»Ein Leben lang Feuer. Nun komm, sag schon.«
»Nee, geküsst ham se sich nich. Gefummelt weiß ich nicht, konnte man von dahinten auch schlecht sehen.«
Wenigstens das nicht. Aber nun musste es gut sein, zumal ich nie herausfinden würde was dann geschehen war. Die Nacht hatten sie sich bestimmt nicht im Freien herumgetrieben.
Wir redeten noch ein bisschen von diesem und jenem, aber es war nichts Weltbewegendes. Nach einer Stunde machte ich mich dann auf den Heimweg. Irgendwie ging mir da der Abend zuvor durch den Kopf. Schön langsam wieder reinkommen in die Materie.
Das Abendessen war dann jedoch von ziemlich elementarer Bedeutung, auf meinem Platz lag ein Brief.
»Der ist heute gekommen, hab ihn fast vergessen«, sagte Mum wie so beiläufig.
Noch während ich mich setzte, wurde mir beim lesen des Umschlags ziemlich anders. Gut, ich wusste, eines Tages würde es passieren, aber ich hatte irgendwie die berechtigte Hoffnung, dass ich ausgespart werden könnte. Dass die mich vergessen. Oder nicht brauchen. Aber nun sah ich am Stempel dass weder das eine noch das andere eingetreten war. Meine Eltern konnten ja nichts dazu und so schluckte ich den Unmut in mir hinunter.
Aufgeregt und ein bisschen Wütend zugleich riss ich das Couvert auf.
Die Bundeswehr gibt es noch, auch wenn man nicht viel von ihr hört manchmal. Ein Fragebogen zu meiner Person..
»Ich will aber gar nicht in den Verein«, moserte ich herum als wären meine Eltern dann doch Schuld irgendwie.
Meine Mutter lächelte so seltsam.
»Was ist daran so komisch?«, wollte ich deshalb barsch wissen.
»Ich hab vorhin mit Onkel Herbert telefoniert. Ich wusste ja von wem das Schreiben ist und konnte mir denken was die wollen. Unter anderem hast du ja schon öfter gesagt, dass dich das Militär nicht gerade reizt.«
»Ganz genau so ist es.«
»Nun, Herbert hat natürlich sofort reagiert.«
Erstaunlich, was hinter meinem Rücken so ablief. Man schien sich richtig aufopferungsvoll um mich zu kümmern.
»Und wie hat er das?«
»Erst musst du sowieso deine Lehre beenden und dann wird dich Herbert als unabkömmliche Person in seinem Betrieb deklarieren. Er sagte übrigens, es gäbe da einige wichtige Kontakte zum Amt.«
Mit blieb der Mund offen stehen. Alles, nur das hatte ich nicht erwartet. Da waren sie schon wieder, diese Beziehungen. Unglaublich, wofür die alle gut waren. »Also muss ich nicht zum Barras?«
»Lass das Ganze mal über dich ergehen, Onkel Herbert wird dir sagen was du tun sollst.«
Ich stand auf und ging in mein Zimmer, jetzt war surfen zu dieser Sache angesagt, und wenn ich Tage am Rechner hocken würde.
Ein paar Infos gab’s, ich ließ es aber nach einer Stunde bleiben. Zum einen dümpelten die Videos wieder in meinem Kopf und zum anderen musste ich ja dringend an meiner Kursänderung in Sachen Angelo arbeiten. Wie ich das genau anstellen wollte war mir zwar schleierhaft, aber irgendeine Lösung musste her.
Mein Handy klingelte.
»Hi Ralf.«
»Hallo Felix. Alles grün?«
»Nee, nicht wirklich.«
»Sag jetzt nicht, du bist schon wieder solo?«
Insgeheim erwartete ich eine positive Antwort, ich hätte ihn nun schon gebraucht zum reden.
»Nein, da ist alles okay.«
Schade, sehr Schade. »Und was ist es dann?«
»Hab n Schreiben gekriegt.«
Blitzschnell fiel mir ein, dass Felix nur einen Monat älter war.
»Ja, du auch? Vom Barras?«
»Richtig. Wollen wir uns treffen?«, fragte er etwas aufgelöst.
»Wann, jetzt noch?«
»Klar, ist doch erst Acht.«
»Gut, beim Härtel. Bis gleich.« Mir schien, Felix war ein wenig in Panik geraten. Da waren Gespräche immer gut.
Kurz darauf saßen wir im Biergarten.
»So ne Scheiße«, fluchte Felix und nahm einen Schluck Weizenbier.
»Auf den Barras hab ich überhaupt null Bock.«
»Meinst du ich nicht?«
»Was kann man denn da machen?« Felix war sichtlich ratlos.
»Ich für meinen Teil bin Stockschwul und krieg schon nen Steifen wenn ich auch nur das Wort Mann höre«, grinste ich, etwas Siegessicher.
»Ha ha. Weißt du, dass du mir grad ein reisengroße Hilfe bist?«
Ich streichelte Felix freundschaftlich die Schulter.
»Nee, ist Quatsch. Onkel Herbert zieht mich da raus. Also, zumindest versucht er das. Aber komm, vielleicht haben wir ja Glück.«
»Glaub ich nicht. In solchen Sachen bin ich immer ganz vorne dabei.«
»Abwarten«, tröstete ich ihn.
Felix nickte, allerdings nicht sonderlich glücklich.
In den folgenden Tagen passierte eigentlich nichts besonderes. Ich kehrte allmählich auf den Boden der Realität zurück und stellte recht bald fest, dass meine Kursänderung in die neue Umlaufbahn geglückt war.
Angelo spukte noch eine Weile in meinem Kopf, aber das verblasste mehr und mehr. Ich hörte und ich sah nichts mehr von ihm. Die Sache mit der ersten Fahrstunde für den Führerschein kam doch nicht so schnell wie erhofft, aber mich persönlich eilte es ja nicht.
Eine Einlage gab es dann wohl doch, als Manskes ihr Dach repariert bekamen. Irgendwie tauchte eines Tages doch ihr Name in der Auftragsliste auf, woraufhin ich mich auf der Stelle weigerte, diese Arbeit mit Werner durchzuführen. Onkelchen hatte uns zwar vorgesehen, aber dank meiner Überzeugungskraft wurden wir von diesem Auftrag befreit.
Obwohl Angelo keine Rolle mehr spielte in meinem Leben, sann ich ja immer noch auf Rache in Nummer Elf. Nur, mir fiel einfach nichts ein. Ganz weit im Hinterkopf hatte ich schon eine Idee, aber das war wirklich zu weit weg und zudem – eigentlich eine eher gewagte Vorstellung.
Dann kam jener schicksalhafte Brief, auf den ich schon eine Weile gelauert hatte. Mum hatte ihm mir beim Abendessen auf meinen Platz gelegt.
„… Herr Bach… Sie sind.. haben sich.. zu melden.“ Den genauen Inhalt wollte ich gar nicht wissen, ausschlaggebend war letztlich das Datum. Ich musste beim Kreiswehrersatzamt in Darmstadt vorstellig werden. Wunderbar.
Das Essen war mir verdorben, irgendwie. Aus taktischen Gründen hätte man mir den Brief ja danach geben können, immerhin stand ja drauf wer der Absender war. Aber nun war es passiert. Ich schob den Brief beiseite und labte mich an einem Bier.
Ich sah die fragenden Blicke meiner Eltern, aber ich wollte zu dem Schreiben nichts sagen. Schlimm genug die Aussicht, wenn das mit Herbert nicht klappen würde.
**
Am Dreiundzwanzigsten morgens um sieben war dann jener besagte Tag schneller da als man gucken konnte. Felix’ Vater war so lieb und fuhr uns dorthin, für den Heimweg wollten wir dann selber sorgen.
Welch saudummes Gefühl, als wir bei trübem Regenwetter vor dem Kreiswehrersatzamt standen. Das hatte schon alles sowas militärisches, obwohl es ja keine Kaserne in dem Sinn ist.
»Also, wir werden ja nicht zusammen da reingehen«, sagte ich zu Felix in dem langen Gang, wo wir auf absolut unbequemen Stühlen auf unseren Auftritt warteten.
»Ich drück dir die Daumen.«
»Ich dir auch. Kannst dem Arzt ja mal an die Eier greifen wenn er nicht glaubt dass du schwul bis«, grinste er. Das war einerseits ziemlich lustig, andererseits fürchtete ich, damit gar nichts ausrichten zu können.
Die kannten doch ihre Pappenheimer, jeden Tag aufs Neue. Ich drückte mir selbst die Daumen, dass die Angaben meines Onkels in meinen Fragebögen ausreichen würden.
Und wir waren weiß Gott nicht alleine an dem Morgen. Ne ganze Menge Hasen hoppelten sozusagen da hin und her und freilich musterte ich den einen oder anderen schon mal genauer. Bei einigen hätte ich unbedingt der untersuchende Arzt sein wollen.
Greifen die einem nicht zwischen die Beine? Doch, man sagt, das würden die tun. Nee, entschied ich dann, diesen Job könnte ich nie und nimmer längere Zeit machen. Entweder ich ging wegen einem Dauerorgasmus irgendwann drauf oder könnte das alles im Gegenzug nur im Suff ertragen.
Die Vorstellung, da die Hosen runterzulassen, bereitete mir ja schon seit einigen Tagen Kopfzerbrechen. Man muss sogar die Vorhaut zurückziehen, hieß es. Ich hatte zwar keinen Bammel dass mein kleiner Freund da auf dumme Gedanken kommen könnte, aber wie groß ist doch der Unterschied ob das ein süßer Junge im Bett mit einem macht oder wenn man da vor so einem ollen Arzt rumsteht in einem sterilen Raum.
Aber vielleicht stimmte das alles ja auch gar nicht und an diesem Glauben hielt ich mich fest.
Plötzlich waren meine durchaus ernsthaften Gedanken weg. Sie verpufften im Nichts. Man kann es vielleicht so beschreiben: Die Wolken teilten sich wie von Geisterhand und die Sonne schien. Und zwar von einer Sekunde auf die andere.
Ich begann leicht zu zittern und fühlte mich auf der Stelle elend. Elend und doch nicht, eigentlich unbeschreiblich dieser Zustand.
»Sag mal, ist das da hinten nicht Angelo?«
Felix kannte meinen Leidensweg, ich hatte ihn ziemlich detailliert beschrieben. Und so konnte er auch recht genau erahnen, was in diesen Momenten in mir vorging.
Angelo stand fast am anderen Ende des Gangs. Ob er mich gesehen hatte wusste ich nicht, er sah zumindest nicht zu uns herüber.
»Was willst denn jetzt machen? «
»Felix.. ich.. was schon? Nichts.« Mit dieser Antwort lehnte ich mich an die Wand, so dass ich nicht von Angelo gesehen werden konnte, weil da noch ne Menge anderer Jungs in dem Gang saßen. So verharrend würde er mich zumindest nicht zufällig entdecken.
»Er soll bleiben wo der Pfeffer wächst.« #
Wieso war er überhaupt hier? Er war doch schon älter als wir.. „Schon mal was von Zurückstellung gehört?“ Ja, hatte ich. Aber doch nur wenn man eingezogen werden soll. Die Musterung ist davon ja nicht abhängig.
Egal, wofür zerbrach ich mir den Kopf über Dinge, die mir am Arsch vorbeigehen müssten? Ich beugte mich nun doch ein bisschen vor, womöglich war er ja in Begleitung. Aber ich konnte in dem Getümmel niemanden ausmachen, der dem Typen von damals ähnlich gesehen hatte.
Nur war wieder alles durcheinander. Wie viele Jungs gab’s in Deutschland, die zur Musterung geladen wurden? Warum ausgerechnet er, heute und hier? Von den bereits legendären Mächten wollte ich aber nichts mehr hören und noch weniger sehen.
Wenn alles gut ging bemerkte er mich gar nicht und das war’s dann.
Felix wurde aufgerufen, ich war dabei mindestens genauso aufgeregt wie er. Mit dem Daumen nach oben verabschiedete ich ihn in das Zimmer, dessen Tür sich hinter ihm schloss und nun saß ich da. Alleine mit mir und dem Elend.
Ich schielte den Gang hoch, Angelo saß da hinten, leicht nach vorne gebeugt. Ah, sein Gips war weg. Aber vielleicht reichte bei ihm ja der Unfall, dass er ausgemustert wurde. Das Bein könnte immerhin noch lange Probleme machen. „Interessiert dich das wirklich so?“ „Nein. Man denkt halt automatisch an solche Sachen.“
Mein Name hallte durch den Gang. Verdammt noch mal, wieso das denn? Mit dem Aufruf meines Nachnamens schnellte Angelos Kopf hoch und drehte sich zu mir. Das Zimmer, in das ich gerufen wurde, befand sich nur zwei Meter von Angelos Sitzplatz.
Man wünscht sich ja manchmal, unsichtbar zu sein, gar nicht da. Aber das funktioniert nicht, nie. Ich stand auf und lief auf ihn zu. Seine Haare hatte er etwas länger, was ihn ein bisschen jünger aussehen ließ. Braun gebrannt.
Dem Vergleich mit Adonis hielt er ohne Anstrengung stand, wie immer. „Es ist Schicksal dass er ist.“ „Nein, es ist eine Katastrophe.“ Unsere Blicke trafen sich. Dieses geheimnisvolle Glitzern in seinen Augen war immer noch da, wie an dem Tag, als ich das erste Mal in sie hineinsehen durfte. Der sinnliche Mund, die langen Wimpern. Eine freche Locke in der Stirn..