„Leute, ihr müsst schon ein wenig schneller gehen“, meinte Joshua.
Molly war abermals stehen geblieben, weil sie etwas im Schaufenster gefunden hatte. Ich blickte die Straße entlang. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass nun alle Leute sich schneller bewegten.
Kleiderständer wurden in die Läden geschoben, Auslagen abgeräumt. Molly hatte aufgegeben, weiter zu schauen und es ging weiter. Es dauerte auch nicht mehr lang, bis wir die Schule erreicht hatten.
„Also Leute, kommt gut heim…, viel Glück!“, meinte Joshua, als er sein Fahrrad aufgeschlossen hatte und losfuhr.
„Warum sagt er viel Glück?“, fragte ich, während ich meinen Helm aufzog.
„Schau nach oben, dann weißt du es.“
Ich schaute nach oben – ja, da waren Wolken. Gut, sie färbten sich etwas gelb, aber was war daran so besonders?
„Lesley, er ist nicht von hier, das kann er nicht wissen“, meinte Molly, die nun auf ihr Rad stieg.
„Siehst du das Gelbliche am Himmel?“, fragte Lesley.
„Du meinst, die gelben Wolken?“
„Das sind nicht die Wolken, die haben eine normale Farbe. Es ist der Sand…“
„Der Sand? … so hoch?“
„Ich erklär dir das später… wir müssen unbedingt los, wir müssen noch ein Stück fahren.“
Ich nickte, während mir Molly mittlerweile etwas ängstlich erschien. Wir fuhren nicht denselben Weg zurück, wie wir gekommen waren. Lesley lotste uns durch enge Straßen und Gassen. Der Wind nahm zu und ich hatte das Gefühl, als würde eine unsichtbare Hand mich bremsen.
„Lesley“, rief Molly, „ich glaube, wir schaffen das nicht mehr.“
„Das befürchte ich auch. Wir müssen uns einen Unterstand suchen.“
Was meinten die Beiden? Überdachungen gab es hier genug, doch Lesley fuhr einfach daran vorbei. Und überall sah ich Leute, die ihre Sachen ins Haus räumten.
„Kann mir jemand mal sagen, was los ist?“, fragte ich besorgt.
„Später Tom, wir müssen erst eine Unterkunft finden.“
Ich musste scharf abbremsen, da ich dicht hinter Molly fuhr und so die Kiste, der sie auswich, nicht gleich sah.
„Komm Tom, nicht trödeln“, rief Lesley.
„Ja… aber…“
Der Wind nahm zu und plötzlich spürte ich auf meinen Armen und meinem Gesicht kleine Stiche.
„Lesley, es fängt an…“, schrie Molly.
„Da… die Garage, sie steht offen“, meinte Lesley und zeigte nach vorne.
Zielsicher hielt er darauf zu, ohne langsamer zu werden. Ich kniff meine Augen zusammen, denn mittlerweile flog mir nun auch Sand in die Augen. Mit einem irren Tempo fuhren wir alle drei in die Garage.
Natürlich blieb es nicht aus, dass wir beim bremsen zusammen stießen. Lesley ließ sein Fahrrad fallen und rannte zum Tor, das er zuzog.
„Gibt es hier Licht?“, fragte Molly, als es dunkel wurde, nachdem Lesley die Tore verschlossen hatte.
„Ich weiß es nicht… Moment, ich hab ein Feuerzeug dabei“, meinte Lesley.
Links von mir flammte ein Licht auf, ich schreckte etwas zurück. Im Schein des Lichtes konnte ich nun Lesley und Molly erkennen.
„Könnt ihr mir jetzt sagen, was los ist?“, fragte ich immer noch irritiert.
„Ganz einfach. Drei oder vier Mal im Jahr sucht Griffith ein Sandsturm heim“, erklärte Molly.
„Ein Sandsturm?“
„Ja, ein Sandsturm… wie du vielleicht weißt, sind wir von Wüste umgeben“, meinte Lesley.
„Aber ich dachte…“
„Was dachtest du?“
„Ach ich weiß auch nicht, wir sind hier in der Stadt und…“
„…werden vom Sturm verschont? Falsch gedacht. Er fegt durch die Straßen und durchdringt jede Ritze.“
„Shit, ich habe mein Fenster offen gelassen“, meinte ich.
„Keine Sorge, Dad oder Mum werden es geschlossen haben.“
„Autsch…“
Das Licht ging aus.
„Ich hab mir die Finger am Feuerzeug verbrannt“, jammerte Lesley.
Mittlerweile war es draußen recht laut geworden. Deutlich konnte ich den Wind hören. An der Blechwand der Garage hörte ich ein Scheuern, als würde jemand dran schleifen. Die Tore wackelten.
„Hoffentlich halten die Tore“, meinte Molly ängstlich.
Plötzlich hörte ich einen Klingelton eines Handy. Rechts von mir. Da stand Molly. Als sie es aus der Tasche zog, konnte ich sie schwach erkennen, weil ihr Display hell erleuchtet war.
„Ja?“, hörte ich sie fragen.
„Nein Mum, wir stehen hier in einer Garage… ja uns geht es allen gut… nein, wir werden nicht rausgehen, bevor Entwarnung kommt… ja Mum… ja Mum… ist gut Mum… ja machen wir Mum, bye!“
Anscheinend hatte Abby ein paar Ratschläge gegeben, die Molly nervten. Das ließ mich jedenfalls der genervte Tonfall erahnen.
„Mum, meinte, wir sollen bleiben wo wir sind.“
„Ich werde da bestimmt nicht rausgehen“, kam es von Lesley.
Da flammte links von mir wieder die kleine Flamme auf.
„Hier wird es doch sicher irgendwo ein Lichtschalter geben, es hängt jedenfalls eine Birne von der Decke“, sprach Lesley weiter.
„Wo?“, fragte ich und drehte den Kopf.
Ich hatte sie bereits gefunden, denn ich schlug mit dem Gesicht gegen sie.
„Ja, genau dort“, meinte Lesley.
„Da ist ein Schalter“, meinte Molly und lief Richtung Tore.
Aber sie kam nicht weit. Mit einem kurzen Schrei stürzte sie nach vorne. Das Licht neben mir erlosch.
„Molly, ist dir was passiert?“, rief Lesley besorgt und versuchte vergebens, sein Feuerzeug wieder zum Brennen zu bringen.
„Ich bin irgendwo hängen geblieben… Mann, tut das weh…“
„Hast du dich verletzt?“, fragte ich.
„Ich bin auf mein Knie gefallen.“
Vorsichtig tastete ich mich in Mollys Richtung. Da ich schnell merkte, dass ich so nicht weiter kam, ging ich zu Boden und krabbelte weiter. Lesley versuchte immer noch, das Feuerzeug in Gang zu bringen.
Die kurzen Lichtblitze erleichterten es mir, Molly zu finden. Plötzlich spürte ich einen Schuh und Molly schrie.
„Da ist etwas“, schrie sie und zog den Schuh zurück.
„Das bin ich“, versuchte ich, sie zu beruhigen.
„Mann, Tom, erschreck mich doch nicht so.“
„Ich krieg das verdammte Ding nicht mehr an“, meckerte Lesley.
„Wo war der Schalter denn genau… Molly?“, fragte ich.
„Wieso?“
„Ich versuch, da irgendwie hinzukommen.“
„Rechts vom Tor, ungefähr in mittlerer Höhe.“
Vor mir lag ein Holzbalken, über den Molly wahrscheinlich gestürzt war. Vorsichtig tastete ich mich Richtung Tor, dessen rumpelndes Geräusch ich hörte. Es dauerte nicht lange und ich hatte es erreicht.
„Wo bist du, Tom?“, hörte ich Lesley rufen.
„Am Tor… Moment.“
Langsam stand ich auf und tastete mich nach rechts. Mit den Schuhen fuhr ich schrittweise nach vorne, um nicht auch über etwas zu stolpern. Mit den Händen tastete ich mich am Tor entlang, bis es endete.
Die Seitenwand begann.
„Tom?“, rief Molly.
„Moment bitte… hab es gleich!“
Ich suchte die Wand ab, konnte aber erst nichts finden.
„Bist du sicher, dass da ein Schalter ist?“, fragte ich Molly.
„Ja…, ich habe ihn deutlich gesehen.“
Also tastete ich weiter, immer im Kreis, hoffend, dass ich ihn fand. Langsam wanderte ich mit den Händen höher und plötzlich stieß ich mit dem Handgelenk gegen etwas. Ich erfühlte, was es war.
Wenige Sekunden später flammte die Birne in der Mitte der Garage auf. Ich kniff die Augen zusammen, denn sie war doch sehr hell. Aber langsam gewöhnten sich meine Augen an das Licht und ich erkannte Molly vor mir liegen.
„Du blutest am Knie“, hörte ich Lesley sagen.
Das konnte ich aus meiner Position nicht sehen. Ich lief zu Molly und sah die Schramme, die sie sich zugezogen hatte. Das Blut rann bereits an der Seite des Knies herunter.
„Mist, ich habe nichts dabei…“, meinte Lesley und sah sich in der Garage um.
Ich durchsuchte die Taschen meiner Shorts, konnte aber nur ein zerdrücktes Taschentuch finden. Was solls. Ich kniete mich zu Molly.
„Hier“, meinte ich und drückte es vorsichtig auf die Wunde.
„Aua“, rief Molly und verzog das Gesicht.
„Sorry… tut mir Leid…“
„Nicht schlimm… es brennt nur so.“
Sie drückte sich das Tuch auf das Knie und verzog wieder das Gesicht.
„Leute, draußen wir es leiser…“, meinte Lesley und lief zum Tor.
„Lass das Tor zu“, sagte Molly.
„Ich wollte doch nur…“
„Erst aufmachen, wenn das Signal kommt!“, sagte Molly mit bestimmender Stimme.
„Welches Signal?“, fragte ich.
„Da sich in Griffith mehrere Unfälle ereigneten, weil die Leute meinten, der Sturm sei vorbei, hat der Stadtrat Sirenen installieren lassen, um Entwarnung geben zu können“, erklärte Molly.
Lesley stand immer noch am Tor.
„Geht es?“, fragte ich Molly, weil ich bemerkte, dass sich das Tuch langsam rot färbte.
„Ja, geht schon.“
Der Wind ließ anscheinend wirklich nach, auch das Tor blieb still. Plötzlich konnte ich einen hellen Ton von draußen vernehmen.
„Entwarnung“, meinte Lesley.
„Geht der Sturm immer nur so kurz…?“, fragte ich.
„Kommt auf die Wetterlage an“, antwortete Lesley, der versuchte, das Tor zu öffnen.
„Ich krieg das Tor nicht auf“, meinte er.