Kriegskinder – Teil 9 – Jan räumt auf

Frank wurde schon ungeduldig von der Kaffeetrinkenden Witwe erwartet. „Das ist ja der Bengel! Wo treibst du dich denn den ganzen Tag herum?“ Ihr Gesicht zeigte nervöse rote Flecke. Er stand vor ihr und fühlte sich plötzlich wieder klein.

„Dir werde ich die Rumtreiberei schon noch austreiben“, redete sie sich in Rage. „Morgen bist du nach der Schule wieder zu Haus! Erst wenn der Garten in Ordnung ist, kannst du machen was du willst, hörst Du?“ Frank stand noch immer regungslos da.

Erst gestern hatte er drei Beete vom Unkraut befreit, was soll er denn noch alles tun. Wenn Vater doch hier wäre. Aber diesen Gedanken schob er wieder beiseite. Er wollte nicht an ihn denken. Er hatte seine kleine Schwester und ihn im Stich gelassen. Wieder wurde es ihm schwer ums Herz.

Die Witwe schimpfte immer noch vor sich hin. Frank ging zu Katrin, hob sie aus der Sandgrube, in der sie den ganzen Tag gesessen hatte und schleppte die Schwester zur Hofpumpe. Er schruppte ihr den Dreck ab und sie machte sich einen Spaß daraus, Frank mit Wasser anzuspritzen.

Sie lachten beide, die Witwe schaute argwöhnisch dem Treiben zu, las dann aber wieder in ihrem Roman weiter und ließ sich den Kaffee schmecken. Frank warf sich das kleine Mädchen über die Schulter und brachte sie in ihr Zimmer.

Er erzählte ihr noch eine Gute Nacht Geschichte. Sie fand es immer toll, wenn der große Bruder Geschichten erzählt. Sie waren immer spannend und er brauchte kein Buch dazu. Lange konnte sie ihm nicht folgen und schlief ein.

Frank strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Glücklich schniefte sie im Schlaf und er schlich sich aus dem Zimmer. Er ging in die Küche und suchte nach etwas essbarem. Aber wieder einmal fand er nichts außer einem kleinen Kanten Brot.

Er schnappte ihn sich und ging auf sein Zimmer. Er legte die schmuddeligen Sachen über den Stuhl und legte sich in sein Bett. Aber lange dauerte es, bis er endlich einschlief. Er grübelte immer noch, was sie an ihrem Stamm verbessern konnte, dass er sich noch besser lenken ließ. Der Baum mit der halben Krone lag zwar stabil im Wasser, aber er war zu schwerfällig.

Wie immer begann der Morgen mit einem Hämmern an der Tür. Frank stand auf und schaute aus dem kleinen Fenster. Die Sonne schien an diesem Morgen schon kräftig. Aber seine Laune wurde dadurch nicht besser. Er musste nach der Schule nach Haus. Hoffentlich wird Peter nicht enttäuscht sein.

Wie üblich traf er seinen Freund an der Weggabelung. Peter schien etwas zu hinken. „Peter, was ist denn los?“ Peter hob sein Hemd etwas hoch, die roten Striemen auf den Rücken des Jungen waren deutlich zu sehen.

„Gestern hab ich mir an einem Ast einen Dreiangel in die Hose gerissen. Mutter wollte es schnell nähen, aber Vater hat es doch entdeckt“, und schob das Hemd wieder nach unten. Frank hätte seinen Freund am liebsten in den Arm genommen, aber beide standen stocksteif voreinander.

„Dann hat er mich die Treppen ins Haus hochgeschubst, dabei bin ich mit dem Bein umgeknickt. Aber es geht schon wieder, ist nur etwas dick“, aber in seiner Stimme konnte Frank das vibrieren hören. Frank konnte nichts sagen. Er wusste wie der alte Fuhrmann ist.

Beide waren wie immer still, man hörte den ganzen Tag nichts aus der letzten Bankreihe. Schweigend trotteten sie nebeneinander her. Peter musste auch nach der Schule nach Haus, eine große Fuhre war zu bewältigen, der Alte brauchte seine Hilfe.

Die Sonne stand hoch am Himmel. Frank hatte sein Hemd schon ausgezogen und jätete das nächste Beet. Die Witwe schien zufrieden. Was bildet sich der Bengel auch ein, nicht im Garten zu helfen? Sie schlürfte genüsslich an ihrem Kaffee und las in ihrem Roman.

Frank wurde immer wütender. Er hieb mit der Hacke in den trockenen Lehmboden wie ein wilder ein. Er dachte an Peter, an dessen Vater mit dem Gürtel und an seinem Vater, der sich feige aus dem Staub gemacht hatte.

Als Mutter noch lebte, war alles so anders. Aber vor fünf Jahren änderte sich sein Leben abrupt. Plötzlich waren sie allein. Vater war mit dem Baby überfordert. Er übertrug die Arbeiten der alten Witwe, die es für ein kleines Taschengeld gern machte. Alles ging auch gut, bis dann der Vater die neue Stelle angeboten bekommen hat.

Nun waren er und Katrin ganz allein. Die Witwe kümmerte sich fortan nur noch um ihre eigenen Sachen. Und an erster Stelle stand ihr Bohnenkaffee. Sie bezog das Wohnzimmer im Haus und keifte den ganzen Tag nur rum. Ständig hatte sei etwas auszusetzten.

Frank war es leid, sich das immer selbe Gejammer von ihr anzuhören. Er flüchtete in seine Träume und genoss jede freie Minute mit Peter. Ihm wurde bewusst, dass ihn mehr mit ihm verband als nur Freundschaft. Er mochte diesen stillen Typen. Sie waren ganz einfach Leidensgenossen.

Voller Wehmut dachte er an die schöne Zeit mit seiner Mutter zurück. Da hat er mit dem Vater das schwimmen gelernt, er zeigte ihm auch das Angeln und wie man Krebse fing. Mutter war auch immer für ihn da. Und nun saß er in diesem verfluchten Beet und hackte Unkraut.

Er zog die Nase hoch und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel. „Pssst“, machte es hinter dem halb zerfallenen Zaun. Er schaute auf und sah Peter hinter einem Strauch sitzen. Vorsichtig schaute er nach der Witwe, sah sie lesend und schlich sich zu dem Busch.

„Peter, was ist los?“ „Mein Vater…“, weiter kam er nicht. Frank sah, dass etwas Schlimmes passiert sein musste. Noch nie hatte er seinen Freund so aufgelöst gesehen. Und er fasste einen Entschluss.

Es war auf einmal alles so einfach, alles so klar. Sie mussten weg. Und das Ziel kannte er! „Peter, warte hier, ich bin gleich zurück“, raunte er ihm zu. Er ging zum Haus. Die Witwe sah ihn und wunderte sich. Der Bengel konnte doch unmöglich schon mit der Arbeit fertig sein?

Frank ging auf sein Zimmer, schnappte sich das Bündel unter seinem Bett und lief auf der Treppe nach unten der alten Frau in die Arme. „Du wirst weiterarbeiten! Erst wenn du drei Beete geschafft hast, kannst du aufhören“, keifte sie gleich wieder. Frank schaute ihr kalt in die Augen. Diesen Blick hatte sie noch nie gesehen. Sie wich vor Schreck zur Seite und er drängte sich vorbei.

Er ging zu Katrin und gab ihr einen Kuss auf den Kopf. „Sei lieb“, sagte er mit Tranen erstickter Stimme, dann rannte er vom Hof. Die alte Dame hatte keine Chance mehr, ihr Gezeter verhallte ungehört. Peter hatte die Szene von weitem beobachtet. Auf dem Weg trafen sie sich.

„Peter, wir hauen ab“, und Frank hatte einen Tonfall, der keinen Wiederspruch duldete. „Ich hab keine Sachen dabei.“ Unsicher schaute er seinem Freund in die Augen. „Peter, wir schleichen uns an dein Haus und dann müssen wir uns etwas überlegen“, Frank klang sehr sicher.

Auf dem Fuhrmannshof konnte man nichts sehen. Der Alte war mit dem Gespann unterwegs, die Mutter entdeckten sie im Garten. Vorsichtig ging Peter ins Haus. Frank stand und hielt Wache.

Peter schnappte sich etwas Wäsche und suchte in der Küche nach essbaren. Er fand eine Schlagwurst, einen Käse und ein halbes Laib Brot. Schnell wickelte er die Sachen in ein Hemd von ihm und schlich sich wie ein Verbrecher aus seinem Haus.

Die Jungen schlichen sich weg und erst auf dem Weg fanden sie die Sprache wieder. „Und nun, wohin gehen wir?“ Frank schaute seinen Freund an. „Wir gehen nach Rostock zu meinem Vater. Ich muss zu ihm, er wird uns helfen.“

Peter kannte den Vater von Frank. Er war ein Kräftiger Mann. Zuletzt hatte er ihn gesehen, als er aus dem Dorf fuhr. Sein Vater hatte ihm mit dem Gespann und dem großen Koffer zum Bahnhof gebracht.

„Du glaubst, das kann er?“ Peter war skeptisch. „Ich fahre nicht ohne ihn wieder zurück“, Frank war entschlossen. Und Peter glaubte es ihm. Wie aber sollten sie nach Rostock kommen?

„Wir müssen erst mal über die Felder“, sagte Frank, der die Frage von Peter schon ahnte. „Wenn wir weit genug weg sind, versuchen wir als Anhalter weiterzukommen. Da halten sicher welche an.“ Sie legten ein strammes Tempo vor, kamen auch ziemlich weit, bis die Abenddämmerung eintrat.

Sie getrauten sich noch nicht, die Straße zu benutzen. Der Weg durch die Felder und über staubige Wege hatte sie gezeichnet. Sie kamen an einem kleinen Bach vorbei, in dessen Nähe auch eine Scheune stand. Sie untersuchten das Gelände, aber weit und breit konnten sie keine Menschenseele ausmachen.

In der Scheune lagen noch auf dem oberen Boden Strohballen vom letzten Jahr. Das sollte als Schlaf Möglichkeit reichen. Sie mussten aber zuerst zu dem Bach. Der Staub klebte in ihren Gesichtern und an den Hälsen. So würden sie auf jeden Fall auffallen, also mussten sie sich und ihre Kleidung reinigen.

Frank zog sich die Schuhe aus und tastete mit dem großen Zeh ins Wasser. Es war nicht so kalt, wie er vermutet hatte. Er ließ sich so wie er war ins Wasser fallen und genoss es. „Komm auch rein. Es ist herrlich“, rief er Peter zu. Der schaute erstaunt. Zog sich dann aber auch seine Schuhe aus und tastete sich vorsichtig ins Wasser.

Frank sprang auf und rannte zu Peter. Und ehe er sich versah, lag er der Länge nach im Wasser. Sie tobten noch eine Weile herum, dann machten sie sich in den nassen Kleidern auf den Weg zur Scheune.

„Ich hab kein Handtuch eingepackt“, stellte Peter fest. „Ich auch nicht. Lassen wir uns so trocknen“, stellte Frank fest und begann sich die nassen Sachen auszuziehen. Er fand einige alte Nägel in den Holzbalken und hängte seine nassen Sachen daran auf.

Als er auch die Unterhose auf gehangen hatte, drehte er sich zu Peter um. Der stand wie eine Salzsäule da. Sein Blick war nach unten gerichtet. Es war Frank in diesem Moment peinlich, nackt vor Peter zu stehen.

Sie hatten schon so viel erlebt, aber noch nie hatten sie sich nackt gesehen. „Zieh dich aus und häng deine Sachen auf. Du hast doch sicher Unterhosen eingepackt?“ Frank wollte so natürlich klingen wie möglich, aber er konnte es nicht verbergen, dass ihm die Situation doch mehr zu schaffen machte. Er griff nach seinem Bündel und holte eine Unterhose hervor, die er mit dem Rücken zu Peter anzog.

Als er sich wieder umdrehte stand sein Freund immer noch wie angewurzelt da. „Los, mach schon, oder willst du dir noch eine Erkältung holen?“ Dann erst merkte Peter, dass er zitterte. Aber es war nicht die Kälte. Er griff sich sein Bündel, zog eine Unterhose heraus und begann sich mit dem Rücken zu Frank auszuziehen.

Schnell streifte er die nasse Hose ab und genauso schnell hatte er die trockne an. Frank schaute verstohlen auf den Rücken von Peter. Er sah den dürren, strähnigen Körper vor sich und musste sich abwenden. Er konnte nicht länger hinsehen denn er hatte mit einer latenten Erregung zu kämpfen.

In seinem Kopf kreisten die Gedanken aber er schob sie weit weg. Peter hing seine Sachen umständlich auf, immer darauf bedacht, sich nicht zu Frank zu drehen. Was sollte der denn denken, wenn er die Beule in seiner Unterhose sieht? Als er alles auf gehangen hatte und während der Zeit nur an Mathematik dachte, konnte er sich auch wieder von vorn zeigen.

Es hatte geholfen, das Einmaleins durchzugehen. Seine Erregung war in sich zusammengefallen. Sie saßen sich gegenüber und teilten das Brot, die Schlagwurst und den Käse. „Wir dürfen nicht alles essen“, stellte Frank nüchtern fest, „wir haben noch einen langen Weg vor uns.“

Peter nickte zustimmend. Schweigend saßen sie im Stroh. Es war eine eigenartige Stimmung. Würden sie im Dorf schon nach ihnen suchen? Frank dachte an die Witwe. Sie würde bestimmt keinen Finger krümmen um ihn zu finden. Vielleicht war sie auch froh, dass er endlich weg war. Peter dachte an seine Mutter. Sie machte sich bestimmt schon Sorgen. Und der Vater?

Sie sprachen an diesem Abend nicht mehr viel, es bedurfte zwischen den beiden auch keine Worte. Sie wussten, auf was sie sich eingelassen hatten, aber es war nötig. So konnte es bei beiden nicht mehr weitergehen.

Frank brauchte seinen Vater und Peter brauchte einen Vater, der ihn verstand. Die Nacht war kühler, als sie gedacht hatten. Beide standen zitternd auf und zogen sich die inzwischen trockenen Sachen wieder an.

Viel hatte das Bad mit den Sachen nicht gebracht, aber der Staub war aus den Kleidern. Sie machten sich auf den Weg, wurden hier und da mitgenommen und waren schon fast an den Grenzen zur Bezirksstadt.

Freudig liefen sie die Straße entlang und bemerkten den Wagen nicht, der hinter ihnen herfuhr. Frank drehte sich überschwänglich im Kreis, stoppte in der Drehung und starrte auf das Polizeiauto. Zuerst dachte er an Flucht, wollte schon den Arm nach Peter ausstrecken.

Peter merkte, dass etwas nicht stimmte und drehte sich auch um. Nun starrten vier Augen den Wagen an und die Tür öffnete sich langsam.

Der Polizist ging auf die Jungen zu und beiden rutschte das Herz in die Hose. „Sagt mal Jungs, solltet ihr um diese Zeit nicht in der Schule sein?“ Der junge Polizist fragte freundlich, sein älterer Kollege schaute finster drein. Frank suchte nach einer Antwort, aber ihm fiel nichts ein.

„Ihr seid doch abgehauen“, schnaufte der Ältere. Frank sammelte allen Mut den er hatte. „Wir sind auf den Weg zu meinem Vater.“ „Ah, ha“, und der Jüngere schaute die beiden an und musterte sie. Der schwarzhaarige sah ja noch etwas gepflegt aus, auch wenn Stroh in seinem Haar haftete. Aber der blonde, der so selbstsicher auftrat sah fast verwahrlost aus. Seine Kleider starrten vor Dreck und in seiner Nase machte sich ein Kribbeln breit.

„Name“, fragte der Ältere. Die beiden Jungen schluckten, aber konnten nicht antworten. „So, wenn ihr nichts sagt, dann fahren wir eben zur Wache. Vielleicht fällt euch ja unterwegs ein, wie ihr heißt“, und der Jüngere Polizist wies sie zum Auto.

Schweigend verlief die Fahrt zur Wache. Was würde nun mit ihnen passieren? Frank schaute unsicher zu Peter. Er sah blass aus und war dem weinen nahe. Noch nie hatten sie mit der Polizei zu tun gehabt. Ihre Beine zitterten schrecklich.

Auf der Wache wurden sie in einen kahlen Raum geführt. Der jüngere Polizist brachte beiden ein Glas Wasser, was sie gierig tranken. „Also, wie heißt ihr beiden?“ „Ich heiße Frank Pusch und bin auf dem Weg zu meinem Vater. Er arbeitet hier in Rostock am Hafen.“

Frank setzte alles auf eine Karte. Wenn er Glück hatte, dann würden sie ihn zu seinem Vater lassen, wenn nicht musste er wieder zurück zur Witwe. „Na also, geht doch“, sagte der Polizist freundlich, „und du?“ Peter war immer noch blass. „Peter“, sagte er nur zögerlich.

Dem Polizist reichte die Auskunft. Er hatte die beiden Jungen gefunden, die im anderen Bezirk als vermisst gemeldet wurden. Eigentlich wurde nur Peter vermisst, von Frank erfuhren die Kollegen im Nachbarbezirk nur durch Zufall. Sonst hätte die Polizei noch gar nichts von ihm gewusst.

Der Beamte eilte aus dem Zimmer und die Jungen wagten nicht miteinander zu reden. Es dauerte, bis sich die Tür wieder öffnete und der junge Mann wiedereintrat. „So, dein Vater ist informiert und wird euch gleich abholen.“ Frank schaute erleichtert, Peter hingegen wurde in diesem Moment bewusst, was er angestellt hatte.

Er sah den Vater mit dem Gürtel vor sich und fing an zu weinen. Frank rutschte mit dem Stuhl an seinen Freund und nahm ihn in den Arm. Das schluchzen wurde noch größer. „Es wird alles gut“, flüsterte Frank in sein Ohr und drückte ihn noch fester.

Obwohl Peter mit den Gedanken zu Haus war, spürte er diese Wärme und Geborgenheit, die ihm Frank gab. Das schluchzen wurde weniger, bis es schließlich ganz aufhörte. Er spürte seinen Freund immer noch dicht an seinem Körper und eine warme Welle überschwemmte ihn. Er hätte stundenlang so sitzen können, dafür würde er auch gern die Prügel seines Vaters in Kauf nehmen.

„So, dann kommt mal mit ihr beiden.“ Der Polizist stand auf und die Jungen lösten sich aus der Umarmung. Sie schauten sich kurz in die Augen und bei beiden machte sich ein Gefühl des Zusammenhalts, der tiefen Zuneigung zueinander bemerkbar.

Am liebsten hätten sie sich gleich wieder umarmt, aber der Polizist hielt die Tür schon offen. Sie gingen in eine kleine Cafeteria und beide bissen vor Vergnügen in die heißen Bockwürste, die der Polizist ihnen serviert hatte.

Sie waren noch nicht ganz fertig mit dem Essen, dann ging die Tür auf und Franks Vater wurde von einem Beamten hereingeführt. Frank ließ die Wurst auf den Teller fallen, sprang auf und rannte zu seinem Vater.

Dessen Gesicht verriet die Verärgerung, aber Frank konnte es nicht sehen. Er umfasste die Hüfte seines Vaters und drückte das Gesicht an dessen Brust. „Frank, was habt ihr denn da angestellt?“, murmelte der Vater leise. Peter beobachtete die Szene, war das nun ein gutes, oder schlechtes Zeichen?

Als alle Formalitäten geklärt waren saßen sie im Taxi zum Hafen. Frank und Peter fühlten sich wie Minister in diesem großen und weichen Rücksitzen. Der Vater saß neben dem Fahrer und wiegte den Kopf bedächtig.

Sie gingen in die Kneipe, die zu dieser Zeit wenig besucht war. Der Vater bestellte zwei Brausen für die Jungen und für jeden eine Boulette. „Frank, ihr müsst wieder nach Haus. Ich rufe gleich an und informiere auch Peters Eltern, dass ihr morgen wiederkommt.“

Peter rutschte das Herz in die Hose. Morgen würde er seinen Eltern also wieder gegenüberstehen. „Ich kann da nicht mehr hin“, sagte Frank entschlossen. „Du musst. Und darüber brauchen wir nicht zu diskutieren“, schnitt Jan seinem Sohn das Wort ab.

„Aber Vater. Wirklich ich kann nicht dahin zurück. Bitte, bitte, schick mich nicht zurück“, und aus seinem Auge rannte eine Träne. Dem Vater war es unwohl in seiner Haut. Er hatte sich aus dem Staub gemacht. Er hatte seine Kinder verlassen, die ihn brauchten. Aber er konnte nicht. Er kann seine Brigade nicht im Stich lassen. Die Jungen mussten wieder Heim, sein Entschluss stand fest.

„Frank, ihr fahrt morgen wieder!“ Frank schüttelte den Kopf. „Dann reißen wir eben wieder aus und dann lassen wir uns nicht schnappen“, erwiderte er trotzig. „Mach keinen Unsinn. Ihr fahrt morgen wieder und ich rufe an und kläre alles.“

„Ich bleibe auf keinen Fall bei der Witwe. Und Peter will sich nicht mehr von seinem Vater schlagen lassen.“ Jan schaute zum ersten Mal zu Peter. Bisher hatte er nur seinen Sohn betrachtet, der in zerlumpten Kleidern vor ihm saß. Er sah das Zittern von dem Freund seines Sohnes.

Lange dachte er nach. Nur ein paar Muskeln ließen das Gesicht des Brigadiers zucken. Es schmerzte ihn, seinen Jungen so zu sehen. Franks Verzweiflung war echt, die er sah. Was ist denn zu Hause los? Er schickte jeden Monat den Großteil seines Geldes nach Haus. Das muss doch reichen, um die Kinder auch einzukleiden? Wieso sieht er so schäbig aus?

„Ihr bleibt hier und rührt euch nicht von der Stelle“, Jan sprang auf und verließ die Kneipe. Beide Jungen sahen sich fragend an. Sie konnten sich nicht erklären, was in ihn gefahren war. Nach einer gefühlten Ewigkeit ging die Tür wieder auf und Franks Vater kam mit noch einem Mann herein.

Dieser wirkte auch jugendlich und ging zum Tisch der beiden. „Hallo Frank“, und hielt Peter die Hand hin. „Nein, der rechte ist mein Sohn“, sagte Jan aus dem Hintergrund. Er stand an der Theke und bestellte Getränke.

Der Kollege von Jan musterte den Burschen. Er war etwas kräftiger und sah sehr verkommen aus in seinen Kleidern. „Hallo Frank“, und reichte ihm die Hand. „Das ist mein Kollege Erwin“, sagte der Vater und stellte die Gläser auf den Tisch.

„Das, das sind also die beiden Ausreißer“, sprach Erwin. Er hatte ein lustiges Grinsen im Gesicht und die Heiterkeit griff auf die Jungen über. Sie mochten ihn sofort. „Also Jan, ich sagte vorhin schon, dass du morgen freimachen kannst. Ich übernehme so lange die Brigade.“ Jan nickte seinen Kollegen dankbar zu.

„Wir fahren morgen gemeinsam nach Haus. Ich muss mir selbst ein Bild von den Zuständen machen. Danke, Erwin. Aber vergiss nicht auf alles zu achten. Morgen kommt die Lieferung.“ „Ich kann das schon, Meister“, sagte er verschmitzt. „Erwin, ich mach für heut schon Schluss. Ich hab mit den Jungen noch etwas vor.“ Die beiden horchten auf.

Es wurde ein vergnüglicher Ausflug in die Stadt. Jan spendierte Eis und Frank wurde vollständig neu eingekleidet. Eigentlich wollte er die alten Sachen mitnehmen, aber der Vater verbot es. Er gab sie der Verkäuferin, die mit der Nase rümpfte und sie verließen das Geschäft.

Peter schaute immer wieder zu Jan, er sah so anders aus in den piekfeinen Sachen. Als nächstes stand ein Frisörbesuch an. Frank wollte zuerst nicht. Aber als er sah, was die Dame mit seinem Kopf anstellte, war er sehr zufrieden.

Seine Haare setzten hinten fast noch auf dem Kragen auf, die Ohren waren leicht bedeckt und einen Mittelscheitel hatte er noch nie gehabt. Aber es gefiel ihm. Auch Peter war begeistert. So wirkte Frank gleich ganz anders.

Schließlich gingen sie in noch ein Geschäft und der Vater kaufte noch einen zweiten Satz Sachen, der nur für die Freizeit war. Nun war Frank völlig zufrieden.

Sie mussten in der Unterkunft ein Bett teilen. Der Vater und Erwin waren gegangen, sie hatten für den morgigen Tag noch Absprachen zu treffen. „Frank, dein Vater ist echt gut“, flüsterte Peter in seinem Rücken. „Ja, hoffentlich bleibt er. Aber ich kann es nicht glauben.“ „Ich wünschte mir so einen Vater wie deinen“, und Peters Stimme begann zu zittern.

Frank drehte sich zu seinem Freund und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Der spürte die Berührung und ein Schauer jagte ihm den Rücken herunter. „Mein Vater wird das klären. Glaub mir.“ Und wischte eine Träne aus dem Augenwinkel von Peter.

Er schloss die Augen und bald waren sie eingeschlafen. Jan und Erwin schlichen sich auf Zehenspitzen ins Zimmer. Jan betrachtete die Jungen, wie sie sich selbst noch im Schlaf umarmten. Erinnerungen an seine Jugend machten sich bemerkbar. Er fühlte einen Stich in seinem Herzen.

Erwin grinste, als er die Jungen so daliegen sah. Er schlüpfte ins Bett und bald darauf war auch er eingeschlafen. Jan konnte nicht zur Ruhe kommen. Er sah immer wieder die Mutter von Frank vor sich. Seit ihrem Tod hat er nie wieder eine Beziehung gehabt, er suchte auch keine. Die Arbeit und die Brigade, war alles was er hatte.

Seine Kinder gingen ihm nicht aus dem Kopf. Und diese Gedanken mischten sich mit seinen Jugenderlebnissen. Es war ein wilder Traum, wie er am nächsten Morgen feststellte. Die Bettdecke lag neben dem Bett und er hatte sich mit dem Laken zugedeckt.

Die Jungen und Erwin schliefen noch, als er sich aus dem Zimmer schlich. Er holte frische Brötchen und wurde von drei schlaftrunkenen Köpfen, die gerade so unter der Bettdecke hervorlugten, begrüßt.

Dann ging alles sehr schnell. Sie wuschen sich am Waschbecken und Jan gab Erwin noch letzte Anweisungen für den Tag, während er Tee und Kaffee aufgoss. Nach dem Frühstück ging es zum Bahnhof. Jan saß schweigend und betrachtete seinen Sohn. Was würde ihn erwarten?

Im Dorf angekommen machten sie sich auf den Weg zum Haus. Jan schaute vorsichtig durch das Tor und erschrak über den Anblick, den ihm seine Tochter bereitete. Sie saß im Sandhaufen, die Kleidung war genauso verlumpt wie die von Frank und die Witwe saß, las in ihrem Roman und schlürfte Kaffee.

„Guten Tag“, rief Jan laut über den Hof. Zwei Köpfe schauten schlagartig in seine Richtung. Katrin erkannte ihren Vater zuerst, sprang auf und rannte zum Hoftor. Der Witwe wurde erst nun bewusst, wer da stand.

Schnell sprang sie auf, stieß an den Tisch, die Tasse fiel um und ging langsam zu Jan. Der hatte keinen Blick für sie. Er fing seine Tochter auf und schwenkte sie durch die Luft. Die Freude war riesig. „Warte mal, Katrin. Ich hab dir etwas mitgebracht.“ Frank reichte seinem Vater eine große Tüte, aus der er eine große Puppe zog.

Nun war es endgültig um Katrin geschehen. Sie drückte sich fest an ihren Vater und musste immer wieder lachen. „Ich, also ich hab gar nicht mit Besuch gerechnet“, stammelte die Witwe, die inzwischen Jan erreicht hatte.

„Das glaube ich. Haben sie denn überhaupt mitbekommen, dass der Junge weg war?“ Sie machte eine abwertende Handbewegung. „Ach der. Der treibt sich doch überall herum. Ich hab so viel Arbeit mit der Kleinen“, sagte sie heuchlerisch. Jan schaute auf den Roman auf dem Tisch dem sich der verschüttete Kaffee schon bedrohlich genähert hatte. „Ich sehe“, sagte Jan tonlos durch seine Lippen gepresst.

Er hielt Katrin auf dem Arm und ging zum Haus. Die Witwe folgte ihm zeternd und bittend. Sie konnte doch nicht wissen und gleich würde sie Ordnung schaffen. Jan betrat das Haus und blieb steif stehen.

„Katrin, sei so lieb und geh mit deinem Bruder nach draußen“, er setzte sie auf den Boden und schob sie sanft aber bestimmt durch die Tür. Diese wurde hinter ihr geschlossen und die drei Kinder schauten sich fragend an.

Eine Weile passierte nichts. Wahrscheinlich lief der Vater durch alle Räume. Dann brach das Gewitter los. Sie konnten nicht alles hören, aber Wortfetzen drangen nach draußen. Geld hörten sie, Bohnenkaffee, verwahrlost, sich schämen, kein Essen im Haus.

So ging es noch eine Weile weiter, dazwischen hörten sie das Gekeife der Witwe, auch das Flehen entging ihnen nicht. Schließlich flog die Tür auf und die Witwe kam aus dem Haus mit einem Koffer in der Hand. „Ihr Kaffee“, rief Jan noch und schon flog die Blechbüchse, die der Frau heilig war hinterher.

Sie drehte sich noch nicht mehr um. Mit schnellen Schritten verließ sie das Haus. Katrin sah den Vater in der Tür stehen, dann rannte sie zu ihm. Jan atmete heftig, setzte sich an den schmutzigen Tisch und hielt seine Tochter im Arm. Ein trauriger Blick erfasste Frank. Aber der grinste. Endlich war er sie los.

„Los, lasst uns erst mal ein wenig Ordnung schaffen, dann gehen wir erst mal einkaufen.“ Alle packten mit an. Katrin wich nicht von der Seite ihres Vaters, half aber auch mit. Die Küche war wieder in einem ganz passablen Zustand, als sie sich zum Dorf aufmachten.

Peter wurde immer unruhiger, als sie seinem Haus immer näher kamen. Der Vater setzte Katrin ab, die die ganze Zeit auf den Schultern ihres Vaters saß mit der Puppe im Arm. „So ihr drei. Ihr geht jetzt in den Laden und sucht die wichtigsten Sachen zum Essen zusammen. Ich gehe erst noch, um einen alten Ledergürtel außer Betrieb zu setzten.“ Frank grinste und haute Peter auf die Schulter.

Der Begriff nun erst, was der Vater von Frank damit gemeint hatte und lächelte gequält. Die drei machten sich wieder auf den Weg, nur Katrin wollte beim Vater bleiben. Aber die Aussicht, eine süße Zuckerstange zu bekommen, überzeugte sie dann doch, den Jungen zu folgen.

Im Laden suchten die Jungen alles zusammen und Katrin leckte genüsslich an der Zuckerstange. Es dauerte fast eine Stunde, ehe der Vater am Laden auftauchte. „Peter, deine Eltern erwarten dich. Sie freuen sich schon auf dich“, und leise fügte er hinzu, dass der Lederriemen nicht mehr funktioniert.

Peter begann über das ganze Gesicht zu strahlen. „Danke für alles“, sagte er und drückte Jan. Der spürte, wie eine Last von dem Jungen abfiel.

Im Laden wurde alles verpackt und bezahlt. Die Jungen und Katrin bekamen noch ein Eis und dann ging es wieder heimwärts. An der Gabelung verabschiedete sich Peter, nicht ohne noch einmal           > Danke<  zu sagen. Dann stand er vor Frank. Einen Moment zögerten beide, fielen sich dann in die Arme und drückten sich.

Jan beobachtete die beiden und ein Lächeln huschte durch sein Gesicht. Er sieht zwar seiner Mutter ähnlich, aber wie viel hat er von mir? Den ganzen Weg zurück, dachte er darüber nach. Er sollte ein Gespräch mit seinem Jungen führen, wusste aber nicht, wie er es anstellen sollte.

Im Haus räumten sie die Sachen in die Schränke. Jan sah, dass sein Sohn wirklich an alles gedacht hatte. Wie selbstständig er schon war. Das machte es ihm noch schwerer, ein Gespräch zu beginnen.

Am Abend saßen beide vor dem Haus und Jan genoss die Stille. Wie lange war er schon nicht mehr hier? „Papa, darf ich dich etwas fragen?“, begann Frank. Jan nickte.

„Wie soll es nun weitergehen? Ich mein, die Witwe ist nun weg. Kommst du wieder nach Haus?“ Jan schaute betreten zu seinem Sohn. „Ich kann nicht kommen, noch nicht. Ich muss erst das Projekt beenden. Die Leute brauchen mich, dass musst du verstehen.“

Frank schaute traurig, aber er sah es ein und nickte. „Frank, sobald ich das fertig habe komme ich wieder. Schaffst du es in der Zeit, dich allein um die Kleine und um das Haus zu kümmern?“ Franks Herz machte einen Hüpfer. Er sollte also allein für alles sorgen. Er bekam nicht noch eine Witwe vorgesetzt. „Natürlich, das schaff ich. Nur mit der Wäsche komm ich nicht so klar“, ergänzte er kleinlaut.

„Darum werde ich mich kümmern. Es wird sich doch jemand finden lassen, der für etwas Geld zwei drei Mal in der Woche hereinschaut und nach dem Rechten sieht“, sagte der Vater lächelnd. Sie erzählten noch die halbe Nacht.

Jan erzählte von seiner Arbeit und Frank war stolz darauf, so einen geachteten Brigadier zum Vater zu haben. Er erzählte von der Schule und der neuen Lehrerin. Auch von dem Baum erzählte er. „Hast du schon mal überlegt einen Vorschlag in der Schule zu machen? Ich meine, ihr könntet doch als Gruppe ein Boot bauen. Wäre das nicht was?“

Frank schaute überrascht zu seinem Vater. Der lächelte und bescherte damit Frank eine schlaflose Nacht. Die ganze Nacht überlegte er, wie man ein Boot bauen würde. Worauf war alles zu achten? Was brauchten sie für Materialien? Das meiste würden sie so zusammenfinden, aber es gab auch Sachen, die sie kaufen müssten. Woher sollte das Geld kommen?

Als er früh die Küche betrat, drehten sich seine Gedanken immer noch um das Boot. „Morgen Frank. Hast du gut geschlafen?“, fragte der Vater und Katrin rannte in den Arm ihres Bruders. „So richtig nicht. Die Idee mit dem Boot ist ja gut, aber wie sollen wir das anstellen?“

Jan schaute seinen Sohn grinsend an. „Das ist ein Projekt für die ganze Klasse. Redet darüber, und wenn ihr das machen wollt, wird euch schon alles einfallen.“ Frank setzte seine Schwester auf ihren Stuhl zurück und nahm ebenfalls Platz. „Ich werde den Vorschlag machen. Mal sehen, ob die Klasse da mitmacht. Wenn nicht, baue ich mit Peter allein ein Boot.“

Sie aßen in gemütlicher Runde weiter, vom Boot wurde nicht mehr gesprochen. Alles drehte sich um die nächsten Wochen, die Frank noch allein zu Haus verbringen musste. Jan schärfte seinen Sohn ein, auf Katrin zu achten und für Ordnung zu sorgen.

Auf dem Hof hörten sie das Gespann kommen. Peter stieg grinsend vom Bock und lief zu Franks Vater, der schon  vor der Tür stand. „Danke“, sagte er leise und hielt dem Mann die Hand hin. Der alte Fuhrmann ächzte auf dem Bock. „Na, dann lass uns mal losfahren. Nicht dass du den Zug noch verpasst.“

Frank und Jan nahmen sich in den Arm. Sie schauten sich strahlend an und er versprach nochmals, sich um alles zu kümmern. Auch Katrin wurde noch einmal durchgeknuddelt. Dann fuhr der Wagen langsam vom Hof und die drei Kinder sahen ihn hinterher.

„Dann lasst uns mal zur Schule gehen. Ich muss Katrin noch zum Kindergarten bringen. Vater hat sie gestern noch angemeldet. Ich komme dann später nach“, und Frank machte sich daran, seine Sachen zusammenzusuchen. Peter schaute immer wieder zu seinem Freund. Der neue Haarschnitt und die Sachen ließen ihn ganz anders aussehen. Auch, war da eine Fröhlichkeit zu spüren, die er selten erlebt hatte.

Alle drei machten sich auf den Weg. Katrin wurde von Schulter zu Schulter gereicht. Sie hatte ihre Puppe fest im Arm und freute sich schon auf den Kindergarten. Ihr neues Kleidchen vom Vater machte sie ganz besonders stolz.

„Peter, sag Fräulein Gutknecht, dass ich eine Stunde später komme.“ Peter nickte. Frank stand im Kindergarten und drückte Katrin noch einmal. „Ach hallo, du musst die Katrin sein“, sagte eine freundliche Stimme. „Ja, das bin ich. Und das ist mein großer Bruder Frank und hier ist meine neue Puppe“, plapperte die kleine gleich drauflos. Sie wurde in den Raum geführt und Frank sah noch, wie die anderen Kinder sie begrüßten. Eine Weile schaute er noch zu, dann rannte er los zur Schule.

Die erste Stunde war fast vorbei. Er wollte den Unterricht nicht stören, also wartete er vor der Tür. Dann hörte er Schritte auf dem Gang und drehte sich um. „Na, da ist ja der Ausreißer wieder“, sagte der Direktor in einem freundlichen Tonfall. Frank war es nicht angenehm, das es alle schon wussten, aber das war ja nicht zu vermeiden. Für wie viel Wirbel hatten die beiden eigentlich mit ihrer Aktion gesorgt?

Er reichte dem Direktor die Hand. „Gut siehst du aus. Ich hab eben einen Anruf von deinem Vater bekommen, er hat mir alles erklärt. Das heißt aber nicht, dass damit alles vergessen ist. Du und Peter werdet die versäumten Stunden nachholen.“ Frank nickte betrübt, „das werden wir“, war aber froh, dass alles so gut abgelaufen war.

In diesem Moment klingelte es und der Direktor ging lächelnd weiter. Frank sammelte sich und öffnete die Tür zum Klassenzimmer. Alle wurden augenblicklich ruhig und starrten ihn an. Zum ersten Mal sahen sie den richtigen Frank, einen ordentlichen Jungen, gewaschen und in sauberen Kleidern. Vielen entwich ein >ah<, andere mussten schmunzeln.

Unsicher ging er durch die Bankreihen zu seinem Platz. Er fühlte sich wie auf dem Präsentierteller, fühlte die Blicke in seinem Rücken. Auch die Lehrerin war erstaunt. Sie musste heute noch mit ihm reden, vielleicht würde sie es ja schaffen, seinen Panzer heute zu sprengen.

Frank und Peter sahen sich grinsend an. Alle bemerkten den Blick und jeder machte sich so seine Gedanken. Aber keiner von ihnen wusste, was sich ereignet hatte. Und das schweißte die Jungen noch näher zusammen.

Auch der Unterricht war an diesem Tag nicht so langweilig. Fräulein Gutknecht staunte auch nicht schlecht, dass sich ihre beiden Problemjungen öfter meldeten und dem Unterricht richtig folgten.

In der letzten Stunde ließ sie die Hefte und Bücher wegpacken. „So, habt ihr euch schon etwas überlegt, was die Klasse für ein Projekt machen könnte?“ Wieder meldeten sich einige Schüler, um neue Ideen vorzubringen, die aber allesamt verworfen wurden.

„Frank und Peter. Habt ihr vielleicht eine Idee?“ Sie lächelte die beiden an und alle Köpfe in der Klasse wurden nach hinten gedreht. Frank musste erst einmal schlucken. Sollte er es wirklich wagen?

„Ich denke, die Klasse könnte doch ein Boot bauen““, begann er leise. „Damit könnte man viel unternehmen, denke ich.“ Es war still in der Klasse. Jeder dachte über den Vorschlag nach. Dann machte sich ein murmeln bemerkbar, dass immer lauter wurde.

„Also ich find die Idee gut“, sagte Willi, der eigentlich zu den größten Gegnern von Frank gehörte. Die Klasse wurde wieder ruhig. „Ich find das auch gut“, setzte Karl nach. „Und was können die Mädchen dabei machen?“ Dieser Einwurf kam von Heike. Sie, die immer so souveräne Klassensprecherin. Aber Recht hatte sie, ging es Frank durch den Kopf. Daran hatte er noch gar nicht gedacht.

„Wir könnten uns doch ums Streichen kümmern und es gibt bestimmt auch Arbeiten, die man als Mädchen machen kann“, sagte Irene und Frank schaute dankbar zu ihr. Das Stimmengewirr in der Klasse nahm zu. Auf Irenes Meinung wurde viel gegeben und wenn sie zu dem Plan stand, war es schon fast beschlossen.

Es wurde noch viel diskutiert, letztendlich wurde der Vorschlag von Frank mit überwältigender Mehrheit angenommen. Das überraschte ihn, aber er und Peter waren froh, dass es so gekommen ist.

Fräulein Gutknecht sah an diesem Tag von einem Gespräch mit Frank ab. Sie wollte ihn in den nächsten Tagen beobachten, wie sich die Sache entwickelt. Noch nie hatte sie Frank und Peter so interessiert gesehen. Sie waren mit Feuereifer dabei alles zu erklären und es schien, als ob sie schon immer fest zur Klasse gehörten.

Frank ging mit Heike zum Kindergarten um Katrin abzuholen. Heikes Mutter war die Kindergärtnerin. Ihm war es neu, hatte er sich doch noch nie um andere Klassenkameraden gekümmert. Peter musste nach Hause, der alte Fuhrmann mit dem ausrangierten Lederriemen brauchte seine Hilfe.

„Sag mal, du meinst es ernst mit dem Boot?“, fragte Heike. „Ja, ist doch eine tolle Sache. Alle können mitmachen und Spaß haben wir auch noch.“ Heike schaute Frank näher an. Sie hatte ihn noch nie so wahrgenommen. Er hatte sich verändert. Nicht nur die neuen Sachen und der Haarschnitt. Er war fröhlich, wie sie ihn noch nie gesehen hat.

Katrin wollte zuerst gar nicht mit Frank gehen. Sie hatte Spaß und schon viele neue Freunde gefunden. Auch Heikes Mutter war von der kleinen angetan. Zu Haus machte sich Frank an die Arbeit. Zuerst ein Beet saubermachen, dann die Aufgaben der vergangenen Tage nachholen und anschließend noch die kleine ins Bett bringen, die immer noch ganz aufgeregt war.

Nachdem er ihr eine Geschichte erzählt hat und sie mitten drin eingeschlafen ist, hatte er endlich Zeit für sich. Er dachte über den Tag nach. Wie hatten sie ihn alle angestarrt. Und dann noch der Zuspruch zu seinem Plan. Er schlief glücklich ein und sah sich als Kapitän auf einem weißen Schiff in hohen Wellen.

 

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2 Kommentare

    • niffnase auf 9. November 2012 bei 18:17
    • Antworten

    sehr schönes Kapitel, hat mir gut gefallen
    LG Niff

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    • noraku auf 9. November 2012 bei 20:08
    • Antworten

    Bisher eine sehr schöne Geschichte.
    Der große Zeitsprung in Teil 8 hat mich jedoch ein wenig verwirrt.

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