Ich hatte die Datei des letzten Teiles gerade an meinen Lektor abgeschickt, da fiel mir ihr Titel auf. Zwar tragen die einzelnen Episoden hier Überschriften, aber an Jens schicke ich nur Dateien mit dem Namen Teil_XX.Da jetzt wieder eine größere Pause erfolgen wird – ich habe ja noch andere Baustellen abzuarbeiten – bin ich, bei einem Kaffee mit Amaretto, etwas ins Grübeln gekommen. Irgendwie fand ich, dass 29 eine zu krumme Zahl ist.
Von daher bitte ich alle Freunde von Jost und Gordon um Verzeihung, aber, bevor ich wieder über die „Neue Welt“ schreibe, werde ich auf dem „Alten Kontinent“ das 30. Kapitel beenden. Ich hoffe, das ist in eurem Sinne.
*-*-*
Tja, lieber Leser, wo endete ich? Ach ja, die Rosenmontagsfete im Abbruchhaus. Ich hoffe, ihr habt mir das Ende mittlerweile verziehen. Zugegeben, es war nicht die feine englische Art, mit wie wenig Worten ich die drei Stunden voller Action, voller Spaß, voller leidenschaftlicher Ekstase abgehandelt habe; ich bitte diesbezüglich noch einmal um euer Nachsehen. Aber stand ich vor dem Problem, welche der vielen Stellungen in den verschiedenen Konstellationen ich schlussendlich beschreiben sollte: Ich kann mich ja schlecht in Robert hineinversetzen und beschreiben, welche Gefühle ihm durch den Kopf – ich meine jetzt den auf den Schultern – gingen, als er zum ersten Mal aufgebockt wurde. Oder nehmen wir Tim: Was fühlte er, als er nach Jahren zum ersten Mal in seinem Geliebten war? Gut, ich kann es mir zwar ungefähr denken, aber genau? Genau weiß ich es auch nicht!
Wie dem auch sei, Karneval vorüber, das normale Leben hatte uns wieder. Aber so „normal“ war das Leben auch wieder nicht! Wir mussten aufräumen, die Firmengründung stand an und zuletzt musste das Shooting auf der Mittelmeerinsel vorbereitet werden. Aber, ehe ich mich hier mit unnötigen Allgemeinplätzen aufhalte, gehen wir doch in medias res!
An Ausschlafen war nicht zu denken, der Wecker verrichtete um 6:00 Uhr sein martialisches Werk und verkündete das Ende der Nachtruhe. Das Frühstück bereitete ich alleine vor, allerdings wusste ich nicht, ob zwei oder drei Gäste am Tisch sitzen würden: Tim und Robert waren ja klar, aber was mit Daniel war, wusste ich in dem Moment nicht. Marvin hatte ihn ja nur für das Wochenende avisiert und heute war ja schon Dienstag.
Gut, ich hätte meinen Neffen gestern noch fragen können, als wir gegen kurz nach elf aus dem Abbruchhaus kamen, er war ja schon zuhause: Seine Jacke hing an der Garderobe, aber seine Tür war geschlossen. Da ich ihn weder wecken noch anderweitig überraschen wollte, ließ ich die Frage Frage bleiben und respektierte seine Privatsphäre, aber jetzt ging es nicht anders, ich musste in sein Reich eindringen. Erstens musste er geweckt werden, er überhörte in letzter Zeit gerne seinen Wecker, und zweitens wäre es unhöflich, das Gedeck von Daniel eventuell erst nachträglich auf den Tisch stellen zu müssen.
Nach dem ich den Lichtschalter betätigt hatte, konnte ich sehen, dass er alleine im Bett lag. Ich war zwar etwas überrascht, aber irgendwie auch erleichtert. Durch die plötzliche Helligkeit im Raum wohl aufgewacht, drehte er seinen Kopf in meine Richtung. Erst öffnete er das rechte Auge, dann wurde das linke Lied nach oben gezogen.
„Mann! Was willst du denn schon hier?“ Er blickte auf seinen Radiowecker. „Ich habe noch eine Viertelstunde, also lass mich noch ein paar Minuten pennen.“
Ich ging an das Kopfende, streichelte seine Wange. „Das würde ich ja gerne machen, aber wir hatten noch zwei Übernachtungsgäste, die gleich ebenfalls noch duschen müssen.“
„Wir haben was?“ Richtig wach schien er noch nicht zu sein.
Ich lächelte ihn an. „Die beiden Hamburger sind noch hier, ging nicht anders. Tim konnte ja schon um zwei nicht mehr fahren und Robert hat gegen Sieben fast eine ganze Flasche Rotweinlikör auf ex …“
„Er hat was?“ Mein Neffe schüttelte sich, war nun endgültig wach.
Grinsend zuckte ich mit den Schultern. „Jörg hatte den Roten in normale Saftflaschen umgefüllt und Robert dachte, er würde Kirschsaft trinken, den er die ganze Zeit schon getrunken hatte.“
„Seinen Kopf möchte ich heute Morgen nicht haben.“ Der Schwimmer lachte. „Dann werde ich mal sehen, dass ich der Erste im Bad bin. Ich habe nämlich keine Lust, gleich frisch geduscht zur Schule …“
Ich wuselte in seinen Haaren, ehe ich mich erhob. „Sollst mir ja nicht krank werden, ich brauche dich ja, nicht zuletzt als Aushilfe für das Wochenende.“
Ein Kissen traf mich am Hinterkopf, als ich schon wieder an der Tür stand. „Du Arsch!“
„Ich habe dich auch lieb!“ Lachend schloss ich die Tür und begab mich wieder in die Küche.
Die morgendlichen Nahrungsaufnahme verlief in gesitteten Bahnen, Überlieferungswertes gab es nicht zu berichten. Um 7:20 Uhr verabschiedeten sich unsere Hamburger Freunde, nahmen uns vorher aber das Versprechen ab, bald zu einem Gegenbesuch zu erscheinen. Marvin, der ebenfalls geherzt, geküsst und gedrückt wurde, verpasste durch das Bussi-Bussi seinen Bus. Tim deutete nur auf die Rücksitzbank und meinte, er würde als Chauffeur einspringen. Für die beiden Hanseaten war es außerdem kein großer Umweg, die kürzeste Strecke zur nördlichen Autobahnauffahrt unseres Städtchens führte fast am Ratsgymnasium vorbei.
Als mein Gatte und ich wieder am Frühstückstisch saßen, blickte Igor mir tief in die Augen. „Was steht denn heute bei dir auf dem Tagesplan?“
„Ich werde gleich die Unterlagen zusammensuchen, die ich noch für die Gründung der Foto-GmbH brauchen werde, dann kommen die Sachen für die Häuser. Wenn ich das alles zusammenhaben werde, dürfte es schon Mittag sein.“ Ich trank einen Schluck Kaffee.
Der angehende Lehrer blickte mich fragend an. „Was gibt es denn?“
„Die Reste von gestern: Gulaschsuppe!“ Ich lachte. „Ehe du fragst: Die wird es auch übermorgen geben, denn es ist noch so viel übrig und zu schade, um es in die Toilette zu kippen.“
„Heute verstehe ich ja, aber morgen?“ Mein Russe grübelte. „Können wir den Rest nicht einfrieren?“
Ich lachte. „Können könnten wir schon, aber die Kühltruhe platzt jetzt schon aus allen Nähten, ist ja eh nur ein besserer Gefrierschrank.“
„Ich sehe schon, es wird Zeit, dass wir …“
Igor stöhnte.
„… endlich in eine größere Wohnung ziehen. Aber hättest du mich noch vor drei Monaten gefragt, ich hätte echt nicht gedacht, dass die Wohnung für uns drei Personen dann doch zu klein ist.“
„Tja, so kann man sich irren! Aber das halbe Jahr, was wir wahrscheinlich hier noch haben werden, werden wir auch noch überstehen.“ Ich atmete tief durch.
Mein Russe lachte. „Dein Wort in Gottes Gehörgang!“
Die Agenda des heutigen Tages änderte sich jedoch leicht, allerdings nur für mich, nicht für Igor. Mein Gatte blieb in seinem Studierzimmer und lernte eifrig für seine schriftlichen Prüfungen, die im Ende Februar/Anfang März erfolgen sollten. Danach würde, wenn ich das richtig verstanden hatte, die Fachprüfung in Sport und dann das mündliche Examen erfolgen. Mit etwas Glück würde er im neuen Schuljahr bereits als Lehrer, sorry, als Referendar, an einem Gymnasium des Landes seinen Dienst antreten können.
Ich war mehr als zuversichtlich, hatte mir doch mein alter Studienfreund Lars Kaltenbach, der zufällig auch Marvins Stufenleiter war, seine aktive Unterstützung gestern noch zugesichert. Er wollte, so mein Engel das Examen bestehen würde, Igor sofort ans Ratsgymnasium holen; zwar könne er ihn nicht namentlich benennen, aber einen neuen Pädagogen mit der Fächerkombination Russisch und Sport könne er als stellvertretender Schulleiter, wenn auch nur interimsmäßig, ohne Weiteres auf die Anforderungsliste für das neue Schuljahr setzen. Eine Sorge weniger!
Bevor ich die Unterlagen für den morgigen Termin zusammensuchte, bereitete ich unseren Trip nach Malta vor und buchte erst einmal die Flüge. Ich hatte mehr Glück als Verstand und bekam sogar noch fünf Plätze von Düsseldorf zu bezahlbaren Preisen und zu vernünftigen Flugzeiten: früher Hinflug über Frankfurt, späte Rückreise via München zum Flughafen Münster/Osnabrück. Wir würden zwar nur Economy fliegen, aber mehr als zweieinhalb Stunden am Stück waren wir ja nicht in der Luft.
Einzig das Gepäck machte mir anfangs Sorgen, aber der Buchungsagent beruhigte mich: Dank meiner goldenen Karte der Lufthansa, ein Überbleibsel aus meiner Zeit als Globetrotter, durfte ich das Doppelte an Freigepäck mitnehmen, wir waren also bei 120 Kilogramm Gepäck in sechs Koffern. Da unsere Modells kaum eigene Kleidung brauchen würden und Igor und ich ja auch auf die Kollektion zurückgreifen könnten, würde ein Koffer für private Kleinigkeiten und Toilettensachen vollkommen ausreichen, wozu gibt es denn Handgepäck? Drei Koffer würden für die Kollektion gebraucht werden, zwei Gepäckstücke blieben folglich für die Ausrüstung. Kameras nehmen nicht viel Platz ein, aber bei Innenaufnahmen würde ich Licht brauchen und ein Lampenstativ wog schon mehr als zwei Kilo.
Danach erfolgte ein zweites Gespräch mit Luigi, sorry, ich meinte natürlich Luici, dem maltesischen Stier; ihm musste ich ja noch mitteilen, wie viele seiner Mitarbeiter ich benötigen würde. Dieser Punkt war jedoch ziemlich schnell abgehandelt, ich hatte freie Auswahl unter all seinen sieben „Mitarbeitern“. Auch die Wahl der Aufnahmeorte wurde mir – mehr oder minder – abgenommen: Nach Ankunft, Zimmerbezug und leichtem Mittagessen würde es zum Strand gehen, die Badehosen wären also schon einmal im Kasten.
Die Unterhosen könnten am Abend beziehungsweise am folgenden Morgen in seinem Etablissement auf den Chip bannen, auch seine Idee, für die Freizeitkleidung die Gassen von La Valetta zu nutzen, nahm ich begeistert an. Am Samstagabend würde es ein Barbecue geben, etwas Freizeit bräuchten wir ja auch. Für den Sonntag, es wäre ja Feiertag auf der Insel, hatte er eine Überraschung, über die er aber noch nicht reden wollte. Da wir ja erst am Abend zurückfliegen würden, hätten wir noch fast den gesamten Nachmittag, um eventuell fehlende Aufnahmen nachzuholen. Ich fragte mich ernsthaft, wer für die Planung des Shootings eigentlich verantwortlich zeichnete.
Zwar hatte ich über eine Stunde mit Malta telefoniert, aber das Gespräch war mehr als produktiv gewesen: Gut, die Kosten würde ich erst auf der nächsten Telefonrechnung sehen, aber das war mir im Moment egal, die Rahmendaten für die Aufnahmen standen. Ich war auch mehr als froh, die ehemalige britische Kolonie als Location gewählt zu haben: Das Licht auf der Mittelmeerinsel ist einfach nur spitze, die Einwohner sind es aber auch! Und mit Luigi als Partner vor Ort würde es angenehm werden, denn er kannte, aus eigener Erfahrung, die Probleme eines Set-Fotografen.
Ich suchte die Unterlagen zusammen und, um kurz nach zwölf, war ich mehr als froh, das Ravi mir im Büro einen Besuch abstattete. Er hatte aus der Bäckerei gegenüber zwei Coffee2Go mitgebracht. Er begrüßte mich lachend mit „Morgen Chef!“ und drückte mir den Plastikbecher in die Hand.
Wir tranken das Gebräu – Kaffee konnte man die braune Flüssigkeit wirklich nicht nennen – aber, ehrlich gesagt, ich war froh über diese Pause. Gesprächsthema war, wie konnte es anders sein, die gestrige Orgie. Aber mein angehender Prokurist erkannte ziemlich schnell, dass ich mit meinen Gedanken ganz woanders war. Mitfühlen blickte er mich an. „Ist was mit dir?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein! Ich überlege die ganze Zeit nur, ob ich für Morgen auch alle Unterlagen beisammen habe. Ich habe nämlich keine Lust, noch einen neuen Termin zu machen.“
„Glaube ich dir sofort!“ Der Tamile blickte mich fragend an. „Kann ich dir jetzt irgendwie helfen?“
„Jetzt nicht, aber es wäre mehr als hilfreich, wenn du mich morgen zum Anwalt begleiten würdest: Der Termin ist um zehn.“ Mein Blick musste etwas Verzweifeltes an sich haben, denn ich erntete nur ein mitfühlendes Lächeln. „Ich bestelle ja zum ersten Mal in meinem Leben einen Prokuristen, ich weiß nicht, ob das an irgendwelche Formvorschriften gebunden ist. Ehe wir dann erneut zum Anwalt müssen, wäre es einfacher, wenn du gleich mitkommen würdest.“
Ravi winkte ab. „Alles klar! Kein Thema!“
Kurze Zeit später tauchten unsere beiden Handwerker Servet und Gürkan auf und boten ihre aktive Mithilfe beim Aufräumen an. Ich blickte auf die Uhr, es war kurz vor eins. „Leute, wir machen jetzt erst einmal nichts.“ Ich blickte in erstaunte Gesichter. „Igor müsste gerade gefahren sein, um Marvin abzuholen. Wir gehen jetzt nach oben, essen alle gemeinsam zu Mittag. Danach machen wir uns dann gemeinsam ans Aufräumen, Jörg will ja am Nachmittag seine Sachen abholen.“
Alle nickten und so vorfuhren wir dann auch. Innerlich musste ich grinsen, durch unsere Gäste wurde mein Gatte um den dritten Tag Gulaschsuppe in Folge gebracht. Zwar würde es Morgen dann nur etwas Schnelles und Einfaches geben, die Dauer des Anwaltstermins konnte ich ja nicht abschätzen, aber das wäre das Problem von Morgen.
Nach der gemeinsamen Kalorienaufnahme, die Gepäckproblematik des Fluges war Thema Nummer Eins, wurde ich dann jedoch in mein Büro verbannt, meine Leute übernahmen die Aufräumaktion im Abbruchhaus; anscheinend hatte ich in meinem eigenen Haus nichts mehr zu sagen. Aber, ich muss es zu meiner eigenen Schande gestehen, gestört hat mich das Ganze nicht, im Gegenteil, ich war froh, solche Leute um mich zu haben und sie als meine Freunde bezeichnen zu können.
Den Wirt des Casablancas sah ich nur, als er mich kurz in meinem Büro aufsuchte. „Stefan, ich werde gleich das Fass wiegen, um zu wissen, wie viel noch drinnen ist. Das Bier teilen wir und den Rest vom Schützenfest?“ Jörg machte eine abwinkende Handbewegung. „Den Rest vergessen wir einfach! Du hattest das Essen, ich die Getränke: Thema durch!“
Ich war etwas perplex. „Aber? Das geht doch nicht!“
„Und ob das geht!“ Eine gewisse Schärfe lag in seiner Stimme. „Ob du es glaubst oder nicht, aber drei Viertel der Leute, die hier bei dir den Zug gesehen haben, waren später auch bei mir. Für dich war’s eine Party, für mich eine Werbeveranstaltung! So einfach ist das!“
Ich fügte mich in mein Schicksal. „Na dann!“
„Komm einfach am Wochenende vorbei und wir trinken was auf die gelungene Aktion.“ Der Wirt schien sich zu amüsieren. „Das erste Bier geht auf mich!“
„Sorry, aber wir müssen das dann auf nächste Woche verschieben. Diese Woche bin ich komplett ausgebucht, ab Freitag bin ich auf Malta, habe dort ein Shooting. Der nächste freie Abend wäre erst Montag, aber da hast du ja zu.“ Irgendwie kam ich mir komisch vor, ihn nach seinem großzügigen Angebot vor den Kopf stoßen zu müssen-
Der Szenewirt klopfte mir jovial auf die Schulter. „Stefan, mach dir mal keine Kopf! Die anderen haben mir schon erzählt, dass ihr in die Sonne fahrt, wenn auch nur für ein Wochenende.“
„Das voller Arbeit sein wird!“ Ich stöhnte jetzt schon.
Das freche Grinsen schien er hinter seinem Bart zu verstecken. „Du hast den Auftrag freiwillig angenommen, also beschwer dich jetzt nicht! Und die Sache mit der Rechnung verschieben wir dann einfach, denn du kennst mich und ich kenne dich! Du wirst schon nicht auf Malta bleiben.“
„Darauf kannst du Gift nehmen, ich … ich laufe nicht weg.“ Ich lächelte zaghaft.
Sein Grinsen war jetzt mehr als frech! „Na, in deinem Alter läuft man ja auch eher hinterher!“
Musste ich mir das von einem Mann, der zwei Jahre älter ist, sagen lassen? Grummelnd wies ich auf die Tür und mit einem Lachen auf den Lippen verließ er mich.
Der Termin bei Markus Bauer verlief in einer etwas komischen Atmosphäre. Der Notar, dessen Name ich nicht richtig verstanden hatte, begrüßte uns und blickte erst auf mich, dann auf Ravi, der sich neben mich gesetzt hatte. „Darf ich fragen, wer sie sind?“
Anstelle des Tamilen antwortete ich: „Das ist Ravanan Paskaran, der Prokurist meiner Immobilien.“
„Aha, dann haben sie also mit dem jetzt folgenden Teil nichts zu tun.“ Der grauhaarige Herr setzte sich und blickte nun mich wieder an. „Herr Plange, dann fangen wir mal an. Ich bräuchte ihren Personalausweis und noch eine oder zwei Informationen.“ Ich nestelte an meinem Portemonnaie, gab ihm meine in Plastik eingeschweißte Identität. „Danke, wir machen uns gleich eine Kopie wegen der Nummer. Als Unternehmenszweck haben wir Erstellung, Vervielfältigung, Digitalisierung, Handel und Rekonstruktion von Lichtbildern im Sinne des Fotografen-Handwerks und Handel und Vertrieb von Aufnahmegeräten und sonstigem Zubehör für Lichtbilder gewählt. Weitere Wünsche?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, das reicht vollkommen.“
„Das dachte ich mir.“ Er grinste leicht. „Ihrer Webseite konnte ich entnehmen, dass sie Mitglied des Bundes professioneller Porträtfotografen sind. Ich habe das aber erst einmal draußen gelassen und spreche nur von der möglichen Mitgliedschaft in fachspezifischen Berufsverbänden. Wenn sich der BPP mal auflösen sollte, bräuchten sie die Urkunde nicht zu ändern.“
Ich nickte zufrieden, der Mann sparte sich selbst ein. „Gute Idee.“
Der Notar blickte Ravanan an. „Herr Paskaran, ihren Personalausweis bräuchte ich jetzt auch, sie sollen ja zum Prokuristen bestellt werden.“
Bei dem Tamilen war es nicht ganz so einfach, er überreichte dem grauhaarigen Herrn gleich mehrere Papiere. Der alte Herr stutzte etwas, aber bevor er etwas sagen konnte, ergriff ich das Wort. „Mein künftiger Prokurist hat leider einen etwas, sagen wir es so, komplizierten Aufenthaltsstatus. Ich möchte, dass sie sich ebenfalls darum kümmern! Ich hoffe doch, dass das kein Problem ist, oder?“
Der Notar winkte ab. „Machen Sie sich darum mal keine Sorgen, wir regeln das für sie!“ Er griff sich die Unterlagen und verlies das Büro. Als er nach einer Zigarettenlänge zurückkehrte, hatte er einen Stapel Papiere in der Hand. Ein Räuspern erfüllte den Raum, als er sich wieder gesetzt hatte.
„Heute erschien vor mir, dem beurkundenden Notar Dr. Philipp Craques, … blablabla … der Kaufmann Stefan Rüdiger Plange, es folgen Geburtsdatum und Anschrift. Der Erschienene ist dem Notar von Person bekannt, wies sich aber auch durch Bundespersonalausweis aus.“ Er blickte mich kurz an und fuhr dann fort: „Der Beteiligte erklärte, für eigene Rechnung zu handeln. Auf Ersuchen des Erschienenen beurkundete ich dessen Erklärungen gemäß, was folgt.“
Er griff sich das nächste Blatt. „Ich, Stefan Rüdiger Plange, betreibe das Fotostudio Plange, es folgt die Anschrift der Firma, in der Rechtsform des eingetragenen Kaufmanns, der Handelsregisterauszug ist als Anlage, die Bestandteil dieser Urkunde ist, beigefügt. Ich beabsichtige, das Fotostudio Plange in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu überführen und stelle den dieser Niederschrift als Anlagen beigefügten Umwandlungs- und Gesellschaftsvertrag fest. Die Anlagen sind ebenfalls Bestandteil dieser Urkunde. Unter Verzicht auf alle Einreden, die sich aus einer etwa nicht form- oder fristgerecht erfolgten Einladung ergeben könnten, halte ich eine Gesellschafterversammlung ab und beschließe einstimmig: Zum Geschäftsführer bestelle ich mich selbst. Ich bin von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.“
Ich atmete tief durch und grübelte, wie lange das Ganze dauern sollte. Der alte Mann konnte wohl Gedanken lesen, lächelte milde. „Herr Plange, ich könnte ihnen jetzt die gesamten 16 Seiten vorlesen und wenn nötig auch erklären, aber wir können es uns auch erheblich einfacher machen, indem Sie hier …“ Er schob mir einige Seiten zu. „… einfach ihrem Kaiser-Wilhelm auf die gepunktete Linie setzen. Nicht wundern, es sind mehr Unterschriften als bei einer normalen Gründung erforderlich.“
Ich blickte ihn etwas verwirrt an, unterschrieb aber brav. „Das war alles?“
Der alte Mann lächelte milde. „Ja, das war alles, jedenfalls für das Fotostudio. Jetzt kommen wir zu den Immobilien.“ Er reichte mir zwei Seiten. „Einmal unterschreien, dass ist die Beauftragung für die Eintragung ins Handelsregister.“ Als er sie wieder in Händen hatte, reichte er Markus zwei Stöße Papier und verabschiedete sich dann von uns.
Markus nahm den Platz hinter seinem Schreibtisch wieder ein und reichte mir und Ravi einen der Stapel. „So, Herr Paskaran, dein Arbeitsvertrag. Unterschreiben könnt ihr jetzt oder später.“
Ravi blickte mich glücklich an. „Danke.“
„Gern geschehen. Ich dachte, du brauchst es schwarz auf weiß. Du musst ja deinen Eltern mitteilen, dass du nicht mit ihnen nach Sri Lanka …“ Ich versuchte ein Lächeln. „Dann unterschreib jetzt und wir tauschen aus.“
Während dieses kurzen Aktes hatte Markus die Gelegenheit genutzt, eine Flasche Sekt zu öffnen und war dabei, diese auf vier Gläser aufzuteilen. Ehe er sie uns reichte, nahm er den Telefonhörer in die Hand, drückte irgendeine Kurzwahltaste und bestellte Olaf zu sich ins Büro. Der Kompagnon kam binnen Minutenfrist, allerdings schob er einen Servierwagen voller Aktenordner durch die Tür. Was passierte hier eigentlich?
Er reichte Ravi einen Zettel. „Ich brauche hier deine Unterschrift, damit bestätigt du, dass du die Unterlagen für die Werkswohnungen für Wanning erhalten hast.“ Er fischte ein zweites Blatt hervor. „Wer von euch will die Beauftragung der Zwangsverwaltung unterschreiben?“ Sein Blick wechselte zwischen dem Tamilen und mir. „Der Chef oder der Prokurist?“
Ich grinste. „Ravi, walte deines Amtes, ist ja auch deine Arbeit!“
„Sofort.“ Er hatte sich schon einen der Aktenordner genommen und blätterte darin herum. Dann griff er sich das nächste Exemplar und schlug es ebenfalls auf. „Tut mir leid, Olaf, aber ich kann das nicht unterschreiben, jedenfalls nicht mit diesen Unterlagen!“
Erstaunt blickte ich ihn an. „Was? Du kannst den Vertrag nicht unterschreiben?“
„Nein, die Empfangsbestätigung für die Akten.“ Er deutete auf den Rollwagen. „Was hier steht, sind aber nur die Grundakten, also wo die Häuser versichert sind, Bauzeichnungen, Energieausweise. Wir brauchen jedoch die Rechnungen und die Mieterakten, sonst ist keine Verwaltung möglich.“
Olaf Krenzer wirkte zerknirscht. „Ich habe doch der Tusnelda, die bei Wanning das Wohnungswesen bearbeitet, gesagt, sie soll mir die Akten für alle Immobilien geben.“
„Das hat sie ja auch getan, nur damit kann man nicht viel anfangen. Ich brauche die Mieterakten, also Mietverträge, Bankverbindungen, Erreichbarkeiten, Zahlungseingänge, Nebenkostenabrechnungen, dann aber auch die Bescheide über Grundsteuern, Stadtabgaben und den ganzen Sermon.“ Der Tamile war nun ganz in seinem Element. „Dann brauche ich alle Kontoauszüge, die mit den Häusern zu tun haben. Wohin gehen die Mieteinnahmen? Auf das normale Firmenkonto? Wie wurden die Hypotheken bedient? Sind die Mieten zur Sicherung an Dritte abgetreten worden?“
Der Jurist putzte sich seine Brille. „Sorry, aber das meine erste Insolvenz, in der ich mehr als das Firmengelände als Immobilie in der Masse habe. Wir fahren gleich gemeinsam zu Wanning, da kannst du dann mit der Tante selber sprechen und dir alle Unterlagen holen, die du brauchst.“
Ich ließ mich aber erst in der Ludwigstraße absetzen, ehe mein Tamile als Kurierfahrer fungierte, meine Leute wollten ja was zwischen die Kiemen haben. Es gab allerdings nur Rührei mit Zwiebeln, Pilzen und Schinkenresten. Aber schlimm fanden es meine Männer nicht: Nachmittags war Training angesetzt und abends würden Igor und ich mit unseren Besuch zum Griechen zum Essen gehen und zweimal Warm an einem Tag? Mein Gatte hatte, wohl aufgrund seiner Examensvorbereitung und der dadurch bedingten Einschränkung des Bewegungsdranges, ein paar Kilo zugelegt.
Als Ravanan drei Stunden später Karton um Karton ins Büro schleppte, steckte ich mitten in den Vorbereitungen für das abendliche Treffen mit dem Modedesigner und dessen Protegiere. Meine Idee war relativ einfach, einen Katalog in Querformat, die Bilder des Warenhausknipsers als reine Produktinformation an einem der Seitenränder und das Foto mit dem knisternden Inhalt groß daneben oder darunter oder darüber. Da ich die Ablichtungen der Wäschestücke ja noch nicht hatte, plünderte ich den Onlinekatalog von Otto und nahm, quasi als Vorschau, die Bilder unserer beiden Handwerker und von Daniel. Dieses Muster sollte als Arbeitsgrundlage für das Gespräch reichen.
Mir gefiel das, was ich da auf dem Rechner produziert hatte, auch die kleine Ölkanne war mehr als angetan, als er gegen Fünf bei uns aufschlug. Daniel wollte wohl meinen Neffen besuchen, der weilte aber, samt meinem Gatten, noch beim Training. Ich nutzte die Zeit und briefte ihn noch einmal für den Trip nach Malta. Er versprach, morgen Nachmittag seine Sachen vorbeizubringen, damit Igor sie verstauen könnte.
„Muss ich sonst noch was machen?“ Er blickte mich fragend an. „Ich meine, außer morgen noch einmal ins Fitnessstudio zu gehen?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Warst du denn gestern schon im Folterkeller?“
„Japp, war ich!“ Der Azubi öffnete den Bund seiner Hose und präsentierte Bauch und Hüften. „Fühl mal: Habe mir anderthalb Kilo runtertrainiert.“
Das Ergebnis ließ sich sehen, der Junge hatte wirklich das Zeug zum Profi-Modell. „Gefällt mir, nur …“
„Nur was?“ Er zog die Augenbrauen hoch.
Wie sollte ich es ihm sagen. „Da es ja ein erotisches Shooting wird, müsste ich wissen, wie … naja …“
„Was willste denn wissen?“ Er wirkte neugierig.
Ich atmete tief durch. „Als wir vor anderthalb Wochen die Bilder von dir gemacht haben, da … da warst du untenrum gestutzt, sah jedenfalls so aus. Hast du … äh … hast du daran was geändert?“
„Nö!“ Er zog sich die Boxer runter und präsentierte mir seine Kronjuwelen. „Soll ich denn?“
Ich schüttelte den Kopf. „Um Gottes Willen, du sollst als junger Mann und nicht als pubertierender Jüngling rüberkommen, ich will ja nicht die Pädos bedienen. Darf ich?“
„Tu dir keinen Zwang an.“ Der Schrauber grinste mich frech an, als er für noch mehr freie Sicht sorgte.
Er zuckte dennoch leicht zusammen, als ich über den Ansatz seiner Behaarung strich, wahrscheinlich war Daniel kitzelig. Das Stück hin zum Bauchnabel fühlte sich leicht stoppelig an, auch sah man leichte Haarspitzen auf und aus seiner Brust sprießen. „Und jetzt dreh dich bitte mal: Ich müsste auch mal deine Rückseite …“
Er tat sofort, was ich ihm sagte. Meine Hand wanderte über seinen glatten Apfelhintern, meinen Zeigefinger ließ ich jedoch auch durch seine Spalte gleiten. Es war zwar kein dichter Urwald, den ich da durchwanderte, aber man konnte die Haare eindeutig spüren. Ich gab ihm ein Klaps auf seinen Allerwertesten. „So, dass war‘s schon!“
Er drehte sich zu mir um, sein Anhängsel baumelte – jetzt leicht versteift – umher. „Was sollte das?“
„Wahrscheinlich werden einige Stringtangas unter den Sachen sein, die wir ablichten müssen. Und der Stoff soll ja in der Kimme zu sehen sein und sich nicht unter dickem Dickicht verstecken müssen.“ Ich grinste ihn an. „Du solltest dir die Spalte rasieren oder rasieren lassen und dir vorne die Stoppeln entfernen. Am besten nimmst du Enthaarungscreme dafür.“
Er suchte den Boden ab. „Ich hab mich da hinten aber noch nie … äh … und warum mit Creme?“
„Weil dann die Hautreizung ziemlich gering ist und ich habe keine Lust, die Bilder später retuschieren zu müssen. Außerdem ist es für die anderen am Set wesentlich ansehnlicher.“ Ich setzte mich.
Seine Augen wurden größer. „Wie? Ansehnlicher?“
„Du mit dem String und dem Rücken zur Kamera, das andere Modell kniet hinter dir, seine Nase fast in deiner Ritze.“ Ich grinste. „Der Gute soll sich doch keinen Augenkrebs holen oder angewidert die Nase rümpfen, das verzögert nur unnötig die Aufnahme.“
„Solche Bilder werden das?“ Seine bisher gesunde Gesichtsfarbe war verschwunden.
Mein Grinsen wurde breiter. „Was dachtest du denn?“
„Ich dachte, ich lauf da nur in Unterhosen oder so rum.“ Wieso wirkte er erstaunt?
Ich lachte. „Ich hab doch gesagt: Bademoden und Unterhosen in erotischer Art und Weise. Es wird kein 08/15 Katalog, der Kunde will es spannend und knisternd haben, die Funken sollen sprühen!“
„Äh, ich dachte, du machst keine Actionaufnahmen.“ Er war eindeutig verwirrt.
Ich klickte auf die Seiten mit Servet und Gürkan auf der Leiter. „Daniel, eine Hand in einer Unterhose oder ein Paar Lippen auf einem Hals sind Kunst und kein Porno. Ich spiele lediglich mit den Gedanken des Betrachters, rege nur seine Fantasie an, mehr mache ich nicht.“
„Aha!“ Er sah dennoch bedrückt aus. „Was passiert, wenn ich dabei, naja, … du weißt schon?“
„Einen Steifen kriegst?“ Ich legte ein Schmunzeln auf meine Lippen, er nickte schüchtern. „Das sollst du ja gerade, denn eine ausgebeulte Retro kommt eh besser als ein flaches Feld. Außerdem …“ Ich deutete auf sein immer noch freigelegtes Fortpflanzungsorgan. „… brauchst du dich damit doch nicht zu verstecken. Servet hat nicht ganz so viel in der Hose.“
Man konnte seine Verlegenheit fast greifen. Er starrte auf das Bild, das auf dem Monitor zu sehen war: Der Kurde rekelte sich lasziv auf der Leiter. Die Farbe kehrte in das Gesicht des Azubis zurück. „Hast du die beiden auch inspiziert? Von wann sind denn die Bilder?“
„Die Aufnahmen stammen aus dem letzten Jahr und nackt habe ich sie zuletzt Montag gesehen. Ich kann dir versichern, sie sind hinten glatt.“ Ich gab ihm einen Klaps auf den Allerwertesten.
Er fuhr zusammen, blickte mich erschrocken an. „Hattet ihr … naja … haben sie dir einen geblasen oder sonst was gemacht, um den Job zu kriegen.“
„Äh, du warst doch bei dem Anruf dabei, oder? Ich hab die beiden doch sofort auf die Liste gesetzt, wie sollten sie da …“ Verwundert blickte ich Marvins letzten Logiergast an. „Die Leute müssen bei mir nicht erst auf die Besetzungscouch und mir gefällig sein, ehe ich sie als Modell engagiere. Deshalb … kannst du dir die Hose auch ruhig wieder anziehen.“ Ich grinste ihn frech an. „Deinen Schwanz werde ich am Wochenende eh noch oft genug sehen.“
Der Kleine wurde rot, langsam zog er die weiße Retro wieder hoch. „Äh, ich muss also nicht?“
„Nein!“ Ich schüttelte den Kopf, er atmete erleichtert auf, als er sich die Jeans zumachte. „Du musst nur meine Anweisungen richtig umsetzen, mehr nicht! Dass du das kannst, hast du ja schon gezeigt. Aber … solche Aktionen wie bei deinem Shooting lässt du besser, denn dafür werden wir keine Zeit haben, unser Programm wird stressig genug werden.“
„Ich hab auch nicht vor, mir vor allen anderen einen zu keulen!“ Er versuchte sich an einem Lächeln.
Ich klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. „Bei dem engen Terminplan, den wir haben, wirst du froh sein, wenn du unter der Dusche Hand anlegen kannst.“
„Wieso das denn?“ Neugier lag in seinem Blick.
Ich griente ihn an. „Als du gerade das Bild von Servet betrachtet hast, hattest du ja schon eine leichte Reaktion gezeigt. Wie wird die aussehen, wenn fünf halbnackte Modells, die sich auch eine kleine Umkleide teilen müssen, um dich herum sind? Vom direkten Körperkontakt ganz zu schweigen!“
Er schluckte betreten, daran hatte er wohl bei seiner Zusage nicht gedacht. „Äh, das wird schon gehen, so notgeil bin ich ja auch nicht.“
„Wir werden sehen, mein Lieber! Wir werden sehen!“ Wenn ich schon bei mir mit leichten Problemen rechnete, wie würde es dann bei einem vor Kraft strotzenden Jungspund aussehen?
Kurz nach den Wasserballern traf unser Besuch aus Hamburg ein. Gregor du Maire war so, wie ich ihn mir auch vorgestellt hatte: hochgewachsen, weißhaarig, Brille mit Goldrand, der leichte Bauch fiel im Stehen überhaupt nicht auf. Bei dem Modeschöpfer lag ich jedoch total daneben: Erwartet hatte ich einen schrillen, vor Kreativität sprühenden und eher ausgeflippten Typen, stattdessen saß ich nun einer distinguierten Miniausgabe des ihn begleitenden ‚elder Statesman‘ gegenüber.
Nachdem die üblichen Begrüßungsfloskeln ausgetauscht waren und ein milder Cognac unsere Kehlen passiert hatte, wurden erst einmal die zu fotografierende Wäschestücke in die Wohnung gebracht. Gemeinsam mit Igor übernahm Gregor den Transport des etwas übergroßen Musterkoffers; der Finanzier war sich also nicht zu fein, selber mit Hand anzulegen.
Das Wohnzimmer glich kurze Zeit später einer Modeboutique nach dem Besuch einer ganzen Scharr unentschlossener Kunden, überall lagen Sachen herum. Gut, einige der Stücke, die Tom mitgebracht hatte, waren etwas gewöhnungsbedürftig. Ein paar der Unterhosen hatten anstelle eines Bündchens eher so etwas wie Hosenträger oder angenähte Laibchen, wurden also durch die Schultern am Herunterfallen gehindert. Geld würde ich dafür zwar nicht ausgeben, aber, wie Tom mir erklärte, diese Art von Bodys wären stark im Kommen.
„Also, mit den Sachen kann ich was anfangen.“ Ich fuhr den Laptop hoch. „Ich habe da mal was vorbereitet, wie ich mir die katalogmäßige Umsetzung vorstelle.“
Der Entwurf wurde, wenn auch mit kleinen Änderungen, angenommen. Allerdings gab es am Layout keine Kritik, vielmehr wollte man eine etwas „rundere Schrift“, ich hatte für den beschreibenden Text Times New Roman gewählt. Als der Modeschöpfer dann alles „klein“ schreiben wollte, entspann sich zwischen den Hanseaten eine Diskussion um die Grammatik der deutschen Sprache.
„Aber es wäre ein echtes Unterscheidungsmerkmal.“ Er blickte zu Igor. „Was sagst du denn dazu?“
Mein Russe fühlte sich augenscheinlich unwohl. „Naja, als Mitglied der Zielgruppe … muss ich dir zustimmen, das ist etwas ungewöhnlich, aber … aber als Lehrer kann ich nur abraten.“
„Siehst du! Was habe ich dir gesagt?“ Die Stimme des Geldes hatte gesprochen.
Der Stoffveredler stöhnte. „Was sagt der Künstler zu dem Thema?“
„Der Fotograf sagt, dass der Inhalt des Textes den des Bildes nicht konterkarieren darf. Dem Layouter ist dieser Bezug egal, dem kommt eher auf die Schriftgestaltung an: Man sollte zu einem modernen Bild keine Frakturschriftart verwenden, es sei denn, man will dadurch einen Gegensatz ausdrücken.“ Ich atmete tief durch. „Als Einkäufer einer Modefirma ist der Text vollkommen Banane, es kommt nur auf Größen und Preis an. Der heterosexuelle Kunde wird vielleicht intensiv die Begleittexte lesen, der schwule Käufer wird eher auf die Bilder achten. Von daher …“
„Und was meinst du als Stefan Plange?“ Der blonde Designer mit Zopf im Haar wirkte leicht gereizt.
Mir entwich ein Stöhnen. „Der Stefan in mir würde es anders machen.“
„Und wie?“ Der Mann mit der Goldrandbrille blickte mich fragend an.
Ich lächelte. „Das Vorwort des Designers kann, als Zeichen seines persönlichen Stils, durchaus in Kleinschrift erfolgen. Bei den begleitenden Texten sollte man aber die richtige Schreibweise wählen.“
„Also, mit dem Kompromiss könnte ich leben!“ Tom grinste erleichtert.
Sein Gönner rieb sich die Hände. „Nicht nur du, mein Engel, nicht nur du!“
„Na, dann können wir ja jetzt zum Essen.“ Ich blickte den Modeschöpfer an. „Die restlichen Sachen können wir dann ja raufbringen, wenn wir vom Griechen wieder hier sind.“
„Welche anderen Sachen?“ Erstaunen lag in Toms Blick. „Das hier ist die ganz Kollektion.“
„Das ist mir klar, aber für einige Bilder brauche ich mehr als nur ein Exemplar, außerdem brauchen wir verschiedene Größen, denn die Modelle haben nicht alle die gleichen Konfektionsgröße.“ Ich blickte den kreativen Zopfträger scharf an. „Wir schießen ja, Gott sei Dank, nur Herrenmode.“
„Herr Plange, ich kann Sie beruhigen, wir haben noch zwei Koffer unten im Kombi.“ Der weißhaarige Herr lächelte. „Ich dachte immer: Mode ist Mode. Wo ist jetzt der Unterschied, ob ich einen Mann oder eine Frau einkleide?“
Grinsend blickte ich ihn an. „Kleider für Damen sind fast immer maßgeschneidert, Männer müssen meist Konfektionsware vorlieb nehmen. Aber auch wenn die Maße der holden Weiblichkeit vorher bekannt sind, müssen sie immer eine ausgebildete Schneiderin am Set haben: Es kann ja sein, dass die Dame einmal vergessen hat, ihren Finger in den Hals zu stecken, um ihre Figur zu halten.“
„Und bei Männern?“ Der ehemalige Callboy hatte Fragezeichen in den Augen.
„Der kriegt halt ein Sakko eine Nummer größer angezogen und wenn die Armlänge dann nicht mehr stimmt? Wozu gibt es Stecknadeln?“ Ein Grinsen umspielte meine Lippen. „Außerdem ist es kein ehernes Gesetz, das die Manschette anderthalb Zentimeter unter dem Ärmel hervorschauen muss; der Modeschöpfer kann sich ja auch gegen dieses Diktat auflehnen!“
Der junge Designer schmunzelte. „Wer ist denn besser zu fotografieren? Männer oder Frauen?“
„Profis! Das Geschlecht spielt keine Rolle! Profis brauchst du nur zusagen, was du haben willst, das machen sie dann auch, naja … jedenfalls meistens. In der Regel laufen diese Shootings ruhig und harmonisch ab, denn alle Beteiligten wissen, worauf es ankommt. Stars aus der ersten Reihe gehen auch noch, aber hast du es mit B-, C- oder gar D-Promis zu tun, wird es ziemlich anstrengend.“ Ich erinnerte mich mit Grausen an Aufnahmen mit einer singenden Schauspielerin oder war es eine schauspielende Sängerin, egal, die blondierte Dame raubte mir einfach den letzten Nerv. „Wenn du als Fotograf gegenüber männlichen Modellen laut wirst, kein großer Akt: Die schlucken zwar und verfluchen dich, aber sie machen weiter. Ist es jedoch eine Frau, die du ablichtest, kann es dir passieren, dass sie heulend das Set verlassen und du alleine dastehst. Ich könnte dir Geschichten erzählen, da schlackerst du mit den Ohren.“
„Das, lieber Herr Plange, das können sie uns alles gleich beim Essen erzählen. Ich für meinen Teil habe jedenfalls jetzt Hunger. Sollen wir dann?“ Das Kapital hatte gesprochen. „Fahren wir getrennt oder nehmen wir nur einen Wagen?“
Es wurde ein lustiger und ziemlich kurzweiliger Abend. Nach drei Stunden bei Costas setzten die zwei Hamburger uns – samt den restlichen Koffern – wieder in der Ludwigstraße ab und verabschiedeten sich. Tom würden wir am Samstag auf Malta wiedersehen, er wollte wenigstens den Rest seines Shootings live miterleben.
Als Igor und ich später im Bett lagen, krabbelte er erstmal auf meine Seite, anscheinend wollte er sich wohl mal wieder seine Füße wärmen lassen. „War noch ein netter Abend, oder?“
„Stimmt, die beiden sind schon ein lustiges Pärchen, obwohl …“ Ich rutschte etwas nach oben, seine Extremitäten waren wirklich kalt. „… obwohl sie kein Paar sind. Aber Gregor hat sich für sein Alter ziemlich gut gehalten. Ich hoffe, ich habe mit 70 auch noch so eine sportliche Figur wie er.“
„Bestimmt! Für die notwendige Bewegung werde ich schon sorgen.“ Er giggelte und kniff mir leicht in die Seite. „Wofür bin ich Sportlehrer?“
Ich drehte mich um, tätschelte seinen Bauch beziehungsweise den Ansatz desselben. „Dann solltest du aber auch mit gutem Beispiel vorangehen, denn nur das, was man sich auch selber zumutet, kann man, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, von anderen Menschen verlangen.“
„Moment mal!“ Er langte über mich hinweg, machte die Nachttischlampe an und blickte mich fast erbost an. „Soll das heißen, ich bin zu dick?“
Ich schüttelte den Kopf. „Das habe ich nicht gesagt!“
„Aber wohl gedacht!“ War er eingeschnappt?
Ich setzte mich auf, streichelte seine Wange. „Schatz! Ich liebe dich so, wie du bist. Du steckst in den Examensvorbereitungen, hast etwas zugelegt, aber … das ist normal. Ich bin mir sicher, wenn deine Sportprüfung ansteht, werde ich wieder das Dickerchen von uns beiden sein.“
„Hast ja irgendwie Recht. Ich habe in letzter Zeit wirklich wenig gemacht. Erstens ist es draußen zu kalt, zweitens gibt es regelmäßige Mahlzeiten und drittens …“ Er küsste mich auf die Nase. „… du kochst einfach zu gut. In meiner Studentenbude in Münster gab es nichts außer Nudeln, mal mit Ketchup, mal mit Butter und Zucker; fertige Bologneser gibt es leider nicht in Tüten zu kaufen.“
Ich lachte. „Stimmt, Zwiebeln und Gehacktes musst du immer noch selber anbraten, aber … du könntest ja diese fertigen Soßen nehmen: Sugo alla Arrabbiata gibt es schon fertig in Gläsern.“
„Jau, ich zahl teuer Geld für eine Pampe, die nach Nichts schmeckt!“ Er zeigte mir einen Vogel.
Ein Grinsen legte sich auf meine Lippen, auch ich mochte das vorgefertigte Zeug nicht. „Wenn das Schriftliche erst einmal vorüber ist, dann sieht die Sache sowieso ganz anders aus, da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Du brauchst einfach nur ein Ziel, auf das du hinarbeitest, und deine Sportprüfung mit dickem Bauch? Schau dir Daniel an, der hat, nach meiner flapsigen Bemerkung beim Frühstück, jetzt anderthalb Kilo runter, obwohl Karneval ist.“
„Woher weißt du?“ Er blickte mich erstaunt an.
Mein Finger wanderte zu seinem Bauchnabel. „Er hat es mir heute Nachmittag selbst gezeigt, als er gegen Fünf hier aufschlug, er wollte zu Marvin, aber ihr wart ja noch beim Training. Da habe ich die Zeit genutzt und ihm die letzten Instruktionen für Malta gegeben.“
„Welche da wären?“ Er schaute mich neugierig an.
Meine Hand tänzelte über seinen Rücken, blieb auf seiner unteren Backe liegen. „Ich habe ihm nur erzählt, was er bei den Aufnahmen zu tun und zu lassen hat, und was er noch machen muss.“
„Was da wäre?“ Sein Blick hatte etwas Bohrendes an sich.
Mein kleiner Finger wanderte durch seine Spalte. „Unter anderem hab ich ihm gesagt, dass er sich da noch dringend rasieren muss.“
„Er hat die seinen Hintern gezeigt?“ War er entsetzt? „Sag mir, dass das nicht wahr ist!“
„Doch! Strings im Urwald kommen nicht gut.“ Mein Finger tastete nach seinem Eingang. „Außerdem musste ich ja wissen, ob er vorne noch Haare hat.“
„Und? Hat er?“ Wieso wirkte er gereizt? „Wieso ist das wichtig?“
Den Vorwärtsdrang meines Fingers konnte ich nicht unterbinden. „Wegen der Auswahl der Stücke, die er bei dem Shooting anhaben kann. Ich will ja nicht wie Olivier Raccourci Knipser für spezielle Vorlieben sein.“
Er speichelte sich die Finger ein, führte sie nach hinten, verteilte dort die Spucke. „Wenn du rein willst, ist das wohl besser. Aber nun sag schon: Wieso ist das kriegsentscheidend?“
„Du hast die weißen Badehosen gesehen, die Tim in der Kollektion hat?“ Mein Gatte nickte. „Wenn die nass sind, dürften die fast transparent sein. Wenn Daniel da unten kahl wie Marvin wäre, würde man nur sein Paket sehen.“ Das erste Fingerglied war nun in meinem Engel. „So aber sieht man auch den Wald, macht die kleine Ölkanne nur männlicher, also kann er sie ohne Weiteres tragen. Ich will ja schließlich keine Wichsvorlagen für Kinderliebhaber schießen!“
Er bewegte sich etwas, drückte sich ganz auf meinen kleinen Finger. „Ah! Ja! So ist gut! Und … und du meinst, so werden es ero … ja … erotische Fotos?“
„Yepp!“ Ich griff mit der anderen Hand nach dem russischen Szepter. „Außerdem habe ich ihm noch Wichsanweisungen gegeben!“
„Du hast was?“ Er blickte mich mit entsetzten Augen an.
Ich polierte unbeirrt das Reichsschwert weiter. „Ich habe ihm gesagt, dass er sich vor den Aufnahmen unter der Dusche einen von der Palme wedeln soll. Er soll ja nicht während des Shootings Hand an sich legen, dafür haben wir keine Zeit, jedenfalls nicht bei dem dicht gedrängten Terminplan.“
„Das glaube ich jetzt nicht!“ Mein Russe spielte mit Klein-Stefan, der auch nicht mehr ganz so klein war. „Was … was soll das bringen?“
„Zeitersparnis!“ Ich bugsierte den angehenden Gymnasiallehrer in die Rückenlage.
Seine Beine legten sich auf meine Schultern. „Zeitersparnis?“
„Zeitersparnis!“ Ich verteilte noch einmal eine gute Portion Spucke auf meine Finger und verrieb diese an seinen Eingang, um ihn geschmeidiger zu machen. „Die anderen Modelle sind alle Stricher, die wissen also, wie sie mit ihrer Sahne umgehen müssen, nur unsere drei Eleven sind diesbezüglich Amateure.“ Mein Ringfinger kam ins Spiel. „Die werden fast 48 Stunden erotischer Hochspannung erleben, einen Tanz auf dem Vulkan.“ Nun spielte ich mit zwei Fingern in meinem Engel. „Ich kann Gürkans Gesicht in Servets Schritt gedrückt ablichten, auch wenn der gerade in seiner Unterhose gekommen ist, die beiden kennen sich in und auswendig.“ Mein Mittelfinger mischte nun mit. „Aber was würde passieren, wenn du, unbeleckt wie eine alte Jungfer, zum ersten Mal Sperma an deinen Fingern spürst?“
„Ich … ich … ich würde sie … ja tiefer … ich würde sie wegziehen!“ Igor stöhnte. „Aber … aber … wehe, du machst das jetzt … mit deinen Fingern! Dann … dann schlage ich dich!“
Ich bohrte weiter. „Keine Angst, ich bleibe da, wo ich jetzt bin, denn ich will ja die Aufnahme nicht ruinieren!“
„Das … das will ich dir auch geraten haben!“ Er hechelte mehr als er sprach.
Ich grinste, bearbeitete mich selber. „Und deshalb will ich, dass Daniel nur mit leeren Eiern zum Set kommt, denn … denn er ist das schwächste Glied in der Kette.“
„Wieso? Gib … gib mir endlich deinen Schwanz!“ Mein Gatte wand sich unter mir wie ein Aal.
Ich ersetzte meine Finger durch meine Kuppe. „Hier hast du ihn!“ Ich übte einen gewissen Druck aus, die Spalte öffnete sich. „Servet oder Gürkan …“ Meine Spitze drang ein. „… wüssten, wie sie damit umgehen müssten, denn sie sind …“ Ich fuhr tiefer ein. „… abgeklärt genug. Aber Daniel …“ Ich drang fast ganz in meinen Russen. „… Daniel ist noch ein Kind.“ Meine Eier klatschten gegen seinen Hintern. „Er ist zwar als Modell …“ Ich zog mich etwas zurück.“… begabter als die Handwerker, aber …“ Nur noch die Spitze meines Stabes steckte in meinem Gatten. „… die beiden sind eingespielt!“ Ich legte den Vorwärtsgang wieder ein. „Diese … die Erfahrung fehlt …“ Mein halber Kolben war wieder in ihm verschwunden. „… dem Schrauber. Er muss noch viel, viel …“ Ich war wieder ganz in meinem Gatten. „… lernen, wenn er ein ganz Großer werden möchte!“
„Nun quatsch hier keine Opern! Fick mich endlich!“ Igors Anweisungen können manchmal subtil sein!
Aber ich tat dann, was von mir verlangt wurde und warf meine Nähmaschine an. Allerdings achtete ich auch darauf, dass meine Nadelstange nicht nur in das Loch des Transporteurs eintauchte, meine freie Hand beschäftigte sich auch mit dem russischen Nähzeug. Nach drei oder vier Minuten war kein Unterschied mehr zwischen Hand-und Maschinenbetrieb festzustellen. Es war einfach nur himmlisch, in die Enge des russischen Stopfliesel vorzudringen. Wir bewegten uns im Gleichklang, ein Nadelstich in ihm bedeutete gleichzeitig einen Einstich seiner Nadel, allerdings fehlte der Stoff, in den man eintauchen konnte.
Unsere Blicke fixierten sich, mein Mund versuchte, seine Lippen zu erreichen. Das Spiel der Zunge gelang schlussendlich, aber während meine Nähnadel fast mechanisch Meter um Meter abspulte, wurde das Nähen mit der Hand immer unregelmäßiger, ein genaues Muster war nicht mehr zu erkennen, mal wurden fünf Stiche auf einmal gemacht, mal musste ich einfach aussetzen.
Aber am Ende? Am Ende waren wir fast wieder gleich auf! Der einzige Unterschied war, mein restlicher Faden wurde in seinen Stopfarm entlassen, sein weißes Garn entlud sich, Schub um Schub, auf seiner Bauchdecke.
„Schatz!“ Wir brauchten einige Zeit, um wieder zu Atem zu finden. „Schatz, kannst mir das Ganze jetzt noch einmal erklären? Um ehrlich zu sein, nachdem du angefangen hast, an und in mir zu spielen, da …“ Er grinste mich an. „… da habe ich abgeschaltet.“
„Aber selbstverfreilich!“ Ich schmiegte mich eng an meinen Geliebten. Wir hatten gerade in die richtige Position gefunden und ich wollte schon anfangen, ihm das Ganze noch einmal zu erklären, aber da konnte ich nur noch die regelmäßigen Atemzüge meines Russen vernehmen. Männer! Aber egal, die Erklärung würde warten müssen. Ich schloss meine Augen und es dauerte auch bei mir nicht wirklich lange, bis ich den Schlaf eines tapferen Schneiderlein schlief.
Nachdem Marvin uns verlassen hatte, er musste ja zur Schule, saßen Igor und ich noch bei einer Tasse Kaffee am Frühstückstisch zusammen, er schien leicht aufgeregt zu sein. „Und du bist dir wirklich sicher, dass ich für uns keinen eigenen Koffer packen soll?“
„Schatz, außer einer Ersatzhose, Hausschuhen, Socken und Waschzeug werden wir nichts brauchen. Luigi betreibt ein als Hostel getarnten Puff, von daher wird wohl für Handtücher gesorgt sein und wir haben über 200 Shirts und mehr als 100 Unterhosen im Gepäck, da werden wir unsere Sachen nicht wirklich brauchen.“ Ich lachte ihn an. „Bei einem solchen Shooting ist es eh Usus, dass man die Klamotten, in denen man abgelichtet wird, auch behalten kann; nicht umsonst ist das Gepäck von Modells auf dem Rückflug meist deutlich schwerer als das auf dem Hinflug.“
„Aber das ist doch … Diebstahl.“ Er schüttete sich Kaffee nach.
Ich steckte mir eine Zigarette an. „Ich sehe das eher als Kostenminimierung! Wir lichten ja eh nur einfache Massenware ab, keine sündhaft teuren Unikate, auch wenn das Shirt im Laden später 50 Euro kostet, die reinen Herstellungs- und Transportkosten liegen bei maximal 15 Prozent. Wichtiger ist aber: Die Sachen sind aber schon einmal getragen worden, von daher kann sie ein Designer, der was auf sich hält, eh nicht mehr verkaufen, sondern nur noch entsorgen … oder halt verschenken.“
„Aber trotzdem …“ Er trank einen Schluck. „… halte ich das für nicht ganz korrekt.“
„Wieso? Tom kriegt die Bilder und das Layout für seinen Katalog für lächerlichen Pauschalpreis, die Modells inclusive. Selbst wenn wir den Warenwert seiner Kollektion mit 5.000 ansetzen, kommt er immer noch sehr günstig weg.“ Ich aschte ab. „Bei Modeaufnahmen verdienen Anfänger zwischen 50 und 100 pro Stunde, bei etablierten Models liegt die Tagesgage zwischen 1.500 und 4.000 Euro, bei den internationalen Top-Modells kannst du noch einmal eine Null dranhängen. Wenn du aber, so wie wir, erotische Aufnahmen machen willst, kalkulier mal mit dem Doppelten bis zum Dreifachen.“ Ich schenkte mir Kaffee nach. „Rechne doch mal selber: 6 Modells a 20 Stunden mal 100 Euro plus Flug, Übernachtung und Verpflegung und der Rest der Crew muss ja auch noch bezahlt werden!“
„Wenn du so rechnest, dann …“ Mein Gatte gab sich wohl geschlagen, er winkte ab. „Aber irgendwie freue ich mich schon auf unseren zweiten Wochenendtrip.“
„Aber der wird stressiger werden als Hamburg im letzten Monat.“ Ich drückte den Glimmstängel aus.
Igor zuckte mit den Schultern. „Macht doch nichts! Hauptsache, wir sind zusammen und sehen mal wieder was anderes, fremde Leute, andere Kulturen. Wohin geht es denn im nächsten Monat? Allerdings erst nach dem Schriftlichen, vorher bringt das nichts.“
„Also nach deinen Klausuren?“ Ich grübelte. „Wir haben ja noch den Gutschein von Marvin, den er uns zu Weihnachten geschenkt hat, das Wochenende in Prag.“
„Hat er das tatsächlich gebucht? Ich kann mich weder an ein Hotel noch an ein Datum erinnern. Wie sollen wir eigentlich nach Prag?“ Der angehende Lehrer wirkte leicht konfus.
Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab mal mit dem Reisebüro telefoniert: Der Gutschein hat einen Wert von 300 Euro, ist aber an keinen Veranstalter und kein Ziel gebunden.“
„Wir könnten ihn also auch für unsere Hochzeitsreise einsetzen?“ Mein Engel wurde hellhörig.
Ein Schmunzeln legte sich auf meine Lippen. „Theoretisch könnten wir das, aber praktischerweise sollten wir das nicht machen, denn Marvin wollte uns ein Wochenende schenken und nicht etwas zu unserer Reisekasse beitragen. Auch wenn ich nicht glaube, dass er etwas dagegen hätte …“
„Das stimmt natürlich! Und wenn wir wirklich nach Australien fliegen, machen die 300 Euronen den Kohl auch nicht mehr fett!“ Der angehende Lehrer blickte plötzlich etwas nachdenklich.
Meine Augenbrauen wanderten nach oben. „Was spricht denn gegen den Fünften Kontinent?“
„Stefan! Wenn ich schon mehr als 24 Stunden im Flieger sitzen soll, dann muss sich diese Reise auch lohnen, also mindestens vier Wochen.“ Er fuhr sich durch die Haare. „Für 14 Tage tue ich mir den Stress nicht an. Aber erst einmal muss ich mein Examen schaffen und eine Stelle finden, außerdem glaube ich nicht, dass du für einen Monat den Laden dichtmachen willst. Wenn ich dann auch noch die Umbauarbeiten in die Gleichung miteinbeziehe, dann können wir froh sein, wenn wir im Sommer für eine Woche irgendwo in Europa unterkommen.“
Seine deutlichen Worte erschreckten mich, daran hatte ich bei meiner Bemerkung gar nicht gedacht. Der Neubau der Ludwigstraße 121 und der Umbau der 123 waren auch Neuland für mich und wenn sich der Bauherr in der heißen Phase der Arbeiten eine vierwöchige Auszeit nimmt? Innerlich schüttelte ich den Kopf, das würde sicherlich nicht funktionieren. „Und was schlägst du als Ersatz vor? Aber komme jetzt bitte nicht mit Venedig im Sommer, da sind mir zu viele Touristen. Ich will dich und unseren Urlaub genießen und mich nicht über plärrende Kleinkinder aufregen müssen.“
„Uns wird schon was einfallen, da bin ich mir sicher! Und mit dir?“ Er grinste mich frech an. „Wir werden über all unseren Spaß haben, egal ob auf einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer oder auf einer Baggerfahrt durch die Eifel; da mache ich mir überhaupt keine Sorgen!“
„Aber auf das Baugerät verzichten wir besser.“ Ich blickte in erstaunte Augen. „Erstens werden wir in den nächsten Monaten noch genügend Bautätigkeit haben, und zweitens: In einer schlabbernden Latzhose kommt dein süßer Arsch nicht zur Geltung, das Auge isst ja schließlich auch mit!“ Wir mussten beide lachen. „Aber, um mal wieder etwas ernst zu werden, du könntest mir gleich noch einen großen Gefallen tun.“
„Welcher da wäre?“ Neugierig blickte er mich an.
Ich räusperte mich. „Wenn du gleich Marvin von der Schule abholst, könntest du bei Elektro Beer oder so vorbeifahren, wir brauchen für das Wochenende noch vier oder fünf Adapter.“
„Adapter? Für was?“ Seine Augen wurden groß.
„Für die Elektrik, die wir mitnehmen, denn auf Malta kannst du mit unseren Schukosteckern nichts anfangen, die haben auch eine andere Spannung, 240 Volt.“ Ich blickte ihn an. „Die Bilder müssen auf den Rechner und die Batterien für die Kamera geladen werden, außerdem brauche ich Licht.“
„Kein Problem! Kann ich dir sonst noch irgendwie helfen?“ Er erhob sich.
Ich grübelte kurz. „Wenn du die Kollektionsliste noch in den Rechner übertragen könntest, wäre ich dir sehr verbunden, würde mir und dir erheblich die Arbeit erleichtern!“
„Wieso mir?“ Er stutzte.
Ich lachte. „Du bist mein Assistent und wirst Buch darüber führen, wer welches Teil in welcher Szene anhatte und diese Liste wird später Grundlage für die Bilderauswahl und das Layout.“
Ravanan, der eine Stunde später aufschlug, musste sich auch an eine Art der Buchführung machen. Allerdings tat er das nicht freiwillig, es war der Inkompatibilität der Programme geschuldet: Der Tamile musste die Daten von knapp 200 Mieter, die in den Wanning‘schen Betriebswohnungen lebten, per Hand eingeben. Die Flüche, die er dabei abgab, gebe ich lieber nicht wieder.
Helfen konnte ich ihm dabei leider nicht: Die Vollversion des Verwaltungsprogrammes hatte ich zwar schon erworben, aber sie nur auf einem Rechner installiert. Außerdem verstand ich von dem Programm so viel, wie eine Kuh von der Spitzenklöppelei. Gut, bei der Installation der Probeversion hatte er mir zwar einige Sachen erklärt, aber, um ehrlich zu sein, viel hatte ich davon nicht behalten. Nach Malta und dem Layout von Toms Katalog würde er mir wohl eine etwas genauere Einweisung geben müssen, denn im Notfall müsste ich das Programm ja auch selber bedienen können.
Er rieb sich die Augen. „Ich glaube, ich brauche eine Pause: Ich kann keine Zahlen mehr sehen.“
„Dann mach halt doch eine.“ Ich grinste ihn, der mir am anderen Schreibtisch gegenübersaß, an. „Du kannst derweil ja Kaffee kochen. Hat Olaf eigentlich was über die Dauer des Verfahrens gesagt?“
„Er rechnet mit mindestens drei Monaten.“ Langsam erhob er sich und trabte zum Kaffeeknecht. „Da alle Konten von Wanning ja noch gesperrt sind, bräuchten wir eine separate Bankverbindung und es wäre für das Verfahren einfacher, wenn wir die Wohnungen nicht über das normale Geschäftskonto laufen ließen, er müsste jederzeit über den Kontostand informiert sein.“
Ich stöhnte, musste ich doch meine ach so geliebte Buchhaltung für die Fahrt zur Bank unterbrechen. „Dann lass uns gleich zur Volksbank, du brauchst ja eh noch Kontovollmacht.“
„Und wir brauchen auch noch deren Firmenkundensoftware.“ Das Wasser war mittlerweile im Tank.
Ich stutzte. „Warum? Reicht denn Online-Banking nicht?“
„Theoretisch schon, aber …“ Die Filtertüte wanderte in das dafür vorgesehene Behältnis und wurde anschleißend mit braunem Pulver befüllt. „… unsere Verwaltungssoftware hat auch ein Bankmodul und … warum sollten wir das nicht nutzen? Jede Rechnung löst eine Buchungskette aus, erst wird eine Verbindlichkeit gebildet, die dann per Bank beglichen wird. Haben wir die Banksoftware, nimmst du diese Rechnung, gibst sie ein und der Rest geht dann vollkommen automatisch. Nutzen wir sie nicht, muss man die ganze Buchungskette von Hand abarbeiten und die Überweisung extra tätigen.“
„So eine Arbeitserleichterung lobe ich mir!“ Was es nicht alles gibt!
Die notwendigen Formalitäten waren noch vor dem Mittagessen erledigt, es waren ja lediglich nur Namensänderungen und die Vollmachten für Ravi waren auch schnell eingetragen. Allerdings richtete ich dann auch noch ein Tagesgeldkonto für den Immobilienbereich ein, das Geld sollte ja nicht nur untätig auf den Konten liegen.
Gürkan und Servet kamen ihrer Mittagspause kurz vorbei und gaben uns ihre Reisetasche, Daniel hatte sein Gepäck schon auf dem Weg zur Arbeit bei Marvin untergestellt. Igor und ich verbrachten dann fast den ganzen Nachmittag damit, Kollektion, Privatsachen und Ausrüstung auf die sechs Koffer zu verteilen; kein ganz einfaches Unterfangen, mussten wir doch für eine einigermaßen gleichmäßige Gewichtsverteilung sorgen. Nach über drei Stunden waren wir fertig, im doppelten Sinn des Wortes.
Beim Abendessen teilte ich Marvin eine frohe Botschaft mit: Er würde am Wochenende ausschlafen können! Uwe, mein Faktotum, würde nicht nur am Freitag den Laden übernehmen, sondern auch am Samstag hinter dem Tresen stehen. Ich war dem geschiedenen Mann mehr als dankbar, denn ohne ihn hätte ich den Laden schließen müssen. Gut, ich hätte Marvin zwangsverpflichten können, aber der Junge sollte sich auf seine Schule konzentrieren.
Wenn das mit den Immobilien mehr werden würde und ich wieder etwas künstlerischer arbeiten wollte, würde ich sowieso noch feste Hilfe brauchen. Auf meinen inneren Merkzettel notierte ich mir, mich mit dem Arbeitsamt bezüglich einer Festanstellung ins Benehmen zu setzen. Wozu gibt es denn Eingliederungshilfe oder wie immer das heißen mag?
Etwas komisch war es schon, als mein Gatte und ich, eine halbe Stunde nach der Tagesschau, Marvin eine ‚Gute Nacht‘ wünschten und uns ins Schlafzimmer zurückzogen, aber der Wecker würde uns um 2:30 Uhr aus dem Schlaf reißen, denn um Viertel nach drei wollten die anderen Teilnehmer des Shootings und Murat mit seinem Transporter aufschlagen. Der meinte zwar, er würde für die Strecke zum Flughafen nur eine gute Stunde brauchen, aber ich hasse es, mich selbst in Zeitdruck zu bringen.
Gut, auch wenn mit großen Staus um diese Uhrzeit nicht zu rechnen war, hatte ich vorsichtshalber die Abfahrtszeit auf 03:30 Uhr festgelegt. Unser Flieger ging um kurz nach sechs, wir mussten also spätestens um fünf in Düsseldorf sein und lieber warte ich am Flughafen auf den Flieger als das ich von diesem nur noch die Düsen sehe.
Es dauerte unheimlich lange, ehe mich der Schlaf übermannte, es war einfach nicht meine Zeit! Igor schien es ähnlich zu gehen, auch er wälzte sich mehr im Bett, als das er ruhig atmete. Babys gibt man in solchen Fällen ja einen Nuckel, aber in Ermangelung eines solchen Kleinkinderberuhigungsgeräts hätte ich mir nur die russische Lanze greifen und lecken können. Aber, auch wenn es mir selbst mehr als schwerfiel, ich gab meinem Verlangen nicht nach, hielt tapfer stand, denn eine Runde 69 hätte zu allem geführt, aber nicht zur notwendigen Augenpflege.
Ein Türknallen ließ mich die Augen aufschlagen, der Radiowecker neben mir zeigte 02:18 Uhr. Ich rappelte mich auf, sich jetzt noch einmal umzudrehen, hätte sich nicht gelohnt. Im Dunkeln tastete ich mich zur Tür, lies meinen Gatten schlafend im Bett zurück. Der Kaffeeknecht in der Küche war das Ziel meiner Schritte, ich brauchte dringend meinen Muntermacher.
Der Flur war in tiefstes Schwarz gehüllt, langsam ging ich in die Küche, machte Licht. Auf den ersten Blick war alles genau so, wie ich es Stunden vorher verlassen hatte: Den Tisch hatte ich gestern schon gedeckt, auch der Türkentrankbereiter war schon befüllt, musste nur noch angestellt werden. Als er die ersten zischenden Geräusche von sich gab, öffnete ich den Brottopf aus Keramik, griff nach dem Toastbrot und wollte den Toaster schon mit den Weißbrotscheiben beschicken, als ich stutzte: Wieso lagen vor dem Brotröster Krümel? Ich hatte doch gestern noch sauber gemacht.
Hatte Marvin in der Nacht vielleicht Hunger gekriegt? Normalerweise isst er dann einen Apfel oder greift sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank. Mein Blick schweifte umher, in der Spüle lag ein Messer. Wo war die Butterdose? Auf dem Tisch stand sie jedenfalls nicht mehr, ich fand sie im Kühlschrank neben der Marmelade. Ich konnte nur hoffen, dass sie noch streichfähig wäre, denn Margarine zum Frühstück ist ein Unding, jedenfalls für mich. Ich tippte kurz auf die blassgelbe Oberfläche, lange konnte sie noch nicht in der Kühlung stehen.
Aber was sollte es? Mein nächster Gang führte mich ins Bad, meine Blase verlangte nach dringender Entleerung. Ich wunderte mich etwas, der Stapel mit den Badetüchern im Regal war durcheinander. Man mag mich für einen Pedanten halten, aber normalerweise liegen die Handtücher, nach Farben sortiert, in Reih und Glied, immer gleich gefaltet. Diese preußische Ordnung war durcheinander, die Symmetrie erheblich gestört.
Zurück im mittlerweile erleuchteten Flur stand ich vor Marvins Tür, sie war nur angelehnt. Ich tippte kurz dagegen und blickte hinein, Marvin lag allein im Bett, seine Sachen wild auf dem Boden verteilt. Aber Moment! Eine Mischung aus Schweiß und verbrauchter Luft schlug mir entgegen, es roch wie in dem berüchtigten Pumakäfig.
Ich räusperte mich kurz, sofort schoss sein Kopf in meine Richtung. „Onkelchen!“
„Dir auch einen guten Morgen, mein Großer!“ Ich tat einen Schritt in sein Zimmer, an meinem großen Zeh spürte ich ein Stück weiches Plastik. Ein Blick nach unten und ich konnte die aufgerissene Packung eines Überziehers sehen. Sollte ich meckern? Sollte ich sauer sein? Sollte ich mich aufregen?
Ich atmete tief durch. „Marv, ich habe ja nichts dagegen, wenn du am Wochenende hier Besuch hast, aber … können wir uns darauf einigen: keine Logiergäste unter der Woche?“
„Woher weißt …“ Er biss sich wohl auf die Zunge, drehte sich ab, machte die Nachttischlampe an.
„Wenn man sich schon aus der Wohnung schleicht, sollte man nicht gerade mit den Türen knallen. Außerdem …“ Ich deutete auf den Boden. „… sollte man sämtliche Spuren beseitigen und den Tatort so verlassen, wie man ihn vorgefunden hat.“
Der Schüler blickte mich an wie der reuige Sünder. „Wo haben wir …“
„Küche und Bad! Und jetzt ruf Daniel an und sag ihm, er braucht sich nicht mehr zu verstecken, denn er ist schon längst entdeckt worden. Außerdem sollte er dringend duschen, denn … wenn er genauso müffelt, wie es hier riecht? Ich möchte den Flug überleben.“ Ich verzog meine Nase, sog laut Luft ein.
Ich erntete ein zaghaftes Lächeln. „Der ist schon unten in der Sauna und duscht sich da. Wir wollten euch ja nicht wecken.“
Ob ich wollte oder nicht, ich musste grinsen. „Das ist aber nett von euch! Aber was ist nun mit dem Vorschlag, den ich gemacht habe? Unter der Woche keine …“
„… Logiergäste, hab schon verstanden.“ Er erhob sich aus dem Bett, suchte nach seiner Boxer.
„Und die Aktion heute?“ Ich atmete tief durch. „Die vergessen wir einfach, ich bin ja nicht ganz unschuldig daran, dass du am Wochenende deinen Spielkameraden nicht hast.“
Diesmal schenkte er mir nur ein Grummeln. „Kann ich mit euch gleich noch Kaffee trinken?“
„Du darfst dabei sogar neben Daniel sitzen, aber du solltest dir mehr anziehen als nur die Boxer.“ Ich drehte mich grinsend zu Tür. „Oder sollen die anderen deine erhöhte Alarmbereitschaft sehen?“
„Arsch!“ Das Kissen flog knapp an mir vorbei.
Ich machte mehr als drei Kreuzzeichen, als Murat den Transporter um 04:28 Uhr am Flughafen zum Stehen gebracht hatte. Er hatte die über 100 Kilometer lange Strecke tatsächlich in weniger als einer Stunde geschafft, genau in 56 Minuten; eigentlich erstaunlich, fuhren wir doch fast einzehntel des Weges, um überhaupt erst die Autobahn zu erreichen. Sollte es eine Transporter-Weltmeisterschaft geben, Igors Schulfreund hätte ziemlich gute Gewinnchancen.
Nachdem wir uns vom Michael Schumacher der Bullis verabschiedet hatten, ging es, nach einer letzten Zigarette an der frischen Luft, zum Check-in in das moderne Terminal. Mein Trupp schaute mich etwas komisch an, wollte er doch zum normalen Schalter gehen, an dem es sich schon staute, ich aber steuerte den Counter der Business-Klasse an.
Ich lächelte die etwas müde aussehende Dame hinter dem Tresen an. „Sie müssten mir helfen, ich kam mit der Technik nicht zurecht.“
„Was kann ich für sie tun?“ Ihre Stimme klang, ob der Störung, nicht gerade begeistert.
Ich reichte ihr die Buchungsbestätigung. „Ich wollte eigentlich diesen Online-Check-in machen, aber da gab es Probleme mit meinem Drucker: der Toner war leer.“
„Ihre Gruppe hat Economy gebucht, sie müssen zum anderen Schalter.“ Sie deutete in die Richtung der Schlange und reichte mir das Papier zurück.
Ich zückte mein Portemonnaie, reichte ihr die goldene Kundenkarte, die ich schon mehr als 15 Jahre mein Eigen nannte. „Ich glaube, ich bin hier richtig!“
„Oh, Senator, dann können sie das bei mir machen.“ Wieso war sie plötzlich so freundlich?
Ich grinste. „Sagte ich doch. Da ich aber die ganze Gruppe gebucht habe? Muss ich mit meinen zwei Koffern hier einchecken und der Rest dort drüben hin oder machen sie alles in einem Abwasch?“
„Ist ja im Moment nicht viel los. Wenn ich dann noch einmal ihre Unterlagen haben kann.“
„Selbstverständlich.“ Ich grinste, das Einchecken war erledigt.
Der Hüpfer nach Frankfurt war eigentlich nicht der Rede wert, kaum waren wir oben, mussten wir auch schon wieder runter. Serviert wurde jedoch ein Kaffee und ein Müsliriegel. Die Wartezeit bis zum Weiterflug, wir hatten ja über zwei Stunden Aufenthalt, zog sich wie Kaugummi. Rauchen ist ja auf dem gesamten Airport verboten, will man seiner Sucht dennoch nachgehen, man muss eine dieser neumodischen Raucherkabinen aufsuchen. Wer hat sich nur dieses Wort ausgedacht?
Egal, gegen kurz nach neun begann das Boarding des A 321, der uns nach Malta bringen sollte. Mit den Plätzen hatten wir Glück, wir hatten die ganze elfte Reihe für uns. Zwar blickten wir auf die Trennwände zur Business, aber dafür konnte man die Füße ausstrecken, wenigstens etwas. Neben Kaffee wurde ein kleiner Imbiss gereicht, großen Hunger darf man als Passagier in der Economy auf Europaflügen nicht haben; ich sehnte mich mindestens eine Dekade zurück: Früher war alles besser!
Igor war gerade mit seinen Wrap, den es als Snack gab, fertig, als er mich fragend anblickte. „Woher hast du denn eigentlich diese goldene Karte?“
„Ein Relikt aus meinem früheren Leben, als ich noch wie ein Nomade durch die Welt zog und heute nicht wusste, wo ich übermorgen schlafen würde.“ Ich stöhnte. „Ich war zwar freier Fotograf, aber ich arbeitete hauptsächlich für William Dunhill und seine World Photo Agency. Er wollte nie wissen, wie ein Shooting verlaufen ist, er wollte nur über das Ende informiert werden. Es konnte dir ohne Weiteres passieren, dass du von New York aus sofort nach Rio oder Los Angeles musstest, den Kunden hat er aber immer den Flug von Bonn, wo ich damals wohnte, in Rechnung gestellt.“
„Und du hast dich an diesen Betrug beteiligt?“ Lag ein Vorwurf in seiner Stimme?
Ich zuckte mit den Schultern. „Mir war es egal, Hauptsache der Scheck stimmte! Es gab Jahre, wo ich nur 80-mal in meiner eigenen Wohnung übernachtet habe, ansonsten war ich unterwegs.“
„Bis du Manuel kennengelernt hast?“ Neugier lag in seiner Stimme.
Ich schüttelte mein weises Haupt. „Jein! William war ein Romantiker, hatte ein Herz für Liebende. Ich war zwar nicht mehr so oft unterwegs, aber ich bin auch während der Zeit mit Manuel durch die Weltgeschichte getourt, musste ja irgendwie Geld verdienen, denn von seinen Gagen als Tänzer konnten wir nicht wirklich leben.“
„Gut, aber wenn alles gut war, warum hast du dann das Fotostudio übernommen?“ Gute Frage!
„Tja, Mr. Dunhill war leider ein Einmannunternehmen, William brauchte keinen Computer, er hatte alle Termine seiner Fotografen im Kopf. Er starb, kurz nach meinem Vater, an einem Hirnschlag; ich stand also ohne Agenten dar.“ Ich atmete tief durch. „Und den Rest? Den Rest kennst du ja!“
„Stimmt! Aber eine ganz andere Frage!“ Der angehende Lehrer blickte mich intensiv an. „Vermisst du es nicht? Ich meine, das freie Leben als Fotograf: heute hier und morgen da?“
Was sollte ich sagen? „Um ehrlich zu sein, ab und an schon. Klaus hatte mich ja überredet, überzeugt … oder was auch immer, aber Dank meines Bruders trat ich das Erbe meiner Väter an. Am Anfang war es eine neue Herausforderung, etwas Unbekanntes. Aber dann …“
„Dann wurde es langweilig?“ Er strich mir über den Arm.
Ich legte meine Hand auf seine. „Nicht wirklich, aber … wie soll ich es sagen? Die Routine kehrte ein, das Tagesgeschäft. Das unstete Leben als Fotograf hatte seine Vorteile: Du hast immer neue Leute kennengelernt, neue Orte entdeckt, neue Erfahrungen gesammelt, keine Situation glich der anderen. Aber im Laden? Gut, du hast zwar immer andere Leute vor der Linse, aber Passfoto bleibt Passfoto, da beißt die Maus keinen Faden ab. Deshalb bin ich froh, wenn ich für Hochzeiten und andere Sachen gebucht werde, mal raus aus dem alltäglichen Einerlei.“
„Das habe ich gemerkt! So wie du dich in die Vorbereitungen für dieses Shooting gestürzt hast.“ Mein Engel grinste. „Du bist richtig aufgeblüht, so kannte ich dich noch gar nicht.“
„Bin ich das?“ War mein Enthusiasmus wirklich so deutlich zu spüren? „Es ist halt, ich weiß auch nicht, wie ich es sagen soll, … ich habe eine neue Herausforderung, einen neuen Berg zu erklimmen.“
„Und? Was machst du, wenn du diesen Gipfel erfolgreich bezwungen hast? Suchst du dir gleich die nächste Erhebung und planst deren Besteigung.“ Eine abwartende Neugier lag in seinem Blick.
Ich schaute ihm tief in die Augen. „Auch wenn es sicherlich einen gewissen Reiz hätte, wieder durch die Weltgeschichte zu touren, aber diese Zeiten sind vorbei … endgültig! Ich glaube nämlich, drei Männer würden Fragen stellen, wenn ich nur noch durch Abwesenheit glänzen würde.“
„Drei Männer?“ Seine Stimme klang leicht verwundert.
„Marvin würde mich fragen, wieso nur noch Nudeln auf den Tisch kommen, mein Bruder würde mich fragen, wieso sein Sohn plötzlich so einseitig ernährt wird und du würdest mich fragen, wo die anderen Kochtöpfe sind.“ Ich lachte ihn frech an.
Mein künftiger Gatte grummelte. „Na! So schlecht koche ich auch wieder nicht!“
„Stimmt, du bist ein guter Grillmeister, deine Schnittchen schmecken hervorragend und mittlerweile klappen ja auch die hart gekochten Eier!“
„Haha! Du bist ja selber nur schuld!“ Eindeutig grummelte er.
Meine Augenbrauen wanderten Richtung Stirn. „Wieso das denn?“
„Ganz einfach! Sobald man auch nur einen Fehler machen könnte, übernimmst du sofort das Ruder.“ Er schmollte mich an. „Gehen dir die Vorbereitungen nicht schnell genug, nimmst du auch das Heft in die Hand! Und jetzt frage ich dich: Wie soll ich dabei etwas lernen?“
Ich grummelte, schlug er mich doch mit meinen eigenen Waffen. „Tja, wenn du dieser Meinung bist, dann können wir das Ganze auch mal anders gestalten!“
„Wie denn?“ Der künftige Lehrer blickte mich fragend an.
Ich lachte. „Du nimmst dir zehn Euro, gehst damit einkaufen, und kochst für uns drei, also Marvin, dich und mich ein Mittagessen. Ich werde mich in keinster Weise einmischen! Am nächsten Tag werde ich mit einem Zehner einkaufen und mache auch das Mittagessen. Danach lassen wir Marvin entscheiden, wer der bessere Koch ist.“
„Das vergessen wir besser: Marvin ist ja befangen, er ist schließlich dein Neffe, da werde ich sowieso verlieren!“ Er schüttelte sich. „Wir müssen einen anderen Modus finden.“
Ich grinste. „Ok, dann verdoppeln wir die Summe und wir kochen für Ravi, Servet und Gürkan mit.“
„Ne, Ravanan ist ja dein Angestellter, der ist auch parteiisch!“ Mein Gatte hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Wenn dann brauchen wir neutrale Testesser!“
„Ganz wie du willst, dann nehmen wir halt deine Eltern als Tester. Ich habe dann zwar einen Nachteil, aber mit dem kann ich leben.“ Ich grinste ihn an.
Igor atmete tief durch. „Das geht auch nicht! Mama hat einen Narren an dir gefressen, das weißt du ganz genau, und wenn du Papa einen Wodka kredenzt, habe ich sowieso verloren!“
„Und was machen wir nun?“ Zärtlich kraulte ich seine Hand.
Er kniff mir ein Auge zu. „Ist doch ganz einfach! Du kochst, ich putze das Gemüse und bringe anschließend der Müll herunter und alle Leute sind froh und glücklich und zufrieden.“
Glücklich und zufrieden war ich dann auch, als die diensthabende Stewarddüse, die eigentlich nur abräumen wollte, mir noch einen Kaffee und einen Müsliriegel brachte, ich hatte wirklich Hunger. Ich blickte auf die Uhr, es war 11:45 Uhr. Der Sinkflug hatte zwar schon begonnen, aber bis zum Imbiss, den Luici angekündigt hatte, würde noch über eine Stunde vergehen: Landung, Gepäckausgabe, Fahrt nach Sliema, Zimmerbezug.
Bei Ankünften auf Malta kommt es selten zu Warteschleifen; kein Wunder, hat doch der einzige Flughafen des kleinen Landes selbst an Spitzentagen weniger als 150 Flugbewegungen, Frankfurt kommt fast auf das Zehnfache dieses Wertes. Wir setzten sogar zwei Minuten früher als geplant in Luqa auf, vertrödelten diesen Vorsprung aber auf der Fahrt zum Stellplatz. Das Gepäck war bereits nach einer Viertelstunde vollständig auf zwei Gepäckkarren verladen, der Februar ist der verkehrsärmste Monat des Inselstaates.
Schengen sei Dank, Einreiseformalitäten mussten wir nicht über uns ergehen lassen. Ich erinnere mich mit Schrecken an eine Ankunft in Tel Aviv, ich verbrachte fast acht Stunden in einem kleinen, stickigen Raum am Rande des Ankunftsbereichs und wurde von vier Mitarbeitern des israelischen Staates intensivst befragt. Die Damen und Herren trugen keinerlei Uniform, kamen daher wohl nicht vom Zoll; aber von welcher Dienststelle sie genau waren, verrieten sie mir leider auch nicht.
Einen Anruf durfte ich dann aber doch machen, ich rief William an. Er würde sich um die Sache kümmern und, nach Intervention durch den britischen Botschafter, konnte ich dann endlich ins heilige Land einreisen. Das Problem war einfach, William Dunhill hatte zwar für einen Flug über Athen gesorgt (Direktflüge gibt es ja nicht), aber ich kam, nach einem gemeinsamen Urlaub mit Manuel in Marokko, direkt von einem Shooting in Tunesien und hatte nur meinen „arabischen“ Reisepass mit, etliche Einreisestempel inclusive. Der Fotograf von Welt besitzt normalerweise zwei bis drei Reisepässe, um seinem Beruf in aller Ruhe nachgehen zu können.
Als wir in den öffentlichen Bereich traten, suchte ich Luici, der uns ja abholen wollte. Sehen konnte ich ihn nicht, aber ich sah ein Transparent mit der Aufschrift: ‚Wellcum Loser!‘; ich schüttelte nur den Kopf, der maltesische Stier hatte die alte Frotzelei nicht vergessen.
Ich schaute Igor an und deutete auf das Banner. „Schatz, da hinten steht unsere Puffmutter!“
„Aha!“ Mein Gatte wirkte leicht verwundert. „Und was soll das Spruchband?“
Ich grinste. „Immer wenn Luici die Argumente ausgehen, bringt er den Spruch: ‚But we won the war!‘ Allerdings sollte man das nicht zu ernst nehmen, er ist eigentlich ein ganz lieber Mensch.“
„Delirant isti Britanni!“ Der angehende Lehrer schüttelte grinsend sein weises Haupt und schob den Kofferkarren in Richtung des Empfangskomitees.
Man hätte meinen können, eine kommunistische Delegation wäre eingereist, so viel Bruderküsse wurden unter den Klängen von ‚Britannia rule the waves‘ ausgetauscht. Servet und Gürkan waren sofort Feuer und Flamme und setzten gleich ihre Zungen ein, Daniel wirkte etwas überrumpelt, ließ aber die Herzlichkeit unseres Gastgebers und seiner Begleitung tapfer über sich ergehen.
Tja, lieber Leser, das waren wieder einmal ein paar Tage aus dem Leben der Planges. Gut, viel Action gab es nicht, die Woche war ja auch eher von Arbeit und Vorbereitungen für das Shooting geprägt als von Freizeit und Vergnügen; es war halt eine ganz normale Woche, wie sie in dem besten Familien mal vorkommt und manchmal bis zum Rauchen führt. Es kann ja nicht immer etwas Außergewöhnliches, Ungewohntes oder Weltbewegendes passieren.
Da ich ja nicht annehme, dass es von großem Interesse ist, was auf der Mittelmeerinsel geschehen ist, kann ich mich jetzt erst einmal kurz zurückziehen, um an meinem neusten Bildband ‚Isländische Impressionen‘ zu arbeiten. Um Fragen vorzubeugen: Ja, ich bin wieder angefangen, künstlerisch zu arbeiten. Aber mehr als vier oder fünf Ausflüge in mein altes Leben sind es dann auch wieder nicht, die ich unternehme. Es hat damit angefangen, dass Igor mich verlassen hat, allerdings nur für eine Klassenfahrt und Daniel mal wieder Geld brauchte, aber das ist eine andere Geschichte.
In diesem Sinne
Bis die Tage
4 Kommentare
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Hi DariusvB,
vielen vielen Dank füe eine weitere Episode aus dem Leben der Planges und ihrer Freunde.
endlich geht´s mit der “patchwork” familie weiter und das gleich mit einem super tollen kapitel.
danke für ein weiteres tolles kapitel.
Daaaaaanke, DariusvB für diesen, weiteren, tollen Geschichte im Plang’schen Universum. Und natürlich “verzeihen” wir dir, das du Jost noch etwas warten lässt 😉
Bin mal gespannt, was für Abenteuer auf die Jungs noch so wartet.