, so viel mehr…
Mein Partner verstand und hielt in seiner Bewegung inne, um meinen Orgasmus noch länger hinaus zu zögern. Er hatte es wirklich drauf und man merkte, dass er geübt darin war, jemanden an den Rand des Nervenzusammenbruchs zu treiben. Immer wieder heizte er mir ein, bis ich dachte, es würde gleich im hohen Bogen aus mir heraus brechen, doch Elias ließ es nicht zu.
Erst als er selbst es nicht mehr aushalten konnte und sich unweigerlich seinem Orgasmus näherte, zog er es bis zum Ende durch. Laut schrie Elias auf und sein ganzer Körper begann zu beben, kurz darauf war es auch um mich geschehen.
Als hätte jemand eine ganze Batterie Silvesterraketen gezündet, explodierte es in meinem Inneren und breitete sich ein Prickeln in mir aus, als würden mich tausend Schmetterlinge mit ihren Flügeln kitzeln.
„Ich liebe dich“, flüsterte ich, noch trunken von diesem unheimlich genialen Höhepunkt und schlang meine Arme fest um Elias Hals, zog ihn so dicht wie nur möglich an mich heran, um ihn nie wieder loszulassen.
Ein Zittern fuhr durch den Körper meines Freundes, das konnte ich deutlich spüren. Sein Herz klopfte wie wild und er rang offensichtlich um Fassung.
„Du weißt gar nicht was mir das bedeutet“, flüsterte er, als er seine Sprache wieder fand.
„Ich… Ich liebe dich auch, mein kleiner Gauner.“
written by Gianna & Hyen