Margie 40 – Eisblöcke kann man nicht knuddeln

»Schön. Also, du musst mit der Tram Richtung Innenstadt und dann..«

Er verklickerte mir, wie ich die Adresse finden konnte. Klang eigentlich nicht schwer und da ich alle Daten dieser.. Leute.. hatte, würde ich es auch finden. Abgesehen davon war ich bereits so halb am dahinsterben, der Hunger nagte immer mehr an meiner Substanz. Trotz der Aussicht auf etwas Essbares, die nächste Pommesbude war mein. Hoffentlich schnell.

»Und wann treffen wir uns?«, wollte ich abschließend wissen.

»Das wird man sehen. Du bekommst Bescheid.«

Etwas merkwürdig, diese Angabe. Aber er würde schließlich wissen wovon er redete.

Ohne noch einmal nach den beiden zu sehen, die immer noch auf dem Balkon am reden waren, verabschiedete ich mich von Angelos Vater und verließ Wohnung und Haus.

Die Tram kam im richtigen Augenblick und auch der Rest meiner kleinen Reise klappte, ohne dass ich mich verlief.
Unterwegs, an einer tatsächlich gefundenen Pommesbude, ging mir der ganze Nachmittag noch einmal durch den Kopf. Wäre ich ohne Kassinis Angebot nach Hause gefahren? Hätte ich mich Rede und Antwort meiner Bekannten und Verwandten gestellt? Keine Ahnung. Sicher war nur, dass mir Angelos Vater etwas zu sagen hatte und nur aus dem Grund war ich vielleicht geblieben. Oder doch nur wegen Angelo?
Ich gab ja beiden Teilen die Schuld an dem Dilemma. Er hatte sein Scherflein dazu beigetragen, genauso wie ich. Wir waren beide Dickköpfe, wobei ich diese Eigenschaft an mir so noch gar nicht kannte. Dumm nur, dass ich das Wort Liebe nicht mehr genau definieren konnte. War das Liebe, was da passierte?
„Ohne die Liebe, Freundchen, wärst du überhaupt nicht hier. Und ohne sie hätte dich Angelo einfach rausgeschmissen. Aber das hat er erst, als er im Brunnen lag. Lass das mal auf dich zukommen.“ Ja, die Frage war eben nur, wie lange und wie oft noch? Mein Entschluss, Frankfurt nur mit einer klipp und klaren Entscheidung zu verlassen, bekam oberste Priorität.

Einen kurzen Zwischenstand gab ich meinen Eltern dann per Handy durch. Halt nur, dass ich Angelo gefunden hätte, die Nacht über wahrscheinlich in Frankfurt bleiben und ich mich wieder melden würde. Dass es mir gut ging stimmte zwar so nicht, aber das wollen die doch immer hören. Zum Glück kamen keine Fragen.

Später stand ich dann vor dem großen Mietshaus, wo ich angeblich Unterkunft finden würde. „Kienmann.“ Dieser Name stand auf dem kleinen Zettel. Ich fragte mich, wieso Kassini den in seiner Hosentasche hatte.
Ich drückte den Klingeknopf und wurde ohne Fragen eingelassen. Anscheinend wusste man bereits von meiner Ankunft. Diese Vermutung beruhigte mich.

Wie meistens in solchen Fällen wohnten der, die oder das ganz oben, im 5. Stock. Weit und breit kein Aufzug..

Als ich in der 3. Etage ankam, klingelte mein Handy. „Felix“ Ich setzte mich auf die Treppe.

»Hallo Ralf. Wie geht’s?«

Schön, dass sich wenigstens einer um meinen Zustand kümmerte. »Gut. Ich bin grade in Frankfurt..«

»Oh.. Angelo, wie?«

»So ist es.«

»Und? Was sagt er?«

»Na ja, begeistert ist er nicht. Aber genaues.. du, ich ruf dich wieder an, okay?«

»Ja klar. Denn mal viel Glück. Bis dann. Ciao.«

Viel Glück. Ja, irgendwie könnte ich es brauchen. Ich rappelte mich auf und setzte meinen Weg nach oben fort.

Etwas geschafft stand ich dann vor der Tür. Sie war nur angelehnt und ich klopfte.

»Hallo?«

»Komm rein«, hörte ich eine männliche Stimme. Man erwartete mich also tatsächlich.

Ich schob die Tür ganz auf und trat in den kleinen Flur. Weiter traute ich mich erst mal nicht.
Dann kam ein Mann aus einer der offenen Türen. Braune, schulterlange Haare, Dreitagebart, ein paar wache, flinke Augen.
Eine schmale, randlose Brille verlieh dem Mann, den ich so um die Dreißig schätzte, eine unaufdringliche Eleganz. Etwas kleiner als ich war er und auch etwas kräftiger in der Figur. Die hatte er zwar unter einem offen getragenen Hemd verborgen, aber mir entgeht da nie etwas. Eine halblange Shorts rundeten das Bild des Mannes ab.
Insgesamt ordnete ich diesen Typus etwa unter der Kategorie freischaffender Künstler ein. Aber das war ja nur mein subjektiver Eindruck.

Er kam auf mich zu und streckte die Hand nach mir aus.

»Du bist Ralf?«

Ich nickte.

»Ralf Bach.«

»Sebastian Kienmann. Komm doch rein.«

Ich folgte ihm in das kleine, aber gemütliche Wohnzimmer. Braune Ledergarnitur, ein Glastisch, ein Wandschrank mit unzähligen Büchern, ein kleiner Schreibtisch am Fenster, Computer und was dazugehört. Ein Deckenpropeller versuchte gegen die drückende Hitze in dem Raum anzukämpfen, aber das gelang ihm nur mäßig. Wenn überhaupt.

»Setz dich doch. Andreas hat angerufen und gesagt dass du kommst.«

Ich setzte mich in einen der Ledersessel, die anscheinend schon so manche Ära hinter sich gebracht hatten. Aber direkt schmuddelig war nichts an dem Mobiliar. Aufgeräumt und sauber, diesen Eindruck bekam ich.

»Seid ihr.. verwandt?« ich schlich mich so klammheimlich zum vertrauten Du. Irgendwas jungenhaftes ging von diesem Sebastian aus. Ein Mensch, mit zumindest ich mich sofort verstehen könnte. Also, auf den ersten Blick.

»Verwandt.. Hehe, das kann man fast sagen. Aber eben nur fast. Vielleicht kennst du Paul, Paul Kienmann?«

Hm, wie hieß doch gleich der Geigenbauer mit Nachnamen? Aber Kienmann.. eher nicht. Ich zuckte mit den Schultern.

»Paul, den Diener der Kassinis.«

Ich nickte.

»Ah ja. Der ist mir allerdings bekannt.«

»Paul ist mein Vater. Wir kennen die Kassinis.. oh weh, schon ewig, glaub ich.«

Aha. Und damit auch Angelo. Ja, beim genauen hinsehen hatte er was von Paul. So um die Mundpartie herum jedenfalls. Ein interessanter Aspekt, der sich da auftat. Aber eigentlich hatte ich für diesen Tag genug davon. Ganz langsam, aber sicher stieg Müdigkeit in mir auf. Der Tag zollte allmählich seinen Tribut.
Die Sonne versank nun hinter den Hausdächern, auf die ich von meinem Platz aus über die offene Balkontür sehen konnte. Lange würde dieser Abend nicht, wobei da noch das Essen mit Angelos Vater ausstand.
Ich suchte vergeblich einen Ring an Sebastians Fingern, auch sonst kam es mir vor, als würde er alleine hier leben. Aber ich war irgendwie gar nicht neugierig. Nicht mehr. Meine Nerven waren eh irgendwo in der Landschaft unterwegs und neue Sachen hatten überhaupt keinen Platz in meinem Kopf.
Der war echt gestopft. Natürlich, ich grübelte schon was nun auf mich zukommen würde. Immerhin hatte ich die Möglichkeit, hier zu nächtigen. Bei einem wildfremden Mann; wobei, niemand konnte mir da einen Rückzug verübeln.
Eine Pension oder sowas würde sich finden, sollte mir die Geschichte hier zu suspekt werden. Letztlich war ich da schon lange von dem Irrglauben abgekommen, jeder mir sympathische Mann musste automatisch schwul sein.
Der hier machte mir nun gar nicht den Eindruck. Obwohl, einem Fremden gegenüber machte den Angelo oder sogar ich auch nicht. Nun gut. Erst mal abwarten. Der Abend war trotz allem noch nicht gelaufen.

»Oh, wir sollten uns aufmachen. Andreas wartet in dem Restaurant.. Ich zieh mich kurz an.«

Aha, so lief das also. Nun gut, mir war es recht. Ich versprach mir nichts von diesem Essen, auch würde ich mich absolut neutral verhalten und wenn’s möglich war, auch gar nichts sagen. Merkwürdig war jetzt nur, welche Kreise das alles zu ziehen begann.
Noch vor vierundzwanzig Stunden hätte ich jeden ausgelacht, wäre er mir dieser Entwicklung angekommen.
Mir war nach einer Dusche und frischen Klamotten, aber da musste ich etwas sparsam sein, schließlich hatte ich keinen Koffer voll dabei. Na ja, ich würde den Abend auch so rumkriegen.
Wenige Minuten später kam Sebastian wieder ins Zimmer. Er hatte sich ein grünes Khakihemd angezogen, die passende Short dazu und Sandalen. Ohne Strümpfe. Demnach zu urteilen war das Restaurant kein Treffpunkt für die Reichen und Schönen. Allmählich wurde ich dann doch gespannt, was es zu bereden gab, denn wozu wurde überhaupt so ein Aufwand getrieben? Und Kassinis geheimnisvolle Getue, machten mich zusätzlich neugierig.

»So, ich wäre soweit. Kommst du?«

Ich stand auf, was mir einigermaßen schwer fiel. Mein Körper glich nämlich irgendwie einem nassen Sack, der nur noch mit Mühe zu bewegen war. Aber ich trug es mit Fassung.

»Ähm, eigentlich.. ich hab nicht soviel Geld dabei, ich mein..«

Man muss solche Dinge im Vorfeld klären, nicht dass ich später in eine äußerst peinliche Situation geriet. Denn ein gutes Abendessen mit Getränken könnte mein Budget erheblich in Mitleidenschaft ziehen und immer noch brodelte in meinem Kopf, dass ich mir ein Zimmer nehmen musste oder wollte und das war mir wichtig. Dem Stress, nach Hause zu fahren, wollte ich mich allerdings nicht mehr aussetzen.

»Da mach dir mal keine Sorgen. Lass uns gehen.«

Keine Sorge. Der war gut. Ich folgte Sebastian bis zum Parkplatz hinter dem Haus. Wir stiegen in einen Mini, was mich in höchste Verzückung versetzte. Mit so einer kleinen Schachtel wollte ich schon immer mal fahren.

»Du bist also der Freund von Angelo«, fragte Sebastian und steuerte seinen Wagen auf die Straße.

„Der Freund.“ Dieses Wort hatte Gewicht. Sehr viel Gewicht. Musste mir eine Antwort peinlich sein? Nein, wozu? Anscheinend wusste Sebastian bereits mehr als ich.

»Wohl nicht so direkt«, fand ich dann als praktische Antwort, wobei ich meinen Fahrer von der Seite beobachtete.

Er fummelte eine Zigarettenschachtel aus der Brusttasche. »Angelo ist nicht Pflegeleicht«, hörte ich ihn sagen und prompt entglitten meine Gesichtszüge. Erstens vermittelte mir diese Aussage den Eindruck, dass sich die beiden sehr gut kennen und zweitens dass da schon mehr gelaufen war. Oder lief.

Wie auch immer, ich wurde neugierig. »Wie meinst du das?«

»Ich kenne ihn schon lange. Ich meine, wir sehen uns nicht oft, meistens wenn ich mal meinen Vater besuche. Aber man kommt schwer an ihn ran. Also sei mir nicht böse, aber ich find einfach keinen Draht zu ihm. Er ist verschlossen und, na ja, ein furchtbarer Einzelgänger.«

Diese Beobachtung war mir neu, weil ich persönlich das so gar nicht empfand. Aber wer wusste, ob ich nicht mit jener Blindheit der Liebe geschlagen war, die einem den Blick für solche Sachen einfach vernebelte?

»Und.. wie kommst du darauf, dass Angelo mein Freund ist? Also..«

Schwer, die richtigen Worte zu finden. Aber Sebastian schien mir ein helles Köpfchen zu sein, dem man nicht alles Löffelweise eintrichtern musste.

»Reine Vermutung«, antwortete Sebastian und zündete sich eine Zigarette an. Er hielt mir die Schachtel hin.

»Magst du?«

»Im Augenblick nicht, danke. Muss erst was essen. Ja, also von wegen Freund.. «, versuchte ich wieder anzuknüpfen.

»Du und ich«, meinte er dann, »wissen doch dass er gut aussieht. Er ist ein Teddy, würde ich mal sagen. So was zum knuddeln und schnuffeln. Ein Schmusebär. Und wenn ich mir die Aussage erlauben darf, du siehst auch nicht aus wie Rübezahl. Ich könnte mir denken, ja, ich würde sogar behaupten, ihr passt sehr gut zusammen.«

Er machte eine kleine Pause, wohl um mir Zeit zu geben, das soeben gehörte zu verdauen. Zumindest eins schien klar: Sebastian steht auf Männer. Und ich hatte wieder ein Kompliment in der Tasche.

»Oder nicht?«, fragte er dann.

»Ja, klar, das ist so«, beantwortete er schnell seine eigene Frage, »aber einen Eisblock kann man nicht knuddeln.«

Er lachte mich an, aber nicht fröhlich. Klang eher etwas verbittert.

„Einen Eisblock..“ Wie Recht er hatte. Dabei redete ich mir ein, dass Sebastian schon zu alt sein könnte. Es sei denn, Angelo machte sich gar nichts aus dem Alter im Allgemeinen. Aber.. nein, die hatten nichts zusammen. Sagte er doch, oder?

»Also, ich bin hier, weil.. ich hab mich in Angelo verliebt.. Aber es ist tatsächlich nicht einfach..«

»Hihi. Typisch. Ich fürchte, Angelo ist sich manchmal selber im Weg. Was glaubst du, was ich alles angestellt hab? Ich könnt ein Buch schreiben, mit welchen Tricks ich an ihn rankommen wollte. Nachdem ich gemerkt habe dass er schwul ist, was übrigens lange gedauert hat, zog ich sämtliche Register. Eigentlich wollte ich ja nur wissen, ob ich ne Chance bei ihm habe. Aber auf dem Weg bin ich heute noch.«

Autsch. Das saß tief. Baggerte er etwa immer noch?

»Und wenn du.. eine Chance bei ihm bekommst?«

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