Margie 42 – Zwischen Pasta und Pizza

»Aber vergiss dabei eins nicht: Angelo ist mein Sohn. Ich liebe und ich kenne ihn. Vielleicht nicht bis ins kleinste Detail, aber ich weiß, dass du eine Rolle spielst in seinem Leben.«

Das wiederum schmeichelte mir, denn immerhin hatte ich ja auch dieses Gefühl. Bloß, es kam nichts rüber. Es liegt nun mal in der Natur, dass sich die Menschen irren können. »Und.. wie kommst du darauf? Ich mein, es ist doch nur so ein Gefühl..«

»Er hat nicht viel über dich erzählt. Aber wenn, dann konnte man direkt spüren dass er dich nicht eben bloß mal so nebenbei erwähnte. Es ist einfach.. dieses sich nicht trauen. Oder aber die Angst, an den Falschen zu geraten. Er braucht Zeit, verstehst du? Und diese Geschichte mit Willard.. ich denke, er möchte sich damit selbst etwas beweisen. Er will raus aus diesem Würgegriff. Erst wenn er Bewunderung erfährt, vielleicht sogar so etwas wie Verehrung, dann möglicherweise ändert er sich. Aber das ist verdammt noch mal der falsche Weg.«

»Langsam. Ich verehre und bewundere ihn auch. So direkt hab ich es ihm zwar nicht gesagt, aber zumindest angedeutet. Dass ich ihn liebe weiß er längst. Und was ist? Nichts.«

»Ich hab dir ja vorhin schon erklärt wie das mit ihm ist«, mischte Sebastian mit, »du musst ihn erobern. Er wartet drauf, ohne es wirklich zu wissen. Und deshalb kannst nur du ihn von dieser Dummheit abhalten.«

Ich musste breit grinsen. »Ach so. Ich geh also einfach hin und… nee, Leute, so einfach isses nicht. Und – ist Angelo nicht alt genug um zu wissen was er tut? Ich mein, Willard ist ja kein Mörder.«

»Aber er wird einer. Angelo geht dort kaputt, das weiß ich. Und du weißt das auch. Er gehört nicht in dieses Milieu und ich denke, du bist dir im Klaren was dort so alles passiert. Ich hab ganz einfach Angst um ihn. Ihm steht eine Karriere bevor, ich weiß dass er das Zeug zu einem Solisten hat. Sebastian ist drum und dran, Angelo auf diese Leiter zu helfen und er wird eines Tages oben auf der Bühne stehen. Ganz oben. Das alles macht er sich kaputt, nur weil es neben der vermeintlichen Hoffnung auf mehr Selbstvertrauen leicht verdientes Geld ist. Er hat das weiß Gott nicht nötig und es ist nichts weiter als eine fixe Idee. «

Puh, das warf ein völlig anderes Licht auf die Sache. Immer gut, wenn man zwei oder mehr Seiten hören kann. Andreas redete zwar wie ein Psychologe, aber nichts von dem was er von sich gab, schien mir an den Haaren beigezogen.

»Ronald ist eine Weile nach dir aus der Wohnung, ich vermute, er konnte überhaupt nicht begreifen was da um ihn passiert war. Er ist ein lieber Kerl, ich kenne ihn nun auch ein bisschen, aber ich glaube seine Enttäuschung, eben die Tatsache dass Angelo schwul ist, das verkraftet er nicht. Meine anfängliche Hoffnung, er könnte auf Angelo einwirken, hab ich deswegen aufgeben müssen. So wie er die Wohnung verlassen hat ist es fragwürdig, ob er Angelo noch einmal wiedersehen will.«

Ich konnte nun nicht unbedingt behaupten, dass mir das Leid tat. Höchstens, dass ich Ronald völlig zu Unrecht verdächtigt hatte. Außerdem wäre er sowieso davongelaufen, wenn er von Willard erfahren hätte. Aber so spielt nun mal das Leben, ab und zu wenigstens.

»Du glaubst nicht wie froh ich bin, dass du jetzt da bist«, sagte Andreas und streichelte mich so ein bisschen am Arm. Ich fand das eine ziemlich angenehme Geste, aber gleichzeitig kam leichte Panik in mir auf. Die beiden begannen hier, mir so einiges zuzumuten. »Ich habe, während ihr drei euch gestritten habt, Sebastian angerufen. Ich dachte mir schon, dass du hier bleibst.«

Aha, daher der Zettel mit der Adresse. »Und wie bitte soll ich jetzt Feuerwehr spielen? Angelo wird mich nicht unbedingt sehen wollen und mir noch weniger zuhören. Er wird ne Mordswut auf mich haben, schon allein wegen Ronald. Aber das ist nur das eine. Das andere: Ich, Ralf Bach, Dachdecker aus der Provinz – soll gegen Willard was ausrichten können? Also, ich halt das für vermessen. Zu guter Letzt kann ich auch nicht ewig auf Angelo aufpassen. Ich hab nämlich noch nen Job.«

»Tja, wie ich schon sagte: Angelo muss man gelegentlich zu seinem Glück zwingen. Du sollst ja nichts gegen diesen Willard ausrichten. Wir wollen doch nur nicht, dass Angelo etwas macht was nicht gut für ihn ist. Wie lange.. kannst du denn bleiben?«

»Zwei Tage. Mittwochabend ist Ende Gelände. Und ob ich bis dahin.. also ich halt das für ein Gerücht.« Nun, was Gut oder Schlecht ist, darüber hätte ich mit den beiden auch noch streiten können. Eine Menge Kohle war da immerhin zu verdienen. Ob der Job immer einfach sein würde wagte ich zwar zu bezweifeln, aber welcher Job, bei dem man sehr gut verdient, ist das schon?
Ich zog das Foto aus meiner Tasche, weil mir das nämlich in dem Zusammenhang einfiel. »Ich hab ja den Verdacht, Angelo ist schon.. « Damit reichte ich Andreas das Bild. Ich hätte es ihm gern erspart, aber wir waren nun mal bei den Tatsachen angelangt.

Der sah es sich eine Weile genau an, dann grinste er. »Das ist nicht unser Angelo. Sieht ihm aber in der Tat sehr ähnlich.« Damit gab er Sebastian das Foto. Zum Bild an sich sagte er weiter nichts.

Sebastians Augen wurden dann schon etwas größer. Immerhin sah er sich mit einer Situation konfrontiert, die er sich mit Sicherheit so schon mal gewünscht hatte. Nachdenklich rieb er sich das Kinn. »Hm, also ich hätte auf Anhieb gesagt, das ist er.«

»Ja, so ging’s mir auch. Als ich es sah, ist mein Herz beinahe stehen geblieben«, gab ich Sebastian Recht.

Andreas grinste immer noch. »Ihr seid mir ja zwei Helden.. Und ich dachte, ihr kennt Angelo sehr gut.«

Sebastian und ich sahen uns an. Was wollte Andreas denn damit sagen? Gut, ich hätte jetzt behauptet, jeden Millimeter dieses Jungen zu kennen, aber irgendwie war ich da wohl auf dem Holzweg. Angestrengt grübelnd nahm ich das Foto wieder an mich und vertiefte mich in die, zugegebenermaßen, anregende Szene. Dass ich dieses Bild so freizügig herzeigte, wunderte mich dann ein bisschen. Immerhin.. Aber gut, es diente ja sozusagen als Beweismittel. Für Angelo, so wie das nun aussah.

Ich gab Andreas erneut das Foto, der musste uns ja jetzt aufklären. »Also, woran erkennen wir denn nun, dass es nicht Angelo ist?«

»Also.. Ralf, wann kam Angelo mit diesen Leuten in Kontakt?«

Da musste ich weder rechnen noch grübeln. »Im Krankenhaus, ein paar Tage nach unserem Unfall.«

»Aha. Angelo bekam seinen Gips erst letzte Woche runter.«

»Ja und? Da war längst Zeit genug, um dieses Bild zu machen.«

Andreas schien diese Tatsache nicht zu kümmern. »Im Prinzip hast du Recht. Aber was passiert mit einem Arm oder Bein, wenn es eine zeitlang in Gips eingeschlossen ist?«

Langsam dämmerte es mir. Ich nahm ihm das Foto wieder ab und sah noch mal genau hin. Dann nickte ich. »Die sind immer.. dünn irgendwie.« Eigene Erfahrung. Immerhin hatte ich schon zwei Gipsbandagen hinter mir.

»Erstens das, zweitens, mit Verlaub, ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit einem Bein, das sechs Wochen in Gips gesteckt hat, solch eine Verrenkung machen kann.«

Da gab es nichts dran zu rütteln, man hätte es tatsächlich sehen müssen. Gut, damit stand Zweifelsfrei fest, dass es so etwas wie einen Doppelgänger gab und jener auf dem Bild definitiv nicht Angelo sein konnte. Ich zerriss das Foto in kleinste Schnipsel und bröselte sie in den Aschenbecher.
Der wurde mir dann vom Ober so quasi unter den Fingern weggezogen, unser Essen war im Anmarsch.
Man müsste Willard auf diesen Zwilling aufmerksam machen, dann könnte er ja Angelo in Ruhe lassen. Andererseits, die kennen doch die ganzen Jungs, irgendwie. Vielleicht gab’s da aber sogar sowas wie Vertragsrechte und man musste den freikaufen.. Mann, was wurde meine Fantasie durcheinander gewirbelt.

Satt lehnte ich mich später zurück. Ein kleines Stück Lebensqualität, so konnte ich das Essen beurteilen. Würde ich mit merken, diese Kneipe. Vielleicht kam ich ja viel öfter hierher als ich mir im Augenblick vorstellen wollte. So gesehen lag Angelos Wohnung ja nur einen Steinwurf von hier weg, via Luftlinie natürlich.

Nun also wusste ich in so etwa, was für eine Rolle ich hier spielen sollte und das Wort Verschwörung hatte seine absolute Berechtigung. Aber einen Plan, den gab es nicht. Sicher schien nur, Angelo war alleine. Ganz alleine. Und das musste man zunächst als eine ziemlich gefährliche Angelegenheit betrachten. Wenn jetzt Willard und Konsorten da auftauchten, dann war’s passiert. Ob sie ihn am Ende zwingen würden? Quatsch, niemand würde Angelo mit einer Waffe bedrohen, nur damit er sich vor der Kamera auszieht. Oder doch? Vielleicht war die Waffe aber auch nur ein ganz einfacher Scheck; je mehr Nullen, desto wirkungsvoller. Ich bekam keine Angst in dem Sinn. Nein, es war die Sorge.
»Was tun wir jetzt?«, wollte ich dann von den beiden wissen. »Soll ich etwa Wache halten vor seiner Wohnungstür?« Da war ne Menge Sarkasmus drin, aber das war auch Absicht. Die sollten sich gefälligst etwas einfallen lassen, weil, ich war mit meinem Latein echt am Ende. »Wann geht eigentlich Angelos Arbeit im Orchester los?«

»Kommenden Montag. Dann steigt er direkt in die Proben mit ein,« beantwortete Sebastian meine Frage.

Schön für ihn. Dann war noch Zeit. Zeit, die nicht gut war. Mir rannen die Minuten durch die Finger und diese Art der Machtlosigkeit war schon wieder lähmend. Egal was mir in den Sinn kam, alles schien nur ein Ziel zu haben: Die Leere des Raums. Es war nichts Greifbares darunter.
Die beiden schienen auch nach Lösungen zu suchen, brüteten vor sich hin. Klar war nur, auch sie konnten Angelo am Ende nicht davon abhalten, sollte er es noch immer ernsthaft in Erwägung ziehen.

»Ich muss dann langsam fahren«, brachte Andreas so ohne weitere Regung hervor.

Ich hatte plötzlich das Gefühl, jemand nimmt einen Rettungsring von der Reling. Mehr als zu nicken und zu schlucken blieb mir aber nicht. »Ich werd halt mal sehen was ich machen kann. Aber Hoffnungen habe ich keine«, gab ich eher resigniert als hoffnungsvoll von mir. »Eine Frage habe ich aber noch: Angelo und Ronald.. die waren an einem Abend im Kino und dann die ganze Nacht unterwegs. Weißt du zufällig, was die da gemacht haben?« Als Freund seines Sohnes nahm ich mir diese Frage einfach heraus.

»Er sagte am anderen Tag, dass er etwas Abstand haben musste. Was sie gemacht haben und wo, das verriet er nicht. Aber du kannst beruhigt sein, mit Ronald.. na ja, das weißt du ja jetzt selbst.«

Beruhigen, ja, wenn das man so einfach gewesen wäre. Die Chancen, es nie zu erfahren, standen jedenfalls gut.

Andreas streichelte mir noch mal über die Schulter. »Du kriegst das hin. Halt mich bitte auf dem Laufenden.« Damit legte er seine Visitenkarte vor mich auf den Tisch. »Sebastian, sieh zu dass unser Kleiner hier keine Dummheiten macht.« Dabei grinste er kurz, bevor er einen Euroschein auf den Tisch legte. »Zahlt bitte für mich mit, ich muss jetzt wirklich.«

Nun saß ich alleine da, mit Sebastian Kienmann. Noch so ein ausstehendes Kapitel. Die Nacht war bereits herangerückt, es wurde endlich etwas kühler und wie mit Riesenschritten vereinnahmte mich der Schlaf. Ich musste dringend ins Bett; in welches und wo, das wurde mir in jeder Minute gleichgültiger. Hauptsache pennen. Vielleicht hatten die Willard’schen Suchhunde Angelo noch gar nicht gefunden, wähnten ihn unter den besten Umständen sogar noch bei sich zu Hause und Angelo selber hatte längst kein Interesse mehr an Geschichte. All das musste so sein, denn ich hatte keinen Antrieb mehr, mir anderes vorzustellen.

»Mir scheint, du bist müde?«, bemerkte Sebastian dann auch. Kein Wunder, meine Augen hatten bereits Halbmast geflaggt.

»Kann man sagen.« Kurzzeitig wurde ich wieder wach, denn nun kam der letzte Teil dieses Tages. Tat Sebastian nur so harmlos oder würde er im Schlaf über mich herfallen? Ausschließen wollte ich das nicht, aber mir fehlte absolut jeder Bock, jetzt noch auf die Suche nach einem Nachtlager zu gehen. Ziemlich überraschend kam mir dann der Gedanke, dass Sebastian ja auch gewisse Qualitäten innehaben könnte. Ich betrachtete mir seine Hände und die waren alles andere als Grobschlächtig. »Wie alt bist du eigentlich?«, fragte ich dann auch völlig unbefangen.

Er grinste. »Schätz mal.«

Das war gefährlich. Meistens sind solche Typen viel älter als sie aussehen. Weiß ich auch schon aus Erfahrung. »Um die Dreißig? So in der Gegend.. «

»Hihi. In der Gegend ist gut. Aber, es ehrt mich.. nur musst du das um fünf Jahre nach oben korrigieren.«

Wusste ich’s doch. Wie auch immer, er konnte wegen mir Zwanzig oder Fünfzig sein, ich war dann wirklich nur noch müde. Angelo, ja, der hätte mich jetzt wach halten können.

Wir zahlten dann auch, das heißt, Sebastian zahlte. Meinen wiederholter Einwand, ich könne meine Zeche durchaus selber begleichen, ließ er einfach nicht gelten. »Du bist zu Besuch, sozusagen.«

Ohne weitere Gespräche fuhren wir dann zurück zu ihm nach Hause. Immer wieder schwebte mir so im Halbschlaf vor, wie er zu mir gekrochen kommt. Sich langsam an meinen Körperteilen zu schaffen macht, mich küssen möchte. „Und wenn dich Sebastian ficken will? Einfach so, ohne Bedingungen, also, rein Spaßeshalber?“

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