Kriegskinder – Teil 1 – Die Heimkehr

1. Die Heimkehr

Die Sonne stand an diesem Tag schon hoch am Himmel, als in der Ferne die letzten Hügel auftauchten, die Jan noch zu überwinden hatte.  Er blieb auf dem staubigen Weg stehen und drehte sich noch einmal um. Da lag der kleine Ort, der einst das Zentrum der verstreut liegenden Gehöfte war.

Am Tag zuvor machte er einen weiten Bogen um diesen Ort. Er war noch nicht bereit dazu, ihn sich näher anzuschauen. In den letzten Wochen ist er durch so viele Städte und Orte gekommen, hatte so viel Zerstörung, Tod und Verzweiflung gesehen, dass er sich diesen Anblick ersparen wollte.

Als er sich wieder umdrehte, um seinen Marsch fortzusetzen, überkam ihn ein merkwürdiges Gefühl. Wie sieht es wohl aus, auf dem Hof seiner Großeltern? Lebten sie noch? Immer und immer wieder hatte er sich in den letzten Tagen diese Frage gestellt. Waren seine Eltern auch schon da?

Viele hundert Kilometer war er nun schon unterwegs. Hatte sie zum Teil auf abenteuerliche Weise überstanden, und oft gerade so überlebt. Er stand wie gelähmt da, unfähig einen Schritt zu machen.

Der Wind wehte ihm leicht übers Gesicht, als ob er ihn trösten wollte. Er machte mit größter Anstrengung einen Schritt nach vorn, dann einen zweiten und einen dritten. Er überwand seine Starre und ein Gefühl von Heimat machte sich in seiner Brust breit.

Er lief immer schneller, die Tränen rannen ihm übers Gesicht. Wie lange war er fort gewesen? Ein Jahr war es her, als ihn die Mutter nach Westen schickte. Als sich die Front immer mehr näherte, sahen sie keinen anderen Weg, um ihn zu retten.

Aus einem Brief, der ihn vor drei Monaten in der Landverschickung erreichte, schrieb ihm die Mutter, dass sie sich nun auch absetzten wolle. Die Front würde dicht vor der Tür stehen. Sie schrieb ihm, dass die Großeltern nicht flüchten würden.

Der Gedanke an seine Mutter und die Großeltern versetzte ihm einen Stich ins Herz. Hoffentlich waren sie da, hoffentlich lebten alle.  Seine Schritte wurden immer schneller. Die Sonne stand im Zenit und der Schweiß tropfte aus seinen Haaren.

Er erklomm den letzten Hügel und schaute vorsichtig in Richtung Hof. Sein Herz machte einen Hüpfer in seiner Brust, als er ihn unversehrt sah. Er sah aber noch etwas: Den Großvater! Er wischte sich die Tränen aus den Augen und rannte, so schnell es ihm seine Füße erlaubten.

Jan schrie, immer wieder vom Schluchzen unterbrochen, aber der Großvater hörte ihn nicht. Er sah, wie sich das klapprige Gefährt mit den zwei noch klapprigeren Pferden immer weiter entfernte.

Ein Stein bremste ihn. Unsanft landete er im Staub des Weges. Mit dem Kopf nach unten hämmerte er mit beiden Fäusten auf den Boden ein. „Er lebt…“ Es konnte für ihn keinen Zweifel geben, der Großvater lebte und fuhr aufs Feld hinaus.

Schnell stand er auf, klopfte sich den Staub notdürftig ab und steuerte weiter auf den Hof zu. Je näher er kam, umso deutlicher konnte er sehen, dass der Hof wirklich unbeschadet war. Nach so viel Zerstörung und Not tat es seinen Augen gut, wieder mal ein Stück heile Welt zu sehen.

Er trat durch das Tor und blieb wie angewurzelt stehen. Vor dem Küchenfenster sah er die Bank stehen, auf die er früher sooft mit Großvater die Sterne beobachtet hatte. Jetzt saß die Großmutter darauf, eine Schüssel auf den Knien und schälte Kartoffeln.

Jan schossen die Tränen wieder in die Augen. Er nahm nur verschwommen wahr, wie die Schüssel von Großmutters Knien rutschte und sie das Handtuch, was darunter lag mit ihrer Hand auffing um es sich vors Gesicht zu halten. Sie schrie ihre Freude in das Tuch.

Beide setzten sich wie in Trance in Bewegung und fielen sich in der Mitte des Hofes in die Arme. Sie brauchten keine Worte, hielten sich nur eng umschlungen und weinten vor Freude.

Nach einer Weile, die beiden wie eine Ewigkeit vorkam, schob sie den Jungen etwas von sich und musterte ihn von oben bis unten. „Ich hab es immer gewusst, dass du es schaffst, wiederzukommen. Ich wusste es immer.“ Die Großmutter wischte sich die Tränen aus den Augen und ging mit Jan zur Bank.

Der Junge stellte sein kleines Bündel ab und hob die Schüssel auf. Er sammelte die Kartoffeln von Boden auf und  ging zur Hofpumpe, um sie zu waschen. „Junge, was wird sich Großvater freuen, dass du wieder da bist.“

Jan kehrte mit der Schüssel zurück und gab sie der Großmutter. „Ich hab ihn vorhin gesehen, aber er hat mein Rufen nicht gehört.“ Die Großmutter nickte mit dem Kopf. „Sein Gehör ist ja nicht mehr das Beste“, und beide lachten.

„Da werde ich heute mal was Besonderes zum Mittag machen“, sagte die Großmutter und verschwand mit der Schüssel im Haus. Jan setzte sich auf die Bank und ließ seinen Blick schweifen. Sein Herz machte einige Hüpfer in seiner Brust. Er war endlich wieder zu Hause, endlich hatte der Krieg nun auch ein Ende für ihn.

„Du gehst am Besten in den Stall und machst dir eine Wanne mit Wasser fertig. Du weißt ja noch wie es geht, ich bringe dir dann heißes Wasser und saubere Sachen.“ Jan hörte die Worte seiner Großmutter und wusste, dass alles wieder so werden würde, wie es einmal war. Das machte ihn glücklich und beschwingt. Er machte sich auf den Weg in den Stall, wo die alte Blechwanne wie eh und jeh stand.

Er holte von der Hofpumpe einige Eimer Wasser und ging dann zu seiner Großmutter in die Küche. „Oma, ich nehme das Wasser mit, das musst du nicht tragen“, schnappte sich den großen Kessel und schleppte ihn in den Stall.

Langsam goss er das heiße Wasser in die Blechwanne. Wie lange hatte er schon kein Bad mehr genießen können. In der Landverschickung war es auch selten, dass sie sich waschen konnten. Es mangelte an allem, selbst an Wasser.

Er ging noch mal in die Küche um Seife und einen Lappen zu holen. Auch das Bündel  frischer Wäsche nahm er mit, das ihm die Großmutter hinhielt. Dann ging er in den Stall. Er schloss die Stalltür, wollte es genießen, einmal ganz allein zu sein.

Seine Großmutter würde nicht kommen, das wusste er, sie hat ihn damals schon nicht beim Baden gestört. Er zog sich langsam die verstaubten und durchgeschwitzten Sachen aus und legte sie neben den Stuhl.

Zum ersten Mal nach langer Zeit betrachtete er sich wieder. Er konnte die Rippen deutlich sehen, seine Beckenknochen standen spitz hervor und um seinen Schwanz hatte sich ein leichter schwarzer Haarkranz entwickelt. Er betrachtete sich noch eine Weile, dann ließ er sich langsam in die Wanne gleiten.

Er spürte, wie sich das Wasser an seinen Körper schmiegte, genoss es und tauchte mit dem Kopf unter Wasser. Wie lange würde ich es aushalten, ohne aufzutauchen, überlegte er und versuchte es so lang wie möglich auszuhalten.

Es dauerte keine halbe Minute, da tauchte er prustend auf. Das muss ich wieder üben, dachte er sich. Früher war er ein wahrer Tauchmeister gewesen. In dem kleinen Seitenarm der Oder hatten die Jungen und Mädchen aus dem Dorf und der umliegenden Höfe immer gebadet. Jan war der beste Taucher gewesen.

Er sah die Gesichter seiner Freunde vor sich. Wie ist es ihnen ergangen? Er hatte unterwegs keinen getroffen, vielleicht weil er einen Bogen um das Dorf machte. Er schloss die Augen und dachte an seine Mutter. Großmutter sagte, dass sie zu einer Tante gegangen war, als die Russen vor der Tür standen.

Bisher hatten sie noch keine Nachricht bekommen. Das stimmte ihn traurig. Er spürte, wie die Tränen sich wieder sammelten. Er versuchte nicht zu weinen, als er plötzlich einen Schrei von draußen hörte.

Ruckartig saß er aufrecht in der Wanne und lauschte. Da war noch ein Schrei zu hören. Der erste war von seiner Großmutter, aber der zweite war ein anderer. Aber ein vertrauter. Er spitzte die Ohren um die gerufenen Worte zu verstehen. Wieso hatte er auch die Tür zugemacht, ärgerte er sich.

„Jan, mein Junge“, hörte er eine sehr vertraute Stimme rufen. Das Herz hämmerte ihm bis zum Hals, er dachte, sein Kopf würde weg fliegen! Er stand so schnell wie möglich auf und rannte, nackt wie er war zur Stalltür. Er riss sie auf und sah seine Mutter!

 

Er rannte auf sie zu und klammerte sich an sie, endlich, endlich! Seine Mutter nahm seinen Kopf in beide Hände und küsste jede Stelle. Diese Freude war unvorstellbar! Er hatte sie wieder, alle hatten diesen verdammten Krieg überlebt!

Ihm wurde vor Freude schwindlig, seine Knie gaben nach und nur durch das beherzte Zugreifen seiner Mutter landete er nicht im Staub. Sie griff ihm unter die Achseln und zerrte ihn zur Bank. Dort setzte sie ihn ab.

Langsam öffnete er seine Augen wieder. „Mutter“, flüsterte er leise. „Es wird alles wieder gut mein Sohn“, und setzte sich neben ihn. Er blinzelte leicht und nahm noch einen Schatten wahr. Er riss die Augen auf und strahlte. „Großvater“, sprang von der Bank auf und lief in die Arme, die ihn auffingen.

Dieser große starke Mann fing ihn wie eine Feder auf und wirbelte ihn durch die Luft wie ein kleines Kind. Vorsichtig wurde er wieder abgesetzt und der Großvater wischte sich auch Tränen aus den Augen.

Jan schaute in die Runde. Er war glücklich, sein Herz hämmerte in seiner Brust und es war ihm nicht bewusst, dass er noch immer nackt war. Aber  das war ihm egal, vollkommen egal. Er war einfach nur glücklich, die Menschen wieder um sich zu haben, die er am meisten liebte.

„Helga, komm mit rein. Wir haben viel zu erzählen.“ Großvater wandte sich Jan zu, „und du gehst dich fertig baden.“ Er schmunzelte und gab seinem Enkel einen Klaps auf den Po. Da wurde er sich seiner Nacktheit wieder bewusst. Er wollte erst seine Blöße mit der Hand bedecken, aber so schnell wie die Hand nach unten zuckte, so schnell hielt er in der Bewegung inne.

Sein breitestes Grinsen setzte er auf, drehte der glücklichen Familie den schmalen Rücken zu und rannte wieder in den Stall. Der Tür gab er im Vorbeigehen einen Schwinger mit, so dass sie krachend ins Schloss fiel.

Er hatte es nun sehr eilig. Schruppte mit der Bürste den wochenalten Dreck vom Körper und ließ das Stück Kernseife ganze Arbeit leisten.

Frisch gewaschen und gestriegelt machte er sich auf den Weg ins Haus, wo die Großeltern und Mutter mit glitzernden Augen am Tisch saßen und sich an den Händen hielten.

Es wurde ein langer Tag, alle tauschten sich ihre Erinnerungen aus, jeder erzählte vom beschwerlichen Weg, den sie hinter sich hatten. Als er am Abend im Bett lag, dauerte es nicht lange und die Augen fielen ihm zu.

Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, konnte er sein Glück noch gar nicht fassen. Er roch die saubere Wäsche und sah dem Staub zu, der in der Sonne funkelte. Schnell zog er sich an und rannte die Treppe nach unten. Seine Mutter kam gerade aus dem Stall und sie fielen sich in die Arme.

Beim Frühstück erzählten der Großvater und die Großmutter über die Erlebnisse, die sie mit den Russen gemacht hatten. Mutter und Jan hörten mit großen Augen zu. Jan konnte es nicht glauben, dass die doch nicht solche Unmenschen waren, wie das Hitlerregime immer erzählt hatte.

Auch erzählte der Großvater, dass das Dorf von Kriegshandlungen verschont geblieben ist, aber viele Einwohner hatten sich in den Westen abgesetzt. Die Hauptkampflinie war zum Glück weiter südlich verlaufen. Im Dorf, das nur 30 Häuser umfasste, war es still, nur noch die älteren Leute waren geblieben. Der Laden, einst Umschlagpunkt für Waren, Gerüchte und Nachrichten, hatte geschlossen. Es gab auch nichts mehr, was man sonst noch kaufen konnte.

Im Haus des Bürgermeisters hatte die Rote Armee einen Unteroffizier nebst Adjutanten hinterlassen. Dies war der Kommissarische Befehlshaber der Gegend.  Der alte Bürgermeister hatte sich schon Tage vorher abgesetzt.

Die Großeltern rechneten mit einem Besuch des Kommandanten. Man sah es ihnen an, dass ihnen nicht sehr wohl war. Aber die Deutschen hatten nun mal den Krieg verloren. Großvater war aus dem ersten Weltkrieg mit einem steifen Bein und fehlendem linken Auge zurückgekehrt. Er hasste den Krieg.

Er war mit Leib und Seele Bauer und begeisterte auch seinen Enkel dafür. Jan war immer an der Seite seines Großvaters, lernte schnell alle Handgriffe und wurde in die Geheimnisse des Ackerbaus eingewiesen. Für Jan war der Großvater die männliche Bezugsperson im Haus. Seinen Vater hatte er nie kennen gelernt.

Als er einmal fragen wollte, wer sein Vater ist, stieß er auf eine Mauer des Schweigens. Also fand er sich damit ab und berührte dieses Thema nie wieder.

Der Großvater war ein Stattlicher Mann. Selbst das steife Bein schien ihm nichts anhaben zu können. Er war die Respektsperson auf dem Hof. Jan bewunderte ihn. Nicht nur wegen des Wissens, Großvater kannte sich in allen Bereichen aus, sondern auch wegen der Art, wie er Probleme anging. Das hatte alles Hand und Fuß, was er machte. Jan lernte viel von ihm, was ihm auf seinem Weg bestimmt schon mehr als einmal das Leben rettete.

Grade war das Geschirr vom Tisch geräumt, als man in der Ferne ein Motorengeräusch hörte, das unweigerlich den Weg zum Hof nahm.

Großmutter wurde weiß wie eine Wand und  Großvater erhob sich schnell von seinem Stuhl, wies allen an, das Haus nicht zu verlassen und ging nach draußen. Mutter und Großmutter saßen in der Küche und wagten kaum zu atmen. Jan schlich sich die Treppe hoch in sein Zimmer und spähte durchs Fenster.

Er sah einen Wagen den Weg entlang kommen. Dieser bremste scharf und eine Wolke aus Staub hüllte ihn ein. Zwei Russen stiegen aus und gingen auf Großvater zu. Jan sah, wie sie ihm die Hand reichten und einer zog ein Päckchen Zigaretten aus der Brusttasche seiner Uniform, um sie dem Großvater anzubieten.

Dieser lehnte aber ab. Großvater hat noch nie geraucht, dachte sich Jan und musste ein wenig schmunzeln. Er dachte daran, wie er es heimlich tat, wenn er denn welche hatte. Er hätte dem Russen eine abgenommen, da war er sich sicher. Natürlich durfte keiner dabei sein.

Er sah, wie sie mit dem Großvater redeten, dann gingen sie in den Stall und in die Scheune. Sie traten wieder lachend ins freie und Großvater ging voran ins Haus. Jan saß wie angewurzelt in seinem Zimmer. Obwohl er sich gern gezeigt hätte, verließ ihn nun der Mut.

Er hörte von unten Wortfetzen, die aber keinen Sinn ergaben. Er saß auf dem Bett und wartete. Plötzlich wurde er von seinem Großvater gerufen. Er stand langsam auf und öffnete vorsichtig die Tür. Schritt für Schritt stieg er die Stufen hinab und sah sich den beiden Russen gegenüber.

„Ach, Bambini“, grinste ihm der Unterleutnant an und streckte den Arm in seine Richtung. Zögerlich ergriff Jan die Hand und wurde mit einem Ruck zum Russen gerissen. Er kam leicht ins Stolpern und prallte mit dem Kopf gegen die Brust des Unterleutnants.

„Nun, nicht so schnell“, sagte der Russe mit einem lustigen Akzent. Aber er sprach gut deutsch. Jan reichte nun auch dem anderen Russen die Hand, das muss wohl ein Soldat sein, dachte er sich. Er sah keine Rangabzeichen auf den Schultern, nur ein kleiner Orden klimperte an der Brust des Soldaten.

„Junge muss essen, dass er Kraft bekommt“, sprach der Unterleutnant und schüttelte sich vor Lachen, dass seine Orden an der Brust heftig klimperten. Jan sah zu Boden, es war ihm unangenehm, dabei machten die beiden doch einen lustigen Eindruck.

Großvater kam mit drei Gläsern seines selbstgemachten Stachelbeerweins und dann stießen die Männer freudig an. „Das gut ist“, sagte der Unteroffizier. Die Großmutter hatte wieder Farbe im Gesicht und schenkte den Männern nach.

„Junge muss zur Schule, wenn wieder offen ist“, sagte der Russe und trank das Glas in einem Zug leer. „Muss lernen, für besseres Deutschland.“ Daran hätte Jan nun am wenigsten gedacht. Zur Schule. Schon über zwei Jahre war er nicht mehr da gewesen. Bis auf einige Ausnahmen in der Landverschickung.

Die Russen und der Großvater tranken noch den Rest der Flasche und gingen dann hinaus. Mutter zog Jan zu sich und drückte ihn fest an sich. Sie war froh, dass alles so glimpflich abgelaufen war. Das konnte er spüren.

Am Abend erzählte der Großvater, was die Russen wollten, das sie keine Unmenschen waren. Trotz allem, hatte er Auflagen erhalten, die man aber erfüllen konnte. Nun hieß es arbeiten, für die Sieger. Er sagte aber auch noch, dass sie mit dem Kommandanten Glück hätten. Nicht alle waren so human.

Man ließ ihnen die zwei Pferde, die Kuh und auch die zwei Schweine. Alle waren glücklich, auch wusste man wieder, dass der Krieg nicht das Ende der Welt war. Es gab allen neuen Lebensmut und man versprach sich, alles zu tun, was verlangt wurde.

Als Jan im Bett lag, dachte er an die Schule. Würde es wirklich passieren, dass die Russen sie wieder aufmachen wollten? Erst einige Tage nach Kriegsschluss schon solche Gedanken. Wen würde Jan von seinen Schulkameraden wiedersehen. Er musste ins Dorf, um zu erfahren, wer alles noch da war. Das sollte seine Aufgabe für morgen sein.

Am nächsten Morgen machte Jans  Mutter die Milchkanne fertig, die sie jeden Tag im Dorf abzugeben hatten. Jan sollte sie am Sammelpunkt abgeben, aber nicht trödeln, schließlich gab es noch genug Arbeit auf dem Hof.

Er machte sich auf den Weg. Mitten im Dorf blieb er stehen und sah sich um. Viel Betrieb war ja noch nie gewesen hier auf dem Dorfplatz, nun war alles wie ausgestorben. Keine Menschenseele war zu sehen. Er ging zum Laden, die Tür ließ sich öffnen, so schaute er hinein.

Die Regale waren leer, und hinter der Theke stand der alte Krämer. „Ach, Jan. Schön dich wieder zu sehen. Hast die Milch gebracht“, sagte er und kam um den Tresen herum, um die Milchkanne in Empfang zu nehmen. „Ich bin seit gestern wieder da, Mutter ist auch gestern gekommen“, sagte er.

„Schön, dass die Helga auch wieder da ist. Geht’s den Großeltern gut?“ „Ja, Opa ist schon auf dem Feld, ich soll nachher auch noch helfen.“ Der Krämer nickte und gab die leere Milchkanne zurück. „Sind noch mehr Kinder im Dorf, oder auf den Höfen“, Jan brannte die Frage unter den Nägeln.

Der alte schaute traurig zu Jan. „Du bist bis jetzt der einzige, von allen anderen hab ich noch nichts gehört“, sagte er mit tiefsten Bedauern. Das war keine gute Nachricht für Jan. Er nahm die Kanne und verließ das Geschäft mit hängenden Schultern.

Bis spät abends waren Großvater und Jan auf dem Feld. Der Alte spannte die Pferde an um zum Hof zurückzukehren. „Jan, willst du noch zum Kanal?“ Der Kanal, der Seitenarm der Oder lag nicht weit weg vom Feld, und nach dieser Anstrengung war es sicher angenehm, ein Bad zu nehmen. Sicher wäre das Wasser noch sehr kalt, aber das hat ihn noch nie gestört. „Großvater, sag ich komm später“, drehte sich rum und rannte los.

Der Großvater schaute ihm grinsend hinterher. Wie groß er in diesem einen Jahr geworden ist, dachte er. Aber der Russe hat Recht, er muss mehr essen. Das sind ja nur Haut und Knochen. Er stieg auf den Bock und sah in der Ferne Jan rennen.

Jan erreichte die Badestelle. Er war ein Jahr nicht mehr hier gewesen, der alte umgefallene Baum lag immer noch halb im Wasser. Nur das Gras war schon hoch. Es gab auch keine Füße, die es niedertraten. Hatte diese Stelle immer etwas Lustiges und fröhliches, war es nun einsam und still. Kein anderes Kind war da, nur die Grillen zirpten und die Vögel zwitscherten ihr Lied.

Jan wurde schwermütig ums Herz. Er mochte diese Stimmung nicht. Wieso musste dieser Krieg auch sein, fragte er sich bitter.

Er schaute sich um und schüttelte den Kopf über diese unsinnige Aktion. Wer sollte schon hier sein. Ich bin ganz allein. Er zog sich aus und machte einen vorsichtigen Schritt ins Wasser. Es war kalt, aber auch angenehm. Zwei Schritte, dachte er, dann kommt der Abgrund. Zügig setzte er ein Schritt nach den nächsten, beim dritten tauchte er unter. Es war herrlich angenehm. Er machte ein paar Schwimmzüge und steuerte auf den alten Baum zu.

Von dessen dicken Stamm sind sie immer Kopfüber ins Wasser gesprungen, als sie noch mit der ganzen Schar da waren. Er zog sich an einem Ast hoch und schaute auf die spiegelnde Oberfläche. Der Kanal hat an dieser Stelle keine große Strömung, das Wasser glitt zu seinen Füßen dahin.

Er musste schmunzeln. Noch nie hatte er an dieser Stelle nackt gebadet. Es waren auch immer die Mädchen mit dabei. Selbst als nur Jungen da waren, hatten sie immer eine Hose anbehalten. Er setzte an zum Sprung und klatschte mit dem Bauch aufs Wasser.

Als er wieder auftauchte, musste er erst mal mit der Hand seinen Bauch reiben. Das hab ich doch nicht etwa verlernt? Das muss ich üben, sagte er sich und zog sich wieder hoch. Der nächste Sprung war schon besser, aber noch nicht perfekt. Wieder schwamm er zum Baum.

Gerade als er sich abstoßen wollte, sah er aus dem Augenwinkel eine Person. Er strauchelte und klatsche unbeholfen aufs Wasser. Als er wieder auftauchte bekam er einen richtigen Schreck. Dort stand der Adjutant und lachte. Jan bekam einen roten Kopf. Er traute sich nicht sich zu bewegen.

Wie lange stand er schon da? Hatte er mich schon die ganze Zeit beobachtet? Es war ihm peinlich und er verfluchte sich selbst, dass er nicht doch die Hose anbehalten hatte. Wie kam er auch nur auf die Idee, dass er allein hier wäre, nur weil das Dorf wie ausgestorben wirkte.

Der Russe kam näher und zeigte zum Baum. „Noch mal springen, das wird gut“, sagte er und winkte zu Jan. Dieser machte keinen Anstalten sich zu bewegen. Alle seine Gedanken waren darauf gerichtet, wie er zu seiner Hose kommen würde. Aber ihm fiel nichts ein.

„Mach doch, oder hast du Angst?“ Der Russe stand nun fast neben seinen Sachen und schaute auffordernd zu ihm. Jan schüttelte kaum merkbar mit dem Kopf. „Brauchst keine Angst zu haben“, sagte der Russe und knöpfte seine Jacke auf.

Jan starrte ihn an. Der wird doch nicht etwa ins Wasser kommen? Panik ergriff Jan. Er konnte nur zusehen und musste schlucken. Der Russe stand mit freiem Oberkörper am Ufer und begann sich nun die Schuhe auszuziehen. Er schaute Jan an und lächelte.

Schließlich zog sich der Russe auch die Hose runter und stand nur noch mit einem Slip vor ihm. „Wir, in meiner Heimat auch immer nackt baden, ist gut“, sagte er und schon zog er sich den letzten Rest vom Körper. Jan war stocksteif, aber nicht die Kälte machte ihm Bewegungsunfähig.

Noch nie in seinem Leben hatte er einen nackten Mann gesehen. Gut, Mann konnte man zu ihm nicht sagen, er war kaum älter als achtzehn, dachte Jan. Mit wenigen Schritten war der Russe im Wasser. Als die Kante kam, tauchte er mit einem kleinen Schrei unter, kam aber danach prustend und lachend wieder an die Oberfläche.

Mit zwei kräftigen Zügen war er am Baum, zog sich hoch, hielt die Arme über den Kopf und machte einen perfekten Kopfsprung. Jan sah alles wie durch einen Schleier. Er hatte sich noch keinen Zentimeter gerührt. Der Russe stand schon wieder auf dem Baum. „Nu, komm, ich zeigen wie geht“, und er winkte Jan zu sich.

Langsam, sich wie tauendes Eis aus seiner Starre bewegend, machte Jan ein Schritt in Richtung Baum. Dass er dabei den sicheren Halt unter den Füßen verlor, hat er nicht gedacht. So kam er nach wenigen Sekunden wieder mit dem Kopf an die Wasseroberfläche und musste nun selbst über sich lachen.

Er schwamm zum Baum und zog sich hoch. „Sieh, her, auf Beine“, sagte der Russe und stellte sich wieder zum Sprung hin. Jan sah auf die Füße des Russen und sah sich die Haltung genau an. Der Russe sprang, es war wieder perfekt.

Jan stand nun allein auf dem Baum und sah, wie er vom Russen beobachtet wurde. Es war ihm schon wieder peinlich, der Absprung erfolgte viel zu hastig und abermals klatschte er mit dem Bauch aufs Wasser. „Komm mit rauf, ich noch mal zeigen.“

Sie wiederholten das Ganze noch einige Male und Jan vergaß, dass er immer noch nackt war. So sprangen sie abwechselnd. Der Russe, der,  wie sich herausstellte Igor hieß, machte sogar Überschläge, bevor er ins Wasser tauchte. Jan hatte der Ehrgeiz gepackt und wollte es auch versuchen, schaffte es aber nicht.

„Wir rausgehen müssen“, sagte Igor, „du schon ganz blaue Lippen hast“, und zeigte ins Gesicht von Jan. Was blieb ihm übrig, sie schwammen zu ihren Sachen und setzten sich daneben ins Gras. Sie hatten keine Handtücher dabei und mussten sich von der Sonne trocknen lassen.

Igor erzählte im gebrochenen Deutsch etwas über seine Familie, die am Ural zu Hause war und über sich. Er war tatsächlich erst achtzehn Jahre alt. Hatte eine Freundin, die als Sanitäterin in der Nähe von Berlin stationiert war und sehnte sich nach ihr. Während er lauschte, musterte er den jungen Russen.

Igor hatte eine tolle Figur und mehr auf den Rippen als Jan. Er hatte kurze schwarze Haare und ein lustiges Grinsen. Sie saßen sich gegenüber, so blieb es auch nicht aus, dass Jans Blicke immer mal wieder zwischen die Beine von Igor rutschten.

Der bemerkte von alledem nichts und griff sich seine Jacke um aus der Brusttasche das Päckchen Zigaretten zu holen, das Jan schon gesehen hatte. Igor hielt sie Jan hin und dieser ergriff auch gleich eine.  Der erste Zug schmerzte in der Lunge und Jan musste husten.

„Gute Papyrossie, stark.“ Jan  riss sich zusammen, sein Kopf war hoch rot, aber er rauchte das Russenkraut bis zum letzten Zug auf. Igor erzählte weiter und Jan musterte ihn wieder heimlich. Der starke Busch, der Igors Gemächt umwucherte sah irgendwie richtig männlich aus, dachte er. Wie klein sein eigener doch war.

Auch sah Jan, dass Igors Eichel frei lag, seine umgab eine lange Vorhaut. Jan konnte sich nicht mehr von diesem Anblick losreißen, er betrachtete alles ganz genau. Zum ersten Mal in seinem Leben sah er den Schwanz eines anderen, und ihm gefiel, was er sah.

Igor stand auf. „So, ab nach Haus, sonst machen Mutter Sorgen“, sagte er und hob die Sachen auf, um sich anzuziehen. Jan erhob sich und sah Igors grinsendes Gesicht. Er schaute an sich hinab und sah die Bescherung. Diesmal zuckten seine Hände nach oben um seinen steifen Schwanz zu bedecken.

„Ach, keine Angst, ich auch manchmal hab. Musst du keine Sorgen machen.“ Jan stand immer noch wie angewurzelt. Es machte ihm nichts aus, dass Igor ihn nackt sah, aber mit einem Steifen? In der Landverschickung hatte er immer mal einen gehabt, aber er wusste damit nichts anzufangen. Es passierte ihm auch nur, wenn er ruhe hatte und sich allein fühlte.

Dann legte er sich unter eine Decke und streichelte seinen steifen Schwanz. Mehr hatte er bisher noch nie gemacht, aber er wusste, dass es ein tolles Gefühl war.

Igor machte ein Schritt auf Jan zu. Er griff ihn vorsichtig an den Handgelenken und zog die Hände weg. Jans Kopf drohte zu platzen, das Blut rauschte in seinen Ohren, aber er ließ die Hände sinken und stand mit einer Prachtlatte vor Igor.

Dieser machte eine halbe Drehung und stand nun hinter Jan. Vorsichtig strich eine Hand von Igor über seinen Bauch, bis zu seinem Schwanz. Er merkte, wie sich die Hand um ihn schloss und Igor begann, ganz langsam seine Vorhaut runterzuziehen. Jans Knie wurden weich. Igor umschloss mit dem anderen Arm seine Brust und hielt ihm unter den Achseln fest, als er merkte, wie Jan wegzusacken drohte.

Igor hatte die Vorhaut nun ganz zurückgezogen, ein unheimliches Gefühl durchfuhr Jan. Seine Knie begannen zu zittern, als Igor wieder hochfuhr und das Spiel von vorn begann. Nach weiteren zwei Mal hoch und runter explodierte Jan, sein Körper wurde durchzuckt, Igor hielt ihn nun ganz, da seine Beine wie Pudding waren. Er gab sich den Zuckungen hin und wünschte, dass es nie enden würde.

So ein Gefühl hatte er noch nie gehabt. Er hing fest in Igors Arm als er die Augen wieder aufschlug und an sich heruntersah. Grade sah er noch, wie ein letzter Tropfen aus seinem Schwanz tropfte. Aber das war kein Urin, wie er schnell erkannte, das war etwas anderes, viel zähflüssiger.

Er sammelte alle Kraft und stellte sich, wenn auch wacklig, wieder auf die eigenen Beine. „Was war das Igor?“ Er war immer noch durcheinander, aber auch glücklich, so etwas Schönes erlebt zu haben.

„Das war, wie sagt man, äh ein Orgasmus“, Igor ließ Jan nun los und trat neben ihn. Jan nahm zitternd seine Hand und führte vorsichtig einen Finger an den Schlitz und rieb darüber. Es fühlte sich glitschig an, auch zuckte er bei der Berührung kurz zurück. Er hob die Hand und rieb sein Sperma zwischen Zeigefinger und Daumen.

Das Zeug zog Fäden, wenn man die Finger auseinanderbewegte. Hatte er also richtig gesehen, es war kein Urin. Er schaute Igor an. „Danke, das war toll, so etwas hab ich noch nie erlebt.“ Jan hielt inne. Er sah an Igor vorbei und sah einen Schatten, der sich entfernte.

Verdammt, durchzuckte es ihn, nicht noch einer der mich so sieht! Wie viel hat der mitbekommen? Jan hob die Hand und zeigte in die Richtung, wo der Schatten eben im dichten Wald verschwand. Igor folgte mit den Augen der Richtung und stutzte.

„Da war jemand“, und Jans Herz begann zu rasen. „Ach, gibt schlimmeres“, sagte der Russe lachend und zog sich an. Auch Jan hob seine Sachen auf und bekleidete sich wieder.

Auf dem Heimweg rasten Jan die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Bruchstückhaft sah er die Bilder in seinem Kopf blitzen. Zuerst Igor, wie er plötzlich am Ufer stand. Dann wie frei sie sich nackt bewegten, dann sah er den schwarzen Busch um Igors Schwanz. Das Gefühl, das erste Mal etwas erlebt zu haben, von dem er dachte, dass das die schönste Sache der Welt wäre. Und dann dieser unheimliche Schatten.

Er war sich sicher, dass sie beobachtet wurden. Aber wer sollte es gewesen sein? Vielleicht ein Fremder, der sich in diese Gegend verirrt hatte. Die Flüchtlingsströme kamen an dieser einsamen Gegend nicht vorbei, hier glaubte niemand, dass noch Leben existieren würde. Sie liefen mehr im Süden, an der ehemaligen Hauptkampflinie entlang.

Er wusste aber, das, was er heute erlebt hat, würde sein Leben verändern. Und wie Recht er damit hatte, konnte er nicht ahnen. Als er sich ins Bett legte und an Igor dachte, mit der Hand um seinen Schwanz.

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2 Kommentare

  1. Die Geschichte find ich erste Sahne.
    Weiter so!!!!

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  2. Hallo Heiko,
    vielen Dank für Deinen ersten Teil der Geschichte, der mir echt gut gefallen hat. Ich hoffe die nächsten Teile folgen in kürze. So macht lesen Spaß.
    Viele Grüße
    Ralf

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