Margie 22 – Die Konsequenz

»Angelo, ich hab.. das vielleicht nicht gut überlegt, vor allem, ich hab dich nicht mal gefragt.«

»In der Tat«, sagte er mit einem gefährlichen Unterton. Ich war noch nicht raus aus der Geschichte.

»Ich.. kann mich nur für meine Gefühle entschuldigen. Sieh mal, ich hab dich so lieb und..«

Er winkte ab.

»Es hat dir niemand das Recht gegeben.«

Nun wurde es brenzlig, und zwar hochgradig. Ich war mir ja nicht sicher wie er damit umgeht, aber vielleicht hatte ich es mir nun doch zu einfach vorgestellt.

»Hase, ich hab doch nur..«

»Ralf, du bist zu weit gegangen. Du hättest wenigstens mit mir reden können. Wie steh ich denn jetzt vor ihnen da?«

»Du stehst gar nicht da. Deine Eltern, ich mein, ich hab ihnen nicht mehr gesagt über uns als sie unbedingt wissen müssen.«

Er sah mich an und dieser Blick ging mir durch und durch. Seine Augen glitzerten.

»Sie mussten gar nichts wissen. Wenn der Zeitpunkt gekommen wäre, dann war es meine Sache die Dinge zu klären. Weißt du, dass du alles kaputtmachst?«

Diese Worte, dieser Ton kamen einer Steinigung gleich. Ich suchte verzweifelt nach den richtigen Worten an dieser Stelle, aber mir wollten einfach keine einfallen. Ich plapperte drauflos, nur um überhaupt etwas gesagt zu haben.

»Angelo, ich hab das doch nicht mit Absicht gemacht.«

»Aha. Du bist also ohne Absicht extra zu ihnen hingefahren? Klasse. Ich kann verstehen wenn man während eines Gesprächs unvorsichtig wird, aber nicht, wenn man das plant. Und du hast es doch geplant, oder?«

Ich konnte das nicht leugnen. Nur die Idee, es überhaupt zu tun, die war spontan.

»Ich hab deswegen auch schon einen Rüffel gekriegt von meinen Eltern.«

»Einen Rüffel. Toll. Und was hab ich jetzt zu erwarten?«

»Nichts. Sie sind nicht böse, sauer oder sonst was. Du wirst es merken wenn sie dich heut Abend besuchen kommen.«

Er schüttelte den Kopf.

»Ich versteh dich nicht. Du kennst meine Eltern nicht.«

Was immer er damit meinte, ich war überzeugt dass alles gut werden musste.

»Angelo, bitte. Es ist passiert, so oder so. Wir müssen uns nicht mehr verstecken, allein aus dem Grund hab ich das gemacht. Versteh doch, ich hab’s für uns getan, nicht für mich.«

»Ralf, geh jetzt bitte. Ich will allein sein.«

Solche Worte habe ich niemals von ihm hören wollen. Nicht, dass er sie je zu mir sagt, aber nun war es passiert. Was hätte ich noch alles tun sollen? Ihn jetzt anzufassen, zu streicheln und damit meinen Trost in gewisser Weise auszudrücken, das war nun sicher fehl am Platz.
Vielleicht musste ich ihm wirklich Zeit geben, darüber nachzudenken und vor allem, er musste mit seinen Eltern reden.

Ich stand auf.

»Bist du mir jetzt sehr böse?«

»Geh bitte.«

Ich zog die Tür hinter mir zu und im selben Augenblick schossen mir die Tränen in die Augen. „Selber Schuld“, höhnte meine böse Stimme und die Gute hatte dazu gar nichts zu sagen.
Mein Versuch, das Kind aus dem Brunnen zu ziehen war gewaltig in die Hose gegangen.
Ich weiß nicht wie lange ich da im Gang gestanden bin, zum Glück war nichts los auf dem Stock. Aber es wäre mir auch so egal gewesen.
Irgendwann hörten die Tränen auf und ich lief los. Raus aus dem Krankenhaus, weg von der Stelle. Natürlich war ich nicht auf Angelo sauer, nur auf mich selbst.
Das Elend bestand dann in meiner Planlosigkeit.
Ich hatte keine Ahnung wie das nun weitergehen sollte. Der Brief. Ich war doch bereit gewesen, ich hätte mitgemacht. Sicher, zulassen, dass sich Angelo für einen Porno von Fremden durchficken ließ, das nicht.
Und ich hätte nie einen anderen anrühren geschweige denn Sex mit jemandem vor laufender Kamera machen können. Aber das wäre bestimmt zu regeln gewesen. Angelo und ich wären bestimmt gut angekommen, so als Paar.
Nun stand das alles offen. Wenn es zum Bruch kommen würde, dann hatte ich darauf keinen Einfluss mehr. Er würde Musik machen, ganz bieder und nach Feierabend ging’s dann vor der Kamera zur Sache.
Im Übrigen zweifelte ich keine Sekunde daran, dass Angelo aufsteigen würde in dem Metier. Und dieser Sammy wusste das. Die haben ein Gespür und ihre Späher sind überall. Suchen nach gutaussehenden Jungs und locken zunächst mit viel Geld.
Wenn einer dann denn Aufstieg schafft, schmeißt der alles andere hin. Erst mal den Reibach machen, dann sah man weiter.
Ich verpasste in meinem Durcheinander die Bahn und musste eine halbe Stunde auf die nächste warten. War das eigentlich noch von Belang? Was zog mich nach Hause? Nichts eigentlich.
Erst jetzt merkte ich, wie weit Angelo schon mein Denken und Handeln beeinflusste. Während der Warterei fasste ich einen neuerlichen Entschluss. Es war mir egal was nun passieren würde, schlimmer als es war konnte es ja kaum werden.

***

Ich verkroch mich an dem Nachmittag in mein Zimmer, zum Glück waren meine Eltern nicht im Haus. Sicher war das keine gute Lösung, aber ich hatte einfach keine Idee. Meine Musik wollte und konnte ich nicht hören, ich wollte überhaupt nichts.
Da liegen und abwarten. Entweder er rief heute noch an, oder eben nicht.
Dieses warten kostete mich aber fast alle restlichen Nerven. Immer wieder starrte ich an die Decke und hoffte, das Telefon würde klingeln. Es klingelte nicht.
Den restlichen Abend nicht, Hunger hatte ich auch nicht und entschuldigte mich bei meinen inzwischen eingetroffenen Eltern mit Bauschmerzen. Dabei war das Schwachsinn. Die sind nicht blöd und die wussten genau, wo der Hase im Pfeffer lag. Aber sie sagten nichts, ließen mich einfach in Ruhe.
Immer wieder ging mir die ganze Chose im Kopf herum. Nächste Woche wäre Frankfurt fällig gewesen, er sollte dort vorspielen. Nun dieses unvorbereitete Coming out, das ja meine alleinige Schuld war. Und dann der Brief.. er war vom Termin ja offen, man solle sich telefonisch melden.

Ich zog mich aus und legte mich aufs Bett. Dummerweise befand sich das Willardsche Studio auch in Frankfurt. Für Angelo also kein Problem, das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden. Für mich sah das gar nicht gut aus.
Je nachdem musste ich ja dann auch oft da sein.. Die Bezahlung der Fahrten war angesichts des Verdienstes kein Thema, das der Zeit aber schon. Nein, selbst wenn ich es gewollt hätte, das würde niemals passen.
Ich schlug mir die Idee, da mit Angelo gemeinsame Sache zu machen, aus dem Kopf. Dabei musste ich zugeben, dass eine anschließende „Karriere“ in den Staaten sehr verlockend klang. San Francisco, dort lag wohl Willards Hauptstelle. Aber all das hing eh davon ab, ob mir Angelo verzeihen würde.
Sicher war ich mir an dem Abend nur, dass ich am anderen Morgen zu ihm fahren würde. Wegen dem reinen Tisch. Auch er hatte somit Zeit genug, die Sache zu überdenken. Und seine Eltern, na ja, die mussten halt irgendwie ihren Teil dazu beitragen. Wie, das konnte ich weder wissen noch ahnen.

***

Ich fragte mich kurz vor dem Betreten des Klinikums, wann ich jemals in Angelos Nähe ohne Herzklopfen kommen würde. Irgendwann musste das doch Normal werden.. Oder nie wieder. Diese Frage stand mit im Fahrstuhl, begleitete mich auf dem Weg den Gang entlang zu seinem Zimmer und nahm richtig wilde Forman an, als ich klopfte.
Angelos Eltern noch einmal anzurufen hielt ich für übertrieben, ich fürchtete, die könnten mich als verliebtem Teenie betrachten. Im gewissen Sinn war ich das ja auch, aber das musste ja nicht so offensichtlich sein.

Ich trat in das Zimmer. Das Bett an der Tür war noch immer leer, Angelo lag in seinem, hatte Ohrstöpsel eingesetzt und las in einem Magazin. Er hatte mich nicht kommen hören und auch nicht gesehen.
Erst als ich fast an seinem Bett war, sah er zu mir auf. Er zog die Stöpsel aus seinen Ohren, sagte aber nichts.
Die Blicke zwischen uns gingen hin und her. Ich suchte nach Worten und er offensichtlich auch.

»Hast du was vergessen?«, fragte er mich endlich.

Eigentlich war mit diesen vier Worten alles gesagt. Sie beinhalteten ganz einfach die Frage, was ich noch bei ihm zu suchen hatte und gab sich im Grunde die Antwort schon selbst.

»Nein, eigentlich nicht.«

Er ließ das Magazin sinken.

»Vielleicht bist du ja zufrieden, wenn ich dir sage dass ich zu Hause ausziehen darf. Und zwar sobald meine Arbeit in Frankfurt beginnt.«

Ich schluckte und unterdrückte die Frage, welche Arbeit er denn meint.

»Haben das.. deine Eltern gesagt?«

»Nein«, lachte er bitter, »das hat mir der Heilige Geist geflüstert.«

Das hätte ich nie und nimmer erwartet. Eine wirklich große Enttäuschung machte sich in mir breit.

»Sie.. haben dich doch nicht rausgeworfen?«

Ich konnte es einfach nicht glauben.

»Nein, auf die Straße gesetzt trifft es besser.«

»Angelo, das glaub ich einfach nicht.«

»Ralf, mir ist momentan nicht zum Scherzen zumute.«

»Aber.. warum? Ich.. sie haben doch..«

Angelo streckte sich missmutig.

»Sie tun es ja nicht um sich selber Willen.«

»Ach, und wem zu liebe dann?«

»Dem Gerde. Meine Mutter musste beim Einkaufen ein Gespräch mit anhören, da ging’s um zwei „die haben was miteinander. Ist das nicht ganz furchtbar? Und das hier.“ Nur wusste sie da noch nicht, dass wir beide damit gemeint waren.«

Aha. Das könnte ihr nachdenkliches Gesicht ausgemacht haben, das mir zeitweise bei unserem Gespräch aufgefallen war. Manske und Co. Wie ich diese Tratschweiber verfluchte. Aber nun wünschte ich sie in der Hölle, ohne Wenn und Aber.
Nur, es nutzte nichts. Ich sackte immer tiefer ab und verlor allmählich den Halt an den aalglatten Wänden.

»Und.. nun?«, fragte ich und wagte nicht mal Ansatzweise, mir eine Antwort auszudenken.

»Und nun? Was wohl? Ich weiß nicht was du damit meinst.«

»Wie.. geht es weiter?« Es ging mir auf einmal wieder schlecht. Kopfschmerzen und all das.

»Wie schon? Ralf, geh bitte. Ich.. ich.. Lass gut sein. War ganz schön mit dir, aber jetzt.. da muss ich alleine durch.«

Er sagte soeben Leb wohl, nicht Auf Wiedersehen. Nicht Tschüs oder Ciao. Er setzte einen Punkt, brauchte mich nicht, wollte mich nicht. In dem Augenblick war mir klar: Er wollte mich nie.
Wir könnten diese Hürde zusammen nehmen und das wusste er auch. Aber für ihn schien dieses Drama gar nicht so unpassend. Die Gelegenheit, mich loszuwerden. Er hatte mich nie geliebt, vielleicht nicht einmal gern gehabt.
Ein Freund halt, wie es sie eben so gibt. Der Sex war eine willkommene Randerscheinung, womöglich das kleinste Übel an der Sache. Ich sackte in mir zusammen. Bunte Sternchen flimmerten vor meinen Augen, niemand konnte in dem Augenblick auch nur am Rande ahnen, wie es mir von der einen auf die andere Sekunde erging. Welten brachen zusammen und ich spürte, wie mein Körper leergesaugt wurde.
Etwas nahm mir den Willen und die Kraft, aufzustehen und zu kämpfen. „Mach Schluss. Er hat dich ausgenutzt, sonst nichts. Aber du musst es ihm sagen. Lass dich nicht einfach wegschicken wie einen räudigen Hund.“
Ich sah ihn nicht an, ich konnte es nicht, wollte diesen vorwurfsvollen Blick nicht länger ertragen. Meine Liebe zu ihm wandelte sich in Augenblicken in Wut, fast hinüber bis zum Hass.

»Das ist dein letztes Wort?«

Er nickte.

»Okay, dann war’s das wohl. Bleibt mir nur dir noch ne schöne Zeit zu wünschen.«

Aber das war mir dann zu banal. Er sollte an mich denken.

»Und vielleicht macht es dir ja nachher auch noch Spaß, dich von wildfremden Männern durchficken zu lassen. Die musst du anschließend nicht wegschicken, die gehen von allein. Aber spar dir die Kohle, am Ende brauchst du sie, um all dem standhalten zu können.«

Ich hoffte, er würde meine Anspielung auf Drogen bemerken. Er wäre nicht der erste.

Ohne auf eine Reaktion zu warten durchschritt ich das Zimmer und ging hinaus. Ich zog die Tür zu und holte Luft. Tränen? Nein, keine. Blanke Wut war alles was in mir brodelte.

Die Traurigkeit kam erst, als ich fast zu Hause war. Dann hatte der Schock Zeit gehabt, sich zu legen und ich fand zu meinen Tränen zurück. Aus und vorbei.

»Wie siehst du denn aus?«, fragte mich Mutter denn auch als ich in die Küche kam.

»So sieht man glaub ich immer aus, wenn sich die große Liebe als Scheingebilde herausstellt.«

Ich zog die Nase hoch, worauf sie mir ein Taschentuch reichte.

»Oha. So schnell kann’s gehen.. Na ja, es gibt noch andere..«

Ich war froh jetzt richtig froh, mit jemandem so offen reden zu können. Von anderen wollte ich aber erst Mal nichts mehr wissen, ich hatte die Schnauze voll. Mein erster Weg war dann in mein Zimmer, hin an die Pinwand.
Ich betrachtete mir das Foto auf der Karte nicht lange. Ein kurzer Blick, dann ließ ich es in den Papierkorb fallen. „Adieu Angelo. War wohl nichts.“

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