Margie 31 – Spekulationen

Meine Mutter bekam natürlich mit dass etwas nicht in Ordnung war.

»Was ist denn passiert?«

Aber das drang von reichlich weit in mein Kopf. Hatte ich nur den Eindruck oder redete Angelos Mutter mit einer solch stoischen Ruhe, dass es mir noch nachträglich fast die Sprache verschlug?
Angelo war eine ganze Nacht nicht heimgekommen und die schienen das wie ein Ausflug mit lieben Kollegen abzutun. Das durfte eigentlich nicht wahr sein.
»Ich weiß noch nicht…«, stammelte ich und stürmte mit dem Telefon in der Hand nach oben in mein Zimmer.

Ein Tastendruck und ich hörte wieder das Freizeichen.

»Bach hier noch mal.«

»Oh, ist Angelo nun doch bei Ihnen?«

»Nein, leider nicht.«

Es fiel mir verdammt schwer, die Ruhe zu bewahren.

»Aber, vielleicht kann ich zu der Person etwas sagen, mit der er weggefahren ist.«

»Aha. Und wer soll das sein?«

Immer noch diese Ruhe.

»Als ich bei ihm war gestern Mittag, da rief jemand an namens Andreas. Vielleicht kennen Sie den ja.«

Sie schien nachzudenken.

»Hm, im Augenblick sagt mir der Name nichts, aber ich habe eh kein gutes Gedächtnis was diese Sachen betrifft.«

Nun gut, immerhin möglich.

»Es war ein dunkles Fahrzeug..«

Jede Sekunde, die ich das ankommende Auto beobachtet hatte, lief vor meinen Augen ab. Aber erstens war es ziemlich düster, zweitens hatte der Wagen Licht und drittens sehen die modernen Karren irgendwie alle gleich aus.
Ich hätte nie genau sagen können, was das für ein Modell war. Vielleicht, dass es sich um keine alte Schrottkiste handelte. Aber wem konnte so eine Information nutzen?

»Und Paul hat nichts gesehen?«

Es folgte eine etwas längere Pause am anderen Ende.

»Na ja, Sie scheinen sich ja sehr große Sorgen um Angelo zu machen. Aber ich kann Sie beruhigen, Grund zur Aufregung gibt es sicher nicht. Unser Sohn nimmt sich gelegentlich eine Auszeit, dann ist er schon mal für ein oder zwei Tage verschwunden. Er ist alt genug, das wissen Sie ja auch und.. er wird sich bestimmt bald melden.«

Das wiederum beruhigte mich persönlich überhaupt nicht. Zum einen solche Schrecken zu verbreiten, dafür hätte ich ihm spontan eine gelangt wenn er mir gegenüber gestanden hätte, und zum anderen gab es für mich nur einen Grund, so etwas überhaupt zu tun.
Aber das behielt ich für mich.

»Richten Sie ihm bitte aus, dass er sich bei mir melden soll?«

»Ja natürlich, ich hab’s nicht vergessen.«

»Danke« und Klick.

Mehr war nicht drin. Keine weiteren Fragen meinerseits, wo er sich in solchen „Auszeiten“ herumtrieb und vor allem, mit wem. Sie kannte diesen Andreas nicht, zumindest mal nicht so gut dass er ihr gleich eingefallen war.
Hätte sie jetzt angefangen von wegen ja, der, ach so.. dann wär’s ja gut gewesen. Nun war nichts gut.

Ich nahm das Telefon erneut.

»Werner? Du musst nicht kommen, Angelo ist nicht zu Hause.«

Okay, das hatte ich wenigstens nicht vergessen in dem Trubel. Werner fragte nicht warum und wieso, aber wahrscheinlich hatte er eh schon an meiner Stimme gemerkt dass das nicht alles war.
Am anderen Morgen wollte er mich zur üblichen Zeit abholen, mehr war dann auch nicht.
Zumindest nach außen war’s das. Wie es in mir drinnen aussah, das versuchte ich erst mal selbst rauszufinden. „Es wird an der Zeit dass du die Dinge realistisch siehst.
Er hat sein Vergnügen, wahrscheinlich, und du hattest deins. Also, was ist die logische Folge?“ Die wäre schlimm, aber nicht zu ändern. Gespannt war ich dann bloß noch, ob er mich zurückrief.
Und wenn ja, was er zu sagen hätte. Von wegen diesem Anruf als ich bei ihm war und was er getrieben hatte eine Nacht lang. Nur, musste er das überhaupt? „Und wenn ihm nun doch was passiert ist? Er kann sich ja nicht groß wehren mit seinem Gipsfuß.
Und damit ist eine Entführung so Hoppla-und-ins-Auto-zerren wohl auch nicht drin gewesen.“ „Du und deine Fantasie.“
Ja, die ging wohl mit mir durch, aber bei wem nicht in meiner Lage? Auf jeden Fall war guter Rat verdammt teuer. Unbezahlbar eigentlich. Und niemand da, den ich darum hätte fragen können.
Kein Felix, der war in seinem Betrieb. Werner.. na ja, so weit wollte ich dann doch nicht gehen. Eltern.. Paps war arbeiten und Mutter.. Es war zum verzweifeln.

Jedenfalls musste ich den Tag irgendwie herumkriegen. Das gelang mir zeitweise mit meinen Berichten schreiben und den E-Mails. Lauter Bekanntschaften aus dem Internet, nichts persönliches in dem Sinn.
Nur einer von denen wusste so ein bisschen über mein Leben Bescheid und ich über seins, dem versuchte ich dann auch meine Seelennöte mitzuteilen. Aber das Wahre ist sowas nicht und eine Antwort konnte bei dem Tage dauern.
Am Ende war es nichts als Zeit totschlagen, nur machte das alleine keine Laune. Ständig blieb ich in Reichweite des Telefons und meines Handys.
Draußen grollte das Wetter noch immer vor sich hin, ab und an sah ich rüber zu Manskes. Die konnte ich für das was da passierte leider nicht zur Verantwortung ziehen, trotzdem ließ ich in meinen Selbstgesprächen kein gutes Haar an denen.
Somit stellte ich fest, dass mir irgendwie alles auf den Wecker ging. In solchen Situationen vermied ich auch Kontakt zu meinen Eltern, sie mussten mein miesepetriges Gesicht ja nicht ertragen.
Ich hatte einfach ne Heidenangst, dass Angelo was passiert sein könnte und somit egal, ob es vielleicht nur eine ganz simple Sache war. Der Unsicherheitsfaktor..
Die Telefone schwiegen beharrlich, worauf die meine Wut zu spüren bekamen. Verbal natürlich nur, denn sie deswegen gleich an die Wand zu knallen war nicht wirklich sinnvoll.

»Ralf, Essen.«

Ich hatte trotz allem nicht bemerkt, dass es schon Mittagszeit war. Dass ich keinen Hunger verspürte hätte mir auch früher einfallen können, jetzt war gekocht und gedeckt.
Ich begab mich nach unten.
Die beiden Telefone legte ich auf den Tisch, ganz nah an meinen Teller.

»Wenn ich dich so betrachte, frag ich jetzt lieber nicht was los ist«, bemerkte meine Mutter folgerichtig, als ich mich auf meinem Stuhl niederließ.

Zwar wollte ich sie nicht mit meinen Problemen belasten, aber ich musste jetzt einfach mit jemandem reden.

»Angelo ist heute Nacht nicht nach Hause gekommen und keiner weiß wo er ist.«

Meine Mutter verharrte, die Gabel vorm Mund.

»Ach was? Daher der Anruf.. war das seine Mutter?«

Ich nickte. Und hätte losheulen können. So ein beschissener Zustand.

»Findest du das nicht komisch? Ich mein, mal bleibt doch nicht einfach weg und sagt nichts«, meinte Mutter dann.

»Es ist scheinbar nicht das erste Mal. Sagt seine Mutter.«

Nun nahm sie den Bissen in den Mund.

»Na ja, dann. Was willst du denn jetzt machen?«

»Darauf hab ich keine Antwort. Ich weiß es echt nicht.«

Ich pickte dabei so mehr in meinem Essen herum, Appetit hatte ich wirklich keinen.

»Ich warte halt bis er anruft.«

»Junger Mann, du weißt dass wir uns raushalten aus deinen Angelegenheiten, aber eine Anmerkung ist sicher erlaubt.«

Ich wusste genau was jetzt kommen würde. Vielleicht nicht wortwörtlich, aber Inhaltlich ganz bestimmt. Nämlich, dass Angelo ein ziemlich windiger Vogel sei und mich ganz verrückt machen würde.
Und ob es nicht noch andere gäbe, mit denen ich mich umgeben könnte. Das war mir selbst ja auch nicht neu, aber ich wollte keinen anderen. Ich war in Angelo verliebt und mein jugendliches Herz gebrochen.
Zumindest angebrochen. Ganz aufgeben wollte ich erst, wenn mir Angelo ins Gesicht sagen würde, scher dich zum Teufel. Vorher eben nicht.

»So wie ich das beurteilen kann, habt ihr euch überhaupt noch nicht ausgesprochen, stimmt’s? Ich merk doch dass das ein hin und her ist. Wenn du unbedingt wissen musst wo er war, frag ihn doch einfach.«

Oh, ich lag völlig falsch. Man wollte mir Angelo gar nicht ausreden. Nun gut, auch unsereiner kann sich mal täuschen mit den Ansichten seiner Erzeuger. Sicher hatte Mutter gemerkt, dass das auch gar keinen Sinn gehabt hätte. Sie schien wirklich mitzufühlen.

Gerade als ich zu einem Statement ansetzen wollte, klingelte das Telefon. Also, nicht öfter als ein halbes Mal, dann hatte ich es in der Hand.

»Bach?«

Nun gut, es war ja nicht das Rote Telefon.

»Moment.«

Ich reichte Mum das Phone und gab ihr ein Zeichen, dass ich nach oben gehen wollte. Sie nickte und ich schlich mich. Gespräche mit Tante Gerda konnten sich nämlich Stundenlang dahinziehen.
Hoffentlich versuchte Angelo nicht, mich während dieser Blockade anzurufen. Rasch hatte ich wieder ein Opfer, an dem ich im Geiste meinen Zorn aufladen konnte. Sie rief ja nicht oft an, die liebe Tante, aber wenn, dann verdiente sich die Telefongesellschaft dumm und dusslig.
Immerhin hatte ich die Hoffnung, dass Angelo meine Nummer noch nicht aus seinem Handy gelöscht hatte.

Ab und an traf nun ein Sonnenstrahl die Erde, der große Regen begann sich zu verziehen. Keinen Schimmer wie das Wetter die nächsten Tage werden sollte, aber diese Dinge, sonst für mich durchaus nicht unwichtig, war sehr weit nach hinten verschoben.
Ob ich mal anrufen sollte? Einfach fragen, ob Angelo wieder aufgetaucht wäre. Aber wie sah das aus? Seine Mutter versicherte mir ja, ihn um einen Rückruf bei mir zu bitten. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie das vergessen würde. „Und wenn sie das doch tut, aus lauter Freude weil er wieder da ist?“ „Hast nicht gehört? Es ist nicht das erste Mal.
Demnach ist alles gar nicht so dramatisch..“ Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, ohne einen wirklichen Plan zu haben. Von wegen nicht dramatisch. Mein Blick ging rüber, zur Nummer Elf. Nichts rührte sich da. Was wär das jetzt ein Terz,
wenn da ein Porsche vorfahren würde.. Aber dem war nicht so, leider. Mit jeder Minute, die da so sinnlos verstrich, schwand meine Hoffnung auf einen Anruf. Es wäre sicher nicht förderlich, wenn Angelos Mutter wieder anrufen würde um erneut nach ihrem Sohn zu fragen.
Aber wenigstens wüsste ich dann etwas. So blieben mir nur die ekligen Spekulationen. Vielleicht war er mit dem Typen in einem Stundenhotel abgestiegen? Gips hin oder her, alles andere war ja funktionstüchtig. Ja, es konnte überhaupt nicht anders sein.

»Ralf, kommst du mit einkaufen? Ich mag dich nicht allein da oben lassen. Am Ende tust du dir noch etwas an.«

Der Ruf meiner Mutter.. Eine Stunde hatten die nur gequatscht, dann war bei Tante Gerda wohl nicht viel passiert. Sollte mir eine Abwechslung gut tun? Sicher rief Angelo an, wenn wir weg waren. Aber egal. Wenn ihm etwas an mir liegt, würde er es ein paar Mal versuchen.

Ich warf mich in mein Straßenoutfit und ging runter.

»Wir müssen noch bei Felix’ Mutter vorbei. Sie hat einige unserer Bestellungen bekommen, die können wir abholen.«

Auch recht. Felix war sicher nicht da, aber bei der besagten Lieferung waren auch ein paar Sneakers für mich dabei. Felix’ Mutter machte nebenher so Sammelbestellungen für einen Klamottenversand.

Schön dass wenigstens die Sonne wieder schien, als wir losfuhren. Mein Gemüt war nicht sonnig, gar nicht, aber was sollte ich machen.

Felix war natürlich nicht da, dafür meine Schuhe. Passten wie angegossen.
Anschließender Besuch beim Discounter. Ist ja absolut nicht mein Ding, aber angesichts der paar Hasen, die da auch einkaufen waren, kam ich wenigstens einige Minuten auf andere Gedanken.
Dabei fiel mir wieder was ein.. Aber kaum war ich dabei ans wichsen zu denken, kam mir Angelo wieder in die Quere. Es war echt verflixt und zugenäht.

Auf der Fahrt nach Hause hatte ich dann noch ne richtig pfiffige Idee.

»Könntest du in der Firma vorbeifahren? Dann nehme ich mein Rad mit und Werner muss mich Morgen nicht abholen.«

Mutti nickte.

»Na, vielleicht ist Onkel Herbert ja da. Hab ihn ewig nicht gesehen.«

»Du könntest ihn bei der Gelegenheit ja mal fragen, ob Manskes schon Bedarf angemeldet haben.«

Ich ließ mich dabei direkt zu einem Grinsen hinreißen.

»Warum das denn?«

»Nur so, rein Interesse halber.«
Wir bogen in den kleinen Betriebshof ein, tatsächlich stand das Auto meines Onkels noch da.

»Also, ich fahr schon mal los. Wir sehen uns später.«

Nicht dass ich was gegen Onkel Herbert habe, aber ich hatte keinen Bock an dem Tag noch irgendwie über die Arbeit zu reden. Insgeheim zog es mich ja auch aus anderen Gründen in die heimatlichen Gefilde.

Und so trat ich den Heimweg mit meinem Rad an. Zügig ging’s voran, zudem konnte etwas Fitness nichts schaden, jetzt, wo es so schön abgekühlt hatte.

Vielleicht tat ich es die ganze Zeit ohne es wirklich zu merken, aber dunkelfarbige Autos verlangten gerade jetzt meine erhöhte Aufmerksamkeit. Mir kamen welche entgegen, andere parkten ganz normal am Straßenrand.
Und einer überholte mich. War das göttliche Eingebung? Sechster Sinn oder einfach nur Zufall? Ich konnte in dem dunkelblauen Auto, das gerade an mir vorübergefahren war, von hinten zwei Insassen ausmachen.
Männliche Insassen. War ich trotz störender Nackenstütze in der Lage, Angelo auf dem Beifahrersitz zu erkennen oder diesbezüglich schon voll durchgeknallt? Doch, das musste er gewesen sein.
Bis diese Information in meiner Schaltzentrale jedoch zu einer Reaktion führte, überholte der Wagen einen lahmen Traktor und entzog mich damit der Möglichkeit, das Nummernschild zu lesen. Verdammt noch mal.
Gut, die Fahrtrichtung passte. Noch etwa fünfhundert Meter bis zu der Kreuzung, wo er dann meiner Meinung nach abbiegen musste. Leider war ich noch zu weit davon entfernt, die letzten Häuser unseres Kaffs verhinderten einen freien Blick in die Landschaft.
Automatisch trat ich in die Pedale wie ein Bekloppter, unter günstigen Umständen könnte ich noch sehen wie die den Weg entlang fuhren. Mir ging’s ja nur um das Wissen, dass Angelo wieder zu Hause war.
Aber, ich schaffte es nicht, weil ich selber an diesem schnöden Trecker nicht vorbeikam wegen dem Gegenverkehr.
„Rüberfahren und nachsehen? Musst ja nicht bis hin. Einfach nach dem Wagen gucken.“
Japp, die Zeit hatte ich und zudem war das völlig ungefährlich.

Langsam bog ich an der Kreuzung ab. Von da aus war das Anwesen noch zu weit weg um Einzelheiten zu erkennen, zudem stand da ja auch dieser riesige Baum im Hof dazwischen.
Mich konnte man von dort zwar schon sehen, aber auf diese Entfernung nicht unbedingt erkennen.

Als ich dann nah genug ran war hielt ich an. Ich hatte Recht, es war der Wagen. Jemand ging nämlich gerade um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür – und half Angelo auszusteigen.
Gut, alleine war das ein Problem, das konnte ich nachvollziehen. Allerdings, was dann kam, nicht mehr. Ich kiff die Augen zusammen und stierte auf die Szene, die sich mir bot.

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