Good bye Amerika – Teil 6

Ich war von mir selbst überrascht. So viel hatte ich noch nie gefrühstückt. Aber ich musste auch zugeben, dass hier alles extrem lecker schmeckte. Wie von zu Hause gewohnt, räumte ich meine Sachen ins Waschbecken und stellte die restlichen Lebensmittel in den Kühlschrank.

Was ich nicht wusste, stellte ich einfach aufs Küchenboard. Ich nahm einen Lappen und wischte den Tisch noch ab, bevor ich mein Werk betrachtete.

„Bei Darleen hast du jetzt mindestens fünf Steine im Brett.“

Erschrocken fuhr ich herum. Abby stand unbemerkt im Türrahmen.

„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, meinte Abby.

„Nicht so schlimm… äh die Sachen, ich weiß nicht, wo sie stehen… ich habe sie einfach aufs Board gestellt.“

Abby lächelte mich an.

„Du bist ja ein richtig kleiner Hausmann.“

Verlegen zuckte ich mit den Schultern.

„Die letzten zwei Jahre habe ich mich fast immer um den Haushalt kümmern müssen“, meinte ich traurig.

Abby ging an den Kühlschrank und holte sich eine Flasche Wasser heraus.

„Auch ein Glas?“

„Nein danke… ich bin randvoll.“

Wieder lächelte meine Tante.

„Weißt du Tom, ich denke, es wird noch vieles geben, was für dich selbstverständlich ist, aber für uns ungewöhnlich. Ich denke einfach, dass wird sich mit der Zeit schon geben.“

„Glaubst du?“

„Ja, klar! Tom, versuche einfach in die Zukunft zu schauen. Auch wenn dir das jetzt etwas schwierig erscheint, aber es funktioniert. Mir ist schon klar, dass dich noch Einiges runterziehen wird und ich kann mein Angebot nur wiederholen… du kannst jederzeit zu uns kommen, und damit mein ich auch UM jede Zeit!“

Ich nickte. Nun bekam ich doch Durst. Ich ging an den Schrank, wo Abby sich vorher schon ein Glas herausgenommen hatte und tat dasselbe. Als ich mich an den Tisch setzte, hatte Abby bereits die Flasche aufgedreht und schenkte mir ein.

„Ich habe … von Dad geträumt… heut Nacht.“

„Dein Albtraum?“

Ich nickte.

„Seit… einem Monat träume ich davon… dass Dad mich….“

Ich brach ab, es lief mir kalt den Rücken herunter. Mit den Fingern fuhr ich nervös die Konturen des Glases nach.

„Tom, du musst mir nichts erzählen… es war nur ein Angebot!“

„Ich will aber… davon erzählen. Es sind so viele Dinge in meinem Kopf. Die Frau vom Jugendamt sagte… ich solle nicht alles in mich hineinfressen… hat mir einen Termin bei einem Psychologen gemacht…“

„Bist du hingegangen?“, fragte Abby und trank einen Schluck.

Ich schüttelte den Kopf.

„Warum nicht?“

„Würdest du einem wildfremden Menschen erzählen, was in dir vorgeht?“, fragte ich und schaute ihr direkt in die Augen.

Sie atmete tief durch und sah mich ebenso durchdringend an, wie ich sie.

„Genau gesehen, bin ich für dich auch eine Fremde, Tom…“

„Du bist meine Tante.“

„Und doch kennst du mich nicht.“

„Ich mag dich…“

Wieder zuckten ihre Mundwinkel nach oben.

„Danke“, grinste sie.

„Ich bin jetzt erst seit einem Tag da und… irgendwie fühl ich mich schon zu Hause, auch wenn mir mein anderes zu Hause sehr fehlt. Ihr habt etwas an euch…“

„… das sehr vereinnahmend ist… irgendwo habe ich das schon mal gehört“, beendete Abby meinen Satz.

„So wollte ich das nicht ausdrücken.“

„Aber es ist doch sehr treffend, oder?

Ich nickte.

„Wegen Dad…, dass er stetig betrunken war… daran hatte ich mich irgendwie gewöhnt.“

Abbys Gesicht wurde wieder ernst.

„Aber die Abstände zwischen dem Betrunkensein wurden immer kürzer… es gab Tage… da lag er nur noch im Bett und war überhaupt nicht mehr ansprechbar…“

Abby nahm meine Hand in die Ihrige.

„Bis zu dem Abend… als er mich plötzlich anschrie. Er machte mich für alles verantwortlich. Besonders, dass Mum wegen mir weggelaufen wäre.“

„Glaubst du das?“

„Ich weiß nicht…“

„Tom, das darfst du niemals glauben. Ich kenne die Schwester meines Mannes nur zu gut. Und wenn ich eins weiß, dass du bestimmt nicht der Grund ihres Verschwindens warst.“

„Du kennst Mum?“

„Ja…“

„Woher…? Ich dachte, Onkel Bob ist ungefähr zur gleichen Zeit ausgewandert, wie Mum verschwunden ist.“

„Eigentlich hatten Bob und ich ausgemacht… dir das noch nicht zu sagen…“

„Was?“

„Deine Mutter ist nicht verschwunden. Na ja… für uns jedenfalls nicht.“

„Du… ihr wisst, wo sie ist?“

„Ja…“

Irgendwie war ich jetzt sprachlos. So viele Gedanken schossen mir jetzt durch den Kopf.

„Es tut mir leid, Tom.“

„Muss es nicht… wenn ich ehrlich bin… ich glaube nicht, dass ich wissen will, wo sie ist… jedenfalls jetzt noch nicht.“

Abby holte tief Luft und atmete wieder aus. Ich sah sie wieder an.

„Ich sollte mich erst mal um mich kümmern, oder?“, fragte ich und bekam sogar ein kleines Lächeln hin.

Wie ein Schalter, den man umgelegt hatte, erschien bei Tante Abby ebenfalls ein Lächeln.

„Richtig so und ich denke, du fängst gleich damit an.“

Ich sah sie fragend an.

„Kannst du reiten?“

„Ähm… nein.“

„Gut. Ich habe jetzt eine Stunde Zeit, bis mein nächster Patient kommt und zudem ist Bob ja auch noch da.“

„Ähm… was willst du jetzt machen?“

„Mit dir ausreiten.“

„Bitte? Ich kann nicht reiten…“

„He, ich bin dabei… kein Vertrauen?“

Abby stand auf und reichte mir lächelnd eine Hand. Ich griff nach ihrer Hand und sie zog mich hoch.

*-*-*

Etwas unsicher und nervös saß ich im Sattel. Abby hatte eine Leine an dem Halfter meines Pferdes befestigt und so trotteten wir ruhig nebeneinander her. Am Anfang hatte ich mich noch etwas krampfhaft an den Zügeln festgehalten.

Aber je länger wir unterwegs waren, desto mehr entspannte ich mich und konnte der Reiterei sogar etwas Positives abgewinnen. So heiß wie gestern war es heute nicht, das lag auch daran, dass die Sonne nicht so brannte und sich hinter den Wolken versteckte.

„Ich glaube, wir bekommen noch ein Gewitter“, meinte Abby.

„Das sind doch nur ein paar Wolken“, meinte ich und schaute zum Himmel.

„Glaub mir Tom, ich kenne unser Wetter hier. Es ist besser, wenn wir umkehren. Und, wie gefällt dir das reiten?“

„Gut… wenn es nicht schneller wird.“

„Och schade… gerade wollte ich mit dir im zünftigen Trab nach Hause reiten.“

Entsetzt und mit großen Augen sah ich sie an. Abby fing an zu lachen.

„Dein Gesicht solltest du jetzt mal sehen.“

Ich verzog mein Gesicht zur Grimasse und musste dann auch lachen. So langsam, wie wir hier her geritten waren, nahmen wir auch den Rückweg.

„Ach, da seid ihr!“, rief uns Molly entgegen, als wir mit den Pferden das Grundstück wieder erreichten.

„Dad hat euch schon gesucht.“

„Dein Vater ist vergesslich, denn ich habe ihm gesagt, dass wir ausreiten“, kam es von Abby.

„Und, war es schön?“, fragte Molly, die mein Pferd nun am Halfter festhielt.

„Ja“, antwortete ich und ließ mich vom Rücken des Pferdes gleiten.

„Mum, ich versorg die beiden, dann kannst du Dad helfend zur Seite stehen.“

Dieser Satz klang sarkastisch, das hatte sogar ich gehört.

„Wieso denn? Wer ist denn da?“

„Ich sag nur: Mrs. Greenwich.“

„Oje, ich eile schon“, meinte Abby und drückte Molly die Zügel ihres Pferdes in die Hand.

Und schon war sie verschwunden.

„Hilfst du mir?“, fragte Molly.

Ich nickte.

„Und, wie war deine erste Nacht in Australien?“

Ich schaute sie an. Sicher hatte sie auch meinen Schrei gehört.

„Etwas kurz… ich habe noch etwas Schwierigkeiten mit der Zeitumstellung.“

„Hast du nachher Lust, mit mir und Lesley um die Häuser zu ziehen?“

„Ich weiß nicht… ich will mich nicht aufdrängen.“

„Ach Quatsch! Würde ich sonst fragen, wenn du dich aufdrängen würdest?“

Sie zog beide Pferde in den Stall.

„Hältst du mal die Zügel?“, fragte sie und drückte mir ohne auf Antwort zu warten die Zügel in die Hand.

Jetzt, wo ich mit beiden Füssen wieder auf dem Boden war, kam mir das Pferd wieder so groß vor. Ich beobachtete Molly, wie sie das Pferd von seinem Sattel befreite und es in die Box zog.

Plötzlich merkte ich etwas an meiner Schulter. Ich schaute herum und sah, wie das Pferd hinter mir an meinem Shirt knabberte.

„Ich glaube… da hat jemand Hunger“, meinte ich und ging einen Schritt vor.

„Keine Sorge, Greg frisst keine Menschen. Gib ihm eine Möhre, bis ich mit Willi hier fertig bin“, meinte Molly.

Zaghaft nahm ich eine Karotte und führte sie zum Maul. Greg schnupperte erst daran, bevor er hinein biss.

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