Margie 17 – Parkgeflüster

»Ich komme morgen früh, dann reden wir, okay?«

»Ja.. machen wir.. bis Morgen.. «

»Ich hab dich lieb«, fügte ich an und wartete auf seine Antwort.

»Ich dich auch.«

Ein Fels, so groß wie ein Steinbruch, fiel mir vom Herzen. Er hatte es nicht direkt gesagt, aber das genügte mir. Jedenfalls war erst mal Wasser angesagt, von oben, und das lange. Sehr lange und nur kurzzeitig dachte ich dabei an die Wasserrechung. Meine Eltern schickten mir eine SMS, dass sie gegen Nachmittag anderntags eintreffen würden, was mir ziemlich gut in den Kram passte.

Diese Nacht schlief ich wie ein Toter, trotz der vielen Gedanken die ich mir beim einschlafen machte. Es würde eine Lösung geben, geben müssen. Wie auch immer, ich versuchte mich in Zuversicht.

Duschen, anziehen, eine Tasse Kaffee im Stehen, Utensilien schnappen, raus aus dem Haus. Das war mein Start in den anderen Tag. Schon etwas blöd wenn man kein Auto hat, man vergeudet echt viel Zeit mit der Bahn.
Na ja, ich wollte eh diesen Sommer mit dem Führerschein anfangen. Hoffentlich hatte der Unfall keine Einfluss darauf, Eltern können ja manchmal.. aber Unsinn. Solche Gedanken hatten erst Mal nichts zu suchen in meinem Kopf.
Über eine Stunde war ich doch schon unterwegs und mit jedem Kilometer wurde ich wieder nervöser.

Angelo war nicht auf seinem Zimmer, aber sein Nachbar, ein älterer Herr, den es beim Sturz von einer Leiter die Hüftknochen zersplittert hatte, wusste wo er steckte.
Ich fand ihn im Park, in einem Rollstuhl. Ein paar andere Patienten standen um ihn herum und so wie mir schien, ging es meinem Schnuckel gar nicht so übel. Aber diese Tatsache war mitnichten eine schlechte.
Ich stellte mich dazu, von hinten, er hatte mich nicht kommen sehen. Sie redeten irgendwie über Fußball und dergleichen Sachen, etwas, wovon ich nicht den leisteten Schimmer habe. Ob das nun Anzüglich wirkte oder nicht war mir in dem Augenblick auch egal, ich hielt ihm einfach die Augen zu.
Angelo zuckte kurz zusammen, dann rätselte er einige Sekunden.

„Ralf, das gilt nicht«, lachte er und nahm meine Hände.

Endlich eine Berührung, eine, auf die ich so lange gewartet hatte. Ich ging um den Rollstuhl herum, hatte mich allerdings auf dem Weg hierher schon mal auf den Verband und die blauen Flecken gefasst gemacht. Allerdings, er sah schon bedeutend besser aus, auch wenn ihm so einiges von seiner Schönheit natürlich noch abhanden war.

»Hallo Angelo.«

Er hielt meine Hände immer noch, was mich etwas verlegen machte, wegen den anderen, die das beobachteten. Dennoch, ich ließ ebenfalls nicht los.

»Ich hab mit dem jungen Mann ein Wörtchen zu reden«, sagte ich dann nur und rollte Angelo aus dem Kreis.

Ich musste mit ihm allein sein, und diese Gelegenheit war günstig. Niemand konnte uns im Zimmer stören oder gar zuhören. Ich schob ihn an die angrenzende Wiese, in deren Mitte ein Teich angelegt war. Allerdings gab’s auch da keine Abkühlung vor der Hitze, die dieser Tag wohl wieder bringen würde.

Ich setzte mich auf eine Bank dort, direkt meinem Schnuckel gegenüber. Endlich allein mit ihm, endlich ansehen, reden, anfassen.

»Wie geht es dir?«

»Ganz gut. Eigentlich darf ich gar nicht hier sein, aber ich halt das da oben nicht aus.«

»Und.. hast du was erfahren.. wegen deinen Eltern?«

»Nein. Sie haben heute Morgen schon angerufen, aber sie klangen ganz normal. Also ich glaub nicht dass die das gelesen haben. War übrigens ne richtig schlaue Idee von dir.. «

Aber er lachte dabei.

»Danke, trotzdem.«

»Hab ich doch gern gemacht. Und deswegen.. kam mir die Idee gar nicht, dass das jemand anderes lesen könnte. Also können wir wohl davon ausgehen, dass sie nichts mitbekommen haben.«

»Ja, ich denk wir sollten das vergessen.«

»Aber, es ist damit ja nicht aus der Welt«, gab ich zu bedenken.

»Irgendwann kommt der Tag.. Und ich hab ne scheiß Angst davor.«

»Ralf, ich auch. Nur, wir sollen und dürfen nichts überstürzen.«

»Meine Eltern kommen heute aus dem Urlaub zurück. Die werden auch ne Menge Fragen haben.«

»Was wirst du ihnen sagen.. wer ich bin?«

»Das überlege ich schon die ganze Zeit. Ich denke, ich sage ihnen die Wahrheit. Wenn du nichts dagegen hast.« #

Angelo grinste.

»Was soll ich dagegen haben?«

»Weiß nicht, vielleicht ist dir das ja nicht recht.. ich mein, es geht ja nicht bloß um Kaffee trinken.«

»Nee, lass mal. Es reicht völlig wenn wir ein Problem am Hals haben.«

»Angelo, darf ich dich was.. fragen?«

Er neigte den Kopf.

»Klar, immer.«

»Liebst du mich?«

Ja, Rosamunde Pilcher ließ grüßen. Aber ich musste dieses Wort von ihm hören.

Er spielte mit seinen Fingern, was mich ziemlich nervös machte.

»Ja, klar. Warum fragst du?«

»Ich weiß nicht.. so ein blödes Gefühl die ganze Zeit. Irgendwie, kann ich’s nicht greifen.«

»Was, nicht greifen?«

»Ich mein, warum das alles so furchtbar kompliziert? Warum kann man nicht hingehen und sagen, das ist mein Freund, und kein Mensch schert sich darum? Ach, komm, lass es. Wichtig ist ja erst Mal dass du wieder gesund wirst.«

Ich drückte seine Hände wieder, die ich einfach wieder gegriffen hatte.

Doch plötzlich verkrampften sich Angelos Hände und sein Blick ging nach oben, dorthin wo sein Zimmerfenster war. Ich drehte mich um und sah ebenfalls da hoch. Zwei Köpfe, zwei Gesichter.
Und die sahen ganz genau, was da mit uns grad passierte. Schnell nahm Angelo seine Hände weg, aber ich wusste sofort dass es zu spät war. Seine Eltern hatten das beobachtet, zweifellos, und nun sackte mein Kreislauf wieder zusammen.
Dachten wir eben noch, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein, so gab es jetzt keinerlei Ausflüchte mehr. Unsere Köpfe waren wenige Handbreit voneinander weg, die Hände fest umschlungen.. dafür gab es nur eine Antwort.
Falls überhaupt noch Fragen auftauchten. Entsetzt sahen wir uns an.
»So, jetzt haben wir es endgültig vermasselt«, stammelte Angelo leise.

Und ich konnte nur nicken. Aus, vorbei. Sie konnten so blind nicht sein. Ein erneuter Blick, die beiden waren nicht mehr zu sehen.

»Meinst du..?«

Angelo zog nur die Schultern hoch. Es konnte nur noch wenige Minuten dauern, dann waren sie hier.

»Was sagen wir ihnen? Dass ich.. sehr besorgt um dich bin? Ich mein, wir haben uns ja nicht geküsst oder so..«

»Ralf, warte bis sie hier sind.«

Ich spürte seine Nervosität, für irgendwelche Ausflüchte hatten wir auch keine Zeit.

Und dann kamen sie, Arm in Arm, eher langsam als schnell und auf die Entfernung konnte zumindest ich nichts in ihren Gesichtern erkennen. Zum Glück waren wir alleine hier, falls es zur Aussprache kommen sollte musste man wenigstens nicht fürchten, die halbe Klinik hört dabei zu.

Ich stand auf, als sie bei uns angelangt waren. Vermutlich machte ich den Eindruck eines Erstklässlers, der gleich ein Donnerwetter zu hören bekam. Angst in dem Sinne hatte ich nicht, aber mir war nun mal nicht sehr wohl. Angelo, soweit ich das beurteilen konnte, auch nicht.

Ich streckte die Hand zu Angelos Mutter aus.

»Tach.«

Sie gab mir die Hand und nickte. Dabei musterte sie mich, sehr genau.

»Hallo. Herr.. Bach? Richtig?«

Ich nickte.

»Andreas, das ist Herr Bach. Ein.. Freund von Angelo.«

Nun wagte ich einen ersten vagen Blick in das Gesicht von Angelos Vater. Ja, jetzt stimmte das Puzzle. Jene Teile, die Angelo nicht von seiner Mutter hatte, besaß er. Einen Moment dachte ich, die Eltern sind hübsch, wie immer man das auch auslegen wollte und beide hatten ihre Teile Angelo mitgegeben. Darum ist er so vollkommen geworden; für mich jedenfalls. Nun streckte ich dem Mann ebenfalls die Hand hin.

»Angenehm. Kassini.«

So standen wir einige Sekunden und ich spürte, oder ahnte zumindest, dass etwas in der schwülen Luft lag.

Aber was? Und wie? Mein Mund trocknete aus, eine sehr unangenehme Begleiterscheinung wenn ich hypernervös werde. Darum schluckte ich so mehr oder weniger auffällig. Wer machte den Anfang? Gab es überhaupt einen oder war jetzt, in dieser Minute, schon alles vorbei?
Angelos Ängste und Bedenken fielen mir ein. „..keinen Stammbaum mehr.. derer von Kassini.. sterben aus.. wegen mir..“ Den Wortlaut wusste ich nicht mehr genau, aber was spielte das für eine Rolle? Fest schien zu stehen, dass man sich über den Unfall an sich nicht mehr unterhalten musste. Das würde Angelo am Vorabend getan haben.
Jetzt konnte es nur noch um mich gehen. Um uns, genauer betrachtet.

»Wie geht es Ihnen?«, fragte mich Angelos Mutter.

Ihr Tonfalls ließ zunächst nichts Unangenehmes befürchten.

»Danke, ab und zu noch Kopfschmerzen, aber sonst.. Danke, ganz gut.«

Nun setzten sich die beiden neben mich auf die Bank. Frau Kassini zupfte ihr modisches Kleid etwas zu Recht, während ihr Mann direkt neben mir seine Arme über der Lehne der Bank ausbreitete.
Immer noch hielt ich fast den Atem an, traute mich nicht auch nur einen Mucks zu machen. Ich sah nur Angelo an, der uns gegenüber in seinem Rollstuhl saß und ziemlich verkniffen dreinschaute.

»Angelo, du sagst gar nichts.«

»Mir geht’s.. na ja, Schmerzen halt noch, von der OP.«

»Man muss sich ernsthaft fragen, was du hier draußen machst. Wenn ich mich recht erinnere, solltest du Bettruhe einhalten.«

Ein bisschen vorwurfsvoll klang Herr Kassini schon. Vielleicht gab man mir ja gleich die Schuld, dass er hier unten war und nicht in seinem Bett lag. Nun, wenn das alles gewesen wäre, die hätte ich gern auf mich genommen.
Aber ich spürte, zumindest glaubte ich, das zu spüren, da musste noch was kommen. Es war einfach nicht das Gespräch, wie man das im Allgemeinen gewohnt war. Bei einem Krankenbesuch mein ich

»War haben dir oben zu lesen und ein paar Naschereien hingelegt. Vater muss heute Abend noch nach Stuttgart«, hörte ich Frau Kassini sagen. Offenbar wollte sie damit ausdrücken, dass sie nicht viel Zeit hatten.
Ich wusste in dem Augenblick nicht ob das gut oder schlecht sein sollte. Irgendwie war ich aufgeladen, wäre bereit gewesen über Angelo und mich zu reden. Er hätte gar nichts dazu sagen müssen.
Ich hätte ihnen gesagt dass wir uns sehr gern haben, dass wir einfach zusammengehören. Ja, ich wollte reinen Tisch machen. Wenn sie auch nur ein Wort verlauten ließen, ein einziges.
Aber dieses Schweigen kostete mich die letzten Nerven.
Oder sollte ich einfach anfangen, völlig egal ob sie schon einen Verdacht hatten oder nicht?
Aus Angelos Gesicht – zumindest dem, was der Verband hergab – konnte ich nichts entnehmen. Er würde auf keinen Fall zuerst den Mund aufmachen und das war überhaupt kein Problem für mich.
Nun drehte ich zu den beiden hin und setzte ein sehr fragendes Gesicht auf, vielleicht merkten sie ja dass da eine Spannung aufgestaut war. Die musste weg. Wie viele Nächte wollte ich mir denn noch um die Ohren schlagen?
Aber ich war mir der Gefahr bewusst, in die wir, Angelo und ich, uns begaben. Standen sie dann auf, mit dem Hinweis, er bräuchte nicht mehr heimkommen? Oder mir den Umgang mit ihm für alle Zeit verbieten?
War es allein meine Aufgabe, diesen möglichen Zwist heraufzubeschwören? Nun spielte ich mit meinen Fingern und immer wieder fiel mein Blick zu Angelo. Aber der wich mir aus.
„Hol mal tief Luft und raus damit.
Ihr macht euch ja noch kränker als ihr eh schon seid.“ Raus damit.. wie einfach das klingt. Aber meine Stimme machte mir zum ersten Mal Mut.
Ich richtete mich auf und schluckte. Ein Räuspern, dann eine kurze Formulierung zusammenbasteln.. Es würde schon gehen.

»Also, ich denk, ich muss etwas loswerden,« fing ich mit zitternder Stimme an.

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