Good bye Amerika – Teil 5

„Hallo Lesley. Schön, dass du auch hilfst.“

Er lächelte.

„Da habt ihr aber eine Menge ausgesucht“, meinte Abby.

„Ja… äh…“

„He Tom, das braucht dir nicht peinlich zu sein. So, ich muss zurück in die Praxis, Bob helfen… Viel Spaß beim Aufbauen.“

Ich sah auf den Berg von Kisten und zweifelte schon jetzt daran, irgendein Möbelstück fertig aufgebaut zu bekommen.

„Dann packen wir es mal an… was machen wir zu erst?“, fragte Lesley.

„Das alte Bett rauswerfen“, kam es von Molly und schon verschwand sie in meinem Zimmer.

Ich war es nicht gewohnt, dass man mir half. Trotzdem folgte ich den beiden, in der Hoffnung, dass wir etwas fertig brachten. Eine drei viertel Stunde später wuchtete Lesley die Matratze aufs Bett und wir ließen uns alle darauf fallen.

„Boah, ich dachte nicht, dass das so schwierig ist“, meinte Lesley und zog sein Tshirt aus.

Ich musste schlucken. Lesley sah gut aus. Nicht nur gut, ich würde sagen hübsch. Aber ich vergrub schnell die Gedanken, sie gehörten nicht hier her. Meine Müdigkeit machte sich bemerkbar und ich gähnte zum zigtausendsten Male.

„Jedenfalls hast du nachher ein Bett zum schlafen“, meinte Molly.

Ich nickte. Irgendwann rüttelte mich jemand sanft an meinem Arm. Ich öffnete meine Augen und sah Bob ins Gesicht.

„Möchtest du vielleicht Abendessen?“

Verwirrt schaute ich um mich. Ich musste eingeschlafen sein, denn meine Möbel standen und von Molly und Lesley war nichts mehr zu sehen.

„Ich bin wohl… eingeschlafen… entschuldige.“

„Ja, das haben wir bemerkt. Und ich muss sagen, du hast einen sehr festen Schlaf. Du hast nichts mehr davon mitbekommen, wie die beiden mit mir alles aufgebaut haben.“

„Tut mir echt Leid…“

„Muss es nicht. Die Zeitverschiebung, das verstehen wir doch.“

„Wo sind Molly und Lesley?“

„Sitzen drüben beim Abendessen, deswegen habe ich dich geweckt, ob du auch etwas möchtest.“

„Hunger habe ich schon.“

„Dann komm!“

Mühsam stand ich auf und sah noch Lesleys Tshirt auf dem Bett liegen, das ich wohl als Kopfkissen benutzt hatte. Ich schnappte es mir und folgte Bob in die Küche. Dort saßen bereits Molly und Lesley mit Abby und Darleen.

„Oh, von den Toten auferstanden“, kam es von Abby.

Ich nickte und reichte Lesley sein Tshirt, der sich dafür bedankte.

„Hoffe du hast gut geschlafen?“, lächelte er.

Er saß doch tatsächlich mit freiem Oberkörper am Tisch. Ich konnte nicht anders und starrte auf sein Muskelspiel, während er sich das Shirt wieder überzog.

„Setz dich, Tom“, meinte Bob und zeigte mir meinen Platz.

„Danke.“

So setzte ich mich neben Abby, auf den einzigen freien Platz. Ich verspürte auch etwas Hunger.

„Und wie geht es jetzt weiter?“, fragte Molly.

Eine Frage, die mich natürlich auch brennend interessierte. Bob nippte an seinem Glas Wasser und schaute zu Abby, die ihm zunickte.

„Also, ich denke, jetzt wo ihr drei Wochen Ferien habt, sollte sich Tom erst einmal eingewöhnen. Dann beginnt die Schule wieder, wo wir ihn bereits angemeldet haben. Es gibt keine Schwierigkeiten und Tom kann zu euch in die Klasse“, erklärte Bob.

„Cool“, brummelte Lesley mit vollem Mund.

„Wie ihr eure Ferien gestaltet, ist mir eigentlich egal“, begann Abby, „denke aber bitte daran, Molly, dass du weiterhin helfen musst. Also sprecht euch etwas mit uns ab, wenn ihr etwas Größeres vorhabt.“

Molly und Lesley nickten und sahen zu mir, der gerade herzhaft in sein Brot biss. Verlegen lächelte ich und Molly kicherte.

*-*-*

Auch wenn es schon spät war, hatte ich mir noch drei Kisten herein geholt, die ich in meinem Zimmer verräumen wollte. Nach den zwei Stunden Schlaf war ich wieder hell wach. Eigentlich hatte ich mit der Vergangenheit abschließen wollen, aber als ich die Kiste mit den Bildern auspackte, war alles wieder da.

Nach und nach kamen Bilder aus meiner Kindheit zum Vorschein. Glückliche Tage mit Mum und Dad. Urlaubsbilder oder das Bild der Einschulung. Auch das letzte Bild von Mum, bevor sie einfach verschwand.

Etwas tropfte auf den Bilderrahmen und ich merkte, dass es meine Tränen waren. Bis heute fragte ich mich, warum sie uns verlassen hatte. Liebte sie mich überhaupt…, war all das, was sie mir erzählt hatte, erlogen?

Ich nahm eine Reißzwecke, drückte sie in die Wand und hängte das Bild meiner Mum auf. Als ich mit der Kiste fertig war, hatte ich eine kleine Galerie an der Wand hängen. Als ich die nächste Kiste an mich heran zog, war ich irgendwie froh, dass Grandma mir alles nachgeschickt hatte.

Auch jetzt plagte mich der Zweifel, ob es richtig war, zu meinen, Grandma alle Sachen zu überlassen. Was, wenn sie hineingeschaut hätte. Gerade diese Kiste wäre nicht so gut gewesen.

Sie enthielt meine Tagebücher, die ich mit vierzehn begonnen hatte zu schreiben. Akribisch genau hatte ich jeden Tag seitdem eingetragen. Alle meine Gedanken – Ängste – Sorgen und auch die Probleme waren darin verzeichnet.

Jetzt war ich froh, dass sie nicht in den Staaten waren. Eigentlich wollte ich damit abschließen, als ich das aktuelle Buch mit hinein legte. Aber jetzt, wo ich es in Händen hielt, kam mir der Gedanke, doch weiter zu schreiben.

Ich beugte mich rüber zu meinem Rucksack und zog einen Stift heraus. Ich blätterte mich darauf durch die beschrieben Seiten der letzten Wochen, bis ich auf die erste unbeschriebene Seite stieß.

Kurz überflog ich das zuletzt Geschriebene.

>…war heute bei Dad. Laut Ärzte war er wieder nüchtern, trotzdem hatte er mich nicht erkannt. Er starrte an die Decke und nahm mich nicht mal wahr. Ich hatte seine Hand genommen, noch einmal gedrückt und mich verabschiedet. Dann war ich gegangen, ohne noch einmal zurück zusehen. Es tat weh. Doch es war wirklich besser so. Danach bin ich zu Grandma gefahren, um meine letzten Sachen zu packen. Und nun sitze ich hier, ein paar Stunden vor dem Abflug, in einem leeren Zimmer und weine. Weine deshalb, weil es so schrecklich weh tut, alles zurück zulassen, was ich geliebt hatte. Aber es ist nicht mehr so schlimm wie am Anfang. Alleine, dass ich Grandma und Grandpa nicht mehr sehen werde, ist noch schlimm für mich. Nun schließe ich dieses Tagebuch für immer…<

Ich zog die Kappe vom Stift und schrieb weiter. Ich schrieb auf, was ich seit meiner Ankunft in alles ergeben hatte und auch von Lesley, was er für ein netter Kerl war. Es klopfte. Ich klappte mein Tagebuch zu und legte es zur Seite.

„Ja?“

Die Tür ging auf und Bob schaute herein.

„Ich habe noch Licht bei dir gesehen. Da wollte ich schauen, ob alles klar ist.“

„Ja, ich habe noch etwas eingeräumt.“

Bob sah mich durchdringend an.

„Hast du geweint?“

Ich senkte meinen Kopf. Bob schloss die Tür und setzte sich neben mich aufs Bett.

„Ich weiß, dass dies alles hier schwierig ist und du sicher Angst vor dem hast, was auf dich zukommt. Sei aber sicher, du kannst jederzeit zu mir oder Abby kommen, wenn du ein Problem hast.“

„Danke“, meinte ich leise.

„Ich würde vorschlagen, du legst dich jetzt trotzdem hin und versuchst noch etwas zu schlafen, damit du dich an unsere Zeiten gewöhnst.“

Ich nickte und Bob wuschelte mir durchs Haar. Ich genoss diese Berührung, sie tat so gut. Dad hatte das lange nicht mehr gemacht.

„Gute Nacht“, sagte Bob und stand auf.

„Gute Nacht“, erwiderte ich, bevor Bob das Zimmer wieder verließ.

Ich schob die Kiste zur Seite und zog mich aus. Schlafshorts an und noch kurz auf die Toilette. Im Haus war es ruhig. Allein die kleine Lampe im Flur neben dem Telefon brannte. Die Toilette war leer, so besetzte ich es.

Wenig später im Zimmer, nahm ich meinen Rucksack zur Hand und entlud seinen Inhalt auf den Schreibtisch. Manche mögen mich für kindisch halten, aber ich freute mich, als mein kleiner Teddybär zum Vorschein kam.

Bis auf die Lampe am Bett schaltete ich sämtliche Beleuchtung im Zimmer aus. Das Fenster ließ ich offen, da ein angenehm kühler Luftzug hereinkam. Ich legte mich aufs Bett und schaltete nun auch die letzte Lampe aus.

Bis auf das Zirpen von Grillen und das Quaken von Fröschen, konnte ich nichts hören. Kein Krach, wie ich ihn aus den Staaten kannte, der in einer großen Stadt herrschte. Schwach schien das Mondlicht ins Zimmer und ich kuschelte mich in meine Decke, den Teddy immer noch im Arm.

„…du Nichtsnutz, du bist schuld, dass deine Mutter weggelaufen ist“, brüllte mein Vater und warf einen Teller nach mir. „Dad, bitte hör auf…“, schrie ich. Er kam auf mich zu und hob die Hand. Er blieb am Sofa hängen und stolperte der Länge nach auch den Boden, wo er mit dem Kopf am Couchtisch aufschlug…

Schweißgebadet wachte ich auf, saß kerzengerade im Bett. Die Tür ging auf und Abby schaute herein.

„Alles klar, Tom? Ich habe dich schreien gehört.“

Ich atmete tief durch und bemerkte jetzt erst, dass es schon morgen war und die Sonne durchs Fenster schien.

„… entschuldige, ich habe schlecht geträumt“, antwortete ich.

„Das kann ich mir vorstellen, so schlecht wie du aussiehst… willst du darüber reden?“

Sollte ich ihr erzählen, welche Träume mich seit Dads letztem Ausraster heimsuchten? Ich schüttelte den Kopf.

„… vielleicht später.“

„Ich würde dir vorschlagen, du gehst erst einmal duschen. Frühstück steht schon für dich in der Küche.“

„Wie viel Uhr haben wir denn?“, fragte ich.

„Gleich zehn Uhr.“

„So spät schon…? Warum habt ihr mich nicht geweckt?“

„Tom, wir dachten, wir lassen dich erst mal schlafen. Die lange Reise gestern, dann noch der Mammuteinzug gestern. War doch recht heftig.“

„Okay… danke.“

„Dann bis später, sagte Abby und verschwand wieder.

Ich strich mir übers Gesicht und atmete noch einmal tief durch. Jetzt bei Tageslicht, wanderte mein Blick durch mein Zimmer. Wenn ich auch noch die restlichen Bilder von Zuhause aufhängen würde, wäre es doch recht wohnlich.

Zuhause – nun war das hier mein Zuhause. Ich stand auf und ging zum Schrank, mir frische Wäsche zu holen. Zu Duschen wäre sicherlich keine schlechte Idee, so verklebt wie ich mich fühlte.

Dass die Sonne schon wieder kräftig am Scheinen war, spürte ich an der Wärme, die durch das offene Fenster herein strömte. So ging ich zum Fenster und schloss das Rollo. Danach wanderte ich zur Toilette.

Wie gestern Abend sah ich niemandem im Flur, nur Geräusche aus der Praxis konnte ich wahrnehmen. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich eigentlich in dem Flur stand, in dem auch Kunden mit ihren Tieren vorbei liefen.

Schnell verschwand ich in der Toilette. Schnell war ich wieder in meinem Zimmer und betrat mein Bad. Ich drehte die Dusche auf und stieg hinein. Das Wasser war eine Wohltat auf meiner Haut. Ich weiß nicht, wie lange ich darunter gestanden hatte, als es an der Tür klopfte.

„Tom?“ Grandma hat gerade angerufen, ob du gut angekommen bist, ich habe ihr gesagt, du rufst nachher zurück“, hörte ich Abby rufen.

„Ja, danke!“, antwortete ich und stellte das Wasser ab.

Stimmt, ich hatte versprochen mich nach der Ankunft bei Grandma zu melden. So trocknete ich mich ab und zog frische Klamotten an.

Schnell war ich in Shorts und Tshirt geschlüpft und ging zur Küche. Wie Abby versprochen hatte, stand Frühstück auf dem Tisch. Recht üppig, wie mir auffiel. Wollte sie mich mästen?

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