Endlich machte ich mich daran, auch den Rest der Kartons einzuräumen. Was sich da alles angesammelt hatte! Am Schluss standen da noch vier Kartons mit Sachen, die ich wirklich nicht auspacken wollte.
Ich ging in die Küche, fand aber niemand. Also öffnete ich die Tür zur Praxis. Hinter der Tür befand sich ein langer Flur. Durch Glasscheiben konnte ich den Warteraum sehen, in dem drei oder vier Leute mit ihren Tieren saßen.
Danach waren alle Scheiben mit Jalousien versehen. Ich „klopfte“ mich von einer zur nächsten Tür. Ich fand ein Art Labor und dann natürlich den Op. An der dritten Tür konnte ich Stimmen hören.
Wieder klopfte ich.
„Ja?“, hörte ich von drinnen.
Ich öffnete die Tür und schaute hinein.
„Ah, hallo Tom… einen Augenblick, ich habe gleich Zeit für dich.“
Bob legte einem Hund an dessen linken Vorderbein einen Verband an.
„So, Candy. Kommen sie übermorgen wieder, dann schauen wir die Wunde wieder an. Bis jetzt ist ja alles gut verheilt“, meinte Bob und half der Frau den Hund vom Untersuchungstisch zu heben.
Sie reichten sich die Hand und die Frau verließ mit einem Nicken zu mir den Untersuchungsraum. Bob riss das Papiertuch, das auf dem Untersuchungstisch lag, ab und zog ein Neues auf.
Bob sah mich an.
„Was ist?“, fragte er.
„Ich habe ein paar Kartons übrig mit Sachen, die im Karton bleiben sollen. Kann ich die irgendwo abstellen?“
„Ja, klar. Auf dem Speicher ist genug Platz.“
Die Tür ging auf und Abby streckte den Kopf herein.
„Oh, hallo Tom. Bob, kann ich dir den nächsten Patienten schicken?“
„Ja, nur rein damit!“
„Okay, dann geh ich mal wieder rüber“, meinte ich und drückte mich an Abby vorbei.
„Gibt es ein Problem?“, wollte Abby wissen.
„Nein, ich wollte nur wissen, wo ich die vier Kartons, die ich nicht auspacken möchte, unterbringen kann. Bob meinte, auf dem Speicher.“
„Ja, klar. Da ist Platz. Du weißt, wie man zum Speicher kommt?“
Ich schüttelte den Kopf.
„Treppe rauf und die zweite Tür rechts, da ist der Aufgang.“
„Danke“, meinte ich und verließ darauf wieder die Praxis.
Zurück in der Wohnung, schnappte ich mir den ersten Karton und stieg die Treppe hinauf. Hier oben war ich noch nicht. Was sagte Abby? Zweite Tür rechts… oder war es links. Mein Gedächnis ist ein Sieb!
Ich stellte die Kiste auf dem Boden ab und öffnete als erstes die linke Tür. Die war wohl falsch, denn ich war anscheinend in Mollys Zimmer gelandet.
„Suchst du mich?“, hörte ich eine Stimme hinter mir.
„Ähm… eigentlich nicht, ich wollte auf den Speicher.“
„Die Tür gegenüber“, meinte Molly und drängelte sich an mir vorbei in ihr Zimmer.
„Molly, bist du schon oben?“, hörte ich Lesleys Stimme von unten.
„Ja“, rief sie, „und Tom ist bei mir.“
Ich hörte Lesley die Stufen herauf rennen. Als ich die Tür zum Speicher geöffnet hatte, erschien er auf dem Stockwerk.
„Hallo Tom. Und – schon fit?“
„Ja, kann nicht klagen.“
„Was machst du?“
„Ein paar Kartons wegräumen.“
„Molly sagte, du gehst nachher mit uns in die Stadt.“
„Ja, sie hat es mir angeboten.“
„Cool, dann können wir uns vielleicht noch besser kennen lernen.“
Wollte ich das? Freundschaftlich klopfte er mir auf die Schulter und ging in Mollys Zimmer. Nachdenklich schnappte ich mir den Karton und stieg nun auch diese Treppe nach oben. Dort angekommen, befand ich mich in einem großen Raum.
Von wegen Platz, wie Bob meinte. Hier stand schon alles voll. Also lief ich durch den Raum und suchte einen passenden Platz für meine Kartons. Fast ganz hinten fand ich dann den Platz. Ich stellte den Karton ab und machte mich auf den Rückweg.
Gerade als ich die Treppe herunter wollte, kam mir eine meiner Kisten entgegen.
„Soll die auch hier rauf?“
Das war Lesley, der hinter dem Karton auftauchte.
„Ja, danke… ähm der kommt nach da hinten…“, erklärte ich.
Ich schaute Lesley nach, bis er zu mir zurückkam.
„Alle, die da unten stehen?“
„Ja“, antwortete ich.
Warum half er mir dauernd… ich war doch eigentlich ein Fremder für ihn? Zudem war ich es immer noch nicht gewohnt, dass man mir half. Nach und nach wanderten alle restlichen Kisten auf den Speicher, bis der Flur unten wie bei meiner Ankunft aussah.
„Danke fürs rauf tragen“, meinte ich leise.
„He, ist doch Ehrensache!“
Ich schaute ihn fragend an, aber ich bekam keine Antwort. Er drehte sich um und lief die Treppe hinunter. Ich folgte ihm und schloss die Tür zum Speicher hinter mir. Mir fiel ein, dass ich noch ein paar Poster aufhängen wollte.
Der Computer musste noch angeschlossen werden. Bob hatte irgendetwas von WLAN gesagt, da musste ich noch einmal nachfragen. Also ging ich ebenso still wieder in mein Zimmer hinunter.
Ich stöpselte die verschiedenen Stecker in meinen Pc, stellte die Boxen auf. Der Berg CDs störte mich noch, den wollte ich nicht einfach so auf dem Boden stehen lassen. Ich verließ mein Zimmer und ging in die Küche.
Dort traf ich wie vermutet Darleen an.
„Darleen… hallo… eine Frage…“
„Hallo Tom… was willst du denn wissen?“
„Gibt es hier irgendwo noch eine ungebrauchte Orangenkiste?“
„Für was brauchst du die denn?“
Ich möchte mir ein CD-Regal bauen.“
„CD… aha… gibt es sowas nicht zu kaufen?“
„Doch schon… aber ein selbstgebautes hat nicht jeder… zuha… in den Staaten hatte ich auch eins.“
Darleen lächelte.
„Dann brauchst du sicher auch Werkzeug, oder?“
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.
„Ja, klar“, meinte ich und merkte, wie ich nun auch schon dieses „ja, klar!“ übernommen hatte.
„Dann komm mal mit, ich zeig dir, wo du das Werkzeug finden kannst.“
So folgte ich Darleen durch die Hintertür nach draußen. Gleich am Haus angebaut war die Garage, die Tür stand offen. Hier stand Bobs Geländewagen. Der Kombi schien wohl Abby zu gehören.
„Hier ist alles, was dein Herz begehrt“, meinte Darleen und zeigte auf eine Wand voller Werkzeuge.
„Bob hat sicher nichts dagegen, wenn du sie benutzt. Nur räume bitte alles wieder auf. Bob ist da sehr pingelig, was die Ordnung angeht. Orangenkisten findest du neben der Garage, bei den Mülltonnen.“
„Danke“, entgegnete ich lächelnd.
Darleen verließ die Garage wieder und ich folgte ihr. Neben der Garage – bei den Mülltonnen hat sie gesagt. Und ich fand sie wie beschrieben. Dort lagen recht viele Kisten, auch in verschiedenen Größen.
Da lag eine, die schien mir noch perfekter, als die anderen Kisten. Recht lang und genau passend, um die CDs hineinzustellen. Ich schnappte mir das gute Stück und ging zurück in die Garage.
Ich entfernte zwei der inneren Querbretter und betrachtete mir die Kiste. Nachdem ich einige überstehende Nägel und Holzstücke ebenfalls beseitigt hatte, kam mir der Gedanke, dass die Kiste etwas Farbe vertragen könnte.
Ich sah mich in der Garage um. In einer Ecke standen Eimer und Dosen. Nachdem ich die Kiste abgestellt hatte, umrundete ich Bobs Wagen, bis ich die Eimer erreicht hatte. Volltreffer, da war Farbe drin.
Ein Etikett nach dem anderen studierte ich, bis ich bei einer kleinen Dose mit blau hängen blieb. Ich schüttelte kurz, um mich zu vergewissern, dass auch noch Farbe drinnen war. Doch einfach so wollte ich die Farbe nicht benutzen. Zuerst wollte ich Bob fragen.
Und einen Pinsel hatte ich auch noch nicht. So stellte ich die Dose neben meine Kiste und ging wieder ins Haus, wo ich den Betreffenden sogar gleich in der Küche antraf.
„Bob… könnte ich etwas von der blauen Farbe in der Garage verwenden?“
Er setzte sein Glas Wasser ab.
„Darleen hat schon erzählt, du würdest etwas bauen… Ich habe noch blaue Farbe? Meinetwegen… aber mach den Pinsel richtig sauber, wenn du fertig bist.“
Ich nickte und verschwand wieder. In der Garage angekommen, kam mir in den Sinn, ich hätte vielleicht fragen sollen, wo die Pinsel sind, oder nur einer. Da ich nichts auf den Regalen entdecken konnte, zog ich eine Schublade nach der anderen auf.
Wofür brauchte Bob nur so viel Werkzeug? Aber gut zu wissen, dass hier alles vorhanden war. Wer weiß, wofür man es mal brauchen konnte. Dad hatte eine alte Metallkiste in der Kammer stehen. Das Werkzeug darin hatte bestimmt schon zwei Kriege hinter sich.
Gegen die Metallkiste war das hier ein richtiges Paradies. Ah, hier war eine Schublade voller Pinsel. Eine Dose Waschbenzin stand auch dabei. Obercool, so musste ich nicht weiter suchen.
Ich schnappte mir ein Pinsel und öffnete den Dosendeckel mit einem Schraubendreher. Etwas zum herum rühren wäre auch nicht schlecht. Da ich aber auf die Schnelle nichts fand, schloss ich die Dose einfach wieder und schüttelte sie kräftig.
Das hatte fast den gleichen Effekt wie herum rühren. Nachdem ich sie wieder geöffnet hatte, tunkte ich den Pinsel ein und begann mit dem Streichen. Etwa eine halbe Stunde und die Kiste erstrahlte in einem herrlichen Blau.
Jetzt nur noch alles saubermachen, trocknen lassen und ich hatte das perfekte Regal. Wenig später, zurück in meinem Zimmer, ließ ich mich auf den Stuhl meines Schreibtisches fallen. Je mehr ich dieses Zimmer einräumte, umso ähnlicher wurde es meinem alten Zimmer in den Staaten.
Ich gestand mir aber ein, dass mir das gefiel und ich mich hier pudelwohl fühlte. Im Flur hörte ich Darleen >Essen< rufen. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es waren schon drei Stunden vergangen, seit ich gefrühstückt hatte.
Also konnte ich eine Kleinigkeit vertragen. Ich legte meinen Bären weg und ging in die Küche. Lesley schien hier wohl wirklich Dauergast zu sein, denn er saß bereits. Ich setzte mich auf denselben Platz, wie am Vorabend.
Nach und nach erschienen alle in der Küche und wenig später rieb ich mir über den Bauch. Schon wieder zuviel gegessen. Wenn dass so weiter ging, bekam ich sicherlich Gewichtsprobleme.
„Und ihr geht heut Mittag in die City?“, fragte Bob.
„Ja, wir wollen Tom etwas die Stadt zeigen… vielleicht auch Eis essen gehen, oder ähnliches“, antwortete Molly.
Lesley schaufelte immer noch, was für einen gesegneten Appetit der doch hatte.
„Gute Idee, so kommt er wenigstens raus und hockt nicht den ganzen Tag im Haus.“
Ich wollte auf Bobs Aussage schon protestieren, doch Abby war schneller.
„Komm schon, Bob! Tom war mit mir schon ausreiten.“
„Und er hat draußen in der Werkstatt gewerkelt“, kam es von Darleen.
Erstaunt schaute ich in alle Gesichter, die mich nur angrinsten. Was war hier nur am laufen? Alle so nett, alle hilfsbereit. Etwas, was mir völlig fremd war und doch gewöhnte ich mich an diesen Luxus.
„Was?“, fragte ich, als die Grinserei nicht aufhörte.
Alle schauten, als wären sie die Unschuld vom Lande.
„Wie kommt ihr in die Stadt? Soll ich euch fahren?“
„Nein, wir nehmen die Räder“, antwortete Lesley mit vollem Mund.
Äh… ich hatte kein Rad. Wie sollte ich das bewerkstelligen?