Zoogeschichten I – Teil 4

4. Die Operation

„Erde an Dennis, was ist denn los mit dir?“, fragte Brit.

„Ach nichts. Komm lass uns reingehen, ich will dir Sabine vorstellen.“

So ging ich mit Brit ins Bärenhaus. Sabine und sie verstanden sich prächtig und Brits Wunsch, einmal in einer Tierpraxis als Schwester anfangen zu können, begeisterte sie. Sie erzählte ihr, dass gleich Doktor Reinhard vorbeischauen würde, um Tamara zu untersuchen.

Es dauerte nicht lange, da kam auch Doktor Reinhard, im Schlepptau – Michael, der einen Koffer trug. Drei weitere Pfleger kamen eben so. Reinhard packte ein Rohr aus, während Sabine den Schieber ins Freigehege öffnete.

Michael war an das Gitter zum Gehege gegangen und rief nach Tamara. Es dauerte eine Weile, bis Tamara zum Schieber kam. Anscheinend ahnte sie, dass da jetzt etwas auf sie wartete.

Krümel war wieder auf meinem Arm eingeschlafen und Sabine stand andächtig neben mir und sah gebannt auf die Öffnung, wo sich Tamara, die Braunbärin befand.

„Altes Mädchen, jetzt komm schon rein“, sagte Michael genervt.

Sabine und einer der anderen Pfleger schauten sich verwundert an. Immer noch standen alle da und warteten, dass Tamara endlich einen Fuß ins Haus setzten würde. Sabine nahm ein paar Äpfel und warf sie in den Käfig.

Doktor Reinhards zog aus einer Ampulle irgendeine Flüssigkeit in eine Spritze. Die Spritze füllte er in eine Art Pfeil. Tamara hatte sich nun doch entschlossen, das Haus zu betreten. Die Aussicht ein paar leckere Äpfel war doch größer als die Angst.

Kaum war sie drin, schloss Sabine den Schieber.

Doktor Reinhard steckte den Pfeil in das Rohr und hob es an. Er blies kurz heftig hinein und traf Tamara an der Schulter. Sie brüllte kurz auf und zuckte zusammen.

„Macht ihr das immer so?“, fragte mich Brit.

„Ich weiß es nicht, ich sehe das auch zum ersten Mal.“

„Ja, machen wir, wenn ich ein Gewehr aus dieser Entfernung nehmen würde, könnte ich das Tier womöglich noch verletzten und der Knall würde es zusätzlich erschrecken“, mischte sich Reinhard in unsere Unterhaltung, der vor uns stand.

Er drehte sich um und schaute mich an.

„Du musst Dennis sein, unser neuer Azubi?“

„Ja, Dennis Kahlberg.“

„Wie ich sehe, bist du schon Pflegevater geworden. Sabine hat mir erzählt, du nimmst den Kleinen am Wochenende mit nach Hause?“

„Ja.“

Neuigkeiten verbreiteten sich wirklich schnell und Brit schaute mich mit großen Augen an.

„Gut, hier ist meine Handynummer, falls etwas mit dem Bären sein sollte und du mich erreichen musst.“

„Danke“, meinte ich und nahm die Karte entgegen.

Tamara torkelte im Käfig herum, bis sie sich einfach auf dem Platz niederließ. Ihre Augen waren geöffnet, aber sie bewegte sich nicht mehr.

„So Jungs und Mädels, auf geht’s“, sagte Reinhard.

Sabine schloss das Gatter auf und alle stiegen hinein. Ich ging mit Brit direkt ans Gatter, um besser sehen zu können. Michael hatte zwei Seile in der Hand. Langsam bückte er sich und band die Hinterläufe zusammen. Sabine machte das gleiche mit den Vorderläufen.

„Wir müssen sie drehen, sie liegt auf der falschen Seite!“, meinte Sabine.

Zu viert stemmten sich die Pfleger gegen Tamara und drehten sie um. Reinhard stellte seinen Koffer neben ihr ab und begann, das Bein abzutasten. Er drückte mehrere Male gegen das Becken, das komisch nachgab.

„Wie ich befürchtet hatte. Da hat sich Wasser angesammelt, wahrscheinlich von einer Entzündung am Hüftgelenk“, meinte er.

„Und jetzt?“, fragte Sabine.

„Erst mal das Wasser ablassen.“

Entsetzt schaute mich Brit neben mir an, ich erwiderte ihren Blick. Reinhard ging an seinen Koffer und holte ein Art Rasiermesser heraus. Er tastete noch mehrere Male die Hüfte von Tamara ab, bevor er mit dem Messer an einer Stelle die Haare entfernte.

„Ruhig, altes Mädchen“, sagte Sabine und legte ein Tuch über ihre Augen.

Reinhard nahm ein Skalpell und machte einen kleinen Schnitt an die kahle Stelle. Sofort schoss eine wasserähnliche Flüssigkeit heraus.

„Boah, ich kann gar nicht hingucken“, meinte Michael und drehte den Kopf weg.

Brit neben mir tat dasselbe. Der Doktor drückte weiter auf die Stelle und immer mehr Flüssigkeit trat heraus.

„Warum ist uns das nicht vorher aufgefallen, sie muss doch Schmerzen gehabt haben?“, fragte Sabine.

„Bären sind eben hart im nehmen, auch wenn es sich jetzt bei Tamara um eine alte Bärin handelt. Sie ist Chefin im Gehege und darf keine Schwäche zeigen“, antwortete Reinhard.

Mich wunderte, das kein Blut kam, nur diese Flüssigkeit, die jetzt endlich nachließ.

„Ich werde ihr gleich noch eine Spritze geben, damit die Entzündung am Bein nachlässt. Sie bleibt erst mal im Käfig unter Beobachtung. Wenn sich kein Wasser mehr ansammelt, hat sie es hinter sich.“

Sabine nickte.

„Ich gebe dir dann auch noch ein paar Tabletten, die du unter ihr Futter mischst.“

„Dann braucht ihr uns nicht mehr, oder?“, fragte einer der anderen Pfleger.

Krümel knurrte in meinem Arm, aber er schien doch zu schlafen, wie ich an seinen verschlossenen Augen sah.

„Ja, sie muss nicht in die Klinik“, sagte Reinhard, der den kleinen Schnitt jetzt versorgte.

So verschwanden die drei aus dem Bärenhaus, während Michael einen Eimer Wasser holte, um die Flüssigkeit wegzuwaschen.

Die Fesseln wurden gelöst und Sabine nahm das Tuch von Tamaras Kopf. Reinhard gab dem Tier zwei Spritzen, was bei mir eine Gänsehaut verursachte und mich schütteln ließ.

„Ist dir kalt?“, fragte Brit neben mir.

„Nein… die Spritzen.“

„Ach so“, meinte Brit und grinste wissend.

Schnell verließen Reinhard und Sabine den Käfig und schlossen das Gatter.

„Was waren das für Spritzen?“, fragte Brit.

„Ein Antibiotikum und eine Aufbauspritze, damit Tamara gleich wieder aus ihrer Betäubung erwacht“, antwortete Reinhard.

Sabine erzählte ihm über Brits Pläne und er meinte, sie könne ruhig mal ein Praktikum in den Ferien machen, was Brit natürlich sehr begrüßte. Michael schmiss den Eimer in die Ecke und verließ das Bärenhaus.

„Was ist denn in den gefahren?“, fragte Reinhard.

„Ich weiß es nicht, er ist heute schon den ganzen Tag so komisch“, sagte Sabine.

Tamara bewegte sich wieder und wurde wach.

„Kann sie denn das Bein gleich wieder belasten?“, fragte Brit.

„Ja“, antwortete Reinhard, „es müsste ihr eigentlich besser gehen, als zu vor.“

Tamara versuchte aufzustehen taumelte aber.

„Du, ich muss wieder gehen“, meinte Brit.

„Schon? Schade, es war aber lieb von dir, mich zu besuchen“, meinte ich, „ich bring dich noch zur Tür.

Brit verabschiedete sich von Reinhard und Sabine und ich begleitete sie nach draußen.

„Also dann Tschüss, mit dem Wochenende bei mir kann ich dann ja wohl vergessen“, sagte Brit.

„Wieso?“, fragte ich.

„Du hast den Kleinen da am Hals.“

„Ja und, dann kommst halt zu mir.“

„Okay, können wir auch machen.“

„Gut, dann Ciao, noch mal danke für den Besuch!“

„Nichts zu danken, war doch selbstverständlich… und pass auf dich auf… hier lauert jemand auf dich.“

„Bitte?“

„Ich sag nichts weiter, du wirst es schon merken“, antwortete Brit und ließ mich stehen.

Verwundert ging ich ins Bärenhaus zurück, wo Sabine nun alleine vor Tamaras Käfig stand.

„Siehst du, sie steht schon wieder und will raus. Bringst du den Kleinen noch in seine Kiste, ich will mit dir zu den Kleinbären.“

„Kleinbären?“, fragte ich und schaute auf Krümel.

„Ja, Waschbären oder Nasenbären, die sind aber in einer anderen Abteilung.“

„Ach so. Gut, bin gleich wieder da.“

Ich brachte Krümel in seine Kiste zurück, wo ich ihn vorsichtig ablegte, da er immer noch schlief. Dann folgte ich Sabine in das Nachbargebäude. Hier ging es etwas lebendiger und lauter zu.

Mir fielen die Nasenbären ins Blickfeld, deren schwarzbraun gestreifter Schwanz in die Höhe stand.

„Hallo Volker, darf ich dir Dennis, unseren neuen Azubi, vorstellen?“, sagte Sabine zu einem Mann, der auf uns zukam.

„Ah, das ist unser Neuer, der schon für Gesprächsstoff sorgt.“

Er schüttelte mir die Hand. Fragend schaute ich zu Sabine, die aber nur abwinkte und Volker einen giftigen Blick zuwarf. Ich verstand nun gar nichts mehr, aber beschloss, den Mund zuhalten.

Volker zeigte mir die verschiedenen Käfige der Kleinbären. Er erklärte mir auch, dass auch ich hier drei Monate in dieser Abteilung verbringen würde. Da freute ich mich jetzt schon drauf, die kleinen Kerle waren ja so putzmunter.

„Und wie viele werden jetzt abgeholt, von den Wickelbären?“, fragte Sabine.

„Wieso abgeholt?“, fragte ich fasziniert, vor deren Käfig hockend.

„Dennis, es sind zu viele in der Gruppe und wir geben unserem Nachbarzoo welche ab. Sechs werden wir abgeben, Sabine.“

„Und, schon welche herausgesucht?“, fragte Sabine.

„Ehrlich gesagt nicht. Wir haben uns entschlossen, die Ersten die wir fangen, gehen raus. Könnt ihr uns helfen?“

Sabine schaute mich kurz an und wir nickten gemeinsam.

„Fritz, könntest du dann kommen, Sabine und Dennis helfen uns, die Wickelbären einfangen.“

„Dennis?“, hörte ich jemand rufen.

„Ja, unser neuen Azubi.“

„Ach so, Moment, ich hole noch die Käfige.

Ich hörte ein rollendes Geräusch und kurze Zeit später, kam ein kleiner, dicker Mann mit Handwagen um die Ecke.

„Hallo Fritz“, sagte Sabine.

„Hallo Sabine und du musst Dennis sein.“

Er schüttelte mir die Hand.

„Hallo.“

Fritz lud die Käfige ab und stellte sie neben die Tür zum Käfig.

„Und wie machen wir das jetzt?“, fragte ich.

„Wir fangen sie mit Netzen ein. Sie haben zwar kein großes Gebiss, aber zwicken können sie schon ordentlich damit“, meinte Fritz.

Volker kam mit zwei Keschern zurück und betrat mit Fritz den Käfig. Nun wurden die Wickelbären munter und sprangen von Baum zu Baum. Es dauerte eine Weile, bis einer von beiden einen gefangen hatte.

Sabine öffnete den Käfig und hielt ihn mit mir direkt an die Tür. Fritz kam mit dem Kescher und ließ den Wickelbären vorsichtig in den Käfig. Sabine verschloss schnell dessen Gatter und wir stellten ihn ab.

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