Wege – Teil 11 – Aussichtspunkt

„Jetzt ist es eben passiert. Wussten wir doch beide die ganze Zeit, dass es irgendwann so kommen würde.“

Jörn lächelte, küsste ihn dann, aber Mic wich zurück, robbte unter Jörn heraus und zog die Decke um sich.

„Scheiße. Was haben wir nur getan?!“

Am liebsten hätte Mic in diesem Moment die Uhren zurückgedreht, alles, was in der letzten Stunde geschehen war, rückgängig gemacht.

Jörn schaute ihn ratlos an.

„Es tut dir also leid?“

„Was für eine Frage. Ich bin mit Richard zusammen, falls dir das noch nicht aufgefallen ist. Und du bist sein engster Freund, wenn ich dich daran erinnern darf. Das ist los.“

Jörn nickte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

„Das weiß ich doch alles. Wir sollten ihn anrufen.“

„Um was zu sagen? Tut uns leid, aber wir sind eben zusammen im Bett gelandet? Ganz tolle Idee, Jörn. Wirklich, ganz toll.“

„Warum sollten wir ihn belügen? Außerdem… mir tut es nicht leid. Ich würde eher sagen, wir haben Tatsachen geschaffen.“

Jörn hatte bei seinen Worten eine Hand an Mics Wange gelegt, die Mic nun wegfegte.

„Lass das bitte. Ich… ich hab eben schon mal gesagt, dass ich Richard nicht verlieren will. Du warst doch vorhin derjenige, der gesagt hat, es wäre dir neu, dass Richard das nicht so eng sieht?“

Jörn nickte.

„Ja, das stimmt. Aber in diesem Fall ist das schließlich was anders, da bin ich mir sehr sicher.“

„Klar. In diesem Fall wird es noch mehr wehtun.“

Mic hätte am liebsten seinen Kopf gegen die Wand geschlagen, so wütend war er auf sich selbst. Wie hatte er Richard das antun können?

Jörn setzte sich auf, sah Mic ernst an, und irgendwie auch ein wenig traurig, fand Mic.

„Es tut dir ja wirklich leid… oder… Mic? Habt ihr nie darüber gesprochen?“

„Worüber?“

„Über… mich? Uns?“

„Doch, schon.“

„Dann… lass uns Richard anrufen. Dann weißt du doch, wie er denkt.“

Energisch schüttelte Mic den Kopf.

„Nein. Nicht wirklich. Wenn das mit dir grad sowas gewesen wäre wie mit Levin, ok, aber so ist es nicht. Immer, wenn ich dich sehe, dann will ich… also… hm…“

Der folgende Hustenanfall war nicht gespielt, kam aber gelegen. Wie sollte er das sagen, was da war? Und was war es überhaupt? So sehr war er mit Wegschieben und Unterdrücken beschäftigt gewesen, dass er gar nicht darauf gekommen war, mal intensiver zu hinterfragen, was er eigentlich fühlte. Bei Richard war ihm das völlig klar, auch wenn er es nie ausgesprochen hatte, nicht einmal in Gedanken, aber jetzt formte sich der Satz von ganz allein in Mics Kopf: Er liebte Richard.

Aber Jörn?

„Eben, deswegen wird es auch gut sein. Geht mir doch mit dir genauso. Ich seh dich und will dich ficken. Und Richard weiß das doch auch.“

Mic, der bei Jörns Ausdrucksweise innerlich mal wieder auf Abwehr ging, schüttelte langsam den Kopf, während er nach Taschentüchern suchte.

„Dann geht es dir eben nicht genauso. Ich würde schon mehr von dir wollen, wenn… aber ich habe mich nun mal für Richard entschieden. Am besten, du gehst jetzt. Ah, hier sind sie ja.“

Mics Hals fühlte sich rau an und die Nase war einfach wieder zu.

„Oh Mann… du hast wirklich keine Ahnung… Nein.“

„Was nein?“

nuschelte Mic sich schnäuzend in sein Taschentuch.

„Nein, ich geh nicht. Richard ist auch mein Freund, und wir sind eigentlich immer ehrlich zueinander. Ich ruf ihn an.“

Mic sprang auf.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“

„Doch. Ist es.“

Jörn stand auf, verließ das Schlafzimmer, Mic lief ihm hinterher. Er musste das unbedingt verhindern.

„Jörn, können wir nicht… ich meine… uns erst ein bisschen sammeln? Muss das jetzt sofort sein?“

Jörn suchte seine im Wohnzimmer verstreuten Klamotten zusammen, aber statt sich anzuziehen, zog er nur sein Handy aus der Hosentasche.

„Sammeln? Was gibt es da zu sammeln? Glaubst du, es wird leichter, wenn wir warten? Außerdem irrst du dich. Mir geht’s auch nicht nur um einen Fick. Und mir wird immer klarer, dass du keine Ahnung hast, was das heute bedeuten könnte. Und das geht so einfach nicht. Ich muss ihn anrufen.“

Scheiße, Scheiße, Scheiße. Jörn drückte doch tatsächlich auf seinem Handy rum. Mic versuchte, es ihm aus der Hand zu nehmen, aber Jörn drehte sich geschickt weg.

„Was soll das?“

brummte er dabei nur. Dann:

„Richard! Sorry, wenn ich stör aber wie lange dauert dein Meeting eigentlich noch? … Warum? Weil wir reden müssen. Ich bin bei Mic … nein nein, du musst dich nicht beeilen. … nein, ihm geht’s gut soweit … nein, kein Fieber … nichts davon, jetzt lass mich doch auch mal was sa… über das, was zwischen uns ist … Erraten. Ist passiert. … nein, ich habe natürlich nichts gesagt. Er ist grad hier neben mir und total durch den Wind … ja klar warten wir hier, Blödmann … Und Richard? Drück dich nicht wieder. … ja, ich dich auch. Bis nachher dann.“

Mic war hellhörig geworden bei dem Telefongespräch. Richard hatte erraten, was passiert war? Wovor sollte er sich nicht wieder drücken und was bedeutete…

„Ich dich auch was?“

Jörn lächelte mal wieder sein Speziallächeln.

„Ich hab dich auch lieb. Guck nicht so. Ich liebe den Kerl, und das sag ich ihm auch manchmal. So, und jetzt versuch dich ein bisschen zu beruhigen, ja? Es kommt alles in Ordnung, ganz sicher.“

Damit umarmte Jörn ihn, schreckte aber zurück.

„Ich Idiot! Du bist eiskalt und noch immer krank. Geh heiß duschen und zieh dir was an, ja?“

Erst jetzt merkte Mic, dass er wirklich fror, nackt, wie er war, und ließ sich ins Bad schieben. Jörn machte keine Anstalten, ihn dort allein zu lassen, sondern setzte sich statt dessen auf den Hocker, auf dem vor einigen Wochen Babs gesessen hatte. Erinnerungen fluteten hoch an seinen ersten Abend mit Jörn. Wie toll es erst gewesen war und wie schlimm nachher.

Auch egal. Jetzt war eh schon fast alles egal. Das heiße Wasser tat gut, sein Kopf allerdings weigerte sich nach wie vor, sortierter zu werden. Als er sich trocken rubbelte, kletterte auch Jörn in die Dusche.

Immerhin schien er also den Anstand zu besitzen, nicht nach Sex riechen zu wollen, wenn Richard hier auftauchte.

Mic zog sich eine frische Kollektion seines Gammellooks an, zog dann das zerwühlte Bett glatt und entsorgte das Kondom, in das er fast rein getreten wäre. Das hatte er doch schon mal gehabt, erinnerte er sich mit sehr gemischten Gefühlen. Dann machte er sich an das Aufsammeln seiner Kleidungsstücke, die noch im Wohnzimmer rumlagen.

Auf dem Tisch lag noch die leere CD-Hülle. Verdammte Rumba. Damit hatte das Unheil angefangen, seinen Lauf zu nehmen. Mic drehte die Hülle nervös in seinen Händen, hatte noch immer nicht begriffen, wie ihm gerade geschah. Wenn sie nicht getanzt hätten, dann wäre seine Welt jetzt noch in Ordnung. Er würde jetzt vermutlich schon schlafen und morgen würde er sein Wochenende mit Richard planen, abends dann Babs treffen zwecks Übergabe des Hausdrachens. Am Samstag hatten sie die letzten Weihnachtsgeschenke besorgen wollen. Noch fünf Tage bis Heiligabend, den sie hatten zusammen verbringen wollen…

Richard hatte mal zu ihm gesagt, es wäre alles ok, so lange Mic ehrlich zu ihm sei. Sie würden einfach sehen, was aus ihnen werden würde, und damit hatte er auch Mic und Jörn gemeint, aber so hatte er sich das sicher nicht vorgestellt. Außerdem schien es mit Richards Ehrlichkeit ihm gegenüber auch nicht so weit her zu sein.

„Hey, schau nicht so deprimiert. Alles wird gut.“

Jörn hatte sich neben ihn gesetzt, eine Hand auf seine Schulter gelegt.

Mic seufzte.

„Ach Jörn… wir haben Scheiße gebaut. Immer, wenn wir uns irgendwie näher kommen, geht’s mir danach beschissen.“

Jörn lächelte ihn an, strich über seinen Rücken.

„So Scheiße fand ich es aber gar nicht.“

„Nein. Das meinte ich doch auch nicht. Wegen Richard…“

Jörns Hand wanderte von Mics Rücken in seinen Nacken, zog ihn näher an sich und ehe Mic es wirklich realisierte, befanden sich Jörns Lippen auf seinen.

„Lass das, Jörn. Bitte…“

„Aber du magst es, wenn ich dich küsse. Und du hast den Sex eben doch genauso gewollt wie ich.“

„Ja… aber…“

„Und jetzt erzähl mir nicht, es wäre nicht gut gewesen.“

„Mann, Jörn, doch, war es. Es ist nur…“

„Ich weiß doch.“

unterbrach Jörn ihn.

Mic räusperte sich.

„Was willst du Richard denn sagen?“

„WIR.“

wurde er von Jörn korrigiert, der Mics Arm streichelte.

„WIR werden ihm etwas sagen müssen. Wir werden sagen müssen, was wir füreinander fühlen. Und für ihn. Und umgekehrt.“

Sowas in der Art hatte Mic schon befürchtet. Er war nicht gut darin, seine Gefühle in Worte zu fassen, nicht mal gedanklich. Und aussprechen war nochmal eine ganz andere Nummer, aber Jörn hatte natürlich Recht. Jetzt half wohl wirklich nur noch Flucht nach vorn und dann sehen, was das mit ihnen machte.

Mist! Wie sollte er das nur überleben?!

Mic sprang auf.

„Wie kannst du nur so ruhig lächelnd da sitzen und auch noch versuchen, mich zu befummeln? Bist du gar nicht nervös? Von welchem Planeten kommst du eigentlich?“

„Von der Erde. Und ich bin auch nervös. Und gespannt. Und neugierig. Warum lässt du eigentlich nur das Negative von all dem an dich ran?“

Entnervt fluchte Mic, ging in die Küche, räumte ihre Pizzateller in die Spülmaschine und wischte verbissen am Spülbecken rum. Natürlich kam Jörn irgendwann hinterher, umarmte ihn von hinten und drückte einen Kuss auf seinen Nacken.

„Verdammt, Jörn, jetzt lass es endlich.“

„Ok, du Nervenbündel. Dann setz dich zu mir und rauch eine mit mir.“

„Vielleicht kommt Richard ja gar nicht.“

murmelte Mic, als er sich einen Stuhl zu recht rückte – möglichst weit weg von Jörn, und sich eine Zigarette nahm. Jörn hielt ihm sein Feuerzeug unter die Nase, und der Geruch von Benzin weckte weitere Erinnerungen. War das wirklich erst… zwei ein halb Monate her?

„Vielleicht hat er jetzt endgültig die Nase voll von mir und das war‘s dann.“

fuhr er fort, seine Ängste zu äußern.

„Unsinn. Der kommt. Wenn man vom Teufel spricht…“

Noch während Jörn sprach, hörte Mic, wie es erst klingelte und sich dann ein Schlüssel im Schloss drehte. Ach ja, den hatte Richard sich ja von Babs geliehen.

Mic wollte eigentlich aufspringen, konnte sich aber irgendwie nicht rühren. Und Jörn? Der schien eh die Ruhe weg zu haben.

Es dauerte ein paar Minuten, bevor Richard auf Socken und mit vor Kälte rosig leuchtenden Wangen die Küche betrat. Als sein Blick den von Mic traf, senkte dieser den Blick.

„Wie? Kein Kaffee? Well, that’s all right then, Mic. Sit down! Have a scone! Make yourself at home!”

Mic, froh, eine unverfängliche Aufgabe zu wittern, sprang auf.

„Gute Idee. Ich mach Kaffee.“

„Begrüß mich lieber erst mal.“

Richard folgte Mic zur Kaffeemaschine und drückte ihm einen Kuss auf den Mund, drehte sich dann zu Jörn und tat bei ihm dasselbe.

Dann erst ließ er sich auf einen Stuhl fallen.

„Mic, vergiss den Kaffee. Das war ein Scherz. Deswegen bin ich nicht hier.“

„Bin fast fertig…“

murmelte Mic und hielt sich so lange wie möglich an der Kaffeemaschine fest. Schließlich drehte er sich seufzend zu den beiden Männern an seinem Küchentisch. Es half alles nichts, da musste er jetzt wohl durch. Er straffte seine hängenden Schultern und setzte sich zu den beiden.

„Na endlich…“

murrte Jörn.

Mic schluckte einmal hart, sammelte dann seinen ganzen Mut zusammen. Diesmal würde er den Anfang machen und sich nicht wieder von den beiden in eine Position bringen lassen, in der nur noch reagieren statt agieren könnte. Seine ganz persönliche Variante von Flucht nach vorn.

„Ok. Wir müssen also reden, das sehe ich ein, also… ich fang einfach mal an. Jörn und ich, wir hatten eben Sex, das hast du ja eben schon erraten.“

Mic beobachtete jetzt genau Richards Gesicht. Wenn er hier schon den Anfang machte, sollte ihm auch nicht die kleinste Reaktion entgehen. Mic versuchte zu erkennen, was in Richard vorging, aber alles, was er wahrnehmen konnte, war eine gewisse Spannung. Also sprach Mic weiter.

„Ich kann nicht so richtig in Worte fassen, was ich für Jörn fühle außer, dass ich fast immer, wenn ich ihn sehe, an Sex mit ihm denken muss. Aber das ist ja nichts Neues für dich. Nur ist das eben nicht alles, da ist schon noch mehr, es geht nicht nur um Sex… aber ich hab grad noch keine Worte für das, was es sonst noch ist. Aber was ich für dich fühle, das weiß ich ganz genau, Richard. Ich habe es nie gesagt, ich glaub, ich habe es noch nicht mal in Worten gedacht, aber trotzdem ist es so. Ich liebe dich. Und ich will dich nicht verlieren. Ich hab keine Ahnung, wie es weitergehen soll, aber … ach Mist. Ich weiß, ich hab eben schon wieder Scheiße gebaut, und das tut mir leid. So. Jetzt ist es raus, Ende der Durchsage. Jetzt ihr.“

Richard und Jörn schauten erst Mic, dann sich gegenseitig an. Täuschte Mic sich, oder sah er ein unterdrücktes Grinsen in Richards Augen? Er hoffte, sich zu täuschen. Was gab es denn da zu grinsen? Das aber hörte schlagartig auf, als Jörn fragte:

„Richard? Warum hast du Mic nie erzählt, wie das mit uns ist? Warum wir uns … na… sagen wir mal vorläufig getrennt haben? Was wir uns wünschen? Wir haben doch darüber geredet. Es hätte alles einfacher gemacht, wenn er das gewusst hätte. Und ich bin davon ausgegangen, dass er es weiß, spätestens seit Köln.“

Jetzt war es an Richard, schuldbewusst zu schauen.

„Ich… soweit waren wir noch nicht. Und Mic hat eh schon so viele Baustellen…“

„Wusste ich doch, dass da was ist.“

hakte Mic ein.

„Was bedeutet denn vorläufig? Also jetzt hab ich so oder so eine Baustelle mehr, jetzt erzähl auch. Jörn hat sich nämlich geweigert.“

Richard stand nach einem kurzen Seitenblick auf, holte Tassen aus dem Schrank und goss ihnen Kaffee ein. Mic musste trotz allem ein wenig schmunzeln. Scheinbar brauchte jetzt plötzlich Richard Anlauf, um etwas sagen zu können. Irgendwie fand er es tröstlich, dass er nicht die einzige völlig verunsicherte Person an diesem Tisch war. Mal wieder eine neue Seite an Richard. Vorläufig getrennt… da würde er Richard nicht raus lassen, bis er wusste, was Sache war.

Richard verteilte die Kaffeepötte, setzte sich wieder und spielte mit dem Zuckerlöffel, den er noch in der Hand hielt.

„Shit. Das ist jetzt gar nicht gut, Mic. Blöder Zeitpunkt…“

„Raus damit, Richard. Wenn du‘s ihm nicht sagst, dann tu ich es. Ich hab keinen Bock auf Spielchen. Bis jetzt war das euer Ding, aber das hat sich heute geändert. Muss dir doch auch klar sein, oder?“

Die Zärtlichkeit in Jörns Stimme passte nicht so recht zu der klaren Ansage, die er soeben gemacht hatte. Was zum Teufel konnte so schlimm sein, dass Richard es nicht sagen konnte?

Richard blitzte Jörn überraschender Weise an.

„Das war jetzt echt überflüssig, Jörn. Es ist doch auch so dazu gekommen. Warum die ganze blöde Vorgeschichte breit treten? Außerdem ist es ganz anders, als wir uns das mal ausgedacht haben. Jörn, das ist Jahre her!“

„Ja, stimmt. Aber genau darüber haben wir vor ein paar Wochen gesprochen, haben festgestellt, was plötzlich möglich wäre. DAS ist nicht Jahre her.“

„Hallo?“

ging Mic dazwischen.

„Redet bitte mit mir, nicht über mich. Und vor allem: REDET!“

Jörn und Richard verstummten, sahen sich aber weiterhin starr an. Schließlich begannen Jörns Mundwinkel, sich hochzuziehen.

„Los, du Feigling.“

Auch in Richards Gesichtszüge kam wieder Bewegung, als er tief einatmete.

„Also gut.“

hob er an.

„Mic, das hört sich gleich total blöd an, was ich erzähle, aber glaub mir, es ist nicht so, wie es gleich klingt. Jörn und ich… als wir uns damals getrennt haben, wollten wir eigentlich beide nur auf die Suche gehen nach jemandem, der uns… ergänzt. Also… zumindest haben wir die Möglichkeit offen gelassen. Ich meine… wir dachten… Und als du dann aufgetaucht bist…“

„Grundgütiger, Richard!“

unterbrach Jörn ihn.

„Seit wann redest du so um alles drum rum? Lass mich mal erzählen. Richard ist absolut unfickbar. Sollte dir ja inzwischen wohl aufgefallen sein, Mic, oder? Tja, und ich bin es auch. Wir haben lange gedacht, das ändert sich, war aber nicht so. Und wir hatten ja auch so Spaß miteinander. Aber ganz ehrlich? Mir hat das Ficken gefehlt, und Richard auch, also haben wir uns immer mal wieder jemanden dazu geholt. Jemanden, der gern den Arsch hingehalten hat. War aber irgendwie nicht das, was wir auf Dauer so toll fanden und wir haben uns immer öfter wegen solcher Geschichten gefetzt. Irgendwann hat Richard sich dann in nen anderen Typen verliebt und mich sitzen lassen. Für einen, den er ficken konnte. Ende und aus, dachte ich. Ich konnte den Typen leiden wie Bauchweh, was im Nachhinein übrigens schade war, denn der war mir gegenüber nicht abgeneigt. Als das mit Richard und diesem… wie hieß der noch? Rolf? Ralf? Jedenfalls als Richard dann die Nase voll hatte von dem Typen und ihn endlich zum Teufel gejagt hat, da sind wir auf die Idee gekommen, dass wir uns nen dritten suchen könnten. Also so auf Dauer. Ok, bei der Idee ist es lange geblieben. Dann war da Emil bei mir… nix für Richard. Und dann bist du aufgetaucht. Und vor ein paar Wochen ist uns dann aufgegangen, dass das eigentlich perfekt wär. Richard wollte jedenfalls mal seine Fühler vorsichtig ausstrecken, was du davon halten würdest und ich hab versprochen, solange die Schnauze zu halten. Jetzt bist du im Bilde. Echt jetzt, Richard, du bist doch sonst nicht so sprachbehindert.“

Jörn musterte Richard wie eines der sieben Weltwunder. Richard dagegen schaute demonstrativ auf seine Hände vor sich.

„Wenn ich mit dir rede nicht, aber mit Mic…“

Jetzt schaute er doch auf, ein vorsichtiger Blick zu Mic, der mal wieder mit dem Begreifen nicht hinterher kam.

„Mic, das war nicht so geplant, aber es stimmt. Es wäre eine… Möglichkeit. Zumindest für Jörn und mich. Ob es für dich auch eine wäre, es zumindest zu versuchen, musst du entscheiden.“

Mic schaute von einem zum anderen, tausend widersprüchliche Gefühle breiteten sich wie zähflüssiger Sirup in ihm aus.

„Ich muss… darüber nachdenken, glaub ich.“

antwortete er zögernd.

„Was bin ich dann für euch? Der, den ihr vögeln könnt, weil ihr das untereinander nicht auf die Reihe bekommt? Soll ich mich jetzt etwa geehrt fühlen?“

„Natürlich nicht. Du bist…“

versuchte Richard zu antworten, aber Mic brachte ihn plötzlich sehr wütend zum Schweigen.

„Aber dann war mein Gefühl doch absolut richtig. Da war und ist noch was zwischen euch. Ihr habt mich belogen, alle beide… die ganze Zeit. Und ich zermarter mir das Gehirn deswegen. Wie war das, Richard? ICH quäle uns, statt den Mund aufzumachen? Alles ist ok, solange ich ehrlich zu dir bin? Dass ich nicht lache. Was ist denn dann bitte das hier? Und du, Jörn? Ergehst dich in Andeutungen, die bei mir total anders ankommen mussten. Ihr seid solche… solche Arschlöcher.“

Mic zitterte vor Wut … und vor Enttäuschung. Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit.

„Spätestens als du mich abgeholt hast, hättest du es mir sagen können, Richard. Aber nein, du erzählst mir ich sollte mal auf die Kette kriegen, was mit mir und Jörn ist und so einen Schwachsinn. Und Jörn wäre nur mit in Köln gewesen, weil’s dir mies ging. Was denkst du dir bei sowas? Hä? Sag schon!“

„Richard ging es wirklich mies und ich bin wirklich deswegen mitgefahren.“

versuchte Jörn zu besänftigen.

„Das mit uns… das war auch alles gar nicht so geplant. Es hat sich ergeben, das muss dir jetzt doch auch einleuchten, oder? Und irgendwann haben Richard und ich dann eben gemerkt, dass es genau das sein könnte, was wir immer wollten.“

Jörn wandte sich wieder Richard zu.

„Wir haben doch darüber geredet in Köln. Hättest du vorher schon mal was gesagt, dann wär Mic gar nicht so ausgeflippt, als er in Köln war. Und eigentlich hast du mir da versprochen, Mic alles zu erklären. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass du dich gedrückt haben könntest. Bis Mic mich vorhin gefragt hat, warum wir uns eigentlich getrennt haben. Da dämmerte mir, dass er vielleicht überhaupt noch keine Ahnung hat.“

Richard saß da wie ein Häufchen Elend.

„Ich konnte nicht. Da hab ich doch noch gedacht, er wollte sich von mir trennen, und dann hat er mir vor ein paar Tagen erzählt, was ihn wirklich so bedrückt. Ein ziemlicher Hammer, den er da mit sich rumschleppt. Und dann soll ich in so einer Situation mit dem Scheiß anfangen? Das ging ja wohl mal gar nicht…“

„Das ist kein Scheiß!“

erzürnte sich nun Jörn.

„Es ist das, was wir uns immer gewünscht haben, und die Chance, dass es Mic genauso geht, war gut. Bezeichne das nicht als Scheiß, hörst du?“

Richard wurde nun auch lauter.

„Du weißt, dass ich das so nicht gemeint hab. Ich wünsch mir das genauso wie du, aber ich hab einfach den richtigen Moment nie erwischt! Und ich sag‘s nochmal: Es war total überflüssig, die ganze Vorgeschichte breitzutreten!“

„Für Ehrlichkeit gibt es keine richtigen und falschen Momente. Hat es zwischen uns nie gegeben. Wie soll denn das zu dritt funktionieren, wenn wir nicht ehrlich zueinander sind?“

Mic war fassungslos. Mittlerweile schrien die beiden sich fast schon an.

„Hört auf damit, verdammt!“

Erschrocken blickten Jörn und Richard zu Mic.

„Lasst mich allein, bitte.“

sagte Mic dann leiser, wo er sich nun endlich wieder Gehör verschafft hatte.

„Ich muss nachdenken, brauch ein bisschen Zeit für mich.“

Richard ließ den Kopf hängen.

„Scheiße, Mic. Aber hast ja Recht. Jetzt brüllen wir hier auch noch rum…“

Auch Jörn machte ein betretenes Gesicht.

„Willst du wirklich, dass wir gehen?“

Mic nickte, stand auf.

„Ja. Ich muss mich einfach… ein bisschen sortieren. Können wir morgen telefonieren? Vielleicht können wir ja auch morgen weiter reden. Mal sehen.“

Auch Richard erhob sich, war mit zwei großen Schritten bei ihm und machte Anstalten, ihn in die Arme zu ziehen. Mic schob ihn weg.

„Bitte, ich brauch ein bisschen Zeit, ja? Himmel, jetzt seht mich doch nicht so an. Ist das so unmöglich zu verstehen?“

Es brauchte dennoch ein paar weitere Überzeugungsversuche, bis Mic die beiden Männer aus seiner Wohnung geschoben hatte.

Erschöpft ließ er sich aufs Sofa fallen. Endlich allein.

Wüst schwirrten all die neuen Eindrücke und Tatsachen durch seinen Kopf und wollten sich auch nicht ansatzweise ordnen lassen. Abstand. Sein Kopf brauchte vermutlich einfach eine Pause. Als Mic die Grappa-Flasche aus dem Schrank holte, musste er in Erinnerung an deren letzten fast-Einsatz lachen, aber es war ein bitteres Lachen.

Diesmal trank er wirklich, Antibiotikum hin, Erkältung her. Er brauchte eine Pause, und bald schon spürte er die einlullende Schwere des Alkohols, rollte sich in seinem Bett zusammen und überließ sich der Wirkung.

 

 

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