Margie 20 – Man in Black

Allerdings gab es an dem Abend darauf keine Antwort mehr, mit einem Blick auf die Uhr stand ich auf. Zum einen wollten die beiden Eheleute sicherlich ihren Feierabend haben und ich spürte Müdigkeit aufkommen.
Der Tag hatte mir doch einiges abverlangt und dieser Schnaps machte mich zudem hungrig.

»Ich werd dann mal gehen.«

Die beiden sahen mich an, und zwar fragend. Zweifellos ging es darum, was man nun mit Angelo anstellen wollte. Überließen sie es gar mir? Gut, ich hatte eine Nacht Zeit, darüber nachzudenken.

»Sehen wir uns morgen im Krankenhaus?«, fragte ich vorsichtshalber nach.

Vielleicht würde es die Sache vereinfachen, wenn wir irgendwie zu dritt.. In der Hauptsache galt es ja, Angelo schonend darauf vorzubreiten und ihm dann so allmählich die Tatsache unterzujubeln.

»Ja, womöglich. Wir werden allerdings erst gegen Abend kommen können«, sagte Herr Kassini.

Wir gaben uns die Hand und ich begab mich auf einen etwas leichteren Heimweg. Es gab, wenn auch nur im ersten Teil, ein großes Problem weniger.

Ich kam gerade rechtzeitig zum Abendessen nach Hause. Meine Eltern hatten sich gerade an den Esszimmertisch gesetzt.

»Wo warst du denn?«, hörte ich die vorwurfsvolle Frage meiner Mutter.

»Bei den Kassinis.«

»Aha. Und was, wenn man fragen darf, wolltest du da?«

Ich setzte mich an den Tisch und schnappte mir eine Frikadelle vom Teller.

»Ich hab mit ihnen über Angelo und mir geredet.«

»Wie, so einfach.. Tatsachen? Ralf, iss anständig!«

»Ja, Paps. Einfache Tatsachen. Gott sei Dank haben die keinen Anfall bekommen. Ich mein, gut, das kann noch kommen, wenn sich der Schock gelegt hat. Aber zumindest mein Eindruck war, dass sie es doch ziemlich gefasst aufgenommen haben. Dumm nur, dass Angelo nichts davon weiß. Er ahnt ja nicht mal dass ich bei ihm zu Hause war.«

»Tja, ich würde sagen das ist wieder typisch Ralf. Du solltest langsam lernen, erst deinen Kopf zu benutzen. Sicher war das wieder so ne Schnapsidee von dir, einfach dahinzufahren.«

Mein Vater hatte mir wegen meiner Spontanität schon öfter den Kopf gewaschen, aber ich denk, ich werde mich da nie ändern. Blöd halt, dass ich mich da schon in manch knifflige Situation hineinmanövriert hatte, so wie in dem aktuellen Fall.

»Ja, ich weiß. Aber das Kind ist im Brunnen und ich glaub es liegt an mir, es da wieder rauszuziehen.«

»Dann warte nicht zu lange, sonst ertrinkt es..«, mischte meine Mutter mit und damit gingen meine Rädchen im Kopf wieder auf volle Touren.

Ich hatte mir ja immerhin die Nacht über Zeit gegeben, um darüber nachzudenken.
Dementsprechend zog ich mich nach dem Essen in mein Zimmer zurück, unter Auflage an meine Eltern, mich auf keinen Fall zu stören, es sei denn, Angelo würde sich melden.
Diese Bitte rief dann aber doch sehr denkwürdige Gesichter hervor. Nun gut, ich würde sie bei Gelegenheit an ihre erste Zeit erinnern.

Kopfhörer auf, die Cd mit dem Orchester hatte ihren ich weiß nicht wievielten Auftritt bei mir, auf das Bett legen und Augen zu. So grübelnd dämmerte ich in den Schlaf, ohne es zu merken.
Mitten in der Nacht wachte ich auf, Donnerschläge unterbrachen meine Träume. Etwas verdutzt war ich schon, weil ich immer noch den Kopfhörer aufhatte und noch angezogen war.
Nun driftete das erhoffte Gewitter über uns hinweg, brachte endlich eine leichte Abkühlung. Während dem ausziehen dachte ich darüber nach, ob mir eine Lösung ein- und wieder entfallen war. Ja, es gab eine Lösung. Die einfachste der Welt:
Ich wollte bei der Wahrheit bleiben. Kein drum herum, keine hinterhältige Fallen. Der Trick war nur, zum einen den günstigsten Zeitpunkt zu erwischen und zum anderen die richtige Tonlage.

Am anderen Morgen wurde ich wieder mal durch die Sonne geweckt. Das Gewitter hatte sich restlos verzogen, aber es war nun lange nicht mehr so heiß. Das war ja auch für Angelo gut, der da in diesem schrecklichen Zimmer hausen musste.
Mit meinem Schnuckel vor Augen sprang ich unter die Dusche. Gute Güte, mein kleiner Freund reckte sich frech gen Himmel, er hatte eine viel zu lange Zwangspause hinnehmen müssen. Angesichts der Tage, die mir als so quasi Strohwitwer noch bevorstanden, gönnte ich ihm seinen Spaß. Angelo.. würde der auch wichsen da drin?
Ganz bestimmt. An der Stelle war er ja Gottlob heil geblieben und durch die Rippen konnte er es auch nichts schwitzen. Ich schüttelte den Kopf als ich mir meinen Hasen in dem engen Klo des Krankenzimmers vorstellte.
Wenn, dann musste er es im Stehen machen, denn mit dem Gipsbein würde das sicher nicht so einfach. Komische Gedanken, die aber mit dem herannahenden Orgasmus schnell beiseite geräumt waren. Lange dauerte es eh nicht bis es mir kam und danach war mir doch irgendwie wohler.
Ich hatte meine Gelüste wirklich zu lange verdrängt. Das sollte nicht wieder passieren, weder in den kommenden Tagen und noch weniger, wenn ich wieder mit Angelo zusammen war. Darauf freute ich mich dann auch richtig.

»Ich fahre nach Mannheim«, begrüßte mich meine Mutter später in der Küche.

»Wenn du zu Angelo möchtest, das ginge ja dann schneller wenn du mitfahren möchtest.«

Das war ein kleiner Kuss auf ihre Wange wert, obwohl sie gleich den Kopf wegdrehte.
»Nicht doch.«

**

Angelo lag auf seinem Zimmer, das Bett neben ihm war nicht nur leer, sondern auch verlassen.

»Hallo Angelo.«

Ich hatte ihm unterwegs einen kleinen Strauß gekauft, etwas Besseres war mir nicht eingefallen. Außerdem, so eine Geste konnte niemals schaden.

»Tach Ralf.«

Gut gelaunt war er, mein Hase, und zudem sah er jeden Tag ein bisschen besser aus. Ich ging zu seinem Bett.

»Alles okay mit dir?«

»Ja, die Schmerzen werden immer weniger. Ich muss vielleicht gar nicht mehr so lange hier bleiben.«

Diese Kunde war auch für mich belebend, wenngleich unsereiner da ja auch schon mehr wusste.

»Blumen?«, fragte er und setzte den passenden Blick dazu auf.

»Ja, warum nicht? Verwöhnt wirst du ja von deinen Eltern«, grinste ich.

Er lachte.

»Wahrscheinlich hast du Recht. Komm setzt dich. Was gibt’s Neues?«

Er tätschelte auf den Bettrand und ich setzte mich hin. Aber nicht anständig wie sich das gehört, ich lehnte mich schon an ihn und fuhr ihm über den Arm. Diese Berührungen waren sehr wichtig.
Für mich und ich hoffte auch für ihn. Langsam beugte ich mich zu ihm runter und am Ende wartete ein wunderschöner Kuss auf mich. Lange dauerte er und ich kam schon wieder auf Dumme Gedanken.
Eigentlich sollte ich ihn ja fragen wie es seinem kleinen Freund so ginge. Der Einsamkeit da unten wegen. Aber da das Bett nebenan leer stand wollte ich zunächst nicht mit der Tür aufs Bett fallen. Sozusagen.
Ich besann mich dann der wichtigeren Sache, nun war’s an mir die Dinge zu regeln.

Es klopfte zaghaft an der Tür. Wir sahen uns an.

»Erwartest du noch Besuch?«, fragte ich verwundert.

»Hm, eigentlich nicht. Aber egal. Herein?«, rief Angelo, noch bevor ich ihm sagen konnte dass das nichts nutze.
Man kann’s nicht hören.. Die Tür wurde zügig geöffnet und.. ja, dann war mein Vorhaben scheinbar für geraume Zeit hinfällig. Rasch stand ich vom Bett auf und stellte mich artig hin.
Den Mann, der ins Zimmer kam, kannte ich nicht.
Ein rascher Blick zu Angelo, doch der hatte sich nur aufgesetzt und sah ebenfalls etwas ratlos aus.
Groß war der Mann, einige Zentimeter größer als ich, auch so schlank, schwarzes, nach hinten gegelte Haar, brauner Teint. Dunkler, sehr schicker Anzug, weißes Hemd, rot-weiß gestreifte Krawatte. Nun, Geschmackssache.
Mich würgen die Dinger jedenfalls. Hm ich schätzte ihn so um die Dreißig, aber der Mann hatte einen gepflegten Teint und da kann man ja nie so genau wissen. Einen goldnen Siegelring trug er, auch was wofür sich meine Begeisterung in Grenzen hält.
Aber trotzdem, alles in allem eine recht angenehme Erscheinung. Die Frage war jetzt nur, wer war der Gute und was wollte er hier?

»Herr Kassini? Angelo.. Kassini?«

Eine schöne Stimme hatte der Mann. Nun ja, wie soll ich sagen, immerhin bin ich nicht auf ein gewisses Alter fixiert. Ohne Angelo damit in Gefahr zu bringen, konnte ich schon behaupten dass der Besuch irgendwie interessant war. Zumindest die Erscheinung an sich.

Der Mann strahle richtig, als Angelo sein eher zaghaftes »ja« verlauten ließ.

»Freut mich, Sie endlich gefunden zu haben. Hier drin kann man sich echt verlaufen.«

Wie recht er hatte. Akzentfreies Deutsch, fiel mir sofort auf und damit konnte ich ihn keiner Region dieses Landes zuordnen.

Nun kam er zu uns und gab Angelo die Hand.

»Dorfler ist mein Name, Uwe Dorfler.«

»Ähm.. ja, Herr Dörfler.. ah, das ist Ralf, Ralf Bach, ein guter Freund.«

„Ein guter Freund“.. Aber okay, dieser Mann war ja auch ihm anscheinend fremd, also was solls, dachte ich. Zugleich wünschte ich, dieser Typ hätte nur ganz wenig Zeit; was man von Menschen, die so auftreten, eigentlich erwarten darf.
Wir gaben uns die Hand.

»Stör ich vielleicht grade? Also, es macht mir nichts aus, später noch einmal wiederzukommen.«

„Hihi. Von wegen keine Zeit. Diese Person hat massig davon.“ Ja, so schien es mir auch.

»Also, im Grunde.. darf ich fragen, worum es geht?«

Mein Engel schickte mich nicht fort und das gab unendlich viele Punkte.

»Ja, also, ich will aber nun wirklich nicht stören.«

Mensch, machte der das spannend. Fast schon ätzend höflich und Summa Summarum blieb ich jetzt erst recht. Aber ich musste dafür nichts tun.

»Wir haben keine Geheimnisse voreinander«, sagte Angelo plötzlich und ich hüstelte kurz.

Das war köstlich, denn diesem Typen war ich offenbar bei irgendetwas schrecklich Wichtigem im Wege und nun hatte er keine Chance. Langsam wurde ich gespannt, was der überhaupt wollte.

»Ja, also, ich hoffe Sie haben etwas Zeit..«

Ach du sch.. Wenn einer so kommt, dann Mahlzeit. Also das konnte nur ein Vertreter sein. Klar doch. Der Unfall. Aber was hatte Angelo damit zu tun? Der Wagen gehörte seinem Vater. Also fiel das erst mal weg.
Ich setzte mich wieder auf die Bettkante und war drauf und dran, Angelos Hand zu nehmen. Das ließ ich aber zumindest vorerst bleiben.

Angelo sah mich an. Ich konnte deutlich hören, wie er sagte „ich hab keinen Bock“, aber zumindest musste man wissen, worum es überhaupt ging.

Der Mann griff in seine Westentasche und zog einen Briefumschlag heraus. Im Grunde eine mehr oder weniger alltägliche Handlung, aber der Man in Black machte das superspannend.

»Also, ähm.. darf ich mich setzen?«

Angelo nickte, was auch hätte er sonst tun sollen. Er wurde langsam nervös, was ich ihm nachfühlen konnte. Obwohl es ja mich scheinbar nicht betraf, war ich genauso gespannt.

Der Dorfler setzte sich und reichte nun Angelo das geschlossene Couvert.

»Also, ich bin in eigentlich nur in Vertretung hier. Womöglich sagt Ihnen der Name.. Sammy Willard etwas.«

Ich grübelte. In der Tat, dieser Name..; wenn man ihn einmal gehört hatte war er irgendwie drin. Dummerweise wusste ich in dem Augenblick überhaupt nicht, wo ich ihn unterbringen sollte.
Ein fragender Blick von mir zu Angelo, aber der wusste scheinbar schon eine Antwort. Ich fürchtete, er würde das Luftholen bleiben lassen; ihm war dieser Name offenbar sehr wohl ein Begriff.
Ich begann mich zu fragen, ob ich nun wirklich hier sein musste. Es ging wohl um Dinge, die mich überhaupt nichts angingen. Aber oh.. langsam krabbelten Angelos linke Handfinger auf dem Bett hin zu mir.
Ich saß auf der anderen Seite des Bettes und der Dorfler konnte das nicht sehen. Also schob ich meine Hand ziemlich zaghaft der Krabbelhand entgegen, bis wir uns zu fassen bekamen. Fest drückte Angelo zu, während sein Blick auf den Typen geheftet war.

»Ich kenn den Namen, ja.«

Gute Güte, Angelos Stimme zitterte.

»Nun, dann können Sie sich vielleicht denken, weshalb ich hier bin. Auch ohne den Inhalt des Briefes zu kennen.«
Es tat schon richtig weh, wie sich Angelos Hand in meine verkrampfte.

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